Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit ... AWS

99 Carl Schmitt an Hans-Dietrich Sander, 8 . Mai 1968. 100 Carl Schmitt an Erika Martens, 26 . August 1968. 101 Eike Hennig an Carl Schmitt, 6 . September 1968. 102 Carl Schmitt an Joachim Schickel, 6 . Juni 1969. 103 Sepp Schelz an Carl Schmitt, 23 . Mai 1969. 104 Carl Schmitt an Heinhard Steiger, 26 . Juni 1969.
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Carl Schmitt und die Öffentlichkeit Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983

Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Kai Burkhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Carl Schmitt und die Öffentlichkeit

Carl Schmitt und die Öffentlichkeit Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983

Herausgegeben, kommentiert und eingeleitet von Kai Burkhardt

In Zusammenarbeit mit Gerd Giesler und Stefan Krings

Duncker & Humblot · Berlin

Veröffentlicht unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Verlagsbeirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagbild: Carl Schmitt in Plettenberg, 1968 (© Gerd Giesler, Berlin) Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-14092-3 (Print) ISBN 978-3-428-54092-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84092-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzung der zitierten Werke Schmitts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Editorische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Briefwechsel 1923–1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Quellenverzeichnis der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Medienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Verzeichnis der Briefe  1  2  3  4  5  6  7  8  9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

arl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, 29. Oktober 1923 C Ludwig Feuchtwanger an Carl Schmitt, 8. Mai 1925 Paul Scheffer an Carl Schmitt, 14. Juni 1925 Paul Scheffer an Carl Schmitt, 21. Juni 1925 Carl Schmitt an Karl Anton Prinz Rohan, 8. Juli 1925 Paul Scheffer an Carl Schmitt, 22. April 1927 Theodor Heuss an Carl Schmitt, 20. Januar 1930 Ernst Jünger an Carl Schmitt, 14. Oktober 1930 Carl Schmitt an die Redaktion der Frankfurter Zeitung, 27. Januar 1932 Ludwig Feuchtwanger an Carl Schmitt, 6. Juni 1932 Carl Schmitt an Ludwig Feuchtwanger, 12. April 1933 Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 28. August 1933 Wilhelm Stapel an Carl Schmitt, 12. September 1933 Albrecht Erich Günther an Carl Schmitt, 23. September 1933 Carl Schmitt an Benno Ziegler, 17. Oktober 1933 Carl Schmitt an die Hanseatische Verlagsanstalt, 26. Juni 1934 Hanseatische Verlagsanstalt an Carl Schmitt, 22. August 1935 Carl Schmitt an Oskar Ritter von Niedermayer, 1. Juli 1939 Giselher Wirsing an Carl Schmitt, 1. Juni 1939 Karl Lohmann an Carl Schmitt, 4. Dezember 1948 Hans Paeschke an Carl Schmitt, 1. Juli 1949 Hans Zehrer an Carl Schmitt, 5. September 1949 Johannes Winckelmann an Carl Schmitt, 28. April 1950 Carl Schmitt an Richard Tüngel, 28. Mai 1950 Giselher Wirsing an Carl Schmitt, 6. Juni 1950 Carl Schmitt an Richard Tüngel, 4. August 1950 Carl Schmitt an Michael Freund, 1. November 1950 Carl Schmitt an Karl Epting, 6. Oktober 1951 Carl Schmitt an Hans Paeschke, 18. Oktober 1951 Carl Schmitt an Hans Paeschke, 28. Oktober 1951 Carl Schmitt an Karl Epting, 14. November 1951 Carl Schmitt an Karl Korn, 15. November 1951 Karl Korn an Carl Schmitt, 16. November 1951 Carl Schmitt an Hans Paeschke, 2. Dezember 1951

