Chemie & Wirtschaft

27.02.2003 - Nur wenige Manager sind bereit, dieses Risiko zu tra- ... zugen. Der Trade-Sale-Exit von Finanzinvestoren an einen strategischen Käu- .... o Exits in anderen Finanzmärkten wie z.B. USA oder Asien sind ohne echte re-.
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Chemie & Wirtschaft – Jahrgang 2 • Ausgabe 1 • Februar 2003

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Chemie & Wirtschaft E-Journal der GDCh-Fachgruppe Vereinigung für Chemie & Wirtschaft Liebe Leserinnen und Leser, Chemie & Wirtschaft ist das offizielle Publikationsorgan der GDCH-Fachgruppe Vereinigung für Chemie & Wirtschaft, welches in Zukunft über die Fachgruppe berichten und Ihren Mitgliedern und Freunden ermöglichen wird, sich auszutauschen und aktuelle Themen zu diskutieren. Um den administrativen Aufwand möglichst gering zu halten, haben wir uns entschlossen, diese Publikation als E-Journal zu konzipieren, welches nur in elektronischer Form per E-Mail versand wird. Wir haben Chemie & Wirtschaft ganz bewusst nicht als Newsletter bezeichnet, da wir unseren Lesern nicht nur aktuelle Informationen vermitteln, sondern auch Autoren die Möglichkeit geben wollen, Fachbeiträge zu veröffentlichen und so einem breiteren Publikum zur Diskussion zu stellen. Wir hoffen, dass diese Publikation auf möglichst großes Interesse stößt. Der Bezug ist übrigens unabhängig von einer Mitgliedschaft in unserer Fachgruppe oder der GDCh möglich. Eine E-Mail an [email protected] genügt und Sie werden in den E-MailVerteiler aufgenommen. Beste Grüße

Dr. Michael Baumann

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Fach- und Diskussionsbeiträge sind immer willkommen. Bitte senden Sie diese per E-Mail an [email protected]. Bitte beachten Sie, dass aus organisatorischen Gründen nur Beiträge berücksichtigt werden können, die in elektronischer Form eingesendet werden. ISSN 1619-6449 (E-Mail-Version) ISSN 1619-6457 (Internet-Archiv-Version)

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Inhaltsverzeichnis Neuigkeiten aus der VCW .........................................................................................5 Diskussionsrunde "Buyouts in der Fein- und Spezialitätenchemie" der Vereinigung für Chemie & Wirtschaft am 2.12.2002 bei Lonza in Basel ......................................5 Teilnehmer .....................................................................................................................5 Zusammenfassung .........................................................................................................6 Unterschiede Spezial-Chemie und Commodities ............................................................6 MBO-Unternehmen als einzige Unternehmensform........................................................6 Incentive-Struktur ...........................................................................................................7

Diskussionsrunde "Exit-Strategien" der Vereinigung für Chemie & Wirtschaft am 27.2.2003 bei der Dechema in Frankfurt..................................................................8 Teilnehmer .....................................................................................................................8 Beiträge ..........................................................................................................................9 Zusammenfassung .........................................................................................................9 Ausgangssituation ..........................................................................................................9 Exit-Optionen für Buyouts.............................................................................................10 Aktuelle Marktentwicklungen ........................................................................................10 Der Exit muss schon vor der Transaktion volle Beachtung finden.................................11 Exit-Erfolgsfaktoren ......................................................................................................12

„Produktion und Information - Integration, Wertschöpfung, Potenziale“, Workshop der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft am 6.2.2003 in Frankfurt ..................13

Fach- und Diskussionsbeiträge .............................................................................16 Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes zur Bewertung von FuEProjekten bei Aventis .............................................................................................16 Managementwissen für Chemiker - Teil 2: Portfolioanalysen ................................18 Einleitung......................................................................................................................18 Strategische Geschäftsfelder und Portfoliomanagement ..............................................18 Klassische Marktportfolios ............................................................................................20 Boston Consulting Group Matrix ...................................................................................20 Business Screen...........................................................................................................21 Technologieportfolios....................................................................................................22

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Portfoliomatrix nach Pfeiffer..........................................................................................23 S-Kurven-Konzept ........................................................................................................24 Verbindung von Markt- und Technologieportfolios ........................................................24 Zusammenfassung und Fazit........................................................................................25

Historical Evolution and Actual Trends of the Global Chemical Industry................27 Historical Evolution .......................................................................................................27 A Truly Globalized Industry...........................................................................................29 Fragmentation and Complexity of the Industry Structure ..............................................32

Produktentwicklungs- und Markteinführungsstrategien in High-Tech-Branchen ....35 Einleitung......................................................................................................................35 Besonderheiten von High-Tech-Branchen ....................................................................36 Produktentwicklungs- und Markteinführungsstrategien .................................................37 Fazit .............................................................................................................................40

Integrierte Service- und Dienstleistungskonzepte in der Spezialitätenchemie .......43 Einleitung......................................................................................................................43 Integrierte Service- und Dienstleistungskonzepte .........................................................45

Impressum ...............................................................................................................48

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Neuigkeiten aus der VCW Diskussionsrunde "Buyouts in der Fein- und Spezialitätenchemie" der Vereinigung für Chemie & Wirtschaft am 2.12.2002 bei Lonza in Basel Von Markus Piduhn und Gunter Festel

Teilnehmer o John Cheesmond, Partner (Schroder Ventures Life Sciences) o Günther Eberhard, KPMG Fides (Senior Manager)* o Dr. Christoph von Einem, Haarmann, Hemmelrath & Partner (Partner) o Walter Eschenmoser, Lonza Group (Member of the Management Committee) o Dr. Gunter Festel, Festel Capital (Gründer und Inhaber; ab 1.4.2003)* o Martin Frey, ehemaliger Executive Director bei Lehman Brothers o Dr. Karsten Grünke, KPMG DTG (Manager)* o Dr. Peter Haug, Cell Consulting (Senior Consultant)* o Dr. Urs Hofmeier, Solvias (VP Business Development) o Dr. Stephan Klotz, Ciba Specialty Chemicals (Leiter Strategische Planung Polymeradditive) o Dr. Marc New, Lonza Group (Leiter Unternehmensentwicklung) o Andreas Mader, Dow Europe (Global Commercial Director Synthetic Rubber) o Bernhard Mayer, Ciba Specialty Chemicals (Deputy Head M&A) o Dr. Markus Piduhn, Arthur D. Little Deutschland (Consultant)* o Dr. Peter Pollak, ehemaliger Leiter Feinchemie bei Lonza o Steffen Rüdiger, Arthur D. Little Deutschland (Manager)* o Hagen Schulte, Legal & General Ventures (Director) o Jörg Sellmann, Degussa (Leiter M&A) o Thomas Spinner, Advent International (Investment Director) o Henri Steinmetz, Great Lakes Chemical Corp. (Vice President) o Peter Wilkes, Air Products (Business Manager Amines & Derivatives) o Dr. Jim Wishart, Dow Deutschland (Business Development Leader Performance Chemicals)

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o Dr. Thomas Wisser, Siemens Axiva (Leiter Business Unit Pilot Plants) o Dr. Sabine Zeyss, Merck (Corporate M&A) * Organisationsteam

Zusammenfassung o Für Finanzinvestoren gibt es keinen relevanten Unterschied zwischen den einzelnen Chemie- bzw. Pharma-Segmenten. Die Zahlen (speziell Cash-flow) sind entscheidend. o In klassischen Unternehmen werden weiterhin andere Kenngrößen, neben der ausschließlichen Fixierung auf den Cash-flow, relevant bleiben. o Trotz vieler positiver Aspekte werden MBOs auch in Zukunft nur eine der möglichen Arten für Unternehmenstransaktionen bleiben. Aus Sicht der Industrie sind verschiedene Aspekte entscheidend bis ein Unternehmsteil für einen MBO zugänglich wird. o Die Incentive-Struktur und deren Gestaltung sind ein wesentlicher Bestandteil für die erfolgreiche Durchführung eines MBOs und kann wertvolle Anregungen für klassische Unternehmen liefern.

