Der Körper kann nicht lügen: Kommunikation am Pokertisch

kein reines Glücksspiel. Ebenso wichtig ist eine Strategie, Geschick und die Fähigkeit den Gegenspieler zu „lesen“, seine Körpersprache richtig zu deuten, ...
224KB Größe 4 Downloads 49 Ansichten
Stefan Schiehauer

Der Körper kann nicht lügen Kommunikation am Pokertisch

Diplomica Verlag

Stefan Schiehauer Der Körper kann nicht lügen: Kommunikation am Pokertisch ISBN: 978-3-8428-3186-5 Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2012

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Die Informationen in diesem Werk wurden mit Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden und der Verlag, die Autoren oder Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen. © Diplomica Verlag GmbH http://www.diplomica-verlag.de, Hamburg 2012

Danksagung: Mein besonderer Dank geht an dieser Stelle an meine Familie, allen voran, an meinen kürzlich verstorbenen Vater Franz Schiehauer, der mir stets zur Seite stand und mir bereits mit jungen Jahren den Reiz der Kartenspiele näher brachte. Daher möchte ich ihm auch dieses Buch widmen.

Der weitere Dank geht an meinen Universitätsprofessor Dr. phil. Rudolf Renger, der mich bei dem Thema unterstützte und mit zahlreichen Vorschlägen zum erfolgreichen Abschluss der Studie maßgeblich beigetragen hat.

Weitere Dankesworte richte ich an meinen Korrekturleser Ingo Kagerer, meine Pokerrunde (insbesondere Sitti und Wenzel), die mich in unzähligen Pokerrunden (unfreiwillig) monetär unterstützte und überhaupt erst auf dieses interessante Thema brachte, meinen Interviewpartner Erich Kollmann und die „TV Total Pokernacht“ Produktionsfirma Brainpool.

Inhaltsverzeichnis 1. Einführung ....................................................................................................... 9 1.1 Einleitung ......................................................................................................................... 9 1.2 Aufbau der Studie........................................................................................................... 12 1.3 Forschungsfragen ........................................................................................................... 14

I KOMMUNIKATION................................................................................. 15 2. Definitionen von Kommunikation ............................................................... 15 3. Nonverbale Kommunikation........................................................................ 19 3.1 Körpersprache ................................................................................................................ 21 3.2 Nonverbal vs. Verbal...................................................................................................... 23 3.3 Dimensionen der nonverbalen Kommunikation ............................................................ 27 3.4 Systematisierung ............................................................................................................ 33 3.5 Wirkung und Manipulation ............................................................................................ 35 3.6 Nonverbale Kommunikation in der Tierwelt ................................................................. 40

4. Körpersignale des Menschen ....................................................................... 47 4.1 Wahrnehmungen ............................................................................................................ 47 4.2 Gesicht, Emotionen und Mimik ..................................................................................... 48 4.2.1 Stirnbereich ............................................................................................................. 53 4.2.2 Mittelgesicht............................................................................................................ 55 4.2.2.1 Die Augen ........................................................................................................ 55 4.2.2.2 Die Nase ........................................................................................................... 59 4.2.3 Mund- und Kinnpartie............................................................................................. 59 4.3 Der Hals.......................................................................................................................... 61 4.4 Hände und Finger ........................................................................................................... 62 4.5 Körperbewegungen ........................................................................................................ 68 4.6 Nonverbale Vokalisierungen.......................................................................................... 69

5. Semiotik .......................................................................................................... 73 5.1 Einführung...................................................................................................................... 73 5.2 Historische Entwicklung ................................................................................................ 75 5.3 Peirce und de Saussure................................................................................................... 77 5.4 Semiosphäre ................................................................................................................... 81

II POKER........................................................................................................... 85 6. Geschichte ...................................................................................................... 87 6.1 Vorläufer und Verbreitung ............................................................................................. 87 6.2 Europa und der Rest der Welt ........................................................................................ 89 6.3 Onlinepoker.................................................................................................................... 90

