Brandenburger Fachkräftestudie Pflege - Ministerium für Arbeit ...

ne Pflege gelingt nur als gesamtgesellschaft- liche Aufgabe. Ein neues Verständnis von Pflege erfordert eine umfassende Neuorientierung in der Pfle- gepolitik.
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Brandenburger Fachkräftestudie Pflege Kurzfassung

Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Brandenburgischen Landesregierung herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundes-, Landtags- und Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht so verwendet werden, dass es als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer einzelnen Mitglieder zu verwenden.

Brandenburger Fachkräftestudie Pflege Kurzfassung Studie im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie

Erarbeitet durch die Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg, Institut für Gesundheit- und Pflegewissenschaft

Projektleiter: Prof. Dr. Johann Behrens Projektmitarbeiter: Dr. Steffen Fleischer, Dipl.-PGw Almuth Berg Textredaktion: Christine Ludwig, Hartmut Reiners

Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, die Lebenserwartung der Menschen steigt erfreulicherweise. Das ist die gute Nachricht – jedoch nur ein Aspekt des tiefgreifenden demografischen Wandels. Künftig werden insgesamt nicht nur weniger Menschen in Brandenburg leben, sondern vor allem weniger junge Menschen. Denn seit Beginn der 90-er Jahre stagniert die Geburtenzahl auf niedrigem Niveau; außerdem verließen viele Jugendliche ihre Heimat. Damit wächst die Zahl und der Anteil älterer Menschen in unserem Land deutlich. Das fordert die ganze Gesellschaft in neuer Weise heraus. Bereits ­heute haben wir in der Pflege spürbaren Handlungsdruck. Denn in einer Gesellschaft, die zunehmend altert, erhöht sich auch die Zahl pflegebedürftiger Menschen. Wir stehen vor existenziellen Fragen: Wie kann, wie muss Pflege organisiert und gesichert werden angesichts der Tatsache, dass immer weniger Angehörige dafür zur Verfügung stehen und auch professionelle Pflegekräfte auf absehbare Zeit rar sind? Das brandenburgische Sozialministerium hat diese Entwicklung frühzeitig erkannt und beauf­tragte 2011 das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Universität Halle-Wittenberg (IGPW) mit einer wissenschaftlichen Studie zu diesem Thema. Wir müssen wissen, wohin die Reise geht und wissenschaftlich fundiert sehen, wie sich in Brandenburg die Pflegesituation entwickeln wird. Von Anfang an strebten wir eine enge Kooperation von Theorie und Praxis an. Deshalb wurde die Studie von Workshops begleitet und die Wissenschaftler tauschten sich im „Begleitausschuss“ regelmäßig mit Brandenburger Akteuren der Pflege aus. Das schärfte den Blick der Wissenschaftler für die konkrete Praxis bei uns. Es gelang, neben Lösungsansätzen aus anderen Bundesländern, aber auch dem europäischen Ausland, auch praxisrelevante, bereits in Brandenburg erprobte Maßnahmen herauszuarbeiten. Die Brandenburger „Fachkräftestudie Pflege“ wurde im Februar 2014 in ihrer sehr detaillierten Langfassung erstmals veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren der Studie legen mit dieser Broschüre ihre zusammenfassenden Erkenntnisse vor. Sie haben den Ist-Zustand analysiert und – ausgehend vom demografischen Wandel und den daraus resultierenden Anforderungen für u.a. Arbeitsmarkt, Fachkräftebedarf, Infrastruktur – die Perspektiven für die Pflege aufgezeigt. Die Studie ist eine unabhängige wissenschaftliche Arbeit. Sie richtet sich an die verschiedenen ­Akteure in der Pflege und gibt ihnen Handlungsempfehlungen. Einen fertigen „Masterplan“ kann sie jedoch nicht bieten. Alle, die in der Pflege tätig sind, müssen sie nun auswerten, bewerten und gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, die Vorschläge und Ideen umzusetzen. Ich sehe im Ergebnis der Studie drei zentrale Ansatzpunkte, um die pflegerische Versorgung im Land zu sichern: Zuallererst muss es uns besser als bisher gelingen, Pflegebedürftigkeit zu ­vermeiden und hinauszuschieben. Hier werden noch längst nicht alle Möglichkeiten genutzt. Zweitens müssen wir die Unterstützung für pflegende Angehörige verstärken; auch hier gibt es Reserven. Beides kann nur vor Ort, nur in den Kommunen gestaltet werden. Pflege ist nicht allein die Aufgabe der Pflegeversicherung, sie muss von der gesamten Gesellschaft wahrgenommen und geleistet werden. Die Pflege der Zukunft ist die „Pflege im Quartier“. Und drittens stehen wir vor der Aufgabe, ausreichend Fach- und Hilfskräfte für die Pflegebranche zu gewinnen. Das ist eine gewaltige Herausforderung. Es muss uns gelingen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege

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Vorwort

attraktiver zu gestalten und vor allem die Bezahlung zu verbessern. Pflege ist ein schwieriger Job mit hohen physischen und psychischen Anforderungen. Wir haben 1.000 Gründe, dies endlich angemessen zu honorieren – mit größerer gesellschaftlicher Anerkennung und deutlich besserer Entlohnung. Die „Fachkräftestudie Pflege“ ist das praktikable Ergebnis einer intensiven gemeinsamen Arbeit aller Beteiligten zur Weiterentwicklung der Pflegestrukturen im Land. Dies wollen und müssen wir fortsetzen. Brandenburg ist ein Land mit großen Unterschieden zwischen Stadt und Dorf. Dem müssen wir verstärkt Rechnung tragen – wie wir es u.a. mit dem 2013 von mir gestarteten „Pflege-Dialog“ bereits tun. Auf diesen Veranstaltungen werden innovative Ansätze und region­ale Lösungen sichtbar. Wir wollen sie diskutieren, erproben und im Land bekannter machen. Ich wünsche und erhoffe mir, dass auch mit diesem Dialog eine „Kultur der Ermöglichung“ im Land entsteht, die auch der Pflege neue Wege ebnet. Ich denke, wir sind unterwegs. Lassen Sie uns den begonnenen Weg gemeinsam fortsetzen und haben wir den Mut, dabei neue Pfade zu erkunden. Ich danke Prof. Dr. phil. Johann Behrens vom steuernden Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Universität Halle-Wittenberg (IGPW), seinem Team und Kooperationspartnern, aber auch allen anderen beteiligten Akteuren für die engagierte Arbeit. Sie wird helfen, „die Pflege“ in Brandenburg zukunftsfest zu machen.

Günter Baaske

Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg

Vorwort

3

Inhaltsverzeichnis Vorwort

2

Inhaltsverzeichnis

4

1 Einführung und Überblick 7 2 Ausgangslage

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3 Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege Dr. Carsten Kampe, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie

12

4 Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen 4.1 Potenziale integrierter Versorgungsstrukturen im Wohnquartier – das Beispiel Hennigsdorf Prof. Dr. Rolf G. Heinze

19 19

4.2 Rahmenbedingungen für Teilhabe und Selbsbestimmung in der Altenpflege – am Beispiel des Altkreise Oranienburg im Landkreis Oberhavel Sabine Böttcher

25

4.3 Sicherung von Pflegearrangements im Wohlfahrtsmix – am Beispiel der Stadt Cottbus Prof. Dr. Thomas Klie | Birgit Schuhmacher

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4.4 Pflege in Strukturschwachen Regionen – am Beispiel der Uckermark Prof. Dr. Christoph Strünck | Julia Portugall 5 Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation 5.1 Strukturelle Charakteristika der befragten Pflegedienstleister 5.2 Die Einschätzung der Betriebe zur Fachkräftesituation 5.3 Betriebliche Strategien und Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs 5.4 Betriebliche Sozialleistungen 5.5 Leistungsangebote der Pflegedienstleister 5.6 Aus-, Fort- und Weiterbildung 5.7 Zwischenfazit 6 Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern 6.1 Handlungsfeld 1: Prävention von Pflegebedürftigkeit 6.2 Handlungsfeld 2: Wohnen/Wohnumfeld, Produkte und Technologien 6.3 Handlungsfeld 3: Unterstützung häuslicher Pflege und Förderung eines Wohlfahrtsmix 6.4 Handlungsfeld 4: Professionelle Dienste in der Pflege: Spezialisierungsbedarfe 6.5 Handlungsfeld 5: Weiterentwicklung zugehender Beratung und Fallbegleitung 6.6 Handlungsfeld 6: Ambulante versorgungsstrukturen im ländlichen Raum 6.7 Handlungsfeld 7: Fachkräfte in der Pflege: Qualifikationsbedarfe und Personalkonzepte

4

Inhaltsverzeichnis

53

64 65 68 72 74 77 78 82 83 83 89 94 105 111 116 121

7 Lösungspotenzial der identifizierten Handlungsfelder Dr. Carsten Kampe, Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie 7.1 Prävention und Rehabilitation 7.2 Alternative Versorgungsstrukturen 7.3 Alternativer Personaleinsatz 7.4 Kostenentwicklung bei der Hilfe zur Pflege 8

„Weiter so“ geht nicht! Konsequenzen aus der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege für die Pflegepolitik des Landes Günter Baaske, Minister für Arbeit, Soziales Frauen und Familie im Land Brandenburg

132

132 135 139 146

148

Anhang

165

Abbildungsverzeichnis

166

Tabellenverzeichnis

167

Literaturverzeichnis

168

Autoren

176

Inhaltsverzeichnis

5

Einführung und Überblick Die demographische Entwicklung hat gravierende Auswirkungen auf die Brandenburger Pflege-Landschaft. Auf der einen Seite wächst mit der Alterung der Bevölkerung auch die Anzahl der Pflegebedürftigen. Auf der anderen Seite sinken das Erwerbspersonenpotenzial (also der Teil der Bevölkerung, der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht) sowie die jüngeren Teile des informellen Pflegepotenzials (also die gesellschaftlichen, nicht-professionellen Ressourcen der Pflege). Im Pflegebereich besteht also ein besonders enger Zusammenhang zwischen der Bevölkerungsentwicklung und den Herausforderungen der Fachkräftesicherung. Aufgrund dieses Zusammenhangs ist eine umfassende und nachhaltige Politik zur Fachkräftesicherung breit angelegt. Sie setzt nicht bei einem unabwendbaren Fachkräftebedarf an, sondern hat primär die Faktoren im Blick, die zu einem bestimmten Bedarf an Fachkräften führen. Um zu untersuchen, ob und ggf. wie diese Faktoren von den pflegepolitischen Akteuren im Land Brandenburg beeinflusst werden können, wurde durch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg (MASF) Ende 2011 das Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg unter Leitung von Prof. Dr. Johann Behrens beauftragt, die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege durchzuführen. Im Zentrum stehen dabei die Fragestellungen, ■■ wie Pflegebedürftigkeit bzw. Pflegebedarf vermieden, hinausgezögert oder reduziert werden kann, ■■ welche Anforderungen Versorgungsstrukturen erfüllen sollten und wie sie gestaltet werden können, ■■ welche Spielräume es in der Organisation von Pflege, Betreuung und Fachkräfteeinsatz gibt, und ■■ welche quantitativen Effekte von unterschiedlichen Entwicklungsvarianten ausgehen könnten. Um diese Fragestellungen so umfassend wie

1 möglich zu beantworten, wählte die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege einen Methodenmix: ■■ In Untersuchungsebene 1 wird nach eingehender Analyse der (internationalen) wissenschaftlichen Literatur aufgezeigt, welche Bedeutung die unterschiedlichen Akteure der Pflege für Vorsorge haben, d.h. wie diese den Eintritt von Pflegebedürftigkeit beeinflussen können. Die Handlungsempfehlungen basieren darüber hinaus auf fachlichen Diskussionen über den aktuellen Forschungsstand im Begleitausschuss der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege. ■■ Um die regionalen Differenzen in Brandenburg genauer in den Blick zu nehmen, wurden in der zweiten Untersuchungsebene drei Feldstudien an renommierte Wissenschaftler in Auftrag gegeben, die sich vor Ort kundig machten, wie sich sozialräumliche Vernetzung in der Pflege bei unterschiedlichen Rahmenbedingungen ausgestaltet. ■■ In Untersuchungsebene 3 stand schließlich die Fachkräfteproblematik im Zentrum, weshalb in diesem Kontext eine umfassende Betriebsbefragung durchgeführt wurde. Ergänzende Informationen wurden über vertiefte Experteninterviews erlangt. Die Untersuchung wurde dialogisch konzipiert: Im Begleitausschuss der Studie wurden mit den zentralen Akteuren der Brandenburger Pflegelandschaft Anlage und Teilergebnisse der Studie diskutiert und anschließend neu justiert; darüber hinaus wurden in den drei thematischen Meilensteinworkshops zahlreichen Interessengruppen, Beschäftigten der Pflege und Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zur Beteiligung geboten. Im Zentrum der in der Studie ausgesprochenen Handlungsempfehlungen sollten die Möglichkeiten der Akteure im Land Brandenburg stehen. Der erhebliche pflegepolitische Handlungsdruck auf Bundesebene stand bewusst nicht im Mittelpunkt.

Einführung und Überblick

7

Der Abschlussbericht der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege steht im Internet zum Download bereit1. In der vorliegenden Broschüre werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst. Sie verfolgt das Ziel, das komplexe Forschungsdesign der mehrjährigen Untersuchung einer breiteren Öffentlichkeit in Brandenburg und darüber hinaus zugänglich und verständlich zu machen. Die einzelnen Kapitel dieser Broschüre werden nachstehend kurz vorgestellt. Im Basisszenario (siehe Kapitel 3) wird dargestellt, wie sich der Fach- und Hilfskräftebedarf in der Pflege entwickelt, wenn sich die demografische Entwicklung bis 2030 niederschlagen würde, wenn die heutigen Verhältnisse von Alter und Pflegebedürftigkeit, Anteile der Versorgungsformen und Personaleinsatz in der Pflege stabil bleiben. Diese Projektion verdeutlicht den enormen Handlungsdruck, mit dem die Brandenburger Pflegelandschaft konfrontiert ist. Im Rahmen der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege wurden Unteraufträge an renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erteilt, um die unterschiedlichen regionalen Pflegestrukturen in Brandenburg näher zu untersuchen: ■■ In der Feldstudie von Prof. Dr. Rolf G. Heinze (siehe Kapitel 4.1) wird am Beispiel Hennigsdorf untersucht, welche Potenziale integrierte Versorgungsstrukturen in Wohnquartieren aufweisen. ■■ Die Feldstudie von Sabine Böttcher (siehe Kapitel 4.2) untersucht am Beispiel des Altkreises Oranienburg im Landkreis Oberhavel die Rahmenbedingungen für Teilhabe und Selbstbestimmung in der Altenpflege. ■■ In der Feldstudie von Prof. Dr. Thomas Klie und Birgit Schuhmacher (siehe Kapitel 4.3) wird am Beispiel der Stadt Cottbus gezeigt, inwiefern geteilte Aufgaben

1 http://www.masf.brandenburg.de/media_fast/4055/BraFaP_ Abschlussbericht.pdf

8

Einführung und überblick

und Verantwortungen zur Sicherung eines Pflegearrangements im Sinne des Wohlfahrtsmix dienen. ■■ Die Feldstudie von Prof. Dr. Christoph Strünck und Julia Portugall (siehe Kapitel 4.4) untersucht schließlich am Beispiel der Uckermark die Organisation der Pflege in einer strukturschwachen Region Brandenburgs. Von dem Hauptauftragnehmer Prof. Dr. ­Johann Behrens wurden als dritte Untersuchungsebene Experteninterviews durchgeführt sowie eine Betriebsbefragung (siehe Kapitel 5) zur Fachkräftesituation, um die personalpolitischen Herausforderungen zu eruieren. Die Erkenntnisse aus diesen drei Untersuchungsebenen der Studie sind in dieser Broschüre zusammengefasst und in der Darstellung der sieben Handlungsfelder zugeordnet. Aufgrund der inhaltlichen Wechselwirkungen zwischen den Handlungsfeldern wäre eine trennscharfe Zuordnung nicht sachgerecht gewesen, vielmehr greifen die Handlungsfelder bewusst ineinander. Zu jedem Handlungsfeld werden die Handlungsempfehlungen zusammengefasst. ■■ In Handlungsfeld 1 (siehe Kapitel 6.1) geht es um pflegevermeidende Maßnahmen, also darum, welche Bedeutung Vorsorge, Prävention und Rehabilitation sowohl vor als auch in der Pflege einnehmen bzw. einnehmen sollten. Es besteht z.B. ein kausaler Zusammenhang zwischen Pflegeprävalenz und sozialem Status, wo­ raus sich der Bedarf an differenzierten und niedrigschwelligen Zugangswegen ergibt. ■■ In Handlungsfeld 2 (siehe Kapitel 6.2) werden alternsgerechter Wohnraum, der Ausbau wohnortnaher Infrastrukturen, der Einsatz von Technologien sowie Formen barrierefreier Architektur und Modelle des alternsgerechten Wohnens behandelt. Hier besteht Handlungsbedarf in der Nutzerfreundlichkeit und im Anlernen von unterstützender Technik und in der Entwicklung von Organisationsformen des

Wohnens im Alter (z.B. Seniorenwohngemeinschaften). ■■ In Handlungsfeld 3 (siehe Kapitel 6.3) werden Prinzipien und Bedingungen gemischter Pflegearrangements im Sinne eines „Wohlfahrtmix“ beschrieben, bei denen sich die verschiedenen Akteure die Aufgaben und Verantwortungen der Pflege teilen. Erforderlich sind Kooperationen auf unterschiedlichen Ebenen innerhalb des Systems „Pflege“ aber auch zu Unterstützungsstrukturen im Vor- und Umfeld sowie zu angrenzenden Versorgungssystemen wie dem der gesundheitlichen Versorgung. ■■ In Handlungsfeld 4 (siehe Kapitel 6.4) geht es um Spezialisierungen von Angeboten der professionellen Pflegedienstleister, insbesondere in der Tages- und Verhinderungspflege. Es zeigt sich, dass Unterstützung und Anreize für eine Angebotsdifferenzierung notwendig sind. Darüber hinaus wird dargelegt, dass Möglichkeiten zu einem betriebsübergreifenden Einsatz spezialisierter Kräfte geschaffen werden müssen. ■■ In Handlungsfeld 5 (siehe Kapitel 6.5) werden die Potentiale und Bedeutung der (kontinuierlichen) Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen herausgearbeitet. Hierfür soll die aufsuchende Beratung der Empfängerinnen und Empfänger von Pflegegeld nach § 37 Absatz 3 SGB XI weiterentwickelt werden. Die Pflegestützpunkte als gut etablierte Beratungsstruktur sollen verstärkt werden. Zudem wird untersucht, wie die Schnittstelle und Beziehung zwischen Pflegesystem und Hausärzten neu justiert werden kann einschließlich der hierfür erforderlichen Anpassungen in der Berufsausbildung der Pflegefachkräfte. ■■ In Handlungsfeld 6 (siehe Kapitel 6.6) werden die ambulanten Versorgungsstrukturen im ländlichen Raum beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass insbesondere dort Gesundheits- und pflegerische Versorgung nicht getrennt voneinander

betrachtet werden dürfen. Die Brandenburger Charakteristika – Ballungsgebiete und ländlicher Raum – müssen bei den integrierten Versorgungskonzepten ebenso Berücksichtigung finden wie Aspekte der Versorgungsdichte, unterschiedliche Lebenslagen und Bevölkerungsgruppen. ■■ In Handlungsfeld 7 (siehe Kapitel 6.7) werden die Qualifikationsbedarfe in der Langzeitversorgung sowie bisherige Handlungskonzepte zur Fachkräftesicherung untersucht. Wie sich herausgestellt hat, sehen sich nicht alle Betriebe in der Lage, die personalpolitischen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, um den qualitativen und quantitativen Herausforderungen gerecht zu werden. Konzepte und Aspekte wie z.B. betriebsübergreifender Fachkräfteeinsatz, die Ausdifferenzierung der Qualifikationsniveaus des Pflegepersonals, alternsgerechte Beschäftigungsformen, lokale Vernetzung und der gezielte und organisierte Einbezug des zivilgesellschaftlichen Umfeldes werden behandelt. Damit die Pflegebranche in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftszweigen hinreichend attraktiv ist, bedarf es guter Arbeitsbedingungen und damit auch einer adäquaten Entlohnung. In den Alternativszenarien (siehe Kapitel 7) wird an die Ausgangssituation angeknüpft und quantitativ dargestellt, welche Auswirkungen auf den Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege eintreten, wenn sich die beschriebenen Faktoren (Vorsorge, Versorgungsstruktur, alternativer Personaleinsatz) tatsächlich – zum Guten oder zum Schlechten – verändern. Minister Günter Baaske (siehe Kapitel 8) zieht in seinem Beitrag erste politische Schlussfolgerungen aus der Studie. Er entwirft dabei Eckpunkte einer zukünftigen Pflegepolitik des Landes. Er bezieht sich sowohl auf die Erkenntnisse und Empfehlungen der Studie als auch auf Hinweise, Ideen und Forderungen aus den „Pflege-Dialogen“.

Einführung und Überblick

9

2

Ausgangslage Die vorliegenden Bestandsaufnahmen zu den Anforderungen an eine sachgerechte und nachhaltige Pflegepolitik lassen sich in folgenden Kernpunkten zusammenfassen (SVR 2009, Enquete-Kommission 2005): ■■ Die demografische Entwicklung hat eine wachsende Pflegebedürftigkeit zur Folge, die unterschiedliche Pflegebedarfe hervorruft. Diese werden maßgeblich bestimmt von regionalen Rahmenbedingungen, familiären und sozialen Beziehungen, individuellen Fähigkeiten im Umgang mit altersbedingten Beeinträchtigungen, den medizinischen und pflegerischen Versorgungsstrukturen sowie den allgemeinen Wohn- und Lebensbedingungen. ■■ Diese komplexe Problemlage erfordert ein hohes Maß an Vernetzung und Kooperation der für die pflegerische Versorgung verantwortlichen Institutionen und Personen. Die durch die Sozialgesetzbücher V, IX und XI definierten Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche müssen auf regionaler bzw. kommunaler Ebene zielorientiert koordiniert werden. ■■ Die Förderung der individuellen Kompetenzen von Pflegebedürftigen und die Einbeziehung ihres familiären und sozialen Umfeldes in ihre Betreuung hat eine zentrale Bedeutung. Es bedarf eines „Wohlfahrtsmix“ aus professioneller Betreuung, Anpassung des Wohnumfeldes sowie Förderung der Selbsthilfe und privater Netzwerke. ■■ Die Qualifikation der Pflegefachkräfte muss breit aufgestellt sein. Ihr Aufgabenbereich geht über die klassische Krankenpflege hinaus und betrifft medizinische Fragen ebenso wie die Beratung im Umgang mit Sozialbehörden oder die Unterstützung von Angehörigen und engen Bekannten der Pflegebedürftigen. ■■ In der Pflegepolitik geht es um die Steuerung eines Dienstleistungssektors, der für den Zusammenhalt moderner Gesellschaften unverzichtbar ist und zugleich ein hohes wirtschaftliches Wachstumspoten-

10

Ausgangslage

zial hat. Noch vor 50 Jahren konnte man Sozialpolitik im Kern als Verteilungspolitik betrachten, mittlerweile erfüllt sie mehr und mehr Aufgaben, die der Gestaltung der Infrastruktur eines Landes dienen. Pflegedürftigen Personen soll sowohl im häuslichen Bereich als auch in der stationären Pflege ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden. Es geht um die Wahrung bzw. Rückgewinnung von Selbstbestimmung und Teilhabe trotz Unterstützungsbedarf. Selbstbestimmtes Leben soll so lange wie möglich unterstützt und gefördert werden. Die benötigte Hilfe und die damit verbundene Abhängigkeit müssen aber auch als Teil dieser Lebensphase angenommen werden. Das geschieht am besten durch die Einbindung der Pflegebedürftigen in die Entscheidungs- und Sachfindungsvorgänge. Es gibt kein einfaches Handlungsmuster für den Umgang mit pflegebedürftigen Personen, jeder Fall hat seine besonderen Bedingungen. Die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen im Umgang mit Beeinträchtigungen sind von noch größerer Bedeutung als in der medizinischen Versorgung. Das gilt erst recht für die familiäre Umgebung und das soziale Netzwerk, das in unterschiedlicher Weise unterstützend wirken kann, wobei auch hier individuelle Eigenschaften und Beziehungen eine Rolle spielen. Auf jeden Fall gehört es seit Jahrhunderten zu den Mindeststandards der Pflegeprofession, auf die Bedürfnisse und Bedarfe der betroffenen Menschen einzugehen und sich nicht auf einzelne behandelnde Verrichtungen zu beschränken. Ähnlich wie für Familienhebammen ist es Aufgabe der Fachpflegenden, die sozialen Netzwerke und Familien zu befähigen, ihre pflegebedürftigen Mitglieder pflegerisch zu unterstützen und nicht, sie zu ersetzen. Das wäre auch angesichts der zu erwartenden Zunahme von pflegebedürftigen Personen kaum angemessen zu finanzieren. Die individuellen Lebenslagen und Biografien der Pflegebedürftigen sind sehr heterogen. Sie

unterscheiden sich erheblich, je nach individuellen Werthaltungen, Einstellungen, familiären und außerfamiliären Bindungen, Einkommen, Vermögen und Bildungsstand. Dieser Sachverhalt erfordert flexible, regional differenzierte Versorgungsstrukturen und ein breit aufgestelltes Qualifikationsspektrum der Pflegekräfte. Das Sozialgesetzbuch XI stellt ausdrücklich fest, dass gerade wegen dieser differenzierten Problemlage viele gesellschaftliche Kräfte und Institutionen zusammenwirken müssen (§ 8 SGB XI). Dem steht allerdings die gegliederte Struktur unseres Sozialleistungssystems mit seinen je nach Leistungsanlass unterschiedlichen Zuständigkeiten („Kausalprinzip“) gegenüber. Daher ist die Förderung von Koordination und Kooperation der Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens eine, wenn nicht die zentrale Aufgabe der Politik, so der Befund des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR 2009, Enquete-Kommission 2005). Abbildung 1:

Die Länder stehen hier in einer besonderen Verantwortung, da sie den Verfassungsauftrag haben, die allgemeine Daseinsvorsorge zu sichern. Dabei handelt es sich um eine komplexe Aufgabe, die von wechselseitigen, teils widerstreitenden Interessen zahlreicher Akteure geprägt ist. Es gibt Schnittstellen zwischen der Landes- und Kommunalpolitik, den Sektoren der gesundheitlichen Versorgung und sozialen Betreuung, den Kostenträgern in den Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern, den Betroffenen und ihren Angehörigen sowie den Dienstleistern. Jede dieser Institutionen und sozialen Gruppen hat ihre eigene Funktionslogik und eigenen Wertsetzungen, die in einem von Fachleuten „Wohlfahrtsmix“ genannten Netzwerk aufeinandertreffen (vgl. Behrens/Weber/Schubert HRSG, 2012). Typischerweise bilden sich dabei in Institutionen des dritten Sektors und des Staates auch marktliche Austauschformen und in profilierten Unternehmen auch Bürokratien.

Modell des Welfare-Mix nach Klie (2009) Assoziationen (Dritter Sektor) Institutionen: Organisationen(Kirchen, Gewerk­schaften, Parteien, Wohlfahrts-, Umwelt-, Menschenrechtsverbände usw.), bürgerschaftliche Assoziationen (Vereine, Gruppen, Stiftungen usw.) Funktionslogik: Mitgliedschaft, Interessen­aushandlung und -vertretung Zentralwert: Solidarität + Aktivität Systemimperativ: Verständigung

Markt

Staat Institutionen: Parlamente (Legislative), Verwaltung (Exekutive) und Justiz (Jurisdiktion) auf unterschiedlichen föderalen Ebenen Funktionslogik: Legalität (Gesetze), Ressourcenverteilung, Gewaltmonopol, Hierarchie Zentralwert: Gleichheit + Sicherheit Systemimperativ: Bürokratie

Institutionen: Unternehmen und Betriebe Funktionslogik: Tausch über das Medium Geld (Kaufen/Verkaufen), Angebot/Nachfrage, Wettbewerb/ Konkurrenz Zentralwert: Freiheit + Wohlstand Systemimperativ: Profit

Primäre Netze (Informeller Sektor) Institutionen: Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft Funktionslogik: Zugehörigkeit, verpflichtung, nicht-monetärer Tausch Zentralwert: Reziprozität Systemimperativ: Zusammenhalt

Ausgangslage

11

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf 3

in der Brandenburger Pflege Dr. Carsten Kampe Dass der demografische Wandel zu einer Zunahme an Pflegebedürftigen in Deutschland und in Brandenburg führen wird, ist seit längerem bekannt. Für eine Untersuchung, die Gestaltungsspielräume in der Pflege in den Blick nimmt, ist weniger das exakte Ausmaß der zu erwartenden Entwicklungen als mehr deren grundsätzliche Ausrichtung von Bedeutung. Der Wert solcher Prognosen besteht darin, dass sie trotz ihrer Unschärfe auf anstehende Herausforderungen hinweisen und einen Eindruck davon vermitteln, welches Potential zur Lösung der Probleme einzelne Handlungsansätze haben. Auch die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege stützt sich auf eine Abschätzung zukünftiger Entwicklungen in der Pflege. Im so genannten Basisszenario wird gezeigt, welche Pflege- und Fachkräftebedarfe in Brandenburg entstehen würden, wenn die aktuellen Verhältnisse stabil blieben. Kernthese der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege ist jedoch, dass die Entstehung von und der Umgang mit Pflegebedürftigkeit (etwa die Mobilisierung nachbarschaftlicher Hilfestrukturen, Koordinierung verfügbarer Leistungen und Hilfen, Möglichkeiten der Rehabilitation) gestaltbar sind. Darüber hinaus führt die Weiterentwicklung der betrieblichen und überbetrieblichen sowie berufsprofessionellen Organisation von Pflegeprozessen zu einer fortlaufenden Veränderung von Versorgungsstrukturen. Entsprechend sollen die Projektionen nicht als „Schreckensszenarien“ missverstanden werden.

Tabelle 1:

Vielmehr geht es darum, den gegebenen Handlungsbedarf zu verdeutlichen und mögliche Gestaltungsfelder aufzuzeigen. Insgesamt reiht sich die Analyse damit in die aktuelle Zukunftsdebatte für Brandenburg ein. Die zentral zu beantwortende Frage lautet: „Wie wollen wir künftig leben und was muss dafür getan werden?“ Da ein direkter Zusammenhang zwischen Alter und dem Risiko, pflegebedürftig zu werden besteht, lässt sich die Entwicklung der Pflegebedürftigkeit auf Basis der nach Altersgruppen differenzierten Bevölkerungsvorausberechnung für das Land Brandenburg schätzen. Hierfür ist es zunächst notwendig, das altersspezifische Pflegerisiko (die sog. Pflegeprävalenz) zu ermitteln und zu prüfen, wie sich dieses in den letzten Jahren entwickelt hat. Da sich das altersspezifische Pflegerisiko zwischen den Geschlechtern unterscheidet, ist es darüber hinaus sinnvoll, diese Berechnung für die weibliche und die männliche Bevölkerung getrennt durchzuführen. Die Daten der Pflegestatistik zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit mit dem 75sten Lebensjahr sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern stark zunimmt, wobei Frauen stärker von Pflegebedürftigkeit betroffen sind als Männer (siehe Tabellen 1 und 2).2 2 Deutlich wird auch, dass es eine große Anzahl älterer ­Menschen gibt, die nicht pflegebedürftig sind. Insgesamt fast 75 Prozent der 80- bis 85-jährigen und noch immer 50 Prozent der 85- bis 90-jährigen sind in Brandenburg nicht pflege­bedürftig. Pflegebedürftigkeit in hohem Alter kann, muss aber nicht eintreten.

Weibliche Bevölkerung und Anzahl an weiblichen Pflegebedürftigen in 2009

Weiblich 

unter 15 15 – 60

60 – 65

65 – 70

70 – 75

75 – 80

80 – 85

85 – 90

90 +

Insgesamt

Bevölkerung

138.885 741.978 61.687

92.049

90.988

60.363

44.127

26.366

10.785

1.267.228

2.745

5.500

8.487

12.891

14.037

8.105

57.749

29,2

53,2

Pflegebedürftige 0,6 Anteil Pflegebedürftige

896

3.958 0,5

1.130 1,8

3,0

6,0

14,1

75,2

4,6

Ouelle: Sonderauswertungen der Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg und Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg

12

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

Tabelle 2:

Männliche Bevölkerung und Anzahl an weiblichen Pflegebedürftigen in 2009

Weiblich 

unter 15 15 – 60

60 – 65

65 – 70

70 – 75

75 – 80

80 – 85

85 – 90

90 +

Insgesamt

Bevölkerung

146.507 798.163 59.931

83.795

76.787

44.860

23.279

8.276

2.503

1.244.101

2.817

4.402

4.811

4.660

3.133

1.393

28.052

20,0

37,9

55,7

Pflegebedürftige

1.065

0,7 Anteil Pflegebedürftige

4.559 0,6

1.212 2,0

3,4

5,7

10,7

4,6

Ouelle: Sonderauswertungen der Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg und Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg

Zwischen 1999 und 2011 ist der Anteil an Pflegebedürftigen an der weiblichen und männlichen Bevölkerung in allen Altersgruppen stabil oder in der Tendenz steigend. Es liegen keine empirischen Hinweise auf einen Rückgang des altersspezifischen Pflegerisikos in Brandenburg vor. Auch qualitative Verschiebungen zwischen den Pflegestufen sind nur in wenigen Altersgruppen zu beobachten. Die Entwicklung der letzten Jahre legt es nahe, bei den Prognosen von stabilen Bedarfsstrukturen auszugehen: Der Anteil an Pflegebedürftigen je Altersgruppe und Geschlecht wird bei der Vorausberechnung entsprechend stabil gehalten. Da in den letzten Jahren eher ein leichter Anstieg des altersspezifischen Pflegerisikos zu beobachten war, handelt es sich hierbei um eine vorsichtige Schätzung.3 Indem die Pflegeprävalenz je Altersgruppe auf die alters- und geschlechtsdifferenzierte Bevölkerungsprognose des Landesamtes für Bauen und Verkehr übertragen wird, lässt sich berechnen, wie hoch die Zahl der Pflegebedürftigen unter Status-Quo-Bedingungen in Brandenburg wäre. Um darüber hinaus einen Eindruck von den Rahmenbedingungen des zukünftigen Fachkräftepotenzials in der Pflege zu gewinnen, wurde parallel zur möglichen

3 Da die Pflegestatistik von 2011 einen nicht zu quantifizierenden Erhebungsfehler bei den Pflegegeldempfängern aufweist, wird bei den Prognosen auf die Daten von 2009 zurückgegriffen.

Entwicklung der Nachfrageseite das Erwerbs­ personenpotenzial für Brandenburg bis 2030 berechnet. Bei stabilen Arbeitsmarkt- und Pflegebedarfsstrukturen würde das Erwerbspersonenpotenzial in Brandenburg von etwa 1.660.000 Personen in 2009 auf knapp 1.180.000 Personen in 2030 zurückgehen. Das entspricht einem Rückgang von fast 30 Prozent. Gleichzeitig würde die Anzahl der Pflegebedürftigen von 85.000 auf etwa 162.000 Personen steigen.4 Dem zunehmenden Pflegebedarf muss bei abnehmender ­familialer Leistungsfähigkeit (hierzu Zentrum für Sozialforschung Halle 2009) und einem knapper werdenden Arbeitskraftpotenzial nachgekommen werden. Die Grafik auf Seite 14 fasst die relative Entwicklung der Zahl an Pflegebedürftigen und des Erwerbspersonenpotenzials noch einmal zusammen. Aufgrund eines relativ höheren Anteils an stationär Versorgten bei den Hochbetagten würde sich die Alterung der Bevölkerung unter Status-Quo-Bedingungen im stationären Bereich überdurchschnittlich stark bemerkbar machen. Während die Zahl der stationär Versorgten bei stabilen Bedarfs- und Versorgungsstrukturen um etwa 120 Prozent zunehmen würde (von knapp 21.500 in 2009 auf

4

In 2011 lag die Anzahl der Pflegebedürftigen in Brandenburg bereits bei knapp 96.000.

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

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Abbildung 2: Pflegebedürftigkeit

und Erwerbspersonenpotenzial in Brandenburg bis 2030

(Indexwert 2009 = 100) 8,6 18

18

17

16

15

14

12

,7 11 9

11 1,6

4,5 10

120,0

8,8

140,0

13

7,2

7,9

160,0

6,4

5,8

180,0

4,1

200,0

1,5

220,0

,1

74

71

,4

,0

,4 78

60,0

81

,2 84

,7 86

89

,5

,2 92

,1 95

,3 97

98

80,0

,9

100,0

40,0 20,0

Pflegebedürftige

29 20

27 20

25 20

23 20

21 20

19 20

17 20

15 20

13 20

11 20

20

09

0,0

Erwerspersonenpotenzial

Quelle: Sonderauswertungen der Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg und Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg; eigene Berechnungen

etwa 47.500 in 2030), würde die Zahl der Pflegebedürftigen in ambulanter Versorgung um 95 Prozent (von ca. 26.000 in 2009 auf fast 51.000 in 2030) und die Zahl der Pflegegeldempfängerinnen und -empfänger um 65 Prozent (von gut 38.000 in 2009 auf über 63.000 in 2030) steigen. Da während der letzten 12 Jahre die Betreuungsquoten (das zahlenmäßige Verhältnis von Pflegepersonal und Pflegebedürftigen) in der ambulanten und stationären Versorgung weitgehend stabil geblieben sind, erscheint eine Prognose unter Status-Quo-Bedingungen auch in diesem Bereich legitim. Die Zunahme des eingesetzten Personals je Pflegebedürftigen erklärt sich im Wesentlichen durch den voranschreitenden Bedeutungsgewinn der Teilzeitbeschäftigung in der Pflege.5 Der Personalbedarf der ambulanten Dienste wür-

14

de bei stabiler Betreuungsquote und Beschäftigungsstruktur von etwa 11.000 Personen im Jahr 2009 auf fast 21.000 Personen in 2030 steigen. Das entspricht nahezu einer Verdopplung (+ 95 Prozent). In der stationären Versorgung würde unter diesen Bedingungen der Personalbedarf von gut 15.000 Beschäftigten im Jahr 2009 auf über 33.000 Beschäftigte in 2030 steigen. Das entspräche analog der Prognose der Zahl an Pflegebedürftigen in der stationären Versorgung einer Zunahme um ca. 120 Prozent. Tätigkeitsspezifische Fachkräftebedarfsprognosen geben einen genaueren Eindruck von

5

In der stationären Versorgung liegt die Vollzeitquote (Anteil aller Beschäftigten, die eine Vollzeitstelle besetzen) bei knapp über 30 Prozent. In der ambulanten Versorgung beläuft sich die Vollzeitquote auf etwa 36 Prozent.

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

Abbildung 3: Personalbedarf in der ambulanten und stationären Pflege in Brandenburg bis 2030

35.000

33.243 29.153

30.000 24.283

25.000 19.638

20.000

20.873

18.907 16.353

13.601

15.000 10.000 5.000

Beschäftigte stationär

29 20

27 20

25 20

23 20

21 20

19 20

17 20

15 20

13 20

11 20

20

09

0

Beschäftigte ambulant

Quelle: Sonderauswertungen der Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg und Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg; eigene Berechnungen

möglichen Herausforderungen künftiger Personalpolitik in Pflegeunternehmen. Die Pflegestatistik weist neben der Zahl der Gesamtbeschäftigten in ambulanten und stationären Einrichtungen auch tätigkeitsspezifische Personalstrukturen aus: Bei stabilen Pflege- und Versorgungsstrukturen würde die Zahl der in der ambulanten Grundpflege tätigen Personen von etwa 7.500 im Jahr 2009 auf fast 14.500 im Jahr 2030 steigen, was einem Wachstum von annähernd 100 Prozent entspricht. Der Mehrbedarf in den einzelnen Jahren würde zwischen etwa 300 und 440 Personen schwanken. Unter Status-Quo-Bedingungen würde der Personalbedarf im Bereich Pflege und Betreuung in den Pflegeheimen von knapp 11.000 Personen in 2009 auf über 23.500 Personen in 2030 steigen. Das entspricht einer Zunahme des benötigten Personals um ca. 120 Prozent in den nächsten 20

Jahren. Der Mehrbedarf in den einzelnen Jahren würde sich zwischen gut 400 und ca. 800 Personen bewegen. Insgesamt würde damit der Personalbedarf in der pflegerischen Versorgung zwischen 2009 und 2030 von ca. 19.000 Personen auf über 38.000 Personen, also um gut 110 Prozent, steigen (s. Abbildung 4, S.16). Es wäre mit einem jährlichen Mehrbedarf zwischen 700 und 1.250 Personen zu rechnen. Hierbei handelt es sich ausschließlich um Erweiterungsbedarfe. Ersatzbedarfe infolge von Berufsaussteigern wurden in dieser Rechnung nicht berücksichtigt. Neben dem zusätzlichen Ersatzbedarf ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den ermittelten Kenngrößen ausschließlich um den Personalbedarf im Bereich der Pflege nach SGB XI handelt. Pflegepersonal wird aber auch in der Gesundheits-

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

15

Abbildung 4: Personalbedarf

und jährlicher Personalmehrbedarf im Bereich Pflege

in Brandenburg bis 2030

.76

38

34

8 .76

.56 30

1 .60

.18 26

1 .33

3

24

.37

19

20

.20

3

.68

22

8

25.000

28

6

30.000

32

2

35.000

36

5

.47

6

40.000

.10

4

45.000

20.000 15.000

1.167

1.249

1.045

916

991

1.214

1.066

19

20

21

22

23

24

25

687

979

18

941

876

17

29

939

16

902

1.019

15

28

947

14

806

737

13

27

692

12

930

794

11

26

956

5.000

10

10.000

Entwicklung zum Vorjahr

30

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20

20

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20

20

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20

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20

20

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09

0

Personalbedarf in der Grundpflege

Quelle: Sonderauswertungen der Bevölkerungsstatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg und Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg; eigene Berechnungen

versorgung und hier im Besonderen in den Krankenhäusern benötigt. Die Einrichtungen der ambulanten und stationären Pflege werden zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem sich zunehmend verschärfenden Konkurrenzkampf um Pflege(fach)kräfte stehen, welcher nach innovativen Personalentwicklungskonzepten und Beschäftigungsmodellen verlangen wird. Der Anstieg der Anzahl pflegebedürftiger Menschen wird auch erhebliche fiskalische Auswirkungen haben. Für das Land Brandenburg entstehen im Bereich Pflege Kosten durch Sozialhilfeleistungen für die Hilfe zur Pflege (HzP). In Brandenburg wurden 2011 über 38 Millionen Euro Nettokosten Hilfe zur Pflege geleistet. In der stationären Versorgung nahmen 2011 fast 6.300 Pflegebedürftige solche Sozialleistungen in Anspruch, das entspricht

16

über 28 Prozent aller stationär betreuten Pflegebedürftigen. Für diese knapp 6.300 Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen der Hilfe zur Pflege wurden knapp 27,8 Millionen Euro Sozialhilfeleistungen von Land und Kommunen gezahlt. Auf jede betroffene Personen entfielen damit durchschnittlich NettoSozialhilfe-Kosten in Höhe von über 4.400 Euro im Jahr. Von den etwa 74.000 in der Häuslichkeit versorgten Pflegebedürftigen (27.892 Personen, die die Leistungen eines ambulanten Dienstes in Anspruch nehmen und 45.854 Pflegegeldempfängerinnen und Pflegegeldempfänger) nahmen 2.940 Personen Leistungen der Hilfe zur Pflege in Anspruch, was 4 Prozent aller in der Häuslichkeit Versorgten entspricht. Für diese 2.940 Personen mussten im Jahr 2011 ca. 10,7 Millionen Euro Hilfe zur Pflege aufgebracht werden. Auf jede betroffene Person entfielen damit durch-

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

schnittlich Netto-Sozialhilfe-Kosten in Höhe von über 3.640 Euro. Mit dem Übergang aus der ambulanten in die stationäre Versorgung steigt das Risiko, Leistungen der Hilfe zur Pflege beantragen zu müssen, um ein Vielfaches. Gleichzeitig liegen die durchschnittlichen Kosten der Hilfe zur Pflege je betroffene Person im stationären Bereich gut 20 Prozent über den Sozialhilfekosten in der ambulanten Versorgung. Unterstützungssysteme, die einen Beitrag zur Stabilisierung von häuslichen Versorgungsarrangements leisten, entlasten dementsprechend die Sozialhilfe. Allein aufgrund der Zunahme der Zahl an Pflegebedürftigen und des demografisch bedingten relativen Bedeutungsgewinns der stationären Versorgung wird es in Brandenburg einen relevanten Aufwuchs der Kosten für die Hilfe zur Pflege bis zum Jahr 2030 geben. Würden der Anteil an Hilfeempfängerinnen bzw. Hilfeempfängern in den einzelnen Versorgungsformen stabil bleiben und die jährlichen Kosten je Hilfeempfängerin bzw. Hilfeempfänger auch zukünftig auf dem Niveau von 2011 verharren und würde sich darüber hinaus die Zahl an Pflegebedürftigen wie berechnet auf über 160.000 erhöhen, dann würden sich die Nettokosten für Leistungen der Hilfe zur Pflege im Jahr 2030 auf fast 76 Millionen Euro belaufen. Hiervon würden fast 60 Millionen Euro in der stationären und gut 16 Millionen Euro in der ambulanten Versorgung anfallen. Im Vergleich zu 2011 entspricht das einer Kostensteigerung von etwa 97 Prozent. Hierbei dürfte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine deutliche Unterschätzung der real zu erwartenden Entwicklungen handeln. Die bisher in Brandenburg im Bundesvergleich sehr niedrigen Kosten im Bereich Hilfe zur Pflege sind u.a. durch die stark unterdurchschnittlichen Aufwendungen je Hilfeempfängerin bzw. Hilfeempfänger begründet. 2011 wurden für jede Hilfeempfängerin bzw. jeden Hilfeempfänger außerhalb einer Einrich-

tung jährlich 3.760 Euro Bruttosozialhilfekosten6 in Brandenburg geleistet. In Einrichtungen beliefen sich die Bruttosozialhilfekosten je Empfängerin bzw. Empfänger auf knapp 5.000 Euro. Im bundesdeutschen Durchschnitt wurden hingegen außerhalb von Einrichtungen etwa 9.200 Euro und in Einrichtungen fast 11.400 Euro aufgewandt. Die relativ geringen Kosten in Brandenburg dürften vor allem dadurch begründet sein, dass die aktuell Pflegebedürftigen (dies sind vor allem Menschen über 85 Jahren) in der Mehrzahl eine langjährige und weitgehend unterbrechungsfreie DDR-Berufsbiografie hinter sich haben und daher verhältnismäßig gute Renten beziehen. Die Einkommenssituation im Alter wird sich in Brandenburg (wie in ganz Ostdeutschland) in den nächsten Jahren jedoch deutlich verändern. Je höher der Anteil der Pflegebedürftigen, die im Zuge der Wiedervereinigung Brüche in ihrer Erwerbsbiografie erlebt haben, desto höher die Zahl an Empfängerinnen und Empfängern von Leistungen der Hilfe zur Pflege und desto höher die Kosten der Hilfe zur Pflege je pflegebedürftige Person. Wenn sich die Kostenstruktur in Brandenburg bis zum Jahr 2030 dem bundesdeutschen Durchschnitt nähert – was nicht unrealistisch erscheint – fielen im Jahr 2030 Bruttosozialhilfekosten im Bereich Hilfe für Pflege in Höhe von knapp 195 Millionen Euro an. Neben einer Annäherung der Kosten im Bereich Hilfe zur Pflege an den bundesdeutschen Durchschnitt ist darüber hinaus mit einer Erhöhung des Anteils der Hilfeempfängerinnen und Hilfeempfänger an den Pflegebedürftigen zu rechnen. Von allen Pflegebedürftigen außerhalb von Einrichtungen nehmen in Brandenburg knapp 4 Prozent Leistungen der Hilfe zur Pflege in Anspruch; im bundesdeut-

6 Aufgrund der Datenlage muss für den Ländervergleich auf die Bruttosozialhilfekosten zurückgegriffen werden. Die Nettokosten im Bereich Hilfe zur Pflege werden vom Statistischen Bundesamt nicht öffentlich zugänglich vorgehalten.

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

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schen Durchschnitt greifen fast 7 Prozent der in der Häuslichkeit Versorgten auf solche Leistungen zurück. In Einrichtungen beziehen gut 28 Prozent der Brandenburger Pflegebedürftigen derartige Sozialhilfeleistungen (destatis 2013). Im Bundesdurchschnitt sind es hingegen über 41 Prozent. Wenn man bei der Kostenschätzung für die Hilfe zur Pflege auch noch eine Annäherung des Anteils an Hilfeempfängerinnen bzw. Hilfeempfängern an allen Pflegebedürftigen an den bundesdeutschen Durchschnitt berücksichtigt, dann wären in Brandenburg im Jahr 2030 Bruttoso­ zialhilfekosten der Hilfe zur Pflege in Höhe von über 295 Millionen Euro zu leisten. Hiervon würden fast 224 Millionen Euro in der stationären und annähernd 72 Millionen Euro in der ambulanten Versorgung anfallen. Im Vergleich zu 2011 entspricht das einer Kostensteigerung auf das Siebenfache.

Eine solche Entwicklung stellt die Pflege­ akteure im Land Brandenburg vor nur schwer zu bewältigende Herausforderungen. Entsprechend lautet die Kernfrage der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege, mit welchen Strategien und Maßnahmen einer Entwicklung auf Status-Quo-Niveau entgegengewirkt werden kann. Hierbei sollen auch die qualitativen Spielräume einer verbesserten Versorgungsstruktur genutzt werden. Die Sicherung der pflegerischen Versorgung soll und darf nicht auf Kosten der Qualität von Pflege gehen. Ziel muss es sein, die Selbstbestimmung und Teilhabe der Pflegebedürftigen weiter auszubauen, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und pflegende Angehörige zu entlasten und damit im Lebensabschnitt Pflege zu unterstützen.

Die Pflegestatistik gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die Brandenburger Pflegelandschaft in den letzten Jahren wesentlich verändert hätte. Weder ist die altersspezifische Pflegeprävalenz zurückgegangen, noch ist die Zahl an Beschäftigten je Pflegebedürftigen in der ambulanten und stationären Pflege signifikant gestiegen oder gesunken. Eine Status-QuoBerechnung zur Zukunft der Brandenburger Pflege ist in vielen Bereichen durchaus plausibel. Die Entwicklung zwischen 2009 und 2030 lässt sich auf der Bedarfsseite grob als Verdopplungsprozess beschreiben: Es ist mit fast doppelt so vielen Pflegebedürftigen zu rechnen, was allein eine Verdopplung des Bedarfs an Personal in der Pflege mit sich bringen wird. Versorgungsseitig wird sich die Situation ebenfalls zuspitzen: Das familiale Pflegepotenzial wird vermutlich zurückgehen, so dass mehr professionelle Pflege nötig wird. Zugleich reduziert sich das Arbeitskraftangebot um fast ein Drittel und die branchenübergreifende Konkurrenz um Fachkräfte wird weiter zunehmen.

