Di | 19.06.12

19.06.2012 - murmelt: „Ach, wat weeß ick. Ick bin ja oos Spandau. ... Du würdst dir da ja nich zurecht- finden. ... Lieber bezeichnet er ... Gregor Gysi und Harry Rowohlt am Samstag in der Kulturbrauerei Foto: Stefan Boness/Ipon. KULTUR ...
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DIENSTAG, 19. JUNI 2012  TAZ.DIE TAGESZEITUNG

taz.plan

......................................................................................................................... DEPRIMIERTE GLATZEN UND EIN SOMMERMÄRCHEN DER VOLLIDIOTEN

Möllemanns Doppelgänger ie Beamten sind verwirrt, und zwar mehr als zuvor. „Wollen Sie jetzt zu der Veranstaltung der Rechten oder nicht?“ Eigentlich hatten sie mich schon mehrfach abgewiesen,docheinemderStaatsdiener ist mein Hansa-Rostock-Shirt aufgefallen, welches ich kürzlich günstig im Internet ersteigert hatte. Wäre ich tatsächlich ein Teilnehmer der rechten Veranstaltung, müsste es natürlich “THemd“ und „Weltnetz“ heißen, schließlich sind Anglizismen in der nationalen Szene ein No-go.

 Di|19.06.12

KULTUR + PROGRAMM FÜR BERLIN

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BERLINER SZENEN GEN SPANDAU

Gentrifiweißdergeier Am S-Bahnhof Friedrichstraße winkt ein Mittfünfziger die Scharen schweißgebadeter Sonnenanbeter, die versuchen, sich Ellenbogen an Ellenbogen, Bein an Bein einen Weg in die bereits überfüllte S-Bahn gen Spandau zu bahnen, an sich vorbei in den Waggon. Er singt dabei eine mit kreativen Versatzstücken angereicherte Version von „You’re always on my Mind“. Der bierflaschen- und händeschwenkend durchchoreografierte Text hört sich in etwa so an: „U … u … lrich, ick fahr jetzt zu dir … Cause you’re always on my mind …“ Er betritt den Wagon als Letzter, hält sich an der Mittelstange fest, führt eine wie Tabledance anmutende, wenn auch schwankende Tanzbewegung vor und grölt: „Wat wollt’er denn im Osten? Ab zum Zoo! Ab in’ Westen! Scheiß aufn Osten! Scheiß auf Zonenbilderei!“ Am Hauptbahnhof lässt er sich sichtlich erschöpft auf einen Sitz fallen und flüstert: „Weil, wir sind die Kinder vom Bahnhof Zoo.“ Dann singt er weiter: „U … u … lrich, gleech bin ick bei dir, weieieiell sowatt findste nirgendwooooo hiiiier …“

Gregor Gysi und Harry Rowohlt am Samstag in der Kulturbrauerei Foto: Stefan Boness/Ipon

Schnauze, Schokolade und berühmte Eltern MITTAGSGESPRÄCH Gregor Gysi und Harry Rowohlt plaudern beim

„Fest der Linken“ auf einer roten Couch aus dem Nähkästchen VON DU PHAM

Auf einer roten Couch zur Mittagsstunde trafen sich vergangenen Samstag eine Berliner Schnauze und ein Hamburger Brummbär zum Gespräch: Gregor Gysi und Harry Rowohlt. Anlass war das „Fest der Linken“, welches am Wochenende in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg stattfand. Geboten wurde ein buntes Potpourri aus PolitTalk, Musik, internationalen Gästen und Infoständen. Der Berliner Politiker der Partei Die Linke, Gregor Gysi, bat den Übersetzer und Kolumnisten Harry Rowohlt um Rede und Antwort. Wie alte Schulkameraden begrüßen sich die beiden auf der Bühne. Gysi nennt Rowohlt gleich zu Beginn eine „herausragende Persönlichkeit“. Vielleicht um ihn vorab bezüglich der ersten Frage zu besänftigen?

