Der Alte Orient

Wie viele Tontafeln kennt man heute? 136 ... Archive, Bibliotheken und Depots 145. 13. ... Die meisten wurden ins Deutsche übertragen, bei sehr gebräuchlichen .... Kopien großer Inschriften, unter anderen die des Felsens bei Behistun, vier.
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Astrid Nunn

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Der Alte Orient Geschichte und Archäologie

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Für C., T., S., E., A. C., J., M., M. E., L.-M., P.-H., A.-S.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Karte: Peter Palm, Berlin Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Peter Lohse, Heppenheim Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-21963-6 Die Buchhandels-Ausgabe erscheint beim Konrad Theiss Verlag ISBN 978-3-8062-2560-0 www.theiss.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72751-3 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72752-0 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-8062-2614-0 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-8062-2615-7 (Buchhandel)

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Inhalt

Vorwort

I.

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Archäologie im Vorderen Orient

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1. Die ersten Reisen in das antike Mesopotamien 12 2. Die ersten Ausgräber und ihre Entdeckungen 13 3. Die Entzifferung der Keilschrift 17 4. Der Streit um „Babel und Bibel“ 18 5. Beginn der Orientalistik als Wissenschaft 19 6. Wer gräbt heute im Vorderen Orient aus? 20 7. Wie wird heute gegraben? Theorien, Methoden und Ziele 21

II.

Geographisches Umfeld

24

1. Zur Terminologie 24 2. Wüsten und Oasen, Gebirge und Flachland 25 3. Die Gewässer 27 4. Das Klima 30 5. Klimaverschiebungen 31 6. Der Küstenverlauf am Golf 31 7. Bodenschätze und Rohstoffe 31 8. Fauna 32 9. Flora 33

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III. IV.

Chronologie

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Menschen und Sprachen

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1. Woher kommen die Völker des Vorderen Orients? 40 2. Sumerer 40 3. Semiten 42 4. Akkadisch, Babylonisch und Assyrisch 44 5. Weitere Völker und Sprachen 46 6. Mehrsprachigkeit 48

V.

Vom Neolithikum bis etwa 4000 v. Chr.

49

1. Der Weg zur Sesshaftigkeit 49 2. Die letzten Höhlen und das akeramische Neolithikum 52 3. Das keramische Neolithikum 55 4. Das Ende des keramischen Neolithikums 57 5. Organisierte Dorfgemeinschaften: Die Obeidzeit 61 6. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und religiöse Strukturen zwischen dem 7. und dem 4. Jahrtausend v. Chr. 64

VI.

Vom Beginn des 4. Jahrtausends bis zur Achämenidenzeit 67 1. Aufbruch zur Stadt: Die Uruk- und Gaurazeit 67 2. Djemdet Nasr- und Gaurazeit 68 3. Die ersten Königshäuser: Frühdynastische und Ninive 5-Zeit 70 4. Der erste Versuch einer politischen Einheit: Akkadzeit 73 5. Verwaltung und Ordnung: Ur III-Zeit 79 6. Rivalisierende Städte: Altbabylonische Zeit 81 7. Rivalisierende Staaten: Zweite Hälfte des 2. Jahrtausends 83 8. Das Ende des 2. Jahrtausends: Isin II-Dynastie und Ende der mittelassyrischen Zeit 85 9. Die großen Reiche des 1. Jahrtausends: Neuassyrische Zeit 86 10. Spätbabylonische Zeit 88 11. Epilog: Achämenidische Zeit 91

VII.

Land, Städte und Städteplanung

92

1. Städtisches und ländliches Leben 92 2. Siedlungsmuster 92 3. Kommunikations- und Transportmittel 93

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4. Was ist eine Stadt? 94 5. Stadtgründung und Stadtplanung 95 6. Straßen und Plätze 98 7. Gärten 99 8. Landkarten 100 9. Zerstörung von Städten 100

VIII.

Architektur

101

1. Bauen 101 2. Baumaterial 102 3. Sakral contra profan 103 4. Mittelsaalhaus 103 5. Tempel: Allgemein 104 6. Tempelgrundrisse in der Geschichte 107 7. Ziqqurrat 111 8. Paläste 113 9. Wohnhäuser 120 10. Aufriss und Rekonstruktion 121

IX.

Religion und Tempel

122

1. Götterwelt 122 2. Die wichtigsten Götter und Götterfamilien 123 3. Mischwesen 126 4. Theologie und Glaube 127 5. Leben nach dem Tod 129 6. Tempel und religiöse Praxis 129 7. Tempelinventar, Götter- und Kultbilder 131

X.