8 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74

Verzeichnis der Briefe iselher Wirsing an Carl Schmitt, 9. Februar 1952 G Carl Schmitt an Herbert Nette, 24. Mai 1952 Rudolf Augstein an Carl Schmitt, 30. Juli 1952 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 7. August 1952 Carl Schmitt an Günter Neske, 9. August 1952 Rudolf Augstein an Carl Schmitt, 15. August 1952 Carl Schmitt an Walter Petwaidic, 29. August 1952 Walter Petwaidic an Carl Schmitt, 17. September 1952 Carl Schmitt an Walter Petwaidic, 19. September 1952 Giselher Wirsing an Carl Schmitt, 20. Oktober 1952 Carl Schmitt an Winfried Martini, 20. Oktober 1952 Walter Petwaidic an Carl Schmitt, 29. Oktober 1952 Carl Schmitt an Walter Petwaidic, 27. November 1952 Walter Petwaidic an Carl Schmitt, 13. Mai 1953 Carl Schmitt an Walter Petwaidic, 10. September 1953 Carl Schmitt an Winfried Martini, 27. September 1953 Carl Schmitt an Winfried Martini, 27. Oktober 1953 Carl Schmitt an Karl Epting, 30. Oktober 1953 Carl Schmitt an Winfried Martini, 10. November 1953 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 3. Januar 1954 Carl Schmitt an Giselher Wirsing, 15. Januar 1954 Hans Zehrer an Carl Schmitt, 15. Januar 1954 Rudolf Augstein an Carl Schmitt, 16. Januar 1954 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 28. Juli 1954 Heinz Friedrich an Carl Schmitt, 8. August 1954 Carl Schmitt an Hans Fleig, 13. November 1954 Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 19. November 1954 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, Januar 1955 Rudolf Augstein an Carl Schmitt, 3. Februar 1955 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 13. April 1955 Rüdiger Altmann an Carl Schmitt, 12. September 1955 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 2. September 1956 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 7. Juli 1957 Rüdiger Altmann an Carl Schmitt, 9. Oktober 1957 Carl Schmitt an Rüdiger Altmann, 18. Januar 1958 Carl Schmitt an Johannes Kayser, 19. November 1959 Giselher Wirsing an Carl Schmitt, 25. November 1959 Carl Schmitt an Rüdiger Altmann, 21. März 1960 Carl Schmitt an Winfried Martini, 25. März 1960 Johannes Gross an Carl Schmitt, 14. Juli 1960

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Verzeichnis der Briefe9 arl Schmitt an Rüdiger Altmann, 21. Juli 1960 C Rüdiger Altmann an Carl Schmitt, 31. Juli 1960 Hans Hellwig an Carl Schmitt, 21. März 1961 Ivo Schütz an die Redaktion der Deutschen Zeitung, 6. April 1961 Rolf Schroers an Carl Schmitt, 15. Juni 1961 Carl Schmitt an Hans Fleig, 1. Juli 1962 Carl Schmitt an Hans Fleig, 2. Juli 1962 Carl Schmitt an Joseph Kaiser, 28. November 1962 Carl Schmitt an Peter Diederichs, 1. Dezember 1962 Margret Boveri an Carl Schmitt, 20. Mai 1963 Margret Boveri an Carl Schmitt, 30. Mai 1963 Rolf Schroers an Carl Schmitt, 20. Juli 1963 Johannes Gross an Carl Schmitt, 29. Juli 1963 Armin Mohler an Carl Schmitt, 1. Dezember 1965 Carl Schmitt an Manfred Friedrich, 10. Januar 1966 Armin Mohler an Carl Schmitt, 6. März 1966 Carl Schmitt an Bernard Willms, 18. November 1966 Armin Mohler an Carl Schmitt, 20. Oktober 1967 Carl Schmitt an die Chefredaktion von stern-tv, 30. Oktober 1967 Johannes Gross an Carl Schmitt, 10. Januar 1968 Roland Dieterich an Carl Schmitt, 17. Januar 1968 Carl Schmitt an Roland Dieterich, 3. Februar 1968 Carl Schmitt an Walter Boehlich, 4. März 1968 Carl Schmitt an Walter Boehlich, 11. März 1968 Carl Schmitt an Hans-Dietrich Sander, 8. Mai 1968 Carl Schmitt an Erika Martens, 26. August 1968 Eike Hennig an Carl Schmitt, 6. September 1968 Carl Schmitt an Joachim Schickel, 6. Juni 1969 Sepp Schelz an Carl Schmitt, 23. Mai 1969 Carl Schmitt an Heinhard Steiger, 26. Juni 1969 Joachim C. Fest an Carl Schmitt, 28. Oktober 1969 Joachim Schickel an Carl Schmitt, 1. Mai 1970 Wolf Jobst Siedler an Carl Schmitt, 14. April 1971 Johannes Gross an Carl Schmitt, 5. Mai 1971 Wolf Jobst Siedler an Carl Schmitt, 26. August 1971 Marianne Kesting an Carl Schmitt, 28. Mai 1973 Carl Schmitt an Rudolf Augstein, 30. Januar 1974 Carl Schmitt an Heinz Friedrich, 21. August 1976 Helmut Schelsky an Carl Schmitt, 4. Februar 1983

Abkürzungen der zitierten Werke Schmitts BP

Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963. ECS Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945 / 47, Köln 1950. GL Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951, hrsg. von Eberhard von Medem, Berlin 1991. GLP Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923), 2.  Aufl., München / Leipzig 1926. GM Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pullingen 1954. L Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (1938), Stuttgart 1995. LM Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942. NE Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europäum, Köln 1950. PB Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, Hamburg 1940. TB I Tagebücher Oktober 1912 bis Februar 1915, hrsg. von Ernst Hüsmert, Berlin 2003. TB II Die Militärzeit 1915–1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien, hrsg. von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler, Berlin 2005. TB III Tagebücher 1930–1934, hrsg. von Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin 2010. VA Carl Schmitt: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958. VL Verfassungslehre, München / Leipzig 1928.