Schwierige Kindheit

Das überlebst du gar nich’, Alter! Die Umstehenden sehen betreten auf den Boden. Er ruft in die Runde: „Wat wollter denn hier im Osten? Dat is doch sowatt von gentrifiwattweißdergeier.“ Er nimmt einen Schluck Bier und murmelt: „Ach, wat weeß ick. Ick bin ja oos Spandau. Nichma Berlin.“ Ein Jugendlicher, der glasig aus dem Fenster guckt, sieht ruckartig auf, fixiert den Biersänger an und nuschelt: „Spandau, Alter? Is’ doch hässlich. Steht in jeder Zeitung.“ Der Bierfahnenschwenker lehnt sich zu ihm und erwidert mit einem Stimmvolumen, das einen Theaterraum füllen würde: „Red ma. Du würdst dir da ja nich zurechtfinden.“ Der Jugendliche spuckt ausladend auf den Boden und sagt: „Wir sollten ma’ tauschen. Leb du ma’, wo ich lebe. Das überlebst du gar nich. Wedding, Alter.“ EVA-LENA LÖRZER

Allgemein bekannt ist, dass Rowohlt Fragen zu seiner prominenten Familie und ihres Verlags nicht unbedingt willkommen sind. Gysi lässt es sich nicht nehmen und fragt: „Wie war überhaupt deine Kindheit? Vor allem deine Mutter und dein Vater?“ Gewohnt ehrlich antwortet Rowohlt: „Die war so, dass ich keine Lust hatte, selbst Kinder zu bekommen. Das möchte ich niemanden zumuten, meine Eltern konnten sich nicht leiden, und ich muss sagen, völlig zu Recht. Wenn die beiden sich krachten, dachte ich, schön, jetzt werd ich nicht erzogen und kann heimlich Bücher lesen.“ Um Rowohlt doch noch etwas Positives über seinen Vater zu entlocken, bemerkte Gysi: „Neben tollen Autoren hat er die rororo-Reihe rausgebracht, und das war gerade nach 1945 in der Bundesrepublik die erste Reihe, die auch Arbeitnehmer sich leisten konnten. Das müsstest du doch wenigstens anerkennen.“ Ironisch stimmt er ihm zu, „unbedingt, wenn man davon ab-

sieht, dass die Taschenbücher aus den USA importiert waren und dass es die Idee meines Halbbruders war, dann muss man das natürlich anerkennen.“ Durch die Namensgleichheit wird häufig vermutet, Harry Rowohlt sei noch mit dem gleichnamigen Verlag verbandelt. Er betont aber, die seinerzeit geerbten Verlagsanteile vor langer Zeit an Holtzbrinck verkauft zu haben und dass er auch ohne die Anteile „ganz gut mit dem Arsch an die Wand kommt“. Gysi kennt ebenfalls irrtümliche Zuordnungen bezüglich des Nachnamens, so habe er rein gar nichts mit der Gysi-Schokolade aus der Schweiz gemein und wundert sich, warum er sie regelmäßig zugeschickt bekommt. Rowohlt ergänzt in eigener Sache, „deswegen sage ich auch, egal, wo ich reinkomme, nein, ich habe nichts mit dem Rowohlt Verlag zu tun“. Dann schwenkte der Fragensteller Gysi auf Rowohlts Berufslaufbahn um. Einer der Haupttätigkeiten des Hamburgers ist die Übersetzung aus dem Englischen. „Sag mal, wie hast du Englisch und Amerikanisch gelernt? Und zwar so perfekt, dass du Übersetzer werden konntest?“ Rowohlt erzählte, er habe das Glück gehabt, „unabhängig voneinander drei sehr gute Englischlehrer an der Schule zu erleben“. Zudem habe er eineinhalb Jahre in einem New Yorker Verlag als Hilfslayouter gearbeitet, wo

Harry Rowohlt wollte bereits einen Rauschebart haben, als er vier Jahre alt war, Marx kannte er da noch gar nicht

ihm ein Afroamerikaner telefonisch Satzanweisungen durchgegeben habe, wodurch man besser Englisch lerne als durch ein Studium. Doch studiert habe er auch, und zwar Amerikanistik in München – ganze zweieinhalb Stunden: „Es war so kurz, ich war nicht einmal in der Mensa.“ Uneinig waren sich die beiden Gesprächspartner nur darüber, wie viele Jobs Rowohlt denn ausübe. Nach Aufzählen seiner zahlreichen Tätigkeiten summiert Gysi sechs. Rowohlt hält ihm die offene Hand entgegen und motzt „fünf“. Tatsächlich sind es „Übersetzer, Über-die-Käffer-Tinglerund-laut-und-mit-BetonungVorleser, CDs-Vollquatscher, ziemlich unregelmäßig, also selten, Zeit-Kolumnist und Kleindarsteller in der Vorabendserie Lindenstraße“.