Ausbildung und Arbeit

132

1. Schreiben 132 2. Schriftbild und Schriftsystem 133 3. Sprache und Inhalt der ältesten Tontafeln 135 4. Alphabet 135 5. Wie viele Tontafeln kennt man heute? 136 6. Schrifttum 137 7. Lernen 137 8. Schulstufen, Schulstoff und „Schulgebäude“ 138 9. Der arbeitende Mensch 139 10. Erfindungen und Wissen 143 11. Gelehrte und Geheimwissen 145

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12. Archive, Bibliotheken und Depots 145 13. Rationalität und Irrationalität 146

XI.

Bilder und Kunst

147

1. Das Viele und das Einzige 148 2. Formen und Material 148 3. Plastik 148 4. Flachkunst 154 5. Terrakotten 162 6. Stempelsiegel, Rollsiegel 163 7. Bilder 167

XII.

Alltag und Familie

172

1. Der Alltag 172 2. Die Familie 174 3. Die „Freizeit“ 175

XIII.

Lebensgefühl im Alten Orient

177

1. Die gemessene und die gefühlte Zeit 177 2. Lebenserwartung und Lebenseinstellung 178

Zur Chronologie

181

Auswahlbibliographie Karte

200

Register

202

Abbildungsnachweis

8

Inhalt

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Vorwort

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bwohl das antike Mesopotamien dank der Bibel nie ganz aus dem europäischen Gesichtskreis verschwunden war und uns seine zahlreichen Erfindungen bereits über die Griechen vermittelt wurden, begann seine umfassende wissenschaftliche Erkundung erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also wesentlich später als die Griechenlands und Ägyptens. Der Nachholbedarf und die Tatsache, dass die Zahl der meist im universitären System eingebundenen Spezialisten sehr klein ist, hatten zur Folge, dass der Alte Orient im Schulunterricht heute quasi fehlt und lediglich von einer sehr kleinen Lobby gefördert wird. Im Unterschied dazu steht eine beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit. Große Ausstellungen oder Vorlesungen an den Universitäten erleben stets regen Zulauf. Das Ischtar-Tor im Vorderasiatischen Museum zu Berlin bleibt ein Publikumsmagnet. So verbuchte die letzte große Ausstellung in diesem Museum, „Babylon: Wahrheit und Mythos“, die im Sommer 2008 ihre Tore offen hielt, die Rekordzahl von 570 000 Besuchern. In den neueren Einführungen und gut lesbaren Veröffentlichungen über das antike Mesopotamien liegt die Betonung oft auf der Geschichte sowie auf wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen. In der hier vorgelegten Darstellung sollen archäologisches und kunsthistorisches Material einen großen Platz einnehmen, ohne den historischen und gesellschaftlichen Rahmen zu vernachlässigen. Das ergibt eine enorme Fülle. Daraus auszuwählen bedeutete die größte Herausforderung. Eine grundsätzliche Wahl betraf auch das geographische Gebiet. Ich habe es bevorzugt, die einzigartige mesopotamische Kultur etwas umfassender zu schildern, dafür musste ich aber bedauerlicherweise die umgrenzenden Gebiete vernachlässigen. Den gesamten Vorderen Orient zu behandeln, hätte den Charakter dieses Buches gesprengt oder zu einer nicht hinnehmbaren Oberflächlichkeit geführt.

Vorwort

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( (

Die Kapitelreihenfolge ist je nach Inhalt chronologisch oder diachronisch geordnet. Die gegebenen Informationen sollen dem heutigen Leser den Einstieg in die Materie, aber auch in die bisher veröffentlichte archäologische Literatur erleichtern. Andererseits verhehle ich nicht, dass für mich Archäologie nicht aus einer Datensammlung besteht, sondern die Rekonstruktion des damaligen materiellen und geistigen Lebens ist. Sicher werden meine Einschätzungen nicht immer auf Zustimmung stoßen, den Leser aber hoffentlich umso stärker anregen. Eine schwierige Frage betrifft die Umschrift der fremdsprachlichen Namen. Die meisten wurden ins Deutsche übertragen, bei sehr gebräuchlichen Umschriften wurden auch nicht-deutsche Schreibweisen übernommen. Einige akkadische Namen sind jedoch in der wissenschaftlichen Umschrift wiedergegeben. Dabei entsprechen die Buchstaben Ğ/ğ dem Laut „dj“, H/h dem „ch“ in Bach oder dem englischen „kh“ und Š/š dem „sch“ oder dem englischen „sh“. Ebenso problematisch ist die Wahl zwischen dem antiken und dem modernen Ortsnamen. Ein bestimmter Gebrauch für jeden Ort hat sich – gerechtfertigt oder nicht – in der Fachliteratur eingebürgert. Ich folge ihm. Schließlich bin ich Ursula Hellwag, Paul Kübel und Rudolf Nunn für ihre kritische Lektüre zu größtem Dank verpflichtet.