Unterschiede Spezial-Chemie und Commodities Aus Sicht der Finanzinvestoren gibt es geringe Unterschiede zwischen der Spezialund Feinchemie im Vergleich zur Basischemie. Die Auswahl erfolgt im Wesentlichen auf Basis der Cash-flow-relevanten Zahlen. Investitionen werden nicht mit Blick auf Zyklen bzw. die Prognostizierung von Zyklen durchgeführt. Die Anzahl der MBO-Unternehmen, die per IPO an den Markt gehen, ist klein (ca. 20%), weswegen auch „Dirty-Businesses“ die gleichen MBO-Chancen haben und die Attraktivität für den IPO-Markt nicht unbedingt im Fokus stehen muss. Bei einem MBO-Unternehmen ist der Cash-flow das entscheidende Kriterium, während in klassischen Unternehmen Bilanzkennzahlen, EBIT-Werte und Gearing weiterhin eine entscheidende Rolle spielen werden.

MBO-Unternehmen als einzige Unternehmensform Hypothese: MBOs sind die einzige Unternehmensform, in der eine nach Kennzahlen ausgerichtete Unternehmensführung mit adäquater Entlohnung des Managements möglich ist, die auch noch schnell auf Veränderung reagieren kann. Warum gibt es dann nicht sehr viel mehr MBOs bzw. wird es dann in Zukunft nur noch MBOs geben?

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Innerhalb der Großunternehmen wird es weiterhin möglich sein, Synergie zu realisieren, die selbstständige Einheiten nicht erzielen können. Deswegen ist die Anzahl der Unternehmen, die einen MBO ermöglichen, stark limitiert. Private Equity-Firmen werden bei einigen Unternehmen Schwierigkeiten haben, die in der Chemie- und Pharma-Industrie bestehende Komplexität zu beherrschen. Je weiter vorne das Unternehmen innerhalb der Wertschöpfungskette plaziert ist, desto eher wird es für einen Buyout geeignet sein. Nicht vergessen werden sollte auch, dass Buyouts risikoreich sind. Nicht jeder Buyout ist ein Erfolg und er ist auch für das Managementteam mit einem hohen persönlichen Risikofaktor verbunden. Nur wenige Manager sind bereit, dieses Risiko zu tragen und verfügen außerdem über die notwendigen Fähigkeiten. Sehr kontrovers wurde das Thema Neid diskutiert. Einige Teilnehmer sehen innerhalb der etablierten Unternehmen, die einen Unternehmensteil per MBO veräußern könnten, Neid als eine wesentliche Hürde. Die hohen Gewinnmöglichkeiten führen dazu, dass man den ehemaligen Kollegen diesen Ertrag nicht gönnt und deswegen den Austritt aus dem Unternehmensverbund verwährt. Andere Teilnehmer sehen dies zwar als Aspekt, aber nicht als Hürde für die Entscheidung im Topmanagement. Berücksichtigt werden müssen auch die alternativen Methoden zur Portfoliooptimierung, die für die klassischen Unternehmen auch in Zukunft eine dominante Rolle spielen werden. Sollte ein strategischer Käufer am Markt sein, sind Trade-Sales aus Sicht der Industrie im Allgemeinen bevorzugt.

Incentive-Struktur Der größte Hebel zur Motivation des Managements bleibt die Equity-Beteiligung und deren Ausrichtung auf Kenngrößen. Hier können klassische Unternehmen auch von MBOs lernen, was zum Teil auch geschieht. Die Equity-Beteiligung sollte allerdings dem oberen Management vorbehalten sein und eine Verwässerung der Anteile vermieden werden (ca. 7-10 Beteiligte). Bei einer größeren Gruppe von Beteiligten werden die Entscheidungsprozesse deutlich verlangsamt und die rechtliche und vertragliche Situation nimmt an Komplexität stark zu. Für das mittlere Management bzw. die Mitarbeiter bleiben eine Reihe von alternativen Instrumenten zur Incentivierung offen, die auch genutzt werden sollten. Im Anschluss an einen MBO ist eine deutliche Bewusstseinsänderung festzustellen: „Der investierte bzw. ausgegebene Euro ist der eigene Euro“. Des Weiteren ist es in den neuen Strukturen möglich, schnelle Entscheidungen zu treffen - ein Aspekt, den viele Manager in etablierten Unternehmen vermissen.

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Diskussionsrunde "Exit-Strategien" der Vereinigung für Chemie & Wirtschaft am 27.2.2003 bei der Dechema in Frankfurt Von Klaus Alberti und Gunter Festel

Teilnehmer o Dr. Klaus Alberti, Arthur D. Little Deutschland (Manager)* o Ronald Ayles, 3i Deutschland (Investment Executive) o Thomas Berner, Stern Stewart (Vive President) o Dr. Andreas Brockmeyer, Infraserv (Leiter Standortmarketing) o Dr. Andreas Bruns, Henkel (VP Building Adhesives International) o Stefan Constantin, CH Reynolds Luchterhand (Partner/Direktor) o Martin Cornelius, Stern Stewart (Senior Consultant) o Dr. Thomas Costa, Coventya (President) o Günther Eberhard, KPMG Fides (Senior Manager)* o Dr. Gunter Festel, Festel Capital (Gründer und Inhaber; ab 1.4.2003)* o Dr. Markus Göbel, Novartis Pharma (Head M&A) o Dr. Clemens Grambow, Degussa (Leiter Unternehmensentwicklung) o Dr. Heinz-Hermann Greve, Bayer (Leiter Materialforschung) o Dr. Karsten Grünke, KPMG DTG (Manager) o Dr. Martin Jager, Celanese (VP Innovation) o Jana Kitzmann, European Business School (Assistentin am Lehrstuhl für Bank- und Finanzmanagement) o Dr. Wilhelm Lambert, Bayer (General Manager PU) o Dr. Peter Lockowandt, Rütgers (Leiter Recht/Versicherungen) o Frank Löhner, Credit Suisse First Boston (Vice President) o Andreas Mader, Mader Consulting (Inhaber) o Paul Miller, Bakelite AG (CEO) o Dr. Gerhard Obernosterer, Dystar (Leiter Stab) o Steffen Rüdiger, Arthur D. Little Deutschland (Senior Manager)* o Prof. Dr. Dirk Schiereck, European Business School (Inhaber des Lehrstuhls für Bank- und Finanzmanagement) o Henri Schlömer, Clariant Deutschland (CFO)

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o Dr. Volker Schlüter, Triplan (Vorstand) o Karlheinz Schmelig, 3i Deutschland (Investment Executive) o Stefan Sommer, Ticona (Geschäftsführer) o Martin Strässer, AEA Investors (Vice President) o Stefan Stülpnagel, BASF (Strategische Planung) * Organisationsteam

Beiträge o Martin Cornelius (Stern Stewart): Studie „Wertsteigerung in der chemischen Industrie“ o Günther Eberhard (KPMG): Considerations on Exit Strategies for Private Equity Houses invested in the Chemical Industry o Prof. Dr. Dirk Schiereck (European Business School): Moderne Exitstrategien aus Sicht der Wissenschaft o Dr. Gunter Festel (Festel Capital): Neue Kooperationsmodelle zwischen Industrie und Finanzinvestoren als Grundlage innovativer Exit-Strategien

Zusammenfassung o Buyout-Transaktionen werden weiterhin durchgeführt. Nach einem verhaltenen Start in 2002 sind in Q4 auch einige größere Transaktionen durchgeführt worden. o Bedingt durch die schwierige Situation an den Kapitalmärkten verlängern sich derzeit die Haltezeiten durch Finanzinvestoren. o Strategische Käufer scheinen immer noch den direkten Weg (M&A) zu bevorzugen. Der Trade-Sale-Exit von Finanzinvestoren an einen strategischen Käufer findet nicht sehr häufig statt, obwohl damit Vorteile verbunden sind. o Der Secondary Buyout wird nach Expertenmeinung an Bedeutung zunehmen.

Ausgangssituation Der Transaktionsmarkt in der chemischen Industrie hat sich generell von einem käufergetriebenen, auf Wachstum ausgerichteten Markt zu einem verkäufergetriebenen Portfolio-Restrukturierungsmarkt gewandelt. Treibende Kraft hinter den Verkäufen sind in erster Linie Portfoliobereinigungen und, in zunehmendem Maße, die Reduzierung von Schuldenbelastungen.

