BRUNDIBÁR – Die Geschichte einer Oper - Halle (Saale)

eintreffenden Transporte kamen die meisten Kinder aus dem Prager Waisenhaus, der Dirigent Rafael. Schächter und Krása nun auf tragische Weise wieder ...
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BRUNDIBÁR – Die Geschichte einer Oper Von Susanne Holfter

BRUNDIBÁR 2014 an der Oper Halle Erstmals an der Oper Halle führt der hier 2013 gegründete Kinder- und Jugendchor die fantasievolle Kinderoper BRUNDIBÁR auf und widmet sich damit einem Werk, das trotz der kindgerechten Parabel und eingängiger Musik untrennbar mit einer traurigen Rezeptionsgeschichte verbunden bleiben wird. Damit rückt das Musiktheater der Stadt dieses hoffnungsspendende Stück, das das Musikleben im Konzentrationslager Theresienstadt wie kein anderes prägte, 70 Jahre nach der Ermordung des Komponisten Hans Krása im Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau in das Bewusstsein des Publikums. Der Kinder- und Jugendchor der Oper Halle gestaltet nach seiner Mitwirkung in den Bühnenproduktionen DER NUSSKNACKER, HÄNSEL UND GRETEL, PETER PAN und PIQUE DAME nun sein erstes eigenes Opernprojekt. Es wirken Kinder vom Grundschulalter bis zur Berufsschule und Abiturienten mit. Sie verbinden in der Erarbeitungsphase das Singen eingängiger Melodien und solistischer Passagen mit dem Erlernen des szenischen Spiels. Die Inszenierung des parabelhaften Stücks ist von Matthias Hüstebeck zwar zeitlos angelegt, lässt aber Raum für die Erinnerung an die grausame Zeit, in denen Kinder in Ghettos gefangen gehalten oder in Konzentrationslagern auf qualvolle Weise ums Leben gekommen sind. Wir spielen die Theresienstädter Fassung dieser Kinderoper, die sich u.a. in der Instrumentation niederschlägt und die den Kindern von damals ein Denkmal setzt.

Entstehung und Prager Uraufführung Von 1933 bis 1939 wurde Prag zunehmend zu einem Zufluchtsort für Exilanten auf der Flucht vor den Nationalsozialisten und zu einem wichtigen Zentrum einer politisch-kulturellen links gerichteten Opposition gegen Hitler. In den Redaktionen demokratisch gesinnter Zeitungen wie dem »Prager Tagblatt« und in den Kaffeehäusern der Stadt trafen sich Intellektuelle, die das kulturelle Leben ihres Landes prägten. In dieser Atmosphäre lernten sich auch zwei Künstler kennen, die bald eine Freundschaft miteinander verband: der Maler, Karikaturist und Autor Adolf Hoffmeister und der Komponist Hans Krása. Zusammen schrieben sie 1938/1939 in Prag die sowohl zeitgeschichtlich als auch genrebezogen einzigartige Kinderoper BRUNDIBÁR für einen Wettbewerb des damaligen Ministeriums für Schulwesen und Volksbildung. Mit dem Einmarsch der Nationalsozialsozialisten und dem damit verbundenen endgültigen Zusammenbruch der Tschechoslowakei im März 1939 kam es nicht mehr zur Auswertung und Prämierung der besten Kinderoper. Auch an eine öffentliche Aufführung der im Stil des von Brecht entwickelten »Lehrstückes« gefassten Oper war aufgrund der jüdischen Wurzeln der Autoren zu dieser Zeit nicht mehr zu denken. Als Otto Freudenfeld, Direktor des Prager Waisenhauses für jüdische Kinder »Hagibor« (Hebräisch: Held) in der Belgischen Straße im Juli 1941 seinen 50. Geburtstag feierte, befanden sich unter den Gästen neben dem Komponisten Hans Krása auch der Dirigent Rafael Schächter, der Pianist Gideon

