AUSGABE 135 November 2013
A N A LY S E N & ARGUMENTE PERSPEKTIVEN DEUTSCHER AUSSENPOLITIK
Globale Megatrends (II): Demographischer Wandel Arbeitskreis Junge Außenpolitiker Die alternde Bevölkerung und der damit einhergehende Fachkräftemangel sind eine Herausforderung für Europas Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunftsfähigkeit europäischer Sozialsysteme. Auf Grund des demographischen Wandels ist Migration somit nicht nur ein Sicherheitsthema und eine humanitäre Herausforderung, sondern auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Eine gezielte Migrationssteuerung ermöglicht zudem eine engere und umfassendere Vernetzung mit internationalen Wachstumszentren. Dafür muss die Europäische Union ein gemeinsames Migrationsregime schaffen. Dies wird auch dazu beitragen, Europa für ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen und Verbindungen zu in ihre Heimat zurückgekehrten Migranten zu erhalten.
Informationen zum Arbeitskreis Junge Außenpolitiker unter: http://www.kas.de/jungeaussenpolitiker
Ansprechpartner in der Konrad-Adenauer-Stiftung
Dr. Patrick Keller Koordinator Außen- und Sicherheitspolitik Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit Telefon: +49(0)30 2 69 96-35 10 E-Mail:
[email protected] Postanschrift
Konrad-Adenauer-Stiftung, 10907 Berlin www.kas.de
[email protected] ISBN 978-3-95721-004-3
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I N H A LT
3 | EINLEITUNG: D I E B E D E U T U N G G L O B A L E R M E G AT R E N D S F Ü R D I E DEUTSCHE AUSSENPOLITIK 3 | A N A LY S E : D I E D E M O G R A P H I S C H E E N T W I C K L U N G E U R O PA S U N D D I E B E D E U T U N G D E R M I G R AT I O N 4 | EMPFEHLUNGEN: GEMEINSAME LÖSUNGEN ZUR DEMOGRAPHISCHEN ENTWICKLUNG U N D Z U R B E S S E R E N W E LT W E I T E N V E R N E T Z U N G E U R O PA S
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AUSGABE 134 November 2013 SEITE 3
DIE BEDEUTUNG GLOBALER MEGATRENDS
wirtschaftlicher Produktivität und Innovationsfähigkeit.
FÜR DIE DEUTSCHE AUSSENPOLITIK
Große Schwellenländer hingegen profitieren in besonderem Maße vom Überschuss an jungen Arbeitskräften und bauen
Die internationale Politik wird immer stärker von langfris-
globale Netzwerke auf. Das demographische Fenster hat sich
tigen Entwicklungen bestimmt, die unter dem Schlagwort
in Europa bereits geschlossen, gleichzeitig nimmt der Migra-
„Globale Megatrends” zusammengefasst werden können.
tionsdruck aus den Entwicklungsländern weiter zu. Eine
Zu den wichtigsten dieser Trends gehören die demographi-
gezielte Steuerung von Migration bietet vor diesem Hin-
sche Entwicklung, die voranschreitende Urbanisierung und
tergrund die große Chance, unsere wirtschaftliche Wettbe-
die Entwicklung von Angebot und Nachfrage bestimmter
werbs- und Innovationsfähigkeit zu stärken, das europäische
Ressourcen. Auch der vieldiskutierte Trend der internationa-
Sozialmodell zu stabilisieren und insbesondere den Einfluss
len Machtverschiebung gehört, gewissermaßen als Summe
Europas in der Welt nachhaltig zu sichern und auszubauen.
aller Trends, in dieses Bild.
Es geht um die verbesserte Netzwerkfähigkeit Europas.