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Insgesamt sind in 2001 und auch 2002 in ungefähr gleicher Größenordnung rund ¼ der Transaktionen in der chemischen Industrie von Private Equity-Investoren durchgeführt worden. Nach wie vor ist auf der Finanzinvestorenseite ausreichend Kapital für Investitionen vorhanden. Trotzdem wird eine weitere Beruhigung des Transaktionsmarktes erwartet, denn auf mittelfristig absehbare Zeit sind kaum attraktive ExitOptionen realisierbar. Da die Anzahl der Investments konstant über der Anzahl der Exits liegt, baut sich langsam ein Exit-Druck auf.

Exit-Optionen für Buyouts o Trade Sale: Bevorzugter Exit, i.d.R. Teil strategischer Unternehmensentwicklung. Durch Synergieeffekte können höhere Preise erzielt werden. o IPO: Typischerweise eher größere Transaktionsvolumina (> 1 Mrd. Euro), aber nur wenige aktuelle Beispiele. Die IPO-Kosten sind tendenziell höher als die Kosten bei einem bei Trade Sale. o Secondary Buyout: In Einzelfällen z.B. bei Unternehmenszusammenführungen gut durchführbar, insbesondere wenn der Secondary Buyer einen besseren Fit zu dem Engagement hat und besser zur Wertsteigerung beitragen kann bzw. eine längere Haltezeit besser zum Geschäftsmodell passt. Oft entstehen komplexe Situationen, die nicht einfach als Win-Win für alle Beteiligten darstellbar sind. o Debt for equity swap: „Emergency Exit“ o Totalabschreibung: Spielt hauptsächlich bei Venture Capital-Investments eine Rolle.

Aktuelle Marktentwicklungen Entry-Barrieren spielen zurzeit eine untergeordnete Rolle für die Transaktionsaktivitäten. Entscheidend für die nächsten 3-5 Jahre sind die Exit-Barrieren. Neben dem klassischen Exit nach einer mittelfristigen Haltefrist von rund 5 Jahren zur Realisierung der Wertsteigerung für den Investor gibt es zunehmend Modelle mit deutlich längerfristiger Beteiligung, bis hin zu Finanzholding-ähnlichen Strukturen. Zwischen der kurzfristigen und den deutlich längerfristigen „Holding“-Beteiligungen, existiert zurzeit ein ausgeprägtes Kontinuum, vorwiegend durch die schwierige Situation an den Finanzmärkten geprägt. Bei zunehmender Besserung der gesamtwirtschaftlichen Lage und der Kapitalmarktsituation ist allerdings zu erwarten, dass sich die Beteiligungsmodelle wieder deutlicher differenzieren werden. Neben den traditionellen Buyout-Modellen sind neue, innovative Buyout-Modelle denkbar; z.B. kann das Buyout-Instrument zur Unterstützung des klassischen M&A-

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Geschäfts praktisch als definierte Partnerschaft eingesetzt werden. Der Finanzinvestor rückt dadurch näher an die Rolle eines strategischen Investors.

Traditionelle M&A-Transaktionen Chem Comp A Fine chemicals

Elastomers

"Buyout-unterstützte” M&A-Transaktionen

Chem Comp B Paints & coatings

Paints & coatings

Fibres

Chem Comp A Fine chemicals

Elastomers

Chem Comp B Paints & coatings

Paints & coatings

Chem Comp A Fine chemicals

Elastomers

Paints & coatings

Elastomers

Paints & coatings

Fibres

Chem Comp A Paints & coatings

Fibres

Chem Comp B

Chem Comp A Fine chemicals

Finanzinvestor

Fine chemicals

Elastomers

Fibres A

Fibres B

Chem Comp B Paints & coatings

Fibres A

Fibres B

Abbildung: Durch innovative Kooperationsmodelle lassen sich M&A-Transaktionen vereinfachen Praktische Beispiele gibt es dazu bislang noch nicht, jedoch zeigte die Diskussion, dass die „ausgelagerte Turaroundabwicklung“ bzw. die Industrierestrukturierung mit aktiver Beteiligung eines Finanzinvestors aus Industriesicht durchaus attraktiv erscheint. Die Wertsteigerung und die Exit-Optionen für den Finanzinvestor sind geringer als beim exklusiven Engagement, dafür ist die Exit-Realisierung für einen deutlichen Teil des Engagements schon klar vorgezeichnet. Die Erfolgswahrscheinlichkeiten solcher Transaktionen sind hoch einzuschätzen.

Der Exit muss schon vor der Transaktion volle Beachtung finden Auf der Finanzinvestorenseite sind die Erfolgsfaktoren bei Transaktionen im Chemiebereich sehr eng mit der guten Kenntnis des Geschäftsumfeldes verknüpft. Ohne relativ detaillierte Kenntnis des Chemieumfeldes ist der „echte“ Unternehmenswert nur schwer einzuschätzen. Eine rein finanzkennzahlengesteuerte Unternehmensführung ist in der Chemie nur schwer darstellbar. Auch Finanzinvestoren müssen industrietypische, strategische Aspekte berücksichtigen, ganz besonders, wenn sich die Halteperioden, wie gerade zu beobachten, deutlich verlängern. Auch müssen für eine überdurchschnittliche Wertentwicklung neben der Kostenseite auch die Wachstums-

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optionen geschickt genutzt werden - nicht zuletzt in einer Weise, die einen Exit erleichtert. Für einen IPO muss eine kritische Größe erreicht werden und das Geschäft muss in der Lage sein, sich profitabel weiter entwickeln zu können. Neben einem IPO sollte in jedem Fall auch die Attraktivität eines Trade Sale als Exit geprüft werden. Bei einem Trade Sale sollte die Struktur für einen potenziellen Käufer insbesondere eine starke Geschäftsfeldergänzung darstellen. Mögliches Kostensenkungspotenzial durch Nutzung von Synergien ist deutlich weniger attraktiv, denn damit muss der Käufer stark in Abbaumaßnahmen, die Integration von Kern- und Verkauf von Nicht-Kerngeschäft engagieren. Insgesamt finden Akquisitionen und Buyouts in der chemischen und pharmazeutischen Industrie im Vergleich mit anderen Industrien, z.B. die Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie, nicht sehr häufig statt. Insofern besteht für die meisten Industriemanager für die professionelle Abwicklung von M&A und Buyout-Transaktionen ein Erfahrungsdefizit und Lernbedarf. Die klassische Fehlerkombination für wenig erfolgreiche Transaktionen bei einem Trade Sale ist jedoch fast immer ein zu hoher Kaufpreis, in Verbindung mit zögerlicher und nicht alle Aspekte berücksichtigender PostMerger-Integration. Auch bei der momentan schwierigen Exit-Situation und den damit verbundenen längeren Haltezeiten ist es unumgänglich, die akquirierten Firmen erfolgreich weiter zu entwickeln. Firmen in einem Buyout fühlen sich nach eigener Aussage durchweg sehr wohl, insbesondere weil: o die Entscheidungsgeschwindigkeit zunimmt, o mehr Freiräume hinsichtlich weiterer Investitionen und Akquisitionen vorhanden sind, o die hohe, persönliche Beteiligung des Top-Managements an den Firmen die Identifikation mit dem Unternehmen und das unternehmerische Denken fördert.

Exit-Erfolgsfaktoren Die Größe der Beteiligung und die industrietypische Zyklizität sind für den Exit-Erfolg als Rahmenbedingungen entscheidend. Kleinere Deals können im auch in einem nicht optimalen wirtschaftlichen Umfeld an strategische Investoren gehen, größere Deals haben als Exit praktisch nur den IPO. Bei der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in Europa, USA und Asien (insbes. China) investieren viele der größeren Unternehmen aus strategischen Gründen in

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den asiatischen Wachstumsregionen in Produktionsanlagen anstelle in Firmenkäufe, d.h. es findet zurzeit auch eine Verlagerung der Investitionsströme statt. Unter diesen Rahmenbedingungen verlangsamt sich auch das M&A-Geschäft im Chemiebereich zurzeit merklich. Umgekehrt ist ein Exit an asiatische Investoren kaum denkbar. Asiatische Investoren, insbesondere strategische Chemie-Investoren investieren bei den gegenwärtigen Wachstumsraten und Marktbedingungen fast ausschließlich direkt im asiatischen Markt. Neben diesen Rahmenbedingungen zeichnen sich die folgenden Trends ab: o Die Haltezeiten werden auf absehbare Zeit nicht abnehmen. o Der Secondary Buyout wird insbesondere auch bei den kleineren Beteiligungen wahrscheinlich an Bedeutung zunehmen. Damit findet de facto eine Verlagerung der Assets von kurzfristig orientierten Investoren zu langfristig orientierten Investoren statt. o Für kleinere Unternehmen sind „Randaktivitäten“ der größeren Firmen durchaus attraktiv. Dieser Konsolidierung hat (noch) ein Schattendasein und wird an Bedeutung zunehmen. o Ein gewisser Anteil wird auch in Zukunft keinen Exit realisieren können. o Exits in anderen Finanzmärkten wie z.B. USA oder Asien sind ohne echte regionale (Neu-) Ausrichtung auf diese Märkte unglaubwürdig und werden vom Markt nicht angenommen.