7. Basiswissen ..................................................................................................... 93 7.1 Regelkunde..................................................................................................................... 93 7.2 Fachbegriffe ................................................................................................................... 93 7.3 Verschiedene Pokervarianten......................................................................................... 96 7.3.1 (No) Limit Texas Hold’em...................................................................................... 96 7.3.2 Omaha Hold’em ...................................................................................................... 97 7.3.3 Seven Card Stud ...................................................................................................... 98 7.3.4 Five Card Draw ....................................................................................................... 98 7.4 Kartenkombinationen ..................................................................................................... 99

8. Kommunikation am Pokertisch ................................................................. 101 8.1 Der „Psychologie-Faktor“ ............................................................................................ 101 8.2 Bluffs............................................................................................................................ 106 8.3 Tells.............................................................................................................................. 106 8.3.1 Top-Tells ............................................................................................................... 106 8.3.2 Allgemeine Tells ................................................................................................... 109 8.3.3 Noncombat Tells ................................................................................................... 114 8.3.4 Online-Tells........................................................................................................... 116 8.4 Betting Patterns ............................................................................................................ 117

III Empirischer Teil ........................................................................................ 119 9. TV Total Pokernacht .................................................................................. 121 9.1 Teilnehmer ................................................................................................................... 121 9.2 Künstlerische und technische Faktoren........................................................................ 122

10. Methode...................................................................................................... 127 10.1 Beobachtung............................................................................................................... 127 10.1.1 Elemente der Beobachtung.................................................................................. 129 10.1.2 Formen der Beobachtung .................................................................................... 129 10.2 Filmanalyse ................................................................................................................ 130 10.3 Interview..................................................................................................................... 131 10.4 Abschließende Anmerkungen zur Analyse ................................................................ 133

11. Analyse „TV Total Pokernacht“.............................................................. 135 11.1 Wiederkehrende nonverbale Signale.......................................................................... 171 11.2 Paraphrasierung und Kategorienbildung.................................................................... 175

12. Auswertung und Interpretation............................................................... 179 13. Beantwortung der Forschungsfragen...................................................... 187 14. Zusammenfassung..................................................................................... 193 15. Literaturverzeichnis und Onlinequellen ................................................. 201 16. Abbildungsverzeichnis .............................................................................. 210 17. Anhang ....................................................................................................... 211 Anhang 1: Interview Erich Kollmann ................................................................................ 211 Anhang 2: Tabelle der gespielten Hände ........................................................................... 215

1. Einführung 1.1 Einleitung Es ist ein Spiel um die Ehre, um viel Geld und um Ruhm. Es heißt Mann versus Mann, Frau versus Frau, jeder gegen jeden. Und ein falscher Augenaufschlag, eine unbedachte Handbewegung oder ein verbaler Ausrutscher können diese spannungsgeladene Auseinandersetzung entscheiden. Die Rede ist von Poker. Ein Kartenspiel, das heute wieder stark in Mode gekommen ist. Aber woher nimmt es seine Faszination? Für viele ist Poker nur ein einfaches Spiel, ein Zeitvertreib mit Freunden, oder kurz gesagt „das beste und spannendste Gesellschaftsspiel der Welt“ (Meinert 2007a: 228), für wenige andere jedoch ein Beruf und eine Lebenseinstellung. Und ein Spiel um Millionen! So ging es am Finaltisch der „World Series of Poker“, dem weltweit wichtigsten und prestigeträchtigsten Pokerturnier, sozusagen der Weltmeisterschaft, im Vorjahr um 8,5 Millionen Dollar und 2006 sogar um die Rekordsumme von 12 Millionen Dollar.

