Case Management in der Palliative Care: Ansätze der ... AWS

der letzten Lebensphase nur schwer möglich, das für sie passende Hilfsangebot zu finden und in Anspruch zu nehmen. Die wachsende Zahl dieser Menschen führt – verschärft durch Individualisierungstendenzen – derzeit und zukünftig zu enormen Problemen bei der Bewältigung unterschiedlicher individueller Krank-.
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Ohl, Carolina: Case Management in der Palliative Care: Ansätze der Care Ethik als ethischer Handlungsrahmen, Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2014 Buch-ISBN: 978-3-8428-9578-2 PDF-eBook-ISBN: 978-3-8428-4578-7 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2014 Umschlaggestaltung: Birgitt Reinfarth, werbeatelier farbwerk4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Abstract/Summary Der vorliegende Text beleuchtet die Methode Case Management hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit im Handlungsfeld der ambulanten Palliative Care. Aufgrund der hohen Ausdifferenzierung des Gesundheitswesens in Deutschland und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit von Hilfsangeboten vor allem im ambulanten Sektor ist es besonders Menschen mit schwerer Krankheit oder in der letzten Lebensphase nur schwer möglich, das für sie passende Hilfsangebot zu finden und in Anspruch zu nehmen. Die wachsende Zahl dieser Menschen führt – verschärft durch Individualisierungstendenzen – derzeit und zukünftig zu enormen Problemen bei der Bewältigung unterschiedlicher individueller Krankheits- und Krisensituationen sowie zu Mehrkosten im Sozial- und Gesundheitswesen. Vor diesem Hintergrund werden die Inhalte, Ziele und Wirkungen des Case Managements in Verbindung mit Aspekten der Salutogenese in der Palliative Care auf Fallebene dargestellt. Die Untersuchung zeigt auf, wie der multiperspektivische und ganzheitliche Ansatz der Case Management Methode zum einen mehr Leistungsgerechtigkeit für den Einzelnen ermöglichen kann. Zum einen eröffnet es den Zugang zu notwendigen Hilfsangeboten, und wirkt so der Unübersichtlichkeit unseres Sozialund Gesundheitssystems, der daraus resultierenden Desintegration und Diskontinuität entgegen. Zum anderen werden Klientenpartizipation und salutogene Ressourcen in hohem Maß gefördert, und damit werden auch nichtmedizinische Bedürfnisse und Bedarfe in den Begleitungsprozess integriert. Hier könnte es ein neuer Ansatz sein, den Fokus auf Potenziale zu richten, die in der gezielten Beratung und Koordination auf Ebene der Patienten und Patientinnen (Mikroebene) bisher im Verborgenen und daher brachliegen. Auffallend ist, dass in der Debatte um das Konzept Case Management häufig der Aspekt der Kostenkontrolle überwiegt, mit der Folge, dass wesentliche Elemente des Konzepts – Koordination, Beratung, Autonomie, Patientenpartizipation – wenig Berücksichtigung finden. Probleme wie Diskontinuität, Desintegration (auf Meso- und Makroebene) sowie Fehleinschätzungen von Krankheitsphasen bleiben dann in der Versorgung virulent.

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Der Wert und die Effektivität eines umfassenden Case Managements, also Kontinuität in der Beratung, Betreuung und Koordination sowie von weitgehender Erhaltung und Förderung der Patientenautonomie scheinen schwer empirisch nachweisbar zu sein. Wie der stark personenbezogene Blick der Case Management Methode speziell in der Palliative Care eine Möglichkeit bietet, Patientenpartizipation und Autonomie sensibel zu fördern, zeigt diese Arbeit dann abschließend an zwei Patientenbeispielen.