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Klein, der Dichter Erik A. Saudek und der Bühnenbildner des Prager Nationaltheaters František Zelenka. Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie von der Existenz von Krásas tschechischer Kinderoper BRUNDIBÁR (übersetzt: Hummel; im übertragenen Sinn: Brummbär), woraufhin Schächter eine inoffizielle Aufführung initiierte. Er begann mit den musikalischen Proben, für die ihm Rudolf Freudenfeld, der Sohn des Waisenhausdirektors, assistierte. Doch die Pläne wurden durch die beginnenden Transporte und Schächters Deportation am 27. November 1941 nach Theresienstadt durchkreuzt. Schließlich nahm Rudolf Freudenfeld die musikalische Leitung in die Hand, Zelenka entwarf die Kostüme und ein spartanisches Bühnenbild – denn niemand draußen sollte bemerken, was in diesem Kinderheim, in dem etwa 30 Waisen lebten, heimlich vor sich ging. Während der Vorbereitung am Tag vor der inoffiziellen Premiere kamen Männer der SS vorbei – um ein Haar wäre die Premiere geplatzt. Die Ausrede, dass Tische und Sessel da stehen, weil man den Speisesaal anstreichen wolle, genügte und sie gingen wieder. Statt der ursprünglich viel größer vorgesehenen Orchesterbesetzung blieben nur drei Instrumentalisten (Violine, Klavier, Schlagwerk) übrig, die aus dem Klavierauszug spielten. Die beiden einzigen Vorstellungen im Dezember 1942 fanden in verhaltener Lautstärke vor Kindern, einigen Angehörigen und Freunden statt. Weder Hans Krása noch Adolf Hoffmeister haben diese improvisierte und inoffizielle Uraufführung in dem Heim Hagibor erleben können: Krása war am 10. August 1942 nach Theresienstadt deportiert worden. Hoffmeister gelang die rechtzeitige Flucht ins Exil. BRUNDIBÁR ist heute Hans Krásas bekanntestes und am häufigsten aufgeführtes Stück.

Das Ghetto Theresienstadt Theresienstadt (Terezín) war damals eine Garnisonsstadt, 60 km nördlich von Prag, die einst von Kaiser Joseph II. von Österreich als Verteidigung gegen die Preußen errichtet worden war. Noch heute umsäumen mächtige Schutzwälle die über 200 Wohnhäuser und elf ehemaligen Kasernen. 1941 wurde der gebürtige Hallenser Reinhard Heydrich, der als »Henker von Prag« in die Geschichte eingehen sollte, mit der »Endlösung der Judenfrage« beauftragt und organisierte fortan den systematischen Massenmord an den verfolgten europäischen Juden in den besetzten Gebieten im Osten. Am 29. September wurde er auf Adolf Hitlers Geheiß stellvertretender Statthalter für das als »Protektorat Böhmen und Mähren« bezeichnete Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei. 1942 wurde ein Mordanschlag auf ihn verübt, an dessen Folgen er noch im selben Jahr in Prag starb. Theresienstadt erschien ihm und der SS als ein idealer Ort für ein »Vorzeige-Ghetto«, das vor allem ältere Juden und Personen mit »besonderen Verdiensten« aus Deutschland, Österreich, Tschechien, den Niederlanden und Dänemark beherbergen sollte. Unter der Besetzung durch die Nationalsozialisten wurden die knapp 7.500 tschechischen Bewohner zwangsweise umgesiedelt und an ihrer statt bis zur Befreiung im Mai 1945 über 140.000 Menschen jüdischer Herkunft gefangen gehalten. Die sternförmige Anlage mit Verwaltungsgebäude und Lagergefängnis war auf dem Papier für 6.000 Menschen ausgegeben. Zwei bis drei Züge täglich sollten je 1.000 Personen nach Theresienstadt bringen. Doch bald wurden dort bis zu 60.000 Menschen gleichzeitig eingepfercht. Etwa 34.000 Häftlinge starben an den sich dadurch schnell ausbreitenden Infektionskrankheiten, an Unterernährung und »Altersverfall«, wie die Kommandantur das Sterben der Menschen zynisch nannte. Als das Deutsche Rote Kreuz durch Berichte über die Misshandlung von Juden misstrauisch wurde, kündigte es für den 23. Juni 1944 einen Besuch an. Prompt wurden Verschönerungsaktionen der Anlage angeordnet. So sollte der Welt das Märchen vom »Theresienstädter Paradies« vorgegaukelt

