Das Geheimnis der fünf Frauen

Am Tatort stößt der misstrauische. Inspektor ... Bibliothek eine zweite Leiche gefunden. Dieses Mal .... Nach dem Versenken in das Gesicht des Toten versuchte.
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Ulrike Ladnar

Das Geheimnis der fünf Frauen

F e s s e l n d Im November 1893 wird ein angesehener Wiener Bankier ermordet in seiner Bibliothek aufgefunden. Am Tatort stößt der misstrauische Inspektor Winterbauer auf Helene Weinberg, die Schwester des Ermordeten, und ihre vier Freundinnen. Ist eine von ihnen die Täterin? Und wenn ja, welche? Er lernt durch seine Ermittlungen fünf Frauen kennen, die sich äußerlich in der männerbestimmten Gesellschaft eingerichtet haben, aber heimlich ihren Träumen vom Glück nachgehen. Doch er kommt nicht hinter ihre Geheimnisse. Sein Interesse an den verdächtigen Frauen wird immer intensiver. Allmählich glaubt er ihren Unschuldsbeteuerungen und bringt ihnen immer größere Sympathie entgegen, vor allem Helene. Da wird in der Bibliothek eine zweite Leiche gefunden. Dieses Mal ist Helenes Ehemann das Opfer. Wieder sind nur die fünf Frauen am Ort des Geschehens. Und es bleibt nicht bei den beiden Todesfällen … Ulrike Ladnar wurde in Baden bei Wien geboren und wuchs in Baden-Württemberg auf. Sie arbeitete als Gymnasiallehrerin, Lehrerausbilderin und Schulbuchautorin in Frankfurt am Main. Jetzt, in Pension, hat sie Zeit für viel Neues. Zum Beispiel für das Schreiben Historischer Kriminalromane. Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Wiener Vorfrühling (2013) Wiener Herzblut (2012)

Ulrike Ladnar

Das Geheimnis der fünf Frauen

Historischer Roman

Besuchen Sie uns im Internet: www.gmeiner-verlag.de © 2015 – Gmeiner-Verlag GmbH Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0 [email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt Herstellung: Mirjam Hecht Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart unter Verwendung eines Bildes von Gustav Klimt, »Portrait der Emilie Louise Flöge«, 1902 (© http://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Klimt_-_Porträt_Emilie_Flöge_-_1902.jpeg) Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN 978-3-8392-4577-4

November 1893

Ich habe eine Pflicht: Ich zu sein. Alle Möglichkeiten meines Seins auszuleben. Elsa Asenijeff (1867 – 1941, österreichische Schriftstellerin)

Sonntag, 26. November 1893 Der Mann lag auf dem Diwan in einem großen Bibliothekszimmer und schien zu schlafen. Er ruhte auf dem Rücken, die Arme entspannt neben dem Körper, die rechte Wange ganz leicht in ein purpurfarbenes Samtkissen geschmiegt. Die Brille war ihm auf die Nase heruntergerutscht und teilte mit ihren schweren Bügeln sein Gesicht. Auf dem Fußboden neben der Couch häuften sich Bücher, aus denen beschriebene Zettel herausschauten, was darauf schließen ließ, dass der Mann trotz seiner bequemen Haltung in den Büchern nicht nur gelesen, sondern auch mit ihnen gearbeitet hatte. Danach hatte er sich wohl einer Zeitung zugewandt, die jetzt ausgebreitet wie eine Zudecke auf seinem Bauch lag. Dass man über der Tageszeitung einschlafen konnte, konnte Karl Winterbauer gut verstehen. Doch der Mann schlief nicht, er war tot. Und deswegen war Inspektor Karl Winterbauer in dieses Haus gerufen worden. Und nicht auf die Bücher hätte er sein Augenmerk richten sollen, sondern auf den kleinen Revolver, der neben diesen Büchern lag, und nicht auf die Brille, sondern auf die kleine, kreisrunde rote Wunde, die an der Schläfe des Toten zu sehen war und von der aus ein dünnes rotes Rinnsal in das Purpurkissen gelaufen war.

