Der Tempelberg in Jerusalem - Hanns-Seidel-Stiftung

19.11.2014 - diejenigen, die den Status quo und die jordanische Zuständigkeit über den. Tempelberg in Frage stellen, riskieren nicht nur einen vertraglichen ...
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POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT Projektland:

Israel/Palästinensische Gebiete

Datum:

19. November 2014

Der Tempelberg in Jerusalem Zentrum des Glaubens, Zentrum des Konflikts „Rabin was signaling to the entire Muslim world through the peace treaty with Jordan that the ultimate reconciliation between the Jewish people and the Muslims will entail and necessitate a regulation of the situation on the temple mount, which would become a symbol of the way in which the two religions could coexist.“1 Ephraim Halevy, Unterhändler von Premierminister Rabin, Leiter des Mossad (1998-2002)

Die Vision vom Tempelberg als gemeinsamer Ort des Ausgleichs für die drei monotheistischen Religionen hat sich nicht erfüllt. Der heilige Bezirk steht heute weder für einen dauerhaften Frieden zwischen Juden und Muslimen, noch symbolisiert er den Geist der Partnerschaft zwischen Israel und Jordanien. Zwanzig Jahre nach der Unterzeichnung des israelisch-jordanischen Friedensvertrages ist der Tempelberg zum Zankapfel derjenigen geworden, die ihn für sich beanspruchen. Die Architekten des Friedensvertrages hatten eine andere Vorstellung von einer umfassenden Versöhnung der Nationen und Religionen. Der erste israelische Entwurf des Friedensvertrages, der später unter dem Namen „Washington Declaration“ bekannt wurde, enthielt zunächst keinen Hinweis auf Jerusalem und den Tempelberg. Jedoch fügten die Unterhändler dem Vertragsentwurf auf Betreiben von König Hussein einen Artikel hinzu, der die administrative Hoheit des haschemitischen Königreiches über den Tempelberg festschrieb. Rabin begrüßte diesen Zusatz und bot Hussein eine Formulierung an, die keinen Zweifel mehr an dem Fortbestand der jordanischen Kompetenz über den Tempelberg zurückließ.2 Die Washington Declaration beschreibt in Artikel 3 die Rolle Jordaniens umfassend: „Israel respects the present special role of the Hashemite Kingdom of Jordan 1

Ephraim Halevy (2014): Konferenzbeitrag am 10. November 2014, Hebräische Universität/ Hanns-SeidelStiftung, https://www.youtube.com/watch?v=7YJGVDqUJ0E&list=PLuHmgt1HXB7AlWpL1xICv5t_bFZZtYxVi&index=3&t =10m10s 2 ebd. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Israel, 19. November 2014

