Das Tagebuch des Klaus Seckel

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Das Tagebuch des Klaus Seckel Anfang und Ende einer Kindheit an der Quäkerschule Eerde (1937-1943)

Herausgegeben von

Susanne Brandt

und

Rainer Kappe

unter redaktioneller Mitarbeit von

Ruth Schilling Berlin 2011 Simon Verlag für Bibliothekswissen

Bibliographische Informationen der deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Satz und Layout: Vera Szabó Umschlagbild: Besitz Richard Schmitt Illustrationen: Rainer Kappe Copyright © 2011 Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin Alle deutschen Rechte vorbehalten Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. No part of this book may be used or reproduced in any manner whatsoever without written permission except in the case of brief quotations embodied in critical articles or reviews. Gesamtherstellung: Simon Verlag für Bibliothekswissen Riehlstraße 13 14057 Berlin Deutschland www.simon-bibliothekswissen.de

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Art-Druk, Szcesin ISBN 978-3-940862-97-6

Inhaltsverzeichnis

Mit den Augen eines Heranwachsenden: Gewalterfahrung in den Tagebüchern von Klaus Seckel (Ruth Schilling) ........................................

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Erfahrungen zur Sprache bringen. Leben und Lernen an der Internationalen Quäkerschule Eerde (Susanne Brandt) ............................. 13 Die Tagebücher 1937-1943 (Klaus Seckel) ................................................. 23 Der historische Kontext: Verfolgung und Deportation der Juden in den Niederlanden (Rainer Kappe) ..............................................

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Anhang ........................................................................................................ 103 Herausgeber ................................................................................................ 107 Literaturverzeichnis und Auswahlbibliographie ........................................ 109

Er war der letzte der Seckels, der in der Lüneburger Heide geboren wurde, und das ca. 200 Jahre, nachdem sich seine Vorfahren in Walsrode angesiedelt hatten. Alle, die ihm nahe standen, seine Familie, seine Eltern, seine Brüder, seine Freunde sind nicht mehr. Von Klaus verbleiben nur einige vergilbte Photos und dieses Tagebuch, welches er während seiner rauhen Jugendzeit, allein in einem Internat in Holland geschrieben hat. Wir hätten gerne gewusst, wie es weiterging: Westerbork, Theresienstadt, Auschwitz und wie, wo und warum er gestorben ist. Warum ist er verschwunden, offiziell am 28. Februar 1945, also einen Monat nach der Befreiung von Auschwitz? Hätte er überlebt, wäre Klaus heute 82 Jahre alt, und wir hätten unseren Onkel kennenlernen können. Elisabeth, Christophe und Michaël Seckel Paris, im November 2010

Mit den Augen eines Heranwachsenden: Gewalterfahrung in den Tagebüchern von Klaus Seckel (1937-43)

Mit den Augen eines Heranwachsenden: Gewalterfahrung in den Tagebüchern von Klaus Seckel (1937-43) – Ruth Schilling –

Der Lehrer Heinz Wild fand im Jahre 1943 unter den Papieren aus der Quäkerschule Eerde unter anderem auch die Tagebücher von Klaus Seckel aus den Jahren 1937-43. Ende der fünfziger Jahre fasste er zu Recht den Entschluss, sie der Öffentlichkeit in einer Edition eines niederländischen Verlages vorzustellen. [1] Diese Tagebücher stellen ein einzigartiges Dokument dar. Ganz unmittelbar, ohne literarischen Anspruch gebrochen, lesen wir davon, wie Krieg und Verfolgung Teil der Welt eines Heranwachsenden werden. Gewalterfahrung und die eigenen Veränderungen stehen teilweise unverbunden nebeneinander. Gerade die letzten Aufzeichnungen aus den Jahren 1942-43 machen aber auch deutlich, wie sehr Gewalt- und Verfolgungserfahrung bereits in Klaus Seckels Leben, sein Heranwachsen eingriff. Die Tagebücher von Klaus Seckel sind mit dem Tagebuch der Anne Frank nicht zu vergleichen. Die Schreiber haben gänzlich unterschiedliche Charaktere. Die Schreibsituation – hier die intakte Welt der Quäkerschule, dort das Versteck im Amsterdamer Hinterzimmer – ist nicht miteinander vergleichbar. Anders als Anne Frank führte Klaus Seckel sein Tagebuch zunächst nicht aus eigenem Antrieb. Ein Tagebuch zu führen gehörte vielmehr zum Schulalltag in Eerde. Im Laufe der Jahre schreibt er – wie er selbst fast erstaunt vermerkt – immer mehr aus eigenem Antrieb. Aus einem begeisterungsfähigen Achtjährigen mit einigen orthographischen Schwierigkeiten wird ein nachdenklicher Dreizehnjähriger. Der Text in der hier vorliegenden Neuedition beruht auf der im Jahre 1961 in den Niederlanden besorgten. [2] Diese niederländische Ausgabe der Tagebücher ist vergriffen und nur schwer im Leihverkehr zu erhalten. Die 1  Die Tagebücher des Klaus Seckel. Das letzte Stückchen Eerde, hg. und bearbeitet von M. R. Bonnerman, Werner Hermans und Heinz Wild, Assen 1961. 2  Leider war es den Herausgebern nicht möglich, den Verbleib der Originalmanuskripte in Erfahrung zu bringen.