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Vorwort

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Archäologie im Vorderen Orient

I.

S

chon lange schweifen die Gedanken der Menschen zurück in die ältesten Zeiten. Dabei ging es ihnen zunächst nicht darum, Fakten zu sammeln oder ihre Vergangenheit historisch zu rekonstruieren, sondern – im philosophischen Sinn – eine Ordnung zu schaffen, die sich auch zeitlich gliedern lässt. Diese Vergangenheitsbetrachtung betrifft nicht die eigene Geschichte und geschieht ohne archäologisches oder schriftliches Material. Eine solche Geschichte kann nur abstrakt erdacht werden und einer Typologie ähneln. Sie entspringt auch psychisch-geistigen Mustern, die wohl erklären, weswegen sich die Weltbilder der alten Völker nahekommen. So steht in allen antiken Kulturen am Anfang ein Zeitalter des Friedens und der Fülle, gleichsam ein Paradies der Menscheitsgeschichte. Dieses erste Zeitalter ist „golden“, weitere metallene Zeitalter folgen, das Silberne, das Bronzene und das Eiserne, die den unwiederbringlichen Abstieg des Menschen widerspiegeln. Im sumerischen „Mythos von Dilmun“ wird die anfänglich reine und ungefährliche Welt beschrieben. Dank der „sumerischen Königsliste“ wissen wir, dass „vor der Sintflut“ die Weisen regierten. Der erste Weise, der in der griechischen Überlieferung des im 3. Jahrhundert v. Chr. in Babylon lebenden Berossos Oannes heißt, war auch der Herr des Goldes und der Beschützer der Goldschmiede. Im 1. Jahrtausend v. Chr. geht dieses Interesse in konkrete Suche über. Der babylonische König Nabonid grub unter dem Boden des Schamasch-Tempels in Sippar und fand 18 Ellen tiefer den Gründungsstein „eines früheren Königs“, der den Namen Naram-Sin, Sohn des Sargon von Akkad, trug. Nabonid regierte zwischen 555 und 539 v. Chr., Naram-Sin zwischen 2291 und 2236. Das Sammeln älterer Gegenstände, womöglich der eigenen Vorfahren oder der eigenen Dynastie, hatte eine stark religiöse und politische Dimension. Der assyrische König Assurbani-

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pal (668–627 v. Chr.) ist der berühmteste, aber nicht der erste, der in Ninive durch das Zusammentragen zahlreicher Texte die altorientalische Kultur überblicken wollte.

1. Die ersten Reisen in das antike Mesopotamien

Abb. 1 왔 Felsenrelief von Behistun. Der persische König Darius I. setzt den Fuß auf den besiegten Gaumata, davor die gefesselten neun „Lügenkönige“.

12

Unter den ältesten Reisenden in das Gebiet der altorientalischen Kulturen, die sich auch für die antike Geschichte interessierten, werden heute die beiden Rabbis Benjamin von Tudela (einem Ort in Spaniens nordöstlicher Provinz Navarra) und Petachiah aus Regensburg genannt, die 1166 und Ende des 12. Jahrhunderts ihre jüdischen Gemeinden bis hin nach Persien besuchten und Bücher darüber verfassten. Allerdings erschienen sie sehr viel später: Benjamins Bericht – 1178 in Hebräisch verfasst – erschien 1543 in Konstantinopel und etwas später in Antwerpen auf Lateinisch, Petachiahs Bericht wurde erst 1871 in Regensburg bekannt. Pietro della Valle (1586–1652) untersuchte 1616 als Erster die Ruinen in Babylon und im 20 km südwestlich liegenden antiken Borsippa genauer (Abb. 52). Ebenfalls als Erster brachte er einige Ziegel mit einer unbekannten Schrift – der Keilschrift – nach Europa. Um 1764 kopierte der niedersächsische Mathematiker Carsten Niebuhr (1733–1815) im Rahmen einer von der dänischen Krone finanzierten Expedition die äußerst berühmt gewordene Inschrift auf einem Felsen bei Behistun (Abb. 1). Behistun liegt etwa 30 km östlich von Kermanschah (Iran). In den Felsen hatte der achämenidische König Darius der Große (521–486 v. Chr.) anlässlich seines Sieges über die „Lügenkönige“ einen Text in Altpersisch, Elamisch und Babylonisch einmeißeln lassen.