„Produktion und Information - Integration, Wertschöpfung, Potenziale“, Workshop der Vereinigung für Chemie und Wirtschaft am 6.2.2003 in Frankfurt Die computerintegrierte Fabrik (CIM) war ein Traum der ausgehenden 70er Jahre, der schnell an technischen Barrieren gescheitert ist. Gerade vor ein paar Monaten erst haben wir die Enttäuschung der New-Economy-Blase erlebt. Neben diesen publicityträchtigen Übersteigerungen geht aber im Stillen die Entwicklung von Produktionstechnologien durch den Einsatz von Informationsverarbeitung kontinuierlich, in kleinen Schritten, letztlich aber irreversibel weiter. Die Probleme, die unterwegs zu bewältigen sind, wurden in einem Workshop der VCW in Frankfurt beleuchtet. Der Zugang zu Schlüsseltechnologien und ihre frühzeitige und zielgerichtete Umsetzung bzw. Anwendung sind kritische Erfolgsfaktoren der Geschäftsentwicklung. Der Informationsfluss ist dabei zu einem strategisch zu beherrschenden Prozess wie der des Material-, Energie- und Geldflusses geworden.

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Die tatsächliche Nutzung neuer Technologien, ganz konkret in der Produktion und angrenzenden Bereichen, ist aber sehr viel langsamer und schwieriger, als die darum entstandene Industrie an Anbietern und Dienstleistern glauben machen wollen. Für viele in der Industrie tätige ChemikerInnen und Ingenieure ist die ständige Überprüfung der eigenen Strategien und Projekte in diesem Bereich extrem wichtig geworden, unbeeinflusste Information ist aber schwer zu bekommen. Ein permanenter Diskurs über die Technologieentwicklung ist daher unabdingbar. Dr. Reinhard Stober, Leiter der Forschung und Anwendungstechnik in dem Geschäftsbereich Füllstoffsysteme und Pigmente der Degussa AG, der den Workshop gesponsert hat, erläuterte in einem Einführungsvortrag die Positionen der Degussa und des GBs beim Innovationsmanagement im Bereich der Spezialchemie. Besonders deutlich wird die enge Verknüpfung von Produkt- und Prozessinnovation, wenn es um die Feinsteuerung der Eigenschaften von Stoffen geht, die in vielen Fällen bereits lange bekannt sind. Vom wissenschaftlichen Standpunkt beleuchtete Dr. Leon Urbas, Zentrum MenschMaschine-Systeme an der TU Berlin, das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie: Sind die viel zitierten Produktivitätszuwächse durch IT-Einsatz nachzuweisen? Letzten Endes bejahen empirische Studien dies, aber es gibt die retardierenden Momente. In jedem Fall gab es genug Optimismus, die weiteren Vorträge mit Interesse zu verfolgen. Die Diskussion im Teilnehmerkreis sprach unter anderem die Frage der Nachhaltigkeit von Investitionen in der IT an, also die mit den raschen Entwicklungssprüngen gekoppelten Probleme des permanenten Nachziehens von Software-Versionen, der Pflege von Schnittstellen und dem Wunsch nach ruhigen Zeiten des Paybacks. Den schnellen Entwicklungszyklen stehen dabei die allgemein erfahrenen Gewöhnungszeiten von Personal und Organisation gegenüber. Wenn der letzte verstanden hat, was die neue Software wirklich bringt, ist sie schon längst wieder veraltet. Ein weiteres retardierendes Moment ist die Komplexität der miteinander vernetzten Geschäftsprozesse, die weit davon entfernt sind, in der Realität sich so schön linear wie auf vielen Folien von Beratern gezeigt, zu verhalten. In der täglichen Praxis folgt kein Blockpfeil dem nächsten von einem Anfangspunkt zu einem Endpunkt. Und auch das Aufeinandertürmen von Schichten zu hübschen Pyramiden hilft nicht immer wirklich weiter. Manfred Gahr, Geschäftsführer der Provis GmbH, zeigte an einem Beispiel aus der Produktion wichtige Implementierungserfahrungen bei der Einführung der sogenannten Middleware, die die Lücke zwischen der Feldebene und den Prozessleitsystemen auf der einen Seite und den ERP-Systemen auf der anderen Seite schließen soll.

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Ein anderes retardierendes Moment ist die Sprache, mit der sich interdisziplinär ITEntwickler, Verfahrentechniker, Regelungstechniker, Logistiker und Fachleute aus angrenzenden Bereichen unterhalten sollen. Zur Beschreibung von IT-Projekten müssen heute noch immer sehr umfangreiche Lasten- und Pflichtenhefte gegenübergestellt werden. Abhilfe könnte ein von Felix Anhäuser aus dem Kreis der NAMUR vorgestelltes Instrument, das Funktions- und Informationsdiagramm, schaffen, zumindest teilweise. Es lehnt sich an das bekannte R&I-Fließbild an, welches das Verfahren, das Equipment und die Instrumentierung darstellt. Der Ansatz ist, bestimmte informationsverarbeitende Funktionen standardisiert darzustellen und so den überschaubaren Bereich zum Beispiel einer Produktionslinie oder Anlage transparent und handhabbar zu machen. Dieses Instrument sollte sicherlich die Aufmerksamkeit sowohl der Praktiker als auch der Forschung haben. Die Teilnehmer waren sich in der Diskussion einig, dass dies ein echter Durchbruch bei der Projektierung und Implementierung von IT wäre. Sehr an der Praxis orientiert war auch der abschließende Vortrag von Dr. Markus Gerle, Senior Consultant bei der Mummert Logistics Solutions GmbH, der die Wechselwirkung zwischen Instandhaltung und Betrieb einer Anlage auf dem Hintergrund von SAP R/3 erläuterte. Erneut unterstrich er, dass zunächst einmal die eigene Organisation, sprich die Stammdaten, in Ordnung sein müssen, um die volle Wirksamkeit der Programme zu erhalten, dass aber dann in der Tat erhebliche Potenziale zu heben sind. Dass dies auch von den Entwicklern, hier SAP, nicht immer bis in die letzte Konsequenz verfolgt und daher unterstützt wird, ist natürlich nicht anders zu erwarten, aber gut zu wissen. Fazit ist: Der Zug zur Datenintegration und zu hochvernetzten integrierten Geschäftsprozessen macht vor der Produktion in der chemischen Industrie auch bei rustikalen Prozessen nicht halt, sondern es gilt, die vorhandenen Potenziale zu heben. Die ganze Sache ist nur ungleich komplexer, als es eingangs oft aussieht. Dennoch kann die konsequente Nutzung der Potenziale der europäischen Chemieindustrie klare Wettbewerbsvorteile sowohl auf der Kostenseite als auch bei Produkt- und Prozessinnovationen verschaffen. Eine praxisorientierte interdisziplinäre Forschung, die sich vom großen Gestus der Beratungsbranche nicht verwirren lässt, muss dabei eine stark unterstützende Rolle spielen.

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Fach- und Diskussionsbeiträge Überprüfung der Eignung des Realoptionsansatzes zur Bewertung von FuE-Projekten bei Aventis Von Harald Pacl Unternehmen der Pharmaindustrie sind durch hohe FuE-Kosten (etwa 17 % des Umsatzes bzw. 250-500 Mio. Euro Kosten bis zum Markteintritt eines neu entwickelten Medikaments) und ein hohes technisches Risiko (Erfolgswahrscheinlichkeit eines Projekts 6.0 bn.