Keine Offenheit mehr, dafür Öffentlichkeit. Im Zeitalter der Öffentlichkeit hört die Offenheit auf. In der Öffentlichkeit hört die Offenheit auf und beginnt das Geheimnis. Carl Schmitt, Tagebuch „Der Schatten Gottes“, Mai 1924.

Einführung Als ich vor einigen Jahren am Institut für Medien- und Kommunikationspolitik begann, den ökonomischen und funktionalen Wandel von Massen­ medien zu analysieren, war ich mit dem Phänomen Öffentlichkeit nicht eingehender vertraut als für Historiker gemeinhin üblich. Doch es war für mich unzweifelhaft, dass unser Verständnis von Öffentlichkeit infolge der „digitalen Wende“ grundlegend neu begriffen werden müsse. Ich verschaffte mir einen Überblick über die gängigen Interpretationsmodelle von Öffentlichkeit und stellte doch etwas überrascht fest, dass deren zentrale Referenz noch immer der Sozialphilosoph Jürgen Habermas ist. Der idealtypische Kern seiner Öffentlichkeitstheorie wurde seit ihrer Einführung Anfang der 1960er Jahre alles in allem nur ergänzt und erweitert, niemals aber grundsätzlich in Frage gestellt. Gekennzeichnet sind die Modelle aus dieser Schule dadurch, dass sie ihrem Betrachtungsgegenstand, was die normative Bedeutung anbelangt, sehr viel zutrauen. Öffentlichkeit ist für sie das maßgebliche Element jeder Demokratie: Sie gleicht Konflikte aus, bringt vernünftige Lösungen zustande, dient dazu, Entscheidungen zum „Besten einer Gesellschaft“ zu ermöglichen (Jürgen Gerhards). Etwa zeitgleich mit Habermas analysierte der Historiker Reinhart Koselleck in seiner Studie „Kritik und Krise“ nahezu identische Fragen, kam jedoch zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen.1 Doch sind Kosellecks Vorstellungen dem begrenzten Bereich der Wissenschaft verhaftet geblieben und haben zu keiner Zeit jene Geltung erlangt, die Habermas für seine Theorie verbuchen konnte. Daran haben jüngere Arbeiten, die an weniger optimistische Konzeptionen von Öffentlichkeit anknüpfen, etwa an die von Walter Lippmann oder Ferdinand Tönnies, wenig ändern können.2 Im Ge1  Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg i. B. / München 1959. Nachfolgend zitiert als Koselleck. 2  Walter Lippmann: Public Opinion, New York 1922; Ferdinand Tönnies: Kritik der öffentlichen Meinung, Berlin 1922; siehe zum Begriff Öffentlichkeit in der Geschichtswissenschaft Karl Christian Führer, Knut Hickethier und Axel Schildt: Öffentlichkeit – Medien – Geschichte. Konzept der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 1–38; Jörg