Während vor wenigen Jahren die Karten nur in Casino-Nebenzimmern ausgeteilt wurden, gibt es mittlerweile sogar in Österreich offizielle Universitätsmeisterschaften. Die Anzahl der (Hobby-)Spieler geht im deutschsprachigen Raum weit in den Millionenbereich hinein. Bekannte Profis wie Howard Lederer halten Vorlesungen in Harvard und Stanford, dabei die These vertretend, dass Poker ein hilfreiches Werkzeug sein kann, um das Leben erfolgreich zu meistern. Wieder andere, wie Phil Hellmuth, veranstalten Seminare zum Thema „Körpersprache“. Und selbst in unserem Land erschien 2009 ein Buch mit dem Titel „Royal Flush. Pokern oder die Kunst, das Leben zu meistern“. Großer Beliebtheit erfreuen sich im Zuge des Aufschwungs die Pokerspieler, die oft verehrt werden wie Popstars. Es werden Poster aufgehängt, Autogramme gesammelt und die Vorbilder angehimmelt. Zu beobachten bei der „Full Tilt Poker One Million Euro Challenge“, die am 12. September 2009 im Salzburger Messezentrum gastierte. Mit dabei waren die größten Namen der Szene. Wie etwa der Amerikaner Phil „The Tiger Woods of Poker“ Ivey, der beim Poker Geldgewinne in Höhe von 12 Millionen Dollar „erwirtschaften“ konnte, oder Chris „Jesus“ Ferguson, der im April 2006 bei einer speziellen Herausforderung aus null Dollar innerhalb von 16 Monaten 10.000 Dollar machte. Und der Andrang war gigantisch: 8.000 Besucher strömten in das Messezentrum, nahmen an Workshops teil und beobachteten bzw. feierten den Ein-

9

marsch der Pokerspieler zur epochalen Filmmusik von Ridley Scotts Oscarprämiertem Blockbuster „Gladiator“. Poker wurde zu einem Phänomen, herausgeholt aus einem Jahrzehnte andauernden Schattendasein. Vorangetrieben durch den Buchhalter Chris Moneymaker, der 2003 ein 40-Dollar-Online-Qualifikationsturnier für die „World Series of Poker“ gewann und wenig später am Finaltisch des Turniers mit einem der größten Bluffs der Geschichte 2,5 Millionen Dollar abräumte. Und damit einen weltweiten Pokerboom auslöste. In den Vereinigten Staaten ist Poker nach American Football und Nascar die beliebteste regelmäßige Sportart im TV, noch vor Basketball und Baseball.

Bleibt noch immer die Frage nach dem Reiz des Spiels. Poker ist leicht zu lernen, ein netter Zeitvertreib mit Freunden und Bekannten und vor allem ein Spiel, das man niemals perfektionieren kann. Selbst der gewiefte Profi lernt bei jeder Begegnung aufs Neue dazu. Niemand beherrscht das Spiel vollends, aber ein jeder versucht es. Konzentration, Entschlossenheit und Fantasie spielen eine wichtige Rolle. Am Pokertisch kann ein falscher Blick, eine verdächtige Handbewegung oder ein unscheinbares Zwinkern über Unmengen von Geld entscheiden. Die Rede ist von „Tells“, unbewussten oder bewussten Signalen, die beim Poker „gesendet“ werden; oder anders formuliert, den Zeichen im semiotischen System von Poker. Denn auch wenn es oft so heißt: Poker ist kein reines Glücksspiel. Ebenso wichtig ist eine Strategie, Geschick und die Fähigkeit den Gegenspieler zu „lesen“, seine Körpersprache richtig zu deuten, verdächtige Zeichen zu erkennen und ihn punktgenau zu analysieren. Beim Poker kommt es auf Menschenkenntnis an. Hier möchte ich Jan Meinert (2007: 52f), Rechtsanwalt, Autor und selbst erfolgreicher Pokerspieler, zitieren:

„Poker ist ein Skill-Game, das gerade so viele Glückselemente enthält, wie nötig sind, um schlechten Spielern weiszumachen, es sei ein Glücksspiel. […] Ein guter Pokerspieler hat maximale Kontrolle über den Glücksfaktor.“

