Der weisse Handschuh - Buch.de

mahl war so gut wie beendet, exakt die Hälfte der Speisen ... Liu Bin verstand meinen Einwand nur allzu gut; .... Die Gespräche mit den Banken wurden immer.
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Peter Backé

Der weiße Handschuh Kriminalroman © 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Fotolia, 36829206 - Count Money on hand© ryanking999 Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0845-8 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses eBooks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Kapitel 1 „Warum bist du nicht fröhlich?“ Mein Sitznachbar Liu Bin, der Polizeichef von Changchun, musterte mich argwöhnisch. „Ich bin sehr fröhlich.“ „Ich sage: Du bist nicht fröhlich. Warum bist du nicht fröhlich?“, lallte er in anklagendem Tonfall. „Doch, ich bin wirklich sehr fröhlich“, verteidigte ich mich zaghaft. Liu Bin war kein Mann, dessen Unmut ich auf mich ziehen wollte, erst recht nicht, nachdem er mindestens eine ganze Flasche Maotai-Schnaps intus hatte. Ich hatte ihn schon oft angetrunken erlebt, eigentlich bei jeder unserer Begegnungen, aber noch nie derart sternhagelvoll. „Das Essen war ausgezeichnet und die Gäste sehr …“ „Warum trinkst du dann so wenig?“, fiel er mir ins Wort. „Warum trinkst du nicht, wenn du fröhlich bist?“ Er füllte zwei Gläser randvoll mit Maotai, nahm eines davon und schob seinen linken Handrücken unter das Glas, zum Beweis, dass er keinen Tropfen des Schnapses verschüt3

ten würde. Dann bellte er: „Gan bei!“, leerte das Glas beidhändig in einem Zug und knallte es triumphierend auf den Tisch. Ich tat es ihm nach, alles andere wäre eine Beleidigung gewesen. Dabei verabscheute ich Maotai, das Zeug schmeckte nach Tischlerleim und stieg mit seinen dreiundfünfzig Prozent Alkoholanteil enorm zu Kopf. Ein gefährliches Gesöff, fast ebenso gefährlich wie mein Sitznachbar und selbst erkorener Trinkkumpan. Um ihn von einer sofortigen Wiederholung des Trinkrituals abzuhalten, wandte ich ein: „Ich dachte, wir gehen nachher noch ins Sheraton.“ Er nickte nur stumm, da ich damit lediglich das Offenkundige ausgesprochen hatte. Das Festmahl war so gut wie beendet, exakt die Hälfte der Speisen auf den großen Servierplatten vertilgt. Dies war kein Zufall, denn das war der optimale Anteil aus der Sicht eines großzügigen, aber nicht protzigen Gastgebers wie Ma Lin. Mehr übriggebliebenes Essen hätte bedeutet, dass es den Gästen nicht geschmeckt hatte, weniger dagegen wäre einem unausgesprochenen Tadel gleichgekommen, dass er zu wenig bestellt 4

habe. Das heutige Bankett des Gouverneurs der Provinz Jilin war somit wieder einmal ein voller Erfolg geworden, und alle hatten dazu beigetragen. Die Tischdecke der großen, kreisrunden Tafel war übersät mit Essensresten und Abfall, die Luft blau von Tabaksqualm. Die Gesichter der Gäste waren gerötet und verschwitzt vom Alkohol. Ihre Witze wurden zunehmend schlüpfriger, ihr Lachen immer lauter. Nur Ma Lin selbst, der auf dem Ehrenplatz mit Blick zur Eingangstür saß, wirkte ernst und nachdenklich, wie immer in diesen Tagen: ein Feldherr, der unablässig die bevorstehende Schlacht im fernen Beijing plante. Schon in wenigen Minuten würden sich die beiden anwesenden Alibifrauen, stellvertretende Vertreterinnen irgendwelcher unbedeutenden Funktionäre, diskret verabschieden. Danach würden wir verbliebenen Männer zum Sheraton Spa aufbrechen, dem besten Bordell der Stadt. So klangen all diese Abende aus. „Ich will noch etwas von den Fräulein im Sheraton haben, verstehst du?“, fügte ich an. Zumindest teilweise stimmte das sogar. Eigentlich hätte ich nach dem Bankett am liebsten ein 5