This paper throws light on the method of case management with regard to its implementation in the field of out-patient palliative care. Because of the high degree of differentiation within the health services in Germany and the resulting lack of transparency of services, particularly in the out-patient sector, people with serious illnesses or in the final phase of their lives are only able with great difficulty to find and access the services that are appropriate for them. The increasing number of such people is currently leading and will continue to lead to enormous problems in managing different individual illness and crisis situations and to increased costs in social and health care, with the situation made worse by rising tendencies towards individualisation. It is against this background that the content, aims and effects of case management are presented, in combination with aspects of salutogenesis in palliative care, at case level. This paper shows how the multi-perspectival and holistic approach of the case management method can on the one hand enable increased fairness of performance for the individual. On the other hand, the method shows how access to the necessary services can be opened up, and how by doing so it is possible to counteract the lack of transparency of our social care and health system and the disintegration and lack of continuity that results. The paper shows further how client participation and salutogenic resources will be assisted to a considerable degree, thereby also leading to the integration of non-medical needs and requirements into the supporting process. A new approach here could be to focus on the potential that has previously been hidden and therefore remained unused in targeted advice and co-ordination at patient level (micro-level). 6

It is notable that in the debate about the concept of case management it is often the cost control aspects that predominate, with the result that essential elements of the concept – co-ordination, consultation, autonomy, patient participation – receive little consideration. Problems such as lack of continuity, disintegration (at meso- and macro-level) and errors in estimating phases of disease will then remain virulently active in the care process. The value and the efficiency of comprehensive case management, that is to say continuity in consultation, care and co-ordination and also extensive maintenance and support of patient autonomy, appear to be difficult to prove empirically. In conclusion, this paper will show, using two sample patient cases, how the strongly person-focused viewpoint of the case management method can, particularly in palliative care, offer the opportunity to give sensitive support to patient participation and autonomy.

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Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................... 9 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 11 1.1. Hintergrund ......................................................................................... 13 1.2. Fragestellung ...................................................................................... 14 1.3. Zielsetzung ......................................................................................... 15 1.4. Vorgehensweise ................................................................................. 17 2. Definition von Begrifflichkeiten ................................................................. 19 2.1. Das Konzept Palliative Care ............................................................... 19 2.2. Rahmenempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management ....................................................................................... 21 2.3. „Klinische Dimensionen“ des Case Managements ............................. 23 2.4. Komplexität einer Betreuungssituation in der Palliative Care ............. 25 3. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Entwicklungen ................. 27 3.1. Politischer und gesellschaftlicher Wandel .......................................... 28 3.2. Wie sich das hochgradig arbeitsteilige Sozial- und Gesundheitssystem in der Palliative Care zeigt............................................ 32 3.3. Primat der Gesundheitserhaltung und -förderung............................... 33 3.3.1

Entwicklungen und Prozesse im Handlungsfeld der Medizin .......... 33

3.3.2.

Ottawa-Charta 1986 und New Public Health ................................... 35

3.3.3.

Bedingungen des Sterbens im Licht der Forschung und

Wissenschaft ................................................................................................ 39 4. Entwicklung der Begriffe Gesundheit und Krankheit in der Salutogenese..................................................................................................... 41 4.1. Die Theorie der Salutogenese innerhalb der Gesundheitsförderung .. 41 4.2. Die Dimensionen des Kohärenzgefühls .............................................. 42 4.3. Bezüge zum Case Management in der Palliative Care ...................... 44 9

5. Case Management: Entwicklungslinien .................................................... 61 5.1. Entstehung und Verbreitung von Case Management ......................... 61 5.2. Grundfunktionen des Case Managements .......................................... 66 5.3. Case Management in der klinischen Therapie .................................... 70 5.4. Case Management in der Sozialarbeit und Krankenpflege .................... 71 6. Zentrale Aufgaben des Unterstützungsmanagements in der Palliative Care .................................................................................................... 77 6.1. Wertorientierung im Unterstützungsmanagement der Palliative Care ............................................................................................... 77 6.2. Methodische Aspekte des Case Managements in der palliativen Praxis ........................................................................................... 82 6.3. Die Handlungsschritte im Einzelnen in Verbindung mit Assessment-Instrumenten ............................................................................ 84 6.4. Case Management Organisationsmodelle ........................................ 101 7. Beratung im Unterstützungsmanagement als eine Form von Prävention in Palliative Care .......................................................................... 105 8. Resümee .................................................................................................... 109 9. Danksagung .............................................................................................. 113 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 115