Man muss am Pokertisch kommunizieren um Erfolg zu haben, die Sprache des Gegners verstehen, seine nonverbalen Signale entschlüsseln und dabei selbst jedwede Gemütsregung unterdrücken. Enkodierte Botschaften müssen vom Empfänger dekodiert, verbale und nonverbale Botschaften richtig gelesen werden. Die zwischenmenschliche bzw. nonverbale Kommunikation spielt am Pokertisch eine mindestens ebenso große Rolle 10

wie die Wahrung des berühmten „Pokerface“. Poker ist Kommunikation. Um an dieser Stelle ein anschauliches Beispiel anzuführen, verweise ich auf ein Duell zwischen dem Dänen Gus Hansen, seines Zeichens einer der besten Pokerprofis der Welt und dem USBundespolizisten Joe Navarro. Gus Hansen hält die Hand J7, hat damit bei dem aufgedeckten Flop eine Siegeschance von lediglich 5,7 Prozent. Eine Sonnenbrille verdeckt seine Augen. Dennoch geht er exakt nach drei Sekunden „All-In“, setzt 60.000 Dollar. Im Schnitt gewinnt der Däne, ob mit oder ohne Bluff, 90 Prozent seiner gespielten Hände. Nicht in diesem Fall, denn sein Gegner war 25 Jahre lang Verhörspezialist des FBI, hat mehr als 4000 Verdächtige analysiert und auch in diesem Szenario nur die Körpersprache seines Gegners im Blick. Kein leichtes Unterfangen, Pokerprofis sind immerhin in der Lage, bis zu 90 Prozent der Body Tells zu unterdrücken. Nicht genug für Navarro. Es sind der Atem und die Finger, die schlussendlich Hansens Bluff verraten. Der Atem setzte in dem Moment, als die Karten aufgedeckt wurden, für den Bruchteil einer Sekunde aus, die Finger krümmten sich zwei Zentimeter zum Handinneren, sagte Navarro danach. Beides starke Stressindizien und in striktem Gegensatz zum selbstsicheren „All-In“. Der Körper hat den Bluff verraten. (Vgl. Wellmann 2010: 17ff)

Vorrangiges Ziel dieser Studie ist es, das Massenphänomen Poker in seiner ganzen Komplexität darzustellen und einerseits die Notwendigkeit der Kommunikation beim Poker aufzuzeigen und andererseits das Zeichensystem des Spiels, die „Tells“, zu „entschlüsseln“, um herauszufinden, wie man die Körpersprache des Gegners am besten analysiert, die Züge der anderen Spieler durchschaut und ihnen damit immer einen Schritt voraus ist. Es soll die Kommunikation am Pokertisch aufgezeigt werden, wobei die vermehrte Aufmerksamkeit auf den Bereich der nonverbalen Kommunikation, dessen zentrale Rolle im Laufe der Untersuchung immer wieder ins Zentrum der Untersuchungen gezogen wird, gerichtet ist. Deshalb fiel die Wahl auf den Titel „Der Körper kann nicht lügen: Kommunikation am Pokertisch“.

Anzumerken ist noch, dass ich mich in den Untersuchungen und Forschungen ausschließlich auf die populärste und beliebteste Pokervariante „Texas Hold’em No Limit“ beziehe. Heutzutage werden 80 Prozent aller Spiele in dieser Variante, die gemeinläufig auch als die aufregendste gilt, ausgetragen. Andere Formen werden zu einer Vervollständigung des Gesamtbildes kurz erläutert, aber nicht näher behandelt.