18

Basisszenario – zukünftiger Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen 4.1

4

Potenziale integrierter Versorgungsstrukturen im Wohnquartier – das Beispiel Hennigsdorf Prof. Dr. Rolf G. Heinze

4.1.1 Neue Anforderungen an die Versorgung und Pflege im Alter: vom Altenheim zum Wohnquartier Zuhause alt werden – so lautet der Wunsch der meisten Menschen. Ihm entspricht die politische Zielsetzung „ambulant vor stationär“, wenn es um eine notwendig gewordene pflegerische Versorgung geht. Der gesellschaftliche Wandel stellt diesen Anspruch allerdings vor Herausforderungen: „Angesichts größerer räumlicher Distanzen zwischen den familialen Generationen und steigender Erwerbsquoten von Frauen wird es zukünftig schwieriger werden, eingespielte Konstellationen familialer Unterstützungsleistungen aufrechtzuerhalten.“, heißt es im Alterssurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), „So werden in Zukunft voraussichtlich andere Lösungen gefragt sein, um dem verbreiteten Wunsch älterer Menschen entgegenzukommen, auch bei eingeschränkter Gesundheit und zunehmendem Hilfebedarf in der eigenen Wohnung zu leben. Bislang werden die Pflege und die alltägliche Unterstützung älterer Familienmitglieder zum Großteil von Verwandten, insbesondere den Töchtern und Schwiegertöchtern, geleistet. Gerade die Frage, wie die steigende Zahl der weniger stark in Familien eingebundenen Älteren zukünftig integriert werden kann, ist eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen“ (Motel-Klingebiel/Wurm/ Tesch-Römer 2010). Um einen Verbleib im vertrauten Umfeld also auch weiterhin zu ermöglichen, bedarf es einer Umorientierung, die manche Experten mit der Formel „Vom Altenheim zur Quartiersarbeit“ beschreiben. Im Zentrum dieses Ansatzes steht der Wohnbereich. Denn je älter ein Mensch wird, desto mehr Zeit verbringt er in der eigenen Wohnung. Hier wird Kommunikation, soziales Leben und Freizeit erlebt, aber auch Versorgung bei Hilfe- und Pflegebedarf, die insbesondere

in sehr hohem Alter häufig steigen. Die Wohnung wird zunehmend zum Lebensmittelpunkt, in sehr hohem Alter sowie bei chronischer Krankheit und Pflegebedürftigkeit oftmals zum alleinigen Lebensort. Damit verbunden steigen die Anforderungen und Ansprüche an die eigene Wohnqualität, vor allem in den Bereichen Sicherheit, Komfort, Bedienbarkeit und nicht zuletzt Bezahlbarkeit. Eine Wohnungsgestaltung, die Selbständigkeit erhält und fördert, gilt heute als zentrales Merkmal von Wohnqualität. Eine so gestaltete Wohnung kann – auch durch Technik- und Dienstleistungseinsatz – dazu beitragen, Hilfe- und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zumindest aufzuschieben. Allerdings gibt es derzeit in Deutschland noch erheblichen Nachholbedarf im Bereich altengerechten Wohnens. Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit noch unter zwei Prozent des gesamten Wohnungsbestands altersgerecht sind. Eine genaue Quantifizierung sowohl des Bestands als auch des Bedarfs an barrierefreien bzw. -armen Wohnungen ist allerdings schwierig. Im Folgenden wird an einem Fallbeispiel aus Hennigsdorf gezeigt, wie eine Wohnungsgenossenschaft alternsgerechten Wohnraum schafft und welchen Schwierigkeiten sie dabei begegnet. 4.1.2 Vernetztes Wohnen: Das Beispiel Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft mbH (HWB)7 4.1.2.1 Hennigsdorf In Hennigsdorf, einem Mittelzentrum mit guter Verkehrsanbindung nördlich von Berlin, leben derzeit rund 26.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Gut ein Viertel der Bevölkerung ist

7 Die Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft mbH (HWB) bewirtschaftet als kommunales Unternehmen ca. 3.100 Wohnungen. Vgl. zur HWB www.wohnen-in-hennigsdorf.de

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

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inzwischen über 65 Jahre alt. Die Bevölkerungsstruktur und damit die Wohnungsnachfrage werden sich voraussichtlich weiter verändern. In Hennigsdorf werden weniger Menschen leben, die Einwohnerinnen und Einwohner werden im Schnitt älter sein, und insgesamt werden weniger Wohnungen in der Havelstadt benötigt (Stadt Hennigsdorf 2012). Bis zum Jahr 2021 ist in Hennigsdorf mit einem Bevölkerungsrückgang von rund 13 Prozent zu rechnen. Die für die Wohnungsnachfrage entscheidende Zahl der Haushalte wird im selben Zeitraum um 10 bis 11 Prozent abnehmen. Dabei wird sich die Zahl der Seniorenhaushalte mit einem Alter von über 80 Jahren in den nächsten zehn Jahren nahezu verdoppeln. Junge Haushalte wird es in Hennigsdorf dagegen deutlich weniger geben. Auch bei den Haushaltsgrößen prognostizieren die Statistiker deutliche Verschiebungen. Die Zahl der Drei- und Vierpersonenhaushalte wird um 17 bis 18 Prozent sinken. Dadurch wird der Anteil der Einpersonenhaushalte auf über 50 Prozent steigen. Diese Entwicklungen werden den derzeit ausgeglichenen Hennigsdorfer Wohnungsmarkt (Leerstandsquote von lediglich rund zwei Prozent) verändern. Der Leerstand wird bei ungesteuerter Entwicklung voraussichtlich steigen (vor allem mittelgroße Vier-Raum-Wohnungen werden in Zukunft weniger nachgefragt werden). Um den zu erwartenden Leerstand gering zu halten, empfiehlt der extern erstellte Demografiebericht der Stadt den Hennigsdorfer Vermietern, sich vor allem auf den Bedarf der stark wachsenden Zahl von Seniorenhaushalten (im Alter 80+) einzustellen. 4.1.2.2 Modernes Seniorenwohnen bei der Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft mbH (HWB) Die HWB hat sich auf diesen Trend bereits eingestimmt. „Die Ergebnisse der Wohnbedarfsanalyse kommen für uns nicht überraschend“, erklärte der HWB-Geschäftsführer im Interview, „vielmehr bestätigt sie die Rich-

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tigkeit unseres bereits eingeschlagenen Weges.“ Hierzu gehört auch, dass die HWB Musterwohnungen eingerichtet hat, in der sich Mieter und Mieterinnen über die verschiedenen Möglichkeiten einer seniorengerechten Wohnungsanpassung informieren und kompetent beraten lassen können. Die Nachrüstung von ausgewählten Wohnhäusern mit Aufzügen oder die bereits vor einigen Jahren fertig gestellten Seniorenwohnhäuser mit multimedialer Anbindung im Cohnschen Viertel sind weitere Bausteine in der langfristig angelegten HWB-Strategie. Das Projekt „Modernes Wohnen in der alten Werkssiedlung“ im Hennigsdorfer Cohnschen Viertel war Teil des Bundesmodellprojekts zu „barrierefreien Stadtquartieren“ (vgl. Richter 2011) Das Cohnsche Viertel war 1993 von der HWB übernommen worden. Es ist die größte und wichtigste innerstädtische Werkssiedlung aus den 1940/50er Jahren in Hennigsdorf. In einer Projektbeschreibung heißt es, dass das Viertel zuvor jahrelang stark vernachlässigt worden sei. Bauliche Defizite, Leerstände und eine schwierigere Vermietung seien die Folge gewesen. Dennoch wurde dem Cohnschen Viertel ein großes Entwicklungspotenzial zugeschrieben, „so dass die Stadt und die HWB den Entschluss fassten, das Gebiet zu sanieren und im Sinne einer generationenübergreifenden Nachbarschaft zu entwickeln“ (BMVBS 2008). Insgesamt hat die HWB im Cohnschen Viertel eine Reihe von senioren- und familiengerechten Neubauten komplettiert und erweitert. Unter dem Motto „selbstbestimmt bis ins hohe Alter“ werden hier rund 70 Seniorenwohnungen mit Aufzug, barrierefreiem Zugang und großem Balkon oder Terrasse angeboten. Auch in Hennigsdorf Nord wurden die Wohnungen mit Aufzügen, Balkon, breiten und schwellenlosen Türen umgebaut. Wirtschaftlich ist diese Lösung mit Kosten zwischen 10.000 bis 17.000 Euro für das Unternehmen die preiswerteste Lösung der Wohnungsanpassung. Der Umbau der Wohnung ist aber nur der „Produktkern“. Hinzu kommen im

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

Wohnquartier eine breite Palette von Serviceund Dienstleistungsangeboten speziell für Senioren und Seniorinnen (etwa Gemeinschaftsräume, Pflegedienste im Quartier etc.), die ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter gewährleisten sollen. Erklärtes Ziel der HWB ist es, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ihren „Alltag sicher und ohne fremde Hilfe gestalten können“. Zu einem umfassenden „Service und einer seniorengerechten Infrastruktur“ zählt die HWB auch die eigenen Hausbetreuerinnen und Hausbetreuer, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sowie die Organisation von Beratungs- und Kulturveranstaltungen für Seniorinnen und Senioren. Derzeit kümmert sich die HWB intensiv um die Neugestaltung zentrumsnaher Hochhäuser, welche als „Best Ager Tower“8 entwickelt werden sollen. Darüber hinaus will die HBW das Image des Standortes aufwerten und fokussiert sich explizit auf ältere Singles. „Bei den älteren Mietern stehen die Themen Sicherheit und Wohnkomfort im Vordergrund“, so der HWB-Geschäftsführer. Dabei geht es zum Beispiel um die Reduzierung von Barrieren in den Wohnungen, um Rauchwarnmelder, Abstellmöglichkeiten für Rollatoren und Elektrorollstühle oder Conciergedienste. Der Umbau läuft seit Ende 2011, im Mai 2012 wurden Musterwohnungen eröffnet. Allerdings: Ein größeres finanzielles Engagement von Seiten der Mieterinnen und Mieter bei der Gestaltung altersgerechten Wohnraumes zeigt sich generell nur begrenzt in Hennigsdorf – so auch die Erfahrungen mit Wohnzuschüssen bei seniorengerechten Wohnungsanpassungen im Jahr 2008.9 Wenn sich Mieterinnen oder Mieter für größere Anpassungsmaßnahmen interessiert hätten, hätte die HWB sich als Vermieter mit bis zu 1.000 Euro an den Umbaumaßnahmen beteiligt. Durch diesen finanziellen Anreiz sollten mehr

8 Vgl. HWB Journal 1/2012; auch unter: www.wohnen-inhennigsdorf.de 9 Vgl. HWB-Journal (Mieterzeitschrift) April 2008.8

Mieterinnen und Mieter für dieses Thema mobilisiert werden. Obwohl die HWB-Befragungen gezeigt hätten, dass die große Mehrheit ihrer Mieterinnen und Mieter in ihren Wohnungen alt werden möchte, sei die Bereitschaft, die Wohnung in Eigeninitiative dafür vorzubereiten, noch sehr gering. „Die Resonanz auf die Musterwohnung entspricht nicht unseren Erwartungen“, so ein Mitarbeiter der HWB. Über die Ursachen für das geringe Interesse lässt sich nur spekulieren. Sicherlich spielt es eine Rolle, dass niemand sich mit dieser Thematik beschäftigen mag, solange er sich fit fühlt und in seiner Wohnung gut zurechtkommt. „Normale“ Wohnungen bergen aber gerade für alte, in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen viele Hürden. Vor 20, 30 oder noch mehr Jahren, als diese Wohnungen errichtet wurden, spielte das Thema seniorengerechtes Bauen und Wohnen noch keine Rolle. 4.1.2.3 Quartiersentwicklung geht über Bauen hinaus Die HWB folgt in ihren verschiedenen Umbauund Neubauprojekten und auch in den infrastrukturellen Angeboten einem Trend, der umschrieben werden kann mit der (Re)Vitalsierung von Wohnquartieren. Durch gezielte strategische Interventionen soll den Herausforderungen einer älter werdenden Mieterschaft begegnet werden, wobei die Stabilisierung von Quartieren im Mittelpunkt steht. Diese Berücksichtigung des gesamten Quartiers geht über die klassischen Ansätze der Wohnungswirtschaft hinaus. Sie schafft Brücken zu anderen Akteure im kommunalen Umfeld, die ebenfalls an einer altengerechten Infrastruktur mitwirken. Quartiersentwicklung heißt für die HWB deshalb nicht nur „Bauen“. Vielmehr kommt es auf die Sicherung stabiler Nachbarschaften und die Unterstützung von Hilfsnetzwerken für ältere Menschen an. Im Cohnschen Viertel ist bspw. eine Freiwilligenagentur etabliert worden, die sich auch um die Kontakte und Netzwerkbildungen im Wohnquartier kümmert. Im Wohngebiet Hennigsdorf

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

21

Nord würden neben den altersgerechten Wohnungen weitere Betreuungsstrukturen angeboten (so ein Seniorentreff und Arztpraxen sowie eine Apotheke und ein Pflegedienst). Eine solche Sensibilisierung für den Quartierskontext bedarf allerdings vielfältiger Veränderungen in den Wohnungsunternehmen selbst, was im Fall der HWB gegeben ist, aber nicht überall zu erwarten sein dürfte. Ohne Förderprogramme von Land und Bund, die wichtige Anschubhilfen in der Quartierserneuerung gegeben haben, können quartiersbezogene integrierte Handlungsansätze kaum umgesetzt werden. In Hennigsdorf ist es gelungen, das Cohnsche Viertel durch den Umbau des Wohnungsbestandes und die Integration von Neubauten als attraktives Quartier mit zeitgemäßen und bezahlbaren Wohnangeboten für verschiedene Zielgruppen zu gestalten. Gerade mit Blick auf ältere Menschen stellen die Seniorenwohnungen und die im Wohnquartier eingebundenen Unterstützungsleistungen sowie Gemeinschaftsaktivitäten gute Bedingungen für ein weitgehend selbstständiges und aktives Leben im Alter dar. Die altersgerechten Wohnungen würden immer stärker nachgefragt, berichtet der HWB-Geschäftsführer, deshalb müsse die HWB noch mehr „Seniorenwohnungen“ zur Verfügung stellen. Bereits heute verliere die HWB ältere Mieterinnen und Mieter (mit steigender Tendenz) z. B. an betreute Wohnformen und private Pflegeanbieter mit Wohnungen. Sie habe deshalb aus konkretem Organisationsinteresse großes Interesse an einem Ausbau dieses Wohnsegments. Dazu gehört explizit aber auch die moderne technische Infrastruktur, die das Wohnen im Alter sowie das nachbarschaftliche Leben der unterschiedlichen Generationen unterstützen soll. 4.1.2.4 Vernetztes Wohnen Die HWB hat sich früh mit den Chancen vernetzten Wohnens beschäftigt und sich an verschiedenen Projekten zur technischen Assistenz altengerechten Wohnens beteiligt. In die-

22

sem Sinn stellt das von 2008 bis 2010 gelaufene Projekt zum vernetzten Wohnen die Weiterentwicklung eines seit 2005 im Cohnschen Viertel durchgeführten Gemeinschaftsprojektes der HWB und der Hennigsdorfer Stadtwerke dar. Das Ziel dieses Vorgängerprojektes war es, ein multimediales Wohnkonzept mit ökologischen Komponenten umzusetzen. Hierzu wurde eine solarthermische Anlage errichtet, die den Energieverbrauch und damit die Kosten für die Mieter und Mieterinnen reduziert. Neben ökologischen Maßnahmen wurden die Wohnungen mit verschiedenen technischen Komponenten ausgestattet. Überblicksartig stellt sich die „Laborsituation“ der Wohnquartiere in Hennigsdorf so dar: ■■ solargestütztes Fernwärmenetz ■■ multimediale Breitbandverkabelung, Internet, Video-On-Demand, triple play ■■ Elektroinstallation durch Bussystem (EIB) im Alt- und Neubau ■■ Verkabelung der altersfreundlichen Wohngebäude untereinander, „Schwesternruf“ und andere Funktionen möglich ■■ Funktechnologie für Verbrauchsabrechnun­ gen, dadurch dynamischer, verbrauchs­ abhängiger Energiepass und individuelles Energiemonitoring ■■ Kopplung von Rauchmeldern an die vorhandenen Datenlogger für Energieverbrauchswerte ■■ Einführung der Müllschleuse als Variante der volumenbasierten, EDV-gestützten Müllabrechnung und Steuerung des Müllmanagements auf Funkbasis (RFID) (Schaffranke 2011a) Eine prominente Rolle spielt in diesem Zusammenhang die konkrete Durchführung eines Projekts, das unter der Bezeichnung SLiM auch bundesweit bedeutend ist. Der SmartLiving-Manager (SLiM) stellt eine Dienstleistungstechnologie dar, die auf die Kombination von Fernseher und Internet setzt. Über das System können Dienstleistungen gebündelt und individualisiert zur Verfügung gestellt wer-

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

den. Von den zentralen Projektakteuren werden die in Hennigsdorf erprobten Optionen von „AAL“10 so beschrieben: „Durch den niederschwelligen Technikeinsatz ist die Investition überschaubar und das System ist speziell für die nachträgliche Installation im Bestand konzipiert. Die Hemmschwelle zur Nutzung dieser Technologie wird durch das Endgerät TV deutlich herabgesetzt. Mieter und Mieterinnen können mit ‚Smart Living‘ auf einfachstem Weg Zugang zu lokalen und personalisierten Informationen erhalten, wohnungsnahe Dienstleister aus ihrer Umgebung buchen und Bestellungen für Waren des täglichen Bedarfs ordern. Der Anschluss ist auch an älteren Fernsehern problemlos möglich. Der Wechsel vom Fernsehprogramm hin zum Service-Portal erfolgt durch einfaches Umschalten – wie zu einem eigenen TV-Sender. Bei Interesse kann über das System auch direkt zum Vermieter, Dienstleister oder zu anderen Nutzern und Nutzerinnen der Plattform Kontakt aufgenommen werden, bis hin zu einer ‚Schwarzen Brett‘-Funktion für das Quartier. Mit der Lokalität der Inhalte wird verstärkt auf den Aufbau und die Stärkung von Nachbarschaften gesetzt, was wiederum den Wohnungsunternehmen zugutekommt. Die Oberfläche erhält das individuelle Design des jeweiligen Wohnungsvermieters, und die dargestellten Inhalte werden von Fall zu Fall auf die vorhandenen Rah-

10 AAL steht für Ambient Assisted Living, gemeint sind intelligente Assistenzsysteme für altengerechtes Wohnen und Leben. In den letzten Jahren hat sich die Debatte um altengerechte Assistenzsysteme in Deutschland ausgeweitet, wenngleich die vielfältige Verwendung des Begriffs AAL nicht unbedingt mehr Klarheit geschaffen hat und in den wohn- und pflegepolitischen Diskursen abgelöst werden sollte von bekannten Unterstützungskonzepten wie bspw. „dem Hausnotruf“. „Viele potentielle Nutzer können sich unter „Ambient Assisted Living“ und anderen Begriffen bzw. Akronymen wenig vorstellen. Der Begriff verkommt zum Sammelbecken für Technologie, ohne dass Nutzungsszenarien oder Mehrwerte mit ihm assoziiert werden. Für eine bessere Verbreitung entsprechender Angebote ist es sinnvoll, in der Begriffswahl stärker zu differenzieren und Bezeichnungen besser an das Vokabular der Zielgruppe anzupassen. Unter „Notrufsystem“ oder „Haushaltsunterstützung“ können sich potentielle Nutzerinnen und Nutzer mehr vorstellen und sind ggf. der Nutzung gegenüber aufgeschlossener“ (Prilla/Rascher 2012).

menbedingungen des Quartiers angepasst. Das System sollte für jedermann interessante Inhalte anbieten; mit Blick auf die demographische Entwicklung ist der Einsatz aber speziell bei älteren Menschen sinnvoll und wünschenswert. Bei der Entwicklung wurde darauf bereits Rücksicht genommen. So ist die Bedienung denkbar einfach und die technische Schwelle zur Nutzung bewusst gering. Damit ist Smart Living speziell auch für den Einsatz im AAL-Umfeld geeignet und wird auch in entsprechenden Projekten bereits eingesetzt und erweitert“ (Hartmann/Kutscheid 2011). Die HBW-Mieterinnen und Mieter können also über den Smart-Living-Manager verschiedene Angebote nutzen. In einem kleinen Teil der Wohnungen im Neubau wurde ebenfalls ein Touchpanel installiert, über das verschiedene Sicherheits- und Wohnkomfort-Lösungen gesteuert werden können. Für den Bereich Sicherheit sind Haustür- und Außenkameras sowie Rauch- und Türalarmmelder angebracht worden. Die Bilder der Kameras sind dabei auf dem Bildschirm des Touchpanels einsehbar. Zur Reduktion von Wohnnebenkosten können z.B. Lüftungs- und Heizvorgänge koordiniert werden. Weiterhin kann der Mieter bzw. die Mieterin über das Touchpanel aktuelle Verbrauchsdaten bezüglich Wasser, Elektrizität und Wärme abrufen. Zusammengefasst können über SLiM folgende Leistungen erbracht werden: ■■ Informationsdienste (TV, Wetter, Bundes­ liga, Veranstaltungen, Apothekennotdienst, Energiemonitoring) ■■ Lieferdienste (Menüservice, Pizzaservice) ■■ Kalenderdienste (Kosmetik, Gästewohnung) ■■ Communitydienste („Schwarzes Brett“, Reparaturservice, Rückmeldungen zu Services) ■■ Domotikdienste (Einbruchsmeldung, Türkontakt, Rauchmelder) ■■ Benachrichtigungsdienste (Notfalldienst, Einbruchs- und Brandmeldung, geplant: Vitalcheck) ■■ Reparaturservice

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4.1.2.5 Zur Umsetzung technischer Assistenzsysteme bei der HWB Die „AAL-Projekte“ sollten als „Scharnier zum Quartier“ dienen und über Funktionen wie den digitalen Flohmarkt oder das Schwarze Brett die Kommunikation der Mieterinnen und Mieter im Quartier ermöglichen und fördern. In der Erprobungsphase sollten über 50 Wohnungen mit dem SLiM ausgestattet und an die Quartiersplattform angeschlossen werden; realisiert wurden aber nur 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die ersten Nutzerinnen und Nutzer sollten als Multiplikatoren und Peergroup dienen und andere Mieterinnen und Mieter zur Nutzung anregen. Zu Beginn war es schwierig, Interessierte für das Projekt zu gewinnen, erst durch eine personalisierte Befragung konnte eine ausreichende Anzahl von Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmern akquiriert werden. Es wurde außerdem ein Nachbarschaftstreff im Quartier eingerichtet, der als Anlaufstelle für die Bewohnerinnen und Bewohner fungiert und gleichzeitig Basis des Mieterservice, des Hauswarts und des Quartiersmanagements ist. Die Einrichtung eines Nachbarschaftstreffs als zentraler Bestandteil des Projektes wird von der Bevölkerung sehr gut angenommen (bspw. finden hier Veranstaltungen zum Energiemanagement statt). Die nunmehr geschulten, aktiven älteren Mieterinnen und Mieter treffen sich heute noch einmal die Woche zum Kegeln, digital mit der Spielekonsole Wii-Sport. Anfang 2012 wird die Anwendung von SLiM durchaus als sinnvolle Strategie bezeichnet, allerdings hat sich kein realistisches Geschäftsmodell daraus entwickelt. Der HWB-Geschäftsführer resümiert: „Die Generierung von neuen Dienstleistungen ist nicht gelungen, die Mieter waren nicht bereit zusätzlich bspw. rund 20 € zu zahlen… Der Übergang in die Regelversorgung ist nicht gelungen“. Die Notwendigkeit für neue Formen vernetzten Wohnens und eine verstärkte Kooperation mit Trägern von Altenpflegediensten, der Kommune etc. wird explizit hervorgehoben. Diese strategische Ausrichtung

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wird von der HWB auch schon praktiziert (s. oben). Mit den Schwierigkeiten in der Umsetzung steht Hennigsdorf allerdings nicht alleine da. Eine im Frühjahr 2012 veröffentlichte Studie über die ökonomischen Potenziale und neue Geschäftsmodelle solcher „Welfare Technologies“ nennt als Gründe für die Kluft zwischen dem potentiellen Nutzen und der Zahlungsbereitschaft der „AAL-Technologien“: mangelnde Akzeptanz technischer Assistenzsysteme generell, unterschätzte individuelle Nutzen (Informationsdefizite), das Fehlen bedarfsgerechter Lösungen und die Preise. Es sei davon auszugehen, „dass eine Mischung aus den genannten und weiteren Faktoren auf absehbare Zeit eine breite Diffusion altersgerechter Assistenzsysteme in den Markt noch verhindert.“ (Fachinger et al 2012). 4.1.2.6 Fazit Die Fallstudie in Hennigsdorf mit einem engagierten Wohnunternehmen in kommunaler Trägerschaft zeigt verschiedene Optionen vernetzten Wohnens auf und es bestätigt sich die in den sozialgerontologischen und sozialpolitischen Diskursen formulierte These, dass der Wohnbereich als „Care-point“ weiter an Bedeutung gewinnt. Zur Bewältigung der wachsenden Pflege- und Betreuungsbedarfe sind allerdings Synergiepotenziale auf lokaler Ebene zu nutzen und kooperative Versorgungsstrukturen zu entwickeln. Die Kommunen dürfen mit dieser Aufgabe nicht allein gelassen werden. Sie bedürfen fundierter Beratung, sie müssen aber auch mit zusätzlichen Ressourcen in die Lage versetzt werden, dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen (Michell-Auli 2011). Die Partnerschaft von Wohnungswirtschaft, Stadt und sozialen Diensten kann dann helfen, die stationäre Pflege im Lebensverlauf nach „hinten“ zu verschieben.

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Rahmenbedingungen für Teilhabe und Selbstbestimmung in der Altenpflege – am Beispiel des Altkreises Oranienburg im Landkreis Oberhavel Sabine Böttcher

4.2.1 Gute Pflege heißt: Eigenverantwortung stärken und Leistungs­ fähigkeit erhalten Die Grundvoraussetzung für den Erfolg von Pflege (auch im Sinne von Prävention und Rehabilitation) und für den Erhalt der individuellen Leistungsfähigkeit ist die Einsicht, selbst für die eigene Gesundheit verantwortlich zu sein. Gleichzeitig muss diese Einsicht auch bei den Angehörigen und den in den Prozess der Pflege Einbezogenen verankert sein. Nur wenn das familiäre und soziale Umfeld auch in diese Richtung unterstützend wirkt, kann Pflege im angestrebten Sinne erfolgreich sein. Nach Ansicht der im Landkreis Oberhavel befragten Experten und Expertinnen, hier aus einem Pflegedienstleistungsunternehmen, ist dies heute vor allem noch eine Generationenfrage:

Diese Sicht findet sich unabhängig vom Wohnumfeld. Häufiger im ländlichen als im städtischen Raum scheint aber ab einem bestimmten Grad an Pflegebedürftigkeit oder an Einschränkungen der gewohnten Lebensweise eine gewisse Hoffnungslosigkeit in Bezug auf eine Wiederverbesserung der Situation zu sein, wie es eine Expertin (Verantwortliche eines ambulanten Pflegedienstleisters) deutlich anspricht:

„Je jünger die Angehörigen sind, umso mehr ist da ein bestimmtes Gesundheitsbewusstsein schon bereits etabliert, ein bestimmter Anspruch.“ (9)

Der Erhalt der individuellen Leistungsfähigkeit der alten, betreuungs- oder pflegebedürftigen Menschen ist in der Praxis oft viel schwerer umzusetzen als dies in der Ausbildung der Pflegefachkräfte und in den Schulungen für Angehörige gelehrt wird. Im Pflegealltag ist es oftmals schneller und einfacher, wenn der Pflegende es selbst macht. Dies ist so nicht gewollt, aber den Festlegungen, wie lange eine Verrichtung am pflegebedürftigen Menschen dauern darf, geschuldet. Diese Festlegungen widersprechen vollkommen dem Erhalt von Aktivitäten, die eigentlich gefördert werden sollen, so die fast einhellige Meinung der befragten Expertinnen und Experten. Als wichtigste Arbeit im Bereich der Pflegeprävention betonten alle Expertinnen und Experten die Vergabe von Aufgaben, die Einbeziehung der Erfahrungen und der Lebenswelt der Seniorinnen und Senioren sowie die Schaffung von Möglichkeiten, selbst aktiv diejenigen Leistungen zu erbringen, zu denen sie noch in der Lage sind. Eine so ausgerichtete Verteilung von Aufgaben trägt zur Integration in eine Ge-

Oftmals wird die individuelle Leistungsfähigkeit aber auch durch eine vermeintliche Rücksichtnahme auf die Altersbelange und -einschränkungen der Pflegebedürftigen gesenkt. Angehörige nehmen zu viele Leistungen ab, die die Betreuungs- und Pflegebedürftigen noch alleine tun könnten. Damit wird ihnen in Teilen die Selbstständigkeit abgenommen, die Leistungsfähigkeit gesenkt und langfristig Pflegebedürftigkeit forciert. Umgekehrt wollen viele Alte und Pflegebedürftige in Ruhe gelassen werden und haben kein Verständnis dafür, dass sie etwas tun müssen, um fit und gesund zu bleiben. „Was soll ich denn noch? … Was Sie mit uns machen wollen, wir sind alt, jetzt lassen sie uns! … Wozu denn noch…?“ (2)

„...Im städtischen Bereich ist das noch so, dass sie Menschen erleben, die sagen: ‘Aber ich will.‘, ‘Ja, ich will zurück in meine Wohnung.‘, ‘Ich strenge mich auch an.‘ – Aber hier ist es so: einmal pflegebedürftig, immer pflegebedürftig, Stufe 1, Stufe 2, Stufe 3 und dann stirbt der Mensch.“ (2)

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meinschaft bei, regt zum Denken und Diskutieren an, und leistet so einen Beitrag zur Pflegeprävention. Eine Gesprächspartnerin aus der Stadtverwaltung fasst dies so zusammen: „… das kann Pflege auch verzögern … eine Aufgabe zu haben, sich Dinge auch zuzutrauen und auch zu wissen, ich muss jetzt dahin, weil da warten alle auf mich, … unter ­Menschen zu sein…“ (6) Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt sind dabei zwei Möglichkeiten, jenseits einer Erwerbstätigkeit sinnvolle Tätigkeiten auszuüben und Anerkennung zu erhalten. Sie unterscheiden sich im Vergleich städtischer und ländlicher Räume zwar nicht inhaltlich, wohl aber in der Struktur ihrer Organisation. So ist es im städtischen Bereich wohl recht einfach, „eine ganze Flotte von Ersatz-Omis zu rekrutieren, die auf die Kinder der Mütter aufpassen, die in die Sozialstation kommen – das funktioniert im ländlichen Raum nicht“ (2) Im ländlichen Raum finden sich demgegenüber gut ausgebildete Nachbarschaftsnetze, die ähnlich wie Tauschringe stärker über persönliche (langjährige) Beziehungen funktionieren. 4.2.2 Wie wird Pflege im Landkreis Oberhavel organisiert? Die häusliche Pflege ist in Oberhavel insgesamt recht gut organisiert und erfolgt überwiegend über privatwirtschaftlich organisierte Strukturen.11 Der häuslichen Pflege allein durch Angehörige, ohne die Unterstützung professioneller Dienste, kommt dabei mit fast 50 Prozent an allen pflegerischen Versorgungsfällen im Landkreis die größte Bedeutung zu (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg

11 Von den im Jahr 2011 tätigen 44 ambulanten Diensten im Landkreis Oberhavel waren 27 in privater Trägerschaft. (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2013)

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2013). Dabei werden nach Angabe der befragten Expertinnen und Experten die Pflegeaufgaben in erster Linie durch Angehörige erbracht, die aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Nicht-(mehr-)Erwerbstätigkeit zu Hause sind. Von allen Experten und Expertinnen wurde betont, dass etwa die Hälfte aller pflegenden Angehörigen mit der Pflege und den damit verbundenen Anforderungen und Abhängigkeiten überfordert ist, aber trotzdem nicht die Unterstützung durch einen Pflegedienst in Anspruch nimmt. Fast immer wird die Unterstützung durch einen professionellen Pflegedienst erst dann in Anspruch genommen, wenn die Pflege anders nicht mehr geleistet werden kann. „Die Pflegebedürftigen, die Leistungen brauchen …und bekommen würden, kommen zu spät.“ (13) Im städtischen Bereich des Altkreises Oranienburg wird als Grund dafür vor allem die prekäre finanzielle Situation der Kindesfamilien gesehen, für die das Pflegegeld der Eltern eine zusätzliche Einkommensquelle darstellt. In ländlicheren Regionen seien es eher Scham und der Anspruch, es allein schaffen zu wollen. Professionelle Hilfe wird vor allem dann in Anspruch genommen, wenn der organisatorische Druck steigt: Gehen die Angehörigen bspw. einer Erwerbstätigkeit nach, wird in der Regel frühzeitig(er) eine Hauskrankenpflege oder eine Sozialstation hinzugezogen. Expertinnen und Experten aus dem direkten pflegeinfrastrukturellen Bereich betonten, dass sie in den letzten Jahren verstärkt daran gearbeitet haben, dass Angebote der Urlaubsund Verhinderungspflege mehr als bisher genutzt werden. Ziel solcher Angebote ist es, die Belastungen der pflegenden Angehörigen aufzufangen und ihnen Auszeiten und Erholungsphasen zu ermöglichen. Trotz aller Anstrengungen und Investitionen scheint es aber bisher nicht gelungen zu sein, derartige Un-

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terstützungsstrukturen den Angehörigen näher zu bringen. Die meisten Angehörigen nehmen aus Bedenken um das Wohl der Pflegebedürftigen die Angebote nicht an und betreuen oder pflegen auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit. Auch Angebote zur Angehörigenarbeit, Informationsveranstaltungen für Angehörige und Angebote zum Erfahrungsaustausch werden aus Sicht der Expertinnen und Experten nur vereinzelt angenommen. Die Angehörigen scheinen in erster Linie keinen Bedarf an solchen Leistungen zu sehen und in zweiter Linie mangelt es an finanziellen Möglichkeiten. Am häufigsten stehen ambulante Pflegedienste, die auch ambulante Wohngemeinschaften betreuen, mit Angehörigen in Kontakt und bieten regelmäßige Treffen für Angehörige an. In den Städten scheint es einfacher und erfolgreicher, tragfähige Netzwerke zwischen den Angehörigen zu etablieren. Solche niedrigschwelligen Angebote sind stark davon abhängig, wie der Zugang zu potenziell Freiwilligen gelingt und wie diese eingebunden werden können: Sie sind abhängig von den Regionen, den in ihr wohnenden Menschen und den zurückzulegenden Wegen. Je dichter bewohnt eine Region, je kürzer die Wege und je bunter das öffentliche Leben, desto mehr Freiwillige und sozial Engagierte können gewonnen werden. Dies wiederum bestimmt die Angebotsbreite und -vielfalt. In den ländlichen Räumen des Altkreises Oranienburg werden niedrigschwellige Angebote oftmals über Nachbarschaftshilfen unterbreitet. Gleichwohl wünschen sich alle Seniorinnen und Senioren unabhängig ihrer Wohnregion eine offene Seniorenarbeit, ohne Vereins- oder langfristige Bindung, Beitragspflicht und Mitgliedschaft. Die (noch bestehenden) kommunalen Angebote für Seniorinnen und Senioren können so etwas bieten. In eingemeindeten städtischen Ortsteilen finden sich noch heute – ähnlich der aktuellen dörflichen Strukturen – Treffpunkte für die Bewohnerinnen und Bewohner, die auch von den Senio-

rinnen und Senioren genutzt werden und dem gegenseitigen Austausch, der sozialen Integration und der Kommunikation dienen. Im Bereich der professionellen ambulanten Pflege verwiesen einige Expertinnen und Experten darauf, dass für die Spezialisierung von Pflegediensten die Gestaltungsspielräume zu eng bzw. die Kassenanforderungen insbesondere für die Spezialisierungen Psychiatrie, Palliativpflege und Intensivpflege zu hoch seien und gerade ambulante Pflegedienste im ländlichen Raum diesen Anforderungen in der Praxis nicht gerecht werden können. In der Praxis wird vor allem für den Bereich der Intensivpflege versucht, solche Spezialisten in die Pflegedienste zu integrieren, um deren Dienste überhaupt anbieten zu können und den Betroffenen einen Verbleib in der eigenen oder familiären Häuslichkeit zu ermöglichen. Resümierend ist festzustellen, dass im Landkreis Oberhavel häusliche Pflege – bei oftmals zu später Einschaltung von Dienstleistern – das vorherrschende Arrangement ist. Es wird flankiert durch ■■ funktionierende, aber verbesserungswürdige Unterstützungsstrukturen durch Ehrenamt und Nachbarschaft, ■■ deutlich zu geringen Selbstaktivierungspotenzialen, teils gestützt durch die Angehörigen, bei gleichzeitig schwieriger praktischer Umsetzung der Aktivierung durch die Pflegefachkräfte, ■■ eine Teilhabeproblematik, die sich im städtischen und ländlichen Gebieten unterschiedlich darstellt und dementsprechend unterschiedliche Potenziale aufweist, ■■ Einschränkungen im Wohnumfeld, vor allem bedingt durch die vorhandene Wohnsubstanz sowie ■■ teils selbst auferlegte (geringe Dienstleistungsorientierung) und teils armutsbedingte (Alters- und Familienarmut) finanziellen Beschränkungen.

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4.2.3 Wie sehen in Oberhavel die Rahmenbedingungen für eine Pflege aus, die auf Teilhabe und Selbstbestimmung ausgerichtet ist? Will man Pflege nach den Prinzipien Teilhabe und Selbstbestimmung gestalten, müssen neben den Pflegestrukturen auch die Rahmenbedingungen von Pflege bekannt sein. Es wird hier davon ausgegangen, dass durch die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen optimierend auf Pflege eingewirkt werden kann. Mögliche Teilhabebereiche sind das private, das familiäre, das politische, das gesellschaftliche und das kulturell-öffentliche Leben. Einschränkungen der Teilhabe an diesen Bereichen können einerseits grundsätzlicher Natur sein, das heißt vor Ort oder in vertretbarer Erreichbarkeit ist kein Angebot vorhanden. Andererseits, durchaus auch gleichzeitig, können sie der finanziellen, aber auch der gesundheitlichen Situation geschuldet sein. Nachfolgend werden die wesentlichen Ursachen von Teilhabebeschränkungen (bei Pflegebedürftigkeit) näher beleuchtet. 4.2.3.1 Selbstisolation – Fremdisolation – Mobilität Von den Experten und Expertinnen aus der Untersuchungsregion wurde auf zwei unterschiedliche Teilhabebeschränkungen verwiesen: Im städtischen Bereich finden sich vor allem bei Alleinlebenden Tendenzen der Selbstisolation, indem die Wohnung nicht mehr verlassen wird und Mobilitätsangebote nicht in Anspruch genommen werden. Die Teilhabe am öffentlichen Leben wird auf das Lebensnotwendige (Einkaufen, Arztbesuche) reduziert. Die höhere Anonymität des Lebens in der Stadt, auch innerhalb eines Wohnblockes, fördert die Selbstisolation. Besonders betroffen sind hiervon vor allem diejenigen älteren Menschen, die zumeist bei beginnenden alltagspraktischen und/oder gesundheitlichen Einschränkungen aus dem ländlichen Raum in die Städte ziehen, weil sie in ihrem gewohnten ländlichen Wohnumfeld allein le-

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ben und den Alltag nicht mehr ausreichend gut bewerkstelligen können. Diese Gruppe von älteren Menschen findet aus Sicht der städtischen Expertinnen und Experten aus zweierlei Gründen nur schwer Kontakt: Erstens erfolgt der Zuzug zumeist in Neu- oder Plattenbauten und in diesen nicht gewachsenen Nachbarschaften gelingt die Etablierung guter nachbarschaftlicher Hilfe- und Kontaktstrukturen nur schwer. Zweitens verunsichert oder überfordert gerade ältere Menschen aus ländlichen Regionen das städtische Leben, und so ziehen sie sich oftmals auch aus diesem Grund vom öffentlichen Leben in ihre eigene Häuslichkeit zurück. Im ländlichen Bereich überwiegen dagegen Teilhabebeschränkungen aufgrund einer unzureichenden öffentlichen Mobilität. Tendenzen einer Fremdisolation werden sichtbar, da die Betroffenen nicht zu den Angeboten kommen können. Der öffentliche Nahverkehr ist in vielen Regionen auf den Schülerverkehr reduziert und die Verkehrsanbindung für Menschen ohne Automobilität zu weiträumig. Taxis sind zu teuer, nicht rollstuhlgerecht oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden, so dass spontanen Fahrwünschen nicht immer entsprochen werden kann. Die Sozialstationen können die Hol- und Bringdienste aufgrund fehlender finanzieller und personeller Kapazitäten nicht übernehmen. Vergleichbare private Dienstleistungsangebote sind nur vereinzelt zu finden. Demgegenüber wird die eigene Mobilität der Seniorinnen und Senioren aber vor allem bei einer intakten Dorfgemeinschaft als höher eingeschätzt, Selbstisolation nur vereinzelt wahrgenommen. Vor allem der Kirche, der Volkssolidarität und den Dorf- und Gemeindevertretern wird ein großer Beitrag am Erhalt der Integration der älteren oder betreuungs-/pflegebedürftigen Menschen in das öffentliche Landleben zugesprochen. Betreuungs- und pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren sind nach Ansicht fast aller befragten Expertinnen und Experten im ländlichen Be-

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reich besser privat vernetzt und damit in das lokale öffentliche Leben stärker integriert als ihre Altersgleichen in der Stadt. Vor allem eine gute individuelle Kontaktstruktur zwischen Alten und Pflegebedürftigen ist zwar dorfabhängig, aber im Gegensatz zum städtischen Bereich, wo sie kaum zu finden ist, vorhanden. So haben die von Sozialstationen, Hauskrankenpflegen, Nachbarschaften oder kirchlichen Gruppen angebotenen Spazier- und Besuchsdienste im ländlichen Raum oft eine „ansteckende Wirkung“ auf die alten Menschen in der Nachbarschaft und erhöhen die individuelle Bereitschaft, sich zu bewegen, eine Wirkung, die für den städtischen Bereich nicht benannt wurde:

Deutlich wird in allen Interviews auch eine selbst „auferlegte“ Teilhabegrenze bzw. -beschränkung in dem Sinne, dass finanzielle Reserven nicht für die eigene Pflege ausgegeben, sondern für die Kinder gespart werden. Dies hat nach Ansicht der Expertinnen und Experten zweierlei Gründe: Einerseits dient das Pflegegeld häufig zur Sicherung des Familieneinkommens der Kinder oder der Gesamtfamilie.

„… was der kann, kann ich doch auch noch, … wenn die spazieren geht, kann ich doch mitgehen…“ (2)

Andererseits lebt die jetzige Altengeneration mit der Ansicht: „Für Pflege gibt man kein Geld aus“. Der Prozess des Lernens, dass Pflege Geld kostet und dass es legitim ist, dieses Geld für sich auszugeben, ist ein sehr langwieriger und schwieriger Prozess. Selbst wenn Geld ausreichend vorhanden ist, wird es nur zögerlich für den Einkauf individueller Leistungen ausgegeben.

4.2.3.2 Altersarmut Altersarmut wird im Landkreis Oberhavel als sehr divergent wahrgenommen: Entweder sei sehr viel Geld vorhanden oder gar keines. Von allen Befragten wird das Problem für die zukünftige Rentnergeneration aufgrund langer Zeiten von Arbeitslosigkeit oder Niedriglohnbeschäftigung als gravierend erwartet. Insbesondere im städtischen Bereich wird Altersarmut aber auch schon heute wahrgenommen und thematisiert, obwohl unklar ist, wie hoch die Betroffenheit wirklich ist, weil viele Betroffene sich oftmals aus Scham nicht an Ansprechpartner wenden und ihnen zustehende Förderungen wie Wohngeld nicht in Anspruch nehmen (wollen). „… ein Thema, was sich keiner der Senioren eingestehen möchte, weil letzten Endes bestand unsere Arbeitswelt daraus, … irgendwann bin ich 65 und dann mach ich alles das, was ich bisher nicht machen konnte (aufgrund der Arbeit)… heute ist das so, dass man feststellt, man kann vieles nicht machen (aufgrund des Geldes)…“ (8)

„viele scharren ... an der Sozialhilfegrenze rum und das Pflegegeld ist ... eine Einkunft, die ... von einem pflegenden Angehörigen in keinster Weise angegeben werden muss beim Sozialamt“ (3)

„Wenn ich keine Leistungen beziehen kann, greife ich auch nicht meine Ersparnisse an, dann bleibe ich hier in meiner Situation. … Für Pflege gibt man kein Geld aus.“ (1) 4.2.3.3 Wohnumfeld Der Landkreis Oberhavel strukturiert sich wohnbaulich vor allem in Neu- und Plattenbauten in den städtischen Bereichen und in Eigenheimen im ländlichen Umfeld mit dem in DDR-Zeiten üblichen kleinen Plattenbau am Dorfrand. Bei Pflegebedürftigkeit im ländlichen Bereich wird – vorausgesetzt die Kinder sind nicht aus der Region weggezogen – noch relativ häufig generationsübergreifend zusammen oder nahe beieinander gewohnt. Alleinlebende Betreuungs- oder Pflegebedürftige, die ihr Eigenheim gern für eine alterna­tive Wohnform gemeinsam mit anderen Seniorin-

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nen und Senioren nutzen würden, scheitern oftmals an den wohnungsbaulichen Anforderungen und Auflagen des Umbaus, da die bauliche Struktur vieler Eigenheime diesen nicht gerecht werden kann. Die Mehrzahl dieser Betroffenen würde dann doch in die stationäre Pflege wechseln, obgleich diese häufig noch nicht nötig wäre. Die Wohnungsbaugesellschaften können oftmals dem Anspruch, barrierefreie Wohnungen anzubieten, nicht gerecht werden, da die DDR-Plattenbauten dies nicht ermöglichen. Hier wird nach individuellen und kreativen Lösungen gesucht, indem die spezifischen Anforderungen der Betroffenen in den Mittelpunkt gestellt werden. Oftmals kann mit einer Absenkung der Schwelle zwischen Wohnzimmer und Balkon, einer Reduzierung der Höhe des Duscheintritts, dem Anbau eines zweiten Treppenlaufes und der Versetzung von Steckdosen schon eine deutliche Erleichterung der Wohnsituation erreicht werden. Im ländlichen Raum wird sich offenbar schon stärker als in den städtischen Strukturen mit der Frage auseinandergesetzt: „Wie kann das Leben im Alter auf dem Land aussehen?“ Die dabei gefundenen Lösungen sind äußerst kreativ und orientieren sich an den vorhandenen freien räumlichen Möglichkeiten und deren baulichen Bedingungen. So werden gemeindeeigene Häuser wie alte Schulen in altersgerechte Wohnungen mit Bad umgebaut, in deren Erdgeschoss zum Beispiel ein ausgebautes, pflegeorientiertes Badezimmer allen Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung steht. Gleichzeitig wurde in einem Fall beispielsweise die ortsansässige Tagespflege im Haus mit untergebracht, wodurch den Bewohnerinnen und Bewohnern die Möglichkeit eines warmen Mittagessens unterbreitet werden kann. Zusätzlich ist es dort möglich, die Pflege der angrenzenden Sozialstation in Anspruch zu nehmen und die Wohnungen mit einem Notrufsystem ausstatten zu lassen. Alle Wohnungen waren schnell vergeben und die

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Nachfrage so groß, dass nach einem zweiten Bauprojekt Ausschau gehalten wird. 4.2.3.4 Informationen und Informations­ zugang – Pflegestützpunkte Für eine gute Pflege ist Wissen über Pflegemöglichkeiten, gesetzliche Grundlagen und finanzielle Unterstützungen, sowie über Hilfsmittel und pflegeerleichternde Techniken unabdingbar. Gleichzeitig ist gerade im Bereich Pflege Wissensvermittlung schwierig, da sie – bevor Pflege notwendig ist – mit der Begründung „Pflege betrifft mich nicht“ kaum wahrgenommen wird und – wenn der Pflegebedarf dann eintritt – die Zeit zum Lernen (zu) knapp ist. Vermittlung von Pflegewissen erfolgt vor allem entweder in Pflegestützpunkten und Beratungsstellen oder zugehend in der Häuslichkeit der Pflegebedürftigen oder eines Angehörigen. Dabei besitzt die zugehende Beratung im ländlichen Raum eine höhere Bedeutung als im städtischen oder stadtnahen Raum, gleichzeitig ist sie hier aufgrund der Weiträumigkeit schwerer umzusetzen. Auch im Bereich Beratung sind die Möglichkeiten der kooperativen Zusammenarbeit noch lange nicht ausgeschöpft. Exemplarisch zeigt sich dieses etwa an der Zusammenarbeit zwischen professionellen Pflegedienstleistern und dem Pflegestützpunkt. In der CATI-Befragung von 30 Pflegeeinrichtungen im Landkreis Oberhavel zeigte sich, dass zwar 66 Prozent von ihnen mit einem Pflegestützpunkt zusammen arbeiten, aber 34 Prozent dies nicht tun. Als hauptsächliche Gründe wurden „kein Bedarf an einer Zusammenarbeit“ und „fehlende Nähe zu einem Pflegestützpunkt“ angeführt. Deutlich wurde in den Experteninterviews, dass den Pflegestützpunkten eine sehr unterschiedliche Rolle zugeschrieben und ihnen auch unterschiedliche Erwartungshaltungen gegenüber stehen. Einige Expertinnen und Experten wollen Pflegestützpunkte eher als Koordinierungsstellen und nicht als individuelle Beratungsstellen etabliert sehen, andere

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fordern den stärker flächenbezogenen Ausbau und eine höhere Anzahl an Pflegestützpunkten. Vor allem seitens der im städtischen Bereich agierenden Expertinnen und Experten wurde die Wichtigkeit eines eigenen Pflegestützpunktes oder wenigstens eines festen Vor-Ort-Termins des zuständigen Pflegestützpunktes betont. „Ich brauche den Pflegestützpunkt in der Stadt, wenigstens als einen festen Termin.“ (13) Demgegenüber zeigten vor allem die Expertinnen und Experten aus dem praktischen Pflegebereich eine große Unkenntnis über den Sitz des zuständigen Pflegestützpunktes, seine Aufgaben und Zielstellungen. „… vielleicht haben wir auch noch nicht so richtig begriffen wozu und wieso…“ (2) Oftmals sahen sie auch keine Notwendigkeit für deren Existenz, da die Pflegebedürftigen und deren Angehörige aus ihrem „Einzugsbereich“ von ihnen und ihren Einrichtungen selbst ausreichend und umfassend beraten und informiert würden. Andere Akteure schätzen die Kapazitäten der Pflegestützpunkte als ausgelastet ein und sehen kaum noch Spielraum für weitere Aufgaben: „… die wissen doch schon jetzt nicht mehr, wo vorne und hinten ist…“ (7) 4.2.3.5 (Kommunal-)Politische und wirtschaftliche Aspekte Ein Kernproblem in Bezug auf die kommunalpolitischen Rahmenbedingungen sehen die befragten Expertinnen und Experten darin, dass die kommunalen Vertretungen bestimmter Zielgruppen unzureichend über den eigenen Tellerrand hinaus schauen. Eine Vernetzung zwischen den Gremien ist bisher nicht zu erkennen. Eine Interviewpartnerin fasst dies kurz und knapp zusammen mit:

„zu wenig Engagement für die Allgemeinheit“. (EI 13) Ein Vertreter der Pflegedienstleister betonte vor allem für den ländlichen Raum, dass es notwendig sei eine Kultur der Kooperation zu schaffen. Eine solche regionale Kooperationskultur hat zum Ziel, Betroffene zu Beteiligten zu machen, neben ihren Bedürfnissen auch ihr Engagement aufzunehmen, ihre Potenziale zu vernetzen und dadurch ein regional tragfähigeres Unterstützungsnetz zu schaffen. Dazu bedarf es einer Abgrenzung zwischen Konkurrenz und Kooperation. Es gilt aber gleichzeitig zu beachten, wann welche Struktur erfolgsversprechender und langfristig tragfähiger ist. Hierzu können folgende Fragen als Rahmen dienen: Wann ist Zusammenarbeit erfolgreicher? Wann bringt Konkurrenz weiter? Wann ist ein lokaler oder regionaler Handlungsbedarf vorhanden? Von den Gesprächspartnerinnen und -partnern wurden darüber hinaus verschiedene (strukturell bedingte) Grenzen sowohl im Zugang zum potenziellen Personenkreis als auch in der Förderung und Entwicklung der Rahmenbedingungen der Pflege aufgezeigt. Grenzen im Zugang zum potenziellen Personenkreis sind vor allem Ergebnis struktureller Veränderungen aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen: 1) Mit der Einführung der Grundsicherung für Erwerbsunfähige im Jahr 2005 und der damit verbundenen „Abgabe“ des Sozialamtes an den Landkreis verloren die Städte unter anderem den Zugang zu den nicht-mobilen Seniorinnen und Senioren und die Kenntnis über besondere Problemlagen von alleinlebenden, sozial isolierten und zumeist bedürftigen älteren Einwohnerinnen und Einwohnern. War es vor 2005 noch möglich, solche Informationen innerhalb des Stadtverwaltung auch aufgrund fachübergreifend organisierter Zuständigkeiten weiterzugeben und somit notwendige Hilfestrukturen