Taxi nach Hause genommen. Ein Großteil der übrigen Männer, die allesamt Ehefrauen sowie Geliebte hatten, wahrscheinlich ebenfalls. Doch man konnte eine Einladung ins Bordell unmöglich ausschlagen, denn es drehte sich dabei nicht in erster Linie um Sex, sondern um den Zusammenhalt der Gruppe, von Ma Lins engstem Kreis. Die ungeschriebene Regel besagte, dass entweder alle gingen oder keiner. Gingen alle, so schweißte der gemeinsame Gesetzesverstoß – alles am Sheraton Spa war illegal, alles, sogar der Name, da das Etablissement nichts mit der gleichnamigen Hotelkette zu tun hatte – die Gruppe noch enger zusammen. Verweigerte sich hingegen jemand … Nein, das wäre undenkbar gewesen. Es gingen immer alle mit. Liu Bin verstand meinen Einwand nur allzu gut; ein Mann seines Alters, Ende fünfzig, und mit seinem ungesunden Lebenswandel brauchte wahrscheinlich alles, was die westliche Pharmaindustrie und die Traditionelle Chinesische Medizin zu bieten hatten, um im Freudenhaus noch auf seine Kosten zu kommen. Er lachte und legte mir gönnerhaft seinen massigen Arm um die 6

Schultern: „Keine Sorge, du bist ein sehr starker Mann, das haben mir die Fräulein dort berichtet. Und du bist mein Freund … Alle sollen wissen, dass du mein Freund bist!“, schrie er plötzlich herausfordernd in die Runde. Das angeregte Geplauder um die Tafel herum verstummte abrupt. Selbst Ma Lin schwieg. „Alle sollen es wissen!“, wiederholte Liu Bin kampfeslustig. Er ließ mich los und stand auf. Bevor ich begriff, was er vorhatte, war er schon auf seinen Stuhl gestiegen. Zwei seiner Leibwächter sprangen herbei und stützten den Schwankenden. Liu Bin packte die große Hängelampe über dem Tisch mit beiden Händen und zog sie zu sich hin, legte den Kopf in den Nacken und grölte aus vollem Halse ein Volkslied in klassischem Chinesisch, von dem ich nur verstand, dass es darin um alte Freunde, viele Jahre und große Entfernungen ging. Die übrigen Anwesenden lächelten unterdessen mit gefrorenen Gesichtern. Ich hingegen musste wirklich lächeln. Wie er da stand und in die Hängelampe über dem Tisch hinein röhrte, sah Liu Bin mit seinem feisten Na7

cken und seinen ausgeprägten Hängebacken aus wie ein Bluthund, der den Mond anheulte. In gewisser Weise war er das ja auch tatsächlich, Ma Lins Bluthund, ein bösartiger alter Beißer in einer zerknitterten Polizeiuniform mit Schweißflecken unter den Achseln. Dann aber sah ich das Mikrofon in der Lampe, ein schwarzes, zylindrisches Mikrofon von der Größe einer Mignonzelle. Es ragte schräg oben aus der Glühbirnenfassung hervor. Mir verging das Lächeln. Schlagartig verstand ich, was Liu Bin mit „Alle sollen es wissen!“ gemeint hatte: Das Mikrofon gehörte zu einer der zahlreichen Abhöranlagen in der Stadt, von deren Existenz ich bereits gerüchteweise gehört hatte. Man hatte sich noch nicht einmal besondere Mühe gegeben, es zu verstecken. Die übrigen Gäste mussten von dem Mikrofon gewusst haben; darum war ihnen so jäh das Lachen vergangen, als Liu Bin nach der Lampe griff. Während die Anwesenden Liu Bin nach dem Ende seines Lieds scheinbar begeistert applaudierten, begriff ich noch etwas: Mit seiner Showeinlage hatte er mich warnen wollen, dass mein 8

Leben in Gefahr sei. Oder er hatte Ma Lin drohen wollen. Oder beides. Jedenfalls war mein Leben in Gefahr. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. So hatte ich mir das ganz und gar nicht vorgestellt, als ich rund ein Dreivierteljahr zuvor in meinem heimischen Büro in Magstadt bei Sindelfingen das Fax aus China las, das all unsere Probleme auf einen Schlag zu lösen versprach.