11

Zu Beginn des Werkes habe ich in Literatur und Musik Zitate herausgesucht, mit denen die Wichtigkeit der Kommunikation am Pokertisch untermauert wird:

„Um herauszufinden, welche Hand dein Gegner beim Showdown zeigt, beobachte seine Bewegungen, die Adern an seinem Hals, seine Augen, die Art, wie er schwitzt.“ (Johnny Moss, 1975; führte die heutzutage beliebteste Poker-Variante, das Texas Hold’em No Limit Spiel ein)

„70 Prozent ihres Sieges hängen von ihrer Fähigkeit ab, ihre Gegner zu beobachten.“ (Phil Hellmuth, 1989; mehrfacher Pokerweltmeister)

„He said: Son I´ve made a life out of readin’ people’s faces, and knowin’ what their cards where, by the way they held their eyes. And if you don’t mind my sayin’, I would say you’re out of aces; and for one taste of you whiskey, I will give you some advice.” (Auszug aus dem Lied “The Gambler” von Kenny Rodgers)

1.2 Aufbau der Studie Die Studie gliedert sich im Wesentlichen in die zwei Hauptabschnitte Theorieteil und empirischer Teil, wobei der Theorieteil, beim dem die Wahl auf eine Literaturanalyse fiel, selbst noch einmal aus zwei großen Themengebieten mit etlichen Unterpunkten besteht ([Nonverbale] Kommunikation und Poker). So werden in diesem die theoretischen Grundlagen der nonverbalen Kommunikation, Ansätze der Semiotik, sowie die Grundlagen des Pokerspiels und die Regelkunde erläutert. Aufbauend auf den daraus resultierenden Erkenntnissen erfolgt im zweiten, empirischen Teil, die Analyse eines Pokerduells, bei der das Hauptaugenmerk der Körpersprache der Spieler gilt. Ergänzend dazu fand ein Interview mit Pokerprofi Erich Kollmann, dem Gründer von „Unipoker“ statt. In diesem sprach er über seine persönlichen Erfahrungen mit der Körpersprache am Pokertisch. Das Interview findet sich im Anhang des Werkes wieder.

Im ersten Abschnitt widme ich mich grundlegenden Erkenntnissen der nonverbalen Kommunikation. Schon im Hinblick auf die empirische Untersuchung werde ich mich nach einer kurzen Einführung in die Thematik und dem Versuch eine treffende Definition für elementare Kommunikationsbegriffe zu finden, mit der Funktion der nonverba-

12

len Kommunikation, sowie den gängigsten Signalen der Körpersprache und deren Bedeutung auseinandersetzen, um einen ersten Einblick in den Forschungsbereich zu erlangen. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die, für den empirischen Teil relevanten, Ausdrucksfelder (Mimik und Gestik) des Menschen gelegt. Das Feld der verbalen und vokalen Kommunikation wird rudimentär angeschnitten, um ein schlüssiges Gesamtbild zu kreieren. Im Anschluss daran folgt ein kurzer Ausflug in die Welt der Semiotik, der Lehre von den Zeichen und Zeichensystemen. Dabei wird auf die moderne Semiotik, die populärsten Modelle und deren Vertreter näher eingegangen. Das abschließende Kapitel des Theorieteils dreht sich um das Spiel Poker. Nach einem kurzen historischen Anriss, folgen eine Darstellung der verschiedenen Pokervarianten, sowie eine kurze Erklärung der Spielregeln, welche für den empirischen Teil der Studie unausweichlich scheint. Der Theorieteil endet schließlich mit einer Einführung in die Kommunikation am Pokertisch, die Welt der „Tells“, die Zeichen, die ein Pokerspieler am Tisch „aussendet“ und die, zusammen mit den anfangs erwähnten Signalen der Körpersprache, die Basis für meine empirische Untersuchung bilden.