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anzubieten, ist dies durch die Trennung zwischen Stadtverwaltung und Sozialamt ab 2005 aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen nicht mehr möglich. 2) Eng damit verbunden ist auch der Verlust des sozialen Kontaktes zu älteren, alleinlebenden Einwohnerinnen und Einwohnern, die von sich aus nicht mehr den Zugang zu anderen Personen suchen wollen oder können. Selbst bei einer vorhandenen Pflegebedürftigkeit und einer durchaus guten Betreuung durch einen ambulanten Pflegedienst gehen über die Pflege hinausgehende soziale Kontakte verloren und können diese von außen, zum Beispiel durch Seniorenverantwortliche in den Städten, aufgrund der Nichtkenntnis der Situation nicht oder nur schwer angeregt werden. Eine solche städtische Verantwortliche beschreibt die Situation wie folgt: „der ganze soziale Kontakt funktioniert dann nur noch auf der pflegenden Ebene … mit Zeitlimit … (wo) bestimmte Sachen einfach … nicht stattfinden…Diese Personen sind einsam, gut gepflegt, aber nicht sozial betreut.“ (13) Grenzen in der Förderung und Entwicklung von Rahmenbedingungen der Pflege finden ihre Ursache in verschiedenen gesetzlichen, wirtschaftlichen oder regionalen Bedingungen. 1) Vor allem für die ambulante Pflege im peripheren, ländlichen Bereich werden die Wegpauschalen als viel zu knapp bemessen eingeschätzt, um eine für die Pflegedienste und Sozialstationen verlustfreie Pflege zu ermöglichen. Von den Expertinnen und Experten wird für diesen regionalen Raum eine Wegpauschale empfohlen, die sowohl die echten Fahrkilometer als auch die anfallenden Fahrzeiten angemessen berücksichtigt. 2) Eine städtisch organisierte Freiwilligenbörse, die u. a. Einkaufs- und Begleitdienste

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für Einwohnerinnen und Einwohner und damit auch für Pflegebedürftige anbot, musste wegen konkurrenzbegründeter Diskussionen und Forderungen einiger ansässiger ambulanter Dienste geschlossen werden. Da es der Stadt nicht gestattet sei, ihr Angebot auf die ausschließlich gesunde Bevölkerung zu begrenzen, sah sie keinen anderen Weg, als das Angebot vollständig einzustellen. 3) Alle Expertinnen und Experten thematisierten das unzureichende Angebot an teilstationärer Pflege, insbesondere im Bereich der Nacht- und Wochenendpflege insgesamt sowie in der Kurzzeit- und Verhinderungspflege. Für pflegebedürftige Kinder gebe es im Altkreis Oranienburg kein Angebot, dies würde aber dringend gebraucht. Alle Unterstützungsangebote der Städte, solche Betreuungsmöglichkeiten zu fördern, blieben bisher erfolglos, da sich keine Anbieter und Träger fanden. Die Etablierung solcher Angebote wird als langfristiges kommunales Ziel mit hoher Dringlichkeit angesehen, da schon heute ein unbedingter Bedarf vorhanden ist, der aktuell nicht befriedigt werden kann. Auch die von den Pflegekassen angebotenen Ausweichmöglichkeiten in der Kurzzeit- und Verhinderungspflege pflegebedürftiger Kinder nach Berlin können aufgrund fehlender freier Kapazitäten der Berliner Anbieter und Träger nicht in Anspruch genommen werden. 4) Das Kontaktieren von potenziell Ehrenamtlichen und die Zusammenarbeit mit ihnen werden im städtischen Bereich einfacher beschrieben als im ländlichen, was sich vor allem in der Anzahl der Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch in der räumlichen Entfernung begründet. Vor allem die im außerstädtischen Bereich anfallenden Fahrkosten der potenziell Ehrenamtlichen werden als Hemmnis für deren soziales Engagement angesehen. 5) Unabhängig von der Struktur der Region werden für den kommunalpolitischen Be-

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reich der Seniorenarbeit Schwierigkeiten aufgezeigt, langfristig Verantwortliche zu finden. Als besonders wichtig und gleichfalls als besondere Herausforderung wird – ähnlich wie in der Jugendarbeit – herausgestellt, dass die politisch aktiven Seniorinnen und Senioren den Inhalt und Erfolg ihrer Arbeit eher in kurzfristigen (innerhalb eines Jahres) als in langfristigen Planungszeiträumen verankert sehen möchten. Eine Zeitplanung länger als zwei Jahre würde viele Seniorinnen und Senioren vom kommunalpolitischen Engagement abhalten. Gleichwohl ist die Einbeziehung, Berücksichtigung und Anerkennung der beruflichen, politischen und lebensweltlichen Erfahrungen der Senioren von besonderer Bedeutung für die Langfristigkeit ihres Engagements. Partizipation und Förderung von Lebensqualität funktioniert nur dann, wenn der Mensch sich ernst genommen und angenommen fühlt. „Wir müssen sehr viel mehr an dieser Partizipation arbeiten, dass sie sich mit einbringen können, dann muss uns als Kommune auch bewusst sein, dass alte Menschen vor allen Dingen hier in ihrer eigenen Kommune etwas verändern können und wollen. Und dann müssen sie aber auch Ergebnisse sehen ... .Wir müssen es ernst nehmen und nicht erst in 5 Jahren, sondern immer relativ schnell … (Zeit) hat in der Altenarbeit eine komplett andere Bedeutung, weil man eben sagt, wer weiß, ob ich das noch erlebe…“ (6) 6) Zusätzlich wird die Richtung der (kommunal)politischen Aktivitäten als gegensätzlich empfunden: So thematisieren Kommunalvertreter, dass der Seniorenbeirat sich ausschließlich auf den aktiven Part der Seniorinnen und Senioren konzentriert und die mobilitätseingeschränkten, betreuungs- oder pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren nicht in seiner Verantwortung und seinem Handlungsbereich sieht. Demgegenüber spricht ein

Vertreter des Seniorenbeirates von einer zu starken Konzentration auf die pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren: „… man konzentriert sich politisch, verwaltungsrechtlich zu sehr auf den Teil der Senioren, der Pflege wirklich braucht. Den Teil, der noch in der Lage ist und bereit ist, sich einzubringen, wird zu wenig berücksichtigt und zu wenig anerkannt.“ (EI 8) 4.2.4 Fazit – Wahrnehmung und Orga­nisation von Pflege im lokalen Zusammenhang Um die Möglichkeiten der Optimierung von Pflege und Prävention im lokalen Zusammenhang voll auszuschöpfen, bedarf es einer Perspektive, die die Lebenswelt der älteren (pflegebedürftigen) Menschen insgesamt in den Blick nimmt. Zentral ist hierbei eine Orientierung auf die Kompetenzen und das noch vorhandene Leistungspotenzial dieser Klientel. Ein zentrales Ergebnis der Experteninterviews ist die Forderung, die einzelnen, separaten Aktivitäten der verschiedenen im Bereich Pflege eingebundenen Akteure miteinander zu verzahnen, ihre Potenziale zu bündeln und aufeinander abzustimmen. Dieser Anspruch gewinnt mit Blick auf die zukünftige demografische Entwicklung im ländlichen Raum und die sich daraus ergebenen Anforderungen an eine Pflegeinfrastruktur eine besondere Bedeutung. Vor allem für den Bereich der Angehörigen- und der ambulanten Pflege waren sich die befragten Expertinnen und Experten einig, dass die bisherige Aufteilung der einzelnen Arbeits- und Aufgabenbereiche im Gesamtfeld Pflege kostenungünstig, personalintensiv und damit wenig zukunftsträchtig ist. Insbesondere in einer engeren Verzahnung der Arbeit von Krankenhäusern, Pflegediensten und Sozialstationen, Städten, Gemeinden und Landkreisen sowie allen lokalen privaten und professionellen familien- und pflegeunterstützenden Angeboten zeige sich Potenzial zur Verbesserung der Pflegeinfrastruktur –

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nicht nur im ländlichen Raum. Zu klären ist auch, wie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Kommunalverwaltung und zwischen Kommunalverwaltung und Landkreis verbessert werden kann. Wie gezeigt wurde, erschweren verschiedene rechtliche Rahmenbedingungen hier einen notwendigen Informationsaustausch. Wie die neu geordneten Zuständigkeiten mit Verantwortlichkeiten für ältere und pflegebedürftige Menschen zusammengebracht werden können, bedarf der Klärung. Ein Abwägen zwischen Konkurrenz und Kooperation auf der lokalen Ebene kann nur gelingen, wenn vor Ort stabile und verbindliche Kommunikationsstrukturen etabliert werden, auf deren Basis Vor- und Nachteile gemeinsamer Initiativen diskutiert werden können. Da teilhabeorientierte Pflege einerseits ein sozialpolitisches Anliegen ist, Pflege andererseits durch das Angebot gewinnorientiert agierender Dienstleister geprägt ist, sind die zu bewältigenden Interessengegensätze jedoch nicht zu unterschätzen. Inwieweit es gelingen kann, dass Akteure in Teilen gegen ihre Einzelinteressen handeln, um die lokale pflegerische Versorgung insgesamt zu verbessern, ist offen. 4.2.5 Liste der Interviewpartnerinnen und -partner 1: Referentin Wohlfahrtsverband 2: Verantwortlicher ambulanter Pflegedienstleister 3: Referent Wohlfahrtsverband 6: Vertreterin Stadtverwaltung 7: Alzheimergesellschaft Brandenburg 8: Vertreter Seniorenbeirat 9: Verantwortlicher Pflegedienstleister 13: Vertreterin Stadtverwaltung

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4.3

Sicherung von Pflegearrangements im Wohlfahrtsmix – am Beispiel der Stadt Cottbus Prof. Dr. Thomas Klie | Birgit Schuhmacher

4.3.1 Pflege wird zukünftig nur im Wohlfahrtsmix zu leisten sein Die Pflege älterer Menschen wird in den unterschiedlichsten Arrangements geleistet. Die Pflegeversicherung setzt dabei auch auf die Pflegebereitschaft von Familien, Nachbarschaften und Freundeskreisen sowie auf bürgerschaftliches Engagement. Doch die Familienstrukturen ändern sich und auch die professionelle Pflege ist unter Druck. In Zukunft wird Pflege (außerhalb von Institutionen) nur mit wohlfahrtspluralistischen Ansätzen und entsprechenden Strategien zu decken sein. Wohlfahrtspluralismus heißt, dass soziale Leistungen von verschiedenen Akteuren in unterschiedlichen Kontexten geleistet werden (z.B. privatwirtschaftlicher Pflegedienst, Essen auf Rädern vom Wohlfahrtsverband, ehrenamtlicher Einkaufsdienst etc.). Im Unterschied zur (Illusion der) Alleinverantwortung für Pflege und Versorgung von nur jeweils einer Akteursgruppe (Staat, Markt, Familie oder Zivilgesellschaft) geht das Modell der gemischten Wohlfahrtsproduktion davon aus, dass eine flexible Aufgaben- und Verantwortungsteilung Basis einer guten Versorgung ist. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Vielschichtigkeit des Feldes mit seinen unterschiedlichen Institutionen, Funktionslogiken, Zentralwerten und Systemimperativen (Klie 2009). Im Folgenden sollen exemplarisch in der mittelgroßen Stadt Cottbus wohlfahrtspluralistische Strukturen und Arrangements vorgestellt werden. Wo arbeiten die Akteure der unterschiedlichen Sektoren auf der kommunalen Ebene zusammen? Wie werden Abgrenzungen vorgenommen zwischen professionell Pflegenden, anderen beruflichen Akteuren, Angehörigen und Ehrenamtlichen? Welche Kultur der Zusammenarbeit pflegen diese? Welche Bedeutung spielen Pflegestützpunkte und Pflegeberatung? Welchen Beitrag leisten

die Wohlfahrtsverbände zur Sicherung von Pflegearrangements? Wie lässt sich dieser Beitrag ggf. intensivieren und welchen Einfluss können die Kommunen hierbei ausüben? Zentrale Grundlage der Studie bilden neun Interviews mit insgesamt 22 Befragten. Diese stammen aus der kommunalen Verwaltung (Sozialdezernent, Leiterin des Fachbereichs Soziales, Sozialplanerin, Beraterinnen des Pflegestützpunktes, Seniorenbeirat), aus Pflegeeinrichtungen, einem Verbund aus Anbietern im gerontopsychiatrischen Feld, einer Wohnungsgenossenschaft, der AlzheimerGesellschaft sowie aus zwei Modellprojekten. Außerdem wurden Infrastrukturdaten erhoben und analysiert. 4.3.2 Welche Infrastruktur bietet Cottbus? 4.3.2.1 Wohnen Der Großteil der rund 100.000 Cottbuser lebt in Mietwohnungen. Die Stadt Cottbus geht davon aus, dass nur etwa 12 Prozent des Wohnbestandes auf Eigentumswohnungen entfallen. Etwa die Hälfte dieser Wohnungen werden von zwei Wohnungsunternehmen, der egwohnen (10.144 Wohnungen) und der Gebäudewirtschaft Cottbus (GWC; rund 18.000 Wohnungen) vermietet. Cottbus verfügte in den letzten Jahren über ein umfangreiches Angebot bei leicht steigenden Leerständen und sinkenden Mieten. (Stadt Cottbus 2010). Im Experteninterview mit der GWC wird betont, dass genügend Wohnungen auch für einkommensschwache Mieterinnen und Mieter zur Verfügung stehen und eine soziale Durchmischung gewährleistet ist (vgl. Interview 4c im Interview­ verzeichnis am Ende des Textes). Der Wohnungsmarkt in Cottbus kann als stabil, eher mieterfreundlich und durch den großen Bestand der zwei großen genossenschaftlich

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organisierten Wohnungsunternehmen als gut gestaltbar – auch im Hinblick auf die Bedürfnisse älterer Mieterinnen und Mieter – gelten. Wie bundesweit auch ist es der Wunsch der älteren Bevölkerung in Cottbus, möglichst lange im vertrauten Umfeld und der eigenen Wohnung zu verbleiben (1c). Auch Seniorinnen und Senioren, die (noch) nicht pflegebedürftig sind, fragen verstärkt nach altersgerechten Wohnungen mit einer ansprechenden Ausstattung (1a). Das Angebot an „altersfreundlichen Wohnungen“ ist allerdings empirisch schwer erfassbar. Nach Angaben des Landes waren es im Jahr 2007 rund 240 Wohnungen in Cottbus (Stadt Cottbus 2010: 69). Angesichts einer wachsenden Bevölkerungsgruppe im Alter 75+ von ca. 9.600 (2010) auf 15.700 (2030) ist dieses Angebot nicht ausreichend. Die Seniorenbeauftragte beklagt außerdem das Defizit an seniorengerechtem und barrierefreiem Wohnraum, der auch für finanziell schlechter gestellte Personen bezahlbar ist (1c). Die GWC hat in den letzten Jahren zwei Objekte komplett renoviert, teilweise barrierefreie Wohnungen eingerichtet, die Eingangsstufen barrierefrei gestaltet, einen Fahrstuhl eingebaut und einen Pförtnerservice eingerichtet. Wohnungsgrundrisse wurden so geändert, dass 1-3-Zimmerwohnungen entstanden, die nicht nur ältere Mieterinnen und Mieter ansprechen. Entsprechend wird das Ensemble unter dem Namen „GWC – Generationenwohnen Cottbus“ vermarktet (4c). Neben solchen Komplettumbauten hält die GWC ein Wirtschaftsbuch für kleine Belange vor, aus welchem individuelle Bedürfnisse, bspw. Haltegriffe im Badezimmer, finanziert werden können. Es werden aber auch größere Anpassungen in Häusern vorgenommen, in denen besonders viele bedürftige ältere Menschen leben. Bspw. wurde eine Rampe im Eingangsbereich eines Hauses finanziert, in dem einige ältere Menschen auf ihren Rollstuhl angewiesen sind (4c).

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Ein Problem in der Versorgung mit barrierefreiem Wohnraum liegt in der zeitlichen Abstimmung von Nachfrage und Angebot, so dass bspw. spezifisch rollstuhlgerechte Wohnungen nicht unbedingt dann frei werden, wenn sie gebraucht werden bzw. freiwerdende Wohnungen nicht direkt auf die entsprechende Nachfrage stoßen. Ähnliche Abstimmungsprobleme erkennen der Seniorenbeirat und die Kommune bei der Inanspruchnahme von gefördertem Wohnraum. So würden bei Sanierungen die entsprechenden Umbauten von einem Vorvertrag mit einer mindestens zu 80 Prozent behinderten Person abhängig gemacht. Die Förderung entfalle, wenn die behinderte Mieterin oder der behinderte Mieter versterbe oder ausziehe, so dass ggf. die nicht-behinderte Partnerin bzw. der Partner sich diese Wohnung nicht mehr leisten kann. (1a; 1c) Die Seniorenbeauftragte wie auch der Seniorenbeirat weisen darauf hin, dass die Wohnungsförderprogramme des Landes häufig nicht greifen, da sie Barrierefreiheit ab der Haustür fordern, so dass nicht nur die Wohnung selbst, sondern auch der Eingangsbereich des Hauses umgebaut werden müsste. In Cottbus sind bei vielen Bauten ab Straßen­ ebene 5 bis 6 Stufen zu überwinden. Hier sei eine Ausweitung der Förderung hilfreich (1c). Die GWC berichtet entsprechend im Experteninterview von Umbaumaßnahmen wie Rampen und Aufzüge bis auf Straßenebene, z.T. bei denkmalgeschützten Häusern im rückwärtigen Bereich (4c). Ohne das Engagement der Wohnungsunternehmen, so die Kommune, wäre der Ausbau von barrierefreiem Wohnraum nicht zu schaffen, da hierfür auf kommunaler Ebene die Mittel fehlen (1a). 4.3.2.2 Medizinische Versorgung In Cottbus befinden sich drei Kliniken. Das Carl-Thiem-Klinikum ist das größte Krankenhaus in Brandenburg mit geriatrischem Komplex. Daneben gibt es das Sana Herzzentrum sowie eine Klinik der Reha Vita GmbH. Sie ist die größte wohnortnahe Rehaklinik in Bran-

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denburg und bietet ganztägig ambulante Rehabilitation bei orthopädischen und neurologischen Erkrankungen an und besitzt Zulassungen von allen Kostenträgern als Praxis für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Allgemein- und Fachärztinnen und Allgemeinund Fachärzte, die für ältere Menschen von besonderer Relevanz sind, sind in Cottbus gut vertreten. Es gibt nach den aktuellen Daten der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (arztsuche.kvbb.de) 51 Hausärztinnen und Hausärzte, sechs Dermatologinnen und Dermatologen, zehn Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, neun Orthopädinnen und Orthopäden, zehn Augenärztinnen und Augenärzte, neun HNO-Ärztinnen und HNO-Ärzte sowie acht Urologinnen und Urologen. Insgesamt gibt es (Stand: August 2013) 175 Vertragsärztinnen und Vertragsärzte in Cottbus (ca. 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner). Das Bundesgesundheitsministerium gibt für Brandenburg im Durchschnitt 144 Vertragsärztinnen und Vertragsärzte je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an (Bundesdurchschnitt: 168 Ärztinnen und Ärzte) (BMG 2013). Die Aussagen zur ärztlichen Versorgung in den Experteninterviews sind widersprüchlich. Einerseits wird der Stadt, vor allem im Vergleich zum ländlichen Umfeld, eine gute ärztliche Versorgung attestiert (4d) und wird auch die Existenz der Kliniken als positiv für die Versorgung bewertet (1c; 1a). Andererseits wird doch auf spezifische Probleme hingewiesen: zum einen ein Defizit an Ärztinnen und Ärzten, die Demenzdiagnosen erstellen (4d), und zum anderen die langen Wartezeiten bei einigen Haus- und Fachärztinnen und Hausund Fachärzten, insbesondere Dermatologinnen und Dermatologen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (1c, 1a) sowie die teilweise erfolgende Ablehnung neuer Patientinnen und Patienten. Die zu große Auslastung der Fachärztinnen und Fachärzte wird auch auf die Zentrumsfunktion von Cottbus zurückgeführt, da das Umland mit

versorgt werden muss (1a). Obwohl es keine vertraglichen Regelungen zur heimärztlichen Versorgung gibt, stellt sich die Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten, ihre Patientinnen und Patienten im Pflegeheim aufzusuchen, in Cottbus als gut dar (2a; 2b). Ebenfalls zum Bereich Medizinische Versorgung kann die Prävention und Gesundheitsförderung gezählt werden. Hier unterstützt die Kommune den mitgliederstarken Behinderten- und Rehasportverein, der sich guter Nachfrage erfreut (1a). Die mobile Rehabilitation der Reha Vita GmbH trägt dazu bei, dass Cottbus gut mit Reha-Angeboten versorgt ist (1b). 4.3.2.3 Beratung und Schulung Neben dem Pflegestützpunkt Cottbus konnten in unserer Recherche weitere Beratungsstellen identifiziert werden: die Kontakt- und Beratungsstelle für gerontopsychiatrisch erkrankte Menschen und deren Angehörige des Gerontopsychiatrischen Verbunds Cottbus/ Spree-Neiße, das Seniorenbüro, die Kontaktund Beratungsstelle für Menschen mit demenziellen Erkrankungen der Volkssolidarität sowie einzelne Einrichtungen und Träger, die Beratungsaufgaben wahrnehmen. Der Pflegestützpunkt in Cottbus befindet sich zentral im Rathaus und ist mit zwei Pflegeberaterinnen und zwei Sozialberaterinnen besetzt. Die Öffnungszeiten sind zweimal wöchentlich ganztags oder nach Vereinbarung, auch Hausbesuche sind möglich. Eine Besonderheit ist, dass eine der Sozialberaterinnen gleichzeitig mit einer halben Stelle beim Gerontopsychiatrischen Verbund beschäftigt ist und sich daraus Synergieeffekte ergeben. Der Pflegestützpunkt wird gut angenommen, die Zahl der Beratungen ist seit Beginn der Arbeit stark angestiegen. Die Außensprechstunden in einzelnen Stadtteilen wurden allerdings so schlecht nachgefragt, dass hier wieder reduziert wurde (1a). Aus Sicht des Sozialdezernenten ist Beratung, komplexes Fallmanagement und Koordination mit nur vier Beraterinnen für 100.000 Menschen in der Stadt und

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zusätzlichen Ratsuchenden aus dem Umland nicht zu leisten. Zwar wird vom Pflegestützpunkt an die Kassen vermittelt, aber umgekehrt werden viel häufiger Kassen-Mitglieder an den Pflegestützpunkt verwiesen (1b). Das Fallmanagement wird zunehmend komplexer: „Wir stellen fest, dass die Beratung immer komplexer wird, dass viele Themen immer facettenreicher bei uns angesprochen werden“ (1b) Im einfacheren Fall sind Angehörige bei der Beratung anwesend, die ein hohes Interesse an einer selbständigen und verantwortungsvollen Übernahme von Pflege- und Betreuungsaufgaben haben (1b). Wo aber keine familiären oder nachbarschaftlichen Ressourcen vorhanden sind, ist umfangreiche Vermittlung und Koordination nötig (1b). Hier wird für den Sozialdezernenten deutlich, dass die Pflegestützpunkte nicht entsprechend ihrer positiven Entwicklung vom Gesetzgeber erweitert und ausgestattet werden, sondern man „relativ selbstzufrieden“ ist (1a). Der Gerontopsychiatrische Verbund Cottbus/ Spree-Neiße e.V. (GPV) geht auf ein Modellprojekt zurück. Er beschäftigt eine Verbundkoordinatorin mit einer halben Stelle, die ebenfalls als Beraterin im Pflegestützpunkt tätig ist. Weiter bietet der GPV Fortbildungen für Fachkräfte an (ca. 45 in 2012), die auf hohe Nachfrage stoßen. Neben Pflegekräften wurden auch Heimleitungen, gesetzliche Betreuer, Sozialarbeiter und Therapeuten geschult. Die Resonanz unter Ärztinnen und Ärzten ist eher gering. Nur in Spremberg werden in Kooperation mit der Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg e.V. und der Barmer GEK Schulungen für pflegende Angehörige durchgeführt. (4b) Das Seniorenbüro ist Anlaufstelle für alle Bürger und Bürgerinnen bei allen Fragen, die mit dem Alter zusammenhängen. Es stellt Kontakt zum Seniorenbeirat der Stadt her und leitet bei Bedarf an andere Beratungsstellen weiter.

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„Hier (im Seniorenbüro) zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild. Manche kommen nach dem ersten Treffen mehrfach wieder, weil sie bemerken, dass man ihnen zuhört. Deshalb ist es wichtig, dass das Büro von Montag bis Freitag besetzt sein kann. Man kann es nicht über Sprechzeiten alleine abdecken. Oftmals sind die eigentlichen Fragen gar nicht so wichtig, sondern die wahren Probleme ergeben sich erst im Gespräch. Ratsuchende brauchen einfach oft nur jemanden, der ihnen zuhört.“ (1c) Ziel der Beratung des Seniorenbüros und des Seniorenbeirats ist es, die lebens- und alltagspraktischen Anliegen der Menschen und auch deren emotionale Belastung wahr- und ernst zu nehmen. Als problematisch wird die Situation hinsichtlich schwer erreichbarer Zielgruppen und der aufsuchenden Beratung eingeschätzt. Hier scheint das Seniorenbüro eine wichtige Funktion zu haben, indem es eine offene, niederschwellige Beratung anbietet. (1c) Der Volkssolidarität Regionalverband Lausitz hat im Sozialzentrum Cottbus eine mobile Sozialberatung für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen eingerichtet. Die Beratung findet zuhause statt und umfasst Informationen zum Krankheitsbild, zu Pflege und Betreuung, zu Leistungen der Pflegeversicherung u. v. m. Nach eigenen Angaben erfolgt die Beratung neutral, so dass z. B. auch Angebote anderer Anbieter vermittelt werden. Die Ansiedlung der Sozialstation im Stadtteil wirkt positiv auf die Inanspruchnahme. Auf die Frage, ob eine Konkurrenz zum Pflegestützpunkt bestehe, betont die Leitung, dass sich die Beratungsangebote eher ergänzen: Viele Menschen gehen gar nicht in den Pflegestützpunkt. Viele sehen, dass es eine Pflegestation gibt und melden sich telefonisch. Bei dem Telefonat stellen sich oftmals schon etwaige Bedarfe heraus. Im Anschluss wird ein Termin bei der betreffenden Person zu Hause vereinbart, so dass ein Einblick in die Verhältnisse erlangt werden kann. Teilweise kommen Bürger auch direkt in die Einrichtung. (3a)

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Neben der Beratung, die durch einzelne Träger oder Einrichtungen im Rahmen ihrer Leistungserbringung angeboten wird, fand im Jahr 2012 im Seniorenzentrum Sanzeberg in Kooperation mit der Barmer GEK erstmals eine Schulung zum Thema Demenz für pflegende Angehörige statt, die auf sehr große Nachfrage gestoßen ist. Mehr als 30 Personen wurden durch Fachkräfte der Einrichtung in vier bis fünf Gruppen über sieben Wochen hinweg geschult. Die Schulung soll wiederholt werden, momentan bildet sich eine Selbsthilfegruppe, die sich in den Räumen des Seniorenzentrums treffen kann (2a). Der Bedarf an Schulung und Beratung von Angehörigen zum Thema Demenz und Pflege ist in Cottbus bei weitem noch nicht gedeckt, so die Einschätzung dieses Anbieters, die vom Gerontopsychiatrischen Verbund bestätigt wird: Da auch eine Zuständigkeit (des GPV) für den Spree-Neißekreis besteht, können nicht drei Schulungen in Cottbus angeboten werden. Deshalb ist es nur zu befürworten, dass auch das Haus Sanzeberg solche Schulungen anbietet. (…) In den Beratungen zeigen die Menschen auch, dass sie froh sind, dass es so etwas gibt. Also der Bedarf ist immer noch da und noch nicht gedeckt. (4b) Für alle aufgeführten Angebote gilt: Es gibt Zielgruppen, die damit nicht erreicht werden. Jemand, der eine Beratung sucht, findet sie und kann zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen. Dennoch zeigt sich, dass viele Menschen die Beratung nicht aufsuchen. (1c) Personen, die schwer erreicht werden können, sind häufig alleinstehend, nicht mehr mobil und haben Schwellenängste, eine Beratungsstelle aufzusuchen (1b). Dennoch müsse von Einzelfällen, nicht von einem Trend gesprochen werden (1a). Die Wohnungsbaugenossenschaft hat in einigen Fällen Zugang zu hilfebedürftigen älteren Menschen, die sich

nicht selbst artikulieren können, und zwar über langjährige Kontakte der Nachbarn oder Hausverwaltung. In Kooperation mit Pflegeund Sozialdiensten wird dann eine Unterstützung organisiert (4c). Menschen mit Behinderung, Migrationshintergrund und armutsgefährdete Personen mit Pflegebedarf wurden in den Interviews ebenfalls als problematische Zielgruppen benannt (1a; 1a). 4.3.2.4 Versorgung bei Pflegebedürftigkeit und Demenz Die Pflegestatistik 2011 weist für Cottbus einen Anteil von 2,8 Prozent pflegebedürftiger Menschen an der Gesamtbevölkerung aus (Land Brandenburg: 3,8 Prozent). In absoluten Zahlen sind dies ungefähr 2.800 Personen. Der Anteil der vollstationären Dauerpflege an den Pflegebedürftigen insgesamt liegt in Cottbus deutlich über dem Landesdurchschnitt: 39,4 Prozent (ca. 1.100 Personen) gegenüber 23,2 Prozent im Land. Cottbus sei im Vergleich zum Land Brandenburg und auch zum ganzen Bundesgebiet sehr gut mit stationären Pflegeheim-Plätzen versorgt, so die Sozialplanerin. Allerdings sei fraglich, ob selbst dieses Angebot für die Zukunft ausreiche (1a). Der Sozialdezernent geht nicht davon aus, dass bis 2025 Kapazitäten erweitert würden, da ältere Leute heute länger gesund seien und durch verbesserte ambulante Strukturen länger ein selbstständiges Leben zuhause führen könnten (1a). Die Pflegebedarfsberechnung der Bertelsmann-Stiftung geht hingegen davon aus, dass ein Ausbau der stationären Pflegeplätze um knapp 80 Prozent erforderlich ist (Brandenburg: 96 bis 109 Prozent). Hieran zeigt sich einerseits der Erweiterungsbedarf, aber andererseits auch das im Landesvergleich bereits bestehende hohe Niveau. Nur bei einer dezidierten Stärkung der häuslichen Pflege könnte der Ausbau der benötigten Plätze auf ca. 12 Prozent begrenzt werden. Die gute Ausstattung mit stationären Plätzen wird auch in den Interviews bestätigt. Die befragten Einrichtungen haben keine Be-

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legungsprobleme. Im stationären Bereich überwiegen die privaten Anbieter etwa im Verhältnis 2:1, im ambulanten Bereich ist das Verhältnis noch ausgeprägter zugunsten der privaten: etwa 3:1. Eine befragte private Einrichtung schildert, dass ihre Klientel durchaus auch, aber nicht nur, aus finanziell besser gestellten Personen besteht (2a). Eine wichtige Rolle spielen auch Bewohnerinnen und Bewohner, die aus der unmittelbaren Nachbarschaft zugezogen sind, um in einer vertrauten Umgebung wohnen bleiben zu können. Nach Defiziten in der Pflege-Infrastruktur gefragt, werden vor allem Angebote für Menschen mit Demenz genannt. Der AOK-Pflegenavigator zählt für Cottbus nur eine Einrichtung mit einem Schwerpunkt in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Trotz eines Anteils von etwa 2/3 an allen Bewohnerinnen und Bewohnern hat eine befragte wohlfahrtsverbandliche Einrichtung kein spezifisches Konzept für Menschen mit einer Demenzerkrankung, sie ist jedoch dabei, eines zu planen – ohne räumliche Umbauten vornehmen zu können (2b). Eine befragte private Einrichtung ist in einem von vier Wohnbereichen auf Menschen mit Demenz spezialisiert, nimmt aber in zwei weiteren Wohnbereichen verstärkt demenziell erkrankte Personen auf, da die Nachfrage steigt (2a). Drängende Defizite betreffen zum einen die Verbreitung von ambulanten Angeboten wie häusliche Betreuung und Tagespflege, von stationären Angeboten wie z. B. Hausgemeinschaften für Menschen mit Demenz, zum anderen aber auch die Qualität des bereits Vorhandenen. Derzeit sei der Stand in den Heimen nicht so „wie er sein müsste“ (1c), z. T. hätte man eher den Eindruck von „Aufbewahranstalten“ (1c). Bisher gibt es in Cottbus keine Pflege-Wohngruppen oder Wohngruppen für Menschen mit Demenz. Der Pflegestützpunkt betont, dass Wohngruppen für pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Demenz eine wichtige

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Ergänzung der Infrastruktur darstellen würden: „Ein Traum wären natürlich die Wohngemeinschaften.“ (1b). Auch andere Befragte halten diese Versorgungsform für wichtig, vor allem mit der Zielgruppe Menschen mit Demenz. Schon drei der befragten örtlichen Akteure haben Pflege- oder Demenz-Wohngruppen geplant oder sind dabei, welche zu planen. Warum diese Pläne bisher gescheitert sind, hat verschiedene Gründe. Zum einen können häufig im Vorfeld nicht genug Interessenten gewonnen werden, so dass die Vermieter des Wohnraums das finanzielle Risiko scheuen (4 c, 3a). In einer stationären Einrichtung kann die spezifische konzeptionelle Ausrichtung einer Wohngruppe (z. B. auf mittlere, schwere Demenz) nicht aus der Warteliste bedient werden, so dass Belegungsausfälle erwartet werden: „Da geht die Wirtschaftlichkeit über die Idealismen.“ (2b) Vor diesem Hintergrund fehlt darüber hinaus pflegenden Angehörigen das Zutrauen und die Kompetenz, um selbstorganisierte Wohngruppen zu initiieren (4d). Verbände wiederum konkurrieren zu stark, um zu kooperativen Lösungen zu kommen. Daran scheiterte auch die Gründung einer Wohngruppe in einem genossenschaftlichen Wohnhaus der GWC, die dafür mehrere Pflegedienste angesprochen hat, jedoch nur bei einem auf Bereitschaft trifft (4c). Nach übereinstimmender Aussage der Kommune, des Seniorenbeirates und des GPV spielt eine Schattenwirtschaft mit 24-StundenKräften aus dem Ausland, die in der Häuslichkeit betreuen, unterstützen und pflegen, in Cottbus keine Rolle (1a; 1c; 4b). 4.3.2.5 Freiwilliges Engagement und Ehrenamt Ein wichtiges Zentrum freiwilliger Arbeit bildet in Cottbus die Freiwilligenagentur (FWA), die es sich zum Ziel gemacht hat die Menschen zu aktivieren, zu gewinnen, zu beraten und in ein Ehrenamt oder eine freiwillige Tätigkeit zu vermitteln. Im Jahr findet das Angebot durchschnittlich 185 interessierte Freiwillige. Davon

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werden 60 Prozent in derzeit 200 Einsatzfelder in 80 Einrichtungen (Verbände, Vereine, Initiativen) vermittelt. Von den 80 Einsatzstellen (Stand: März 2012) sind allerdings nur fünf aus den Bereichen Besuche, Freizeitangebote, Hospiz und Hilfe für Ältere. In Cottbus werden als ehrenamtliche Leistungen, die sich über die Pflegeversicherung finanzieren bzw. bezuschussen lassen, Betreuungsgruppen angeboten, die zu festen Zeiten mit einem festen Personenkreis arbeiten. Es gibt außerdem Besuche durch Helferinnen und Helfer in der Häuslichkeit. Diese Leistungen werden in Kooperation mit Einrichtungen des GPV, mit der Freiwilligenagentur oder mit Kirchengemeinden erbracht und gut nachgefragt. Auch Angehörigengruppen wurden im Rahmen der niederschwelligen Hilfen aufgebaut, hier ist aber die Nachfrage aufgrund der Belastungen durch die Pflege wechselnd (1a). Die Kommune sieht sich insgesamt gut aufgestellt, auch aufgrund der Ko-Finanzierung dieser Angebote durch das Land und die Kassen (1a). Für die Ausbildung von Helferinnen und Helfern im Schwerpunktthema Demenz ist die Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e.V. landesweit tätig (4d). Aus Sicht der Kommune wird das bürgerschaftliche Engagement zu wenig vom Land unterstützt, z. B. sei die hauptamtliche Koordinatorin der Freiwilligenagentur nur jeweils für ein Jahr finanziert. Diese Stelle leiste aber durch ihre Aktivierungs- und Koordinationsarbeit einen wesentlichen Beitrag für die Daseinsfürsorge, der durch staatliche Stellen nicht zu ersetzen sei. 4.3.2.6 Das Projekt Lutki Von November 2010 bis April 2012 wurde im Rahmen eines Ideenwettbewerbs des Brandenburger Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft ein Pilotprojekt des Frauenzentrums Cottbus gefördert. Das Projekt Lutki vermittelt quartiersbezogen haushaltsnahe, ehrenamtliche Hilfen (Lutki sind in der Lausitzer Sagenwelt kleine hilfreiche Zwerge). Zum

Zeitpunkt des Interviews Ende September 2012 wurden die beiden Koordinatorinnen des Projekts über das Programm „Arbeit für Brandenburg“ (bis November 2012) finanziert, eine weitere Anschlussfinanzierung stand nicht in Sicht. Insgesamt haben während der Projektlaufzeit 74 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer über 500 Einsätze geleistet (4a). Die Einsätze fanden bei ca. 30 älteren Menschen statt, ansonsten in Familien (z. B. bei Erkrankung oder Berufstätigkeit der Mutter). Der Zugang zu älteren Menschen, die Bedarf an ehrenamtlicher Unterstützung haben, wird z. B. über Pflegedienste geschaffen. Der Pflegestützpunkt betont, dass in diesem Bereich, also dem Unterstützungsbedarf unterhalb der Bewilligung einer Pflegestufe, Versorgungslücken bestehen und sich Lösungen oft nicht leicht finden lassen (1b). 4.3.3 Welche Ansätze eines Wohlfahrtsmix‘ gibt es in Cottbus? 4.3.3.1 Kooperationen zwischen den Akteuren in der Pflege Die Kooperation der Kommune Cottbus mit Pflegeanbietern, Nutzern und ihren Familien sowie dem dritten Sektor (Ehrenamt und Engagement) wird im Wesentlichen über den Pflegestützpunkt und den Seniorenbeirat gestaltet. Dem Aufbau von Netzwerken komme eine zentrale Bedeutung zu (1a), allerdings sei die Kommune nicht in der Lage, die notwendigen Finanzmittel für eine nachhaltige Förderung von Strukturen der Ehrenamtsförderung und deren Vernetzung mit den Einrichtungen aufzubauen. Das Sozialdezernat, die Sozialplanerin, der Pflegestützpunkt und der Seniorenbeirat arbeiten eng zusammen, was die kommunale Planung in Bezug auf ältere Menschen und Menschen mit Pflegebedarf angeht (4b). Je nach Planungsgegenstand, z. B. barrierefreies Bauen, werden auch die Stadtplanung und der Behindertenbeirat in die Kooperation miteinbezogen (1a).

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Die Zusammenarbeit der Kommune mit den Pflegeanbietern wird unterschiedlich beurteilt: Die Kommune betont, dass „eng mit der Trägerlandschaft zusammengearbeitet“ (1a) werde. Einmal jährliche fänden Trägerkonferenzen statt und es werde eine sehr enge Kommunikation vor allem zu den wohlfahrtsverbandlichen Anbietern gepflegt (1a). Die exemplarisch befragten ambulanten und stationären Einrichtungen berichteten dagegen durchweg, dass es keinen regelmäßigen Austausch mit der Kommune gebe, man jedoch auf konkrete Anlässe bezogen konstruktiv zusammenarbeite, in erster Linie bezieht sich dies auf die Kommunalverwaltung als Sozialhilfeträger und den Seniorenbeirat (2a; 2b; 3a). Zumindest für die befragten Einrichtungen zeigt sich, dass die systematischen Kooperationsbemühungen zwischen Kommune und Trägern/Trägerverbänden auf der Ebene der einzelnen Einrichtung nicht bekannt sind. Der Seniorenbeirat der Stadt Cottbus existiert seit 1994 und ist seit 2011 in die Hauptsatzung der Stadt Cottbus aufgenommen. Dies verschafft ihm das Recht, bei der Stadtverordnetenversammlung und der Verwaltung gehört zu werden. Die Wahl des Beirats wurde unter breiter Bürgerbeteiligung vollzogen. Das Büro des Seniorenbeirats ist durch eine hauptamtliche Kraft besetzt, die jedoch nur befristet über regionale Mittel finanziert ist. Der Seniorenbeirat arbeitet in thematischen Arbeitsgruppen, u. a. zu ‚Pflege und Gesundheitsprävention‘ und ‚Barrierefreies Wohnen und Bauen‘. Hier werden enge und regelhafte Kooperationen mit dem Pflegestützpunkt, der Diakonie, der Wohnbaugenossenschaft GWC, dem Sozialdezernat und anderen Institutionen gepflegt. Der Beirat nimmt seine anwaltschaftliche Sprecherrolle für Ältere wahr, wenn er bspw. Planungs- und Bauprojekte hinsichtlich einer größtmöglichen Barrierefreiheit überprüft. (1c) Eine der bedeutendsten Netzwerk-Strukturen im Pflegebereich bildet der Gerontopsychia-

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trische Verbund Cottbus/Spree-Neiße e.V. (GPV), der 2003 aus einem Modellprojekt der Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e.V. und der Fachhochschule Lausitz hervorging. Dem GPV gehören in Cottbus 16 ambulante und stationäre Anbieter sowie ein Sanitätshaus und ein Orthopädie- und Rehateam an. Zu den Mitgliedern des GPV zählen sowohl freigemeinnützige als auch private Anbieter. Auffallend ist der durchgängig beruflich-professionelle Charakter der Kooperation – selbstorganisierte Initiativen von Angehörigen oder Ehrenamtlichen finden sich hier nicht. Dem GPV kommt deshalb keine authentische Sprecherrolle für demenziell Erkrankte zu (wie bspw. Selbsthilfegruppen). Der GPV trägt sich finanziell selbst. Aufgaben des Verbundes sind Beratung und Schulung von Angehörigen demenziell erkrankter Menschen, Weiterbildung von Fachkräften und der Aufbau von Angehörigengruppen. Der GPV fördert die Vernetzung seiner Mitglieder mit anderen an der Versorgung von gerontopsychiatrisch erkrankten Menschen beteiligten Institutionen und hat bereits zahlreiche Veranstaltungen zum Thema Demenz organisiert. Er ist vernetzt mit der Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e.V., der Fachhochschule Lausitz, der Kommune Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße, Kliniken, Ärztinnen und Ärzten sowie mit anderen gerontopsychiatrischen Verbünden im Land Brandenburg. Die geschäftsführende Mitarbeiterin vertritt den Verbund und den Pflegestützpunkt (bei dem sie ebenfalls beschäftigt ist) in der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft Cottbus und dem halbjährlichen Netzwerktreffen aller Akteure im sozialen Bereich. (4b) Der GPV stellt sich als nachhaltiges und gut implementiertes Netzwerk von Pflegeanbietern im gerontopsychiatrischen Bereich dar, das durch Beratung, Schulung und Schnittstellenarbeit die Versorgung von Menschen mit Demenz und die Unterstützung von pflegenden Angehörigen deutlich verbessern kann. Mit der Gründung des GPV wurden in Cottbus und dem Landkreis Defizite in Sachen

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Vernetzung und Schnittstellen-Management in der Versorgung von Menschen mit Demenz aufgeholt (4d). Die Wohngenossenschaft GWC (Gebäudewirtschaft Cottbus), deren Gesellschaftsanteile zu 100 Prozent von der Kommune gehalten werden, kooperiert systematisch mit einer Reihe von Dienstleistern und Händlern. Auch private und gemeinnützige Pflegeanbieter werden im sog. „Service-Card-Heft“, das alle Mieterinnen und Mieter erhalten, genannt. An diese Anbieter werden die Mieterinnen und Mieter von der Hausverwaltung verwiesen, wenn Pflege- oder Unterstützungsbedarf auftritt. Die Kooperation mit den Diensten beruht auf freiwilligen Vereinbarungen, Entgelte werden nicht gezahlt. Durch die Kooperation bindet sich die GWC nachhaltig an verlässliche, wohnortnahe Pflegeanbieter, während diese durch die Empfehlung neue Kunden gewinnen können. Darüber hinaus kooperiert die GWC mit einem privaten Pflegedienstleister, der in leerstehenden Geschäftsräumen eine Begegnungsstätte mit Tagespflege eröffnete. Die Nutzung der Räume gelang erst nach einer langwierigen Suche nach einem Kooperationspartner. Mit der Cottbuser Freiwilligenagentur besteht ebenfalls eine feste Kooperation. Die FWA ist Mieterin der GWC und vermittelt bei Bedarf ehrenamtliche Unterstützung. Einzig die Einrichtung einer PflegeWohngruppe in Kooperation mit einem Anbieter ist bisher nicht gelungen. Hier könnte – mit Unterstützung der Alzheimergesellschaft Brandenburg e.V. – der Aufbau einer stabilen Gruppe von betroffenen, pflegenden Angehörigen und Ehrenamtlichen eine wichtige Rolle spielen. (4c) Das Modellprojekt Paula des Landes Brandenburg hat die Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zum Ziel. Zu diesem Zweck wurden vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen Vorschläge erarbeitet, um ihre Familienfreundlichkeit (betrifft auch die Pflege eines Angehörigen) zu erhö-

hen. Paula baute Kooperationen mit dem Pflegestützpunkt, den Krankenkassen, dem Unternehmerverband und dem Thiem-Klinikum auf. Ziel im Projekt Paula ist die Nachhaltigkeit des Netzwerks durch Übernahme im lokalen Bündnis für Familie und dessen Arbeitsgruppe ‚Vereinbarkeit von Beruf und Familie’. (4a) Die Freiwilligenagentur Cottbus ist Kooperationspartner des Pflegestützpunkts, des Seniorenbeirats und der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Zum Pflegestützpunkt bestehen keine besonders engen oder durchlässigen Kooperationsbeziehungen, allerdings werden auch keine Probleme in der Kooperation benannt. Beratungsleistungen werden nach Möglichkeit durch die Pflegeanbieter selbst erbracht (2a; 3a) oder es wird an die Beratung der Krankenkassen verwiesen (2a). Die private Einrichtung hält eine Intensivierung des Kontakts für möglich: „Wenn der Stützpunkt auf vorhandene Bedarfe aufmerksam machen würde, wären weitere Kooperationen durchaus denkbar. Jedoch war dies bisher nicht so.“ (2a). Neben den bestehenden und funktionierenden institutionalisierten Kooperationen finden sich nur vereinzelt informelle Kooperationen zwischen verschiedenen Trägern, Verbänden oder Einrichtungen, wie auch die folgende Gesprächszusammenfassung zeigt: Es wäre zwar wünschenswert, dass mehr Kooperationen stattfinden, aber momentan arbeitet jeder eher für sich. Nur in Notsituationen ruft man sich gegenseitig an. Gerade beispielsweise hinsichtlich der politischen Ebene wäre es schön, wenn der Zusammenschluss enger wäre. Es gibt schon ein gewisses Misstrauen: „Man könnte ja bestohlen werden“ Womit dies zusammenhängt, weiß keiner, aber der Kontakt ist sehr zögerlich. Es gibt keine gezielten Kooperationen um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. (2a)

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Überwiegend positiv verlaufen die meisten Kooperationen, die konkret hinsichtlich der Versorgung von Klientinnen und Klienten geknüpft werden (Vermittlung weiterer Dienstleistungen wie bspw. Essen auf Rädern, Überleitung in und aus der Klinik, Terminvereinbarung beim Facharzt, Seelsorge, etc.). (2a; 3a). Die zusammenfassende Analyse der Experteninterviews zeigt, dass weniger die interinstitutionelle Kooperation für einen reibungslosen Ablauf in der Unterstützung von hilfe- und pflegebedürftigen älteren Menschen benannt wurde, sondern eher die intrainstitutionelle Zusammenarbeit. Auch innerhalb von Verbänden werden Netzwerke gepflegt. So hat sich ein informeller Stammtisch von Leitungskräften aller stationären Einrichtungen in Cottbus wieder aufgelöst, während die jeweiligen Netzwerktreffen der privaten bzw. freigemeinnützigen Verbände Bestand haben (2b; 2a). Pflegeanbieter bewerten vor allem die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen der eigenen Einrichtung als reibungslos und gut. Eine private stationäre Einrichtung verfolgt ein Konzept der „gesamten Leistungspalette aus einer Hand“, wie die folgende Zusammenfassung der Erläuterungen der Leitung zeigt: Das gesamte Haus beschäftigt sich intensiv mit der Pflege von alten Menschen und Menschen mit Demenz im Bereich des betreuten Wohnens, der ambulanten Versorgung, Tagespflege und den Übergang in den stationären Bereich. Hier ist alles sehr gut vernetzt. Es gibt ein enges Kooperationssystem mit Ärzten, mit ambulanten Hilfen. Das Gesamtpaket an Bedürfnissen, die alte Menschen haben, kann geleistet werden. Dies ist das oberste Ziel. Es wird nach individuellen Lösungen geschaut und versucht diese Lösungen am tatsächlichen Bedarf auszurichten, welcher sich mit der Zeit auch verändern kann (2a).

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Im Rückblick auf den Aufbau des Gerontopsychiatrischen Verbundes resümiert ein Gründungsmitglied: Eigentlich waren Fallkonferenzen geplant. Es hat jedoch nicht geklappt dies innerhalb von drei Jahren umzusetzen. (…) Obwohl es viele Klagen gab und Drehtüreffekte, sind Fallbesprechungen und Fallmanagement immer noch nicht geschafft. Genau dieses Strukturübergreifende, das Pflegeübergreifende war uns ja ein ganz großes Anliegen, weil da hakt es an ganz vielen Stellen mit der Weitergabe von Informationen, und das ist nicht gelungen“ (4d). Letztlich fehlt es an weiteren anbieter-, verbands- und bereichsübergreifenden Kooperationsstrukturen. Hier sind weitere Anstrengungen der Kommune oder des Pflegestützpunkts empfehlenswert. 4.3.3.2 Gemischte Pflege-Arrangements Für Pflege-Arrangements in geteilter Verantwortung als Element des Wohlfahrts-Mix‘ ist die Förderung von bürgerschaftlichem, ehrenamtlichem Engagement unverzichtbar. Es fällt auf, dass keiner der exemplarisch ausgewählten Pflegeanbieter ein ausgearbeitetes Konzept für die systematische Förderung des Ehrenamts in seiner Einrichtung hat. Mundzu-Mund-Propaganda, die und sogenannte Schnuppertage werden genutzt. Die meisten der ehrenamtlich Engagierten gehören der Altersgruppe 55 plus an (4a), was aber auch bedeutet, dass diese Personen nur eingeschränkt belastbar sind. Insgesamt sei es schwierig, genügend Ehrenamtliche zu gewinnen (1b). Die Bereitschaft, sich zu binden, schwinde insbesondere bei den Jüngeren (3a). Motivation entwickle sich eher nach dem Berufsleben, gerade auch bei Personen, die in sozialen Berufen gearbeitet haben oder die alleine leben (1b; 3a). Übergreifend betonen die Interviewten, dass Aufwandsentschädigungen – entweder als Ausgleich für materi-

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elle Aufwendungen oder als geringfügiges Entgelt – als Motivation durchaus eine Rolle spielen (2b). Jedoch werde in vielen Zusammenhängen völlig unentgeltlich gearbeitet, auch weil Anbieter keine Ressourcen für Aufwandsentschädigungen haben (1b). Aus Sicht der Kommune gilt es, die Ressourcen der älteren, „fitten“ Mitbürgerinnen und Mitbürger zu nutzen, allerdings ist man sich bewusst, dass zu einem Aufbau von stabilen Förderstrukturen in der hochverschuldeten Kommune die Mittel fehlen (1a). Diese Förderstrukturen seien aber notwendig, um Übersetzungsprobleme zwischen der professionellen Pflege und dem Ehrenamt zu bearbeiten und so eine Kontinuität zu schaffen, die sich nur durch den Einsatz von ehrenamtlichem Engagement häufig nicht herstellen lasse (1a). Dies wäre auch Voraussetzung dafür, dass das Ehrenamt nicht strukturell überlastet wird, eine Gefahr, die der Seniorenbeirat sieht: „Manche versuchen alles auf das Ehrenamt zu schieben. Das muss ich sagen, wenn ich mir unsere Stadt angucke, die lebt eigentlich vom Ehrenamt.“ Das Problem ist die Belastung der Ehrenamtler und es wird zu viel auf diese Schultern übertragen (1c). Die Notwendigkeit von gemischten Pflegearrangements entsteht nicht zuletzt durch eine Veränderung der Lebensentwürfe, insbesondere bei Frauen, die immer stärker auf Mobilität und Eigenständigkeit ausgerichtet sind. Dies ist auch in Cottbus zu beobachten und wird von den Befragten als deutlicher StadtLand-Unterschied beschrieben. Es macht sich bemerkbar, dass Menschen aus dem Landkreis länger zu Hause gepflegt werden, als Menschen aus dem Stadtbereich. (…) Im Stadtgebiet ist der Anspruch der Angehörigen an das Leben oftmals ein anderer. (2a).