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Kapitel 2 Mein Name ist Christian Fendt. Ich bin zweiundvierzig Jahre alt, Vater zweier Kinder und Ingenieur von Beruf. Dass ich eines Tages würde befürchten müssen, von einer Clique korrupter chinesischer Parteifunktionäre um die Ecke gebracht zu werden, hätte wohl niemand vorausahnen können, denn bislang war mein Leben recht geradlinig verlaufen. Schon als Jugendlicher hatte ich als Klarinettist der „Hill Street Stompers“ jedes Wochenende gutes Geld verdient. Jazz war meine ganze Leidenschaft, ich übte jeden Tag stundenlang und hörte alles, was ich in die Finger bekam. Nach dem Abitur wollte ich natürlich zur Musikhochschule gehen, um meine Begeisterung und mein Talent entsprechend zu kanalisieren. Außerdem wollte ich natürlich heraus aus der Provinz, nichts wie weg, ab in die Großstadt. Ebenso natürlich gefielen diese Pläne meinen Eltern nicht. Irgendwie gelang es ihnen, mich zurück auf den von ihnen vorgezeichneten Pfad zu 10

zwingen. Mit der Drohung meines Vaters, mich zu enterben, hätte ich leben können. Den Ausschlag gaben wahrscheinlich die von meiner Mutter inszenierten lautstarken Dramen, bei denen sie über akute Herzprobleme klagte und damit drohte, meinen Vater sofort zu verlassen, falls ihr einziges Kind tatsächlich Straßenmusikant werden sollte. Jedenfalls fügte ich mich irgendwann und studierte Maschinenbau anstatt Musik, wurde daraufhin zunächst Juniorchef und schließlich Chef der von meinem Vater gegründeten Fendt Plastech GmbH, einem mittelständischen Hersteller von KunststoffFertigungsmaschinen mit – zu unseren besten Zeiten – rund hundert Angestellten. Präzisionsspritzguss, MehrkomponentenSpritzguss, Pulverspritzguss, Stanzgittertechnik: Das waren nicht gerade Themen, bei denen einem neue Bekanntschaften auf Cocktailpartys förmlich an den Lippen hingen. Damit fand ich mich schnell ab. Das Problem war vielmehr, dass sich die Wettbewerberlandschaft seit den Tagen meines Vaters grundlegend verändert hatte. Zu seinen Zeiten hatte jemand, der innovative tech11

nische Lösungen, geringste Fertigungstoleranzen und höchste Standzeiten suchte, neben der Fendt Plastech genau drei Alternativen: unseren größeren deutschen Konkurrenten Kröber, Isseki in Japan und die WAMCO in den USA. Mittlerweile jedoch gab es weltweit Dutzende von Anbietern, die fast ebenso gut wie wir waren, aber unsere Preise um ein Drittel oder mehr unterbieten konnten. Mit anderen Worten, mein Vater hatte mich zum Kapitän eines sinkenden Schiffes bestimmt. Während es in meinen ersten Jahren als Geschäftsführer noch ausreichte, hier mal ein bisschen „schlanker“ zu produzieren und dort mal ein bisschen mehr Druck auf unsere Zulieferer auszuüben, hatte die Fendt Plastech während der letzten Jahre deutliche Schlagseite bekommen. Die Gespräche mit den Banken wurden immer unerfreulicher; die Volksbank redete sogar davon, uns die Kreditlinie zu kündigen. Wir hangelten uns buchstäblich von Auftrag zu Auftrag. Dabei musste ich um jeden einzelnen dieser Aufträge kämpfen, denn die Kunden witterten ein