Specialty and performance products

Agrochemicals

Health and personal care

Oil and gas

*Pro forma for merged entities

Figure 8: Chemical companies by segment 1999 This complex structure makes it extremely difficult to manage firms within the industry. Bank analysts frequently complain about the quality of management in chemical firms. But this is mainly a consequence of the complexity within the old-fashioned structures rather than any lack of talent among the managers themselves.

Literature [1]

A. Arora, R. Landau, N. Rosenberg, Chemicals and Long Term Economic Growth, Wiley 1998

Key Words o Chemical Industry o Complexity o Fragmentation o Industry Structure

Autor Dr. Gunter Festel, Festel Capital, Schürmattstr. 1, CH-6331 Hünenberg, Mobil +41 796 527 112, E-Mail [email protected]

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Produktentwicklungs- und Markteinführungsstrategien in HighTech-Branchen Von Gunter Festel Einleitung Unter dem Begriff Technologie sind spezifische Kenntnisse, Fertigkeiten, Methoden und Einrichtungen zur Nutzung von naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnissen zu verstehen. Technologieorientierte Unternehmen sind entsprechend Unternehmen, die Produkte oder Prozesse mit einem hohen Grad an Know-how unter weitgehender Nutzung von neuesten Technologien entwickeln, produzieren und auf den Markt bringen. Die Erarbeitung technologischer Innovationen setzt technisches Wissen voraus, das durch Forschung und Entwicklung (F+E) gewonnen wird. Am Ende soll die Umsetzung einer für den Markt neuen Produkt- oder Verfahrensidee stehen. Vor allem High-Tech-Unternehmen stehen ständig unter dem Druck Innovationen auf den Markt zu bringen und weisen daher eine hohe Forschungsintensität auf. So beträgt in High-Tech-Branchen der prozentuale F+E-Aufwand in etwa das Doppelte des Industriedurchschnitts. Als High-Tech werden diejenigen Bereiche bezeichnet, in denen große Technologiesprünge zu verzeichnen sind. Dazu zählen beispielsweise die Mikro- und Optoelektronik, Informationstechnologien, neue Werkstoffe, Bio- und Gentechnologie und neue Verfahrenstechnologien. Die Abgrenzung von High-TechBranchen ist allerdings nicht einfach, da die Grenzen zu normalen Technologiebranchen fließend sind. Der besondere Stellenwert von High-Tech-Branchen zeigt sich in deren Bedeutung für die internationale Wettbewerbsposition vieler anderer Branchen. So ist eine führende Position der Unterhaltungselektronik, des Maschinenbaus oder der Kommunikationsindustrie ohne die Hochtechnologie der Mikroelektronikbranche nicht möglich. Genauso besitzt die Gentechnologie entscheidende Bedeutung für die chemische und pharmazeutische Industrie sowie die Nahrungs- und Genussmittelbranche. Das Marketing von etablierten Produkten besteht in erster Linie aus einer Nachfrageanalyse und -befriedigung, wobei die Zielgruppen und ihre Verhaltensweisen sich zwar mit der Zeit ändern, aber mit Hilfe der Marktforschung bestimmt werden können. Die Aufgabe der Marketingabteilungen ist es, mit Hilfe geeigneter Marketinginstrumente eine kundengerechte Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern zu erreichen. Bei der Bearbeitung von High-Tech-Märkten muss dagegen Marketing ganz anders gesehen werden [1]. Es treten spezielle Probleme der Beherrschung des raschen technischen Wandels auf und dadurch erlangen Schnelligkeit und Flexibilität ausschlaggebende Bedeutung für den Markterfolg. Trotz der speziellen Gegebenheiten auf High-Tech-Märkten beschränken sich viele Unternehmen, die mit In-

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novationen neue Marktpotentiale erschließen wollen, darauf, neue Produkte zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Dem gezielten Aufspüren und Ausschöpfen von Wachstumsquellen wird zwar große Aufmerksamkeit gewidmet, doch wird die Nachfrageseite oft vergessen. Der Markt reagiert dann zögernd oder ablehnend, da es nur unzureichend gelingt, den tatsächlichen Bedarf der potentiellen Kunden zu erkennen und ihnen den Nutzen neuer Produkte zu verdeutlichen. Im Rahmen dieses Artikels sollen daher ausgehend von diesen Problemen und den Besonderheiten von High-Tech-Branchen Produktentwicklungs- und Markteinführungsstrategien für High-Tech-Produkte diskutiert werden. Besonderheiten von High-Tech-Branchen Bei High-Tech-Märkten handelt es sich um Märkte, die sich in der Einführungsphase oder der schnellen Wachstumsphase ihres Lebenszyklus befinden. Sie sind zuerst durch langsames, später durch sehr rasantes Umsatzwachstum gekennzeichnet. Eine wesentliche Eigenschaft von High-Tech-Branchen ist der schnelle Technologiewandel. So sind bei Basis- und Schrittmachertechnologien immer kürzere Innovationszyklen zu beobachten und es kommt zum sogenannten Paradoxon des HighTech-Marketings, bei dem einer Entstehungszyklusexpansion eine Marktzykluskontraktion gegenüber steht [2]. Es besteht die Notwendigkeit, immer wieder neue Produkte zu schaffen und bei der Entwicklung und Vermarktung von Produkten geplant systematisch vorzugehen. Dennoch scheitert ein hoher Prozentsatz aller Produktinnovationen. Bezüglich des wirtschaftlichen Erfolges in High-Tech-Branchen ergeben sich damit als Folge des schnellen technologischen Wandels neben den großen Chancen auch beträchtliche Risiken. Die Unternehmen können zeitlich nicht einschätzen, wann F+E-Anstrengungen zu Ergebnissen führen. Es muss auch immer damit gerechnet werden, dass alle Bemühungen keine Ergebnisse zeigen. Falls beispielsweise technologische Innovationen schon bis zur Marktreife entwickelt wurden, besteht die Gefahr, dass diese durch F+E-Anstrengungen anderer Unternehmen veralten. Die Folge ist, dass Spitzentechnologie nicht automatisch Rentabilität garantiert. Tatsächlich sind viele Branchen der Spitzentechnologie aufgrund dieser Probleme weniger rentabel als manche Branche mit normaler Technologie [3]. Während beim konventionellen Konsumgüter- und Investitionsgütermarketing Produkte betrachtet werden, deren Bedarf schon erkannt wurde und deren Käuferkategorien schon festgesetzt sind, stellen viele neue Technologien zunächst Lösungen dar, für welche die Anwendungsmöglichkeiten noch gesucht und gefunden werden müssen. Für viele technologische Innovationen existiert noch gar kein Markt oder er ist erst in Ansätzen vorhanden. Häufig sind weder potentielle Kunden noch Wettbewerber bekannt. Für einige innovative Produkte ist noch nicht einmal deren genauer Einsatz- bzw. Anwendungsbereich festgelegt [4]. Die Folge ist ein Verschwimmen

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traditioneller Marktgrenzen mit gravierenden Auswirkungen auf die Abgrenzung des relevanten Absatzmarktes. Häufig kommt es zu Akzeptanzproblemen neuer Technologien und innovativer Produkte, da es zum Zeitpunkt der Einführung noch keinerlei Erfahrungen gibt und es den potentiellen Kunden an geeigneten Beurteilungskriterien zur Einschätzung des Nutzens innovativer Technologien und Produkte fehlt. So sind in der Regel noch keine Normen und Industriestandards als Anhaltspunkte vorhanden. Zudem ist der Produktlebenszyklus vieler Technologieprodukte äußerst kurz, so dass sich Investitionen oft nicht rentieren. Die Bereitschaft, solche noch mit Risiko behafteten Produkte zu kaufen ist aus diesen Gründen gering [5]. Die meisten Technologiemärkte zeichnen sich durch einen Trend zur Internationalisierung aus und das internationale Marktpotential ist oft erheblich größer als dasjenige auf den nationalen Märkten. Bei vielen Produkten wird der Break-Even-Point erst bei einer Stückzahl erreicht, für dessen Aufnahme der inländische Markt zu klein ist. Eine wirtschaftliche Produktion ist nur dann möglich, wenn der gesamte relevante Weltmarkt als Absatzmarkt genutzt wird [6]. Damit sind für viele Unternehmen sowohl auf der Wettbewerber- als auch auf der Nachfragerseite ausländische Märkte in der Regel von größerer Bedeutung als die einheimischen Märkte (Abb. 1).