Im Interview mit dem Pflegestützpunkt wird deutlich, dass ein wichtiger Teil der Beratungsarbeit darin besteht, familiäre Ressourcen zu aktivieren, soweit das möglich ist. Ratsuchende müssen aufgeklärt werden, dass mit der Beantragung der Leistungen der Pflegeversicherung alleine eine ambulante Versorgung nicht gesichert ist (1b). Die Mehrheit der älteren Menschen kommt in Begleitung von Angehörigen oder eines Nachbarn in die Beratung des Pflegestützpunktes. Nach einer ersten Beratung und ggf. Folgetelefonaten können und wollen die meisten Betroffenen und ihre Familien die Versorgung selbst organisieren (1b). Alleinstehende oder Personen mit komplexen Schwierigkeiten benötigen das Case Management, das der Pflegestützpunkt bietet (1b). Dort, wo ehrenamtliche Helferinnen und Helfer tätig sind, nehmen die Betroffenen und ihre Familien diese Hilfe gerne an (1b). Bis auf wenige Ausnahmen werden die Kosten, die damit verbunden sind, akzeptiert. Bezüglich der sozialen Betreuung von demenzkranken Menschen gibt es allerdings Vorbehalte, ob ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit nicht überfordert sein könnten (3a, 2a). Auf die Frage nach einer niederschwelligen Betreuung zuhause oder in Betreuungsgruppen, die durch geschulte Ehrenamtliche geleitet werden, antwortet eine Pflegedienstleitung: Bisher wurde darüber nicht nachgedacht. Diese Betreuung wird nach Möglichkeit direkt durch die Bezugspflegekraft umgesetzt. „Die Menschen mit Demenz kennen einfach ihre Bezugspflege, und das finde ich persönlich auch besser [...]. Wir machen das gerne aus eigener Hand.“ (2a) Hier zeigt sich, dass gemischte Pflege-Arrangements mit einer komplexen Struktur der Verantwortungsteilung und übergreifenden Steuerung verbunden sind, wenn auch an-

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spruchsvollere Aufgaben auf Ehrenamtliche übertragen werden sollen. Im Rahmen überschaubarer Settings lässt sich dies gut organisieren: Wie verläuft die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlichen und Fachpflegekräften? Da dies nicht in einem sehr großen Rahmen stattfindet und die Zusammenarbeit auf persönlichen Kontakten beruht, funktioniert es verhältnismäßig gut. In einem größeren Zentrum, in welchem viele Ehrenamtliche sind, gestalte sich das wahrscheinlich schwieriger. Hier in der Einrichtung gebe es regelmäßige Zusammenkünfte mit der Sozialarbeiterin. Hier findet ein Austausch statt, und es kann sich Rat und Hilfe geholt werden. Und wenn dann noch der Kontakt zur Schwester von der Sozialstation gepflegt wird, dann läuft es sehr gut. (3a) Die Förderung gemischter Pflege-Arrangements setzt jedoch voraus, dass auch über informelle Face-to-Face-Kontakte hinaus systematische und verlässliche Kooperationsund Vertrauensstrukturen von höherer Reichweite aufgebaut werden können. Sie erfordert außerdem den Abschied von der Illusion der Alleinverantwortung einzelner Akteure. Gemischte Pflegearrangements beruhen auf einer Haltung, die Kooperation und Verantwortungsteilung als unabdingbare Voraussetzung von gelingender Pflege und Versorgung sieht. Die Interviews zeigen, dass eher noch innerhalb der eigenen Zuständigkeiten gehandelt und auf die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten verwiesen wird, als dass über Akteursgrenzen hinweg nach Lösungen gesucht wird. 4.3.3.3 Zur Rolle der Wohlfahrtsverbände im Wohlfahrtsmix Im Hinblick auf Kooperationsbereitschaft und -kultur wird häufig davon ausgegangen, dass freigemeinnützige Anbieter stärker an solchen Formen der Zusammenarbeit interessiert sind als private Einrichtungen und Dienste. Mehre-

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re der Befragten betonen jedoch, dass generell kein Unterschied zwischen privaten und wohlfahrtsverbandlichen Anbietern gemacht werden könne (4a; 4c). Sowohl in der Selbsteinschätzung als auch in der Einschätzung durch die Kommune stellen sich die privaten Unternehmen allerdings als flexibler, marktorientierter und damit auch innovativer dar. Private Anbieter fragten seltener die Kommune um Unterstützung an und entwickelten ihre Angebote eigenständiger (1a). Dies habe umgekehrt zur Folge, dass diese Angebote im eigenen unternehmerischen Interesse und nicht für das Gemeinwesen entwickelt würden. Die hohe Bedeutung, die von kommunaler Seite der Wohlfahrt zugemessen wird, wird an folgender Äußerung deutlich: „Die stärkere Kraft ist auf jeden Fall die Wohlfahrt, und ich denke, das wird sie auch bleiben“ (1a) Zumindest zahlenmäßig (nach Einrichtungen und Belegungs- bzw. Nutzungszahlen) haben private Unternehmen in Cottbus eine größere Bedeutung, allerdings ist die Kommune in der Ausgestaltung ihrer sozialen Verantwortung stärker auf wohlfahrtsverbandliche Anbieter fokussiert. So nennt bspw. die Internetpräsenz der Stadt Cottbus neun Seniorenbegegnungsstätten, die ohne Ausnahme von Wohlfahrtsverbänden betrieben werden. Aktive Impulse hinsichtlich des Aufbaus von Pflege-MixStrukturen mit Hilfe der freigemeinnützigen Anbieter lassen sich jedoch weniger deutlich erkennen. 4.3.4 Häusliche Pflegearrangements – zwei Beispiele aus Cottbus Der Blick auf zwei Fallbeispiele soll verdeutlichen, inwieweit ein gut organisierter Wohlfahrtsmix in der Lage ist, konkrete Pflegesituationen zu unterstützen und damit optimierend auf Pflege einzuwirken. Der exemplarische Blick auf ausgewählte Einzelfälle gibt darüber hinaus Hinweise darauf, welche Hürden auf

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Seiten der Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen bestehen, sich auf innovative Versorgungsstrukturen einzulassen. Beispiel 1

■■ Pflegebedürftige Person: weiblich, 76 Jahre alt, verheiratet, ein Kind, lebt mit ihrem Ehemann in einem Haushalt, letzte berufliche Tätigkeit: Angestellte im Rechenzentrum ■■ Ehemann: 75Jahre alt (Hauptpflegeperson) ■■ Kind: 48 jahre alt, zwei Kinder, lebt über 50km entfernt, Kontakt: mehrmals pro Jahr, täglich telefonisch ■■ Wohnung: Mietwohnung im OG, nicht barrierefrei ■■ Pflegestufe: 2. seit 13 Monaten, erste Bewilligung von Leistungen nach SGB XI im Oktober 2005, Antrag auf Stufe 3 wurde abgelehnt ■■ Leistungen: Kurzzeitpflege: 7 Tage im letzten Jahr; Pflegedienst: keiner; andere bezahlte Unterstützung: keine ■■ Behandlungspflege: keine ■■ Unterstützung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens: Ehemann, keine ÖPNV- oder PKW-Nutzung ■■ Hilfeumfang Hauptpflegeperson: 20 Std. pro Tag ■■ Hilfeumfang Schwester der Betroffenen: 4 Std. pro Woche ■■ Hilfeumfang Nachbarin: sieht gelegentlich für einige Minuten nach der Befragten

Frau A. leidet an starker Osteoporose (zwei Operationen einer Wirbelsäulenfraktur), Morbus Parkinson, und erlitt vor sechs Monaten einen Augeninfarkt. Seitdem ist sie zunehmend räumlich desorientiert und zeigt sprachliche Defizite. Außerdem leidet sie an Mundtrockenheit, Juckreiz, Obstipation, Inkontinenz. Beide Augen wurden am Grauen Star operiert. In jüngster Zeit haben sich die Zahn­ implantate von Frau A. gelöst. Frau A. erhält 16 verschiedene Medikamente. Sie trägt Kompressionsstrümpfe, kann nur wenige Schritte mit Unterstützung in der Wohnung gehen, benötigt Unterstützung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens, erhält alle drei Stunden Medikamente, muss mehrmals in der Nacht zur Toilette begleitet werden.

Diese Hilfe leistet Herr A., der auch den Haushalt komplett führt. Die Wohnung ist nicht barrierefrei. Frau A. kann sich mit ihrem Rollstuhl kaum in der Wohnung bewegen und wird mit einem gepolsterten Toilettenstuhl, an den Herr A. Räder montiert hat, ins Badezimmer transportiert. Herr A. unterstützt seine Frau etwa alle zehn Tage beim Duschen (Duschlifter vorhanden). Bisher hat er seine Frau bei Einkäufen allein in der Wohnung zurückgelassen, dies ist aber aufgrund ihrer zunehmenden Verwirrung nur noch sehr kurzzeitig möglich. Herr A. hat sich seine Pflegekenntnisse selbst angeeignet, auf Basis seiner Tätigkeit beim DRK in der Jugend und der langjährigen Pflege der Mutter. Er organisiert einen größeren und umfangreichen Vorrat an Pflegehilfsmitteln. Haupt-Belastungsfaktoren: ■■ Organisation der ärztlichen Behandlung von Frau A. (Terminvereinbarung bei Ärztinnen und Ärzten sowie Spezialkliniken, Suche nach der bestmöglichen Behandlung), Kosten der Medikamente, belastetes Verhältnis zur Hausärztin ■■ Organisation der Mobilität: der Krankentransport ist zeitlich unflexibel, Frau A, kann den behindertengerechten Einstieg in den eigenen PKW nicht mehr nutzen, Mobilität in der Wohnung im Rollstuhl nicht möglich ■■ Nachtruhe nur ca. 4 Stunden Das Pflegearrangement ist als äußerst prekär einzustufen. Herr A. erhält kaum familiäre Unterstützung, da die Beziehung zur in der Nähe wohnenden Schwester seiner Frau nicht gut ist und der Sohn weit entfernt wohnt. Die psychische Belastung von Herrn A. ist im Gespräch deutlich daran zu spüren, dass er mehrmals Hauptbelastungsfaktoren aufzählt, sich in Schilderungen der Details einer Auseinandersetzung mit der Kranken- und Pflegekasse verliert und immer wieder nach Entlastungsmöglichkeiten fragt. Das Interview dau-

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ert 2,5 Stunden und kann nur schwer beendet werden, da Herr A. den Gesprächsfaden bis in den Hausflur nicht abreißen lässt. Herr A. ist seit einigen Jahren in Kontakt mit einer Beraterin des Pflegestützpunkts. Bisher hat er keine Kostenerstattung für Pflegehilfsmittel in Anspruch genommen, da er zwar von dem Anspruch wusste, ihn aber nicht umsetzen konnte. Eine altersgerechte Wohnung wurde ihm angeboten, die er aber ablehnte, weil seine Frau nicht umziehen möchte. Auch die Betreuung in einer Tagespflege verweigert seine Frau. Pflege-Sachleistungen lehnt er aus demselben Grund ab: Seine Frau möchte nicht von fremden Personen gepflegt werden und er möchte diesem Wunsch entsprechen „solange es geht“. Gleichzeitig wird deutlich, dass Herr A. selbst große Schwierigkeiten hat, die Pflegeaufgaben an andere Personen abzugeben. Unterstützung durch einen Pflegedienst oder eine Tagespflege wird einerseits von ihm gewünscht, neben der Grundpflege morgens oder abends vor allem auch eine nächtliche Entlastung, er hält aber die dafür notwendige zeitliche Koordination für eine ernstliche Verschlechterung seiner Lebensqualität. Die Widersprüchlichkeit seiner Haltung ist ihm durchaus bewusst. Herr A. bezeichnet sich dennoch als größtenteils zufrieden mit der Versorgungssituation, was angesichts der offensichtlichen Überlastung ebenfalls ein Hinweis ist, dass er Probleme hat, aus eigener Kraft die komplexe Situation zu verändern. Frau A. betont im Gespräch mehrfach, dass sie viele Aktivitäten noch selbstständig durchführen könne, was ihr Ehemann bestreitet. Sein Verhalten ihr gegenüber ist zwar freundlich und liebevoll, hat aber auch deutliche paternalistisch-dominante Züge. Er führt die Ablehnung der beantragten Pflegestufe 3 darauf zurück, dass seine Frau in der Gutachtensituation kurzfristig eine höhere Selbstständigkeit demonstriert habe, berichtet er nicht

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ohne Vorwurf. Eine kurze Bemerkung zeigt, dass eine Unterstützung, zum Beispiel durch eine Pflegebegleiterin, ein guter Ansatzpunkt für unterstützende Interventionen wäre: Herr A.: „... wenn wir jetzt täglich so einen Umgang hätten, wie Sie jetzt sind als Ansprechpartner im Alltag, würde sie nur aufblühen, da würde sie mitgehen.“ Frau A.: „Wenn so jemand wie Sie da ist, das gibt einem Kraft, da sagt man sich wieder: Mensch, das ist ja doch nicht so schlecht alles. (unverständlich)“ Auf Basis der so aufzubauenden Vertrauensbeziehung wäre eine Vermittlung von Hilfen möglich. Die sporadischen Kontakte zum Pflegestützpunkt sind nicht ausreichend, um eine Veränderung und Stabilisierung des Pflegearrangements zu bewirken. Das Beispiel zeigt zum einen, dass auch Familien, die schon Kontakt zum Hilfesystem haben, Probleme mit der Inanspruchnahme von relevanten Hilfen haben können. Zum anderen wird deutlich, dass der Aufbau gemischter Pflege-Arrangements eine Vertrauensbasis bei den Betroffenen und pflegenden Angehörigen erfordert. Dies könnte zum Beispiel durch ehrenamtliche Pflegebegleitung bewirkt werden. Beispiel 2

■■ Pflegebedürftige Person: weiblich, 89 Jahre alt, verheiratet, ein Kind, lebt mit ihrem Ehemann in einem Haushalt, letzte berufliche Tätigkeit: Sachbearbeitung ■■ Ehemann: 86 Jahre alt (Hauptpflegeperson) ■■ Kind: 60 Jahre alt, lebt in Cottbus, Kontakt: mindestens einmal wöchentlich ■■ Wohnung: Mietwohnung im Obergeschoss, nicht barrierefrei ■■ Pflegestufe: 3, seit neun Monaten, erste Bewilligung von Leistungen nach SGB XI im Jahr 2006

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■■ Leistungen: Kurzzeitpflege: zehn Tage im letzten Jahr Pflegedienst: Sachleistung Tagespflege: vier Tage/Woche Häusliche Betreuung: ein Tag/Woche (Leistung nach § 45ff. SGB XI, erhöhter Grundbetrag) Behandlungspflege: Sachleistung nach SGB V (alle Leistungen durch denselben, privaten Pflegeanbieter) Physio- und Logotherapie ■■ Unterstützung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens durch Ehemann, Sohn, Schwiegertochter, Nachbarin, Pflegedienst und ASB-Fahrdienst. ■■ Hilfeumfang der Personen im Pflegearrangement: Hauptpflegeperson: elf Stunden pro Tag bei Betreuung in der Tagespflege; 18 Stunden pro Tag bei Betreuung zuhause (jeweils sechs Stunden Nachtruhe) Sohn: zwei Stunden pro Woche, Schwiegertochter: zwei Stunden pro Woche, Nachbarin: 0,25 Sunden pro Woche Tagespflege: sieben Stunden an vier Tagen Pflegedienst inkl. häusliche Betreuung: 11,5 Stunden Frau B. leidet an Osteoporose und schwerer Demenz. Die demenzielle Erkrankung ist mit einer Persönlichkeitsveränderung verbunden, so dass Frau B. verbal aggressiv und enthemmt ist, mit den Händen zeitweise heftige Abwehrbewegungen macht und deutliche Stimmungswechsel hat. Frau B. leidet momentan keine Schmerzen und kann wenige Schritte in der Wohnung gehen. Herr B. ist äußerst zufrieden mit dem Pflegearrangement. In der folgenden Zusammenfassung wird deutlich, dass ein gewisser Verzicht auf Freizeitaktivitäten von ihm in Kauf genom-

men wird, um seine Frau nicht alleine lassen zu müssen und auch als Gabe im Sinne familialer Reziprozität gesehen wird. Auf die Frage, was ihn am stärksten belaste, antwortet Herr B.: „Sie hat mir viel gegeben. Ich gebe ihr jetzt gerne etwas zurück. Ich komme ja abends nicht mehr weg. Möglichkeiten gäbe es immer, aber generell bin ich immer da. Ich kann Fernsehen gucken, Sport, Kultur oder was auch immer. Ich habe mich darauf eingestellt. Was ich unter diesen Bedingungen ausschöpfen kann, das schöpfe ich aus, und damit bin ich zufrieden. Denn es könnte mir noch viel schlechter gehen. Meiner Frau auch.“ Belastend ist für ihn ausschließlich die Persönlichkeitsveränderung seiner Frau. Hier hat Herr B. eine Bewältigungsstrategie entwickelt, die es ihm ermöglicht, Schuldzuweisungen an seine Frau zu vermeiden, denn er ist über ihre Krankheit informiert. Vor diesem Hintergrund freut er sich über Augenblicke der liebevollen Zuwendung, die er auch noch mit seiner Frau erlebt. Andererseits vermeidet er eine zu intensive Beschäftigung mit dem Krankheitsbild, um sich nicht zusätzlich zu belasten. „Ich habe einmal das Angebot einer Demenzschulung erhalten, habe aber Nein gesagt. Ich bin zufrieden so. Ich lese und schule mich soweit, wie ich es für nötig finde. Es macht mich eventuell noch verrückter, wenn ich was anderes höre oder könnte auch sein, es macht mich ruhiger. Ist natürlich möglich. Aber ich könnte mir die Hilfe, die ich jetzt erhalte, nicht anders vorstellen. Weitere Beratung, zum Beispiel durch den Pflegestützpunkt, brauche ich nicht.“ Sein Informationsbedürfnis ist auch deshalb gesättigt, weil er im Pflege-Arrangement seiner Frau keine Verbesserungspotenziale erkennt, sondern – im Gegenteil – hochzufrieden damit ist. Bisher wurde Herr B. nur durch seinen

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Hausarzt und den Pflegedienst beraten. Die Zufriedenheit rührt daher, dass alle professionellen Akteure im Arrangement eng vernetzt sind: Pflege, Tagespflege und häusliche Betreuung werden von einem Anbieter gestellt, der gleichzeitig eng mit dem Hausarzt von Herrn B. kooperiert. So war es auch der Hausarzt, der Herrn B. anfangs empfohlen hatte, den Pflegedienst in Anspruch zu nehmen. „Hausarzt und Pflegedienst arbeiten aus meiner Sicht gut zusammen. Günstig ist, dass alle Pflegearten von einer Einrichtung geleistet werden. Das ist wichtig, das zu betonen. Über die Pflege hinaus hat meine Frau Physiotherapie und Logotherapie – auch das ist in einer Hand. Alles ist in einem Kreis geschlossen, vom Hausarzt bis zur Einrichtung, so dass das für mich eine wesentliche Entlastung ist. Ich würde mich freuen, wenn das überall so ist.“ Herr B. betont auch, dass alle notwendigen Pflegemittel vorhanden sind. Die Pflegedienstleitung informiert, dass Herr B. für das Leistungspaket privat zuzahlt, was ihn als pensionierte Leitungskraft finanziell nicht einschränkt. Herr B. hätte seine Frau lieber noch länger vollständig zuhause betreut, aber er wurde vom Pflegedienst davon überzeugt, dass die Tagespflege ein sinnvolles Entlastungsangebot darstellt: „Aber ich hatte große Schwierigkeiten zur Tagespflege Ja zu sagen. Wenn ich nicht wüsste, dass sie gerne zur Tagespflege geht, was man an ihren Äußerungen sieht, dann würde ich versuchen, sie länger zuhause zu lassen. Das fing ganz langsam an und bis ich es dann doch einsehen wollte. Die Schwestern haben mich da auch beraten und ist ja richtig, man muss für sich selbst auch was tun, damit man dem anderen wieder etwas geben kann – und so ist der Gang der Dinge gewesen.“ Herr B. ist selbst herzkrank und besucht regelmäßig eine Herzsportgruppe. Durch die Ent-

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lastung ist es ihm möglich, einen geregelten Tages- und Wochenablauf zu organisieren. Die vielfältige Abstimmung der Hilfen wird im Gespräch mit der Bezugspflegekraft noch einmal deutlich. Zwischen Tagespflege und der häuslichen Pflege wird ein Übergabeheft geführt, das immer bei Frau B. ist und Auskunft über Ernährung, Stimmung, Interventionen etc. gibt. Die Übergabe zwischen den ambulanten Pflegekräften verläuft bilateral telefonisch, Besonderheiten werden in der alle zwei Wochen stattfindenden Dienstbesprechung thematisiert. Die fachärztliche Versorgung wird über den Hausarzt initiiert, so dass lange Wartezeiten auf Termine vermieden werden. Zusätzliche ehrenamtliche Hilfe wäre nach Auffassung der Bezugspflegekraft nur sinnvoll, um Herrn B. freie Zeit zu verschaffen, die nicht durch Haushalt oder Arztbesuche belegt ist. Herr B. hat aber diesen Wunsch nicht. Im zweiten Beispiel wird deutlich, dass das Modell „Alle Leistungen aus einer Hand“ eine hohe Zufriedenheit bei den Nutzerinnen und Nutzern bewirken kann. Allerdings ist die Leistung des privaten Anbieters durch zusätzliche private Zahlungen zu finanzieren. Leistungen, die ggf. durch geschulte Ehrenamtliche übernommen werden können, wie die häusliche Betreuung, liegen hier in der Hand von Fachkräften. Dies hat Auswirkungen auf die Kosten des Pflege-Arrangements und kann auch zu einer Dominanz der Pflege über die Alltagsgestaltung führen (im vorliegenden Fall deutet wenig daraufhin, dass das der Fall wäre). 4.1.1 Resümee und Fazit – Optionen für Pflege im Wohlfahrtsmix in Cottbus Cottbus kommt im Spree-Neiße-Gebiet eine Zentrumsfunktion zu. Der Altersstrukturwandel verläuft in Cottbus im Vergleich zum Land Brandenburg bis zum Jahr 2030 etwas weniger deutlich, doch schon jetzt ist eine Zuwanderung von Älteren zu verzeichnen und auch eine wachsende Nutzung der Infrastrukturen durch Landkreisbewohnerinnen und -bewoh-

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ner. Die Infrastruktur in Cottbus bietet insgesamt gute Voraussetzungen, Lebensqualität und Versorgung für ältere und pflegebedürftige Menschen zu sichern. Der Wohnungsmarkt in Cottbus ist mieterfreundlich, stabil und gut gestaltbar. Dennoch fehlt es an geeigneten Wohnungen für ältere Mieterinnen und Mieter. Die Kennzahlen der ärztlichen Versorgung liegen im bundesweiten Durchschnitt, dennoch ergeben sich, vermutlich durch Nachfrage aus dem Umland, erhebliche Wartezeiten bei Fachärztinnen und -ärzten. Der Pflegestützpunkt erfreut sich wachsender Nachfrage, allerdings stehen den zunehmend komplexer werdenden Beratungsanforderungen nicht die entsprechenden Ressourcen gegenüber. Vor allem aber der Ausbau von (auch zugehender) Beratung, die den zunehmend komplexer werdenden Verläufen gerecht werden kann, wäre notwendig. Cottbus zeichnet sich durch eine hohe Anzahl stationärer Pflegeplätze aus, die ausgelastet sind – auch durch Zuzüge aus dem Umland. Vor allem die Angebote für demenziell erkrankte Menschen sind quantitativ und qualitativ noch deutlich zu wenig ausgebaut. Wohngruppen-Gründungen scheitern an Befürchtungen hinsichtlich der Auslastung, an Kooperationsproblemen und an der fehlenden Organisationsfähigkeit der Angehörigen. Auch in anderen Bereichen vorpflegerischer Unterstützung finden sich keine selbstorganisierten Initiativen. Bürgerschaftliches Engagement für Ältere ist in den Angeboten der Freiwilligenagentur eher unterrepräsentiert. Eine zusätzliche nachhaltige Förderung ehrenamtlicher Arbeit für Ältere und die Förderung von selbstorganisierten Versorgungsangeboten als Element gemischter Pflegearrangements scheint geboten. Dabei kann auf bereits bestehende lokale nachbarschaftliche Solidaritätsstrukturen aufgebaut werden, die sich in vielen Quartieren in Cottbus finden. Will man auf diese überwiegend unentgeltlichen Formen gegenseitiger Unterstützung auch in der Zukunft setzen, sind Investitionen in eine Modernisierung quartiersbezogener

Unterstützungsnetzwerke sinnvoll. Es gilt außerdem, die Einrichtungen zu einem aktiven Ehrenamtsmanagement zu bewegen und moderne Formen der Verantwortungsteilung zu entwickeln, so dass auch anspruchsvollere Aufgaben an Ehrenamtliche übertragen werden können. Familien nehmen gerne ehrenamtliche Hilfe an und übernehmen auch, soweit sie dazu in der Lage sind, das Management des gemischten Pflegearrangements. Die Kooperation innerhalb der kommunalen Stellen verläuft reibungslos und zeigt Wirkung, z.B. hinsichtlich einer Förderung des barrierefreien Bauens. Ein einziger Pflegestützpunkt für 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner und das Umland ist jedoch zu wenig, um eine wirksame Koordination der Anbieter von Pflege- und Versorgungsleistungen zu gewährleisten. Die enge Zusammenarbeit der Kommune mit den Trägerverbänden wird auf Ebene der einzelnen Einrichtungen nicht wahrgenommen, auch der Pflegestützpunkt spielt als Kooperationspartner hier keine bedeutende Rolle. Es werden aber keine Probleme aus der fallbezogenen, operativen Zusammenarbeit zwischen Kommune und Einrichtungen berichtet. Weitere wichtige Netzwerke wurden vom Gerontopsychiatrischen Verbund und um die Wohngenossenschaft GWC aufgebaut. Die Analyse der Kooperationskultur zeigt, dass sektoren- oder verbandsübergreifende Kooperationen nicht existieren. Ziel sind möglichst reibungslose und effektive Abläufe innerhalb der eigenen Organisation. Die Fokussierung der Kommune auf die freigemeinnützigen Träger in der Gestaltung von Wohlfahrt und Pflege für Ältere übersieht evtl. Innovationspotenziale, die momentan eher bei den privaten Anbietern zu finden sind. Die exemplarisch vorgestellten Pflegearrangements zeigen, dass auch dann, wenn eine grundsätzliche Erreichbarkeit gegeben ist, die Inanspruchnahme von Pflege und Unterstützungsleistungen durch einen Beratungspro-

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zess, in dem Vertrauen aufzubauen ist, befördert werden muss. Die betrachteten PflegeArrangements können als prekär (Fall 1) bzw. alles-aus-einer-Hand (Fall 2) charakterisiert werden. Gerade im ersten Fall könnte durch eine ehrenamtliche Begleitung durch Pflegebegleiter das Inanspruchnahme-Verhalten gestärkt und das Arrangement insgesamt stabilisiert werden. Im zweiten Fall könnte die Übernahme der häuslichen Betreuung durch eine geschulte Ehrenamtliche die alltagskulturellen Akzente verstärken und das Arrangement finanziell entlasten. 4.1.2 Interviewpartnerinnen und -partner 1a: Sozialdezernent, Leiterin Fachbereich Soziales sowie Sozialplanerin der Stadt 1b: Pflegeberaterin und Sozialberaterin im Pflegestützpunkt 1c: Seniorenbeauftragte der Stadt, Leitung Seniorenbeirat 2a: Stationäre Einrichtung in privater Trägerschaft: Hausleitung sowie die Bereichsleitungen stationäre Pflege, ambulante Pflege, Tagespflege und Verwaltung 2b: Stationäre Einrichtung eines Wohlfahrtsverbands: Hausleitung und ehemalige Hausleitung 3a: Ambulanter Pflegedienst und Sozialstation eines Wohlfahrtsverbands: Pflegedienstleitung und die Betreuerin der Ehrenamtlichen 4a: Projekte Paula und Lutki: beide Projektkoordinatorinnen 4b: Gerontopsychiatrischer Verbund Cottbus Spree-Neiße: Leitung des Verbundes, Koordinatorin des Verbundes 4c: Gebäudewirtschaft Cottbus (GWC) GmbH: Kaufmännischer Vorstand 4d: Professorin für Rehabilitation und Erziehungswissenschaft an der Hochschule Lausitz, Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Brandenburg e.V., Beiratsmitglied Brandenburger Fachkräftestudie Pflege (Telefoninterview)

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4.4

Pflege in strukturschwachen Regionen – am Beispiel der Uckermark Prof. Dr. Christoph Strünck | Julia Portugall

4.4.1 Pflege in ländlichen Regionen: Was wissen wir? Während zur ärztlichen Versorgung auf dem Land eine Vielzahl an Studien und Berichten existiert, sind Untersuchungen zur Pflege in ländlichen Regionen eher selten zu finden. Eine Ausnahme stellt der Barmer GEK Pflegereport aus dem Jahre 2009 dar (Rothgang et al. 2009). Er behandelt das Schwerpunktthema „Regionale Unterschiede in der pflegerischen Versorgung“ und stellt diese regionalen Unterschiede vor allem hinsichtlich Kapazität, Inanspruchnahme und unterschiedlicher Entgelte für Pflegeleistungen dar. So stellt bspw. in den neuen Bundesländern die ambulante pflegerische Versorgung das dominierende Pflegearrangement dar, während sich hier gleichzeitig geringere Entgelte für diese Dienstleistungen finden. Des Weiteren wurde untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Pflegebedürftigkeit auf Grund der Art der Gemeinde gibt. Es stellte sich heraus, dass in städtischen Regionen mit weniger Pflegebedürftigen zu rechnen ist als in ländlichen Regionen (ebd.). Der Einfluss des Gemeindetypus auf die Wahl des Pflegearrangements war jedoch geringer als erwartet. Es wird vermutet, dass Faktoren wie Arbeitslosigkeit und Haushaltsgrößen wichtigere Einflusskriterien darstellen. Nichtsdestotrotz scheinen in ländlichen Gebieten ambulante Pflegearrangements eine wichtigere Rolle zu spielen und im Rahmen der Pflegeversicherung eher seltener Geldleistungen in Anspruch genommen zu werden. 4.4.2 Regionale Unterschiede in der Uckermark Die Uckermark gehört zu den größten Landkreisen Deutschlands. Gleichzeitig ist sie jedoch auch einer der am dünnsten besiedelten. Lediglich vier Prozent der Fläche ist Siedlungsgebiet, dem stehen dreiundsechzig Pro-

zent landwirtschaftlich genutzter Fläche und vierundzwanzig Prozent Waldfläche gegenüber. Insgesamt lebten im Jahr 2010 etwa 130.000 Einwohnerinnen und Einwohner in der Uckermark. Die Einwohnerzahl schwankt dabei zwischen 34.035 Personen in Schwedt/ Oder und 319 in der Gemeinde Mittenwalde. In den beiden größten Städten Schwedt/Oder und Prenzlau leben rund 42 Prozent der Bevölkerung. Im Kontrast dazu finden sich jedoch auch Gemeinden mit einer sehr geringen Bevölkerungsdichte. Während in Schwedt 34.035 Menschen auf 203,71 km² leben, sind im Amt Gerswalde 4.943 Personen auf 292,31 km² anzutreffen. Somit weist Schwedt 167,08 Einwohnerinnen und Einwohner pro km² auf, das Amt Gerswalde 16,91 (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2011). In Bezug auf die Altersstruktur zeigt sich die Uckermark im Altersbereich der über 75-jährigen geringfügig höher, als im Landesvergleich. Hingegen die Region im Bereich des Anteils an Pflegebedürftigen insgesamt die höchsten Zahlen aufweist, wobei keine Angaben zur Altersstruktur der Pflegebedürftigen vorliegen. Bei der Analyse der pflegerischen Versorgungsstrukturen in der Uckermark ist entsprechend zu berücksichtigen, dass die regionalen Unterschiede innerhalb der Untersuchungsregion groß sein können. Welche Beratungsund Versorgungsleistungen zur Verfügung stehen, hängt stark von der räumlichen Nähe zu größeren Gemeinden oder Städten ab. Wenn eine derartige Nähe nicht besteht, dürfte das Angebot an stationären und ambulanten Leistungen stark eingeschränkt sein. Die im Folgenden zu präsentierenden Erkenntnisse beruhen in erster Linie auf Interviews mit 12 Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Wohlfahrtsverbände, der Regional- und Kreisverwaltung und Lokalpolitik, sowie aus dem ärztlichen Sektor. Anfra-

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gen bei dem Verband privater Pflegedienste blieben hingegen auch nach mehrfacher schriftlicher und telefonischer Kontaktaufnahme unbeantwortet. 4.4.3 Welche Pflegearrangements finden sich in der Uckermark? Die informelle Pflege stellt die Hauptpflegeform in der Uckermark dar. Dabei sind primär die Ehepartner, aber auch die Kinder der Pflegebedürftigen hauptverantwortlich für die Pflege. Ambulante Pflegedienste werden jedoch häufig ergänzend hinzugezogen. Die Pflege durch die Kinder-Generation werde in der Uckermark stark durch die Arbeitsmarktsituation beeinflusst, so die Expertinnen und Experten. So finde sich bei arbeitslosen Personen eine stärkere direkte Pflegeaktivität. Neben den vorhandenen Zeitressourcen wurde dies von den Expertinnen und Experten durch die Geldleistungen aus der Pflegeversicherung, die nicht auf das ALG II angerechnet würden, begründet. Andererseits ist die Unterstützung durch ambulante Pflegedienstleister bei berufstätigen pflegenden Angehörigen groß, da diese durch weite Anfahrtswege auch lange Zeit aus dem Haus seien. Die Erweiterung des Pflegekreises durch Ehrenamt und Nachbarschaftshilfe, gemeindeunterstützende Programme etc. sei wichtig, da viele Kinder aufgrund der schlechten Arbeitsmarktlage nicht mehr in der Region lebten und somit als Pflegeperson wegfielen. Eine Expertin berichtete, dass informelle Pflege durch die Angehörigen auch Unterstützung brauche. Nicht nur im praktischen Sinne, sondern vor allem ginge es darum, den Menschen Mut zu machen, die Pflege ihrer Angehörigen zu übernehmen und sie über die Situation aufzuklären und zu begleiten. Es sei natürlich, dass man mit einer Pflegesituation erst einmal überfordert sei. Durch die Erläuterung von Unterstützungsangeboten und wenn möglich auch die sofortige Einbeziehung der gesamten Familie sei jedoch viel zu ändern.

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„Und wenn man sie dann auf solche Sachen hinweist (..) dann ist plötzlich so das Hilfesystem Familie viel aktiver und sie reden wieder miteinander und sprechen das ab und so. Also da kommt ganz viel in Gang.“ (1) Dem gegenüber stünden jedoch auch Angehörige, die nicht mehr bereit seien, die Betreuung der Pflegebedürftigen zu übernehmen – häufig aus einer bereits bestehenden Überforderung heraus. In dem außergewöhnlichsten Fall, von dem berichtet wurde, habe eine ­Pflegeperson ihre Mutter vor der Tür einer Organisation abgesetzt, gesagt, sie könne nicht mehr, und sei gegangen. Überforderung könne man eigentlich frühzeitig durch Beratung und konkrete Unterstützung vorbeugen. Schwierig sei es aber, diese Fälle rechtzeitig von außen zu identifizieren. Vielmehr sei es regelmäßig so, dass professionelle Unterstützung seit langer Zeit von Nöten gewesen wäre, es aber zu keinem Kontakt gekommen sei. Nachbarschaftshilfe wird in den ländlichen Gebieten der Uckermark groß geschrieben – zumindest bei den alteingesessenen Gemeindemitgliedern. Inwiefern sich dies in den jüngeren Generationen fortsetzt, wurde kontrovers diskutiert. Nachbarschaftshilfe könne durchaus als Ressource genutzt werden, wenn man die Nachbarn direkt anspreche – auch von professioneller Seite – und diese motiviere, zu helfen. Sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und konkret über eine Aufgabenverteilung zu sprechen, trage dazu bei, dass sich entlastende Netzwerke für pflegende Angehörige bildeten. Es wurde von einer konkreten Initiative zur ehrenamtlichen, sozialraumorientierten Unterstützung der älteren Bevölkerung in ländlichen Regionen eines Wohlfahrtsträgers berichtet. Dort werden Sozialbegleiter ausgebildet, die vor Ort die Bedarfslage zunächst aufnehmen können und Kontakte zu weiteren Stellen her-

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stellen sollen. Diese Leistungen werden finanziell unterstützt, jedoch gebe es inzwischen Probleme bei der Umsetzung. „Gestaltet sich aber auch schwierig, weil keiner sich so richtig festnageln will, weil keiner bereit ist, wirklich gezielt zu arbeiten. […] [Wir] hoffen dann, wenn sie dann ausgebildet sind, dass sie dann sagen ‚Ach ja ist eigentlich ´ne schöne Aufgabe, ich kümmere mich drum, ich horch mal was notwendig ist‘, ohne jetzt konkret die Hilfsmaßnahmen festzulegen. Geht ja nicht.“ (1) Von den meisten Gesprächspartnerinnen und -partnern wurde jedoch auch berichtet, dass man inzwischen zu viel über das Ehrenamt organisieren wolle. „Ehrenamt in allen Ehren aber auch nur bis zu einem bestimmten Grade. Denn die haben auch ihre Fahrtkosten, wenn sie unterwegs sind, die haben ihre persönlichen Ausgaben […] da müsste sich die Politik auch mal Gedanken machen.“ (2) Ein weiteres Problem im Bereich Ehrenamt/ Nachbarschaftshilfe sei die befristete Finanzierung und die somit beschränkte Laufzeit der Projekte. „Projekte entstehen und fallen wieder. Man kniet sich da rein und hat auch am Ende des Projektes eigentlich auch immer einen guten Stand, wo man sagt, so müsste es jetzt weitergehen. Und dann bricht Geld weg und dann ist das Projekt gestorben. Leider.“ (1) Ein Teil der Expertinnen und Experten berichtet von einem gängigen „grauen Pflegemarkt“ in der Uckermark. Sie beschreiben diese Hilfen als notwendig, da eine (professionelle) Vollbetreuung besonders auf dem Land nicht gewährleistet werden könne. Auch der Wunsch nach einer konstanten Betreuung durch eine Person sei den zu Pflegenden und

ihren Angehörigen wichtig. In diesem Fall bezeichnet jedoch „grauer Pflegemarkt“ weniger die sonst bekannten osteuropäischen Pflegerinnen, sondern z. T. auch Personen aus dem Umfeld, die Betreuungs- und Versorgungsaufgaben für ein bestimmtes Entgelt übernehmen würden. Osteuropäische Pflegekräfte seien, so die Meinung der Expertinnen und Experten, ein nicht sehr häufig anzutreffendes Phänomen in der Uckermark. Dies begründeten sie vor allem mit den Kosten, die die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht aufbringen könnten. Dies gelte vor allem für die strukturschwächeren Randgebiete in der Uckermark. Die ausgeweitete Nachbarschaftshilfe war aber allen Befragten durchaus bekannt. Die stationäre Unterbringung in einem Alten- oder Pflegeheim weist regionale Unterschiede auf, ergaben die Interviews. Menschen aus den Stadtzentren zögen eher in stationäre Einrichtungen um. Bewohnerinnen und Bewohner der ländlichen Regionen würden erst dann diese Option wählen, wenn das Leben in der Gemeinde und dem eigenen Haushalt unter keinen Umständen mehr möglich sei. Hierbei spielten vor allem die Eigentumsverhältnisse eine Rolle. Häuser würden sich in diesen ländlichen Regionen schwer verkaufen lassen. Außerdem sei die Bereitschaft für diesen Schritt häufig nicht gegeben. Es ließen sich in den ländlichen Gebieten auch kaum stationäre Einrichtungen finden. Kurzzeitpflegeplätze seien aufgrund des ökonomischen Drucks auf die Einrichtungen häufiger durch Verhinderungspflege belegt, was zu gelegentlichen Engpässen führe. Gleichzeitig wurde von den Expertinnen und Experten jedoch eine ausreichende Anzahl an stationären Plätzen in der Region gesehen, auch wenn es gelegentlich zu kurzen Wartezeiten kommen könnte. Die Versorgungslage in Programmen der Tagespflege ist unterschiedlich. Tagespflegeplätze für Menschen mit Demenz seien kaum zu

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bekommen. Lange Anfahrtswege seien ebenfalls eine Hürde, da sich die Einrichtungen primär in den Stadtzentren befänden. Die Gesamtsituation entwickle sich regional unterschiedlich. Im Besonderen in Schwedt würde sich die Angebotslage verbessern und Gruppen seien gut ausgelastet – mit der Einschränkung, dass dies ebenfalls nicht für Demenzgruppen gelte. Gemäß dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ berichteten die Expertinnen und Experten, dass der ambulante Sektor in den vergangen Jahren deutlich gewachsen sei. Dabei herrsche ein durchmischtes Bild der Dienstleistungsanbieter. Sowohl Wohlfahrtverbände als auch private Dienstleister bieten in der Region ihre Dienste an. Die Entscheidung für einen bestimmten Pflegedienst entstehe meist auf pragmatischer Grundlage. Häufig würde jener Dienst ausgesucht, der bereits Nachbarn betreut. Von Seiten der Pflegedienste würden die Gebiete grob aufgeteilt, ohne jedoch, so betonten die Expertinnen und Experten, die Wahlfreiheit der Pflegebedürftigen einzuschränken. Von der Seite der Kommunalpolitik wurde jedoch berichtet, dass in den ländlichen Randgebieten eine Auswahl zwischen verschiedenen Anbietern als schwierig empfunden werde. In einem konkreten Fall habe sich die Situation erst gebessert, seit sich ein privater Anbieter in der näheren Umgebung niedergelassen hat. Wäre dem nicht so gewesen, hätte man deutliche Probleme in der Sicherstellung der ambulanten pflegerischen Versorgung und ein Abwandern der älteren Bevölkerung in Pflegeheime in die Umgebung zu befürchten gehabt. Von anderer Seite wurde ebenfalls berichtet, dass es bereits erste Ablehnungen der Versorgung aufgrund der Entfernung seitens einiger Pflegedienste gegeben habe. Ein weiteres Problem ist die spezialisierte Pflege. Aufgrund der knappen Personalausstattung der ambulanten Pflegedienste, ge-

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paart mit weiten Anfahrtswegen, sei es zum Teil schwierig, besonders geschultes Personal effektiv und effizient einzusetzen. In der Konsequenz seien diese Fachkräfte sehr begehrt, jedoch für die Pflegedienstleister schwer zu bekommen. 4.4.4 Welche Defizite in der pflege­ rischen Versorgung lassen sich feststellen? Eine konkrete Bedarfsplanung der pflegerischen Versorgung wird heute in der Uckermark nicht mehr betrieben. Dies sei vor einigen Jahren noch der Fall gewesen. Dabei ging die Initiative der „Pflegestammtische“, wie sie genannt wurden, zumeist von den Krankenhäusern aus. Das Interesse wurde durch das Entlassungsmanagement begründet. Das Hauptproblem heute sei, dass die Krankenhäuser an dieser Koordinationsarbeit kein Interesse mehr hätten und anderen Stellen häufig die räumlichen und finanziellen Mittel für diese Tagungen fehle. Auch wenn eine Pflegekonferenz im letzten Landespflegegesetz vorgesehen wurde, sind bislang keine konkreten Maßnahmen zur Umsetzung angestrebt worden. Sowohl die Finanzierung, als auch der strukturelle Aufbau und Zuständigkeiten seien bislang ungeklärt. Es sei, so eine Interviewpartnerin, auch ohnehin fraglich, inwieweit es der Planung bedürfe, da zum einen vor allem die Pflegekassen den Überblick über Bedarfe haben sollten und zum anderen der Markt die Angebotslage regeln würde. Weitere Interviewpartnerinnen und -partner sahen eine solche Planung jedoch als wichtig an. Diese müsse auch auf der Akteursebene stattfinden, um Bedarfe bedarfsgerecht erheben und deuten zu können. Auch für Projekte wie AGNES und ähnliche fehle es an einer regionalen Analyse über die tatsächliche Entlastungsmöglichkeit der Ärztinnen und Ärzte, so ein Experte. So wurde berichtet, dass Initiativen zur Implementierung von AGNES in der Uckermark gescheitert sei-

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en, aufgrund der Schwierigkeiten in der Kostenübernahme und der Zulassung durch die Krankenversicherungen, aber auch durch Vorbehalte aus der Ärzteschaft. An anderer Stelle wurde ebenfalls davon berichtet, dass eine Ärztin in der Region auf eigene Kosten zwei Pflegekräfte zu Landschwestern hat ausbilden lassen, es im Anschluss aber keine Kostenübernahme durch die Krankenversicherungen gegeben habe, womit das Projekt ebenfalls wieder eingestellt wurde. Ein Interviewpartner führte im Bereich der Qualität ambulanter pflegerischer Leistungen an, dass neben diesen Modellen auch Debatten über die generelle Fort- und Weiterbildung in der ambulanten Pflege geführt werden müsse. Da es keine Weiterbildungspflicht in den Pflegeberufen gebe und im Besonderen die hohe Arbeitsbelastung in der ambulanten Pflege kaum Raum hierfür biete, müsse auf die Sicherstellung der Qualität geachtet werden. Es wurde vorgeschlagen, trägerübergreifende Fortbildungsveranstaltungen in Kooperation mit den regionalen Krankenhäusern, Pflegediensten und Ärztinnen und Ärzten durchzuführen, um die wandelnden Anforderungen in der ambulanten Pflege zu begleiten. Ein weiteres Defizit besteht in der teilstationären Pflege: Tagespflegestätten würden insbesondere für demenziell Erkrankte fehlen, wobei der Bedarf in den vergangenen Jahren stark gestiegen sei. Tagespflegeplätze seien zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen wichtig, so die Expertinnen und Experten. Nicht-spezialisierte Tagespflegeeinrichtungen könnten besonders Demenzpatientinnen und -patienten mit Weglauftendenzen nicht gerecht werden. Auf der anderen Seite berichteten die Expertinnen und Experten von der schwierigen finanziellen Situation der Einrichtungen. Durch die besonderen personellen Anforderungen sind gerade die Sondergruppen für Demenzpatientinnen und -patienten nur durch eine optimale Auslastung finanziell

zu sichern und somit als langfristiges Angebot aufrechtzuerhalten. In einem kaum zu kalkulierenden „Markt“ sei dies jedoch äußerst schwierig. Auch in diesem Bereich wurde lediglich von Einrichtungen in Stadtzentren gesprochen. Möchten Personen aus dünn besiedelten Gegenden diese Angebote in Anspruch nehmen, müssen entsprechende Fahrzeiten einkalkuliert werden. Ein Problem im Bereich der Kurzzeitpflege ist, dass Pflegeeinrichtungen die Kurzzeitpflegeplätze durch Verhinderungspflege belegen würden. Die Kassen sagten zu Recht, dass die reine Anzahl der Kurzzeitpflegeplätze für die Region ausreiche. Jedoch finde man tatsächlich Wartezeiten vor, woraus sich Engpässe ergäben. Der ökonomische Druck der Häuser, eine möglichst hohe Auslastung zu erzielen, wurde als Ursache vermutet. Im Bereich der Hospizarbeit wurde die Lage als besonders kritisch beschrieben. Zum einen gebe es wenige stationäre Plätze in der Uckermark und auch ambulante Angebote deckten den Bedarf nicht ab. Es konnte lediglich ein stationäres Hospiz in der Uckermark genannt werden, das acht Plätze vorhalte. Hinzu kämen Schwierigkeiten in der Kostenübernahme durch die Krankenkassen, da die Palliativbetreuung kostenintensiv sei. In der Praxis bedeute dies, dass Patientinnen und Patienten entweder im Krankenhaus versterben oder in Pflegeheime überwiesen würden, auch wenn bereits klar sei, dass sie bald versterben. Dies greife nicht nur die Würde der Patientinnen und Patienten an, sondern überfordere auch die Fachkräfte in den Pflegeeinrichtungen. Die würdevolle Betreuung in der Finalphase könne kaum in den Alltagsablauf und die vorgegebenen Prozesse integriert werden. Auch die medizinische Betreuung sei hiervon beeinflusst, da in der Finalphase der Bereitschaftsarzt hinzugezogen werden müsse. Auch Projekte der ambulanten Hospizversorgung seien nicht ausreichend in der Region vorhanden.

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In den Interviews berichteten die Expertinnen und Experten, dass es in der professionellen pflegerischen Versorgung innerhalb der Uckermark starke Unterschiede gebe. Dies zeige sich nicht nur in einem Stadt-Land-Gefälle, sondern auch innerhalb der größeren Zentren der Uckermark. Man bezog sich bei der Beschreibung auf die Auswirkungen des demografischen Wandels, die von den Zugängen zu einer Stadt, über das Stadtleben, zur Angebotslage und Ausstattung an Wohnraum bis hin zur pflegerischen Versorgung durch stationäre-, teilstationäre und ambulante Versorgungsformen reichten. Schwedt wurde dabei durchgehend als positives Beispiel beschrieben. Hier sei dem demografischen Wandel frühzeitig und engagiert begegnet und sind entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet worden. Sowohl für die bauliche als auch die Service- und Freizeitgestaltung seien unterschiedlichste Förderprojekte beantragt und durchgeführt worden. Nun könne die Bevölkerung auf ein breites Spektrum an Angeboten zugreifen. In Schwedt wurde auch die neueste Demenztagesgruppe eröffnet. Prenzlau hingegen wurde ein großer Nachholbedarf attestiert. Durch die Verlagerung der Kreisstadt von Templin nach Prenzlau seien beide Städte in den vergangenen Jahren nicht weiter der aktuellen Situation angepasst worden. Einen Teil dieser Entwicklung begründeten die Experten und Expertinnen recht einstimmig mit dem unterschiedlichen Engagement der Stadtverwaltungen und Stadtpolitiker. Zumindest in Prenzlau seien aber inzwischen erste Bemühungen zur Anpassung der Stadt an die Anforderungen des demografischen Wandels zu sehen. Templin werde hingegen weiterhin „stiefkindlich“ behandelt.