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Wie immer an einem Tatort konzentrierte sich Winterbauer nach zufälligen Ersteindrücken zunächst völlig auf den Toten, als könne diese Konzentration dem Toten dazu verhelfen, ihm zu sagen, was ihm da zugestoßen sei, nicht durch Worte natürlich oder sonstige geheimnisvolle Medien – Mystisches war Karl Winterbauer nicht nur fremd, sondern sogar widerlich –, sondern dadurch, dass er ihn sah, wie er in seiner letzten Minute lebte und dann für immer verharrte. Wie eingefroren lagen die Opfer vor ihm, selbst wenn sie noch ganz warm waren wie der Tote hier, wie er durch eine leichte Berührung der Stirn festgestellt hatte, eingefroren in ihrer letzten Lebensminute, so, wie der letzte Mensch, den sie vor seinem Tod gesehen hatten, sie verlassen hatte, der Mensch, der ihr Mörder war, und, was entscheidender war, so, wie sie diesen Menschen gesehen hatten. Und dieses Sehen war oft wie ein letztes Fühlen, ein letztes Erkennen, es war voll Liebe oder Hass, Verwunderung oder Resignation. Dieser Tote sagte ihm nichts. Seine Augen waren geschlossen, seine Haltung entspannt und gelassen. War er also buchstäblich im Schlaf getötet worden, ohne noch im letzten Moment die Augen zu öffnen, um zu sehen, wer ihm diesen ungeheuren Schmerz zugefügt hatte? Hatte er nicht im Schlaf gehört, wie jemand die Tür zu seiner Bibliothek geöffnet hatte, sich seinem Diwan näherte, leise zwar, aber dennoch ganz gewiss schwer atmend? Hatte er nicht gespürt, wie jemand sich voll Hass über ihn gebeugt hatte, den Revolver an seine Schläfe gehalten und dann abgedrückt hatte? Hatte ihn der ungeheure Knall nicht zum Augenöffnen veranlasst, und auch nicht der ungeheure Schmerz, der dem Knall gefolgt war?

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Nach dem Versenken in das Gesicht des Toten versuchte Karl Winterbauer stets, die Atmosphäre der Todesstätte nicht nur aufzufangen, sondern sie geradezu aufzusaugen. Auch sie konnte ihm oft viel über den Toten erzählen. Er wandte den Blick von dem Gesicht des Mannes ab und schaute sich um. Alle vier Zimmerwände waren mit Bücherregalen bedeckt, auf einer Seite unterbrochen durch die Tür, durch die er eingetreten war, auf der gegenüberliegenden Wand durch ein großes Fenster, das einen Blick auf einen weiträumigen Garten mit vielen alten Bäumen eröffnete. Nur an wenigen baumelten noch einzelne braune Blätter an ihren vertrockneten Stielen. Obwohl Winterbauer sich sehr bemühte, gelang ihm die erforderliche Konzentration nicht. Er konnte sich einfach nicht länger gegen das Stimmengeräusch, das durch die nur angelehnte Tür aus dem großen Vorzimmer drang, abschirmen. Schließlich gestand er sich die Vergeblichkeit dieses Bemühens ein. So genau er den Toten betrachtete, so unaufmerksam hatte er zuvor, als er durch den Vorraum ging, die Menschengruppe, die dort stand, wahrgenommen, eine Menschengruppe, die nur aus Frauen bestand: aus weinenden und aufgeregt sprechenden Frauen, die in für Karl Winterbauer befremdlichen, formlosen bunten Kleidern steckten und denen er sich nur kurz vorgestellt hatte. Jetzt schob sich diese Gruppe entschlossen in das Zimmer, in dem der Tote lag, und eine der Frauen wandte sich in einem offensichtlich geschulten Befehlston an ihn: »Herr Inspektor, Sie brauchen uns hier doch nicht. Unsere Freun9

din muss sich jetzt zurückziehen, und wir werden sie in ihr Zimmer begleiten.« Karl Winterbauer wandte sich der Sprecherin unwillig zu: »Ja, tun Sie das. Aber bleiben Sie alle im Haus. Ich muss mit jeder von Ihnen sprechen.« Während sich drei von ihnen mit der weinenden Frau zurückzogen, erzwang die Wortführerin der Gruppe erneut seine Aufmerksamkeit: »Das wird nicht gehen. Ich werde das Haus verlassen. Ich muss eine Reise vorbereiten, die ich morgen früh antreten werde. Das duldet keinen Aufschub. Guten Tag, Herr Inspektor.« Sie wandte sich zum Gehen um und verließ das Zimmer. Winterbauer ging ihr nach und richtete erst jetzt seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf die selbstsichere Frau, die sich da gerade von ihm verabschiedet hatte. Sie mochte Mitte oder Ende 30 sein wie auch die andern vier Frauen, die inzwischen bereits die breite Steintreppe hinaufstiegen, drei von ihnen sich liebevoll um die vierte, wahrscheinlich die Witwe des Toten, kümmernd. »Es tut mir leid«, sagte er verbindlich, »aber Sie werden sich schon die Zeit zu einer Unterredung nehmen müssen. Und diese Unterredung findet dann statt, wenn ich es für richtig halte.« Winterbauer wandte sich wieder der Tür zu, während er auf die seiner Ansicht nach unausweichliche Replik der selbstsicheren Frau wartete. Als sie nichts erwiderte, drehte er sich fast zufrieden noch einmal um, nur um sehen zu müssen, wie in ihrem Gesicht ein leichtes Lächeln auftauchte, dessen Ironie sie jetzt mit einem angedeuteten Knicks unterstützte, wobei sie scheinbar ergeben sagte: »Da werde ich mich wohl fügen müssen.«