• Einführungsphase oder schnelle Wachstumsphase des Lebenszyklus • Schneller Technologiewandel und hohe Forschungsintensität • Entstehungszyklusexpansion und Marktzykluskontraktion • Verschwimmen traditioneller Marktgrenzen • Akzeptanzprobleme neuer Technologien und innovativer Produkte • Trend zur Internationalisierung Abb. 1: Besonderheiten von High-Tech-Branchen Produktentwicklungs- und Markteinführungsstrategien

In High-Tech-Branchen ist durch deren Besonderheiten ein spezielles High-TechMarketing erforderlich, wobei die Einsicht "Denke strategisch, handle operativ" zunehmend an Bedeutung gewinnt [7]. Die Grundlage jeglicher Marketingaktivität sollte die strategische Unternehmensplanung sein. Dies gilt nicht nur für das High-TechMarketing, sondern ist allgemein der Grundsatz einer marktorientierten Unternehmensführung. Deren besondere Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Markt für innovative Produkte oft unbestimmt ist und damit die Notwendigkeit besteht, zunächst den Markt für eine bestimmte technologische Innovation genau zu

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definieren. Das Unternehmenskonzept sollte dabei die Aspekte der Technologie und des Marktes auf gleicher strategischer Ebene behandeln. Es muss im Rahmen der Gesamtunternehmung gelingen, günstige Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Verbindung der Aufgaben von F+E und Marketing zu schaffen [8]. Es genügt dabei nicht, sich auf eine Qualitäts- oder eine Kostenstrategie festzulegen. Es muss neben einer qualitätsorientierten Vorgehensweise eine darauf abgestimmte Kostensenkungsoptimierung durchgeführt werden. Gleichzeitig und mit gleicher Priorität muss die richtige Segmentierungsstrategie realisiert werden. Es müssen Problemfelder ausgemacht und nach Bedürfnisstrukturen segmentiert werden, auf die sich das Unternehmen mit seinem Know-how konzentrieren kann. Dabei muss auch die internationale Dimension von Technologiemärkten berücksichtigt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Timing des Markteintritts, da bei jungen Märkten die Zeit ein wichtiger strategischer Erfolgsfaktor ist. Ziel und Zeitpunkt des Markteintritts müssen im Rahmen einer Markteintrittsstrategie festgelegt werden. Bei den preispolitischen Strategien wird meist eine Hochpreisstrategie gewählt, da es bei Innovationen in der Regel an objektiven Vergleichsmaßstäben in Bezug auf das Preis-Leistungs-Verhältnis fehlt. In High-Tech-Branchen haben sich bei einer nachfrageorientierten Innovationspolitik im Rahmen einer absatzorientierten Führung eine ungenügende Langfristreichweite der Marktforschung sowie eine Beschränkung der Beschleunigung von Entwicklungsprozessen als Nachteile erwiesen, so dass zu einer angebotsorientierten Innovationspolitik übergegangen werden muss [9]. In erster Linie erfolgt dabei eine Orientierung am technischen Fortschritt und neben den Anforderungen vom Markt besitzen die Impulse aus der F+E entscheidende Bedeutung (Abb. 2).

Technologieaspekte

Marktaspekte

Abb. 2: Balance zwischen Technologie- und Marktaspekten Marketingstrategien müssen darauf abzielen, den schnellen Technologiewandel zu beherrschen. Das gegenwärtige beschleunigte Aufkommen neuer Technologien bedingt die Notwendigkeit eines Technologiemanagements. Die Analyse und das Erkennen von Technologietrends ist die grundlegende Voraussetzung, um rechtzeitig auf Folgetechnologien umstellen zu können [10]. Bei der Beurteilung von Technologien werden in der Regel eine Reihe von Fehlern gemacht [11]. So erfolgt die Suche nach der bestmöglichen Technologie und nicht nach einer Technologie, die gut ge-

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nug ist. Es ist die Erwartung anzutreffen, dass die meisten Innovationsbemühungen erfolgreich sein werden und die Entwicklung neuer Technologien zu größeren Hoffnungen berechtigt als die Weiterentwicklung vorhandener Technologien. Zudem besteht in der Regel die Zuversicht, dass die neuen Technologien vom Markt akzeptiert werden. Oftmals erweist sich dies aber als gravierender Fehler. Unübersehbar ist die weltweite Angleichung bei High-Tech-Produkten. Durch die zunehmende Durchsetzung technischer Normen werden technologische Produkte immer gleichförmiger. Den meisten Produkten fehlt ein signifikanter Vorsprung. Die Unterschiede zwischen den Produkten verschiedener Anbietern sind von den Kunden oft kaum zu erkennen. Damit haben die Hersteller Schwierigkeiten, ihre Produkte von der Technologie her zu differenzieren. Es ist daher Aufgabe des Marketings, für die Abnehmer wahrnehmbare Differenzierungen zwischen den Produkten zu schaffen, um sich von den Wettbewerbern abzuheben. Dabei ist die preisliche Differenzierung sehr gefährlich, da ein Preisvorteil von Konkurrenten am schnellsten zunichte gemacht werden kann. Zu beachten ist auch, dass Produkte und nicht Geräte differenziert werden sollten. In High-Tech-Branchen ist das einseitige Augenmerk vieler Unternehmen auf die Differenzierung ihrer angebotenen Geräte ebenso kostspielig wie unproduktiv. Da infolge der Tendenz der Angleichung die technischen Geräte nur mit sehr großem Aufwand von den Konkurrenzgeräten abgehoben werden können, ist das Augenmerk auf andere Wettbewerbsvorteile zu richten. Die potentiellen Anwender werden bei vergleichbaren Geräten diejenigen Produkte mit den besten Beziehungen zum Anbieter kaufen, so dass intensive Kundenbeziehungen eine äußerst wichtige Rolle im High-Tech-Marketing spielen [12]. Geht man noch einen Schritt weiter, so nimmt die Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse eine zentrale Position ein. Ein großer Fehler wird begangen, wenn Unternehmen ihre Aufgabe darin sehen, Produkte herzustellen statt Abnehmerbedürfnisse zu befriedigen [13]. Viele Unternehmen, auch in High-Tech-Branchen, sind zu sehr auf ihre Produkte fixiert. Vielen Unternehmen wurde zum Verhängnis, dass sich die optimale Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung gewandelt hat und sie diese Entwicklung versäumt hatten. Die Unternehmen müssen Kunden identifizieren, welche den Zielmarkt ausmachen und ihre Produkte konsequent an den Bedürfnissen der potentiellen Abnehmer ausrichten. Die technischen Verbesserungsmöglichkeiten, an denen im eigenen Unternehmen oder bei den Wettbewerbern gearbeitet wird, reichen dabei als Perspektive nicht aus. Die potentiellen Kunden müssen nach ihren Bedürfnissen gefragt und in den Produktentwicklungsprozess mit einbezogen werden [14]. Der zukünftige Kunde kennt seine eigenen Bedürfnisse und die Möglichkeiten zu deren Befriedigung oft nicht genau oder ist sich über die Qualität eines neuen Produktes nicht sicher. Denn gerade

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bei technologischen Innovationen fehlt es häufig an Beurteilungskriterien für ein Produkt. Es ist eine intensive Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Kunden notwendig und der potentielle Anwender muss in einen Prozess des Mitdenkens und Miterkennens einbezogen werden. Das technologieorientierte Unternehmen muss als Berater fungieren und gemeinsam mit dem Kunden dessen Probleme erkunden und analysieren [15]. Aus dem aktuellen Problembewusstsein sollten ein Bedürfnisbewusstsein und schließlich ein zukunftsorientiertes Nutzenbewusstsein werden. Die innovativen technischen Möglichkeiten müssen in Produkt- und Leistungskonzepte umgesetzt werden, so dass der größtmögliche Nutzen für den potentiellen Anwender entsteht. Die Verteilung von Serviceleistungen über längere Zeiträume sowie die wachsende Komplexität der Technik erfordern zudem dauerhafte und intensive Kundendienstbetreuung. Deren Qualität nimmt großen Einfluss auf die Entscheidung des Käufers beim nächsten Kaufvorhaben. Trotzdem wird Service und Kundendienst von vielen Technologieunternehmen vernachlässigt oder völlig ignoriert. Die Firmen müssen die Notwendigkeit erkennen, dass die Beziehungen zu ihren Kunden sorgfältig zu pflegen sind [16]. Fazit