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4.4.5 Wie sind die Rahmenbedingungen von Pflegearrangements in der Uckermark? 4.4.5.1 Pflegeberatung Nominal gibt es in der Uckermark eine breite Palette an Pflegeberatung. Im Krankenhaus, oder der Rehaklinik wird die Beratung durch dortige Sozialarbeiter angeboten. Im ambulanten Sektor halten die ambulanten Pflegedienste, der Pflegestützpunkt (mit eingeschränkter regionaler Zuständigkeit), das Sozialamt (im Falle von unterstützenden Leistungen) oder die Pflegekassen Beratungsstellen vor. Daneben spielen auch der Seniorenrat bzw. die örtlichen Seniorengruppen durchaus eine Rolle in der Beratung. Nach Einschätzung der Interviewpartnerinnen und -partner käme es auch immer wieder zu mehreren Beratungskontakten bei unterschiedlichen Anlaufstellen, bis Angehörige die für sie passende Pflegeform finden würden. Solange sich Patientinnen und Patienten in einer Rehabilitationseinrichtung befinden, werde die Beratung gut angenommen, wodurch rechtzeitig Vorbereitungen getroffen werden können. Tritt der Unterstützungs- oder Pflegebedarf zu Hause ein, wird die Beratungsannahme gegenteilig beschrieben. In den ländlichen Regionen übernehmen hauptsächlich die ambulanten Pflegedienste die Pflegeberatung. Die aufsuchende Beratung, also die konkrete Begutachtung der Situation vor Ort, wird als besonders hilfreich und notwendig beschrieben. Jedoch zeigten viele pflegende Personen offene Vorbehalte gegenüber einem Besuch in der Häuslichkeit. Erst mit der Zeit wachse das Vertrauen, sich Hilfe vor Ort zu holen und fremde Personen in die häusliche Umgebung zu lassen. Habe man erste positive Erfahrungen mit einem Pflegedienst gemacht, sei es auch leichter, eine individuelle Beratung in der Häuslichkeit des Betroffenen durchzuführen.

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In der Uckermark ist bislang nur ein Pflegestützpunkt (PSP) eingerichtet worden, dessen Zuständigkeitsbereich sich ausschließlich auf den Bereich Schwedt beschränkt. Häufig finde eine Beratung erst dann statt, wenn die Pflegekassen einem Pflegebedürftigen, der Geldleistungen für eine Pflege durch Angehörige in Anspruch nimmt, Sanktionen ankündigten. Daneben würden viele Menschen in überforderten Situationen die Beratung annehmen. Dies bedeute jedoch, dass man mehr Zeit aufbringen müsse, da die psychische Belastung der Angehörigen dann sehr groß sei und man mit hoher Sensibilität vorgehen müsse. Weitere Problemfelder im Bereich der PSP seien die unterschiedliche Personaldecke und die nicht-standardisierten inhaltlichen Beratungsangebote. Der PSP kann in Schwedt lediglich auf eine Vollzeit- und eine Teilzeitangestellte zurückgreifen. Somit ist die Beratungskapazität rein personell bereits eingeschränkt. Im Rahmen des Regionalbudgets waren fünf Case-Manager im PSP beschäftigt worden. Inzwischen sei das Budget für den Bereich Gesundheit jedoch ausgeschöpft und wurden die fünf Case-Manager-Stellen ersatzlos gestrichen. Im Jahr 2011 erbrachte der PSP Schwedt noch etwa mit einem Achtel seiner Tätigkeit Fallmanagement, damit sei jedoch die maximale Kapazität erreicht. Einrichtungen, die mit verschiedenen Pflegestützpunkten arbeiten würden, seien überrascht, dass man in Schwedt kein Case-Management in der Breite vorfinde. Die Finanzierung der Pflegestützpunkte war ein weiteres Themenfeld, welches kritisch betrachtet wurde. So muss der Landkreis einen gewissen Mindestbetrag selbständig aufbringen, bevor Landesmittel beantragt werden können. Als bessere Lösung schlug ein Interviewpartner eine Pauschalfinanzierung vor, damit alle Kommunen in gleicher Höhe Förderungen erhalten würden. Die Beratung der Pflegekassen wurde von einem Teil der Expertinnen und Experten als

gut beschrieben. Sie finde sachorientiert statt und arbeite nicht auf eine Kostenreduktion für die Kasse hin. Als weiterer indirekter Akteur in der Beratungslandschaft wurden die Ortsgruppen des Kreisseniorenrats genannt. Auch wenn diese eigentlich eine reine Interessensvertretung darstelle, würden in den Ortsgruppen regelmäßig Informationsveranstaltungen angeboten. Man böte so eine Plattform für Pflegeberatung, die auch Menschen in den Randgebieten erreiche. Dort käme es auch vor, dass Bürgerinnen und Bürger mit ihren Anliegen erst einmal zum Gemeinderat oder Bürgermeister gingen, da sie zunächst keine anderen Ansprechpersonen wüssten. 4.4.5.2 Wohnumfeld Die befragten Expertinnen und Experten waren sich darüber einig, dass vor allem das seniorengerechte Wohnen durch eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote in den vergangenen Jahren erweitert worden sei. Hierzu zählen sowohl Senioren-Wohngemeinschaften als auch Zusammenschlüsse aus seniorengerechtem Wohnen und Pflegeeinrichtungen. Als Anbieter der Senioren-Wohngemeinschaften werden sowohl Wohlfahrtsverbände als auch Privatinitiativen genannt. Die Erfolgsquote der Wohngemeinschaften wurde jedoch als sinkend beschrieben. Durch hohe Kosten hätten bereits die ersten Wohngemeinschaften wieder schließen müssen. Zudem wurde von Bewohnerinnen und Bewohnern berichtet, die die Miet- und Versorgungskosten nicht lange hätten tragen können und schließlich doch in ein Pflegeheim umziehen mussten. Für die Betroffenen hieße dies eine erneute Umgewöhnung innerhalb kurzer Zeit. Als Vorteil wurde die Entscheidungsfreiheit aufgrund der geringen institutionellen Vorgaben und Tagesstrukturierungen genannt. Auch in der Wahrnehmung der Menschen sei eine Wohngemeinschaft angenehmer als ein Pflegeheim. Letzteres sei in der Bevölkerung häufig mit den Begriffen „Endstation“ oder „Bevormundung“ verbunden.

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Seniorengerechtes Wohnen wurde von allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartner einstimmig als der Wachstumsbereich in der Uckermark in den vergangenen Jahren beschrieben. Werde ein neues Haus eröffnet, seien zumeist alle Wohnungen vor dem eigentlichen Eröffnungstag bereits vermietet oder verkauft. Dabei hätten sich vor allem die Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften stark engagiert. Das Angebotsspektrum reiche von der Totalsanierung alter Gebäude über Neubauten bis hin zur individuellen Anpassung einzelner Wohnungen an die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner. Auch die Kooperation zwischen Ämtern, Beratungsstellen, Pflegediensten und den Hausverwaltungen sei sehr konstruktiv. Sei aus medizinischen Gründen ein Umbau oder eine Anpassung von Nöten, so seien die meisten Wohnungsbaugesellschaften offen für dieses Thema, wenn die betreffende Person so in ihrem Wohnumfeld verbleiben könne. Es würden sowohl bauliche Maßnahmen ergriffen als auch Lösungen für Rollstühle im Treppenhaus o. ä. geschaffen. Ein Grund für diese hohe Eigeninitiative der Wohnungsbaugesellschaften könnte laut den Expertinnen und Experten der demografische Wandel, gepaart mit der starken Abwanderungstendenz junger Leute in urbane Regionen, sein. Somit werden ältere Menschen zum Hauptklientel der Wohnungsbaugesellschaften. Als gelungenste Kombination aus Sicht eines Teils der interviewten Expertinnen und Experten wird die Variante des seniorengerechten Wohnens und der Pflegeheimversorgung innerhalb einer Trägerschaft genannt. So befinden sich in der Uckermark diverse Träger, die – zum Teil räumlich voneinander getrennt – sowohl altersgerechtes Wohnen anbieten als auch in der direkten Nachbarschaft ein Pflegeheim betreiben. In den Häusern des altersgerechten Wohnens werden auch kleinere Pflegeleistungen angeboten und ein Notdienst befindet sich immer im Haus. Kann die Pflege

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in diesem Rahmen nicht mehr gesichert werden, können Bewohnerinnen und Bewohner einfach ins Nachbarhaus „umziehen“. Altersgerechtes Wohnen in den beschriebenen Formen existiert jedoch fast ausschließlich in den Stadtzentren der Uckermark. Einigen Experteninnen und Experten war lediglich eine Einrichtung des altersgerechten Wohnens im ländlichen Raum bekannt. Hier sei zu beobachten, dass es schwieriger sei, Menschen aus den Stadtzentren der Uckermark davon zu überzeugen, in dieses Haus zu gehen. Der umgekehrte Fall sei häufiger anzutreffen. Dies wurde z. T. damit begründet, dass Kinder, sofern sie noch in der Region lebten, eher in den städtischen Räumen wohnten und somit eine soziale Anbindung bestehe. Regional gibt es neben den oben genannten Angeboten auch Engagement aus der Lokalpolitik, um die Situation für die ältere Bevölkerung zu verbessern. So wurde in einem Untersuchungsgebiet von Seiten des Gemeindevorstandes in Eigeninitiative eine leer stehende Wohnung behindertengerecht umgebaut. Das erklärte Ziel war auch hier, die Bevölkerung in der Gemeinde zu halten. Dabei gab es jedoch erhebliche Schwierigkeiten mit der zuständigen Behörde. Ein geplanter größerer Umbau zum altengerechten Wohnen wurde abgelehnt. Aber auch die fehlende Unterstützung hinderte die Gemeinde nicht daran, das Projekt in kleinerer Form zum Abschluss zu bringen. Bei entsprechender Nachfrage sollen in Zukunft weitere Wohnungen saniert werden. Jedoch hoffe man dann auf mehr Unterstützung. Neben den baulichen Maßnahmen hat die Gemeinde sich auch um die Versorgung der Bevölkerung gekümmert und in Zusammenarbeit mit einem regionalen Wohlfahrtsverband eine Dorfküche aufgebaut. Dort werde von Frauen aus der Gemeinde Essen für die örtliche Kindertagesstätte, aber auch für Seniorinnen und Senioren im Ort gekocht und auch ausgeliefert. Die dort arbeitenden Frau-

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en seien zumeist Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II, die in diesem Rahmen einen Zuverdienst erhielten. Als positiver Nebeneffekt wurde beschrieben, dass Seniorinnen und Senioren länger in ihrer häuslichen Umgebung verbleiben konnten und auch die soziale Isolation gemindert werden konnte. Da die Frauen der Dorfküche alle aus der Umgebung stammten, sei die persönliche Beziehung positiv für beide Seiten. Die finanziellen Mittel für all die Maßnahmen werden zum größten Teil aus dem Gemeindehaushalt oder durch eine Kooperation mit einem Bildungsträger bereitgestellt. Finanzielle Unterstützung von Landesseite habe es für diese Projekte bislang nicht gegeben. Insgesamt wurde die Zusammenarbeit in Hinsicht auf eine Zukunftsausrichtung mit dem zuständigen Kreisamt als sehr unproduktiv und nicht kooperativ beschrieben. Nichtsdestotrotz wurde das Vorgehen wie folgt begründet: „Aber ich muss ihnen sagen, wenn wir das nicht machen würden, wir würden wesentlich reicher sein. Aber was nützt uns das, dass wir reich [wären]. Das nützt uns doch nichts, nichts.“ (3) 4.4.5.3 Mobilität Mobilität ist sowohl aus der Perspektive der Leistungsanbieter als auch für die Bevölkerung ein großes Problemfeld. Die langen Fahrtwege stellen sowohl für die Pflegedienste als auch für die Hausärztinnen und -ärzte ein großes zeitliches und ökonomisches Problem dar. Durch weite Wege verringert sich die Anzahl der Patientenbesuche, die in einem bestimmten Zeitraum erbracht werden können. Für die ambulanten Pflegedienste führt dies zu einem erhöhten Personalaufwand, bei gleichzeitig niedrigerer Auslastungsdichte. Gerade ältere Menschen ohne ein eigenes Auto sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. In manchen Regionen seien die Bedingungen jedoch sehr schlecht. So wurde

berichtet, dass Arztbesuche, Einkäufe und Amtsgänge nicht an einem Tag erledigt werden könnten. Dies spitze die Situation für pflegende Angehörige weiter zu, wenn Produkte für den Pflegeprozess aber auch für die Haushaltsführung besorgt werden müssten. Hier wurden von den Interviewpartnerinnen und -partnern jedoch neue Wege aufgezeigt, wie in der Region versucht wird, dem Problem entgegenzuwirken. Zum einen kämen Lösungswege aus der Privatwirtschaft, die Seniorinnen und Senioren auch im ländlichen Raum als Zielgruppe erkannt habe. Zum Beispiel werden Busfahrtkosten am Tage des Einkaufs von einer großen Supermarktkette übernommen. Dies löst zwar nicht das Problem der zum Teil schlechten Anbindung, ist aber ein erster Ansatz der Förderung von Mobilität. Daneben wurden zwei weitere Projekte beschrieben, in denen zum einen ein Wohlfahrtsträger für seine Mitglieder einen Rufbus anbieten möchte, der innerhalb der Uckermark Menschen zu Hause abholt, in die gewünschten Stadtzentren fährt und wieder nach Hause bringt. In einer anderen Gemeinde wurde aus Preisgeldern, die man gewonnen hatte, ein Kleinbus gekauft, der von den Ortsgemeindepflegern ebenfalls als Rufbus gefahren wird. Hierzu ist eine zweitägige Anmeldefrist einzuhalten. Für einen Beitrag von fünf Euro wird man zu Hause abgeholt, in die Zentren der Umgebung gefahren und später wieder zurückgebracht. 4.4.5.4 Verschiedene Zuständigkeits-­ bereiche des Sozialrechts Ein besonders Problem in der Versorgung älterer Menschen ist die Komplexität der Zuständigkeitsbereiche. Die Betroffenen wüssten häufig nicht, welche Ansprüche sich aus dem Sozial-, Behinderten und Pflegerecht, um nur einige Beispiele zu nennen, ergeben. Dies überfordere Privatpersonen, sei aber auch z. B. für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Krankenhaus- und Rehaeinrichtungen häufig unübersichtlich. Die Angebotslage sei so

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komplex, dass Betroffene häufig nicht über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt seien. „Also die Frage kommt ganz häufig: ‚Warum sagt mir das eigentlich keiner?‘.“ (1) Hinzu komme der Wandel in Rechten und Ansprüchen. Durch die faktische Reduktion von Leistungen bzw. des Leistungsniveaus der Pflegeversicherung und der Krankenkassen in den vergangenen Jahren könnten sich Zuständigkeiten ändern. Im Falle von Anrecht auf Sozialhilfe komme ein weiterer Bereich mit eigenen Regeln und Denkweisen hinzu, der aufgrund der Bürokratie auch viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nähme. Der hohe bürokratische Aufwand, verbunden mit langen Antrags- und Bewilligungszeiten sei aus Sicht der Betroffenen häufig schwierig nachzuvollziehen und verschärfe Problemlagen weiter. Mit der Unterstützung von Beratungsstellen könnten Verfahren zwar schneller eingeleitet werden, doch auch die Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter seien inzwischen nicht immer sicher, welche Stelle für konkrete Problemlagen zuständig sei. Aus dem ärztlichen Bereich wurde moniert, dass durch die verschiedenen Zuständigkeiten mehrere Gutachten für eine Patientin bzw. einen Patienten von verschiedenen Stellen angefordert würden. Dies verschärfe den bürokratischen Aufwand im Praxisablauf unnötig und führe zu keiner Verbesserung der Situation für die Menschen. 4.4.6 Erwartungen aus der Region Die Frage nach den politischen Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten für die Versorgung älterer Menschen in der Uckermark war eine herausfordernde Frage für die Expertinnen und Experten. Die geschilderten Probleme und Lösungsvorschläge befanden sich im sehr kleinteiligen Bereich. Die Beeinflussung oder das Voranbringen unterschiedlicher Pflegearrangements wurde eher durch indirekte Einflussmöglichkeiten gesehen. Die Unterstüt-

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zung der lokalen Akteure und der Lokalpolitik waren Hauptthemenfelder, die die Experten in den Interviews nannten. Es wurde betont, dass für die Lösungsansätze eine Regionalisierung vor eine Zentralisierung gesetzt werden müsse. Die Probleme in der Uckermark seien andere als in den benachbarten Kreisen. Lösungsansätze könnten von den regionalen Akteuren passgenauer beschrieben und umgesetzt werden. Es fehle jedoch häufig an einer passenden Plattform zur Bestandsaufnahme der momentanen Situation und zum Austausch von Lösungsmöglichkeiten. Diese anzubieten, war für die meisten Expertinnen und Experten auch die wichtigste Rolle der Landesregierung. Das Land könne entsprechende Plattformen und Netzwerke sowohl räumlich, methodisch als auch personell unterstützten. Es gehe um eine Netzwerkbildung, die aber auf einer höheren, übergeordneten Ebene angesiedelt sein müsse. Dazu bedürfe es auch einer finanziellen Unterstützung, da die Akteure in diesem Feld häufig Einzelorganisationen oder kleinere Personengruppen seien, die die entsprechenden Kosten nicht aufbringen könnten. Von Seiten der Kommunalpolitik wurde moniert, dass die Zukunft der ländlichen Regionen unklar sei. Es gebe keine konkrete Aussage über die weitere Förderung dieser Regionen. Dies sei aber für eine realistische Zukunftsplanung wichtig. Konkretisiert auf den Bereich der Pflege war aus den Reihen der Wohlfahrtsverbände zu hören, dass auf politischer Ebene keine langfristige Unterstützung für die äußeren Randgebiete vorgesehen sei. Man schloss sich der Position an, dass die pflegerische Versorgung bis in den letzten Winkel besonders im Kontext der personellen und finanziellen Ausstattung der Pflegedienste schwierig sei. Die schwierige Finanzlage sowohl auf Landes- als auch auf Kreis- und Kommunalebene war das Hauptthema der Debatte. Es wurde berichtet, dass Kommunen sich benachteiligt fühlten. Nicht nur die Lan-

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

desregierung sondern auch die Verwaltungsapparate hätten eine Verantwortung auch für kleine Regionen zu tragen: „ (…) ich finde immer, das Ministerium kann sich aus der Pflicht nicht rausnehmen und sagen, wir geben das jetzt mal in die Kommunen oder so. Land ist nicht zuständig.“ (1) Eine engere Kooperation mit einer offenen, zielorientierten Kommunikation war der Wunsch der Akteure, auch wenn anerkannt wurde, dass die Komplexität der Aufgaben der Landesregierung hoch sei. Aus diesem Grunde sei aber eine engere Einbindung der regionalen Akteure von Bedeutung. Auch an die Bundesebene wurden Anforderungen formuliert: Durch den fortwährenden Abbau des Leistungsniveaus der Pflegekassen würden die Kommunen vor immer weitere finanzielle Herausforderungen gestellt. Denn viele Bürgerinnen und Bürger hätten nicht die finanziellen Mittel, um die wegfallenden Leistungen selbständig zu finanzieren und so seien in den vergangenen Jahren die Ausgaben der Sozialämter für pflegeunterstützende Maßnahmen gestiegen: „Also das ist schon eine Verschiebung von den Leistungen der Pflegekassen in die Sozialkassen, die muss irgendwann aufgehalten werden. Und da ist die Politik natürlich gefragt.“ (2) Aufgrund der den Interviewpartnern zugesicherten Anonymität kann zu dieser Teilstudie keine Liste der Interviewpartner aufgeführt werden, da sich zu einfach Rückschlüsse auf die Identität der Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner ziehen ließen.

Regionale Pflegestrukturen in den drei Untersuchungsregionen

63

Personalpolitische Herausforderungen – 5

Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation Nachdem zunächst das Potenzial zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit sowie zur Optimierung von Versorgungsstrukturen untersucht wurde, fand eine Betriebsbefragung statt, um die betriebliche Perspektive sowie betriebliche Strategien in Bezug auf die Fachkräftesituation in der Pflege zu ermitteln. Insgesamt wurden im Herbst/Winter 2012 in den drei Untersuchungsregionen Cottbus, Oberhavel und Uckermark 86 Pflegeeinrichtungen12 telefonisch befragt. Das Ziel der Befragung bestand nicht nur darin, Informationen über den zu erwartenden quantitativen und qualitativen Fachkräftebedarf in der Brandenburger Pflege zu erlangen, sondern auch darin, einen fundierten Überblick über betriebliche Strukturen der Pflegedienstleister im Land zu gewinnen. Neben den strukturellen Eckdaten standen deshalb die Perspektive der Betriebe im Fokus sowie ihre Strategien, mit dem zu erwartenden Fachkräftemangel umzugehen.

12 Hier sind immer sowohl stationäre, teilstationäre, ambulante als auch Pflegedienstleister mit gemischten Angeboten eingeschlossen.

64

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

5.1

Strukturelle Charakteristika der befragten Pflegedienstleister

Befragt wurden überwiegend Pflegedienstleister mit ambulanten Betreuungs- und Pflegeangeboten, wobei allgemein anzumerken ist, dass Pflegedienstleistungsunternehmen häufig verschiedene bzw. mehrere Leistungen anbieten. Die Anzahl der jeweils betreuten Kundinnen und Kunden unterliegt einer großen Spannweite. Ein Pflegedienstleister in stationären und ambulanten Angeboten betreut durchschnittlich viermal so viele Pflegebedürftige wie ein teilstationärer Betrieb. Über

Tabelle 3: Allgemeine

ein Drittel der befragten Betriebe ist bereits länger als 15 Jahre am Markt. Jedoch ebenfalls fast ein Drittel der Pflegedienstleister besteht erst seit fünf Jahren in dieser Form. Daraus lässt sich einerseits ableiten, dass ein nicht unerheblicher Anteil etablierter Pflegedienstleister langfristig erfolgreich auf dem Markt bestehen konnte, andererseits scheint der Brandenburger Pflegemarkt aber auch so offen zu sein, dass sich ein Markteintritt für neue Wettbewerber lohnt. (vgl. Tabelle 3)

Betriebsdaten

Welche Betreuungsangebote kennzeichnen Ihre Einrichtung? (Mehrfachnennungen) (n = 86)

Häufigkeit

Prozent

stationäre Angebote

26

30,2

teilstationäre Angebote (Tagespflege,…)

18

20,9

ambulante Angebote

60

69,8

betreute Wohnformen

22

25,6

sonstige Wohnformen

6

7,0

Wie viele Personen/Pflegebedürftige betreuen Sie?

Mittelwert

Min – Max

Insgesamt (n = 82)

94,7

6 –350

stationäre Angebote (n = 25)

74,9

22 –145

teilstationäre Angebote (Tagespflege,…) (n = 17)

20,9

1 – 80

ambulante Angebote (n = 55)

86,6

9 –250

Seit wann existiert Ihre Einrichtung in der jetzigen Form? (n = 85)

Häufigkeit

Prozent

vor 1997

29

34,1

seit 1997

14

16,5

seit 2002

18

21,2

seit 2007

24

28,2

Untersuchungsregion (n = 85)

Häufigkeit

Prozent

Oberhavel

30

35,3

Uckermark

33

38,8

Cottbus

22

25,9

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

65

Es gibt Hinweise darauf, dass in den letzten fünf Jahren überwiegend Pflegedienstleister mit einer sehr kleinen Betriebsgröße auf den Markt gekommen sind, während der Anteil von Betrieben in dieser Größe bei den älteren Unternehmen abnimmt. Mögliche Schlussfolgerungen lauten: (1) Kleinere Betriebe (weniger als zehn Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter) können sich nur schwer dauerhaft am Markt durchsetzen. (2) In den letzten Jahren gab es gesteigerte Anreize für Betriebsgründungen in dieser Betriebsgröße. (3) Kleine Betriebe wachsen mit der Zeit. Insgesamt kann konstatiert werden, dass in Brandenburg weder bei den Einrichtungen noch bei den Trägern Konzentrationsentwicklungen auf wenige, große Anbieter zu beobachten sind. Institutionell bündeln sich die Pflegedienstleister in Verbänden, die sich grob in private Anbieter und die Freie Wohlfahrtspflege unterteilen lassen. Pflegedienstleister handeln separat Pflegesätze mit den Pflegekassen aus. Strukturell scheinen hier die Pflegedienstleister in einer schlechteren Verhandlungsposition zu sein als die Vertretungen der Pflegekassen, können die Verbände der Pflegedienstleister aufgrund der schlechteren Informationslage über Angebote der Konkurrenz in den Preisverhandlungen doch gegeneinander ausgespielt und so Preise gedrückt werden. So wurde es von den Vertreterinnen und Vertretern der privaten Pflegedienstleister im Rahmen des 3. Meilensteinworkshop zur Brandenburger Fachkräftestudie Pflege berichtet. Für die kirchlichen Anbieter und die Träger der Freien Wohlfahrt ergeben sich aufgrund der im Vergleich zu den privaten Trägern eher größeren Betriebseinheiten mögliche wirtschaftliche Vorteile, die sich überwiegend mit einer höheren Effizienz erklären. Die erhobenen Daten lassen leichte Unterschiede bezogen auf die Betriebsgrößen zwischen den Untersuchungsregionen erkennen. So bestehen in Cottbus anteilig mehr mittlere und weniger Kleinstbetriebe als in den beiden eher ländlich gepräg-

66

ten Untersuchungsregionen. Dies ist ein Indiz dafür, dass in städtischen Regionen eine Tendenz zu größeren – insbesondere stationären – Einrichtungen besteht. Diese Entwicklung spricht für eine beginnende Zentralisierung der Versorgung im Land Brandenburg, die sich bereits in früheren Experteninterviews andeutete, insbesondere bezogen auf spezialisierte und teilstationäre Angebote. Tabelle 4 bietet Informationen über die Mitarbeiterstruktur der befragten Pflegedienstleister. Die beiden größten Qualifikationsgruppen sind die Pflegefachkräfte sowie die Pflegehilfskräfte. Auffällig ist, dass die Spannweite bei den erwartungsgemäß eher gering besetzten Qualifikationsstufen „hochqualifiziertes Pflegepersonal“ und „un- und angelerntes Personal“ sehr groß ist und in Einzelfällen das sieben- bzw. zwölffache des Mittelwerts erreicht. Dies lässt darauf schließen, dass große Unterschiede bestehen, was die Personaleinsatzkonzepte der einzelnen Betriebe betrifft. Betrachtet man die Altersverteilung der Angestellten, so ist die Kohorte der unter 30-Jährigen relativ klein und Personalengpässe aufgrund der beginnenden Berufsaustritte der Kohorte 30-50 Jahre scheinen vorprogrammiert. Überwiegend herrschen in den Betrieben Teilzeitmodelle mit einem Arbeitsumfang der einzelnen Beschäftigten von 75 Prozent und mehr vor. Beschäftigungsverhältnisse unter 75 Prozent stellen eher den Ausnahmefall dar. Es sind überwiegend Frauen in den Pflegeeinrichtungen beschäftigt. Zeitarbeitskräfte oder freie Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter sind in den interviewten Betrieben kaum anzutreffen. Dies deckt sich auch mit der eher ablehnenden Haltung der Betriebe, einen Fachkräftemangel durch Zeit- oder Leiharbeitskräfte zu kompensieren. Die relativ hohe Teilzeitquote in den Betrieben stellt auf den ersten Blick eine potenzielle Mobilisierungsreserve dar. Diese Einschätzung bestätigt sich, wenn man die möglichen Gründe für die Teilzeitbeschäftigung berücksichtigt. Ergebnisse

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

aus dem Mikrozensus 2005 legen nahe, dass weniger familiäre Verpflichtungen oder parallele Aus- bzw. Fortbildung den Ausschlag für eine Teilzeittätigkeit geben, als vielmehr das mangelnde Angebot an Vollzeitstellen. Somit stünde ein großer Teil der Pflegenden (ca. 46 Prozent der weiblichen Teilzeitbeschäftigten in der Pflege) tatsächlich voll dem Markt zur Verfügung (Afentakis und Maier 2010). So erscheint es plausibel, dass es in näherer Zu-

Tabelle 4:

kunft den bestehenden Betrieben noch gelingen wird, entstehenden Ersatz- und Erweiterungsbedarfen nachzukommen. Probleme sind aber für Einrichtungsneugründungen zu erwarten, da der Markt nicht über die notwendigen Personalreserven verfügt. So lässt sich möglicherweise auch erklären, warum in der Pflege in den letzten Jahren in erster Linie Kleinstbetriebe gegründet wurden.

Mitarbeiterstruktur

Wie viele Mitarbeiter waren zum 30.06. insgesamt in Ihrem Betrieb beschäftigt, ohne Zeitarbeiter und freie Mitarbeiter? (n = 81)

Häufigkeit

Prozent

Weniger als 10 Mitarbeiter

18

22,2

10 – 24 Mitarbeiter

24

29,6

25 – 49 Mitarbeiter

22

27,2

50 Mitarbeiter und mehr

17

21,0

Verteilung auf die Qualifikationsgruppen

Mittelwert

Min – Max

Examinierte Pflegefachkräfte (n = 82)

15,6

0 – 91

Pflegehelfer, Pflegeassistenten (n = 76)

13,1

0 – 91

hoch qualifiziertes Pflegepersonal (Studium, PDL) (n = 63)

1,7

0 – 14

un-, angelerntes Personal (n = 24)

2,3

0 – 29

Verteilung auf Altersgruppen, ohne Azubis, Zeitarbeiter und freie Mitarbeiter

Mittelwert

Min – Max

< 30 Jahre (n = 77)

6,6

0 – 56

30-50 Jahre (n = 75)

17,5

1 – 100

über 50 Jahre (n = 77)

6,9

0 – 28

Verteilung auf Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte

Mittelwert

Min – Max

Vollzeit (n = 79)

9,6

0 – 47

17,4

0 – 90

Teilzeit mit 20-29 Stunden (n = 79)

3,6

0 – 33

Teilzeit mit weniger als 20 Stunden (n = 78)

1,9

0 – 42

Teilzeit mit 30 Stunden und mehr (n = 78)

Wie viele Ihrer Beschäftigten sind…?

Mittelwert

Min – Max

Frauen (n = 81)

29,49

3 – 134

Azubis (n = 33)

2,76

1 – 12

Geringfügig Beschäftigte, Personen auf 400 €-Basis (n = 46)

3,72

1 – 30

Wie viele Ihrer Beschäftigten sind…?

Mittelwert

Min – Max

Zeitarbeiter (n = 2)

1

1 – 1

Freie Mitarbeiter (n = 6)

5

1 – 8

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

67

5.2

Die Einschätzung der Betriebe zur Fachkräftesituation

Die Pflegeeinrichtungen wurden gefragt, wie sich ihr Personalbestand in den letzten drei Jahren vor der Befragung entwickelt hat. Überwiegend berichteten sie von einem Anstieg des Personalbestands. Dies gilt in erster Linie für die Qualifikationsgruppen der examinierten Pflegefachkräfte sowie der Pflegehilfskräfte. Hier bestätigt sich, dass sich der Zuwachs an Pflegebedürftigen in Brandenburg und die damit einhergehende stärkere Nachfrage nach Pflege darin widerspiegelt, dass der Fachkräftebedarf bei den Pflegedienstleistern steigt. Betrachtet man die Personalentwicklung innerhalb der drei Untersuchungsregionen, so besteht insbesondere für die Uckermark ein höherer Bedarf an examinierten Pflegefachkräften, wohingegen der Bedarf nach Pflegehelferinnen und Pflegehelfern und Pflegeassistentinnen bzw. Pflegeassistenten dort wesentlich geringer gestiegen ist. In den Regionen Oberhavel und Cottbus ist der Bedarf an Personal in der Qualifikationsstufe der Pflegehilfskräfte deutlich stärker angestiegen. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Strukturen in der Uckermark mit eher kleinen ambulanten Betrieben eine Mischung unterschiedlicher Fähigkeiten und Qualifikationen („Skill und Grade Mix“) begünstigen bzw. erfordern, die einen höheren Anteil von Fachkräften zur Folge hat. Dies ist insofern plausibel, wird in kleineren Betrieben doch eher von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartet, „alles zu können“ und universal einsetzbar zu sein, als dies in größeren Betrieben der Fall ist. Auf die Fachkräftesituation bezogen ergibt sich daraus jedoch das Dilemma, dass Pflegefachkräfte nicht selten auch Tätigkeiten übernehmen, die eben nicht ihrer Qualifikationsstufe entsprechen. So kann ein „künstlicher“ Mehrbedarf an Pflegefachkräften, der nicht in der Tätigkeit, sondern in der Betriebslogik begründet ist, entstehen. Von den Betrieben sind hier quali-

68

fikationsgerechte Personaleinsatzkonzepte zu fordern und ein stärkerer Skill und Grade Mix anzustreben. Um den zukünftigen Personalbedarf zu prognostizieren, ist auch erhoben worden, wie viele Betriebsabgänge in den nächsten Jahren zu erwarten sind (vgl. Tabelle 5). Am häufigsten wird dabei der Übergang in die Rente als Grund benannt, gefolgt von einem Wegzug wegen erwarteter besserer Arbeitsbedingungen andernorts. Hierbei wird offenbar vermutet, dass besser ausgebildete Kräfte über eine höhere berufliche Mobilität und Flexibilität verfügen. Insgesamt zeichnet sich innerhalb der nächsten drei Jahre bereits ein verstärkter Austritt von Pflegefachkräften im Vergleich zu den anderen Qualifikationsgruppen in den Betrieben ab. Die Notwendigkeit, adäquaten Ersatz für diese Fachkräfte zu rekrutieren, wird demnach am vordringlichsten ausfallen. Der weitaus größte Teil der Befragten geht jedoch davon aus, dass bis 2015 keine Abgänge im eigenen Betrieb zu erwarten sind. Diese Betriebe beschäftigen überwiegend jüngere Alterskohorten, so dass Betriebsabgänge erst später zu erwarten sind. Die Befragung gibt somit auch Auskunft über den zu erwartenden kurzfristigen Ersatzbedarf der Betriebe. Eine längerfristige Perspektive ergibt sich unter Berücksichtigung der Altersstrukturen in den Betrieben und lässt einen mittelfristig steigenden Ersatzbedarf in der Qualifikationsgruppe der Pflegefachkräfte erwarten. Erweitert man den Blickwinkel auf die allgemeine demografische Entwicklung im Land Brandenburg, verschärft sich die Situation durch einen steigenden Bedarf bei sinkender Erwerbsbevölkerung.

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

Tabelle 5:

Entwicklung Personalbestand bis 2015 (n = 82)

Rechnen Sie bis 2015 verstärkt mit Abgängen aufgrund von… (Mehrfachnennungen)

Häufigkeit

Prozent

Übergängen in Rente

30

36,6

Examinierte Pflegefachkräfte

22

73,3

Pflegehelfer, Pflegeassistent

15

50,0

3

10,0

Darunter: Welche Qualifikationsgruppe ist besonders betroffen?

Hochqualifiziertes Pflegepersonal Gesamtantworten

40



Einrichtungen

30



Vorzeitiger Berufsaufgabe

13

15,9

10

76,9

Pflegehelfer, Pflegeassistenten

9

69,2

Hoch qualifiziertes Pflegepersonal

0

0,0

Darunter: Welche Qualifikationsgruppe ist besonders betroffen? Examinierte Pflegefachkräfte

Gesamt Antworten

19



Einrichtungen

13



Wegzug wegen besserer Arbeitsbedingungen

25

30,5

Examinierte Pflegefachkräfte

22

88,0

Pflegehelfer, Pflegeassistent

6

24,0

Hochqualifiziertes Pflegepersonal

1

4,0

33

40,2

Darunter: Welche Qualifikationsgruppe ist besonders betroffen?

Nichts zutreffend, rechne nicht mit Abgängen

Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man nach Untersuchungsregion und Betriebsgröße differenziert. Die am stärksten ländlich geprägte Untersuchungsregion, die Uckermark, weist hier den höchsten Wert erwarteten Wegzugs wegen besserer Arbeitsbedingungen auf, gleichzeitig rechnen die Unternehmen in der Uckermark aber auch am wenigsten mit Betriebsabgängen. Hier zeigt sich ein gewisser Widerspruch, aber auch ein typisches Problem ländlicher Regionen in Bezug auf die Rekrutierung bzw. Bindung von Fachkräften. Generell wird davon ausgegangen, dass ländliche Regionen aufgrund der eingeschränkten Möglichkeiten der Lebensführung und Teilhabe weniger attraktiv für Arbeitneh-

merinnen und Arbeitnehmer sind. Auf der anderen Seite sind die Beschäftigungsalternativen in strukturschwachen Regionen relativ gering, was bei weniger mobilen Fachkräften, etwa aufgrund von Wohneigentum oder familialer Verpflichtungen, eine höhere Verbleibsbereitschaft im Betrieb bedingt. Kleinere Betriebe scheinen insgesamt seltener mit Betriebsabgängen zu rechnen als größere Betriebe. Hierfür lassen sich verschiedene Erklärungsansätze finden. Eine einfache Erklärung könnte sein, dass bei kleineren Betrieben bei gleicher Wahrscheinlichkeit pro Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter für einen Betriebsabgang dieses Ereignis natürlich auch seltener als in größeren Betrieben eintritt. Es

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

69

ist auch vorstellbar, dass Kleinstbetriebe die innerbetriebliche Entwicklung realistischer einschätzen können als größere Unternehmen. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass kleinere Betriebe die Gefahr durch Abgänge eher unterschätzen. Dies würde auf eher gering ausgeprägte Managementfähigkeiten im Bereich der strategischen Betriebsplanung hindeuten, was zur Folge haben könnte, dass ein unerwartet auftretender Ersatzbedarf an Pflegefachkräften noch schwerer zu kompensieren wäre. Für die Frage der Fachkräftesicherung bedeutet das, dass es zum einen gilt, die besonderen Potenziale (bspw. familiäre Atmosphäre) von Kleinstbetrieben aktiv zu nutzen und zum anderen Unterstützungsangebote vorzuhalten, die speziell darauf abzielen, Kleinstbetriebe bei der Bewältigung unerwarteter Personalengpässe zu unterstützen.

Tabelle 6:

Nach bestehenden und erwarteten Rekrutierungsproblemen gefragt, gaben über die Hälfte der Pflegedienstleister an, Probleme zu haben, examinierte Fachkräfte zu gewinnen (siehe Tabelle 6). Geringer sowie höher qualifiziertes Personals zu finden, stellt die Pflegedienstleister bislang noch nicht vor große Probleme. Die mangelnde Relevanz hoch qualifizierten Pflegepersonals in der Pflegepraxis spiegelt letztlich die Regelungen der Sozialgesetzgebung wider, die bedingen, dass Leistungen hoch spezialisierter und hoch qualifizierter Pflegekräfte nicht angemessen vergütet werden, so zum Beispiel Fachpflegekräfte für die Wundversorgung, gerontopsychiatrische Fachpflegekräfte oder Pflegekräfte, die im Sinne einer Advanced Nursing Practice der Heilkundeübertragungsrichtlinie tätig sind.

Rekrutierungsprobleme, aktuell und erwartet (n = 82)

Haben Sie Rekrutierungsprobleme? Sagen Sie uns bitte, ob in den einzelnen Qualifikationsstufen bereits Probleme bestehen oder bis 2015 erwartet werden.

Häufigkeit

Prozent

Examinierte Pflegefachkräfte

45

54,9

Pflegehelfer, Pflegeassistent

12

14,6

Hochqualifiziertes Pflegepersonal

10

12,2

7

8,5

Examinierte Pflegefachkräfte

18

22,0

Pflegehelfer, Pflegeassistent

12

14,6

Hochqualifiziertes Pflegepersonal

12

14,6

6

7,3

Examinierte Pflegefachkräfte

19

23,2

Pflegehelfer, Pflegeassistent

58

70,1

Hochqualifiziertes Pflegepersonal

60

73,2

Un- und angelerntes Personal

69

84,1

Betrifft uns bereits (n = 82)

Un- und angelerntes Personal Erwarten wir (n = 82)

Un- und angelerntes Personal Betrifft uns nicht (n = 82)

70

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

Welche Ursache sehen die Pflegebetriebe für die Probleme in der Personalgewinnung? Die Befragten nennen hier insbesondere den Mangel an frei verfügbarem Pflegepersonal (siehe Tabelle 7). Daneben – wenn auch in geringerem Umfang – wird auch die Qualität möglicher Bewerberinnen und Bewerber als problematisch betrachtet. Dies bezieht sich sowohl auf bereits ausgebildete Fachkräfte als auch auf das Angebot an Ausbildungswilligen. Hier stellt sich ein ernsthaftes Problem dar, das sich plakativ wohl so zusammenfassen lässt: Die, die verfügbar sind, sind die, die man nicht haben will. Dies unterstreicht nochmals, dass die Pflege bereits im Wettbewerb um gute Köpfe steht und die Anforderungen der Pflegepraxis nicht von allen Bewerberinnen und Bewerbern bzw. Interessenten erfüllt werden. Zudem zeigt sich hier auch die generelle Tendenz, dass Personen ohne entsprechende Ausbildung, so genannte un- und angelernte Kräfte, wenig von der steigenden Nachfrage an Arbeitskräften in der Pflegebranche profitieren werden.13 Eine Konsequenz kann hier nur sein,

Tabelle 7:

dieser Personengruppe qualifizierte Ausbildungen zu vermitteln und so den Zugang zum Arbeitsmarktsegment Pflege zu öffnen. Ein weiteres Problem wird in der Kinderbetreuung und der eingeschränkten Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesehen. Beides muss vor dem Hintergrund der Arbeitszeiten in der Pflege interpretiert werden, die sich häufig als inkompatibel mit anderen Bereichen des täglichen Lebens erweisen. Hier zeigt sich, dass eine Mobilisierung von Pflegefachkräften nicht alleine Strukturen betrifft, die unmittelbar mit der Pflege zusammenhängen, sondern auch andere soziale Strukturen einschließen muss und somit gesellschaftlich hoch voraussetzungsvoll ist. Aber auch von den Betrieben muss in diesem Zusammenhang gefordert werden, die betrieblichen Abläufe und Gegebenheiten zu überdenken und womöglich Anpassungen durchzuführen.

13 Dies zeigen Afentakis und Maier (2010) relativ eindrücklich für die gesamtwirtschaftliche Bedarfsentwicklung.

Probleme bei der Rekrutierung von Pflegefachkräften

Was sind ihre größten Probleme bei der Rekrutierung neuer Fachkräfte bzw. warum erwarten Sie Probleme? (Mehrfachnennungen)

Häufigkeit

Prozent

Gesamt

Es ist zu wenig freies Pflegepersonal auf dem Markt.

59

92,2

n =  64

Es fehlen gute Bewerber für die Ausbildung.

45

69,2

n =  65

Die Gehaltsvorstellungen sind zu hoch.

41

64,1

n =  64

Fachkräfte mit Kindern finden keine passende Kinderbetreuung.

35

54,7

n =  64

Fachkräfte sind zeitlich nicht flexibel genug für die betrieblichen Anforderungen.

34

52,3

n =  65

Bewerber sind nicht ausreichend qualifiziert.

30

46,9

n =  64

Fachkräfte finden große Einrichtungen attraktiver.

28

43,8

n =  64

Es fehlt an Zeit oder Geld für die Personalsuche.

20

30,8

n =  65

Bewerbern fehlen die notwendigen Berufserfahrungen.

17

26,2

n =  65

Sonstiges

15

23,4

n =  64

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

71

Differenziert man die Ergebnisse nach der Betriebsgröße, so wird erkennbar, dass kleinere Betriebe annehmen, größere Betriebe hätten bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen Attraktivitätsvorteil. Diese Einschätzung wird von größeren Betrieben jedoch nicht geteilt. Die eingeschränkte zeitliche

5.3

Flexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer scheint sogar eher ein Problem für größere Betriebe darzustellen, möglicherweise sind kleinere Betriebe hier flexibler und können sich besser auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen.

Betriebliche Strategien und Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs

Die Strategien und Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs, lassen sich grob in folgende Strategien einteilen: 1. Erweiterung und Intensivierung der Ausbildung von Pflegefachkräften 2. Verlängerung/Erweiterung von Beschäftigungszeiten 3. Aktivierung von Reserven (Arbeitslose, stille Reserve) 4. Verstärkte Bemühung um An- und Abwerbung von Fachkräften

Tabelle 8:

Die Verteilungen der einzelnen Strategien und Maßnahmen sind in Tabelle 8 ersichtlich. Die bislang am stärksten verfolgte Strategie – wenn auch nur von etwas mehr als der Hälfte der Befragten – stellt die Ausbildung in der eigenen Einrichtung dar. Auch andere Formen der Um- und Weiterbildung werden bereits häufig umgesetzt. Insbesondere das Potenzial von Wiedereinstiegsmodellen wird von der überwiegenden Mehrheit der Betriebe bereits genutzt oder als gangbare zukünftige Strategie angesehen.

Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs

Wie würden Sie auf einen absehbaren Fachkräftebedarf reagieren? Welche der folgenden Möglichkeiten verwirklichen Sie bereits bzw. welche kämen in Frage? (Absolute und relative Häufigkeiten)

72

Machen wir bereits

Käme für uns in Frage

Nichts für uns

Gesamt

Selbst ausbilden

42 (51,9 %)

19 (23,4 %)

20 (24,7 %)

n =  81

Wiedereinstiegsmodelle für „Berufspausierer“

39 (48,1 %)

35 (43,2 %)

7 (8,6 %)

n =  81

Quereinsteiger „umbilden“

36 (44,4 %)

22 (27,2 %)

23 (28,4 %)

n =  81

ältere Mitarbeiter länger im Betrieb halten

33 (40,7 %)

27 (33,3 %)

21 (25,9 %)

n =  81

fähige/interessierte Langzeitarbeitslose einstellen und weiterbilden

23 (28,8 %)

33 (41,3 %)

24 (30,0 %)

n =  80

Höhere Löhne oder Gehälter anbieten

19 (24,4 %)

28 (35,9 %)

31 (39,7 %)

n =  78

verstärkt Ältere einstellen und weiterbilden

17 (21,0 %)

31 (38,3 %)

33 (40,7 %)

n =  81

junge Fachkräfte abwerben

11 (13,7 %)

25 (31,2 %)

44 (55,0 %)

n =  80

gutes Pflegepersonal abwerben

9 (11,4 %)

31 (39,2 %)

39 (49,4 %)

n =  79

Fachkräfte aus Ausland einstellen

7 (9,2 %)

31 (40,8 %)

38 (50,0 %)

n =  76

mehr Zeitarbeiter beschäftigen

3 (3,7 %)

7 (8,6 %)

71 (87,7 %)

n =  81

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

Aus welchen Ländern würden Sie Fachkräfte einstellen?

Ja

Nein

Gesamt

Fachkräfte aus EU-Ländern einstellen

35 (97,2 %)

1 (2,8 %)

n =  36

Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern einstellen

25 (69,4 %)

11 (30,6 %)

n =  36

Sonstiges

18 (22,2 %)

63 (77,8 %)

n =  81

Betrachtet man die bereits umgesetzten Strategien in den drei Untersuchungsregionen, so wird ersichtlich, dass in Cottbus im Vergleich zu den anderen beiden Untersuchungsregionen ein wesentlich größerer Anteil der Pflegedienstleister gezielt Strategien zur Deckung des Fachkräftebedarfs umsetzt. Eine Ausnahme scheint hier lediglich die Berücksichtigung Älterer darzustellen, sowohl was die Bindung Älterer im Betrieb als auch die gezielte Rekrutierung von Älteren in den Bereich der Pflegearbeit betrifft. Auffällig erscheint hier, dass häufiger „aggressive“ Strategien wie das Abwerben von Fachkräften verfolgt werden. Dies lässt sich möglicherweise mit einer schärferen Konkurrenzsituation in städtischen Gebieten erklären. Abwerbestrategien tragen zwar nicht direkt zur Lösung des Fachkräfteproblems bei, doch tendenziell zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, denn der abwerbende Betrieb muss mit einem guten Angebot locken. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der relativ hohen Bedeutung von Abwerbestrategien in Cottbus und der dort vorhandenen Bereitschaft, höhere Löhne und Gehälter zu bezahlen. Höhere Gehälter zu zahlen, um den eigenen Betrieb attraktiver zu machen, ist in den ländlicheren Gegenden entsprechend geringer ausgeprägt.

tion Älterer im Betrieb setzen, auch von kleineren Betrieben häufiger umgesetzt werden, gegenläufig zu den sonst angewandten Strategien. Die etwas besseren Beschäftigungschancen älterer Fachkräfte in ländlichen Regionen und kleineren Betrieben dürften auf zwei wesentliche Zusammenhänge hinweisen: Zum einen scheint die Beschäftigung Älterer eine gangbare Strategie der Fachkräftesicherung in der Pflege zu sein, zum anderen scheinen die Betriebe auf diese Möglichkeit erst zurückzugreifen, wenn der Fachkräftebedarf einen hohen Handlungsdruck erzeugt. Beides spricht dafür, die Möglichkeiten der Beschäftigung älterer Pflegefachkräfte noch intensiver als bisher zu thematisieren, um die Betriebe dafür zu gewinnen, entsprechende Beschäftigungsmodelle zu entwickeln und die vorhandenen Arbeitskraftressourcen effektiver als bisher zur Lösung des Fachkräfteproblems zu nutzen.

Aus den Daten wird auch ersichtlich, dass die Bereitschaft auszubilden mit der Betriebsgröße zusammenhängt. Mit der Betriebsgröße wächst das Spektrum der Maßnahmen, die eingesetzt werden, um den Fachkräftebedarfs zu decken. Wie schon im regionalen Vergleich fällt auf, dass Strategien, die auf die Integra­

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

73

5.4

Betriebliche Sozialleistungen

Neben diesen allgemeinen Strategien stellt sich auch die Frage, inwiefern betriebliche Sozialleistungen oder zusätzliche finanzielle Anreize von den Pflegedienstleistern umgesetzt werden. Betriebliche Sozialleistungen stellen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in zunehmendem Maße wichtige Kriterien bei der Wahl des Arbeitgebers dar. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Entlohnung bei den verschiedenen Arbeitgebern kaum unterscheidet. Klassische Maßnahmen wie Überstundenausgleich, Altersvorsorge, Gesundheitsförderung und Flexibilisierung der Arbeit finden sich in den befragten Betrieben auf den vorderen Rängen wieder (vgl. Tabelle 9). Überstundenausgleich und Altersvorsorge werden von über 80 Prozent der befragten Einrichtungen/Pflegedienstleister bereits ge-

Tabelle 9:

leistet. Vor dem Hintergrund der oben erwähnten Probleme bei der Personalgewinnung und -bindung aufgrund fehlender Kinderbetreuung erweist sich ein weiterer Bereich als interessant: Bei der Unterstützung zur Kinderbetreuung scheint ein großes Potenzial zu liegen. Sozialleistungen in diesem Bereich bieten nur ca. ein Viertel der befragten Pflegedienstleister. Es ist zu erwarten, dass ein Engagement hier in zweifacher Hinsicht Wirkung zeigen würde. Zum einen ergeben sich für den einzelnen Betrieb Marktvorteile, wenn es darum geht, Fachkräfte mit Kindern zu umwerben, zum anderen sind für den gesamten Arbeitsmarktsektor Pflege positive Wirkungen zu erwarten, da sich Berufspausierende aufgrund von Erziehungsaufgaben wieder schneller für den Arbeitsmarkt erschließen ließen.

Betriebliche Sozialleistungen/ finanzielle Anreize

Versuchen Sie, über betriebliche Sozialleistungen oder finanzielle Anreize Arbeitskräfte zu gewinnen und ans Unternehmen zu binden? Welche sind dies oder kämen in Frage?