12 Einführung

genteil: Die Erwartungen einer jüngeren Generation von Publizisten an Transparenz und Öffentlichkeit sind durch die technischen Möglichkeiten des Internets weiter gestiegen. Der Enthusiasmus, mit dem Aktivisten die Freiheit des Internets gegen staatliche Eingriffe verteidigen, erinnert an die Entstehung des Britischen Empire oder an die Erschließung Nordamerikas. Das Internet ist die Entdeckung eines neuen Raumes, oder so wie die East India Company bei der britischen Kolonialisierung und die Eisenbahnunternehmen der sogenannten Robber Barons bei der Besiedelung Nordamerikas staatlichen Strukturen vorausgegangen sind, so treten auch jetzt wieder große weltweit agierende Privatunternehmen mit eigenen Ordnungsvorstellungen an. Welche Auswirkungen dies auf die Kommunikationsfreiheit auf der einen Seite und die Schutzfunktion des Staates auf der anderen hat, ist noch nicht abzusehen. Außerhalb Deutschlands ist die Zahl der Skeptiker spätestens seit dem Bekanntwerden hochkomplexer staatlicher „Trojaner“ wie „stuxnet“ deutlich gestiegen. Vereinzelten Stimmen, wie der des jungen Weißrussen Evgenij Morozov, sind andere gefolgt, die oft aufgrund eigener Erfahrungen vor den Gefahren der neuen Kommunikationstechnik warnen. Zuletzt hat der US-amerikanische Historiker Tim Wu auf die historischen Parallelen hingewiesen, nach denen die Entwicklung der Internet-Ökologie dem Kreislauf früherer Mediensysteme entspricht. Die Geschichte von Telegrafie, Telefonie, Film, Radio und Fernsehen sei in den USA ebenfalls zu Beginn von einer technischen und ökonomischen Offenheit gekennzeichnet gewesen und sei dann in eine geschlossene, von wenigen großen Unternehmen und staatlichen Eingriffen dominierte Hochphase gemündet. Dass Regierungsinstitutionen die anarchistische Zeit des Netzes schon jetzt beendet haben und das Internetprotokoll ein bislang unbekanntes Ausmaß an Kontrolle und Zerstörung nach sich ziehen könnte, ist nach Ansicht dieser Autoren eine ausgemachte Sache.3 Länder wie Russland, China oder Saudi-Arabien sehen die dezentrale Struktur des Internets und die technische Hegemonie der USA naturgemäß mit Argwohn und versuchen seit Längerem, das Internet Requate: Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5–32. Interessant sind die Einträge unter dem Stichwort „Öffentlichkeit“ von Lucian Hölscher und von Hasso Hofmann (öffentlich) in den Geschichtlichen Grundbegriffen. Historisches Lexikon der politischsozialen Sprache, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, 9 Bde., Stuttgart 1972–1997, und im Historischen Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, 13 Bde., Darmstadt 1971–2007. Beide Werke sind von Schmitt inspiriert, das eine über Koselleck, das andere über Ritter. 3  Tim Wu: The Master-Switch. The Rise and Fall of Information Empires, New York 2010; Evgeneij V. Morozov: The Net Delusion, New York 2011.

Einführung13

ihrer nationalen staatlichen Kontrolle zu unterwerfen.4 Dass westliche Software die Grundlage für staatliche Repressions- und Überwachungsapparate liefert, ist dabei ebenso paradox wie die Wartungsschnittstellen der Telekommunikationssysteme, von denen nur die Hersteller und die Geheimdienste Kenntnis haben und die von Fachleuten nicht ohne Ironie als „BugDoor“ bezeichnet werden – einer als Programmierfehler (Bug) getarnten Hintertür (Backdoor).5 Was dies für den „Zugang zum Machthaber“ bedeutet, den Schmitt als wesentliche Kategorie jedes politischen Systems hervorhob, ist noch nicht ausgemacht. Bereits jetzt kann jedoch jeder verantwortliche Politiker ein Lied davon singen, dass die digitale adhoc-Publizität in der Sache oft eher schadet als nutzt und eine Art von Pseudoöffentlichkeit befördert, während die wirklich wichtigen Dinge in abgetrennten Räumen verhandelt werden, die besser als je zuvor abgeschirmt werden müssen. Denn alles kann jederzeit öffentlich werden. Eine Theorie von Öffentlichkeit, die für derartige Sachverhalte unempfänglich ist, kann deshalb nicht befriedigen. Notwendigerweise muss ein neues Verständnis von Öffentlichkeit die liberalen Prämissen der Habermasschule in den unkalkulierten Folgen korrigieren. Hier ist der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985) mit seinen bis in die Weimarer Zeit zurückreichenden Überlegungen von nicht zu übersehender Bedeutung, wie das voranstehende Motto aus seinem Tagebuch und der nachfolgende Briefwechsel vor Augen führen. Sie lassen symptomatisch erkennen, welchen Wert seine Erkenntnisse von Öffentlichkeit für unsere Medien­welt haben können. Einen Theoretiker der Weimarer Zeit als Ergänzung für jüngere Ansätze zu empfehlen, ist bei genauer Betrachtung durchaus konsequent. Denn dem weitblickenden Forscher erscheint die Medienwirklichkeit zwischen 1945 und 1990 mit ihren vermachteten Strukturen des Dualen Systems und der bipolaren Weltordnung heute notgedrungen als Kontinuitätsbruch und Sonderepoche. Die publizistische Breite vor 1933 ist unserer Zeit ähnlicher als die Medienordnung und Medienethik der Bonner Republik. Auf Schmitts Bedeutung hat letzthin die Freiburger Historikerin Christina von Hodenberg in ihrem zum Standardwerk avancierten Buch „Konsens und Krise“ (2006) hingewiesen. Sie registriert für die Zeit um 1960 eine Häufung von Dissertationen und Habilitationsschriften zum Thema Öffentichkeit und begründet dies mit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um ein verändertes „Verhältnis von Staat und Gesellschaft“ in der politischen und 4  Fridjof Küchemann: Kalter Krieg, FAZ vom 14. Dezember 2012. Berichterstattung über die Weltkonferenz zur Telekommunikation in Dubai im Dezember 2012. 5  Constanze Kurz: Die ganz normale Unterwanderung des Netzes, FAZ vom 7. Dezember 2012.