Deutschland ist als einflussreicher Akteur in der Weltpolitik
Obwohl die Krisenländer von einer hohen Jugendarbeitslo-
und als exportorientierte sowie rohstoffabhängige Wirt-
sigkeit gezeichnet sind, haben viele EU-Mitglieder dennoch
schaftsmacht zumindest indirekt von all diesen Trends be-
einen enormen Fachkräftebedarf. Fehlen aber in den Wachs-
troffen. Ob sie für Deutschland zur Chance oder zum Prob-
tumslokomotiven Europas qualifizierte Mitarbeiter und Bei-
lem werden, hängt vor allem von der deutschen Politik ab.
tragszahler für die Sozialsysteme, gerät dadurch der Wohlstand in Europa insgesamt in Gefahr. Die gezielte Steuerung
Der Arbeitskreis Junge Außenpolitiker der Konrad-Adenauer-
von Migration würde zudem die Asylproblematik entlasten
Stiftung will mit drei zusammenhängenden Papieren Impulse
und Innovationskräfte freisetzen. Sonderbeziehungen mit
geben, wie sich die deutsche Außenpolitik auf einige dieser
Gestaltungsmächten in diesem wichtigen Politikfeld könnten
Megatrends – globale Machtverschiebungen (I), demographi-
die Beziehungen der Bundesrepublik zu wichtigen Schwellen-
scher Wandel (II) und weltweite Rohstoffnachfrage (III) –
ländern mit einem Überschuss an qualifizierten Arbeitskräf-
und ihre Auswirkungen einstellen sollte. Damit werden Prio-
ten vertiefen. Im Sinne des Konzepts der zirkulären Migra-
ritäten für die deutsche Außenpolitik identifiziert und kon-
tion könnten auch die Herkunftsländer – Schwellenländer
krete Anregungen gegeben, wie unser Land in der nun be-
ebenso wie Entwicklungsländer – von besser qualifizierten
ginnenden Legislaturperiode zukunftsfest gemacht werden
Rückkehrern als Multiplikatoren sowie von Rücküberweisun-
kann.
gen profitieren.
DIE DEMOGRAPHISCHE ENTWICKLUNG EUROPAS
Migration ist zudem multidimensional: Sie darf nicht nur
UND DIE BEDEUTUNG DER MIGRATION
als ein innenpolitisches Sicherheitsthema wahrgenommen werden, sondern sie ist zugleich Wirtschaftsfaktor und hu-
Die weltpolitischen Veränderungen fordern von Deutschland
manitäre Herausforderung. Ein flexibleres Migrationsregime
ein Mehr an Vernetzung – sowohl innerhalb Europas als auch
würde die Ursachen der illegalen Migration dämpfen – und
global. Politische Gestaltungsfähigkeit lässt sich heute nur
damit zur Linderung der humanitären Notlage im Mittelmeer
über eine Teilhabe an den globalen Strömen von Innovation,
beitragen. Die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa Anfang
Wissen und Handel sowie über eine tiefgreifende und mög-
Oktober 2013 hat nochmal gezeigt, wie sehr die Überwin-
lichst dichte Vernetzung mit den internationalen Wachstums-
dung der Flüchtlingsfrage ein gemeinsames Anliegen der
zentren stärken („Netzwerkmacht”). Der Zugang zu Men-
EU-Staaten und gleichzeitig eine moralische Verpflichtung
schen als Träger von Wissen, Fähigkeiten und Innovations-
aller Europäer sein muss. Dafür muss Migration aber als
kraft ist hier der wichtigste Anknüpfungspunkt.
Komponente einer strategischen Außenpolitik verstanden werden: Sie ermöglicht es Europa, über die Vernetzung mit
Vor dem Hintergrund der erheblichen demographischen Ver-
neuen globalen und regionalen Machtzentren hinaus sicher-
änderungen in den Weltregionen, aber auch anderer Mega-
zustellen, dass deren Netzwerke sich nicht an Europa vorbei
trends wie globale Machtverschiebungen und Urbanisierung,
entwickeln. Diese außenpolitische Perspektive lässt sich nicht
rückt als zentraler Baustein der Vernetzung die Migrations-
allein im nationalen Rahmen umsetzen, sondern es werden
steuerung in den Vordergrund. Während in Europa und be-
dringend europäische Lösungen benötigt.
sonders in Deutschland die Bevölkerung stark altert, verjüngt sie sich in zahlreichen aufstrebenden Weltregionen weiter. Für Europa bedeutet dies mittelfristig ein Defizit an
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GEMEINSAME LÖSUNGEN ZUR DEMOGRA-
des einheitlichen Vorgehens sendet und verdeutlicht, dass
PHISCHEN ENTWICKLUNG UND ZUR BESSEREN
es Migration als gemeinsame strategische Aufgabe begreift.