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in Muslim Holy shrines in Jerusalem. When negotiations on the permanent status will take place, Israel will give high priority to the Jordanian historic role in these shrines. In addition the two sides have agreed to act together to promote interfaith relations among the three monotheistic religions.“3 Diese Formulierung findet sich ähnlich auch in Art. 9 des endgültigen Friedensvertrages wieder und bildet seitdem die Grundlage des derzeitigen Status quo.4 Rabins und Husseins Verständnis von einer gegenseitigen Annäherung hat eine religiöse Implikation und geht über den rein bilateralen Rahmen hinaus. Beide hatten sich bereits der „fundamentalen Beziehung zwischen Juden und Muslimen im Hinblick auf den Tempelberg“5 zugewandt. Der angestrebte interreligiöse Ausgleich, den Rabin und Hussein mit dem Tempelberg in Verbindung bringen wollten, hat aber auch eine Kehrseite. All diejenigen, die den Status quo und die jordanische Zuständigkeit über den Tempelberg in Frage stellen, riskieren nicht nur einen vertraglichen Konflikt mit Jordanien. Sie laufen zusätzlich Gefahr, einen Konflikt zwischen Israel und 1,8 Milliarden Muslimen auszulösen. Seit Beginn des Jahres 2014 häuften sich die Besuche von jüdischen Extremisten auf dem Tempelberg.6 Viele dieser Besucher hatten das Ziel, die jordanische Kompetenz in Frage zu stellen. Zwar sichert Art. 9 des Friedensvertrages den Zugang zum Tempelberg auch für Nicht-Muslime. Der Vertrag behandelt aber nicht die Frage, ob Nicht-Muslime sichtbar im Heiligen Bezirk beten dürfen. Der Friedensvertrag bietet somit keine rechtliche Grundlage für das Verbot nichtislamischer Glaubenspraxis auf dem Tempelberg. Allerdings ist der Islamische Waqf (Fromme Stiftung, arab.), der im Auftrag Jordaniens den Tempelberg verwaltet, in dieser Frage eindeutig: Zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung gestattet er nur Muslimen eine aktive, sichtbare Religionsausübung. Jüdische Aktivisten fordern daher eine größere aktive Religionsfreiheit und die Erlaubnis, auf dem Tempelberg zu beten. Gelegentlich verlangen sie zudem die Übergabe der jordanischen Zuständigkeit an israelische Stellen. Große Aufmerksamkeit erregte in dieser Hinsicht der Knesset-Abgeordnete Moshe Feiglin (Likud). Feiglin ist Anführer des rechten Flügels des regierenden Likud. Bei den letzten Vorwahlen hatte er gegenüber Benjamin Netanyahu immerhin 25% der Stimmen der Likud-Mitglieder gewonnen. Die israelische Polizei hatte Feiglin zehn Monate lang untersagt, den Tempelberg zu besuchen. Am 19. Februar 2014 konnte er jedoch seine Besuche wieder ungehindert aufnehmen. Begleitet von Unterstützern und Presse machte er einer breiten Öffentlichkeit deutlich, welche Intentionen er damit beabsichtigt: „Ich sehe meinen Aufstieg auf den Tempelberg als den Beginn der Rückkehr der vollen jüdischen Souveränität über den 3

Israel Ministry of Foreign Affairs: http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20washington%20declaration.aspx 4 ebd.: http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/israel-jordan%20peace%20treaty.aspx 5

Halevy, Ephraim (2014): a.a.O.

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Caspit, Ben (2014): Temple Mount now central Israeli-Palestinian flashpoint, vgl. URL http://www.almonitor.com/pulse/originals/2014/04/temple-mount-annexation-area-c-bennett-third-intifada.html. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Israel, 19. November 2014