14 Einführung

institutionellen Findungsphase der Republik.6 In dieser Auseinandersetzung seien im Wesentlichen zwei Lager für die Theoriebildung von Öffentlichkeit auszumachen: einerseits Habermas als Spitze einer jungen Forschergeneration, die mit großem intellektuellen Aufwand bemüht gewesen sei, die Konzepte der Vorkriegszeit zu ersetzen oder sie auf die neuen Begebenheiten zu beziehen; andererseits Koselleck in Anlehnung an Carl Schmitt. Die Dissertation des damals knapp Dreißigjährigen entstand aus Gesprächen mit dem betagten Staatsrechtler und war in der Konzeption eine Übersetzung von Schmitts Leviathan in der Staatslehre von Thomas Hobbes.7 Dass auch Habermas in der Nachfolge von Schmitt steht, wird außer von ihm selbst heute in der Fachwelt von kaum jemandem mehr bestritten.8 Beiden ist gemeinsam, dass ihre Publikationen auf bestimmte zeithistorische Situationen bezogen sind und dass sie ihre Veröffentlichungen als politische 6  Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006, S. 31. Nachfolgend zitiert als Hodenberg. 7  Jan-Friedrich Missfelder: Die Gegenkraft und ihre Geschichte. Carl Schmitt, Reinhart Koselleck und der Bürgerkrieg, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 4 (2006), S. 310–366. Hierzu verdanke ich Martin Tielke folgenden bedenkenswerten Hinweis: Schmitt betrachtete sich 1945 als Besiegter. Die neue Öffentlichkeit war jedoch eine der Sieger. Charakteristisch war, dass er aus dem Besiegtsein eine Überlegenheit ableitete. „Der Gescheiterte ist der Gescheitere“, schrieb er im Glossarium. Interessanterweise lässt sich auch hier eine Linie von Schmitt zu Koselleck ziehen, der später über die Überlegenheit des Besiegten schrieb. Siehe dazu Reinhart Koselleck: Der Besiegte, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 6 (2012), S. 5–10. 8  In einem Leserbrief vom 18. Januar 1994 schrieb Habermas der FAZ, er wisse, dass es im Nachlass Schmitts ein Exemplar vom „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ gebe, das der „Meister mit Anmerkungen und Einlagen versehen“ habe. Daraus sei aber keinesfalls eine geistig-politische Verwandtschaft abzuleiten. Seine Abrechnung mit Schmitts Aufklärungskritik aus dem Jahr 1960 sei ohne Abstriche noch aktuell. Das mit nur wenigen Bemerkungen und Anstreichungen versehene Exemplar befindet sich im Nachlass Carl Schmitts, Nr. 25523. Siehe zur Diskus­ sion Ellen Kennedy: Carl Schmitt und die „Frankfurter Schule“. Deutsche Libe­ ralismuskritik im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), S. 380–419, sowie die Beiträge von Ulrich K. Preuß und Martin Jay in: Geschichte und Gesellschaft 13 (1986); Heinz Bude: Die Soziologen der Bundesrepublik, in: Merkur, 7 (1992), S. 569–580. Habermas habilitierte sich bei Wolfgang Abendroth, der politisch bewusst eine Gegenposition zu Schmitt einnahm, diesem aber mit wissenschaftlicher Wertschätzung begegnete und seine Schüler zu einer Aus­ einandersetzung mit Schmitts Positionen anregte. Es spricht für das wissenschaft­ liche Ethos Abendroths, dass er mit Habermas einen erklärten Gegner Schmitts habilitierte, mit Rüdiger Altmann jedoch auch einen seiner stärksten Befürworter promovierte. Habermas war über Umwege zu Abendroth nach Marburg gekommen. Er wich dorthin aus, weil er befürchtete, dass seine Qualifikationsschrift an der Universität Frankfurt nicht angenommen würde.