WELTWEITEN VERNETZUNG EUROPAS
Perspektivisch sollten derartige gemeinsame Visastellen über die Schengen-Mitglieder hinaus von sämtlichen EU-Mitglied-
In ihrer Reaktion auf den Migrationsdruck muss die EU nicht
staaten genutzt werden. Des Weiteren sollte zukünftig die
zwischen den zwei Extremen „Uneinnehmbare Festung” und
Einrichtung von originären EU-Visastellen erfolgen, wobei
„Unkontrollierte Öffnung” wählen. Intelligente Migrations-
Lösungen für deren Kopplung mit den nationalen Einwande-
steuerung ist ein Aspekt globaler Vernetzung und dient deut-
rungsbehörden und einen effektiven Rechtsschutz zu finden
schen und europäischen Interessen. Hierzu schlagen wir drei
sind. Die Behandlung der Visumsanträge von Personen, an
konkrete Maßnahmen vor:
deren Zuzug Europa ein besonderes Interesse hat, könnte hierbei eine Pilotfunktion übernehmen. Auch die Visaverfah-
1. Die EU muss ein gemeinsames Migrationsregime schaf-
ren als solche sollten widerspiegeln, dass Migration eine
fen, um Europa für außereuropäische Fachkräfte attrakti-
strategische außenpolitische Bedeutung für Europa hat. Im
ver zu machen. Die Anpassung des Migrationsregimes an
Sinne einer Willkommenskultur sollten sämtliche Möglich-
die außenpolitischen Herausforderungen ist ein gesamteuro-
keiten der Professionalisierung genutzt werden, um den
päisches Thema. Um langfristig aber eine gemeinsame euro-
Fachkräften, die für Europa gewonnen werden sollen, ein
päische Migrationspolitik zu schaffen, muss Deutschland in
faires und zügiges Verfahren anzubieten. Soweit noch nicht
den kommenden vier Jahren bei diesem Thema vorangehen.
etabliert, könnte beispielsweise die Kommunikation und An-
Gemeinsam mit weiteren Schengen-Ländern sollte die Bun-
tragsstellung auch elektronisch und in mehreren EU-Arbeits-
desregierung im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit
sprachen zugelassen werden.
eine entsprechende Initiative starten. Die deutsch-französische Initiative von 2006, die das Thema zu stark defensiv
3. Europa muss sich stärker bemühen, Verbindungen zu
und mit nationalstaatlichen Instrumenten bearbeitet hat, gilt
in ihre Heimat zurückgekehrten Migranten zu erhalten
es weiterzuentwickeln. Ziel muss es sein, Migration als ein
und in Netzwerke zu überführen. Um das bereits bestehen-
außenpolitisches Werkzeug zu etablieren, mit dem Europa
de Netzwerk aus Studenten und Fachkräften zu nutzen, die
auf die globalen Machtverschiebungen und die unterschied-
in Europa ausgebildet wurden oder hier beruflich tätig waren
lichen demographischen Entwicklungen reagieren kann. Dies
und in ihre Heimatländer (oder ein Drittland) zurückgekehrt
bedingt einen Perspektivenwechsel in der bis dato stark in-
sind, gilt es, mit diesen Menschen Kontakt zu halten. So
nenpolitisch geprägten Migrationsdebatte. Ausgangspunkt
können diese als Kulturbotschafter nicht nur Brücken von
einer neuen europäischen Debatte kann der 2011 von der
Europa in ihre Heimatländer bauen, sondern auch immer
EU-Kommission veröffentlichte „Global Approach to Migration
wieder für Aufenthalte in Deutschland und Europa begeistert
and Mobility” (GAMM) sein, der jedoch um Anreize für Part-
werden. Für Fachkräfte, die sich eine Zeitlang in Deutschland
nerstaaten und Fachkräfte ergänzt werden muss.