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werden. Aus dem Ghetto wurde binnen kurzer Zeit das »Kurbad Theresienstadt« – eine betrügerische Scheinwelt. In Wirklichkeit war es ein Durchgangsort zu den Vernichtungslagern. Um die Überfüllung des Ghettos vor dem Besuch der Kommission zu reduzieren, wurden verstärkt Deportationen nach Auschwitz durchgeführt. Fiktive Geschäfte u.a. mit Spielsachen (darunter ein Schaukelpferd aus Holz), eine Bank (es gab »Ghetto-Kronen«), Kindergärten, eine Schule und Ähnliches wurden eingerichtet und von den Häftlingen »blühende Gärten« mit Teich und Schaukeln für die Kinder angelegt. Als die Kommission im Ghetto eintraf, waren zuvor an alle Häftlinge – und auch alle Kinder – genaueste Instruktionen ergangen, dass sie sich fröhlich und zufrieden geben sollten. Als Kulturprojekt sollte BRUNDIBÁR (in tschechischer Sprache!) präsentiert werden. Vorher hatte die Lagerkommandantur das Werk im ansonsten leeren Zuschauerraum zur vorherigen Urteilsbildung angesehen. Nachdem selbst sie durch die Darbietung berührt worden war (Erinnerten sie sich an ihre Familien, an ihre Kinder zuhause?), folgte der Befehl, man solle BRUNDIBÁR vor der Kommission spielen. Das als zu düster befundene Bühnenbild musste nachgebessert werden, indem man eine ganze Stadt hinter den dunklen Lattenzaun stellte. Der Besuch des Deutschen Roten Kreuzes ging zu Ende und damit waren die vorübergehenden Privilegien vorbei – fast! Kurz darauf, im August 1944, schlossen sich noch Aufnahmen für einen Propagandafilm in dieser prächtig und harmlos wirkenden städtischen Umgebung an, die das angeblich neue Leben der Juden zeigen sollten. Nach außen wurde so der schöne Schein eines vitalen Kulturlebens der Juden in den Konzentrationslagern gewahrt, der die erbärmlichen Zustände und Todesaussichten aus der öffentlichen Wahrnehmung verdeckte. Der berühmte Regisseur und Lagerinsasse Kurt Gerron wurde gezwungen, den Film mit dem Namen »Theresienstadt, ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet«, der dann unter dem nicht authentischen Titel »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt« bekannt wurde. Zu den erhaltenen Fragmenten dieses Films zählt auch das Finale aus BRUNDIBÁR, in dem die Kinder ihren gemeinsamen Sieg über den Leiermann Brundibár besingen. Als die Dreharbeiten abgeschlossen waren, wurde der Großteil der Darsteller des Films, darunter die meisten Kinder des Ghettos, in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau deportiert. In einem der Transporte waren auch Hans Krása, Viktor Ullmann, Pavel Haas, Rafael Schächter und viele weitere Künstlerkollegen. Unter den wenigen Überlebenden dieses 1.500 Mann fassenden Transports war Rudolf Freudenfeld, der nach dem Krieg in Prag wieder als Lehrer arbeitete. Theresienstadt schien danach fast leer. Insgesamt 88.000 Menschen wurden aus Theresienstadt mit 63 Transporten nach AuschwitzBirkenau und in andere Vernichtungslager geschickt. Davon überlebten nur 4.000 Menschen den Krieg. Schätzungsweise wurden 11.000 Kinder von Theresienstadt deportiert, von denen nur etwa 250 überlebten.

Musikleben in Theresienstadt Das vermeintliche Privileg, dass die künstlerische Elite nach Theresienstadt kam, entpuppte sich für die Internierten freilich als Täuschung. Auch hier wurden Familien auseinandergerissen. Männer und Frauen lebten getrennt. Ihnen waren nur kurze Besuchszeiten gestattet. Männer und Frauen mussten harte körperliche Arbeit leisten, Kinder ab 14 Jahre wurden auch für Zwangsarbeit in der Landwirtschaft herangezogen. Wer hingegen Musiker war, genoss bevorzugte Behandlung. Man wurde von harten Arbeiten verschont und verrichtete leichtere Aufgaben wie Kochen und das