74

Machen wir bereits

Käme für uns in Frage

Nichts für uns

Gesamt

Sondervergütung oder Freizeitausgleich von Überstunden

66 (82,5 %)

7 (8,8 %)

7 (8,8 %)

n =  80

Betriebliche Altersversorgung, Altersvorsorge

62 (81,6 %)

4 (5,3 %)

10 (13,2 %)

n =  76

Betriebliche Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement

50 (62,5 %)

18 (22,5 %)

12 (15,0 %)

n =  80

Flexibilisierung von Arbeitszeit oder Arbeitsort

46 (57,5 %)

11 (13,8 %)

23 (28,8 %)

n =  80

Unterstützung bei Betreuungs- und Pflegeverantwortung

42 (52,5 %)

22 (27,5 %)

16 (20,0 %)

n =  80

Unterstützung bei der Organisation der Arbeit

39 (48,8 %)

12 (15,0 %)

29 (36,3 %)

n =  80

Übertariflicher Urlaub, Sonderurlaub

25 (31,3 %)

11 (13,8 %)

44 (55,0 %)

n =  80

Unterstützung bei der Kinderbetreuung

23 (28,8 %)

19 (23,8 %)

38 (47,5 %)

n =  80

überdurchschnittliche Entlohnung

21 (26,3 %)

12 (15,0 %)

47 (58,8 %)

n =  80

Anderes

28 (35,0 %)

52 (65,0 %)

0 (0,0 %)

n =  80

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

In den Untersuchungsregionen zeigen sich bei den angebotenen Sozialleistungen kaum Unterschiede. Auffällig sind jedoch die Bereiche „Unterstützung bei Betreuungs- und Pflegeverantwortung“ und „Unterstützung bei der Organisation der Arbeit“. Hier zeigt sich für die Untersuchungsregion Cottbus eine deutlich höhere Umsetzungsrate als für die beiden anderen Regionen. Ein weiterer eklatanter Unterschied ist für den Bereich „überdurchschnittliche Entlohnung“ festzustellen. In der Region Cottbus findet diese Form so gut wie keine Anwendung. Dies bestätigt die Erkenntnis, dass in der Region Cottbus noch kein wesentlicher Mangel an Fachkräften vorliegt, während Einrichtungen in anderen Regionen versuchen, mit einer überdurchschnittlichen Entlohnung Fachkräfte zu gewinnen und zu binden. Besonders die berlinnahe Region Oberhavel weist wohl aus diesem Grund einen hohen Anteil an Pflegedienstleistern auf, die eine nach ihrer Einschätzung überdurchschnittliche Entlohnung bieten.

der Betriebsgröße nahe legen: Je größer der Betrieb, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ein solches Angebot gibt. Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch bei den anderen Sozialleistungen. Am deutlichsten tritt der Zusammenhang im Bereich Kinderbetreuung zu Tage. Keiner der befragten Kleinstbetriebe hielt hier Sozialleistungen vor. Dass Kleinstbetriebe in diesen Bereichen wenig aktiv sind, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit mit den begrenzten Kapazitäten solcher Pflegeanbieter zu tun. Entsprechend ist der Fokus verstärkt auf betriebsübergreifende Initiativen und lokale Kooperationen zu richten, die es auch kleineren Unternehmen ermöglichen, ihren Angestellten entsprechende Angebote zu unterbreiten. Bedarf dürfte wiederum an gezielter Beratung bestehen, die den Klein- und Kleinstunternehmen dabei hilft, kooperative Gestaltungsspielräume zu entwickeln und umzusetzen. Derartige Beratung darf nicht bei der Konzeptentwicklung enden, sondern muss auch bei der Realisierung Unterstützung leisten.

In Tabelle 10 werden die Angebote betrieblicher Sozialleistungen zu Bindung und Gewinnung von Fachkräften unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgröße dargestellt. Während sich der Überstundenausgleich zwischen Betrieben unterschiedlicher Größe kaum unterscheidet, zeigen sich in den Bereichen Altersvorsorge und Gesundheitsmanagement Unterschiede, die einen systematischen Einfluss

Besondere Brisanz gewinnt der Mangel an betrieblichen Altersvorsorgeleistungen vor dem Hintergrund des niedrigen Lohnniveaus bei gleichzeitiger Teilzeitbeschäftigung. Hier besteht im Land Brandenburg ein nicht zu unterschätzendes Risiko der Altersarmut trotz Berufstätigkeit für die in der Pflege tätigen Personen.

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

75

Tabelle 10:

76

Sozialleistungen nach Betriebsgröße

Gewinnung und Bindung von Arbeits- weniger als 10 kräften durch (bereits umgesetzt): Mitarbeiter

10 bis 24 Mitarbeiter

25 bis 49 Mitarbeiter

mehr als 50 Mitarbeiter

Sondervergütung oder Freizeitausgleich von Überstunden

15

19

15

16

93,8%

86,4%

68,2%

100,0%

Betriebliche Altersversorgung, Altersvorsorge

8

17

22

14

50,0%

77,3%

100,0%

87,5%

Betriebliche Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement

7

15

16

12

43,8%

68,2%

72,7%

75,0%

Flexibilisierung von Arbeitszeit oder Arbeitsort

7

14

13

12

43,8%

63,6%

59,1%

75,0%

Unterstützung bei Betreuungs- und Pflegeverantwortung

4

12

15

11

25,0%

54,5%

68,2%

68,8%

Unterstützung bei der Organisation der Arbeit

7

12

10

10

43,8%

54,5%

45,5%

62,5%

Übertariflicher Urlaub, Sonderurlaub

4

3

12

6

25,0%

13,6%

54,5%

37,5%

Unterstützung bei der Kinderbetreuung

0

7

8

8

0,0%

31,8%

36,4%

50,0%

Überdurchschnittliche Entlohnung

4

7

5

5

25,0%

31,8%

22,7%

31,3%

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

5.5

Leistungsangebote der Pflegedienstleister

Welche Dienstleistungen bieten die befragten Einrichtungen eigentlich an? Die praktische Pflege, gewissermaßen das Kerngeschäft, wird von so gut wie allen Pflegedienstleistern angeboten. Deutlich weniger Angebote zeigen sich in den spezialisierten Bereichen Intensivpflege sowie der Kinder- und Jugendpflege. Überraschend hoch ist der Anteil der Palliative Care, waren Hospize und spezifische ambulante Palliativversorgungsdienste in der Stichprobe doch nicht berücksichtigt.14 Die weiteren Felder der Betreuungs- und Pflegeangebote (insbesondere Angebote ohne Spezialisierun-

Tabelle 11: Aktuelle

gen) zeige eine relativ hohe Versorgungsbreite der einzelnen Pflegedienstleister. Lediglich Angebote für eine Wochenendtagespflege sind eher selten zu finden. Dies ist möglicherweise aber auch darin begründet, dass für ein solches Angebot nur eine beschränkte Nachfrage vorhanden ist (auf ein strukturelles Defizit kann hier also nicht zwangsläufig geschlossen werden). 14 Hier müsste noch einmal streng geprüft werden, inwieweit das Selbstverständnis der Pflegedienstleister, Palliative Care zu leisten, einer eher engen Definition von Palliative Care standhalten könnte.

und geplante Angebote Betreuung/ Pflege

Welche besonderen Angebote in der Betreuung und Pflege bieten Sie aktuell schon an oder planen Sie anzubieten? Bieten wir schon an

Planen wir anzubieten

Weder angeboten noch geplant

Gesamt

praktische Pflege

71 (89,9 %)

1 (1,3 %)

7 (8,9 %)

n =  79

Intensivpflege, Heimbeatmung

13 (16,3 %)

4 (5,0 %)

63 (78,8 %)

n =  80

Palliative Care

46 (57,5 %)

7 (8,8 %)

27 (33,8 %)

n =  80

Kinder- und Jugendpflege

25 (31,3 %)

2 (2,5 %)

53 (66,3 %)

n =  80

Anderes

33 (41,3 %)

47 (58,8 %)

0 (0,0 %)

n =  80

stundenweise Betreuung und Pflege

60 (75,0 %)

5 (6,3 %)

15 (18,8 %)

n =  80

Ganztagsbetreuung und -pflege

35 (43,8 %)

6 (7,5 %)

39 (48,8 %)

n =  80

Wochenendtagespflege

27 (33,8 %)

6 (7,5 %)

47 (58,8 %)

n =80

Hauswirtschaftliche Hilfen

69 (86,3 %)

0 (0,0 %)

11 (13,8 %)

n =  80

kulturelle Angebote

61 (76,3%)

1 (1,3 %)

18 (22,5 %)

n =  80

sonstige Serviceleistungen

56 (70,0 %)

2 (2,5 %)

22 (27,5 %)

n =  80

Anderes

21 (26,3 %)

59 (73,8 %)

0 (0,0 %)

n =  80

Spezialisierungen in der Pflege

Ausbau der Betreuungs- und Pflegeangebote

In den Untersuchungsregionen zeigt sich auf der Ebene der Basisversorgung (praktische Pflege, stundenweise Betreuung und Pflege sowie hauswirtschaftliche Hilfen) ein jeweils ähnlich hohes Versorgungsniveau. Unter-

schiede zeigen sich jedoch in den Bereichen stärker spezialisierter Versorgung wie zum Beispiel der Intensivpflege, der Heimbeatmung, der Palliative Care, der Wochenendtagespflege und auch der Ganztagsbetreuung

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

77

und -pflege. Hier scheint sich die Zentrumswirkung von Cottbus zu zeigen, die dazu führt, dass einerseits mehr qualifiziertes Personal für solche Angebote vorhanden ist, andererseits solche Angebote auch vermehrt nachgefragt werden und somit wirtschaftlich sind. Betrachtet man die Angebote nach Betriebsgröße, ergibt sich ein ähnliches Bild. Bei der Basisversorgung gibt es kaum Unterschiede, die sich durch die Betriebsgröße erklären ließen. Fällt der Blick jedoch auf die eher spezialisierten Angebote, wird ein Zusammenhang erkennbar: Je größer ein Betrieb, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass spezialisierte Angebote vorgehalten werden.

Tabelle 12:

Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Angeboten mit Spezialisierungen

Welche Schwierigkeiten bestehen aus Ihrer Sicht bei der Umsetzung besonderer Angebote (mit Spezialisierungen)? (Mehrfachnennungen) (n = 35)

Häufigkeit

Prozent

Die Kosten sind zu hoch.

25

71,4

Unsere Personalkapazitäten sind zu begrenzt, um Fachkräfte für eine Qualifizierung freizustellen.

15

42,9

Die Zeitplanung der Angebote passt nicht/ist ungünstig.

14

40,0

Mein Personal hat nicht die notwendigen Qualifikationen.

7

20,0

Es fehlen die inhaltlich passenden Spezialisierungsangebote.

5

14,3

Anderes

12

34,3

5.6

Aus-, Fort- und Weiterbildung

Im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung zeigt sich, dass ca. die Hälfte der befragten Pflegedienstleister regelmäßig oder gelegentlich ausbilden. Auf die Fachkräfteproblematik bezogen erscheint die Frage von übergeordnetem Interesse, inwieweit die von den Betrieben angebotenen Ausbildungsplätze auch besetzt werden konnten. Tabelle 13 gibt hierzu Auskunft: Bereits 20 Prozent der ausbilden-

78

Es bleibt festzustellen, dass immerhin 35 der befragten Pflegedienstleister Schwierigkeiten bei der Umsetzung besonderer Angebote mit Spezialisierung sehen, obwohl nicht jeder der befragten Betriebe über solche Spezialisierungen verfügt. Die Umsetzung besonderer Angebote unterliegt aus der Perspektive dieser Betriebe häufig Limitationen durch direkte bzw. indirekte Kosten (siehe Tabelle 12). So sind beispielsweise über 40 Prozent der Betriebe mit Umsetzungsproblemen bei speziellen Angeboten aufgrund der dünnen Personaldecke nicht in der Lage, ihr Personal für Fortbildungen freizustellen.

den Betriebe haben Probleme bei der Besetzung vorhandener Ausbildungsplätze. Dies bestätigt auch die in den Fachgesprächen von den Vertretern der Pflegebranche geäußerte Einschätzung, dass weniger von einem Mangel an Ausbildungsplätzen ausgegangen werden muss, sondern vielmehr von einem Mangel an geeigneten und interessierten Bewerbern für eine Ausbildung im Pflegebereich.

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

Tabelle 13: Ausbildung

in der Einrichtung

Bildet Ihre Einrichtung aus? (n =  80

Häufigkeit

Prozent

Ja, regelmäßig

35

43,8

Ja, gelegentlich

6

7,5

Gibt es ihrer Meinung nach Aspekte, die in der Ausbildung zu kurz kommen? (Mehrfachnennungen?) (n = 41) Medizinische Aspekte

18

43,9

Gerontopsychologische Aspekte

16

39,0

Allgemeine Sozialkompetenzen

11

26,8

Pflegepraktische Aspekte

9

22,0

Anderes

9

22,0

Weiß nicht

6

14,6

Keine Angabe

5

12,2

Konnten Sie in den letzten 3 Jahren die angebotenen Ausbildungsplätze besetzen? (n = 41) Ja, komplett

33

80,5

Nur teilweise

5

12,2

Nein, keine

3

7,3

Arbeiten Sie in der Ausbildung mit anderen Pflegeeinrichtungen zusammen? (n = 41) Ja

26

63,4

In welchen Bereichen findet diese Zusammenarbeit statt? (Mehrfachnennungen) (n = 26) bei pflegepraktischen Ausbildungseinheiten

25

96,2

bei schulischen Ausbildungseinheiten

21

80,8

bei speziellen Ausbildungseinheiten

17

65,4

Andere Bereiche

2

7,7

15

36,6

Nein

Würden Sie sich eine Zusammenarbeit in der Ausbildung wünschen? (n = 15) Ja

9

60

In welchen Bereichen würden Sie eine Zusammenarbeit wünschen? (Mehrfachnennungen) (n = 9)

Nein Nein, gar nicht

bei pflegepraktischen Ausbildungseinheiten

8

88,9

bei schulischen Ausbildungseinheiten

8

88,9

bei speziellen Ausbildungseinheiten

2

22,2

Anderes

0 6

40,0

39

48,8

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

79

Insgesamt kann von einer gut etablierten Fortund Weiterbildungskultur in den Betrieben gesprochen werden, die vielfältige Formen der Fort- und Weiterbildung nutzt (siehe Tabelle 14). Sie ist sicher auch in entsprechenden leistungs- und ordnungsrechtlich begründeten Pflichten der Leistungsanbieter begründet. Unklar bleibt jedoch, wer in den Betrieben von diesen Fort- und Weiterbildungen profitiert (denkbar sind relativ breit angelegte FortbilTabelle 14:

Strukturen der Fort- und Weiterbildung

Bieten Sie Ihren Beschäftigten Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten? (n = 80)

Häufigkeit

Prozent

Ja

78

97,5

Nein

2

2,5

Welche Fort-bzw. Weiterbildungsangebote bevorzugen Sie in Ihrem Betrieb? (Mehrfachnennungen) (n = 78)

Häufigkeit

Prozent

Interne Angebote durch externe Anbieter

72

92,3

Externe Angebote

67

85,9

Interne Angebote durch qualifizierte Beschäftigte

62

79,5

In welchen Bereichen, zu welchen Themen haben Sie vor allem Häufigkeit Fort-bzw. Weiterbildungsbedarf? (Mehrfachnennungen) (n = 78)

Prozent

gerontopsychiatrische Fragestellungen (ohne Demenz)

62

79,5

rechtliche Grundlagen, gesetzliche Vorschriften, ...

59

75,6

spezielle Pflegebedarfe

57

73,1

besondere Zielgruppen in der Pflege

57

73,1

Anwendung besonderer technischer Hilfsmittel

57

73,1

Konfliktmanagement, Umgang mit besonderen Personengruppen, Problemlösungsstrategien, ...

55

70,5

Information und Beratung von Angehörigen

48

61,5

Persönlichkeitsentwicklung, Selbstmanagement

37

47,4

Führung von Mitarbeitern, Coaching, ...

36

46,2

Personalauswahl, Personalentwicklung

24

30,8

Anderes

17

21,8

Gut zwei Drittel der Befragten, die Fort- und Weiterbildungen in ihren Einrichtungen realisieren, geben an, keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung und Durchführung von Fortund Weiterbildungen zu haben (siehe Tabelle 15). Die Gründe sind bereits aus anderen Zusammenhängen bekannt: Überwiegend bereiten die Kosten (direkt durch Gebühren und indirekt durch Freistellung des Personals) und

80

dungen für einen Großteil der Belegschaft oder stark ausgeprägte Spezialisierungen einzelner Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter). Inhaltlich orientieren sich die Fort- und Weiterbildungen überwiegend an den fachlichen Erfordernissen pflegerischer Arbeit. Die Bereiche, die von weniger als der Hälfte der Befragten benannt werden, bewegen sich im Themengebiet Führung und Management.

die dünne Personaldecke die größten Probleme. Wesentlich seltener wird genannt, dass passende Bildungsangebote fehlen. Aus den Weiterbildungsaktivitäten der Pflegeeinrichtungen lässt sich schließen, dass sich der Bereich der Pflege durch einen hohen Fortund Weiterbildungsbedarf auszeichnet und hohe Anforderungen an die Betriebe und die dort tätigen Fachkräfte stellt. Großteils sind

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

diese Angebote vorhanden und können den Bedarf decken. Jedoch fällt es den Betrieben schwer, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Fort- und Weiterbildungen freizustellen. Es ist davon auszugehen, dass es für Beschäftigte in der Pflege mit Blick auf die eigene berufliche Weiterentwicklung einen wesentlichen Entscheidungsgrund für einen Arbeitgeber darstellen kann, inwieweit Bestrebungen zur Fort- und Weiterbildung unterstützt werden können. Für Betriebe stellt sich somit die Frage, welche Fort- und Weiterbildungen in Zukunft unterstützt werden sollen, in zweierlei Hinsicht: (1) der Perspektive der betrieblichen Erfordernisse (Welche Kompetenzen sind für

Tabelle 15:

die betrieblichen Abläufe notwendig?) und (2) der Perspektive der Fachkräftesicherung (Welche Bildungsangebote machen meinen Betrieb für Pflegefachkräfte attraktiv?). Aus Tabelle 15 lassen sich aber auch Implikationen für Anbieter von Fort- und Weiterbildungen ableiten: Ein erheblicher Anteil der Befragten hat Probleme mit der zeitlichen Passung der Angebote. Hier wären seitens der Bildungseinrichtungen entsprechende Konzepte zu erarbeiten, die zu den Bedürfnissen dieser Betriebe passen. Hier ist ein nicht unerhebliches Potenzial zu vermuten – immerhin nennt jeder fünfte der befragten Pflegedienstleister dieses Problem.

Probleme bei der Fort- und Weiterbildung

Gibt es Schwierigkeiten bei der Realisierung ihrer Fort- und Weiterbildungsbedarfe? (n=78)

Häufigkeit

Prozent

Ja

24

30,8

Nein

54

69,2

Welche Schwierigkeiten bestehen aus Ihrer Sicht bei der Realisierung ihrer Fort- und Weiterbildungen? (n=26)

Häufigkeit

Prozent

ungünstige Zeitplanung der Angebote

17

65,4

zu hohe Kosten

15

57,7

zu begrenzte Personalkapazitäten, um Fachkräfte für eine Fort-/ Weiterbildung freizustellen

15

57,7

Anderes

8

30,8

fehlende passende Fort- und Weiterbildungsangebote

7

26,9

Desinteresse des Personals

3

11,5

Die Ermittlung des Bildungsbedarfs in den Einrichtungen geschieht überwiegend systematisch und mitarbeiterbezogen. Dennoch werden in mehr als der Hälfte der Betriebe Prognosen über künftige Entwicklungen nicht in die Planung von Bildungsmaßnahmen einbezogen. Überspitzt ausgedrückt ergibt sich ein Bild eines zwar systematischen Bildungsmanagements, das aber eher auf vorhandene Lücken reagiert, als dass es zukünftige Probleme und Trends antizipiert. Den Einrichtungen kann hier empfohlen werden, in Umfeldanalysen strategische Ziele und Potenziale

des Betriebs festzulegen und zukünftig notwendige Qualifikationsprofile der Einrichtung zu erarbeiten. Umfassende Umfeldanalysen sind jedoch mit einem erheblichen Aufwand verbunden, daher ist den Pflegedienstleistern zu empfehlen, diese auf überbetrieblicher Ebene anzustoßen (z. B. auf Verbandsebene). Dem Land, den Kommunen und den Kostenträgern könnte hier ebenfalls eine Rolle zukommen. Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege wäre hier bereits als ein wichtiger Beitrag anzusehen, der ebenfalls in eine solche Umfeldanalyse eingehen kann.

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

81

5.7 Zwischenfazit In Brandenburg besteht derzeit eine Dynamik von Betriebsneugründungen, die sich überwiegend auf kleine Betriebe und Kleinstbetriebe erstreckt. Die Personalbedarfe von Kleinstbetrieben bestehen primär bei dreijährig ausgebildeten Pflegefachkräften. Dies ist mitunter neben den Erfordernissen kleiner Betriebe (jeder soll alles können) auch damit zu erklären, dass sich kaum Unterschiede in der Bezahlung ausmachen lassen. Die Kosten für dreijährig ausgebildete Pflegefachkräfte sind kaum höher als die Kosten für Pflegehilfskräfte: Der Lohnspiegel des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) weist gerade einmal eine Lohndifferenz von etwa 14 Prozent zwischen Altenpflegehelferinnen bzw. Altenpflegehelfern und Altenpflegerinnen bzw. Altenpflegern aus, das entspricht ca. 271 Euro. Für die Fachkräftesituation in Brandenburg ist diese Praxis jedoch problematisch, da davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle Pflegefachkräfte qualifikationsangemessen eingesetzt werden. Den Betrieben ist in diesem Zusammenhang zu empfehlen, differenzierte Personaleinsatzkonzepte zu erarbeiten, da zu erwarten ist, dass sich mit steigender Nachfrage nach Pflegefachkräften auch deren Bezahlung weiter auseinanderentwickeln wird. Die Erstellung solcher Konzepte erfordert von den Betrieben eine detaillierte Analyse der Arbeitsprozesse und Leistungserbringung. Es zeigt sich, dass in den Betrieben personelle Reserven in Form von Teilzeitbeschäftigten vorhanden sind. Inwieweit diese als Personalressource für den eigenen Ersatzbedarf gesehen werden, ist unklar. Aus betrieblicher Perspektive gilt es, systematisch zu erfassen, welche betrieblichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um diese Ressourcen auszuschöpfen.

82

Die Attraktivität eines Arbeitsplatzes ergibt sich neben der Vergütung und der Tätigkeit auch aus den betrieblichen Sozialleistungen. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede je nach Betriebsgröße. Größere Betriebe weisen eine wesentlich höhere Verbreitung der verschiedenen betrieblichen Sozialleistungen auf, mittel- und langfristig ist hier mit einem Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt gegenüber kleineren Betrieben zu rechnen. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, ist letzteren dringend anzuraten, ihr Angebot (auf Basis kooperativer Ansätze) auszuweiten. Derzeit kann nicht von einem Mangel an Ausbildungsplätzen in der Pflege ausgegangen werden, vielmehr besteht das Problem in einem Mangel an geeigneten bzw. interessierten Bewerbern. Hier gilt es, die Attraktivität des Berufsfeldes zu steigern, dies kann unter anderem mit der Erweiterung von Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und Qualifikationen angestrebt werden. Das Innovationspotenzial der Betriebe bei der Schaffung neuer Angebote erfährt insbesondere durch wirtschaftliche Rahmenbedingungen Einschränkungen. So fehlen für einen Teil der Pflegedienstleister die Mittel, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für notwendige Qualifizierungsmaßnahmen freizustellen, andere sehen für Innovationen aber auch Hemmnisse auf der Nachfrageseite, sind doch einige Angebote aus Sicht der Pflegedienstleister schlichtweg zu teuer für die betreuten Personen.

Personalpolitische Herausforderungen – Betriebsbefragung zur Fachkräftesituation

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern 6.1

6

Handlungsfeld 1: Prävention von Pflegebedürftigkeit

6.1.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Die wachsende Zahl von Pflegebedürftigen im Alter erfordert eine intensive Nutzung der Möglichkeiten zur Prävention vor und bei Pflegebedürftigkeit (Behrens 2002 a, Fleischer 2009 et. al. 2008) Mehr als bisher müssen in jedem Verlaufsstadium von Krankheit bzw. eingeschränkter Gesundheit präventive Potenziale ausgeschöpft werden. Gesundheit, Selbstwertgefühl, Autonomie und aktive Teilhabe sind zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern (Behrens 2002, SVR-G 2009, Schüz/Ziegelmann 2012). Es geht darum, ■■ günstige Entwicklungsbedingungen herzustellen, die Schwächen ausgleichen und Stärken fördern sollen, ■■ Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen, die den altersbedingten physischen und psychischen Abbau verzögern, mildern oder verhindern sollen, ■■ Krankheiten zu behandeln, Rückfälle akuter Krankheiten sowie deren Auftreten zu vermeiden und verlorene Fähigkeiten gezielt zu trainieren, ■■ irreversible Verluste von Fähigkeiten zu akzeptieren und ein konstruktives Umgehen mit der beeinträchtigten Gesundheit zu ermöglichen. Altwerden mit möglichst geringem Unterstützungs- und Pflegebedarf hängt von vielen Faktoren ab, die sowohl individuell als auch gesellschaftlich bedingt sind. Lebensstile, Veranlagungen und biografische Ereignisse spielen ebenso eine Rolle wie das Arbeitsleben und die wirtschaftliche Lage. Wahl und Kruse (2012) haben ein allgemeines Modell entwickelt (siehe Abbildung 5), das Pflegebedürftigkeit als Folge von Wechselwirkungen zwischen individuellen und sozialen bzw. umweltbezogenen Faktoren begreift und Interventionen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit einbezieht. Je nach individuellen und sozialen

Ressourcen und Barrieren können gesundheitliche und funktionale Einschränkungen zu sehr unterschiedlichen Pflege- und Unterstützungsbedarfen führen.15 Wahl und Kruse unterscheiden in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention: ■■ In der primären Prävention geht es um die Vermeidung von (chronischen) Erkrankungen. Die im Alter eintretende Pflege­ bedürftigkeit wird durch den Lebensstil und die Lebensbedingungen früherer Jahre mit­bestimmt. In den vergangenen Jahren trat daher Lebenslauforientierung mit frühzeitigen Interventionen stärker in den Fokus der gerontologischen Forschung und Praxis. Dazu gehört die Entwicklung einer auf die soziale Lage fokussierten Gesundheitsförderung („Setting“-Model). ■■ Kernstück der sekundären Prävention, d.h. der frühzeitigen Erkennung von Pflegebedürftigkeit, sind unter anderem präventive Hausbesuche (Fleischer et. Al 2008, Behrens 2002, 2009). ■■ Die tertiäre Prävention betrifft den Erhalt von Alltagskompetenz bei bestehender Multimorbidität und Pflegebedürftigkeit. 6.1.2 Soziale Ungleichheit und Pflegebedürftigkeit Salomon et al. (2012) kommen in einer internationalen Langzeitstudie zu dem Ergebnis, dass in den hoch entwickelten Ländern neben dem Anstieg des Lebensalters zugleich die Zahl der Jahre gestiegen ist, die in guter Gesundheit verbracht werden. In Deutschland stieg bei allgemein zunehmender Lebenserwartung die Zahl der gesunden Lebensjahre zwischen 1990 und 2010 bei den Männern von

15 Beispielsweise entwickeln sich die Folgen eines Schlaganfalls in einem barrierebehafteten Wohnumfeld ungünstiger als in einem den Bewegungseinschränkungen angepassten Umfeld.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

83

Abbildung 5: Allgemeines

Modell von Pflegebedürftigkeit nach Wahl und Kruse

Person

Kontext

Dauerhafte und medizinisch schwer beeinflussbare Fähigkeitsbußen

Materielle Umwelt (einschliesslich Hilfsmittel und soziale Umwelt

Art und Ausmaß der vorhandenen Personressourcen

Art und Ausmaß der vorhandenen Umweltressourcen

Art und Ausmaß von Ressourcenaktivierung und Ressourcensystem: Art und Umfang von Rehabilitation (z.B. rehabilitierende Pflege; Umweltgestaltung); Möglichkeiten und Grenzen des Hilfe- und Unterstützungssystems Art und Ausmaß des Hilfe-/Pflegebedarfs zum zeitpunkt T/ Stabilität des Unterstützungssystems zum Teitpunkt T Quelle: Wahl/Kruse 2012, S.194

62,3 auf 65,8 Jahre und bei den Frauen von 65,8 auf 68,7 Jahre. Diese Entwicklung zu mehr „gesunden Alten“ hat vielfältige Ursachen (Christensen et a. 2010). Dabei haben Menschen aus höheren Einkommens- und Bildungsschichten ein geringeres Risiko zu erkranken und pflegebedürftig zu werden als Menschen mit geringerer beruflicher Qualifikation, die im Beruf und Alltag zumeist größeren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind und oft auch einen riskanteren Lebensstil pflegen (Wahl/Kruse 2012, Strawbridge et a. 1996). Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen niedrigem Qualifikationsniveau, geringem Einkommen und geringeren Gesundheitschancen (Behrens 2002 a und b, 2008). Diese soziale Ungleichheit setzt sich im Alter fort. Es ist noch offen, inwieweit eine im Alter auftretende Einkommensarmut in diesem Sinne die Zugehörigkeit zu einem sozialen Milieu begründet. Gruppen aus höheren sozialen Schichten sind bei der Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten kompetenter als Personen aus niedrigeren sozialen Schichten. Dieser Sachverhalt verweist auf

84

ein grundsätzliches Dilemma sozialstaatlicher Versorgung, nämlich eine vom sozialen Status unabhängige Inanspruchnahme staatlicher Angebote nicht wirklich garantieren zu können. Deshalb kann auch die Forderung nach mehr Selbstverantwortung problematisch sein, weil sie zu einer Überforderung der einzelnen Personen führen und als Schuldzuweisung empfunden werden kann. Das gilt insbesondere für Angehörige von benachteiligten Milieus, die zu einem eigenverantwortlichen Handeln in der Nutzung der gesundheitlichen Versorgung gar nicht oder nicht ausreichend in der Lage sind. Gerade in dieser Gruppe hat die zugehende Betreuung eine besondere Bedeutung (Karl 2012). Fragen der pflegerischen Versorgung standen bislang nicht im Fokus der Forschung zur sozialen Ungleichheit (Behrens 2002). Auch die Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes und die vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) veröffentlichten Daten der Pflegeversicherung bieten keine entsprechenden Informationen. Zwar dürften die aus der Gesundheitswissenschaft bekannten Zusammenhän-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

ge zwischen sozialem Status und gesundheitlicher Lage auch für viele Bereiche in der Pflege gelten, dennoch sind Unterschiede zu beachten. Borchert und Rothgang (2008) untersuchten anhand von Längsschnittdaten einer Kranken- und Pflegekasse das Risiko der Pflegebedürftigkeit bei älteren Männern. Sie kamen zu folgenden Ergebnissen: Der Übergang in die Pflegestufe I wird deutlich durch den Familienstand, den beruflichen Hintergrund sowie durch den allgemeinen Gesundheitsstatuts bestimmt. Bei den Übergängen in die Pflegestufen II und III zeigt sich, dass mit der höheren Pflegestufe der Einfluss der soziodemografischen und sozioökonomischen Faktoren stark zurückgeht. In der Pflegestufe III spielt fast nur noch die medizinische Dimension eine Rolle. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MDK) auch vom sozialen Status der zu pflegenden Person beeinflusst werden kann. Angehörige besser gebildeter sozialer Schichten können ihre Interessen im Begutachtungsprozess häufig besser artikulieren als Personen niedriger sozialer Schichten. Man muss daher von einer systematischen Untererfassung der tatsächlichen Pflegebedürftigkeit in sozial benachteiligten Gruppen ausgehen. Prinzipiell lassen sich zwei Ansätze zur Verknüpfung von Pflege mit Prävention und Rehabilitation unterscheiden. Dies sind zum einen Prävention/Rehabilitation vor Pflege zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit und zum anderen Prävention/Rehabilitation bei Pflege zur Förderung der Selbständigkeit sowie zur Vermeidung oder zum Hinauszögern des Voranschreitens der Pflegebedürftigkeit (Behrens DVfR Markle-Ried et al. 2006, Walter/ Patzelt 2009). Beide Ansätze finden sich in den §§ 5 und 31 SGB XI wieder. Das PflegeWeiterentwicklungsgesetz hat diesen Ansatz weiter ausgebaut. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) muss in je-

dem Gutachten Aussagen dazu treffen, ob und welche geeigneten und zumutbaren Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation im Einzelfall geboten sind (§ 18 Abs.6 SGB XI). Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit wurden entsprechend überarbeitet. Darüber hinaus wurden die Pflegekassen verpflichtet, die Versicherten und – mit deren Einwilligung – den zuständigen Rehabilitationsträger sowie den Hausarzt über die Empfehlungen des MDK zu informieren (§ 31 Abs. 3 SGB XI). Sofern der Versicherte einwilligt, wird dann die empfohlene Rehabilitationsmaßnahme in Gang gesetzt. 6.1.3 Pflegeprävention durch professionelle Pflegedienstleister Die internationale Literatur zeigt, dass gesundheitsförderliche und (pflege-)präventive Interventionen durch Pflegeberufsangehörige sehr spezifisch sein können. Dazu gehören z. B. Sprechstunden für chronisch Erkrankte, Raucherentwöhnungsprogramme oder Rehabilitations- und Diabetesprogramme. Solche Maßnahmen gehen über die hierzulande übliche Verantwortung von Pflegenden hinaus. Obwohl Pflegeberufe für Gesundheitsförderung und Prävention vielfältige Ressourcen und Potenziale bieten, werden sie hierzulande nicht systematisch in die Gesundheitsversorgung integriert (DBfK 2011, Hasseler 2011). Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) stellte 2012 in seinem 3. Bericht zur Qualität in der ambulanten und stationären Pflege fest, dass die Pflegedienste derzeit noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, präventiv zu handeln. Eine individuelle, auf Autonomie und Teilhabe zielende Pflege setzt ein biografieorientiertes, lebensweltbezogenes Konzept voraus (Entzian/Klie 2003). Allerdings gibt es noch keine fundierten theoretischen Aussagen und schlüssigen Konzepte für Rehabilitation in der Pflege bzw. für aktivierende Pflege (Behrens

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2002, 1998, Behrens und Rothgang 2000, Dangel et al. 2005). Im Allgemeinen wird unter aktivierender Pflege das Bemühen verstanden, dass die zu Pflegenden zumindest Teile der eigenen Pflege und täglichen Aufgaben (wieder) selbst übernehmen. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass in der Praxis ein Verständnis von Aktivierung vorzuherrschen scheint, das auf rein körperliche Verrichtungen beschränkt ist. Andere Bereiche wie z. B. Anreize von außen, geistige Herausforderungen, Kontakte und Freude, die Pflegebedürftige dazu bringen könnten, selbst wieder aktiv zu werden, spielen kaum eine Rolle (Zegelin 2005). Ansätze zur Prävention von und Rehabilitation bei Pflegebedürftigkeit gibt es in der ambulanten Langzeitpflege unter dem Schlagwort „Präventiver Hausbesuch“ (Ströbel/Weidner 2003). Hingegen bleibt das präventive und rehabilitative Handeln von Pflegenden in der stationären Langzeitpflege bisher weitgehend unbeleuchtet (Behrens 2002, 2008, Schaeffer/ Büscher 2009, Hasseler 2011). 6.1.4 Ergänzende Befunde aus den Experteninterviews und der Betriebsbefragung Die Prävention von Pflegebedürftigkeit scheint auf den ersten Blick kein realistisches Handlungsfeld von Pflegeeinrichtungen und Pflegekräften zu sein, weil sie auch nach ihrem Selbst(miss)verständnis mit den Folgen von individuellen und sozialen Bedingungen umgehen müssen, auf die sie keinen Einfluss haben. (Zum Einfluss der Fachpflege auf die Verstärkung sozialer Ungleichheit vg. Behrens 2008, 2009, Windeler et. al 2008). Pflegepräventive Maßnahmen bewegen sich im Rahmen der allgemeinen medizinischen Versorgung und Gesundheitsförderungsprogramme von Krankenkassen, Arbeitgebern und dem öffentlichen Gesundheitsdienst. Pflegedienstleister beschäftigen sich mit der bereits eingetreten Pflegebedürftigkeit und nicht mit deren Vermeidung, schon weil solche Leistungen nicht vergütet werden. Auch deshalb plante keine der

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befragten Einrichtungen eine Erweiterung der pflegepräventiven Angebote. Dennoch sollte man Anbieter von Pflegeleistungen auch in Fragen der Primär- und Sekundärprävention zu Rate ziehen. Die Interventionsspielräume sind zu Beginn einer „Pflegekarriere“ bzw. vor Anerkennung der Pflegebedürftigkeit am größten. Allerdings betrifft diese Frage vor allem die bundesrechtliche Regelung der Zusammenarbeit und der Finanzierungszuständigkeiten von Kranken- und Pflegeversicherung und damit ein strukturelles Problem unseres Sozialversicherungssystems. Die Handlungsspielräume der Landespflegepolitik sind hier eher klein. Vor diesem Hintergrund ist die Tertiärprävention, d.h. die Vermeidung einer Verschlechterung bzw. die Milderung des eingetretenen Zustands, das eigentliche Handlungsfeld von Pflegedienstleistern. Sie haben in diesem Sinn eine Beratungsfunktion, die nicht nur die zu pflegenden Personen betrifft, sondern auch ihr familiäres Umfeld. Dabei geht es vor allem um Informationen über entlastende Dienste oder die Anwendung von unterstützenden Produkten und Technologien. Diese Aufgabe setzt ein Gespür für die soziale Lage der Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörigen voraus. Die Aus- und Weiterbildung von Pflegefachkräften sollte diese Fähigkeit gezielt fördern. Die Beratung von Angehörigen und relevanten Kontaktpersonen ist eine wesentliche Ressource zur Optimierung von Versorgungsstrukturen. Sie umfasst die Vermittlung von Krisenberatung, Information über Rechte und Leistungsansprüche pflegender Angehöriger sowie die Vermittlung von Kenntnissen über lokale Unterstützungsangebote und Hilfen. Neben der rein „technischen“ Pflege muss hinreichend Raum bestehen, um den pflegenden Angehörigen Unterstützung anbieten zu können. Darüber hinaus bedarf es dezidierter Kenntnis der (regionalen) Versorgungsstruktur, um bedarfsgerechte Angebote vorschlagen bzw. deren Nutzung einleiten zu können. Beide Voraussetzungen erfüllen die gegebenen Versorgungsstrukturen nur in Ansätzen.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

Der hohe Kosten- und damit Rationalisierungsdruck, vor allem aber die Verrichtungsorientierung fachpflegerischer Ersatzvornahmen bedroht mit einiger Wahrscheinlichkeit rehabilitative Ansätze in der Pflege. Die ökonomischen Rahmenbedingungen behindern eine aktivitätsfördernde und damit zunächst zeitaufwändigere Pflege. So wird z.B. das Ankleiden von Pflegebedürftigen schnellstmöglich erledigt, anstatt sie anzuleiten, die notwendigen Bewegungsabläufe selbst durchzuführen. Auch bei pflegenden Angehörige orientiert sich die Hilfe auf einen bestimmten Zustand, nämlich angekleidet zu sein, und nicht auf die Förderung der Fähigkeit, sich selbständig ankleiden zu können. Professionelle Beratung durch Pflegefachkräfte sollte die hohe Bedeutung der Selbständigkeit von Pflegebedürftigen als Normalzustand betonen, die ihren Wert auch dann nicht verliert, wenn der erreichte Zielzustand nicht dem Normalzustand entspricht. Es bedarf kommunikativen Geschicks, um überzeugend darlegen zu können, dass die motorischen Fähigkeiten des Pflegebedürftigen ein höheres Gut als das korrekt zugeknöpfte Hemd darstellen. Auch in dieser Hinsicht stößt alleinige Pflege durch Angehörige ohne professionelle Unterstützung an Grenzen. Die Entscheidung, unter Inanspruchnahme einer Geldleistung zu Hause zu pflegen, wird stark von der sozialen Lage der pflegenden Angehörigen bestimmt. Die Experteninterviews ergeben, dass diese Wahlleistung vor allem von Personen in Anspruch genommen wird, die als Arbeitslose oder Rentner ohnehin zu Hause sind. Etwa die Hälfte dieser Personen ist, wie Strünck et al. im Rahmen der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege (siehe Abschlussbericht Kapitel 8.5) gezeigt haben, mit der Pflege und den damit verbundenen Anforderungen und Abhängigkeiten überfordert. Dennoch nehmen sie eine Unterstützung durch einen Pflegedienst nicht in Anspruch. Erwerbstätige pflegende Angehörige ziehen Pflegedienstleister früher mit ein als Erwerbslose.

6.1.5 Situation in Brandenburg Wie in den Szenarien (siehe Kapitel 7.1.) noch im Einzelnen dargelegt wird, gehört Brandenburg mit einem Anteil von über 3,8 Prozent Pflegebedürftigen an der Bevölkerung zu den Bundesländern mit der höchsten Pflegeprävalenz und liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt, wo die Pflegeprävalenz bei etwa 3,1 Prozent liegt. Da die Begutachtungsverfahren der medizinischen Dienste der Krankenkassen bundeseinheitlich erfolgen und auch keine erheblichen Unterschiede bei der Beantragung von Pflegeversicherungsleistungen zu vermuten sind, ist die Ursache dieser höheren Pflegeprävalenz in der höheren Pflegebedürftigkeit selbst zu suchen. Die Ursachen der in den Ländern unterschiedlich hohen Pflegebedürftigkeit sind nicht erforscht; dies konnte auch im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Es ist aber davon auszugehen, dass in der Gestaltung insbesondere der sozialen Lebensbedingungen eine relevante Einflussmöglichkeit liegt. Die Altersarmut wird nach Lage der Dinge nicht nur in Brandenburg, sondern in allen neuen Ländern ein zunehmendes Problem. Sie ergibt sich u. a. aus der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit in den 1990er und 2000er Jahren, die unterdurchschnittliche Rentenansprüche zur Folge hat und eine wachsende Zahl von Menschen mit Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hervorbringt (Bertermann et al. 2012). Diese Entwicklung ist von der Landespolitik allein nur begrenzt steuerbar und stellt für die Gesundheits- und Sozialpolitik in Brandenburg eine besondere Herausforderung dar. Wie die Fallstudien in den drei ausgewählten Kommunen zeigen, sind die Bedingungen regional bzw. nach ländlichen und städtischen Gebieten sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch der zuständigen Institutionen unterschiedlich (siehe Kapitel 4). Das Problem der versteckten Armut und die relative Passivität der davon betroffenen Personengruppen verweisen auf die Notwendigkeit der aufsuchenden Beratung

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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mit dem Ziel, Pflegebedürftigkeit möglichst frühzeitig zu erkennen. Das Gesetz gibt der Pflegeversicherung in der Prävention und medizinischen Rehabilitation eine vorrangige Aufgabe (§ 5 SGB XI), die eine enge Kooperation mit den Krankenkassen erfordert. 6.1.6 Handlungsempfehlungen Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen: ■■ Eine auf selbständige Teilhabe am sozialen Leben ausgerichtete Seniorenpolitik erscheint ein wichtiger Ansatzpunkt und Schlüssel für die Senkung der Pflegeprävalenz zu sein. Inaktivität und Einsamkeit stellen relevante Risikofaktoren dar. Die Lebensweise im Alter hat nachweisbare Auswirkungen auf Zeitpunkt und Ausmaß der eigenen Pflegebedürftigkeit. Vor allem aber ist ein aktiver, sozial eingebundener alter Mensch sehr viel besser in der Lage, einen eigenen Unterstützungsbedarf zu erkennen und entsprechende Hilfe zu organisieren. Schließlich erschließt die Aktivität im Alter den Aufbau bzw. Erhalt von informellen sozialen Netzwerken, die bei gleichzeitigem oder späterem Unterstützungsbedarf hilfreich sind. Der zum Teil stattfindende Abbau von Kommunikationspunkten für ältere Menschen (Seniorentreffs) könnte sich daher auch als fiskalisch erweisen. Das Land sollte zur Gestaltung alternsgerechter Lebensbedingungen, insbesondere für die kreisangehörigen Gemeinden, Beratungsleistungen zur Verfügung stellen. Es ist gezielt nach Möglichkeiten zu suchen, frühzeitig mit Informations- und Beratungsangeboten Milieus zu erreichen, die diese von sich aus nicht nachfragen. Die derzeitig verwendeten Medien und Institutionen sollten darauf geprüft werden, ob sie auch diese Zielgruppen hinreichend ansprechen (Behrens 2008, Behrens et. al. 2012). In diesem Zusammenhang erscheint das Modellprojekt der „Vereinbarkeitslotsen“ im Landkreis Oder-Spree, in dem Ehrenamtliche ausgebildet und

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begleitet werden, um in ihrem jeweiligen Umfeld niedrigschwellig erste Fragen beantworten zu können und den Weg zu den professionellen Beratungsstrukturen zu weisen, ein relevanter Ansatz zu sein, der ausgebaut werden könnte. ■■ Es sollte überlegt werden, im Rahmen von Modellprojekten weiterhin die Voraussetzungen und die Akzeptanz von „präventiven Hausbesuchen“ zu erproben. ■■ In Bezug auf die erheblichen, bislang weitestgehend ungenutzten Möglichkeiten der Pflegedienste, in Bezug auf die Tertiärprävention, beratend tätig zu werden, sind auf Bundesebene Regelungen zur Kostenübernahme und Vergütung derartiger Beratungsleistungen erforderlich. Solange deren finanzieller Rahmen nicht geklärt ist, kann die Beratungskompetenz der Pflegedienste nicht verbessert werden. Das Land, die Pflegekassen und die Trägerverbände sollten schlüssige Konzepte für eine noch intensivere Einbindung der Pflegedienste in die Beratung entwickeln. ■■ Die Verbesserung der Pflegeberatung ist zugleich ein Instrument zum alternsgerechten Personaleinsatz. Hier bieten sich Einsatzmöglichkeiten für ältere Pflegefachkräfte, die aus gesundheitlichen Gründen vielleicht nicht mehr in der direkten praktischen Pflege arbeiten können. Für eine solche berufliche Spezialisierung sollten die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden, die auch den Wechsel des Arbeitgebers innerhalb der Pflege einschließen. ■■ Es ist relativ wenig darüber bekannt, welche kritischen Ereignisse im Lebenslauf die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer Pflegebedürftigkeit und -abhängigkeit erhöhen und somit Gegenstand zielgerichteter Prävention sein könnten. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, der nicht nur das Land Brandenburg betrifft, sondern Partner auf der Bundesebene erfordert (Behrens 2009, 2002 b).