Der zweite Teil des Buches beginnt mit einer kurzen Vorstellung der „TV Total Pokernacht“ und der Ausführung einiger künstlerischer und technischer Faktoren. Dem folgt die Darstellung der gewählten Methode und die Analyse der Pokernacht. Die Auswahl dieses Formats hat vor allem zwei Gründe: Erstens treten Prominente, also Amateurspieler, gegeneinander an, weshalb ihre nonverbalen Signale leichter als die von Profis zu analysieren sind und zweitens steht das im Hauptabendprogramm von Pro7 platzierte Event in einer gewissen Weise stellvertretend für den anherrschenden Pokerboom und die Medienpräsenz des Kartenspiels. Bei der Analyse selbst sollen die Teilnehmer und ihre Reaktionen bzw. ihr Verhalten bei starken bzw. schwachen Karten sowie verschiedene Spielabläufe beobachtet werden. Ihre Körpersprache wird dabei mit den theoretischen Ergebnissen abgeglichen.

Für eine einfache Lesbarkeit werden im Buch durchgängig die männlichen Formen in Ausdruck und Sprache verwendet. Alle Ausführungen sind demnach aber selbstverständlich gleichgeschlechtlich zu verstehen.

13

1.3 Forschungsfragen Um das Thema in seiner ganzen Komplexität abzudecken, fiel die Wahl auf eine leitende Forschungsfrage sowie diverse vertiefende Forschungsfragen, die im Rahmen der Studie aufgearbeitet werden:

Leitende Forschungsfrage:

Wie viel Kommunikation verbirgt sich hinter dem „Glücksspiel“ Poker?

Vertiefende Forschungsfragen:

Æ Welche erfolgsträchtigen Möglichkeiten gibt es beim Poker, die Körpersprache des Gegenspielers zu „lesen“ bzw. den Gegenspieler mit der eigenen Körpersprache in die Irre zu führen?

Æ Welche Rolle spielt die verbale Kommunikation am Pokertisch? Æ Wo liegen die Grenzen bei der subjektiven Kontrolle der nonverbalen Kommunikation?

Ergänzend dazu wurde eine Art flankierende Begleitfrage aufgegriffen, die sich nicht direkt mit dem Aspekt der interpersonellen Kommunikation am Pokertisch beschäftigt, aber das geschaffene Gesamtbild abrunden soll.

Æ Wie entwickelte sich Poker von einer „Randgruppenbeschäftigung“ zum populären Massenphänomen? Wie sagte schon Ian Flemings weltbekannte Romanfigur James Bond (in „Casino Royale“):

„Man spielt beim Poker nicht seine Karten aus, sondern sein Gegenüber.”

14

I

KOMMUNIKATION

2. Definitionen von Kommunikation Was ist Kommunikation? Bis in die Gegenwart ist es nicht gelungen, eine universelle, fächerübergreifende „Superdefinition“ für den Begriff „Kommunikation“ zu finden. Spielt der Kommunikationsprozess doch sowohl in Psychologie, Soziologie, Philosophie und natürlich in der Kommunikationswissenschaft eine transdisziplinäre zentrale Rolle, ist Dreh- und Angelpunkt verschiedener Theorien und Forschungsansätze. Kommunikation ist daher als polysemer Begriff zu verstehen, der sich in verschiedenen Kontexten, unterschiedlicher Bedeutungen konfrontiert sieht. So versteht auch Klaus Merten (1977: 29) die Hauptaufgabe darin, „die vielfältigen und heterogenen Definitionen von Kommunikation einzugrenzen und solche Definitionen herauszuarbeiten, die wesentlich sind, theoretische Ansätze zu formulieren, die zentrale und umfassende Aspekte von Kommunikation treffen“. Ziel sollte es aber nicht sein, so viele Begriffsdefinitionen wie möglich aufzulisten, sondern diejenigen zu finden, die das Thema treffend darstellen und die wesentlichen Merkmale der Kommunikation wiedergeben. Oder wie es Roland Burkart (1995: 7) formuliert: „Es soll versucht werden, v.a. jene Dimensionen der Begriffsrealität herauszuarbeiten, welche die humanspezifischen Qualitäten dieses Prozesses zu fassen vermögen“. Er verweist in diesem Kontext auf die Definition von Maletzke (1978: 18), der Kommunikation als eine „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ versteht.