High-Tech-Branchen weisen viele Besonderheiten auf und sind beispielsweise durch einen schnellen Technologiewandel gekennzeichnet. Zu beachten ist, dass vor allem mit der Markteinführung innovativer Produkte spezielle Probleme verbunden sind. Die neuen Produkte und deren Möglichkeiten sind den potentiellen Kunden nicht bekannt. Häufig existiert noch nicht einmal ein Markt und die Anwendungsmöglichkeiten müssen erst gesucht werden. Es treten zudem oft Akzeptanzprobleme bei den Abnehmern aufgrund der schlechten Abschätzbarkeit neuer Technologien und Produkte auf. Aus diesen Gründen ist ein spezielles High-Tech-Marketing erforderlich. Das Marketing für innovative Produkte erfordert eine grundlegende Bedürfnisanalyse und -interpretation. Das Ziel ist es, die der Nachfrage zugrunde liegenden Bedürfnisse zu erkennen, den Abnehmern diese zu verdeutlichen und neue Produktkonzeptionen als bedürfnisgerechte Lösungen zu entwickeln. Es ist dabei wichtig, eine andere Strategie als die Wettbewerber zu wählen, um die Bedürfnisse der Kunden besser zu erfüllen. Die Aufgabe der strategischen Unternehmensplanung ist die Verbindung von Technologie- und Marketingaspekten auf Gesamtunternehmensebene. Wegen der entscheidenden Bedeutung von Impulsen aus der Forschung muss eine Strategie der angebotsorientierten Innovationspolitik verfolgt werden. Durch intensive Zusammenarbeit mit den Kunden und gezielte Erkundung der Bedürfnisse muss eine Ausrichtung auf den Kunden erfolgen. Genauso wichtig ist die Einbeziehung der Anwender in den Entwicklungsprozess. Dabei muss gemeinsam mit dem Anwender ein Nutzenbewusstsein entwickelt werden. Von großer Bedeutung ist auch der Kunden-

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dienst, da die Qualität des Kundendienstes über weitere Kaufvorhaben der Kunden entscheidet (Abb. 3). • Strategie einer angebotsorientierten Innovationspolitik mit ausgewogener Balance zwischen Technologie- und Marktaspekten • Grundlegende Bedürfnisanalyse und -interpretation • Möglichst frühe Einbindung potentieller Kunden bei der Produktentwicklung • Konsequente Ausrichtung auf den Kunden durch Entwicklung eines gemeinsamen Nutzenbewußtseins • Kundendienst von großer Bedeutung

Abb. 3: „Grundregeln" des High-Tech-Marketings

Literatur [1]

Shanklin, W.L., Ryans, K.R.: Essentials of Marketing High Technology, Lexingon 1987

[2]

Meffert, H.: Marketingstrategien in unterschiedlichen Marktsituationen, in: Bruhn, M. (Hrsg.), Handbuch des Marketing, München 1989, S. 277-306

[3]

Porter, M.E.: Wettbewerbsvorteile: Spitzenleistungen erreichen und behaupten, 3. Aufl., München 1992

[4]

Bieker, R.: Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen von Technologieunternehmen, Frankfurt 1990

[5]

Becker, J.: Marketing-Konzept: Grundlagen des strategischen MarketingManagements, 4. Aufl., München 1992

[6]

Levitt, T.: The Marketing Imagination, New York 1983

[7]

Hofmaier, R.: Aktuelle Herausforderungen und kritische Fragen hinsichtlich eines effizienten und systematischen Investitionsgüter- und High-TechMarketings, in: Hofmaier, R. (Hrsg.), Investitionsgüter- und High-TechMarketing: Erprobte Instrumentarien, Erfolgsbeispiele, Problemlösungen, Landsberg/Lech 1992, S. 15-22

[8]

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[9]

Brockhoff, K.: Abstimmungsprobleme von Marketing und Technologiepolitik, in: Die Betriebswirtschaft, 45. Jg. (1985), Nr. 6, S. 623-632

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[10] Tschirky, H.: Technologie-Management - Ein unterschätzter Erfolgsfaktor, in: Tschirky, H., Hess, W., Lang, P., u.a., Technology-Management: Erfolgsfaktor von zunehmender Bedeutung, Zürich 1990, S. 1-30 [11] Steele, L.: Manager wissen zu wenig über Technologie, in: Harvard Manager (1985), Nr. 1, S. 51-57 [12] Davidow, W.H.: High Tech Marketing: Der Kampf um den Kunden - Erfahrungen und Rezepte eines Insiders, Frankfurt 1987 [13] Levitt, T.: Marketing Myopia, in : Harvard Business Review, Bd. 38 (1960), Nr. 4, S. 45-56 [14] Sommerlatte, T.: Technologiemarketing: Neue Märkte gezielt erschließen - Von der Produkt- zur Nutzeninnovation, in: Harvard Manager (1987), Nr. 1, S. 22-26 [15] Bieker, R.: High-Tech-Marketing macht aus neuen Technologien Erfolgsprodukte, IO Management, Bd. 65 (1996), Nr. 6, S. 26-30 [16] Levitt, T.: Der Verkaufsabschluß ist erst ein Anfang, in: Harvard Manager (1985), Nr. 1, S. 15-21

Stichworte o Hochtechnologie o Innovation o Markteinführung o Produktentwicklung

Autor Dr. Gunter Festel, Festel Capital, Schürmattstr. 1, CH-6331 Hünenberg, Mobil +41 796 527 112, E-Mail [email protected]

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Integrierte Service- und Dienstleistungskonzepte in der Spezialitätenchemie Von Gunter Festel Einleitung

Innerhalb der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist das Volumen der Spezialitätenchemie etwa halb so groß wie dasjenige der Commodities und etwa in der gleichen Größenordnung wie Pharma und Agrochemie zusammen (Abb. 1). Umsatz Welt 2000 (Mrd. US$) ~1,600

800

50%

400 25%

350 22%

50 3% Gesamt

Commodities

Spezialitätenchemie1)

Pharma

Agrochemie

1) Inkl. Feinchemie Quelle: Arthur D. Little

Abb. 1: Das Volumen der Spezialitätenchemie ist etwa halb so groß wie dasjenige der Commodities.

Der Markt für Spezialitätenchemikalien ist stark fragmentiert und besteht aus einer Vielzahl von zumeist anwendungsorientierten Segmenten. Diese Segmente innerhalb der Spezialitätenchemie können in vier Größencluster eingeteilt werden, wobei die größte Zahl der Segmente ein globales Marktvolumen von 5 bis 10 Mrd. US$ besitzt (Abb. 2). Entsprechend der Vielzahl der Segmente ist auch die Struktur der in diesen Segmenten tätigen Unternehmen sehr fragmentiert. Nur 12% der Unternehmen haben einen Umsatz über 4 Mrd. US$. 17% der Unternehmen haben einen Umsatz zwischen 1 und 3 Mrd. US$ und 71% der Unternehmen haben einen Umsatz kleiner 1 Mrd. US$. Die Margen unterliegen in vielen dieser Segmente einer ständigen Erosion durch Commoditisierung, also dem Übergang von erklärungsbedürftigen Spezialchemikalien zu undifferenzierten Massenprodukten. Außerdem hat sich das Wachstum in den

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letzten Jahren stark verlangsamt und liegt in den meisten Segmenten nicht mehr wesentlich über dem durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Wachstum [1]. Umsatz Welt (Mrd. US$)

20

Zahl der Segmente

12 8

8 3

Segmente

• • • • • • • •

Bulk Medical Chemicals Catalysts Functional Fluids Leather Chemicals Membrane Materials Mining Chemicals Oil Field Chemicals Rubber Chemicals

• Construction Chemicals • Consumer Care Chemicals • Explosives • Feed Additives • Lube Oil Additives • Paper Chemicals & Dyes • Photographic & Reprographic Chemicals • Pigments • Specialty Ceramics • Specialty Polymers • Specialty Surfactants • Water Management Chemicals

Adhesives & Sealants Electronic Chemicals Food Additives Industrial Cleaners Laboratory Chemicals Plastics Additives Printing Inks & Ink Chemicals • Textile Chemicals & Dyes • • • • • • •

• Fine Chemicals1) • Gases • Paints & Coatings

1) Inkl. Custom Manufacturing Quelle: Arthur D. Little

Abb. 2: Der Markt für Spezialitätenchemikalien besteht aus einer Vielzahl von zumeist anwendungsorientierten Segmenten, die in vier Größencluster eingeteilt werden können.