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

6.2

Handlungsfeld 2: Wohnen/ Wohnumfeld, Produkte und Technologien

6.2.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Die möglichst lange Aufrechterhaltung der selbstständigen Lebensführung zu Hause ist eine zentrale Aufgabe der Landes- und Kommunalpolitik. Insbesondere hat die dadurch ermöglichte Eigenversorgung – trotz ihrer mitunter belastenden Seiten – erhebliche aktivierende Wirkung. Unter herkömmlichen Wohnbedingungen ist die selbstständige Lebensführung vor allem für viele chronisch kranke ältere Menschen sowie für Behinderte nur schwer bzw. nur mit Überforderungen realisierbar (Heuberger 2010). Die Ausstattung der Wohnung und des Wohnquartiers können unterstützend wirken und Pflegebedarf verringern bzw. verzögern helfen. Haushaltsnahe Dienstleistungen, der Ausbau wohnortnaher Infrastrukturen sowie Wohnraumanpassungen mit barrierefreier Architektur, aber auch Modelle des altersgerechten Gemeinschaftsund Servicewohnens bekommen eine immer größere Bedeutung. 6.2.1.1 Wohnraumanpassung und betreutes bzw. gemeinschaftliches Wohnen In Deutschland werden die Möglichkeiten zur Wohnraumanpassung für ältere Menschen noch nicht ausgeschöpft (Wahl und Oswald 2012). Ein Grund hierfür scheint zu sein, dass diese Maßnahmen viel stärker von der Eigeninitiative der älteren Menschen und ihrer Angehörigen abhängen als etwa in Schweden oder Dänemark, wo sich zugehende Beratungsangebote um altersgerechte Gestaltungen der Wohnungen kümmern. Offenbar ist es auch nicht allgemein bekannt, dass Wohnraumanpassungsmaßnahmen teilweise durch Leistungen der Pflegeversicherung finanziert werden können. Allerdings erweisen sich die aufgrund der begrenzten Finanzierung aus dem SGB XI häufig darüber hinaus erforderlichen finanziellen Beiträge der Betroffenen und

deren Angehörige als Problem, was sich auch in den Fallstudien der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege zeigt (siehe Fallstudie im Altkreis Oranienburg im Landkreis Oberhavel in Kapitel 4.2). Die Diskrepanz zwischen den objektiven Wohnbedingungen und der Wohnzufriedenheit wird mit zunehmendem Alter größer (Oswald et al. 2005). Ältere Menschen haben eine hohe Bindung an ihr angestammtes Wohnquartier, auch wenn es schlecht ausgestattet ist. Das mag auch der Grund für die häufig geringe Motivation sein, sich um Verbesserungen in ihren Wohnungen oder ihrem Wohnquartier zu kümmern. Dem steht die Erkenntnis entgegen, dass sowohl die Wohnungsausstattung als auch das subjektive Wohnerleben gesundheitliche Aspekte haben (Wahl/Oswald 2012). Andere Studien belegen, dass Wohnraumanpassungen pflegenden Angehörigen die Unterstützungs- und Hilfeleistungen erleichtern und dazu beitragen, die Alltagskompetenz insbesondere von demenziell erkrankten Menschen zu verbessern bzw. zu stabilisieren (Gitlin et al. 2006). So wichtig Wohnraumanpassungen wie etwa Verringerung der Barrieren (die streng genommen im Rahmen nicht-altersgerechter Bauplanung erst kostspielig errichtet und dann wieder „rückgebaut“ werden) sind, solche Maßnahmen sind nachweislich nur dann langfristig erfolgreich, wenn sie mit Konzepten „betreuten Wohnens“ verbunden sind, die auch bei Verbleib in der Häuslichkeit Bedürfnisse nach menschlicher Nähe und sozialen Anregungen berücksichtigen (Oswald 2012). Die Fragen und Probleme des gemeinschaftlichen Wohnens in Wohn- oder Hausgemeinschaften sind nur wenig empirisch erforscht. Es gibt Hinweise, dass deren Gelingen zentral davon abhängt, dass nicht nur Sicherheitsund Versorgungsaspekte sondern auch die aktive Mitwirkung der Bewohnerinnen und

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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Bewohner im Vordergrund stehen. Letztere müssen Offenheit und Respekt füreinander empfinden und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zeigen. Entscheidend ist dabei das Halten einer Balance von Nähe und Distanz, um genügend Freiräume zuzulassen, ohne aufdringlich zu werden. 6.2.1.2 Potenziale von technischen Hilfsmitteln Nutzungsprobleme von technischen Hilfsmitteln sind oft darauf zurückzuführen, dass die Hausärztinnen und Hausärzte bei der Verordnung von Hilfsmitteln einen nur unzureichenden Einblick in das häusliche Umfeld der Pflegebedürftigen haben. Sie haben auch keine geeigneten Instrumente, die Wirkung ihrer Verordnungen in der Häuslichkeit zu überprüfen. Die Pflegedienstleister sind hier näher am Geschehen und könnten den Bedarf passgerechter erkennen. Der Sachverständigenrat für Gesundheit (2005) hat auf die fehlende Transparenz im Hilfsmittelbereich hingewiesen und den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten unzureichende Kenntnisse über den effektiven Einsatz von Hilfsmitteln bescheinigt. Andere Expertinnen und Experten kommen zu dem Ergebnis, dass im häuslichen Bereich zwar eine Vielzahl an Hilfsmitteln wie Gehstöcke, Rollatoren, Rollstühle sowie Wannenund Treppenlift vorhanden ist, diese Hilfsmittel allerdings nur selten genutzt werden (Zegelin 2005, S. 135 f.). Sie führen dies auf unzureichende Anleitung und Barrieren im Wohnumfeld zurück. Zudem habe der Umgang mit Mobilitätshilfsmitteln in der Pflegeausbildung einen zu geringen Stellenwert. Bei allen technischen Hilfen ist die Anwenderfreundlichkeit das zentrale Problem. Ebenso spielen individuelle Anpassungen an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer eine Rolle. Weniger die Verbesserung der Technik an sich ist das Problem, als deren Nutzerorientierung. Schon relativ einfache Hilfsmittel wie Hausnotrufsysteme werden

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häufig nicht im gedachten Sinn genutzt. Auch die Nutzung des Potenzials von technischen Hilfsmitteln hängt weitgehend von sozialen und materiellen Lebensumständen ab. Neben dem Haushaltseinkommen spielt dabei das Lebensalter eine zentrale Rolle, wie internationale Studien zeigen (Kangas/Saari 2008, Tacken 2005). Jüngere und besser gebildete Alte zeigen eine größere Technikakzeptanz und haben weniger Nutzungsprobleme. Allerdings kann ein Großteil der Probleme, die Ältere mit Technik haben, durch ein nutzerfreundliches Design sowie insbesondere durch eine schrittweise Anleitung und wiederholtes Training behoben werden (Rogers/Fisk 2010). Technische Hilfen im Haushalt betreffen zum Beispiel die Heizungsregulierung und Badewasserbereitung, die Belüftung der Wohnung, Schließsysteme, Betten mit individuell anpassbarem Liegekomfort sowie Treppenlifts. Aber auch in der Telemedizin bei der Unterstützung von Therapien kommen technische Hilfsmittel zum Einsatz. Vor allem bei der Überwachung von Hochrisikopatienten spielen sogenannte intelligente Technologien eine wachsende Rolle. Auch können Patientinnen und Patienten, die angeleitet durch qualifiziertes Personal unterstützende technische Systeme nutzen, nach einer Operation oder Chemotherapie und bei Erkrankungen wie Asthma, Diabetes mellitus eher in ihr häusliches Umfeld zurückkehren bzw. länger dort bleiben. 6.2.2 Ergänzende Befunde aus den Experteninterviews und der Betriebsbefragung Auch die Experteninterviews sowie die Betriebsbefragung bestätigen die nicht zu unterschätzende praktische Bedeutung dieses Handlungsfeldes sowohl für den täglichen Ablauf der Pflege als auch für die Fachkräftesicherung. Aus diesen Quellen wird insbesondere hervorgehoben, dass das Potenzial vor allem im häuslichen Umfeld der Pflegebedürftigen liegt, dessen Ausstattung meist nicht auf die ergonomischen Erfordernisse einer Pfle-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

gesituation ausgerichtet ist. Die Belastungen für die überwiegend allein arbeitenden Pflegefachkräfte könnten durch gezielten Technikeinsatz reduziert werden, was auch positive Wirkungen auf die Verweildauer im Beruf hat. Technologien und Produkte zur Gestaltung des Wohnumfelds bringen ökonomischen Nutzen für die Pflegebetriebe bei gleichzeitiger Verbesserung der Versorgungsqualität. Wesentliches Problem dieses Handlungsfeldes ist laut Experteninterviews und Betriebsbefragung das Nebeneinander von Unter-, Über- und Fehlversorgung als Folge einer Fehleinschätzung des tatsächlichen Bedarfs. So ist beispielsweise ein Rollator nur dann sinnvoll, wenn sich durch ihn die Bewegungsfreiheit von Pflegebedürftigen erhöht. Sobald diese nicht mehr in der Lage sind, ihn angemessen zu verwenden, ist er überflüssig. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Rollator nur mit Hilfe Dritter eingesetzt werden kann, etwa wenn er die Treppe heruntergetragen werden muss. Auch gibt es Fälle, in denen ein Rollator vorhanden ist, aber eigentlich ein Rollstuhl erforderlich wäre. Assistenz- und Infrastruktursysteme finden sich nicht ausdrücklich in den Brandenburger Rahmenplänen für den theoretischen und praktischen Unterricht sowie für die praktische Ausbildung zur Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege wieder. In der Befragung der professionellen Dienstleister zeigte sich, dass Aspekte der bewussten Gestaltung von Umfeld, Produkten und Technologien von den Diensten und Einrichtungen in der Ausbildung nicht vermisst werden. Hierfür gibt es zwei Erklärungsansätze: Entweder sind die Inhalte der Ausbildungen diesbezüglich ausreichend, oder seitens der Betriebe fehlt es an Sensibilität für diesen Themenbereich. Gegen die erste Erklärung spricht, dass die befragten Dienste und Einrichtungen bei der Integration von Produkten und Technologien in ihre Angebote lediglich Hausnotrufsysteme und den Verleih von Pflegehilfsmitteln nannten. Eine

darüber hinausgehende Beschäftigung mit Technologien und Produkten war im Rahmen der Betriebsbefragung nicht erkennbar. Auch wurden keine Angebote zur Beratung bei der Wohnraumanpassung erwähnt. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass die zweite Erklärung eher zutrifft. Unklar ist, ob dieses Defizit mit einer technikdistanzierten Einstellung der Pflegeberufe, mit wenig überzeugenden Produkten oder mit der mangelhaften Einbeziehung der Pflegepraxis bei der Produktentwicklung zusammenhängt. Die von der Bundesregierung in den letzten Jahren geförderte Entwicklung solcher Angebote hat bislang noch keine Systeme hervorgebracht, die in der Praxis breite Anwendung finden. 6.2.3 Situation in Brandenburg In Brandenburg sind die (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaften wichtige Ansprechpartner für die Bereitstellung und Schaffung von geeignetem Wohnraum für ältere Menschen. Wie exemplarisch in Kapitel 4.1 für Hennigsdorfs gezeigt wird, kümmern sie sich vielerorts nicht nur um barrierefreies und auf die spezifischen Bedürfnisse älterer bzw. behinderter Menschen ausgerichtetes Wohnen. Sie arbeiten auch in Fragen der Information und Betreuung von Pflegebedürftigen eng mit den kommunalen Behörden und den Pflegeeinrichtungen zusammen. Die Kommunen haben hier eine wichtige Koordinierungsfunktion. Für die Einbindung der kommunalen Wohnungswirtschaft in lokale Netzwerke von haushaltsnahen Dienstleistern, Selbsthilfeorganisationen und Anbietern von Pflegeleistungen und medizinischer Versorgung gibt es in Brandenburg gute Ansätze, die weiter ausgebaut werden sollten. Generell scheinen die neuen Länder in dieser Frage wegen des hohen Anteils der kommunalen bzw. regionalen Wohnungswirtschaft besser aufgestellt zu sein als die westdeutschen Länder. Gemeinschaftliches Wohnen von pflegebedürftigen Menschen in „ambulant betreuten Wohngemeinschaften“ kann insbesondere in

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ländlichen Regionen die Möglichkeit eröffnen, trotz hohem Unterstützungsbedarf in der Gemeinde zu verbleiben. Das Landesheimrecht (Brandenburger Pflege- und Betreuungswohngesetz) enthält differenzierte Regelungen, die das Entstehen dieser Wohnpflegeformen unterstützen sollen. Schätzungen zufolge bestehen rund 200 ambulant betreute Wohngemeinschaften in Brandenburg und damit mehr als im Bundesdurchschnitt. Die Nutzung technischer Hilfsmittel von der Gehhilfe bis zu vernetzten Unterstützungssystemen („Ambient Assisted Living – AAL“) ist hingegen nicht nur in Brandenburg nach wie vor defizitär. Hier bedarf es langfristiger Unterstützung und Förderung von Modellprojekten, um die vielfältigen Möglichkeiten solcher Systeme mit den individuellen Bedürfnissen älterer Menschen abzustimmen. Das ist nicht nur ein technischer Vorgang, sondern auch ein kultureller Prozess, in dem es darum geht, Nutzungsbarrieren abzubauen. Daher sollten Pflegedienstleister in die Entwicklung und Evaluation von technischen Assistenzsystemen einbezogen werden. Inwieweit die von den befragten Diensten und Einrichtungen benannten Kooperationspartner (Wohnungsbaugesellschaften, Sanitätshäuser und Therapeuten) in diesem Handlungsfeld agieren, ließ sich in der telefonischen Befragung nicht herausfinden. Die Ergebnisse aus den Experteninterviews (vgl. insbesondere Kapitel 4.1) lassen jedoch darauf schließen, dass sich hier Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften bereits engagieren und vereinzelt auch schon Versuchswohnungen vorhalten. 6.2.4 Handlungsempfehlungen a) Wohnen im Alter ■■ Das Politikfeld „Wohnen im Alter“ erscheint auch landespolitisch noch nicht hinreichend in den Blick genommen zu sein. Erforderlich sind ein intensives Zusammenwirken der beteiligten Ressorts, Lei-

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stungsträger und Verbände zur Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen und die aktive Unterstützung der örtlichen Akteure. Von Initiativen zur Gründung von gemeinschaftlichen Wohnformen wird berichtet, dass sie auf erhebliche Vorbehalte und Hürden sowohl in den verschiedenen ordnungsrechtrechtlichen Zusammenhängen als auch seitens der Sozialleistungsträger treffen. ■■ Die Beratung Pflegebedürftiger sollte stärker mit der Klärung von Anpassungs- und Ausrüstungsbedarf der Wohnsituation verbunden werden. Diese Klärung kann nur in der Häuslichkeit der Pflegebedürftigen erfolgen. b) Techniknutzung ■■ Es wird die Initiierung eines Runden Tisches zur Techniknutzung empfohlen. Hier sollen die verantwortlichen Akteure und Institutionen ihre jeweiligen Perspektiven, Bedürfnisse und Erwartungen austauschen und sich über neue Entwicklungen informieren. Darüber hinaus können hier schon Fragen der Finanzierung sondiert und möglicherweise geklärt werden. ■■ Der Beitrag der Pflegedienstleister könnte unter anderem darin liegen, Produktangebote sowie Anwendungsperspektiven unkompliziert und direkt mit den potenziellen Anwendern zu kommunizieren. Gleichzeitig könnte auf diese Art und Weise die Technikakzeptanz der Pflegedienstleister erhöht werden. So könnten praktikable und finanzierbare Lösungen entstehen, die sich auch positiv auf die Gewinnung von qualifizierten Fachkräften auswirken. Innovative Betriebe können ihre Attraktivität gegenüber weniger innovativen Betrieben steigern. ■■ Bei der Konzipierung technischer Entwicklungen in der Pflege muss jedoch bedacht werden, dass insbesondere für ältere Beschäftigte besondere Qualifikationsbedarfe zu erwarten sind. Diese sollten gezielt

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

gefördert werden, da gerade bei ihnen in gesundheitlicher Hinsicht durch die Reduzierung körperlicher Belastung mit den größten Effekten zu rechnen ist. ■■ Die Rahmenpläne für den theoretischen und praktischen Unterricht sowie für die praktische Ausbildung zur Alten-, Gesundheits- und Krankenpflege sollten in Bezug auf die Vermittlung von Kompetenz zur Techniknutzung und -vermittlung überprüft werden. c) Wohnumfeldgestaltung ■■ Die Pflegedienstleister sollten über erweiterte Beratungs- und Verordnungskompetenzen verfügen. Das setzt voraus, dass die pflegerischen Aus- und Weiterbildungssysteme sich diesem Handlungsfeld widmen. In der Wohnumfeldgestaltung liegt auf jeden Fall ein weitgehend ungenutztes Potenzial für Pflegedienstleister, das gefördert werden sollte. ■■ Ebenso wäre eine Anpassung der entsprechenden Bestimmungen im SGB V erforderlich, die derzeit den Kassenärztinnen und -ärzten das Verordnungsmonopol geben. Hier ist zwar der Bundesgesetzgeber gefragt, aber die Länder können die Initiative für eine entsprechende Regelung ergreifen.

ten technischen Hilfsmittel in Pflegehaushalten und Pflegeheimen anzustreben. Von Interesse wären auch die Nutzungsraten vorhandener technischer Hilfsmittel im Zeitverlauf, also ob z. B. vorhandene Mobilitätshilfen auch mittel- und langfristig Verwendung finden. ■■ Auch bei der Verordnung von Hilfsmitteln sollte man über stärkere eigenverantwortliche Verordnung pflegerelevanter technischer Hilfsmittel durch Pflegefachkräfte nachdenken. Dafür wären die qualifikatorischen Voraussetzungen in der Aus- und Weiterbildung zu schaffen, die zugleich vor allem für ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegediensten eine Karriereoption wären. Wie bereits erwähnt, bedürfte es hierzu einer Änderung des SGB V und dessen stärkerer Verschränkung mit dem SGB XI. ■■ Daraus ergeben sich auch Konsequenzen für die Organisation der Landespolitik, in der die Pflege- und Gesundheitspolitik gegenwärtig jeweils in verschiedenen Ressorts angesiedelt sind. Das sorgt für unnötige bürokratische Abstimmungsprobleme.

d) Hilfsmittelnutzung ■■ Es gibt keine aussagekräftige empirische Grundlage für Handlungsfelder im Bereich der Hilfsmittelnutzung, die über eine rein quantitative Beschreibung hinausgeht. Der Heil- und Hilfsmittelreport der Barmer GEK (2012) zeigt, dass Brandenburg im Ländervergleich die niedrigsten Ausgaben für Hilfsmittel hat. Das kann ein Hinweis auf systematische Unterversorgung sein. Um das Potenzial einer durch Pflegefachkräfte gesteuerten Hilfsmittelnutzung zur Vermeidung von Fehl-, Unter- und Überversorgung abschätzen zu können, wäre eine anlassbezogene Erfassung der eingesetz-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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6.3

Handlungsfeld 3: Unterstützung häuslicher Pflege und Förderung eines Wohlfahrtsmix reren Akteuren. Dabei spielen auch die Pfle6.3.1 Erkenntnisse aus der gedienstleister eine zentrale Rolle. Sie sind Wissenschaft gegenwärtig zwar nicht die Initiatoren solcher Die vorliegenden Forschungsergebnisse seNetzwerke, sollten diese Rolle aber perspekhen in der Stabilisierung und Förderung von tivisch in Kooperation mit dem Land und den Unterstützungssystemen für die Pflege und Kommunen übernehmen und entsprechende Betreuung in häuslicher Umgebung das wohl Kompetenzen erwerben. Ihre spezifische wichtigste Handlungsfeld der Pflegepolitik. Im Funktion erstreckt sich dabei auf die KoordiVordergrund steht der Auf- und Ausbau eines nation und die ergänzende Leistungserbrin„Wohlfahrtsmix“ aus professioneller Pflege, gung im Zusammenspiel mit anderen AkteuUnterstützung durch Angehörige und ehrenren (zum Beispiel mit Wohnungsbaugesellamtlichen Engagements. Das gilt für die Beschaften, Freiwilligenagenturen, niedergelastreuung von Behinderten aller Altersstufen senen Ärzten und Ärztinnen usw.) sowie auf ebenso wie für die Pflege älterer und kranker die Kommunikation und Planung von pflegePersonen. Nach wie vor ist die eigene Wohrischen Versorgungssystemen. nung der zentrale Ort der Pflege (Nägele/Bäcker 2011) und das mit zunehmender Ten6.3.2 Pflegebereitschaft der denz. Die häusliche Pflege entspricht nicht nur Angehörigen den Wünschen der Menschen, ihr kommt Wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Wahl auch eine große Bedeutung bei der Vermeider Pflegeform und das Zustandekommen eidung von Pflegebedürftigkeit und -bedarf zu. nes häuslichen Pflegearrangements ist das Sowohl die frühzeitige Reaktion auf sich abUnterstützungssystem, das den Pflegebedürfzeichnende Unterstützungsbedarfe als auch tigen zur Verfügung steht (Rothgang et al. die Wiederherstellung zeitweise verlorener 2009). Dabei zeigt sich, dass EinpersonenKompetenzen gelingt in der Regel in den eihaushalte eine geringere private bzw. familiägenen vier Wänden besser als in dem letztlich re Unterstützung haben als größere Haushalfremden Umfeld einer stationären Einrichtung. te mit Pflegebedürftigen. Deshalb ist die Zahl der Einpersonenhaushalte ein wichtiger IndiAuf der regionalen Ebene spielen vor allem kator für den Bedarf an professioneller Hilfe. die Pflegestützpunkte und die Gestaltung des Zudem scheint weniger die Zahl der für die Wohnumfeldes einschließlich der VerkehrsanPflege infrage kommenden Kinder von Bedeubindungen eine Rolle bei der Entscheidung, tung zu sein als der Umstand, dass überhaupt ob zuhause gepflegt wird. Das Funktionieren ein Kind vorhanden ist. der häuslichen Pflege hängt aber wesentlich von der sozialen Umgebung sowie der PfleAndere Untersuchungen zeigen, dass es im gebereitschaft der Familien bzw. des privaten bürgerlich-liberalen Milieu eine grundsätzlich Netzwerkes ab. Vorhandene Befürchtungen geringere Bereitschaft zur familialen Pflege über eine rückläufige Pflegebereitschaft unter gibt (Blinkert 2005, Blinkert/Klie 2008). Sie ist Angehörigen haben sich zwar als unbegrünin unteren Bildungs- und Einkommensschichdet erwiesen, jedoch beruht diese Bereitschaft ten stärker ausgeprägt als in höheren. Die auf bestimmten, teilweise schichtspezifischen günstigsten Bedingungen für häusliche Pflege Voraussetzungen. liegen vor, wenn jemand in einer ländlichen Die pflegerische Versorgung ist ein gemeinRegion lebt, über ein stabiles nachbarschaftschaftliches Dienstleistungsprodukt von mehliches bzw. familiäres Unterstützungsnetzwerk

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Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

verfügt und die Hauptpflegeperson einen niedrigen Sozialstatus sowie einen traditionellen Lebensentwurf hat. Aus diversen Untersuchungen geht hervor, dass bei der Pflegebereitschaft der Beruf bzw. Arbeitsmarkt sowie räumliche Nähe bzw. Entfernungen eine entscheidende Rolle spielen. So kommt in statushöheren Milieus den sogenannten Opportunitätskosten eine große Bedeutung zu. Darunter werden Kosten verstanden, die entstehen, wenn wegen der Betreuung von Pflegebedürftigen auf attraktive berufliche oder wirtschaftliche Chancen verzichtet wird. Diese Restriktionen für die Übernahme einer Pflege sind in höheren sozialen Schichten weitaus häufiger als in niedrigeren. 6.3.3 Genderaspekte der familialen Pflege Etwa drei von vier Hauptpflegepersonen sind Frauen. Sie geben bei einem Pflegefall im Haushalt eher (zumindest vorübergehend) ihre Erwerbstätigkeit auf. Dabei spielt ihre im Vergleich zu Männern meist geringere Entlohnung eine Rolle (Gröning 2004, Rothgang et al. 2010). Allerdings zeigt die Statistik der Rentenversicherungsträger, dass die Zahl der weiblichen Pflegepersonen, die Rentenansprüche erwerben, leicht rückläufig ist, während die Zahl der männlichen annähernd konstant bleibt. Ursache hierfür könnte u.a. die wachsende Vollzeitberufstätigkeit von pflegenden Frauen sein. Einige Studien kommen bei älteren, nicht mehr Erwerbstätigen zu einer „überraschend“ hohen Bereitschaft und Beteiligung von Männern an Pflegearrangements (Schupp/Kühnemund 2004) oder halten das Pflegepotenzial bei Männern für unterschätzt (Romoren 2003). Letzteres gilt insbesondere für strukturschwache und dünn besiedelte Regionen, wie Langzeitstudien aus Norwegen zeigen. In Regionen mit größeren Ressourcen und alternativen Unterstützungsmöglichkeiten übernehmen Männer eher das „Management“ der Pflege als die direkte persönliche Betreuung (Brückner 2008). Alles in

allem zeigt sich, dass zwar nach wie vor Frauen die Hauptlast der familialen Pflege tragen, es aber im Zuge des allgemeinen Wandels der Geschlechterverhältnisse Tendenzen zu mehr Pflegebereitschaft bei Männern gibt. 6.3.4 Spezifische Belastungen pflegender Angehöriger Pflegende Angehörige sind erheblichen körperlichen, seelischen, sozialen und finanziellen Belastungen ausgesetzt. Sie haben, wie sich anhand von Krankenkassendaten ermitteln lässt, ein höheres Krankheitsrisiko als Personen ohne diese Belastungen (Döhner/ Kohler 2012). Psychische Belastungen ergeben sich in unterschiedlicher Form aus den jeweiligen Leiden und Defiziten der Pflegebedürftigen. Dazu gehören Wesensveränderungen mit gesteigerter Aggressivität und unkontrollierten Handlungen, der Verlust von Artikulations- und Beziehungsfähigkeit oder die Orientierungslosigkeit der zu pflegenden Personen. Das betrifft insbesondere Demenzkranke und Schlaganfallpatienten und -patientinnen. Hinzu kommt, dass es in der Regel keine Aussicht auf Veränderungen zum Besseren gibt und man die Nähe zum Sterben und Tod eines geliebten Menschen unmittelbar erfährt. Auch sind Scham, Peinlichkeits- und Ekelgefühle nicht selten. Psychosoziale Belastungen ergeben sich aus dem Verschweigen von Konflikten und ggf. aus der früheren Beziehung zwischen Pflegeperson und dem zu Pflegenden. Partnerschaften und Eltern-Kind-Beziehungen wirken nach und erfordern oft eine neue Rollendefinition, die nicht immer akzeptiert wird. Auch entstehen Konflikte innerhalb der Familie oder im Freundeskreis wegen einer mangelnden Anerkennung der Pflegearbeit. Hinzu kommen Einschränkungen im sozialen Leben. Freundschaften können u.U. nicht mehr angemessen gepflegt werden, eigene Neigungen und Interessen stehen hintenan.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

95

6.3.5 Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige Es gibt eine ganze Reihe von Unterstützungsund Entlastungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige. Sie können in Angebote unterteilt werden, die sich primär an die Pflegebedürf­

Abbildung 6:

tigen richten und dadurch die Pflegepersonen indirekt entlasten, sowie solche, die sich direkt an die pflegenden Angehörigen wenden. In Abbildung 6 sind die wichtigsten dieser Möglichkeiten aufgelistet.

Indirekte und direkte Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige

Indirekte Maßnahmen

Beispiele

Niedrigschwellige Betreuungsangebote

Besuchsdienste, Betreuungsgruppen, Alltagsbegleiter, Seniorenbegleiter, Pflegebegleiter, Nachbarschaftshilfe

Unterstützung bei der häuslichen Pflege und hauswirtschaftlichen Versorgung

Pflegedienste, technische Hilfen wie z.B. Hausnotruf, Essen auf Rädern, Haushaltshilfen/haushaltsnahe Dienstleistungen, Tages- oder Nachtpflege

Dauerhafte Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch Dritte

Pflegeheime, Wohngemeinschaften, 24-Stunden-Betreuung in der eigenen Häuslichkeit (i. d. R. durch Migrantinnen)

Direkte Maßnahmen

Beispiele

Förderung der Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbsarbeit

Arbeitgeberseite (betriebliche Maßnahmen, individuelle Vereinbarungen) sowie gesetzliche Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität, Recht auf Teilzeit, Freistellung für die Pflege

Auszeit von der Pflege (akut oder geplant)

Angebote für den Notfall, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege

Austausch mit anderen

Selbsthilfegruppen, Angehörigengruppen unter professioneller Anleitung

Gemeinsame Aktivitäten mit dem Pflegebedürftigen

Betreuter Urlaub/gemeinsames Kuren, Tanzcafé

Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebote

Pflegekurse für Angehörige; Anrecht auf eine Rehabilitationsmaßnahme/ Kur, betreuter Urlaub und Wochenendseminare, Erlernen von Entspannungstechniken

Finanzielle Entlastung

Pflegeversicherung, Sozialhilfe, Rentenansprüche, kostenlose Unfallversicherung, Erbrecht-

(Quelle: Döhner/Kohler 2012)

In den Niederlanden wurde auf Basis des 2007 novellierten Sozialfürsorgegesetzes massiv in den Aufbau lokaler Unterstützungsstrukturen investiert. Gefördert wurde auch das bürgerschaftliche Engagement, bei dem die Niederlande europaweit an der Spitze liegen (Bussemaker 2007). Ehrenamtliche sollen im Zusammenwirken mit familialer und professioneller Pflege eine neue „Sorgekultur“ entwickeln (Arksey/Morée 2008). Da die familiären und wohlfahrtsstaatlichen Ressourcen begrenzt sind, werden moderne Gesellschaften auf dieses Paradigma einer „neuen Sorgekultur“ angewiesen sein, wenn sie der wachsenden Zahl von pflegebedürftigen Menschen die Sicherung ihrer Würde und Teilhabe

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garantieren wollen (Behrens 2005, Klie 2005). In dem Zusammenhang sind vor allem Interessenvertretungen pflegender Familienmitglieder und andere informelle Hilfen (z. B. regionale Seniorenräte) zu nennen, die auch politischen Druck ausüben können, wie Beispiele in den Niederlanden, Großbritannien und Irland zeigen. In Deutschland entwickelt sich dieser Ansatz erst allmählich (Kohler und Döhner 2007), z. B. in dem Verein „Wir pflegen – Interessenvertretung begleitender Angehöriger und Freunde in Deutschland“ (www.wirpflegen.net) unter dem Dach der Vertretung pflegender Angehöriger in Europa „EUROCARERS“ (www.eurocarers.org).

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

6.3.6 Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit Am Beispiel der skandinavischen Länder lässt sich zeigen, dass die Erwerbstätigkeit von pflegenden Familienangehörigen in engem Zusammenhang mit der Qualität und dem Angebot professioneller Dienste steht (Stiehr/ Spindler 2006, Haberkern/Szydlik 2008). Dort ermöglichen die Hilfe- und Unterstützungsangebote den privat Pflegenden in weit höherem Maß als in Deutschland ein möglichst normales Leben zu führen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Kernproblem ist aber europaweit der Wiedereinstieg pflegender Angehöriger in den Arbeitsmarkt. Fortschreitende Pflegebedürftigkeit der zu pflegenden Person hat bei ihnen oft eine Reduzierung der Arbeitszeit oder die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit zur Folge. Dieser Prozess wird aber nicht umgekehrt, wenn die Angehörigenpflege reduziert oder beendet wird. Zahlreiche Studien zeigen, dass in dieser Frage sowohl betriebliche Vereinbarungen als auch sozial- bzw. arbeitsmarktpolitische Regelungen hilfreich sind (Reichert 2012). Das Thema Vereinbarkeit von Angehörigenpflege und Berufstätigkeit ist in letzter Zeit stärker ins Blickfeld der Politik gekommen. Dafür gib es nicht nur sozialpolitische Gründe, auch aus der Perspektive der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik wird dieses Problem als Beitrag zur Fachkräftesicherung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wichtig. Die Probleme in der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und familialer Pflege lassen sich wie folgt zusammenfassen (Barkholdt 2004): ■■ Verminderte Chancen für Karriere und Weiterbildung, ■■ Reduzierung bzw. Umgestaltung der Arbeitszeit (z. B. Wechsel in Teilzeittätigkeit bzw. flexible Arbeitszeiten, häufig mit der Folge gestiegenen Arbeitsdrucks), ■■ Beendigung der Erwerbstätigkeit, was vor allem dann als Belastung empfunden wird, wenn berufliche Pläne aufgegeben wer-

den müssen und/oder der Beruf eine hohe Befriedigung bietet, ■■ Einkommenseinbußen durch Teilzeitarbeit, verpasste Karrierechancen und Reduzierung der Rentenansprüche. Die Gesetzgebung auf Bundesebene hat in der Vereinbarkeit von Beruf und häuslicher Pflege einige neue Akzente gesetzt, die weiter ausgebaut werden müssen. Das gilt vor allem für die Akzeptanz und die Informationen über die angebotenen Leistungen. Sowohl die neu eingeführte kurzzeitige Freistellung von der Arbeit bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit eines nahen Angehörigen als auch die Pflegezeit von bis zu einem halben Jahr wurden jedoch bislang von Hauptpflegepersonen kaum in Anspruch genommen. Etwa die Hälfte der Anspruchsberechtigten gab in einer 2010 durchgeführten repräsentativen Umfrage an, dass eine Freistellung oder die Pflegezeit zur Sicherstellung der häuslichen Versorgung nicht erforderlich gewesen sei. Zugleich gaben über 50 Prozent der anspruchsberechtigten Pflegehaushalte an, dass ihnen ihre Anspruchsberechtigung nicht bekannt gewesen sei (TNS Infratest 2011). 6.3.7 Besondere Herausforderung Demenz Besondere Herausforderungen an die Aufrechterhaltung häuslicher Pflegearrangements stellt die Situation demenziell Erkrankter und ihrer Angehörigen dar, deren Probleme früher durch das SGB XI nicht abgedeckt waren. Aufgrund der SGB XI-Reformen von 2003 und 2008 entsteht hier zwar ein breiteres Angebot an Unterstützungsmöglichkeiten, das aber aus diversen Gründen nicht im anvisierten Maße genutzt wird. In mehr als der Hälfte der Fälle wurde als Grund für die Nichtinanspruchnahme genannt, dass die pflegebedürftige Person nicht von Fremden betreut werden möchte. Als weiterer Grund wurde genannt, dass die bestehenden Angebote nicht den Bedürfnissen entsprächen. Rothgang et al.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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(2011) benennen als weiteren Grund, dass die Preise der zusätzlichen Betreuungsleistungen oftmals als zu hoch wahrgenommen werden. Zudem werden flexiblere Nutzungsmöglichkeiten gewünscht. Grundsätzlich befürworten jedoch 83 Prozent der Pflegehaushalte den Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote und 79 Prozent die Förderung des nachbarschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements (TNS Infratest 2011). Döhner/Kohler (2012) nennen als weitere Gründe für geringe Nutzungsraten von Unterstützungsleistungen für pflegende Angehörige, dass vielfach Informationslücken bestehen oder Angebote, vor allem im ländlichen Raum, nicht flächendeckend vorhanden sind. Zudem kann es schwer fallen, sich im „Angebotsdschungel“ zurechtzufinden. Hinzu kommt, dass sich viele aufgrund eines schleichenden Beginns der Pflegesituation, lange nicht als „pflegende Angehörige“ wahrnehmen und folglich ihre Ansprüche nicht geltend machen. Die Nichtinanspruchnahme von Leistungen ist kein spezifisch deutsches Problem, sondern international zu beobachten (Weber et al. 2011). Auch die Gründe dafür sind meist die gleichen: Es fehlt an geeigneten Informationen und vor allem an Zugängen zu ihnen. 6.3.8 Gemischte Unterstützungsarrangements – Modelle einer „sorgenden Gemeinschaft“ Modelle einer „sorgenden Gesellschaft“, die sich durch einen „Wohlfahrtsmix“ aus sozialstaatlicher Fürsorge und bürgerschaftlichem Engagement auszeichnen, sind mittlerweile breiter Konsens in der Literatur (Tesch-Römer 2001, Klie/Roß 2005, Wißmann 2012). Diese Orientierung ergibt sich schon daraus, dass vor allem Angehörige und Freunde im direkten Umfeld sich abzeichnende Pflegebedürftigkeit und deren Bedarfslagen frühzeitig erkennen und die sich daraus ergebenden ersten Schritte ergreifen können. In den skandinavischen Ländern hat sich dieser Ansatz längst etabliert (Heinze 2009), während in Deutschland noch

98

immer ein eher „nachsorgendes“ Verständnis von Sozialpolitik vorherrscht. Bürgerschaftlich organisierte Hilfen in haushaltsnahen pflegerischen Diensten werden eher als aus der Not geborene Ergänzungen verstanden und nicht als effektives Instrument zur Förderung von Teilhabe und selbstständigem Handeln. Der Erfolg eines Wohlfahrtsmix ist allerdings abhängig von einem soliden Fundament der professionellen Pflege. Das zeigt sich gerade in Skandinavien. Dort sehen deutlich weniger Personen als in süd- und mitteleuropäischen Ländern die häusliche Pflege von Angehörigen als Hauptaufgabe der Familie an, was aber nicht als ein Rückzug aus der Verantwortung für Familienmitglieder zu werten ist. Internationale Vergleiche belegen, dass gerade in Gesellschaften mit gut entwickelter Dienstleistungsinfrastruktur in der Regel eine Kombination aus familialen und wohlfahrtsstaatlichen Hilfeleistungen vorzufinden ist. Eine gute professionelle Infrastruktur wirkt sich auch positiv auf familiale Unterstützungsarrangements und die Lebensqualität der Unterstützungsbedürftigen aus (Lowenstein 1999, Tesch-Römer 2006). In Skandinavien sind Angehörige weniger in die direkte körperbezogene Pflege involviert. Sie übernehmen verstärkt die Organisation und Koordination der anfallenden Aufgaben im Sinne von „Fallmanagern“ (Da Roit 2007, Haberkern/Szydlik 2008). Wichtig beim Zusammenwirken familialer und professioneller Pflege ist es, die Bedarfe der Familienangehörigen zu erkennen (Garcés et al. 2009, Mantovan et al. 2010). Das betrifft vor allem pflegende Frauen, weil diese häufig über ihre Belastungsgrenzen hinausgehen, ehe sie Hilfe in Anspruch nehmen. Mit der Überforderung der Familie wachsen auch die allgemeinen Pflegedefizite und die Ungleichheit in der Wahrnehmung von Betreuungsund Pflegeangeboten. Darin liegt nicht nur eine sozialpolitische, sondern auch eine familienpolitische Herausforderung (Blinkert/Klie

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

2008). Spezifische Unterstützungsangebote z.B. für pflegende Angehörige von demenzerkrankten Personen haben positive Effekte auf Depressivität und subjektives Wohlbefinden sowie auf Fähigkeiten im Umgang mit den zu pflegenden Personen. Hilfreich sind u. a. unterstützende und pflegeentlastende Angebote (individuell oder in Gruppen), Case und Care Management Trainingsprogramme sowie psychotherapeutische Angebote. Insgesamt führen psychoedukative Gruppenangebote mit aktiver Beteiligung pflegender Angehöriger zu besseren Effekten als reine Informationsweitergaben. In Deutschland gibt es im Zusammenwirken familialer und professioneller Pflege erheblichen Nachholbedarf, jedoch zeichnet sich ein Umdenken ab (Schroeder 2012). Es gibt zahlreiche praktische Beispiele für Projekte, die auf nachbarschaftlicher bzw. kommunaler Ebene ein neues soziales Miteinander in der Betreuung älterer Menschen pflegen (Wißmann 2012). Solche Projekte zivilgesellschaftlichen Engagements wurden bereits zwischen 2000 und 2004 vom Bundesmodellprogramm „Altenhilfestrukturen der Zukunft“ gefördert (BMFSFJ 2004). Gegenwärtig werden in diesem Sinn von der Bundesregierung Projekte von Mehrgenerationenhäusern und die Modellprogramme „Aktiv im Alter“ und Freiwilligendienste aller Generationen“ finanziert (BMFSJ 2009a und 2009b, 2010a, 2011a). Die Palette freiwilliger Unterstützungsformen ist breit und wird von einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen mit älteren engagierten Menschen angeboten. Dazu gehören z. B. Nachbarschaftshilfen, „Die Grünen Damen und Herren“, Verbände und Vereine der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO), pflegebezogenes Engagement im Hospiz- und PalliativBereich, die Alzheimer-Gesellschaften und Alzheimer-Angehörigengruppen, Freundeskreise im Umfeld von stationären Langzeitpflegeeinrichtungen, Seniorengenossenschaften oder die sog. Pflegebegleiterinnen und -begleiter (vgl. BMFSFJ 2011c).

6.3.9 Ergänzende Befunde aus den Experteninterviews und der Betriebsbefragung Die Mitwirkung in Netzwerken der geteilten Aufgabenverantwortung hat auch betriebswirtschaftliche Aspekte. Das Potenzial kann nur mit einer gewissen Flexibilität und Marktorientierung der Betriebe gehoben werden. In dieser Beziehung zeigten sich in der Betriebsbefragung die privaten Unternehmen häufig als etwas beweglicher als die frei-gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände. Sie entwickeln ihre Angebote aber auch eher unter betriebswirtschaftlichen als unter gemeinnützigen Aspekten. Wohlfahrtsverbände kooperieren in der Regel wesentlich enger mit den Kommunen, agieren sozialraumorientierter und werden entsprechend stärker vor Ort wahrgenommen. Vor allem bei der Einführung neuer Leistungen scheinen wohlfahrtsverbandliche Anbieter jedoch etwas hinterher zu hinken und an einem eher traditionellen Leistungsportfolio festzuhalten. Hier könnten die Trägerverbände deutlich aktiver werden, indem sie Beratungs- und Schulungsangebote entwickeln. Fragen der Organisationsentwicklung und Produktinnovation stehen bisher zu wenig in ihrem Fokus. Sie brauchen hier die Unterstützung des Landes. Angebote der Pflegedienstleister werden eher im Hinblick auf Marktchancen und weniger aus der Versorgungsperspektive entwickelt. Leistungen, die über das gesetzlich festgeschriebene Leistungsniveau hinausgehen, werden nur reduziert angeboten. Ein mittel- und langfristiges Engagement der Pflegedienstleister in kommunalen Kooperationsstrukturen wird nur durch finanzielle Anreize oder durch perspektivisch wahrgenommene Marktvorteile zu erreichen sein. Die Befragung der Pflegeeinrichtungen in Brandenburg ergab, dass sie zwar mit unterschiedlichen Akteuren kooperieren, es hier jedoch deutliche Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Wie Tabelle 16 zeigt, gibt es Kooperationen vor allem mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, aber auch mit Vertreterinnen und

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

99

Vertretern der Kommunen und des Landkreises. Die Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren (Mehrgenerationenhaus, Freiwilligenagentur und Wohnungsbaugesellschaften) sowie anderen Pflegedienstleistern ist eher gering ausgeprägt. Dies spricht nicht zwangsläufig für einen mangelnden Willen zur Zu-

Tabelle 16:

sammenarbeit. Es kann auch sein, dass entsprechende Kooperationspartner nicht zur Verfügung stehen oder für die Leistungserbringung nicht so wichtig erscheinen. Auch zeigen die Kommunen eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf die eigene Steuerungsfunktion in solchen Netzwerken.

Kooperationen

Mit wem kooperiert Ihre Einrichtung? (Mehrfachnennungen möglich) (n=84)

Häufigkeit

Prozent

mit niedergelassenen Ärzten

73

86,9

mit Kommune, Gemeinde, Landkreis, ...

45

53,6

mit anderen Pflegedienstleistern

30

35,7

mit Trägern der Wohlfahrtshilfe (Volkssolidarität, Diakonie, DRK, AWO...)

39

46,4

wie Mehrgenerationenhaus, Freiwilligenagentur, ...

17

20,2

Schulen, Kindertagesstätten, ...

40

47,6

Wohnungs(bau)gesellschaften

17

20,2

Anderes

39

46,4

nein, weder noch

3

3,6

mit anderen lokalen Akteuren:

Vor diesem Hintergrund ist die große Zahl von Pflegedienstleistern, die mit niedergelassenen Ärztinnen oder Ärzten kooperieren, plausibel, weil es sich hier um etablierte Beziehungen handelt. Auch die Kooperation mit der Kommune gehört zum Alltag von Pflegedienstleistern. Die Einbindung Ehrenamtlicher, zum Beispiel über die Freiwilligenagenturen, ist hingegen Neuland. Hierin liegt eine zukünftige Herausforderung für die Pflegedienstleister. Sie stellt eine Gratwanderung dar, weil den ehrenamtlichen Helfern nicht das Gefühl gegeben werden darf, für die wirtschaftlichen Interessen der Pflegedienstleister ausgenutzt zu werden. Es darf nicht der Verdacht aufkommen, dass Betriebe sich lediglich Kostenvorteile verschaffen wollen. Deshalb ist bei Kooperationsbemühungen zwischen Ehrenamtlichen und professionellen Pflegedienstleistern besonders auf ein ergänzendes und nicht

100

auf ein quasi ersetzendes Angebot zu achten. Die geringe Rate der Pflegedienstleister, die gar keine Kooperationen eingehen, verweist aber auf eine prinzipielle Bereitschaft zur Kooperation und Netzwerkarbeit. Es wurde auch gefragt, worin diese Kooperationen bestehen, ob sie eher fallbezogen sind, sich auf der persönlichen Ebene bewegen oder Netzwerkaktivitäten vorherrschen. Hier zeigte sich deutlich, dass der überwiegende Anteil der Kooperationen fallbezogen stattfindet (mit Pflegedienstleistern zu 86,7 Prozent, mit niedergelassenen Ärzten und Ärztinnen zu 98,6 Prozent). Kooperationen mit Trägern des Ehrenamts oder der Freiwilligenagentur wurden nur einmal unter „anderes“ benannt. 64,4 Prozent der Dienste kooperieren mit Kommunen, vor allem im Rahmen von Netzwerken. Dass über 60 Prozent der Pflegedienstleister nicht mit anderen Pflegedienstleistern koope-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

rieren, verweist auf ein hohes Verbesserungspotenzial. Hier lässt sich durch stärkere kommunale Vernetzung sehr viel bewirken. Das gilt auch für die Integration von Trägern des Ehrenamts. Die Kooperationsebenen mit anderen Pflegedienstleistern sind auf der Patienten- bzw. Fallebene am deutlichsten ausgeprägt, aber auch die Kooperationsbeziehungen zur lokalen Vernetzung, dem lokalen Informationsaustausch sowie auf der Personalebene sind auf einem hohen Niveau, wenn auch noch nicht bei allen Pflegedienstleistern. Mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten bestehen ebenfalls überwiegend Kooperationsbeziehungen auf der Patientenebene. Anders gestaltete Kooperationsbeziehungen mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sind eher selten. Der relativ niedrige Stellenwert von Vernetzungen mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten verdeutlicht die strukturelle, aber nicht sachgerechte Grenze zwischen den Versorgungssystemen „Pflege“ und „Krankenversorgung“. Tabelle 17:

Kooperationen mit Vertretern der Kommunen oder der Landkreise haben wesentlich seltener einen Fallbezug als die Kooperationen mit anderen Leistungserbringern. Die Zusammenarbeit lokal/regional steuernder Strukturen ist zwar stärker ausgeprägt, jedoch ist eine Stärkung lokaler Netzwerke wünschenswert. Die Kooperationsbeziehungen zu anderen lokalen Akteuren wie Apotheken und Therapeuten sind überwiegend auf der Fallebene bzw. auf einer lokalen Ebene anzutreffen. Allerdings werden sie nur von einem Teil der Pflegedienstleister einbezogen. Sie nutzen Angebote von Apotheken wie Medikamentenrichten und -lieferungen, aber weniger zu pharmakologischen Beratungen, die bei älteren Patientinnen und Patienten mit multiplen Arzneimittelverordnungen durchaus sinnvoll wären. Apothekerinnen und Apotheker haben oft einen besseren Überblick über das gesamte Verordnungsspektrum der jeweiligen Hausund Fachärzteinnen und -ärzte.

Schwierigkeiten bei Kooperationsvorhaben

Mit welchen Schwierigkeiten müssen oder mussten Sie sich bei Ihren Kooperationsvorhaben auseinandersetzen? (Mehrfachnennungen) (n=78)

Häufigkeit

Prozent

zu wenig Zeit

35

44,9

Konkurrenzdenken oder fehlendes Vertrauen

27

34,6

Unsicherheiten rechtlicher oder gesetzlicher Vorschriften

24

30,8

Unklarheiten bei Finanzierungsfragen

23

29,5

mangelndes Interesse

21

26,9

fehlende oder falsche Ansprechpartner

17

21,8

weiß nicht

7

9,0

Sonstiges

6

7,7

Sonstige Schwierigkeiten:

■■ keine Angebote vorhanden ■■ Kostendruck ■■ persönliche Diskrepanzen ■■ Sozialämter; Fachärzte-Kapazitäten bald ausgeschöpft ■■ Überangebot ■■ Vorschriften von Kassen und Ärzten harmonieren nicht

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

101

In Tabelle 17 werden die wichtigsten Hindernisse für Kooperationen aufgelistet. Am häufigsten wurde der damit verbundene Zeitaufwand genannt, den sich insbesondere kleinere ambulante Dienstleister nach ihrer Einschätzung nicht leisten können. Ihre finanzielle Ausstattung erlaubt ihnen nicht mehr als das Kerngeschäft. Hinzu kommen die Konkurrenz mit potenziellen Kooperationspartnern und das Problem, dort einen geeigneten Ansprechpartner zu finden. Auch gibt es Probleme bei Finanzierungsfragen und der Kenntnis bzw. Umsetzung von Vorschriften. So können z. B. innovative Ideen zum alternativen Wohnen im Alter in Kooperation mit Wohnungsgesellschaften oder der Kommune an Bauvorschriften und der Finanzierung scheitern. Die Pflegestützpunkte haben in der Versorgungslandschaft eine zentrale Position. Tabel-

Tabelle 18:

le 18 gibt Auskunft darüber, wie die Brandenburger Pflegedienstleister diese Einrichtungen nutzen. Zwar arbeiten mehr als die Hälfte der Pflegedienstleister mit den Pflegestützpunkten zusammen, aber das ist bei deren Bedeutung ein zu geringer Anteil. Ein erheblicher Anteil der Pflegedienstleister tut eben dies nicht. Dabei spielt offenbar die große Entfernung zum nächsten Pflegestützpunkt eine Rolle. Dieses Problem lässt sich durch eine Ausweitung der Außenstellen, Außensprechstunden oder andere mobile Arbeitsformen lösen. Eine dichtere Abdeckung der Fläche durch mehr Pflegestützpunkte ist derzeit eher unrealistisch. Ein kleinerer Teil der Pflegedienstleister sieht jedoch gar keinen Bedarf an einer Zusammenarbeit mit dem Pflegestützpunkt. Hier ist nachhaltige Aufklärungsarbeit zu leisten.

Kooperationen mit Pflegestützpunkten

Arbeiten Sie mit Pflegestützpunkten zusammen? (n=84)

Häufigkeit

Prozent

Ja

47

56,0

Nein

37

44,0

Warum nicht? (Mehrfachnennungen) (n=37)

Häufigkeit

Prozent

kein Pflegestützpunkt in der Nähe

20

54,1

kein Bedarf an einer Zusammenarbeit

17

45,9

Anderes

8

21,6

weiß nicht

2

5,4

Anderes:

■■ gleiche Beratungsfunktion wie das eigene Angebot ■■ Inkompetenz ■■ ländliche Gegend, Mundpropaganda ■■ Patienten kontaktieren direkt ■■ kein Ansprechpartner / Reaktion des PSP dauert zu lange ■■ Neutralität ■■ Zeit

102

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

6.3.10 Situation in Brandenburg Die Fallstudien zu den drei Untersuchungsregionen zeigen, dass es deutliche regionale Unterschiede im Mix von professioneller und informeller Unterstützung gibt, die mit unterschiedlichen Lebensentwürfen der Angehörigen, insbesondere der weiblichen, zusammenhängen. In Dörfern werden die Menschen länger und öfter als in den Städten zu Hause gepflegt. Deshalb spielt das Pflegegeld in ländlichen Regionen auch eine größere Rolle als in Städten. Sogar innerhalb von Landkreisen gibt es entsprechende Unterschiede. In der Uckermark würden die Menschen in den Städten eher in eine stationäre Einrichtung gehen, während sie in den Dörfern diese Entscheidung erst dann treffen, wenn das Leben in der Gemeinde und im eigenen Haushalt unter keinen Umständen mehr möglich ist. Dabei spielt sicher auch der Umstand eine Rolle, dass dort das Wohneigentum eine höhere Bedeutung hat und sich Häuser in ländlichen Regionen wie der Uckermark schwer verkaufen lassen. Auch beeinflusst der Arbeitsmarkt die Pflegebereitschaft der Angehörigen. Deshalb werden u.a. in der Uckermark mehr Geldleistungen des SGB XI beantragt als in Cottbus, zumal diese nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden. Die Dominanz der familialen Pflege in ländlichen Regionen wird jedoch wegen der Abwanderung jüngerer Menschen zumindest abnehmen. Das geht aus den Experteninterviews eindeutig hervor, in denen der starke soziale Zusammenhalt in den Dörfern betont wird, man zugleich in der Zukunft große Probleme sieht, wenn die heutigen Pflegepersonen selbst pflegebedürftig werden, ihre Kinder aber nicht mehr im selben Ort leben. Generell besteht sowohl in Städten als auch in ländlichen Regionen ein hoher Beratungsbedarf, um das informelle Pflegepotenzial zu aktivieren. Dabei können gerade ehrenamtliche Helferinnen und Helfer eine wichtige Funktion einnehmen. Seit 2002 fördern das

Land Brandenburg und Landesverbände der Pflegekassen gemeinsam eine Regie- und Beratungsstelle zum Auf- und Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote in Trägerschaft des Landesverbandes der AlzheimerGesellschaft. Auch wenn keine bundesweiten Statistiken vorliegen, wird doch eingeschätzt, dass die Struktur der niedrigschwelligen Betreuungsangebote in Brandenburg im Bundesvergleich besonders gut ausgebaut ist. So wurden hier im Jahr 2012 insgesamt knapp 4.700 Menschen mit Demenz, geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung von insgesamt 1.824 Helfenden betreut. Allerdings kann in der ehrenamtlichen Unterstützung kein Patentrezept gesehen werden. Die Brandenburger Landesregierung hat mit der INNOPUNKT-Initiative „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ sieben regionale Projekte mit Mitteln des ESF zu diesem Themenfeld gefördert. Das bereits erwähnte Projekt „Vereinbarkeitslotsen“ soll das Thema der Vereinbarkeit breit in die regionale Wirklichkeit zu tragen. 6.3.11 Handlungsempfehlungen Der Wohlfahrtsmix aus professioneller Pflege und informeller Betreuung sollte ein zentrales sozialpolitisches Leitmotiv der Landespolitik in Brandenburg bleiben. Die Förderung und Weiterentwicklung von informellen Unterstützungsstrukturen sollte in Brandenburg in direktem Zusammenhang mit der familialen Altenfürsorge stehen. Die Kommunen haben bei dieser Vernetzung eine zentrale Funktion. Das Brandenburger Landespflegegesetz setzt in dieser Beziehung klare Akzente. Im Begleitausschuss der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege ist deutlich geworden, dass dieser Prozess vielerorts bereits in Gang gesetzt worden ist. Diese Entwicklung sollte gezielt befördert werden. Folgende Maßnahmen bieten sich an: ■■ Kommunen (auf Ebene der Städte und Gemeinden) könnten lokale Veranstaltungsreihen initiieren unter dem Thema „Wie wollen wir in unserer Stadt/Gemeinde

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

103

in Zukunft leben?“. Ziel wäre es, den kommunalen Diskurs um Gestaltungsnotwendigkeiten und -spielräume zu unterstützen sowie gemeinsam mit den Akteuren und Bürgerinnen und Bürgern vor Ort Lösungsansätze zu erarbeiten. Ebenso sollte auf kommunaler Ebene ein Forum „Pflege“ eingerichtet werden, in dem regionale Bedarfe besprochen werden können. ■■ Die Landesregierung sollte einen „Methodenkoffer“ für Pflegepolitik auf örtlicher Ebene entwickeln, der sowohl für die Kommunen als auch für Pflegedienstleister Instrumente und Informationen enthält sowie die lokalen Akteure befähigt aber auch ermutigt, gemeinsam abegestimmt auf die konkrete Situation vor Ort in den Städten und Gemeinden passende Versorgungskonzepte und konkrete Hilfen zu entwickeln und zu erproben. Für diesen Methodenkoffer sind die guten Beispiele der Praxis in Brandenburg und aus anderen Bundesländern auszuwerten und aufzubereiten. Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, der Kostenträger und Verbände der privaten und der freigemeinnützigen Pflegedienstleister müssen aktive Partner einer solchen Konzeptentwicklung sein. Vorbild könnten hier zum Beispiel die Veranstaltungen der IHK sein, die ihren Mitgliedern auch in regelmäßigen Abständen aktuelle und relevante Informationen zur Verfügung stellt und Fortbildungen durchführt. ■■ Die Landesregierung sollte Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige erweitern, zum Beispiel durch Stärkung regionaler Demenznetzwerke und Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote (u.a. Ausweitung der Helferinnenkreise). Es wird empfohlen, einzelne Maßnahmen des seniorenpolitischen Programms zu verstetigen. Projekte des Landes sollten wenn möglich auf die jeweiligen regionalen Strategien zur alternsgerechten Quartiersentwicklung ausgerichtet und in diese einbezogen werden.