Eine präzise Definition des Kommunikationsaustausches formuliert Klaus Scherer (1977: 14), der den Austausch als Prozess, in dem „zwei oder mehrere ko-orientierte und wechselseitig kontingent interagierende Akteure im Rahmen zielgerichteter Verhaltenssequenzen Informationen durch Zeichenkomplexe in verschiedenen Übertragungskanälen übermitteln“, beschreibt. Er erweitert damit das Grundmodell des Kommunikationsprozesses (bestehend aus: Quelle Æ Sender Æ Nachricht + Rauschen Æ Empfänger Æ Ziel) um die Variablen: „Ko-orientierung“: gegenseitige Aufmerksamkeit der Kommunikationspartner;

15

„wechselseitige Kontingenz“: Abhängigkeit einer Reaktion von der vorausgegangenen Reaktion des Interaktionspartners und dem eigenen Verhaltensplan; es bedarf neben der Mitteilung des Senders einer Empfangsbestätigung des Adressaten;

„zielgerichtetes Verhalten“: Interpersonale Kommunikation besteht aus dem zielgerichteten Verhalten der involvierten Akteure, gekennzeichnet durch temporäres Ineinandergreifen der Verhaltenspläne der Kommunikationspartner zu Zeitpunkten, zu denen das Erreichen des gesetzten Handlungsziels die Interaktion mit anderen erfordert;

„Übermittlung von Information“: die Funktion der Kommunikation ist die Übermittlung von Information, die Reduktion von Unwissenheit oder Ungewissheit über den Zustand des betreffenden Objektbereichs;

„verschiedene Übertragungskanäle“: die für den Informationsprozess zur Verfügung stehenden Übertragungskanäle bzw. –modalitäten können durch die jeweils zur Rezeption benutzten Sinnesorgane charakterisiert und unterschieden werden. (Vgl. Scherer 1977: 14-19)

Eine weitere treffende und für diese Studie relevante Definition des Terminus Kommunikation finden wir bei Paul Watzlawick (1990: 51):

„Wenn man […] akzeptiert, daß alles Verhalten in einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscharakter hat, d.h. Kommunikation ist, so folgt daraus, dass man, wie immer man es auch versuchen mag, nicht nicht-kommunizieren kann. Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben alle Mitteilungscharakter: Sie beeinflussen andere, und diese anderen können ihrerseits nicht nicht auf diese Kommunikation reagieren und kommunizieren damit selbst.“

Aus den beiden vorliegenden Begriffsdefinitionen lässt sich bereits ableiten, dass Kommunikation mehr ist, als einfaches „miteinander reden“. Der Informationsaustausch findet mithilfe vieler verschiedener Kommunikationskanäle und Verhaltensformen statt. Vor allem Paul Watzlawicks metakommunikatives Axiom gibt zu verstehen, dass Kommunikation primär nicht nur auf verbalen Äußerungen, sondern darüber hinaus auf paralinguistischen Phänomenen (Tonfall, Sprechpausen,…), Körperhaltung und

16

Ausdrucksbewegungen (Körpersprache) fußt. Kommunikation steht zusammengefasst für eine Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen, die mit Hilfe von Mimik, Gestik, Sprache, Bild, Schrift oder Ton miteinander kommunizieren. (Vgl. Hübler 2001: 11)

Die „interpersonelle Kommunikation“ definiert Peter Hartley (1993: 4) als Kommunikation eines Individuums mit einem anderen, die „face-to-face“ abläuft und die den persönlichen Charakter sowie den sozialen Status und die Beziehungen der beteiligten Personen wiedergibt. Ähnlich wie bereits beim Terminus „Kommunikation“, gibt es auch für die interpersonelle Kommunikation keine allgemeingültige Definition, wie es Bochner (1985: 27) ausführlich umschreibt: „There are no rigorous definitions that limit the scope of the field, no texts that comprehensively state ist foundations, and little agreement among practitioners about which frameworks or methods offer the most promise for unifying the field.“

17

18