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Tempelberg“.7 Seine Begleiter gingen sogar noch weiter und werteten Feiglins Besuch als einen positiven ersten Schritt für den Wiederaufbau des jüdischen Tempels auf dem Tempelberg.8 Beide Forderungen stehen im Widerspruch zum israelisch-jordanischen Friedensvertrag und zum interreligiösen Verständnis von Rabin und Hussein. Der islamische Waqf hielt sich mit öffentlicher Kritik zurück. Abseits der Öffentlichkeit protestierte Jordanien gegen den national-religiösen Aktivismus jüdischer Extremisten jedoch intensiv. Dieser diplomatische Protest hatte keinen nennenswerten Einfluss auf die Regierung Netanyahu. Die Regierung unternahm kaum etwas, um Aktivisten und Knesset-Abgeordnete an einer Agitation auf dem Tempelberg zu hindern. Folge waren regelmäßige gewalttätige Auseinandersetzungen im Heiligen Bezirk zwischen Muslimen und israelischer Polizei. Die Gewaltexzesse endeten nicht auf dem Tempelberg. Die Auseinandersetzung wurde und wird immer sichtbarer und blutiger in Jerusalem ausgetragen. So überlebte der bekannte jüdische Aktivist Yehuda Glick, Leiter der Organisation HaLiba, am 29. Oktober 2014 nur knapp das Attentat eines Terroristen des Islamischen Jihad. Die Organisation HaLiba wurde von Yehuda Glick 2014 gegründet und bezeichnet sich als „Initiative für mehr jüdische Freiheit auf dem Tempelberg“. Sie organisiert Besuche jüdischer Gruppen auf dem Tempelberg, um dort national-religiöse Forderungen zu erheben. Glick wurde von dem Attentäter nach einer Vortragsveranstaltung über den jüdischen Anspruch auf den Tempelberg lebensgefährlich verletzt. Das religiöse Motiv des Attentäters ist bekannt, denn Glick konnte nach seiner Genesung über seine kurze Begegnung mit dem Attentäter berichten. Demnach trat der Attentäter auf Glick zu und sagte zu ihm: „Es tut mir sehr leid, aber Du bist ein Feind von AlAqsa“.9 Dieses Gespräch deutet darauf hin, dass es sich bei dem Anschlag um einen Racheakt für Glicks politisch-religiöse Gesinnung handelt. Am nächsten Tag wurde der flüchtige Attentäter gestellt und bei der Festnahme erschossen. Die Gewalt auf dem Tempelberg und die Untätigkeit der israelischen Behörden drängte die jordanische Regierung zu einem deutlichen diplomatischen Schritt. An der Seite von US-Außenminister John Kerry gab der jordanische Außenminister Nasser Judah am 04. November 2014 bekannt, dass Jordanien seinen Botschafter aus Israel rückbeordern werde. Jordanien begründete diesen Schritt mit einer „steigenden und beispiellosen israelischen Eskalation im Heiligen Bezirk, und wiederholte israelische Verletzungen in Jerusalem“.10 Anschließend untersagte König Abdullah II. einer offiziellen jordanischen Delegation die Teilnahme an einer Feier zum 20-jährigen Jubiläum des Friedensvertrages sowie an einer

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Ronen, Gil (2014): MK Feiglin Ascends Temple Mount for First Time Since Police Ban, http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/177628#.VGyVRb7zRd0 8 ebd. 9

JTA (2014): Glick: Gunman apologized before shooting, vgl. http://www.jta.org/2014/11/17/newsopinion/israel-middle-east/glick-gunman-apologized-called-him-enemy-of-al-aksa-before-shooting 10 Khoury, Jack (2014): Jordan recalls its ambassador to Israel over Jerusalem 'violations', vgl. Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Israel, 19. November 2014

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Kooperationsveranstaltung der Hebräischen Universität und der Hanns-SeidelStiftung. Die jordanische Absage deutet darauf hin, wie kalt und beschädigt der Frieden zwischen Israel und Jordanien ist. Das Fernbleiben der offiziellen Delegation von der Jubiläumsfeier bemisst die Belastung des israelisch-jordanischen Verhältnisses. Dabei konnte vor zwanzig Jahren der israelisch-jordanische Friedensprozess auf einem hohen Maß an gegenseitigem Vertrauen aufbauen. Anders als beim Friedensvertrag mit Ägypten mussten Israel und Jordanien kein Abkommen schließen, das sie vor einem Aufflammen von kriegerischen Handlungen schützte („no more war, no more bloodshed“). Stattdessen strebten beide Länder nach einem festen Kooperationsrahmen für eine intensive ökonomische, ökologische und kulturelle Partnerschaft. Der Vertrag sollte als „ein Modell für einen Frieden Israels auch mit anderen nahöstlichen Staaten dienen“.11 Jedoch wurde kaum ein Projekt der ursprünglich angedachten landwirtschaftlichen, infrastrukturellen und touristischen Projekte realisiert. „Früchte des Friedens“, so der von König Hussein geprägte Begriff, blieben aus. Neben den ökonomischen Früchten blieb auch eine interreligiöse Friedensdividende aus. Im Gegenteil hat die fortgeschriebene vertragliche Kompetenz Jordaniens über den Tempelberg nicht den interreligiösen Austausch gefördert, sondern einen Streit um die Zuständigkeit und um die Exklusivität des Glaubens hervorgerufen. Dieser Streit hat jüngst die Gewaltbereitschaft muslimischer Terroristen in Jerusalem, Israel und Palästina angeheizt. Am 18. November 2014 verübten zwei Ost-Jerusalemer Mitglieder der People’s Front for the Liberation of Palestine (PFLP) ein brutales Attentat auf eine Synagoge während des Morgengebetes. Der Gebrauch von Messern (neben Schusswaffen) und das blutige Massaker erinnern an ISIS und die Exekutionen des islamistischen Terrors. Die Attentäter töteten und verletzten wahllos eine möglichst große Zahl von Menschen. Dieser Anschlag auf ein Gotteshaus und seine Art und Weise legen nahe, dass es sich um eine religiös-motivierte Tat handeln müsse. Die israelischen Sicherheitsbehörden reagieren auf die gehäuften Anschläge nicht nur mit der Ausweitung der Sicherheitspräsenz in Jerusalem. Die Regierung ordnet gleichfalls die Zerstörung der Wohnhäuser der Attentäter an, sowie weitere Kollektivstrafen für Angehörige. Ob diese Art von Abschreckung bei Personen wirkt, die ohnehin bereit sind, ihr Leben aufzugeben, darf bezweifelt werden. Schließlich ist auch in der israelischen Regierung und dem Sicherheitsestablishment die Einsicht gereift, dass die Agitation der jüdischen Extremisten auf dem Tempelberg beendet werden muss: -

