Der Geist von Scarlet City - Buch.de

Für alle, die ich liebe. – weil Freunde und Familie von unschätzba- rem Wert sind ... verfolgten: An die Universität von Scarlet City aufgenommen zu werden, zu ...
330KB Größe 3 Downloads 432 Ansichten
Corinne Senn

Der Geist von Scarlet City

Roman

2

© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Yvonne Hofer Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-1996-6 ISBN 978-3-8459-1997-3 ISBN 978-3-8459-1998-0 ISBN 978-3-8459-1999-7 Mini-Buch ohne ISBN

AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken!

Alle Personen und Namen innerhalb dieses eBooks sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

3

Für alle, die ich liebe – weil Freunde und Familie von unschätzbarem Wert sind

4

Das Brautrennen Da rannte sie. Bildschön und klug war sie. Die Haare flatterten im Wind, das lange Hochzeitskleid im A-Linien-Schnitt flatterte ebenso und die traditionell flachen Schuhe trugen sie dahin. Mit vor Freude glühendem Gesicht rannte sie, als ginge es um ihr Leben. Ihr Liebster würde auf dem Stadtplatz von Scarlet City auf sie warten und sie in Empfang nehmen. Sie war so glücklich, ihn innerhalb nützlicher Frist gefunden zu haben, um ihn nun zu heiraten. Inmitten ihrer Mitstudentinnen rannte sie, die ebenfalls in Hochzeitskleidern die Straßen entlang liefen. Scarlet drehte sich gelangweilt ab. Sie hatte diese Tradition schon mehrmals beobachtet. Früher waren sie jeweils extra für dieses Fest in die Stadt gefahren, um es sich anzusehen. Alle ihre Spielkameradinnen hatten davon geträumt, einst selbst Teil dieser Tradition zu werden und am Brautrennen teilzunehmen. 5

Mit glänzenden Äugelein hatten sie es alle verfolgt. Nur Scarlet hatten die Emotionen nie erreicht, die an diesem Tag umherschwirrten. Sie hatte nie verstanden, wieso alle diesen Traum verfolgten: An die Universität von Scarlet City aufgenommen zu werden, zu studieren, ihren Traumprinzen während der Studienzeit kennen zu lernen und ihn am Ende, an diesem festlichen Tag, zu heiraten. An diesem Tag, an dem alle Bräute, die ihren Liebsten gefunden hatten, durch die Stadt rennen mussten, in ihren Brautkleidern, um auf dem Stadtplatz vom Bräutigam in die Arme geschlossen zu werden. Danach würden sie zuerst ihre Abschlussfeier begehen, alle Studenten und Studentinnen, um danach in einer großen, festlichen Zeremonie zu heiraten. Die Stadt war voll an diesem Tag. Voll von Schaulustigen, Familienmitgliedern, Freunden und vielen Hunderten freiwilligen Helfern. Der Traum jedes Mädchens. Nur nicht der von Scarlet. Sie hatte nie verstanden, weshalb man eine solch einzigartige 6

Sache wie den Bund einer Ehe, das Ende einer Suche nach der ewigen Liebe, in einer Massenveranstaltung feiern wollte. Die Liebe war doch etwas Einzigartiges, Spezielles, das auch eine besondere Behandlung erforderte. Wohl gemerkt, Scarlet hatte noch nie Liebe zwischen Mann und Frau erfahren und auch nicht danach gesucht, doch sie stellte es sich schön vor, den Richtigen zu finden. Niemals würde sie aber davon träumen, ihn am Tag des Abschlusses, des Brautrennens, zu ehelichen. Oder überhaupt zu ehelichen. Welche Vorteile brachte das denn? Die meisten Leute heirateten zu jung. Sie hatten dann schlussendlich nicht den richtigen Partner gefunden, weil sie zu versteift gesucht hatten und hatten ein unglückliches Familienleben. Aber an diesem Sommertag, diesem Tag voller Freude und Festlichkeit, sah das keiner mehr. Alle waren sie blind und ließen sich von der Emotion mitreißen. Alle waren sie glücklich, ihr Ziel erreicht zu haben. Sie hatten studiert, waren damit der herrschenden Armut entflohen, hat7