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vorliegende Ausgabe soll diese einzigartigen Dokumente einer breiteren Öffentlichkeit wieder zugänglich machen. Sie folgt der niederländischen Ausgabe darin, Klaus Seckels Orthographie so genau wie möglich wiederzugeben. Auf diese Weise wird dem Leser plastisch das Heranwachsen des Jungen vor Augen geführt, von der teilweise noch unbeholfenen Rechtschreibung eines Achtjährigen bis hin zu den flüssig lesbaren Texte des Dreizehnjährigen. Die Illustrationen Rainer Kappes begeben sich auf die Spuren der Welt des Klaus Seckel und geben diese anschaulicher wieder, als es allein Fotos vermochten. Klaus Seckel beobachtete seine Umgebung sehr genau und legte eine große Präzision bei der Dokumentation der Veränderungen an den Tag, die seinen Schul- und Internatsalltag betrafen. Lange Listen legt er davon an, mit wem er bereits ein Zimmer teilen musste. Er notiert , wenn wieder ein Schüler emigrierte oder neue Schüler aufgenommen wurden. Diese Fluktuation in Eerde hielt bis 1941 an. In einer Verordnung vom 10. Januar 1941 schrieb der Reichskommissar für die Niederlande Arthur Seyss-Inquart die Anmeldung aller Juden und sog. Mischlinge vor und legte damit den Grund für ihre systematische Verfolgung und Deportation. Ihre Bewegungsfreiheit und damit auch die Möglichkeit zur Emigration endeten in den elaboriertert werdenden Reisebeschränkungen und Razzien im Herbst des Jahres 1941. [3] Klaus schreibt nicht explizit, was er von den Emigrationen hält. Immer, wenn er den Verlust von Kameraden beklagt – besonders traurig ist er über Haralds Weggang, der als sechzehnjähriger „Arier“ an die Ostfront eingezogen wurde – kommt er auf seine eigene Heimat zu sprechen, seine Sehnsucht nach Gut Charlottental, auf dem er geboren wurde und nach seinen eigenen Eltern, um deren eigenes Schicksal er sich zunehmend Sorgen macht. Gewissenhaft notiert er jede Adressänderung, die sie ihm mitteilen und fragt sich aber auch, wie es denn nun dort überhaupt aussieht, wo die Eltern wohnen: „Meine Eltern sind letztes Jahr vor den Sommerferien nach Berlin-Schöneberg, Bozenerstr. 31 umgezogen. Ich selber weiss garnicht, wo die Bozenerstr. ist.“ Ende Oktober des Jahres 1941 schreibt er, dass die Eltern einiger jüdischer Mitschüler „auf dem Wege nach dem Osten“ seien, und ihm scheint die Bedrohlichkeit dieser Nachricht voll bewusst gewesen zu sein. 3  Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Die Gesamtgeschichte des Holocaust, Berlin 1982, S. 403.

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Eines der Mittel, mit der Klaus mit der immer konkreter werdenden Bedrohung seiner selbst, seiner als Juden eingestuften Mitschüler und Lehrer umzugehen versuchte, bestand darin, die Ereignisse möglichst genau zu schildern. Gerade diese Präzision ermöglicht es, an ihm als einem konkreten Fall nachzuvollziehen, wie die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie in den Niederlanden funktionierte. Im Juli 1941 wurde die Kennzeichnung aller jüdischen Personalausweise angeordnet. Gut einen Monat später erzählt Klaus‘ Zimmergenosse ihn von der Trennung in „Arier“ und „Nichtarier“, die nun auch die Schüler- und Lehrerschaft in Eerde beträfe. Klaus ist zunächst ungläubig. Der Umzug in die Esch, also in den jüdischen Schulbereich, beschäftigt ihn sehr und scheint ihn auch zutiefst zu verunsichern. Er notiert seine neue Adresse, beschreibt, wie der Alltag geregelt ist, berichtet von den Schwierigkeiten, ein nicht-arisches Dienstmädchen zu bekommen. Das Leiden an der Trennung von seinen ‚arischen‘ Mitschülern formuliert er auch hier eher implizit, eine stille Trauer, die aber auch gleichzeitig erkennen lässt, dass für ihn allmählich seine gewohnte, heile Welt der Quäkerschule zusammenbricht. So schreibt er zum Beispiel, zu welchen Gelegenheiten sie als Juden Eerde besuchen dürfen oder ob jemand zu ihnen in ihr Ausweichquartier zum Geburtstag gekommen ist oder nicht. Mit einem feinen Sensorium für die Ungerechtigkeit dieser Regelungen ausgestattet, bemerkt er wohl auch, dass diese Trennung nur der Vorbote für weitere Diskriminierungen ist, die dann nicht lange auf sich warten ließen. Ein Grund für die hohe Zahl jüdischer Opfer in den Niederlanden lag am perfekt organisierten Meldesystem der niederländischen Behörden, die die SS-Verwaltung zu einem perfiden Spiel mit Vorschriften und Ausnahmegenehmigungen nutzen konnte. Sie wogen die jüdische Bevölkerung in Sicherheit, gaben ihnen das Gefühl, dass alles ‚mit rechten Dingen‘ ablief. Klaus‘ Aufzeichnungen zeigen diese Politik in einer eindrücklichen Mikroperspektive: Letzten Endes sind die neun jüdischen Kinder, die aus Ommen den Weg in die Vernichtungslager antraten, ein Opfer dieses Spiels mit der Legalität. Die Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht alles so schlimm kommen werde wie befürchtet, drückt sich in Klaus‘ Bemühen aus, alle Dokumente zu sammeln, die ihm auf seinem Weg helfen könnten: So schreibt er am 2. Oktober 1942, dass er von seinem Taufschein mehrere Kopien habe anfertigen lassen. Selbst die schriftlichen Lebenszeichen, die die Kinder von der Reise nach Eerde schicken, spiegeln dieses Selbstvertrauen wieder, ein Selbstvertrauen und eine

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