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2. Die ersten Ausgräber und ihre Entdeckungen Ende des 18. Jahrhunderts und zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich Europas politische Lage. Die Großmächte Großbritannien und Frankreich strebten nach größerem politischem und wirtschaftlichem Einfluss und interessierten sich für den Vorderen Orient, der zu diesem Zeitpunkt zum Osmanischen Reich gehörte. 1798 ernannte die East India Company in Bagdad den Briten Sir Harford Jones Brydges zum Vertreter ihrer Interessen: 1802 wurde er in den Rang eines Konsuls erhoben. Den ersten Konsuln, die aus verschiedenen Horizonten stammten, war gemeinsam, dass sie sich für Archäologie sehr aufgeschlossen zeigten. Claudius James Rich (1787–1821) studierte früh Türkisch, Persisch und Arabisch, Hebräisch, Altsyrisch und ein wenig Chinesisch. 1808 wurde er englischer Generalkonsul und Vertreter der East India Company in Bagdad, wo er sich mit seiner Frau Mary niederließ. Anlässlich des Besuches ihrer Schwester 1811 begaben sie sich nach Babylon. In den zehn Tagen dieses ausschlaggebenden Besuches entstand der erste Stadtplan. Im Laufe der folgenden Jahre zeichnete Claudius Rich weitere Ruinen. 1820 stand er, gegenüber von Mossul, vor den Hügeln Kuyundjik und Nebi Yunus und behauptete, dieser Ort habe dem antiken Ninive entsprochen. Dabei berief er sich auf eine seit dem Mittelalter bestehende Vorstellung sowie auf die Prophetenbücher des Alten Testaments: Im Buch Jona wird beispielsweise Ninive als die „Große Stadt“ tituliert. An dem Nebi Yunus genannten Hügel steht ein islamisches Heiligtum mit dem Grab des Propheten Jona, weil der Wal den „Nebi Yunus“, den „Propheten Jona“ also, nach dreitägigem Aufenthalt in seinem Bauch an dieser Stelle ausgespuckt haben soll. 1821 starb Claudius Rich im Alter von 35 Jahren in Schiraz an der Cholera. Das Ehepaar Rich hatte Antiquitäten gesammelt. Neben Münzen und altsyrischen Handschriften enthielt die Sammlung auch Kopien großer Inschriften, unter anderen die des Felsens bei Behistun, vier Zylinder, 22 teilweise fragmentarische Tontafeln, 13 gestempelte Ziegel – allesamt in Keilschrift geschrieben – und einige altorientalische Rollsiegel. Ein weiterer bedeutender englischer Wissenschaftler war Sir Henry Creswicke Rawlinson (1810–1895). Er studierte klassische Literatur und Sprachen. Im Gegensatz zu Claudius Rich ging er ohne Kenntnisse orientalischer Sprachen für die East India Company bereits 1827 nach Indien. 1833 wurde er nach Persien geschickt, um ab 1835 die Truppen des Schahs zu organisieren. Dabei stattete er auch Behistun Besuche ab und kopierte die Inschriften. Diese Kopierarbeiten dauerten bis 1847 und waren die Voraussetzung für eine erfolgreiche Entzifferung der drei Keilschriftsprachen Altpersisch, Babylonisch und Elamisch. 1843 wirkte er als Konsul in Bagdad, wo er bis 1855 blieb. Frankreich hatte ein Konsulat in Mossul, im irakischen Norden, eingerichtet, dessen Konsul von 1841 an Paul-Emile Botta war. Die französische

2. Die ersten Ausgräber und ihre Entdeckungen

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Abb. 2 왖 Victor Place, der französische Konsul in Mossul. Photographie von Gabriel Tranchand.

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Abb. 3 왔 Henry Layard in persischer Tracht.