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Unternehmen in Schieflage wie Haie Blut im Wasser. Über diesem permanenten Druck, den ich auch zu Hause nicht vergessen oder verdrängen konnte, war anderthalb Jahre zuvor meine Ehe mit Jutta zerbrochen. Meine häufigen Reisen, der Umstand, dass ich fast nie für sie und die Kinder da sein konnte, taten ihr Übriges. Eines Tages informierte sie mich kühl und beinahe geschäftsmäßig, dass sie sich von mir trennen wolle und dass sie bereits ein paar geeignete Junggesellenbuden für mich ausgesucht habe, die ich mir nur noch ansehen müsse. Das Haus werde sie behalten und dort mit den Kindern wohnen bleiben. Das Finanzielle sowie die Besuchsrechte und sonstige Modalitäten müsse mein Anwalt mit ihrem klären. Nein, sie habe keinen anderen Mann, sie habe einfach nur keine Lust mehr, jedes Wochenende diesen übel gelaunten Fremden in ihrem Haus zu beherbergen. So, als Ergebnis reiflicher Überlegungen und umfangreicher Planungen, an denen ich nicht beteiligt war, von denen ich nicht einmal etwas ahnte, endete meine erste Ehe. Ganz ähnlich hat13

te sie vermutlich auch begonnen – ich entschuldige mich hiermit in aller Form, falls ich Jutta damit ein Unrecht tun sollte. Als ich Jutta, damals Pressereferentin bei einem unserer Kunden, erstmals über den Weg lief, hatte ich nämlich nicht die geringste Absicht, in absehbarer Zukunft zu heiraten. Dann aber wurde sie trotz der Pille sehr schnell mit Tobias schwanger. Da ich schon damals sehr viel reisen musste, kann ich Tobias’ Zeugung sogar auf den Tag genau datieren: Es geschah während unserer allerersten gemeinsamen Nacht. Ich liebe Tobias über alles und kann mich insofern nicht beklagen, aber manchmal beschleichen mich doch leise Zweifel, ob Jutta damals wirklich die Pille nahm, zumal sie zu jener Zeit schon länger keinen Freund mehr gehabt hatte. Sei es, wie es ist, damit war der Fall klar. Wir heirateten keine vier Wochen später. Während der folgenden Jahre lebten Jutta und ich ein Leben, um das uns sicherlich viele beneideten. Erst ein, dann zwei gesunde, aufgeweckte Kinder, keine Geldsorgen, ein schönes Einfamilienhaus, eine der wahrscheinlich besten Hi-Fi14

Anlagen der Welt mit einem darauf abgestimmten Hörraum für mich und ein Alfa-Romeo Cabriolet für sie, an den Wochenenden Tennis im gemischten Doppel oder eine gemeinsame Runde Golf. All das genoss ich oder akzeptierte es zumindest, wie das Tennis und Golf, die ich als eingefleischter Sportmuffel nur ihr zuliebe spielte, weil sie meinte, das aus Prestigegründen tun zu müssen. Nach und nach jedoch fraßen sich der Stress und meine zunehmenden Sorgen um die Zukunft der Firma in unsere Ehe wie eine alles zersetzende Säure. Was Jutta besonders verbitterte war die Tatsache, dass ich meine schwindende Freizeit zu einem Gutteil auf Chinesischstunden verwandte, obwohl sich ein chinesisches Unternehmen um den Vertrieb unserer Maschinen in China kümmerte, dessen Manager perfekt Englisch und teilweise sogar Deutsch sprachen. Trotz alledem lernte ich verbissen weiter, denn ich hatte bereits seit geraumer Zeit die Ambition, unsere Maschinen in China nicht nur zu vertreiben, sondern sie dort, im größten Markt der Welt, vor Ort kostengünstig zu produzieren. 15