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Verteilen der Mahlzeiten. Im Gegensatz zu vielen anderen Lagern wurde Künstlern hier eine seelische Flucht durch das Ausüben von musischen Betätigungen ermöglicht. Sie konnten durch die Arbeit mit der Musik trotz Hungersnot, wenigstens ein Stück Normalität empfinden. Täglich wurden bis zu vier klassische Konzerte organisiert. Noten gab es kaum, die meisten Musiker spielten die Werke auswendig. Jeder Pianist durfte sich bis zu einer halben Stunde am Tag zum Üben ans Klavier setzen. Opern wie CARMEN, TOSCA, DIE ZAUBERFLÖTE und DIE VERKAUFTE BRAUT sowie das VERDI-REQUIEM wurden gegeben, aber nichts sollte an den Erfolg der Kinderoper BRUNDIBÁR heranreichen. Es gab eine Lagerzeitung und Kabarettabende. Im Kaffeehaus spielten täglich die Ghetto Swingers. Die Zuhörer waren überwiegend Alte und Kranke. Außer bei BRUNDIBÁR!

Plakat der Theresienstädter Aufführung

Brundibár, gezeichnet von František Zelenka, 1944

BRUNDIBÁR in Theresienstadt Als nach Hans Krása im Juli 1943 auch Rudolf Freudenfeld nach Theresienstadt deportiert wurde, schleuste er den Klavierauszug zu BRUNDIBÁR in das Lager. »Als kostbaren Schatz habe ich den versteckten Klavierauszug durch die Kontrolle geschmuggelt, und gleich am ersten Tag habe ich ihn dem Komponisten übergeben, damit er eine neue Partitur anfertige.« Unter dessen Zuhilfenahme rekonstruierte Krása aus seiner Erinnerung innerhalb von zwei Monaten die Partitur und passte sie auf die verfügbaren inhaftierten Musiker an, unter denen so herausragende Künstler wie der Pianist und Komponist Gideon Klein waren. Durch die neu eintreffenden Transporte kamen die meisten Kinder aus dem Prager Waisenhaus, der Dirigent Rafael Schächter und Krása nun auf tragische Weise wieder zusammen. Die Proben für die Kinder begannen schon kurz nach der Ankunft von Freudenfeld. Für Solorollen musste vorgesungen werden. Am 23. September 1943 fand im Saal der Magdeburger Kaserne des Theresienstädter Ghettos die Premiere statt, für deren Inszenierung und Bühnenbild František Zelenka sorgte, der die Oper wieder vor einem Holzzaun mit Plakaten spielen ließ. Über deren Wirkung notierte Freudenfeld: »Den

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Kindern hat die Oper vom ersten Anhören an gefallen, die Musik und auch der Text. Beides ist kindesgemäß, die Musik ist modern und melodisch […]«. Die über 50 offiziellen und die zahlreichen inoffiziellen Vorstellungen in Theresienstadt (auf den Fluren der Wohnbaracken, auf Dachböden, in Hofnischen etc.) – mit immer wieder neuen Mitwirkenden durch die ständigen Abtransporte in andere Konzentrationslager – zeugen von der Bedeutung des Werks für jeden Einzelnen, der damit als Mitwirkender und Zuschauer in Berührung kam. Mit diesem Hoffnung spendenden Werk BRUNDIBÁR konnte die seelische Not etwas gelindert werden. Die Kinder konnten verdrängen, dass sie an Hunger litten, dass sie täglich mit der Angst lebten, zu einem der nächsten Transporte gerufen zu werden, dass sie in Gefangenheit, in der Enge und unter miserablen hygienischen Bedingungen ohne ihre Familien leben mussten. Die mitreißende und dennoch anspruchsvolle Musik richtete die Kinder in Theresienstadt auf. Überall wurden die Melodien gepfiffen. Die Kinder sprachen sich untereinander mit den Rollennamen an, so sehr identifizierten sie sich mit dieser kreativen Arbeit. Die Musik wurde von den Häftlingen so benötigt wie Brot – oder sogar noch mehr, so berichten Überlebende. Kinder, die jahrelang keine Milch, keinen Kuchen, kein Eis gesehen oder geschmeckt hatten, sangen nun davon und es schien ihnen, als würden sie diese wunderbaren Dinge gerade auf der Zunge schmecken. Sie konnten sich für Momente in eine bessere Welt hinwegträumen. Für die Tausenden Kinder waren die Melodien aus BRUNDIBÁR wohl das letzte Schöne, das sie in ihrem kurzen Leben mit in den Tod nahmen. Bis heute wirken die Erinnerungen an diese Aufführungen bei überlebenden Zeitzeugen nach: »Für uns war es etwas ganz Außerordentliches. Es war ein Ereignis, denn es war etwas, das uns an das normale Leben erinnerte.« (Dagmar Lieblová über die BRUNDIBÁR-Aufführung in Theresienstadt)