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Wenn es nicht angesichts des Anlasses ihrer Unterredung völlig unangebracht wäre, würde er meinen, sie flirte mit ihm. Da ihm diese Vorstellung peinlich war, ließ er ihre zustimmende Antwort mit all ihren gestischen und mimischen Signalen unkommentiert und wandte sich wieder dem Tatort zu. Doch er musste feststellen, dass er sich nach diesem Zwischenfall noch weniger so konzentrieren konnte, wie es nötig war. Hoffentlich finden sie den Wiesinger bald, dachte er. Felix von Wiesinger war sein Assistent, und er hatte sich ihm in den letzten Monaten immer unverzichtbarer gemacht. Doch ihn außerhalb der Arbeit zu finden, war oft schwierig. Der junge Mann war sehr unternehmungslustig, ein Theater-, Musik- und Kunstfanatiker, ja, und auch ein Frauenfreund. Er konnte jetzt, am späten Sonntagnachmittag, überall sein: noch zu Hause, um sich für den Abend umzukleiden, oder schon in einem seiner zahlreichen Lieblingskaffeehäuser in der Inneren Stadt oder bei einem Heurigen, um mit einem oder zwei Achterln eines guten Weins und einem angeregten Gespräch seinen Sonntagabend einzuleiten. Natürlich konnte er auch – Winterbauer schaute auf die Uhr – gerade irgendwohin unterwegs sein, weil er zu einem Diner oder einem Ball eingeladen war. Da Winterbauer sich, ehrlich wie er war, eingestehen musste, dass die für ihn sonst so typische Konzentrationsfähigkeit heute versagte, beschloss er, sich jetzt doch den Frauen, die inzwischen irgendwo im ersten Stock sein mussten, zu widmen, als der Polizeiarzt eintraf. Es war Dr. Grünbein, ein äußerst gewissenhafter und genauer Fachmann, dem nichts entging. 11

»Wer ist der Tote?«, fragte Dr. Grünbein. »Ich wollte es mir gerade so richtig gemütlich machen, als ich hierher gebeten worden bin.« »Ich auch«, seufzte Karl Winterbauer. »Aber das sind wir ja inzwischen schon gewohnt, nicht wahr? Mörder sind immer zu Zeiten tätig, in denen ihre Jäger sich auf Untätigkeit einstellen, naja, einstellen möchten. Also am Abend oder in der Nacht, noch bevorzugter an einem Sonntagabend oder in der Sonntagnacht. Wie selten geschieht doch eigentlich etwas an einem normalen Tag, während unserer regulären Dienstzeit!« »Ja«, stimmte Dr. Grünbein zu. »Unsere Klienten verbergen sich überwiegend im Dunkel der Nacht.« »Vielleicht sind das ja Reste moralischer Empfindungen, bei einem Verbrechen die Sonne zu scheuen. Gut, dass unsere normalen Dienstzeiten dem nicht Rechnung tragen, sonst müssten auch wir alle nachts arbeiten.« Dr. Grünbein betrachtete den Toten. »Dabei ist es heute sogar richtig früh, noch nicht einmal richtig Abend. Und der da«, er wies auf den Toten, »schien ja sogar noch in seinem Nachmittagsschlaf überrascht worden zu sein. Wer ist es?« »Es ist Franz von Sommerau. Er ist Dozent an der Universität oder Privatgelehrter, das muss man noch genauer bestimmen. Schriftsteller auch. Er scheint recht vermögend zu sein, seine Familie besitzt eine Bank in Wien mit etlichen Filialen, auch außerhalb von Wien, die, glaube ich, sein älterer Bruder leitet. Es gab da mal im letzten Jahrhundert eine Geschichte, da hat ein Vorfahre der Sommeraubankiers einem Neffen oder Cousin des Kaisers, das weiß ich nicht mehr so genau, mit viel Geld ausgeholfen, das hat ihnen Renommee eingebracht und auch das kleine von in ihrem Namen.« 12