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Hilfesystem auf Fallebene Abbildung 2: Mehrebenen Modell aus der Ottawa-Charta 1986 Abbildung 3: Clearing/Definition der Diagnose und Netzwerk Abbildung 4: Umfassende Erfassung der Lebenslage eines Patienten Abbildung 5: Patientenbeispiel 1 Abbildung 6: Zielpyramide Abbildung 7: Gesamtübersicht über 16 Symptome in Anlehnung an HOPE Abbildung 8: Dokumentation der psychosozialen Komponenten Abbildung 9: Dokumentation von Symptomen im somatischen Bereich Abbildung 10: Probleme und Ressourcen der Patientin im Bereich Essen und Trinken mittels FIM (Functional Independence Measure) ermittelt Abbildung 11: Dem Case Management ähnliche Steuerungsverfahren und deren Reichweite Abbildung 12: Ebenen für Case Management Steuerungsprozesse Abbildung 13: Handlungsfelder des Case Managements Abbildung 14: Grundfunktionen des Case Managements nach Wendt Abbildung 15: Kohärentistische Urteilsbildung Abbildung 16: Prozess engagierter Sorge mit ethischen Elementen Abbildung 17: Methodik des Case Managements Abbildung 18: Clearing/Case Finding: Diagnose und Therapieziel Abbildung 19: Patientenbeispiel 2: Erfassung der Gesamtsituation Abbildung 20: Kombinierte Darstellung der Ressourcen und Probleme über einen Zeitraum von acht Monaten Abbildung 21: Darstellung der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten über einen Zeitraum von acht Monaten Abbildung 22: Erfassung körperbezogener Daten Abbildung 23: Diagnosebezogene Zeiterfassung bei männlichen Erkrankten Abbildung 24: Diagnosebezogene Zeiterfassung bei weiblichen Erkrankten

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Abbildung 25: Unterstützungsmanagement ohne BackOffice-Unterstützung Abbildung 26: Implementation von Unterstützungsmanagement in PalliativeCare-Team mit BackOffice-Unterstützung

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1.

Einleitung

1.1. Hintergrund Wie viele andere Industrienationen ist auch Deutschland mit einem Wandel im Altersaufbau der Bevölkerung konfrontiert. Ein Blick in die Vergangenheit im ersten Teil der Untersuchung soll zum Verständnis der gegenwärtigen individuellen und der daraus resultierenden strukturellen Probleme beitragen. Durch eine steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenziffern nimmt der Anteil älterer Menschen, multimorbider und chronisch Erkrankter in unserer Gesellschaft zu. Diese einzelnen Problemfelder stehen in gegenseitiger Beeinflussung. Darüber hinaus ist durch die Individualisierung der Gesellschaft eine große Vereinsamung in vielen Bereichen des sozialen Lebens festzustellen. Diese Phänomene führen vor allem im Gesundheitswesen zu veränderten Anforderungen, denn insbesondere Krankheit hat häufig eine Kumulation sozialer Probleme wie Vereinsamung und existenzielle Nöte, für den Einzelnen zur Folge. Aufgrund der hohen Ausdifferenzierung beziehungsweise Sektoralisierung des Gesundheitswesens in Deutschland und der daraus resultierenden Unübersichtlichkeit von Hilfsangeboten im ambulanten Sektor ist es besonders für Menschen in der letzten Lebensphase nur schwer möglich, das für sie passende Hilfsangebot zu finden, und in Anspruch zu nehmen. Insbesondere den tatsächlichen Bedürfnissen von Patienten und Patientinnen in der Palliative Care mit oftmals komplexen (medizinischen/pflegerischen/sozialen) Problemlagen – multimorbide und chronisch Erkrankte also – steht diese Sektoralisierung diametral entgegen. Nach Wissert (1999) sind mit komplexen Problemlagen Schwierigkeiten gemeint, die sich auf medizinisch/pflegerischer, sozialer und spiritueller Ebene wiederspiegeln und eine Unterstützung erforderlich machen. Entlang dieses Verständnisses, wird im Text aufgezeigt, wie die oben geschilderten Probleme mittels der Methode Case Management in der Palliative Care auf Fall- und Systemebene methodisch angegangen werden können, ohne die/den Betroffene/n in ihrer/seiner Einmaligkeit zu verdrängen und damit zu verletzen. Visualisierte Betreuungsverläufe werden den Nachweis von Wirkungen des Unterstützungsmanagements auf Fallebene erbringen, die nötige Transparenz herstellen 13