Schlussszene der Theresienstädter Aufführung

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Eine Zeitzeugin berichtet: Dagmar Lieblová über BRUNDIBÁR in Theresienstadt (Quelle: http://www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/leporello/brundibar-dagmarlieblova100.html; Text gekürzt, mit Audiobeitrag – Interview mit Dagmar Lieblová) Die 84-jährige Dagmar Lieblová kam 1942 ins Lager Theresienstadt – damals war sie 13 Jahre alt. Im Mädchenheim, in dem Dagmar damals untergebracht war, wurde viel gesungen und so wurde Dagmar als Darstellerin für die Kinderoper ausgesucht. Die Proben haben nicht lange gedauert: im Sommer 1943 hatten die Vorbereitungen begonnen und am 23. September 1943 fand schon die Premiere von BRUNDIBÁR in Theresienstadt statt. Nur drei Monate nach der Premiere wurde Dagmar weiter nach Auschwitz deportiert. Dagmar überlebte, ihre Eltern und ihre jüngere Schwester kamen in Auschwitz ums Leben. »Ich habe darüber nachgedacht, ob es wirklich so sein wird, dass ich nie wieder etwas anderes sehe, als den Stacheldraht, die Blöcke und die Kamine.« Dagmar Lieblová

Die Kinderoper BRUNDIBÁR ist so etwas wie ein Denkmal für die Kinder, die den Holocaust nicht überlebt haben. Mit jeder Aufführung heute leben die Stimmen der Kinder von damals in unserer Erinnerung weiter. »Auch in den dunkelsten Ecken der Welt nahm die Musik uns die Angst und erinnerte uns an das Schöne in dieser Welt.« Alice Herz-Sommer (1903-2014), Pianistin und Holocaust-Überlebende, spielte in Theresienstadt bei Solisten- und Kammermusikabenden vor meist 150 Mithäftlingen bis zum Frühjahr 1945.

Hans Krása Biografisches über den Komponisten Hans Krása (1899–1944) Hans Krása wurde am 30. November 1899 in Prag als Sohn eines tschechischen Vaters (Rechtsanwalt) und einer deutschen Mutter geboren, die zu dem großen Kreis assimilierter Juden in Prag gehörten. Während der Schulzeit erhielt er ab sechs Jahren Klavierunterricht, ab zehn Jahren lernte er Violine und schrieb schon mit elf Jahren sein erstes kleines Orchesterstück, das von einem Kurorchester in Salzburg uraufgeführt wurde. Nach dem Abschluss des deutschen Gymnasiums studierte er Komposition bei Alexander von Zemlinsky, der von 1911 bis 1927 Opernchef des Neuen deutschen Theaters in Prag war und für seine weitere künstlerische Entwicklung prägend blieb. Im Mai 1921