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Öffentlichkeit und die Regierung befürworteten eine archäologische Arbeit, die Ruhm bringen könnte. Paul-Emile Botta (1802–1870), Sohn eines nach Frankreich geflohenen piemontesischen Historikers, hatte eine Medizin-Ausbildung absolviert und war bereits 1836 als Arzt am Roten Meer und im Jemen tätig. Im Dezember 1842 setzte er den Spaten auf dem Hügel Kuyundjik an. Mit diesem zunächst bescheidenen Schnitt beginnt die mesopotamische Archäologie. Obwohl Botta dort erfolgreich war, erzählten ihm Einheimische, dass es in einem 20 km nördlich liegenden Dorf namens Khorsabad mit Bildern versehene Steine gäbe. Im März 1843 verlegte er seine Arbeit auf diesen neuen Hügel, wo er wundervoll verzierte, Orthostaten genannte Steinplatten fand, so dass er diese Stadt für Ninive hielt und unter diesem Namen publizierte. Erst 1847 erkannte er seinen Irrtum: Er hatte nicht Ninive, sondern das antike Dur-Scharrukin, die ehemalige Hauptstadt des assyrischen Königs Sargon, ausgegraben. 1851 wurde Victor Place zum französischen Konsul in Mossul ernannt (Abb. 2). Er sorgte dafür, dass Reliefs und Funde aus Khorsabad nach Paris gelangten. 1855 wurden 149 Kisten auf Flöße verpackt und auf dem Tigris nach Basra geschickt. Unweit des Zusammenflusses von Euphrat und Tigris in Qurna wurden diese Flöße von Beduinen angegriffen. Nur wenig wurde gerettet, die meisten Flöße versanken. Was blieb, erreichte Paris 13 Monate später und kann heute im Louvre bewundert werden (Abb. 86). Austin Henry Layard (1817–1894) studierte Jura in London (Abb. 3). Nebenbei lernte er Arabisch und Persisch und erwarb sich Grundkenntnisse in der Schifffahrt und in der Medizin. 1839 startete er nach Osten und erreichte 1840 erstmals Mossul und die assyrischen Hügel. Er befreundete sich mit Paul-Emile Botta, der seit 1843 hauptsächlich in Khorsabad arbeitete. Beide Männer waren übereingekommen, gleichzeitig den Hügel von Kuyundjik ins Blickfeld zu nehmen. Im No-

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vember 1845 begann Layard auch in Nimrud zu graben, wo er außerordentlich erfolgreich war. Die Ablösung Bottas durch Victor Place und Layards durch Henry C. Rawlinson 1851 änderte nichts an der Zusammenarbeit zwischen den Vertretern beider Länder. Erst als sich Rawlinson durch einen örtlichen Chaldäer namens Ormuz Rassam (1826–1910) vertreten ließ, verschlechterte sich die Lage. Zwischen Rassam und Place herrschte Abneigung. Ormuz Rassam ließ im Dezember 1853 nachts auf dem „französischen Sektor“ graben. Dabei kamen die berühmten Orthostaten mit Assurbanipals Jagdszenen sowie zahlreiche Tontafeln ans Licht, die heute das Britische Museum zieren. Place, durch diese Tätigkeit und durch die fehlende finanzielle Unterstützung seitens der französischen Regierung maßlos enttäuscht, verließ den Orient. Obwohl ihre Suche auf sensationelle Funde abzielte und obwohl ihre Grabungstechniken nach unseren heutigen Maßstäben zerstörerisch waren (Abb. 4), sind diese Männer durch ihren Idealismus und ihren unermüdlichen Einsatz unter schwierigsten Bedingungen, den sie allzu oft mit ihrem Leben bezahlten, echte Pioniere gewesen. Der Krimkrieg (1853–1856), in dem es auch um den Besitz der heiligen Stätten im Vorderen Orient ging, verursachte eine archäologische Pause von 20 Jahren. Der Schauplatz der ersten Ausgrabungen altorientalischer Städte war die historische Gegend Assyrien im Norden des heutigen Irak. Nach dem Krimkrieg verlagerte sich die archäologische Forschung nach Süden, wo es ebenfalls ausländische Vertretungen gab. Ernest Chocquin de Sarzec (1832–1901), Frankreichs Vizekonsul in Basra, erfuhr 1877 von einem Ort, an dem Statuen liegen sollten. Dort – in Tello, dem antiken Girsu – grub eine französische Mannschaft alsbald aus und legte die Statuen des durch sie berühmt gewordenen Königs Gudea von Lagasch frei. So wurden die sumerische Kultur und Sprache entdeckt. Die Bedeutung dieser Entdeckungen blieb niemandem verborgen. 1888 nahm ein amerikanisches Team unter der Leitung der University of Pennsylvania in Nippur seine Tätigkeit auf. Für Deutschland begann die archäologische Forschung im Vorderen Orient mit Heinrich Schliemann (1822–1890), der als erster Ausgräber Trojas in die Geschichte eingegangen ist. In Mesopotamien selbst begann die Erkundung durch deutsche Archäologen dank der Gründung der Deut-

2. Die ersten Ausgräber und ihre Entdeckungen

왖 Abb. 4 Tunnelgrabungen wie hier in Ninive auf der Zeichnung vor Ort von S. C. Malan sind nach heutigen Maßstäben zerstörerisch.

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