aufgehalten haben, sind auch deutschsprachige Nachrichtenangebote wie jenes der Deutschen Welle eine wichtige Ver-
2. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Migrationspolitik
bindung mit Deutschland und ermöglichen die Pflege der
sollten die Mitgliedstaaten des Schengener Übereinkom-
erworbenen Sprachkenntnisse. Das Goethe-Institut, das
mens gemeinsame Visastellen einrichten. Das gewachsene
Institut Français und andere europäische Kulturinstitute sind
Nebeneinander nationaler und zum Teil ohnehin auf Dienst-
ebenso wie die Außenhandelskammern geübt im Aufbau ent-
leistungsunternehmen ausgelagerter Visastellen wird dem
sprechender Netzwerke.
erforderlichen Perspektivwechsel in der europäischen Migrationspolitik nicht gerecht. Die Antragsbearbeitung kann zu-
Die Angebote deutscher Auslandsvertretungen für hochqua-
nächst zwar weiterhin in mitgliedstaatlicher Verantwortung
lifizierte Rückkehrer sind derzeit noch zu sehr auf die Fach-
erfolgen. Allerdings sollten die Visastellen räumlich zusam-
kräfte aus der Forschung begrenzt. Doch auch andere Be-
mengefasst werden, um das gemeinsame Vorgehen zu un-
rufsgruppen mit portabler Qualifikation sollten verstärkt als
terstreichen und durch eine bessere Koordinierung unter-
potentielle Rückkehrer verstanden werden – im Hinblick auf
schiedlichen Visapraktiken der Mitgliedstaaten entgegenzu-
den Megatrend Demographie z.B. im Pflegewesen und der
wirken. Zudem versprechen gemeinsame Visastellen Kosten-
Medizin. Hier könnten Angebote zur kostenlosen Weiterqua-
ersparnisse für die beteiligten Mitgliedstaaten, deren Bot-
lifizierung mit einer Art Arbeitsverpflichtung in dem Land
schaften von administrativen Tätigkeiten entlastet werden
verbunden werden, das für die Weiterbildung oder das Auf-
und Freiräume für politische Aufgaben erhalten. Vor dem
baustudium aufkommt. So würde ein Teil der Bildungsrendite
Hintergrund des Megatrends Demographie ist der entschei-
im Land verbleiben.
dende Vorteil aber darin zu sehen, dass Europa ein Zeichen
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Eine stärkere Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit
öffentlichen Dienst oder die berufliche Bildung erreichen, da-
sowie der Außenkultur- und Außenwirtschaftspolitik am Kon-
her sollte eine umfassendere Internationalisierungsstrategie
zept der zirkulären Migration verlangt mehr interministerielle
unter Federführung der Bundesregierung angestrebt werden.
Koordination und Zusammenarbeit mit den zahlreichen Mitt-
Gleichzeitig muss auch ein Fokus auf die Bedürfnisse der
lerorganisationen. In der Außenwissenschaftspolitik ist die-
Menschen gelegt werden, die aus Europa in ihre Heimat-
se Koordination durch regelmäßige Länderrunden und Stra-
länder zurückkehren und an deren Kontakt Europa ein stra-
tegieprozesse zwischen BMBF und BMZ schon weit fortge-
tegisches Interesse hat, zum Beispiel weil sie das Potential
schritten, wenngleich noch nicht alle relevanten Ministerien
zu führenden Ansprechpartnern in Verwaltung, Unternehmen
daran beteiligt sind. Die Strategie der Bundesregierung zur
und Wissenschaft haben. Hier gilt, wie bei der Migrations-
Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung von
debatte insgesamt: Deutschland und Europa müssen heraus
2008 zeigt die richtige Marschrichtung an. Diese Öffnung
aus der Defensive und stattdessen beginnen, die außenpoli-
muss jedoch auch andere Sektoren wie die Wirtschaft, den
tischen Chancen der Migration zu nutzen.