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dirigierte der Mentor persönlich die Uraufführung von Krásas Absolventenarbeit VIER ORCHESTERLIEDER nach Christian Morgensterns GALGENLIEDERN in einem Prager Philharmonischen Konzert. Anschließend war Krása kurze Zeit als Korrepetitor an dem Prager Neuen deutschen Theater tätig, bevor es ihn 1923 für einige Monate nach Paris zog, wo eigene Werke zur Aufführung kamen und er wichtige Anregungen durch Unterricht bei dem Komponisten Albert Roussel sowie der jungen Avantgarde der »Groupe des six« erhielt. 1927 folgte er Zemlinsky als Korrepetitor für wenige Monate an die Berliner Kroll-Oper. Obwohl er im Ausland schon in jungen Jahren Anerkennung fand und Angebote aus Berlin, Boston und Chicago erhielt, kehrte er noch im selben Jahr in die Prager Heimat zurück. Seit 1928 schrieb Hans Krása an seiner ersten Oper VERLOBUNG IM TRAUM nach Dostojewski, für die ihm nach der Uraufführung im Mai 1933 am Neuen deutschen Theater der Tschechoslowakische Staatspreis verliehen wurde. Doch durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte das Werk keine Chance, sich im deutschsprachigen Repertoire zu behaupten. Das Prager Leben war prägend für seine weitere künstlerische Entwicklung. Zwar komponierte und dirigierte er Mitte der Dreißigerjahre bis auf Rundfunksendungen für den Prager Sender kaum noch, war stattdessen aber sehr aktiv in tschechischen Künstlerkreisen, wo er den Austausch mit tschechischen Literaten und bildenden Künstlern pflegte. Ein Ergebnis dessen war die Schauspielmusik zu Adolf Hoffmeisters MLÁDÍ VE HŘE (JUGEND IM SPIEL), die 1935 im Avantgardetheater D 35 erstmals gespielt wurde. Ende desselben Jahres wurde das Stück unter dem Titel ANNA SAGT NEIN von Friedrich Torberg im kleinen Saal des Deutschen Theaters erstmals in deutscher Sprache aufgeführt. Während sich Krása in seiner frühen Schaffensperiode stärker der Prager deutschen Kultur zugehörig fühlte, verstand er sich nun eher als tschechischer Künstler. So schrieb er zusammen mit Hoffmeister die gemeinsame Kinderoper BRUNDIBÁR als letztes in Freiheit beendetes Werk im Original auch in Tschechischer Sprache. Adolf Hoffmeister bezeichnete Hans Krása später als seinen besten Freund. »Als Schüler von Gustav Mahler suchte er immer die einfachsten Melodien des Lebens. Seine Lieder haben wir auswendig gelernt und auf den Straßen gepfiffen.« Am 10. August 1942 wurde Hans Krása in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Während die kulturellen Ambitionen der Häftlinge von der SS-Kommandantur zunächst nur geduldet wurden, förderte sie das künstlerische Potential der Inhaftierten bald und entwickelte eine infame Propagandakampagne, die das Lagerleben nach außen verharmlosen und die Nationalsozialisten als Wohltäter dastehen ließ. Krása engagierte sich bald in der Organisation des kulturellen Lebens in Theresienstadt, wurde Leiter der Musiksektion der »Freizeitgestaltung« und komponierte u.a. einen Liederzyklus nach Rimbaud und Werke für Orchester. Mit der Rekonstruktion seiner Oper BRUNDIBÁR und den viele Aufführungen schenkte er den Kindern und Mithäftlingen wenigstens vorübergehend ein wenig Zuversicht und stärkte im Lager – trotz menschenunwürdiger Zustände – den Überlebenswillen vieler Leidensgenossen. Bereits zwei Tage nach seiner Deportation mit dem sogenannten »Künstlertransport« in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde Hans Krása dort am 18. Oktober 1944 in der Gaskammer ermordet. Die Kinderoper BRUNDIBÁR ist sein künstlerisches Vermächtnis.

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Adolf Hoffmeister in einem Café in Paris, 1968