ten einen guten Job fast auf sicher. Sie würden ein besseres Leben führen als ihre Familien, als die meisten Leute im Land. Einem Land, das nach dem Dritten Weltkrieg kaputt war, so wie die meisten Länder dieser Welt. Früher noch war Schottland ein schöner Platz gewesen. Der Handel florierte, die Menschen waren glücklich. Sogar Touristen waren massenweise gekommen und hatten die schöne Natur genossen. Heute konnte sich fast keiner mehr Reisen leisten. Alle mussten sie dort bleiben, wo sie wohnten. Die politische Situation der Welt war zerrüttet, jedes Land, das sich noch ein solches nennen konnte, war auf sich alleine gestellt. Der Handel war fast komplett zum Erliegen gekommen. Früher konnte man einfach importieren, was man brauchte. Der Dritte Weltkrieg hatte dies nun aber unmöglich gemacht, jegliche Bündnisse waren zerbrochen. Viele Leute waren bei den großen Angriffen gestorben und die meisten, die überlebt hatten, waren verarmt. Nur die Besten schafften es, an einer der wenigen renommierten Uni8

versitäten zu studieren und einen guten Job zu finden und somit ein besseres Leben zu führen. Da war es verständlich, welche Ehre es war, an der Universität von Scarlet City zu studieren. Alle Leute liebten das alljährliche Brautrennen, das nicht nur für Liebe und Romantik stand, sondern auch für Wohlstand und Sicherheit. Nur Scarlet hatte das immer pragmatisch gesehen und es belächelt. Sie hatte sich darüber lustig gemacht und ihr Desinteresse öffentlich geäußert. Sehr zum Ärger ihrer Eltern natürlich. Früher. Heute war sie zum ersten Mal alleine hier, seit sie hier studierte. Sie konnte das Spektakel nun mit Abstand betrachten und sich darüber amüsieren. Unglaublich, diese Ellie zum Beispiel! Da schwebte sie dahin, fast schon zu Tränen gerührt. Eine intelligente Frau. Sie war die Jahrgangsbeste. Und doch gab sie sich diesem Unsinn hin! War sie nicht schlauer? Weshalb wusste sie es nicht besser? Besser als im ersten Jahr nach einem schönen, intelligenten Studenten zu suchen, weil man 9

das so tat. Mit ihm zusammen zu sein, obwohl sie sich bestimmt nicht sicher war, dass sie ihn wirklich liebte. Nur um dann mit ihm eine Familie zu gründen und ihren Wohlstand zu sichern. Unverständlich für Scarlet. Für sie standen andere Werte im Zentrum. Doch sie war sowieso ein wenig anders als alle anderen. Nur schon ihr Name fiel natürlich auf. Wenige Leute trauten sich, ihre Kinder nach der mysteriösen, berühmten Universitätsstadt zu benennen. Ihre Eltern hatten natürlich den Mut und die Frechheit gehabt. Scarlet hatte schon oft deswegen leiden müssen. Sie wurde gehänselt, ausgelacht und geärgert in der Schule. Ihre Eltern jedoch glaubten an eine höhere Macht. Sie dachten, dass es ein gutes Omen war, wie die Stadt zu heißen. Dass dieser Name es ihrer Tochter ermöglichen würde, dort zu studieren, den Richtigen zu finden und eine Familie zu gründen. Eine Familie, die hoffentlich etwas mehr Geld besitzen würde als sie selbst und ein besseres Leben führen würde. Lächerlich. Was hatte 10

dieser Name, Scarlet, bisher gebracht, außer Ärger? Sie wäre ja trotzdem sie selbst geworden, der Name hätte nichts an ihrer Persönlichkeit geändert. Sie hatte sich in der Schule einigermaßen angestrengt, weil sie gerne studieren wollte. Weil man nichts anderes kannte, als zu studieren oder arm zu bleiben. Dann war sie tatsächlich ausgewählt worden, um an der Uni Pädagogik zu studieren. Sie hatte es erst gar nicht glauben können. Sie war für Pädagogik eingeteilt worden? Sie mochte Kinder nicht mal besonders, wusste selbst auch nicht, ob sie wirklich welche haben wollte. Trotzdem hatte der dreitägige Aufnahmetest das Resultat aufgezeigt, dass man sie am besten als Lehrerin ausbilden würde. Ihre Kreativität und ihr wacher Geist hatten sich dann tatsächlich als gute Werkzeuge erwiesen. Sie hatte das erste Jahr mit Bravour bestanden und sich an den Gedanken gewöhnt, Lehrerin zu werden. Es war ein guter, angesehener Beruf und sie machte sich nicht mal schlecht unter ihren Mitstudierenden. Nur war sie ein wenig an11