Premierminister Netanyahu traf am 13. November 2014 König Abdullah II. und US-Außenminister Kerry in Amman und bekannte sich zum Status quo und der jordanischen Rolle auf dem Tempelberg. Auch wandte er sich

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Shamir, Shimon (2014): Konferenzbeitrag am 10. November 2014, Hebräische Universität/ Hanns-SeidelStiftung, https://www.youtube.com/watch?v=7YJGVDqUJ0E&list=PLuHmgt1HXB7AlWpL1xICv5t_bFZZtYxVi&index=3&t =35m10s Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Israel, 19. November 2014

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gegen Besuche von Knesset-Abgeordneten und bekannten extremistischen Aktivisten auf dem Tempelberg.12 Der Leiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Yoram Cohen warnte am 18. November 2014 vor Gesetzesinitiativen rechtsextremer Abgeordneter, die eine Änderung des Status quo zum Ziel haben. Er stellte diese Initiativen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ausbruch von Gewalt in Ost-Jerusalem.13 Schließlich sprachen sich auch verschiedene Vertreter des israelischen Außenministeriums auf einer Konferenz der Hebräischen Universität und der Hanns-Seidel-Stiftung für die Beachtung aller Bestandteile des israelisch-arabischen Friedensvertrages aus.14

Die jüngsten Entwicklungen verdeutlichen, dass sich der israelisch-arabische Konflikt nicht auf territoriale Aspekte beschränkt. Bisher wurde Israel weitgehend von religiösen und konfessionellen Auseinandersetzungen verschont. Die religiösen Konflikte der unmittelbaren Nachbarschaft sind noch nicht auf Israel übergegangen.

Richard Asbeck Der Autor ist Büroleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Israel und den Palästinensischen Gebieten

IMPRESSUM Erstellt: 19.November 014 Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2014 Lazarettstr. 33, 80636 München Vorsitzender: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D. Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf Verantwortlich: Dr. Susanne Luther Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359 E-Mail: [email protected], www.hss.de

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Eran, Oded (2014): The limited view from Amman, vgl. http://www.inss.org.il/index.aspx?id=4538&articleid=8079 13 Lis, Jonathan (2014): Shin Bet chief disputes PM: Abbas not inciting terror, vgl. Haaretz (19. November 2014) 14 http://truman.huji.ac.il/?cmd=conferences.148&act=read&id=403 Hanns-Seidel-Stiftung, Politischer Hintergrundbericht Israel, 19. November 2014

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