Biografisches über den Textdichter Adolf Hoffmeister (1902–1973) Der am 15. August 1902 in Prag als Sohn einer wohlhabenden Prager Familie geborene Adolf Hoffmeister war ein vielseitig begabter und universal gebildeter tschechischer Intellektueller. Als Maler, Karikaturist, Illustrator, Bühnenbildner, Schriftsteller, Dramaturg, Übersetzer, Journalist, Radiokommentator, Kunstprofessor, Kunstkritiker, Politiker, Diplomat und Kulturfunktionär machte er sich einen Namen. Er wird auch gerne als eleganter Weltenbummler und Kunstfreund sowie Liebhaber guter Speisen und edler Weine beschrieben mit einer engen Bindung an seine Heimatstadt Prag. Hoffmeister engagierte sich zeitlebens in links gerichteten Intellektuellenkreisen, die für demokratische Werte eintraten. 1920 wurde er Gründungsmitglied der Künstlervereinigung »Devětsil« (Pestwurz). Später wurde diese Bindung lockerer. Er interessierte sich für die Kulturen anderer Länder. Seine lebenslang anhaltende Abenteuerlust führte ihn mit Reisen in verschiedenste Regionen der Erde. Geld verdiente er mit dem Schreiben von Artikeln für Prager Zeitschriften und Magazine, in denen er Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Künstlerkollegen porträtierte, denen er meist eine Karikatur beifügte. Als die Satirezeitschrift »Simplicissimus«, für die er auch tätig war, in den 1930er Jahren verboten wurde, gründete er in Prag den antifaschistischen »Simplicus«, später »Simpl« genannt. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei floh er 1939 gerade noch rechtzeitig ins Exil. Während einige Quellen London als Fluchtort nennen, sprechen andere von Frankreich, wo er zwischenzeitlich für sieben Monate inhaftiert worden und ihm die Flucht über Portugal und Marokko in die Vereinigten Staaten gelungen sein soll. Dort habe er für seine Landsleute in der Heimat das tschechische Exilradio geleitet. Belegt ist, dass er während seines Exils vor allem durch die Kinderoper BRUNDIBÁR Bekanntheit erlangte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er in seine Heimat zurück und wurde Generaldirektor für kulturelle Beziehungen, wodurch er an Aktivitäten der UNESCO teilnahm. 1948 wurde der überzeugte Linksintellektuelle nach dem kommunistischen Putsch Botschafter seines Landes in Frankreich. Im Zuge der Stalinisierung musste er diese Ämter aufgeben, war aber weiterhin Professor an der Prager Akademie für angewandte Kunst. 1961 wurde im Berliner Haus der tschechoslowakischen Kultur Illustrationen aus Karikaturen von Adolf Hoffmeisters in Berlin ausgestellt. In den 1960er Jahre war Hoffmeister Vorsitzender der Kunstkommission, die die Briefmarkenausgaben der Tschechoslowakei plante und auswählte. Unter seiner Verantwortung entwickelte sich ein bemerkenswertes künstlerisches Profil. Er selbst stellte 1968 und 1969

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insgesamt 13 seiner Künstlerkarikaturen für eine Veröffentlichung auf Briefmarken zur Verfügung, darunter so illustre Künstler wie sein Freund Franz Kafka, Ernest Hemingway, Pablo Picasso, Charly Chaplin und Henri Matisse. Nach der Zerschlagung des Prager Frühlings verließ er seine Heimat für zwei Jahre in Richtung Paris, wo er Professor an der Université de Vincennes (Universität Paris VIII Saint-Denis) war. Als er 1970 nach Prag zurückkam, wurde er als »Salon-Kommunist« abgestempelt. Adolf Hoffmeister starb am 24. Juli 1973 in Říčky.

Empfehlungen für eine umfassendere Auseinandersetzung: »Theresienstadt – Musik als Zuflucht« Dokumentation von Dorothee Binding und Benedict Mirow, Bayerisches Fernsehen 2013, Erstausstrahlung am 27. Januar 2014 Dokumentation und Konzert gibt es auch auf DVD: »Refuge in Music – Theresienstadt«, erschienen bei Deutsche Grammophon Eine Hommage an die Männer, Frauen und Kinder, die ihr Leben so tragisch verloren haben mit umfassenden Zeitzeugenberichten sowie Anne Sofie von Otter (Mezzosopran), Christian Gerhaher (Bariton), Daniel Hope (Violine), Bengt Forsberg (Klavier), Bebe Risenfors (Kontrabass, Gitarre, Akkordeon) »Hundertundein STOLPERSTEIN in Halle an der Saale« hrsg. v. Verein Zeit-Geschichte(n) Halle, 2007 94 Seiten mit zahlreiche Fotos, Namenregister und Straßenverzeichnis ISBN 3-9808120-8-1 erhältlich für eine Schutzgebühr von 3,- € oder zum Download jeweils unter www.zeit-geschichten.de Mit dem Inkrafttreten der »Rassegesetze« mussten auch in Halle an der Saale Juden zwangsweise zuerst in ein so genanntes »Judenhaus«, Hindenburg Str. 34 (heute Magdeburger Str. 7), und ab Juni 1942 in das angebliche »Altersheim« auf dem Grundstück des Jüdischen Friedhofs Dessauer Straße ziehen. Tatsächlich aber pferchte man hier jüdische Hallenser auf engstem Raum bis zu ihrer Deportation zusammen. Am 19. September 1942 wurden mehr als 70 jüdische Hallenser in das Ghetto Theresienstadt deportiert.

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