ders als der Rest ihres Studienjahrganges. Sie alle liebten Kinder und konnten sich über nichts anderes unterhalten als ihren Berufswunsch. Oder Jungs natürlich, Dates und das Finden der wahren Liebe bis zum Ende des dreijährigen Studienganges. Scarlet fand das alles dämlich und ging ihren eigenen Weg. Sie frönte ihren Hobbies wie lesen, wandern und Tennis. Glücklicherweise hatte sie wenigstens einen Tennispartner gefunden, als sie danach gesucht hatte. Fred hatte sich sogar als mehr als bloß einen Spielpartner erwiesen. Er liebte Ironie genauso sehr wie Scarlet und die ganzen Konventionen, Bräuche und Sinnlosigkeiten in der Stadt genauso wenig. Zu zweit hatten sie sich durch das Jahr geschlagen (und natürlich gespielt) und waren ziemlich gute Freunde geworden. Scarlet reichte der Kontakt zu Fred, um zufrieden zu sein. Sie hatte lieber einen guten Freund, den sie wirklich mochte, als sich mit all den anderen oberflächlichen Idioten abzugeben, nur um sagen zu können, dass sie viele Freunde hatte. Alles was sie 12

brauchte, hatte sie mit Fred. Auch ihre Familie sah sie nun nicht mehr allzu oft, was Scarlet nicht groß störte. Auch sie waren alle ein wenig anders als sie selbst und Scarlet hatte sich immer als das schwarze Schaf gefühlt. Ihre Schwester träumte wie alle Mädchen vom Tag des Brautrennens und arbeitete hart in der obligatorischen Schule, um in vier Jahren an die Universität von Scarlet City aufgenommen zu werden. Ihre Mutter und ihr Vater waren einigermaßen zufrieden zusammen. Sie hatten sich bei einem Fest im Dorf von Scarlets Vater kennen gelernt und waren ein Paar geworden. Gut möglich, dass sie sich einst wirklich geliebt hatten. Sie hatten auch keine Eile gehabt, da sie nicht in Scarlet City studiert hatten. Ihr Vater war Schreiner und ihre Mutter hatte Verkäuferin gelernt, war aber danach für die beiden Mädchen verantwortlich gewesen. Einfache, nette Leute. Ein wenig zu einfach für Scarlet. Sie war sich sicher, dass ihre Schwester es nicht an die Universität schaffen würde. Sie müsste ihr Leben wohl alleine bestreiten. 13

Und nun hatte sie sogar einen Freund in Fred gefunden und die ganze Sache war ein wenig angenehmer geworden, als sie sich vorgestellt hatte. Fred und sie wussten aber schon bald, dass sie kein Pärchen werden und die Freundschaft rein platonisch bleiben würde. Gerade da sie beide auch nicht an diesen Hochzeitsunsinn glaubten und es einfach alles kaputt gemacht hätte, wenn sie ein Pärchen geworden wäre. Scarlet vermisste Fred ein wenig, an diesem Tag, wo sie gemeinsam dumme Witze hätten reißen können. Fred jedoch war lieber geflüchtet und verpasste den Abschlusstag. Er war gestern bereits nach Hause gefahren zu seiner netten, warmherzigen Familie. So kam es, dass Scarlet alleine dastand an diesem Tag und Ellie betrachtete, die wie eine Verrückte aussah, so wie sie durch die Stadt lief. Scarlet musste einen blöden Spruch runterschlucken, den sie mit niemandem teilen konnte. Darüber entwich ihr ein leiser Seufzer. 14

"Na, brauchst du auch einen Schluck?", sprach es hinter ihr. Scarlet drehte sich um, damit sie den Menschen sehen konnte, der ihren geheimen Platz hinter der Säule entdeckt hatte. Ein junger Mann mit schulterlangen, braunen Locken stand da. Seine braunen Augen schauten sie listig an und er hielt ihr einen kleinen, silbernen Flachmann hin. Scarlet musste lachen. "Schnaps? Morgens um zehn Uhr?" „Du siehst aus, als ob du einen vertragen könntest, so wie du da stehst und seufzt." Scarlet streckte die Hand aus. „Na, da hast du ganz richtig geraten." Sie nahm den Flachmann zu sich und trank einen kräftigen Schluck. Whisky. Natürlich. Üblich für diese Gegend. Er war mild und fruchtig, genau richtig. Der junge Mann schaute sie grinsend an. "Nun musst du mir nur noch den Grund für deinen Seufzer verraten. Ist es, weil du ein Teil davon sein möchtest, oder weil es dir nicht gefällt"? Scarlet musste lächeln. Woher kam dieser zweite Teil der Aussage bloß? Alle jungen Frauen würden wegen Ersterem seufzen. Wo15