Produktbegleitende Informationen wie Sicherheitsdatenblätter, Analysenzertifikate und allgemeine Anwendungshinweise gelten als Standardleistungen für alle chemischen Produkte. Technischer Service, der im allgemeinen kundenspezifische Anwendungshinweise, kundenspezifische Tests, Schulung, Beratung und kundenspezifische Lösungen umfasst, wird bei Spezialitätenchemikalien überwiegend angeboten und differenziert die Anbieter untereinander nur noch geringfügig. Dagegen sind Integrierte Service- und Dienstleistungskonzepte in der Chemie und hier vor allem in der Spezialitätenchemie ein hervorragendes Differenzierungskriterium. Unter diese integrierten Serviceleitungen fallen unter anderem Value Chain Management, Chemikalienmanagement, Chemikalienrecycling, Abfallrücknahme und Finanz- und Leasingkonzepte (Abb. 3). Diese Konzepte sollen im Folgenden mit einer Reihe von Beispielen verdeutlicht werden.

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Erläuterung

Beispiele

Übernahme einer komplexen Produktionsaufgabe

BASF Coatings, PPG, DuPont

Übernahme von Entwicklung, Upscaling und Produktion von Schlüsselrohstoffen für die Life Science Industrie

Lonza, Degussa Clariant, DSM

Chemikalienmanagement

Übernahme von Logistik-, Distributions- und Kontroll-aufgaben für den Kunden

Nalco, Ecolab Air Products, Vopak

Life Cycle Management

Einbeziehung der Rücknahme und Entsorgung von verbrauchten und verunreinigten Chemikalien in das Angebot

Rhodia EcoService

Finanzielle Dienstleistungen

Ergänzung des Verkaufs von Chemie-Produkten durch Finanzierungs- und Risikomanagement-Dienstleistungen

Johnson Matthey

Value Chain Management

Quelle: Arthur D. Little

Abb. 3: Eine Reihe von Chemieunternehmen bieten erfolgreich Servicekonzepte an.

Integrierte Service- und Dienstleistungskonzepte

BASF Coatings hat wie fast alle Anbieter von Lacken für die Automobilindustrie die gesamte Lackierstraße des Fahrzeugherstellers und damit die Gesamtverantwortung für die Qualität der lackierten Teile übernommen. Hatte die BASF früher primär Lacke und anwendungstechnischen Service verkauft, so ist BASF nun mit verantwortlich für die Qualität des fertigen Produktes. Die BASF wird auch nicht mehr nach verkaufter Lackmenge bezahlt, sondern auf Basis lackierter Fahrzeuge. Der Vorteil für die Automobilhersteller lag in einem reduzierten Farbverbrauch pro Auto, der um 20% gesenkt werden konnte, und einer Reduktion der Komplexität im Herstellungsprozess der Fahrzeuge. Der Vorteil für die BASF war eine höhere Profitabilität, eine intensivere Kundenbindung und ein kontinuierlicher Ausbau der Marktpositionen. In den letzen Jahren konnte die BASF ihr Konzept auf immer mehr Fahrzeugtypen und Hersteller ausweiten. Ein weiteres Beispiel für ein Unternehmen, welches Teile der Wertschöpfungskette der Kunden übernommen hat, ist der Schweizer Fein- und Spezialchemiehersteller Lonza. Durch die enge Zusammenarbeit mit Smith Kline Beecham kam man Anfang der neunziger Jahre auf die Idee, Teile der Herstellung der Pharmawirkstoffe exklusiv zu übernehmen. „Leave it to Lonza“ etablierte sich als Synonym für die Übernahme von wichtigen Wertschöpfungsstufen bei der Herstellung von Pharmaka. Dabei wird eine neue Substanz als Muster an Lonza übergeben, Lonza entwickelt davon ausgehend den großtechnischen Herstellungsprozess und liefert den aktiven Wirkstoff. Für die Pharmaindustrie hat dieses Konzept den Vorteil, dass Sie ihre Ressourcen auf

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die klinische Forschung und Entwicklung fokussieren kann und keine zusätzlichen Ressourcen im Bereich chemische Entwicklung und Produktion aufbauen und vorhalten muss. Dieses Konzept hat das neue Industriesegment Custom Manufacturing geschaffen, das im Jahr 2000 ca. 4 Mrd. US$ groß war. Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Bereich Chemikalienmanagement. Nalco Chemicals, eine Tochter des französischen Wasserkonzerns Suez Lyondes, ist Weltmarktführer im Bereich Wasserbehandlung und hat ihr Serviceangebot bis hin zum vollständigen Betrieb der Wasserbehandlungsanlage kontinuierlich ausgeweitert. In den meisten Fällen fokussiert sich Nalco allerdings auf das Managen der verwendeten Chemikalien, während die Gesamtverantwortung der Anlage in den Händen des Kunden verbleibt. Zum Managen des Chemikalienhaushaltes gehören Auswahl der Chemikalien, Dosierung, Wartung der Dosieranlagen, Prozesskontrolle, Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen und Managen der gesamten Logistikkette. Die Servicepakete werden je nach Industriesegement zusammengestellt und segmentorientiert vermarktet, Für die Papierindustrie beispielsweise hat Nalco das „Preferred Supplier"-Konzept entwickelt, bei welchem die Bezahlung nach dem Chemikalienverbrauch pro Tonne produziertes Papier erfolgt. Ziel von beiden Seiten ist eine jährliche Reduktion der spezifischen Chemikalienkosten pro Tonne Papier. Nalco war mit dem Konzept seit der Einführung sehr erfolgreich und hat es zu einem globalen Markanteil von 40% in der Papierindustrie gebracht. Nalco hatte viele Nachahmer, wuchs aber trotzdem überdurchschnittlich mit 10% pro Jahr im Vergleich zu dem Industriedurchschnitt von 4%. Ecolab stellt einen anderen Vertreter dieses Servicekonzeptes dar. Ecolab hat sein Geschäft zu 100% auf Servicekonzepte ausgerichtet, die auf einem breiten Verständnis von Reinigungs- und Desinfektionsproblemen in den Kundenindustrien basieren. Ecolab kauft die wichtigsten Rohstoffe zu und formuliert diese zu kundenspezifischen Produkten. Die Wertschöpfung liegt also nicht wie bei vielen traditionellen Chemieunternehmen in der Rohstoffproduktion sondern im Servicekonzept. Akquisitionen hatten das Ziel, die Servicestrategie zu unterstützen und regional zu verbreitern. Produktorientierte Geschäfte wurde konsequent verkauft. Rhodia hat mit dem "Life Cycle Management"-Konzept aus der Not eine Tugend gemacht. Das Geschäft mit reiner Schwefelsäure war aufgrund zunehmenden Margendrucks nicht mehr sehr attraktiv. Deshalb hat man die Idee entwickeln, gebrauchte Schwefelsäure zurückzunehmen und wiederaufzubereiten. Rhodia recycled 1 Mio. Tonne Schwefelsäure pro Jahr und ist damit globaler Führer. Der Kunde erspart sich dadurch das Handling der sehr korrosiven Säure, hat ein Entsorgungsproblem weniger und freut sich über ein sauberes Image.

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Dass auch das Anbieten von finanziellen Dienstleistungen ein Servicepaket in der Chemie sein kann, zeigt Johnson Matthey, ein Katalysator- und Edelmetallhersteller. Johson Matthey verleast z.B. Gold und Platin an seine Kunden und nur der Schwund während der Anwendung wird verrechet. Der Kunde reduziert sein gebundenes Kapital dadurch beträchtlich.

Literatur [1] K. Pflug, G. Festel, C. Weigel, Spezialitätenchemie - Klarer Fokus steigert Performance, Chemische Rundschau, 54. Jg., Nr. 18, 28. September 2001, S. 12

Stichworte o Dienstleistungen o Spezialitätenchemie o Servicekonzepte o Integrierte Serviceleistungen

Autor Dr. Gunter Festel, Festel Capital, Schürmattstr. 1, CH-6331 Hünenberg, Mobil +41 796 527 112, E-Mail [email protected]

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