Mit Brummstimme Anders als häufig von sich selbst vermutet, leidet Rowohlt also nicht unter Dyskalkulie, denn es sind fünf. Im weiteren Gesprächsverlauf betont Gysi, dass es ihm immer eine große Freude sei, Rowohlt beim Vorlesen zuzuhören. Um dieser Bitte nachzugehen, trägt Rowohlt mit seiner unnachahmlichen Brummstimme den Anfang des von ihm übersetzten Kinderbuches „Sie sind ein schlechter Mensch, Mr. Gum“ von Andy Stanton sowie zwei seiner in der Zeit erschienenen Kolumnen „Poohs Corner“ vor. Wie dem glucksenden Publikum anzumerken ist, ist Gysi mit seiner Begeisterung nicht allein. Es wäre kein „Fest der Linken“, wenn nicht auch die Frage geklärt worden wäre, wie Rowohlt sich politisch einordnet. Ob er mit seinem Rauschebart gar aussehen wolle wie Karl Marx. Rowohlt aber antwortet trocken, dass er bereits einen Bart haben wollte, als er vier Jahre alt war. Mit vier kannte er Marx sicher noch nicht. Lieber bezeichnet er sich selbst als einen „verquasten Linken“.

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN ....................................................... VON JURI STERNBURG

....................................................... dreinschauenden Glatzen, insofern hat alles seine Ordnung, die tägliche Nassrasur ist gesichert. Inzwischen wurde von den Linken ein Soundsystem aufgebaut, die Internationale erklingt und neben mir bemerkt jemand treffenderweise, dass Nazis keine DJs werden können. Und zwar weil sie den Unterschied zwiNationale Krabbelgruppe schen 33 und 45 nicht kennen. Genug der Schenkelklopferei, Bin ich aber glücklicherweise nicht und dementsprechend der DJ-Witz ist bestens dazu geversperren mir die Kollegen der eignet, eine schlechte ÜberleiBerliner Sondereinheit „Poli- tungeinzuleiten.Schließlichsoll tisch motivierte Straftaten“ es hier eigentlich um ganz viel schlussendlich doch noch den Spaß, angesagte Acts, Konfetti Weg, da sie meiner plötzlichen und wummernde Beats gehen. nationalen Gesinnung nicht so Dummerweise habe ich mir selrecht über den Weg trauen. Und ber eine Clubpause verordnet, recht haben sie. Das Häufchen dementsprechend gibt es heute Elend, welches sich in der Nähe keine Geschichten über undes Strausberger Platzes einge- freundliche Türsteher oder befunden hat, ist esdann eigentlich trunkene Partygäste. Stattdesgar nicht wert, über sie zu berich- sen geht es weiter wie zuvor. Nach dem Spiel wird logiten, der Großteil der Anwesenden sieht aus, als wäre ihr scherweise noch der ein oder anStammbaum eine Trauerweide dere Absacker getrunken und oder ein Kreis, und das, wo sie auf der Kastanienallee der knapdoch so stolz auf ihre vermeint- pe Sieg gefeiert. Eine Gruppe Deutschlandtrikots tragende lich reinrassige Herkunft sind. Ein später dazu stoßender Profipöbler nutzt die PartystimFreund fragt, wie lange ich mir mung, um sich mit Stühlen und das Ganze schon anschaue. „Seit Flaschen zu bewaffnen und eiknapp 15 Jahren“ ist meine Ant- nen Farbigen anzugreifen. Das wort. Der Chef der nationalen allein wäre schockierend genug, Krabbelgruppe Sebastian weit tragischer ist jedoch, dass Schmidtke und Möllemanns in- sich einige unbeteiligte, ebenoffizieller Doppelgänger Udo falls in Deutschlandtrikots geVoigt wechseln sich gegenseitig kleidete Herrschaften bemüßigt mit den Reden ab, argumentato- fühlen, sich den ihnen unberische Geniestreiche wie „der kannten Vollidioten anzuschliekleine Mann muss immer zah- ßen. Ein Traum in Schwarz, Rot, len“, „die da oben machen doch Gold – Deutschland, dein Someh, was sie wollen“oder „krimi- mermärchen Part 2 reloaded. Dann doch lieber nach Friednelle Ausländer raus aus Deutschland“ wechseln sich im richshain, dort bekommt man für zehn abgebrochene DeutschMinutentakt ab. Über der Veranstaltung landfähnchen immerhin ein prangt ein riesiges neongelbes Sternburg umsonst. Vielleicht Schild an einem Baugerüst: „Fri- kommt ja noch eine nette Beseur geöffnet.“ ist dort zu lesen. kanntschaft, die ihre Fähnchen Der dazugehörige Pfeil zeigt auf einlösen möchte, ich würde zur die Ansammlung der deprimiert Verfügung stehen. ................................................................................................................... ANZEIGEN