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■■ Aktivitäten des Landes zur Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit (wie die der „INNOPUNKT-Initiative“) sollten verstetigt werden. Die Projekte sollten möglichst eng mit kommunalen Projekten und Initiativen zusammenarbeiten, ggf. unterstützt durch ein Förderprogramm des Landes. ■■ Die Kommunen sollten eine stärkere Integration der Pflegedienstleister anstreben. Diese Forderung richtet sich aber in umgekehrter Richtung auch an die Pflegedienstleister. Alle Akteure sollten Ansprechpartner für regionale Kooperationen benennen und diese nach außen kommunizieren. Für die Pflegedienstleister bedeutet dies die Schaffung von neuen Funktionen und Aufgaben innerhalb des Betriebes, die über die Grenze des eigenen Betriebes hinaus wirken würden. Sie sollten neben den Städten und Gemeinden die zentrale Rolle und Funktion in solchen kommunalen Verbünden einnehmen. ■■ Die Aufgabenstellung der Brandenburger Pflegestützpunkte in Bezug auf die Aufgabe der Vernetzung und Koordination der Unterstützungssysteme nach § 92 c SGB XI ist zu klären. Auch ist zu prüfen, inwieweit die Pflegestützpunkte zu zentralen Schnittstellen zwischen professioneller, familiärer und bürgerschaftlicher Leistungserbringung weiterentwickelt werden können. Denn das Bundesmodellprojekt „Werkstatt Pflegestützpunkte“ zeigte, dass die Pflegestützpunkte das bürgerschaftliche Engagement in den Beratungs- und Begleitprozessen einbinden können (Michell-Auli et al. 2010).

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

6.4

Handlungsfeld 4: Professionelle Dienste in der Pflege: Spezialisierungsbedarfe

6.4.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Dieses Handlungsfeld betrifft das gesamte Leistungsspektrum der Pflegedienstleister und umfasst die ambulante, teilstationäre sowie vollstationäre, Pflege. Es geht insbesondere um eine präventiv und rehabilitativ ausgerichtete Pflege für Pflegebedürftige, die eher untypische, spezifische Bedarfe aufweisen, z.B. um besondere Bedarfskonstellationen in der Gerontopsychiatrie bzw. der Behandlung von demenziellen Erkrankungen, der geriatrischen Rehabilitation sowie der Versorgung am Lebensende. Damit sind besondere Herausforderungen für alle Pflegedienstleister verbunden, weil sich der Pflegebedarf durch akute Ereignisse kurzfristig ändern kann. Darauf muss eine rehabilitative Pflege vorbereitet sein, um positiv auf die Entwicklung individueller Pflegeabhängigkeit einzuwirken. Die professionelle Pflege hat die Aufgabe, die eigenständige Lebensführung kranker, behinderter, pflegebedürftiger sowie davon bedrohter Personen zu sichern. Dieses Ziel kann nur mit einer präventiven und rehabilitativen Ausrichtung erreicht werden (Höpflinger/Hugendobler 2005, Beswick et al. 2010). Allerdings ist die Forschungslage zu diesem Thema unbefriedigend. Die wenigen Veröffentlichungen zur Gesundheitsförderung und Prävention von Pflegebedürftigkeit bewegen sich eher auf einem theoretisch-konzeptionellen Niveau und sind wenig konkret. Untersuchungen zu gesundheitsförderlichen und präventiven Konzepten sind vor allem im Feld der stationären Langzeitpflege rar (Hasseler 2011). 6.4.2 Berücksichtigung von spezifischen Bedarfskonstellationen Dem quantitativen Ausbau der ambulanten Pflege folgte bislang keine hinreichende qualitative Ausdifferenzierung. Die Angebote der Pflegedienste entsprechen nicht hinreichend

den Bedarfslagen komplexer häuslicher Pflegearrangements oder individuell abweichender Bedarfe einzelner Nutzergruppen (SVR 2009, Büscher 2011). Es gilt, die vielfältigen Bedarfslagen zu systematisieren, um passgenaue Unterstützungsangebote zu entwickeln. Chronische Erkrankung und Multimorbidität (Mehrfacherkrankung) sind wesentliche Kennzeichen älterer Patientinnen und Patienten. Die Angaben zur Verbreitung von Multimorbidität in der Bevölkerungsgruppe ab 60 Jahren schwanken zwischen 65 Prozent und 80 Prozent. Multimorbidität ist zentraler Indikator für ungünstige Krankheitsverläufe mit Beeinträchtigungen der selbständigen Lebensführung sowie Einbußen an Lebensqualität. Hinsichtlich der Differenzierung und Weiterentwicklung von Definitionen, Konzepten und Methoden zur Erfassung von Multimorbidität und ihren Folgen besteht Forschungsbedarf (Scheidt-Nave et al. 2010). Die Pflege und Begleitung von Personen mit psychischen Störungen finden in der pflegeund versorgungswissenschaftlichen Diskussion erst langsam Beachtung. Mehr Aufmerksamkeit für dieses Thema ist jedoch notwendig, da die demografische Entwicklung, der medizinische Fortschritt und gesundheitspolitische Veränderungen zu einem erheblichen Wandel der Anforderungen geführt haben, die an die Begleitung, Versorgung und Pflege dieser Personen gestellt werden (Tiesmeyer 2003, Büker 2011, Schoppmann/Schmitte 2011). Noch wenig im Blick sind zudem die Bedarfslagen pflegebedürftiger Kinder und junger Erwachsener, die oft einen technikintensiven Pflegebedarf haben, der in den Leistungskatalogen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeverssicherung nicht ausreichend berücksichtigt wird (Köhlen 2011). Für die häusliche Betreuung dieser Kinder und Jugendlichen sind die Stärkung elterlicher Kompetenzen sowie Beratungen und Anleitungen sehr wich-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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tig, vor allem zur Ernährung, Bewegung und kindlichen Entwicklung. Professionelle Pflegekräfte können durch Information, Anleitung, Schulung und Beratung die Kompetenzen von Eltern erweitern und so zur besseren Bewältigung der täglichen Versorgung beitragen (Harrigan et al. 2002, Dellve et al. 2006). Bundesweit haben acht Prozent der Pflegebedürftigen in Privathaushalten einen Migrationshintergrund.16 Für 68 Prozent von ihnen ist Deutsch die Muttersprache. Entsprechend sind die Sprachbarrieren bei der Informationsbeschaffung i.d.R. gering. Auffällig im Vergleich zu Pflegebedürftigen ohne Migrationshintergrund ist jedoch eine größere Distanz zur Nutzung professioneller Pflege. Dass kulturelle und religiöse Belange bei ambulanten Pflegediensten nicht berücksichtigt werden, ist dabei verhältnismäßig selten von Bedeutung. Eher scheint es so zu sein, dass es unter den Migranten eine Gruppe gibt, für die die Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung mit Schwierigkeiten verbunden ist (BMG 2011). Auch wenn mit dem Älterwerden der zweiten Migrantengeneration Sprachbarrieren zurückgehen werden, besteht langfristig die Notwendigkeit, Migrationssozialarbeit bei der Vernetzung von Institutionen der gesundheitlichen Versorgung und Altenhilfe zu berücksichtigen (BMFSFJ2006). 6.4.3 Tages- und Kurzzeit-Betreuungsangebote mit rehabilitativem Anspruch sowie geriatrische Rehabilitation Teilstationäre Pflegeleistungen werden trotz der mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz von 2008 ausgeweiteten Kombinationsmöglichkeiten mit ambulanten Leistungen der Pflegeversicherung nur von relativ wenigen Pflegebedürftigen genutzt. In Brandenburg ist allerdings die Anzahl der in der amtlichen Pflegestatistik stichtagsbezogen erhobenen Pfle-

16 In Brandenburg dürfte dieser Anteil deutlich niedriger sein.

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gebedürftigen in der Tagespflege von etwa 400 in 1999 auf 2.900 in 2011 gestiegen Für den Nutzerkreis sind die Leistungen ein wesentlicher Bestandteil des häuslichen Pflegearrangements (BMG 2011a). Kurzzeitpflege als Bestandteil einer rehabilitativ orientierten Versorgungskette (z.B. für eine Übergangszeit im Anschluss an einem Krankenhausaufenthalt des Pflegebedürftigen) kann einen positiven Beitrag zur Pflegeprävention leisten, aber auch dieses Potenzial wird nicht ausgeschöpft (Halek/Abt-Zegelin 2008, SVR 2009). Bislang lag und liegt der Schwerpunkt der Entwicklung und Etablierung geriatrischer Rehabilitationseinrichtungen im stationären Bereich. Ambulante und teilstationäre Angebote, z.B. in Tageskliniken für Geriatrie, bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder durch mobile Reha-Dienste, haben einen nur relativ kleinen Anteil an den geriatrischen Versorgungskapazitäten. Hinzu kommt, dass sich die geriatrische Versorgung regional sehr unterschiedlich entwickelt hat (Schulz et al. 2008, SVR 2009). 6.4.4 Spezifische Qualifikationen und Interdisziplinarität in der Pflege Die Bedeutung verschiedener Gesundheitsfachberufe hat in der Versorgung älterer Menschen zugenommen (siehe auch Handlungsfeld 7). So haben Ergotherapeuten in den vergangenen Jahren eine signifikante Profilierung erfahren, ebenso Physiotherapeuten, Logopäden und Podologen (Wahl 2012). Vor allem die präventiven und therapeutischen Potenziale der medizinischen Fußpflege wurden in Deutschland lange unterschätzt und daher vernachlässigt. Seit Einführung des Disease-Management-Programms für Diabetiker mit der Einbindung von Podologen im Jahr 2001 sank die Zahl der Amputationen der unteren Extremitäten signifikant (Chantelau 2009). Studien aus Großbritannien und den Niederlanden konnten zeigen, dass durch die erhöhte Achtsamkeit im Umgang mit Fußpflegeinstrumenten und -mitteln sowie mit

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

entsprechender Fußbekleidung die Zahl der Amputationen bei diabetischem Fußsyndrom verringert werden kann (Chantelau 2002, Hiertl 2005). Der Ausbau der podologischen Versorgung in Deutschland wird daher im BARMER GEK – Heil- und Hilfsmittelreport auch aus wirtschaftlicher Sicht für sinnvoll gehalten (Sauer et al. 2010). Viele präventive bzw. rehabilitative Maßnahmen sind interprofessionell angelegt und auf die Einbindung verschiedener Berufe angewiesen. Das zeigt z. B. eine Studie, in der die Wirkungen einer bewusst geförderten interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen (Haus-) Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialarbeitern bei älteren Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen bestimmt wurden (Sommers et al. 2000). Im ersten Untersuchungsjahr zeigten sich kaum Veränderungen. Im zweiten Jahr jedoch konnten signifikante Verbesserungen bezüglich niedrigerer Krankenhausaufenthalts- und Wiedereinweisungsraten, vermehrter sozialer Aktivitäten und Kosteneinsparungen belegt werden. Auch andere Projekte zeigten, das multidisziplinäre Zusam-

Tabelle 19:

menarbeit die individuellen Ressourcen älterer Personen stärken können (Johansson et al. 2010). Sie tragen zur Prävention von Stürzen bei, können die Lebensqualität steigern sowie die Krankenhauseinweisungsraten senken und die Krankenhausverweildauern verkürzen helfen. Zentral für das Wirksamwerden interdisziplinärer Zusammenarbeit ist eine offene und regelmäßige Kommunikation zwischen den versorgenden Institutionen bzw. Leistungsanbietern. Ebenso wichtig ist die Absprache mit den Patientinnen und Patienten und ggf. ihren Angehörigen. Sie sorgt für Transparenz, stärkt die Einbindung der Patientinnen und Patienten und damit zugleich ihre Mitwirkung.

6.4.5 Ergänzende Befunde der Experteninterviews und der Betriebsbefragung Viele Pflegeeinrichtungen in Brandenburg spezialisieren sich bereits auf besondere Bedarfe (Vgl. Tabelle 19).

Angebote und Spezialisierungen der Pflegedienstleister, offene Nennungen

Andere Pflegespezialisierungen und zwar (Mehrfachnennungen, n = 80):

■■ Betreuung von Menschen mit Demenz (21x) ■■ spezielles Wundmanagement (3x) ■■ Betreuung Behinderter (3x) ■■ Diabetesversorgung (3x) ■■ PEG (Magensonde) (3x) ■■ Chemotherapie über Port ■■ Gerontopsychiatrie ■■ Geschützter Wohnbereich ■■ Patienten mit Migrationshintergrund, zweisprachige Beratung ■■ ambulante Wohnformen, Seniorenbegleitung (Ausflüge) ■■ Wohnformen in Wohngruppe / WG geplant

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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Etwa ein Viertel der Pflegeeinrichtungen in Brandenburg führt eine Ausweitung der Pflege von Demenzkranken durch oder plant eine Ausweitung. Demenzkranke werden schon in naher Zukunft weit mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen stellen. Hier zeichnet sich ein deutlich wachsender Versorgungsbedarf ab. Weder können die Pflegedienstleister mit ihrem Angebot auf diese Entwicklung angemessen reagieren, noch reichen ihre aktuellen Bestrebungen aus, sich bzw. ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend weiterzubilden. Sie müssen spezifische Angebote für Demenzerkrankte entwickeln und ihre Beschäftigten dafür qualifizieren. Das hat beschäftigungspolitische Auswirkungen. Pflegefachkräfte bevorzugen Betriebe, die neben einer adäquaten Bezahlung eine fachlich anspruchsvolle Arbeit anbieten. Die wenigsten Pflegefachkräfte möchten als „Mädchen für Alles“ arbeiten oder ständig strukturelle Defizite in den Betrieben kompensieren. Mittel- bis langfristig wird sich der Wettbewerb der Betriebe auf das Anwerben und Halten von Pflegefachkräften fokussieren. Pflegedienstleister mit klaren Tätigkeits- und anspruchsvollen Kompetenzprofilen in spezialisierten Angeboten haben erhebliche Wettbewerbsvorteile beim Anwerben qualifizierter Fachkräfte in der spezialisierten Pflege, aber auch beim übrigen Personal. Der wachsende Bedarf an spezialisierten Leistungen kann mit den gegebenen betrieblichen Strukturen nicht befriedigt werden. Die in Brandenburg nach wie vor dominierenden kleinen Anbieter sind bereits mit der Standardversorgung voll ausgelastet. Außerdem erfordert die spezialisierte Versorgung eine hohe Kooperationsbereitschaft, die kleinere Betriebe auch aus ökonomischen Gründen nicht haben. Außerdem werden kleine Einrichtungen vor allem in ländlichen Regionen im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte nicht mithalten können. Einrichtungen in städtisch geprägten Gegenden können attraktivere Arbeitsbedingungen bieten und können wegen der größeren Zahl

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an Patientinnen und Patienten spezialisierte Fachkräfte auch wirtschaftlicher einsetzen. Kleinere Betriebe gewinnen ihr Potenzial eher durch gute Kenntnisse über den lokalen Pflegemarkt und bieten sich somit als Kooperationspartner für größere Pflegedienste mit spezialisierten Angeboten an. Neben der Versorgung Demenzkranker spielt auch die würdevolle Betreuung in der letzten Lebensphase eine wichtige Rolle, vor allem für die stationären Pflegedienstleister. Sie müssen laut Landesrahmenvertrag nach § 75 SGB XI die Begleitung Sterbender sicherstellen. Probleme ergeben sich hier im Zusammenhang mit dem Alltagsablauf der Einrichtungen. Auch die medizinische Betreuung ist betroffen, da in der Finalphase der Bereitschaftsarzt oder die Bereitschaftsärztin hinzugezogen wird. Ebenfalls problematisch für die stationäre Versorgung stellt sich § 39a SGB V dar, da eine Unterbringung stationär gepflegter Patientinnen und Patienten in Hospizen grundsätzlich ausgeschlossen wird und eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) in Brandenburg nicht flächendeckend verfügbar ist. Diese Dienste sollten ausgebaut werden. Allerdings sind von den Betrieben selbst mehr Bemühungen zu fordern, um bei der Begleitung Sterbender nicht nur von externen Diensten abhängig zu sein. Bislang verfügt nur etwa die Hälfte von ihnen über entsprechende Konzepte. Die Kurzzeit- und die Tagespflege haben in den hier zur Diskussion stehenden Bereichen der spezialisierten Pflege eine besondere Bedeutung. Es geht weniger um sogenannte grundpflegerische Tätigkeiten an sich, als um deren Verknüpfung mit rehabilitativ-therapeutischen Maßnahmen (und somit auch wieder um eine Überwindung einer verrichtungsorientierten Pflege). Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen könnten strukturell ähnlich aufgebaut und organisiert sein wie Einrichtungen der integrierten medizinischen Versorgung, jedoch mit einem stärkeren Fokus auf Pflege-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

bedürftigkeit. Die Einbindung solcher Angebote in lokale Netzwerkstrukturen und der Aufbau eines regionalen Überleitungsmanagements zwischen häuslicher Pflege, dem Krankenhaussektor und der Kurzzeit- und Tagespflege bergen betriebliche Entwicklungspotenziale für die Dienste und Einrichtungen in Brandenburg. Zudem entsteht für die Betriebe die Möglichkeit, sich von Konkurrenten zu unterscheiden und ein eigenes Profil zu gewinnen. Dadurch können sie auch ihre Verhandlungsposition gegenüber den Kostenträgern verbessern. 6.4.6 Situation in Brandenburg In den eher ländlich geprägten Regionen Brandenburgs bestehen zwei wesentliche Probleme für die Etablierung differenzierter pflegerischer Versorgungsangebote. Die dünne Besiedlung bringt lange Fahrtwege und eine geringe Auslastung der Angebote mit sich. Vor allem aber ist qualifiziertes Personal im erforderlichen Umfang schwer zu rekrutieren. Diese Defizite können nur durch betriebsübergreifenden Einsatz qualifizierten Personals behoben werden. Die gemeinsame Nutzung eines solchen Pools kann unnötige Parallelstrukturen ersetzen und die vorhandenen Personalressourcen wirtschaftlich nutzen. So kann auch vermieden werden, dass – wie beschrieben – hoch qualifizierte Fachkräfte Tätigkeiten durchführen müssen, die nicht ihrem Qualifikationsgrad entsprechen. Die Attraktivität dieser Tätigkeiten könnte ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung von Pflegefachkräften sein, weiterhin im ländlichen Raum zu verbleiben und sich um eine solche Stelle zu bemühen. Die Pflegedienstleister im ländlichen Brandenburg können sich durch solche Pools als besonders innovativ profilieren. Solche Konzepte gemeinsamer Nutzung von Personalressourcen müssen von den Kommunen, dem Land und den Kostenträgern unterstützt werden, da derzeit nicht zu erwarten ist, dass die Betriebe die notwendigen Strukturen aus Eigeninitiative schaffen wer-

den. Eine solche Unterstützung sollte nicht auf das Finanzielle beschränkt sein, sondern auch Unterstützung bei der Planung und Konzeption umfassen. Die Situation in Brandenburg unterscheidet sich nicht wesentlich von der in anderen Bundesländern. Allerdings gibt es in der häuslichen Pflege in den ländlichen Regionen durch die großen Entfernungen und den höheren Fahraufwand erhebliche Probleme. Die Möglichkeiten und Barrieren in der ambulanten Pflege sollten daher jeweils regional geprüft werden. Dabei sollte auch überlegt werden, Leistungserbringern der stationären Pflege die Möglichkeit zu geben, ausgewählte Vorsorgeuntersuchungen ambulant anbieten zu können. Denkbar wären hier insbesondere Leistungen im Rahmen eines geriatrischen Assessments, um frühzeitig Risiken für Pflegebedürftigkeit identifizieren zu können. Häufig werden Tages- und Kurzzeitpflegeangebote zu spät genutzt und können daher nur sehr bedingt auf Pflegeverläufe einwirken. Die Potentiale der Kurzzeit- und Tagespflege in der Tertiärprävention und Rehabilitation sowie zur Entlastung und Stabilisierung der familialen Pflege können sich nur dann entfalten, wenn sie in eine langfristige Gestaltung von Pflegeverläufen eingebunden sind. Die Pflegestützpunkte in Brandenburg könnten die lokalen Netzwerkstrukturen und den Aufbau eines regionalen Übergangsmanagements zwischen häuslicher Pflege (Familie/ Quartier/ Pflegedienst), dem Krankenhaussektor und der Kurzzeit- und Tagespflege erfolgversprechend voranbringen. Der dafür erforderliche Personalaufwand und Qualifikationsbedarf müssten noch genauer geprüft werden. Diese Defizite erklären sich in Teilen dadurch, dass Einrichtungen, die ausschließlich Kurzzeitpflege anbieten, in Brandenburg so gut wie nicht vorhanden sind. Der Grund dafür liegt vor allem in der schlecht kalkulierbaren Belegung und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Risiken der Einrichtungen. Kurz-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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zeitpflege wird meist in Einrichtungen der vollstationären Dauerpflege eingebaut, die über kein rehabilitativ ausgerichtetes Konzept verfügen. 6.4.7 Handlungsempfehlungen ■■ Insbesondere in den dünnen besiedelten Gebieten Brandenburgs entsteht eine fachlich hinreichend ausdifferenzierte Versorgungsstruktur nicht im marktwirtschaftlichen Selbstlauf. Es wird daher eingeschätzt, dass bei besonderen pflegerischen Bedarfslagen in weiten Teilen des Landes Präventions- und Rehabilitationspotenziale nicht ausgeschöpft werden. Die Kommunen, das Land und die Kostenträger sollten die Kooperation von Betrieben und Pflegekräften initiieren und konzeptionell unterstützen. Diese Maßnahmen sollten nicht auf rein finanzielle Aspekte reduziert sein, sondern eine gezielte Unterstützung bei der Planung und Konzipierung innovativer Modelle anstreben (Definition des Aufgabenspektrums, Kommunikationsstrukturen, Einsatzkonzepte, Vergütungsmodelle). Regional unterschiedliche Bedingungen sollten berücksichtigt werden. ■■ Die Betriebe sollten ein quantitativ wie qualitativ erweitertes Angebot für die Betreuung Demenzkranker schaffen. Ohne finanzielle Anreize in der Vergütung spezialisierter Angebote werden sich hier aber keine nachhaltigen Fortschritte ergeben. ■■ Das rehabilitative Potenzial der Tages- und Kurzzeitpflege kann durch Kooperation mit externen Therapeuten stärker genutzt und sollte durch finanzielle Anreize gefördert werden. Eine betriebliche Voraussetzung hierfür ist eine fallbezogene Arbeitsweise der Pflegedienstleister. Ebenso muss sichergestellt sein, dass externe Therapeuten in das Konzept integriert werden. ■■ Die Möglichkeiten der überbetrieblichen Beschäftigung von Pflegefachkräften mit speziellen Qualifikationsprofilen, etwa in

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gemeinsam finanzierten Personalpools, sollten geprüft und ausgeschöpft werden. Die Form und der Umfang des internen und externen Personaleinsatzes sollten schriftlich vereinbart werden. Zur Erfüllung dieser Forderungen, ist der Einsatz höher qualifizierter Pflegekräfte (z.B. mit Bachelor-Abschluss) mit Kompetenzen im Bereich der fallbezogenen Prozesssteuerung und -evaluierung anzuraten. Von den Pflegedienstleistern bleibt zu fordern, dass sie in ihren Betrieben Strukturen schaffen, die es ermöglichen, Pflegefachkräfte mit speziellen Qualifikationsprofilen über die Grenzen der eigenen Betriebe hinaus einzusetzen. ■■ In stationären Pflegeeinrichtungen muss die Pflege Sterbender verbessert werden. Die zunehmende Bedeutung stationärer Einrichtungen auch als Sterbeorte muss nicht nur von diesen akzeptiert werden, sie muss auch gesellschaftlich anerkannt und von den Kostenträgern vergütet werden.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

6.5

Handlungsfeld 5: Weiterentwicklung zugehender Beratung und Fallbegleitung

6.5.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Von Pflegebedürftigkeit bedrohte und betroffene Personen und ihre Angehörigen bzw. Bezugspersonen benötigen leicht zugängliche und gebündelte Information, Beratung und Unterstützung im Umgang mit und für die Verhinderung von Pflegebedarf. 6.5.1.1 Systematische Bedarfsabklärung durch präventive Hausbesuche – Beispiele in Europa: Eine wichtige Voraussetzung für effektive und effiziente pflegerische Maßnahmen sowie für auf den Einzelfall angepasste Unterstützungsangebote ist ein systematisches Bedarfsabklärungsverfahren, das die individuellen Defizite sowie Kompetenzen und Ressourcen ermittelt (Fuchs 2009). Dies ist wesentlich, auch um die Belastung und Belastbarkeit der pflegenden Angehörigen und Bezugspersonen einschätzen und diese zielgerichtet unterstützen zu können (Blom/Duijnstee 2001). Dazu liegt ein im sog. LEANDER-Projekt systematisch entwickeltes Instrument zur Erfassung der Belastung pflegender Angehöriger vor, mit dem zugleich Entlastungsangebote evaluiert werden können (Zank/Schacke 2007). Ein weiteres Instrument zur gezielten Bedarfseinschätzung von Familien mit an Demenz Erkrankten wurde im Forschungsprojekt „Care needs assessment pack for dementia“ (CarenapD) entwickelt und erprobt (Zegelin et al. 2010). In Schwedens regionalen Gesundheitszentren arbeiten sog. District Nurses, die die Aufgabe von Case Managern wahrnehmen. Sie sind damit betraut, die Bedarfsabklärung durchzuführen und die daraus folgenden Unterstützungsleistungen zu vermitteln. Für chronisch kranke, behinderte und pflegebedürftige Patienten und Patientinnen sind sie i. d. R. die erste und wiederholte Anlaufstelle für medizinische, pflegerische und sozialrechtliche Fragen (Wilhemsson/Foldevi 2003). Eine ähnli-

che Funktion haben in den Niederlanden die „Regionaal Indicatieorgaan“, d. h. unabhängige regionale Meldestellen für Personen mit Pflege- und Betreuungsbedarf (Lucassen 2004). Eine zentrale Rolle in Deutschland spielen dabei die mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 etablierten Pflegestützpunkte. In ihnen sollen kompetente Pflegeberaterinnen und Pflegeberater ratsuchende Personen dabei unterstützen, ihrer Bedarfslage entsprechende Versorgungsangebote zu erhalten. Sie sollen nach der Intention des Gesetzgebers durch frühzeitige Beratung und Unterstützung auch dazu beitragen, das Risiko von Pflegebedürftigkeit zu reduzieren. Bereits vor den Pflegestützpunkten gab es – auch in Brandenburg – Einrichtungen der kommunalen Seniorenpolitik mit entsprechenden Aufgaben. Als Vorbild gelten die Seniorenbüros in den zwölf Stadtbezirken Dortmunds, die gemeinsam von der Stadt und den Freien Wohlfahrtsverbänden geführt werden (Pogadl/Pohlmann 2008). Die Beratungslandschaft in Deutschland ähnelte bisher allerdings einem Flickenteppich und hat Parallelstrukturen. Ihre Angebote sind weder flächendeckend, noch erreichen sie immer und überall einheitlich definierte qualitative Mindeststandards (Büscher/Schaeffer 2009). Bemängelt wird in diesem Zusammenhang auch, dass die Etablierung von Pflegestützpunkten kaum unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen/Erkenntnisse stattfand (Schaeffer/Kuhlmey 2008, Büscher/ Schaeffer 2009, Höhmann 2009). Konzepte zur Weiterentwicklung der hiesigen Strukturen wären in den sogenannten „Community Care Access Centers“ nach skandinavischem Vorbild zu finden. Dabei handelt es sich um wohnortnahe pflegerisch-interdisziplinäre Versorgungs- und Vernetzungszentren mit zugehender Beratung in Verbindung mit Konzepten des „mobilen Pflegestützpunktes“.

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Mehrfach wird in der Literatur darauf verwiesen, dass die Krankenhausentlassungsplanung und die sogenannte Überleitungspflege bei neu eingetretener Pflegebedürftigkeit zentrale Bedeutung für den Aufbau eines Unterstützungsnetzwerks haben. Hier wird auch Potenzial zur Stabilisierung und Neujustierung des Unterstützungsnetzwerks gesehen. Sheperd et al. (2010) gingen in einer systematischen Literaturübersichtsarbeit der Frage nach, welche Faktoren zu effektiven Krankenhausentlassungsprogrammen beitragen. Die Patientinnen und Patienten mit Entlassungsmanagement hatten im Vergleich zu Patientinnen und Patienten ohne eine solche Betreuung ein signifikant geringeres Risiko, erneut eingewiesen zu werden. Der GesundheitsSachverständigenrat hat darauf mehrfach hingewiesen (SVR 2007, 2009). 6.5.1.2 Präventive Hausbesuche In Dänemark sind die Gemeinden seit 1998 verpflichtet, jedem Bürger bzw. jeder Bürgerin ab 75 Jahren zweimal jährlich Hausbesuche von dafür geschulten sozial-pflegerischen oder medizinisch-therapeutisch qualifizierten Personen anzubieten (Hendriksen/Vass 2005). Besuche im häuslichen Umfeld des älteren Menschen haben den Vorteil, die funktionelle Selbstkompetenz im individuellen Lebensumfeld der Klientin bzw. des Klienten erfassen und stärken zu können (von RentelnKruse et al. 2003). Unterschiedliche Zielsetzungen, Zielgruppen sowie Art, Intensität und Dauer der Intervention erschweren den Nachweis der Wirksamkeit präventiver Hausbesuche (Renteln-Kruse et al. 2003, Meinck et al. 2004). Insgesamt ergeben sich trotz der in Teilen ambivalenten Studienlage plausible Hinweise auf die positive Wirkung aufsuchender Betreuung und Beratung. Personen, die präventive Hausbesuche erhielten, weisen in der Regel eine im Vergleich zu Kontrollgruppen bessere körperliche und geistige Verfassung, eine höhere Selbständigkeit im Alltag, eine geringere Zahl von

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Heimübersiedlungen sowie eine höhere Zahl von Hausarzt- bzw. primärmedizinischen Kontakten auf. Dabei ergaben sich auch positive ökonomische Effekte (Stuck et al.). Durch die Vermeidung von Pflege- und Unterstützungsbedarf werden die mit den präventiven Hausbesuchen verbundenen Kosten mindestens ausgeglichen bis überwogen. In Deutschland wurden erste Erfahrungen mit präventiven Hausbesuchen im Hamburger Albertinen-Haus gesammelt und in weiteren Projekten untersucht (Fleischer et al. 20078, Luck et al. 2012 und 2013, Patzelt et al. 2013). Seit 1996 werden in Hamburg unter der Zielsetzung, den ambulanten und den stationären Versorgungsbereich zu vernetzen, Hausbesuche als zentrales diagnostisches und interventionelles Instrument genutzt (Dapp et al. 2005 und 2007). Das dort genutzte Konzept durchlief im Zeitverlauf Modifikationen. Inzwischen kann man zwischen einer Beratung in Kleingruppen im geriatrischen Zentrum durch ein interdisziplinäres Expertenteam und einer Einzelberatung zuhause durch einen Experten oder eine Expertin des geriatrischen Zentrums wählen. Im Rahmen einer Studie zur Inanspruchnahme und den Wirkungen der beiden Angebote entschieden sich 72,1 Prozent der Seniorinnen und Senioren, denen diese Angebote über eine ärztliche Behandlung vorgestellt wurden, für die Teilnahme an einem der beiden Angebote. Dabei nutzten 86,7 Prozent die Beratung im Zentrum. 6.5.2 Ergänzende Befunde aus den Experteninterviews und der Betriebsbefragung Bereits für das Handlungsfeld 1 wurde auf die Notwendigkeit zugehender, aufsuchender Beratung hingewiesen. Sie ist insbesondere wegen der spezifischen Hemmnisse notwendig, die viele von dem Besuch einer Beratungsstelle abhalten (z.B. Mobilität, Betreuung des Pflegebedürftigen während der Beratung, Schwellenängste). Zugehende Beratungen können vor allem die rehabilitative Ausrichtung der

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

Pflege stärken, gegebenenfalls durch Entwicklung und Nutzung einer mobilen geriatrischen Rehabilitation oder integrierter Versorgungsnetzwerke nach § 140 SGB V. In diesem Fall erschließt sich für die Betriebe aus der zugehenden Beratung ein weiteres wirtschaftliches Standbein. Zudem erhöht sich das Verantwortungsspektrum der Pflegekräfte und die Arbeit erfordert ein höheres Qualifikationsprofil, was wiederum die Attraktivität der Tätigkeit steigern kann. Allerdings sind die meisten Pflegefachkräfte mit ihrer jetzigen Berufsausbildung solchen Aufgaben kaum gewachsen. Defizite in der Berufsausbildung der Pflegefachkräfte gibt es vor allem in Bezug auf sozialrechtliche Bestimmungen und Beratungsmethoden. Ein besonderer Beratungsbedarf ergibt sich aus der Komplexität der Zuständigkeitsbereiche in der Sozialgesetzgebung. Oft erhält eine Person neben den Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI) solche der Krankenkasse (SGB V) oder über das Sozialamt Hilfen zur Pflege (SGB XII) mit jeweils unterschiedlichen Ansprechpartnern. Die Interviewpartnerinnen und -partner berichten, dass die Betroffenen häufig nicht wüssten, welche Ansprüche sich aus dem Sozial-, Behinderten und Pflegerecht für sie ergeben könnten. Dies überfordere nicht nur Privatpersonen, sondern sei auch für manche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in Krankenhaus- und Rehabilitationseinrichtungen unübersichtlich. Offenbar ist dieses Problem in ländlichen Regionen stärker ausgeprägt als in Städten. In den Fachgremien, die die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege begleiteten, wurden bereits bestehende Möglichkeiten der zugehenden Beratung genannt, die im Rahmen folgender Leistungen erbracht werden können: ■■ MDK-Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit, ■■ Beratungsbesuche der Pflegekassen bei Geldleistungen nach § 37 (3) SGB XI, ■■ Anlässe zur häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V,

■■ Pflegekurse nach § 45 SGB XI, ■■ Beratung im Zusammenhang mit Erbringung ambulanter Pflege nach SGB XI. Dabei sind die Unterschiede zwischen Empfängern von Geld- und Sachleistungen zu berücksichtigen. Häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V unterliegt zeitlichen Begrenzungen, kann daher in der Regel eine kontinuierliche Beratung nicht gewährleisten, sondern nur initiierend tätig sein. Beim Erbringen ambulanter Sachleistungen sucht ein Pflegedienst kontinuierlich die Pflegbedürftigen in der eigenen Häuslichkeit auf. Das bietet Möglichkeiten der gezielten Beratung, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pflegediensten qualifiziert sein müssen. Sie könnten bei entsprechender Qualifikation auch eine erweiterte Fallverantwortung übernehmen. Die Empfängerinnen und Empfänger von Pflegegeld haben nach § 37 (3) SGB XI die Pflicht, in regelmäßigen Abständen einen Beratungsbesuch durch einen Pflegedienst abzurufen. Die Vergütung für diese Beratungsbesuche ist im SGB XI selbst auf einer angesichts zu vermutenden regelmäßig bestehenden Beratungsbedarfs eher geringen Höhe festgeschrieben. Gegenwärtig werden die bestehenden Beratungsansätze des MDK, der Pflege- und Krankenkassen und der Pflegedienste nicht in aufeinander abgestimmten Beratungskonzepten durchgeführt. Auch werden die pflegenden Angehörigen und deren Belastungssituation kaum systematisch berücksichtigt. Als hinderlich kann sich erweisen, wenn bei einer Beratung durch den MDK – die ja der Feststellung von Pflegebedürftigkeit dient – keine Vertrauensbasis geschaffen werden kann. Oft werden seitens der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen Defizite überspielt oder auch Ressourcen verschwiegen, die einen entscheidenden Einfluss auf den pflegerischen Verlauf oder auch auf sozialrechtliche Ansprüche hätten, möglicherweise aus Scham, Stolz oder einfach der Angst vor leistungsrechtlichen Fol-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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gen. Diese Gefahr besteht ebenso, wenn auch in eingeschränktem Ausmaß, bei den Beratungsbesuchen nach § 37 (3) SGB XI. Das Potenzial bestehender zugehender Leistungen sollte verstärkt genutzt werden. Dies könnte durch eine bessere Koordinierung der zugehenden Leistungen angestrebt werden. Die Beratung sollte dem Schema einer gestaffelten komplementären Beratung folgen: Zu Beginn erfolgt eine Initialberatung bei der Pflegebegutachtung durch den MDK. Darauf folgt eine weiterführende Beratung, die auch die Entlastung der pflegenden Angehörigen anstrebt, z.B. durch Pflegekurse nach § 45 SGB XI. Den Abschluss bildet eine auf den gesamten Pflegeverlauf eingehende Beratung nach § 37 (3) SGB XI bzw. durch die Pflegedienste, die Sachleistungen erbringen. Dabei kann auch eine rehabilitative (Laien-)Pflege in der eigenen Häuslichkeit unter Einbezug lokaler Therapeuten thematisiert werden. Eine Dokumentation über die erfolgte Beratung, die im Haushalt des Pflegebedürftigen verbleibt, wäre hilfreich. Sie könnte auch als Gesprächseinstieg bei weiterführenden Beratungen genutzt werden. Ähnlich zum Brandenburger Pflegetagebuch könnte ein „Beratungstagebuch“ von den Beratenden und dem pflegenden Angehörigen gemeinsam geführt werden, in dem auch wichtige Adressen und Hilfsangebote für den pflegenden Angehörigen hinterlegt sind. Ein solches erweitertes Beratungskonzept stellt an alle Beteiligten höhere Ansprüche in der Beratungskompetenz. Es müsste sichergestellt werden, dass die Beratenden zum einen über alle relevanten Informationen über die lokal vorhandenen Unterstützung- und Entlastungsangebote verfügen und zum anderen strukturiert den ggf. festgestellten Hilfebedarf an die entsprechenden Stellen weitegeben können. Hierbei können die Pflegedienstleister auch auf vorhandene Beratungsstrukturen in den Pflegestützpunkten zurückgreifen. Die Betriebe müssten sicherstellen, dass ihre Beschäftigten über entsprechende

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Kompetenz- und Qualifikationsprofile verfügen. Pflegedienste, die sich an einem derartigen Beratungsprogramm beteiligen, sollten entsprechend der gesteigerten Anforderungen eine höhere Vergütung für die Beratungen erhalten. Die langfristige Beratung in den oben beschriebenen Szenarien würde über die professionellen Pflegedienstleister umgesetzt und bietet auch älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die vielleicht nicht mehr körperlich in der Lage sind, in der direkten Pflege zu arbeiten, die Möglichkeit, weiterhin im Beruf zu bleiben und ihre Expertise einzusetzen. 6.5.3 Situation in Brandenburg Insgesamt wird das Angebot zur leistungsrechtlichen Beratung in Brandenburg von den Mitgliedern des Begleitausschusses der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege als positiv eingeschätzt. Bereits vor der Einführung von Pflegestützpunkten hat es – dies wird von den Leistungserbringern betont – eine gut aufgestellte Beratungsstruktur zu Leistungsangeboten der Pflegeversicherung durch die ambulanten Pflegedienste gegeben. Bei den Pflegestützpunkten nimmt Brandenburg innerhalb Deutschlands aufgrund des gemeinsamen Engagements von Kommunen sowie Kranken- und Pflegekassen eine Vorreiterrolle ein. Bisher beschränkt sich das Beratungsangebot aber im Wesentlichen auf die Organisation bereits vorhandener Pflegebedürftigkeit. Beratung in vorpflegerischen Lebenslagen oder mit einem deutlichen Schwerpunkt im Bereich Prävention findet kaum statt. Bei der Einzelfallberatung besteht eine wesentliche Schwierigkeit darin, frühzeitig Kontakt zu den Unterstützungsbedürftigen aufnehmen zu können, um Pflegebedürftigkeit bzw. die Ausweitung der Pflegebedürftigkeit abzuwenden. Solche auf Verhinderung ausgerichtete Beratung lässt sich (fast) nur durch eine aktive, aufsuchende Beratung gewährleisten. Darüber hinaus dürfte Beratung ihr volles Potenzial dann ausschöpfen, wenn sie dazu in der Lage ist, Pflegeverläufe über einen längeren Zeitraum

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

zu begleiten. Aktuell können die Pflegestützpunkte den Anforderungen einer aufsuchenden bzw. begleitenden Beratung aufgrund der strukturellen Rahmenbedingungen und der personellen Ausstattung nur begrenzt gerecht werden. 6.5.4 Handlungsempfehlungen ■■ Eine Beratung im Vorfeld – und damit zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit – erfolgt zumindest nicht nur in den Strukturen des Pflegesystems. Es ist nach Möglichkeiten zu suchen, hierfür auch Strukturen der offenen Altenhilfe zu nutzen. Im Handlungsfeld 1 wurde bereits der Vorschlag der Erprobung von präventiven Hausbesuchen und des Ausbaus des Ansatzes von niedrigschwellig agierenden Vereinbarkeitslotsen ausgeführt. ■■ Die Idee der Entwicklung eines „Beratungstagebuchs“ sollte weiterverfolgt werden. Hierbei werden Gesichtspunkte des Datenschutzes zu berücksichtigen sein. ■■ Ausgehend von den Pflegestützpunkten sollte ein System zur Qualifizierung der Beratungseinsätze für Pflegegeldempfänger nach § 37 (3) SGB XI entwickelt werden, das sowohl die Verbesserung der für die Beratung verfügbaren Informationen als auch die Verwendung der bei der Beratung erhobenen Informationen umfasst. ■■ Das Land sollte die Ausbildung in der Altenpflege daraufhin überprüfen, ob sie hinreichend auf die Beratungsaufgaben von Altenpflegerinnen und Altenpflegern vorbereiten. ■■ Das Potenzial von Pflegekursen nach § 45 SGB XI erscheint noch nicht ausgeschöpft zu sein. Das Modell der familialen Pflege bietet einen Ansatzpunkt, der die obigen Überlegungen noch einmal erweitert. Die Pflegekurse für Angehörige ließen sich auch im Rahmen aufsuchender Pflegetrainings der familialen Pflege integrieren. Ein enger Austausch mit den Pflegestützpunkten erscheint sinnvoll, um Doppelstruk-

turen zu vermeiden, aber auch um einen wechselseitigen Erfahrungsaustausch zu befördern ■■ Insgesamt wird eingeschätzt, dass die Wirkung der bestehenden Beratungsangebote durch eine verbesserte Koordinierung und Kooperation der Akteure gesteigert werden kann. Sowohl das Land als auch die Landkreise und kreisfreien Städte sollten auf ihrer jeweiligen Ebene entsprechende Anstrengungen unternehmen.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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6.6

Handlungsfeld 6: Ambulanter Versorgungsstrukturen im ländlichen Raum

6.6.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Die pflegerische Versorgung steht im ländlichen Raum vor besonderen Herausforderungen. In Brandenburg und den neuen Ländern haben sich in der gesundheitlichen bzw. pflegerischen Versorgung seit den 1990er Jahren Disparitäten zugespitzt, die es grundsätzlich auch in anderen Flächenländern gibt, allerdings nicht in der Ausprägung. Das betrifft insbesondere den Berlin fernen Raum, der von der demografischen Entwicklung besonders negativ betroffen ist. Dort dünnt sich nicht nur die Bevölkerung aus, auch die Altersstruktur wird immer problematischer, wenn die jüngeren Altersgruppen abwandern und ältere sowie hochbetagte Menschen in ihrem gewohnten Umfeld bleiben. Diese Entwicklung hat gravierende Konsequenzen für die pflegerische und medizinische Versorgung, weil, wie schon in Handlungsfeld 3 gezeigt, einem wachsenden Pflegebedarf ein abnehmendes Potenzial an professionellen Pflegekräften und pflegenden Angehörigen gegenübersteht. Dabei hängt Pflege eng mit der hausärztlichen Versorgung zusammen, nicht nur in ländlichen Regionen mit einer traditionell stärkeren ArztPatient-Bindung. Durch ihren direkten Kontakt zu den Menschen auch in deren privater Umgebung können Hausärzte und deren Mitarbeiterinnen frühzeitig erkennen, wenn die medizinische Versorgung allein an ihre Grenzen stößt und weitergehende Versorgungs- und Betreuungsangebote erforderlich sind. Daher erhöht ein Mangel an Hausärztinnen und -ärzten das Risiko, dass zu spät auf veränderte Lebenslagen und Pflegebedürftigkeit reagiert wird. Diese Versorgungslücke wird in den nächsten Jahren weiter wachsen, weil die Allgemeinmediziner die einzige Arztgruppe mit rückläufiger Anzahl sind (Schmacke 2006, SVR 2009, Reiners 2011, Gerlinger 2011). Die Aus- und Weiterbildung in der Allgemeinmedizin ist defizitär und für jüngere Mediziner wenig attraktiv (Dett-

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mer/Kuhlmey 2009). Davon sind vor allem ländliche und strukturschwache Regionen betroffen, in denen sich die Lage in den kommenden Jahren weiter verschlechtern wird. Kurzfristig wird man diesen Mangel an Hausärztinnen und -ärzten nicht beheben können. Auch bei einer gezielten Förderung der Allgemeinmedizin in der Aus- und Weiterbildung würde es wegen deren Dauer viele Jahre brauchen, bis diese Versorgungslücke geschlossen werden kann. Eine solche Strategie müsste zudem von einer Förderung des „Community Medicine Nursing“ flankiert werden (van den Berg et al. 2007). Praxisprojekte wie AGnES17 in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, MoPras in Sachsen-Anhalt oder VERAH in Sachsen versuchen, eine Versorgungslücke zu schließen, die der Einigungsvertrag mit der ersatzlosen Abschaffung der Institution einer Gemeindeschwester in den neuen Ländern geschaffen hat. In diesen Projekten übernehmen Pflegefachkräfte oder Medizinische Fachangestellte (MFA) unter verschiedenen Rahmenbedingungen Verantwortung der teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzte in Delegation, u.a. Hausbesuche bei Patientinnen und Patienten, bei denen vorbeugende, beratende, betreuende und Therapie überwachende Tätigkeiten im Vordergrund stehen. Auf diese Weise sollen Hausärztinnen und Hausärzte bei einem ­erhöhten Versorgungsradius unterstützt und entlastet werden. 6.6.2 Aufgabenteilung und Zusammenarbeit zwischen Ärztinnen bzw. Ärzten und Gesundheitsfachberufen Im Grund geht es dabei um eine neue Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen 17 AGnES = Arztentlastende Gemeindenahe E-Health-gestützte, Systemische Intervention; MoPras = Mobile Praxisassisten/tinnen; VERAH = Versorgungsassistent/innen in der Hausarztpraxis

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Ärztinnen bzw. Ärzten und Gesundheitsfachberufen, die der Gesundheits-Sachverständigenrat wiederholt gefordert hat (SVR 2007, 2009). Ein erster Schritt in diese Richtung ist die im März 2012 erlassene Heilkunde-Übertragungsrichtlinie.18 Die Richtlinie sieht vor, dass spezifisch hierfür qualifizierte Alten- sowie Gesundheits- und Kinder-/Krankenpflegerinnen und -pfleger in Modellen Aufgaben übernehmen können, die bisher Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren. Konkret geht es um Versorgungsaufgaben für Menschen mit den Krankheitsbildern Diabetes mellitus Typ I und II, chronische Wunden, (Verdacht auf) Demenz oder Hypertonus. Zudem ist die Übertragung einer Reihe prozedurenbezogener Tätigkeiten möglich, d.h. einzelner Maßnahmen, die nicht im Zusammenhang mit bestimmten Krankheitsbildern stehen, wie etwa das Anlegen und Entfernen von Infusionen oder Magensonden. Handlungsgrundlage bleibt dabei stets eine Diagnose und Begleitung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin. Die Heilkundeübertragungsrichtlinie ist nur ein erster Schritt hin zu einer neuen, kompetenzgestützten Rollenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen, die durch die gesellschaftlichen, vor allem demografischen, epidemiologischen und medizintechnologischen Veränderungen notwendig wird (Behrens/Selinger 2012, S. 47). Der Blick in andere Länder zeigt, dass dort diverse Konzepte etabliert wurden, bei denen besonders qualifizierte nicht-ärztliche Fachkräfte, überwiegend Pflegefachpersonen mit einer Weiterqualifizierung, mit erweiterten Handlungskompetenzen an den Nahtstellen zwischen ärztlichen Aufgaben, Praxismanagement, Versorgungskoordination sowie Pflege ausgestattet wurden (Brandt 2009). Diese Konzepte hatten anfangs das Ziel, einem Ärztemangel entgegenzuwirken und auch die 18 Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 Absatz 3c Sozialgesetzbuch (BAnz Nr.46).

Behandlungskosten zu senken, entwickelten aber nach und nach eine eigene Leistungsund Versorgungsqualität (Buchan/Calman 2005, van den Berg et al. 2007). Verhältnismäßig lange Traditionen mit fortgeschrittener Ausdifferenzierung haben dabei in Skandinavien, Großbritannien und den Niederlanden die kommunal organisierte Gesundheitszentren, die Leistungen und Ressourcen des Gesundheits- und Sozialsystems bündeln (Dienel 2007, Stuart/Weinrich 2001). Die Konzepte für erweiterte Handlungskompetenzen von Pflegefachkräften existieren in den einzelnen Ländern unterschiedlich lange und haben durch die jeweiligen kulturellen Prägungen, spezifischen Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie anderweitige nationale Besonderheiten Systeme mit je eigenen Stärken und Schwächen hervorgebracht. Für das hiesige Versorgungssystem sind vor allem die dort zu findenden Aus- und Weiterbildungssystem für „Nurse-Practitioners“ und „District Nurses“ interessant, die auf dem Konzept der Familiengesundheitspflege („Family Health Nursing“) der WHO beruhen (WHO Regional Office for Europe 2000, Köhlen 2011). Sie übernehmen Aufgaben in Diagnostik, Behandlung und in der sonstigen Patientenbegleitung, die hierzulande bislang zumindest formalrechtlich Ärztinnen und Ärzten zugeordnet sind. Dabei wird zwischen zwei auf Masterebene angesiedelten Qualifikationsprofilen unterscheiden: ■■ Physician Assistants (PAs) führen ihre Aufgaben i.d.R. unter der Supervision eines Arztes oder einer Ärztin aus. Ihr Handeln gründet sich auf einem medizinischen Denkmodell und ihr Kontakt zum Arzt bzw. zur Ärztin ist im Allgemeinen enger als der von Nurse Practitioners (NPs). Dabei dürfen sie dennoch einen Teil an diagnostischen Tests und Therapien autonom anordnen und ausführen (SVR 2007). ■■ Nurse Practitioners (NPs) agieren weitgehend eigenständig. Sie übernehmen Aufgaben, die von Ärztinnen und Ärzten nicht

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(mehr) hinreichend wahrgenommen werden können oder durch gesellschaftliche Veränderungen bzw. den demografischen Wandel neu entstanden sind (Kuhlmey et al. 2011). Die Grenzen zwischen den beiden Konzepten sind fließend und mit zahlreichen, z.T. widersprüchlichen Bezeichnungen und Rollenbeschreibungen verbunden. Beide bieten jedoch die Chance, die Ressource ärztlicher Arbeitszeit effektiver zu nutzen, Unter- und Fehlversorgungen entgegenzuwirken, Kosten zu stabilisieren sowie die Versorgungsqualität zu sichern und in einem präventiven Verständnis weiterzuentwickeln (Höppner/Kuhlmey 2009). Insgesamt gibt es solide Belege für die Wirksamkeit solcher Konzepte. Der Umgang der Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen verbessert sich, auch lassen sich eine verkürzte Krankenhausverweildauer und verringerte Wiedereinweisungsraten nachweisen. Systematische Literaturübersichten kommen zu dem Schluss, dass unter bestimmten Voraussetzungen spezifisch weiterqualifizierte Pflegende zu einem mindestens vergleichbaren, wenn nicht besseren Behandlungs- bzw. Betreuungsergebnis kommen, als dies bei einer hausärztlichen Behandlung der Fall ist. (Laurant et al 2009, Keleher et al. 2009). Gesundheitsökonomische Analysen konnten moderate wirtschaftliche Vorteile der Nursing-Modelle gegenüber der Leistungserbringung allein durch Mediziner ermitteln. Auch in der Patientenzufriedenheit zeigen sich positive Effekte durch den Einsatz von Pflegefachpersonen mit erweiterten Handlungskompetenzen in der Primärversorgung. 6.6.3 Ergänzende Befunde aus den ­Experteninterviews und der Betriebsbefragung Seitens der Betriebe und Expertinnen und Experten wurde problematisiert, dass die Leistungen der Pflegeversicherung mit einheitlichen Preisen vergütet werden, die auf Basis

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von Durchschnittskosten festgelegt worden sind. Daraus entsteht eine Benachteiligung von dünn besiedelten Regionen mit langen Fahrtwegen und unterdurchschnittlich hohen Fallzahlen mit dem Ergebnis, dass es keine wirtschaftlichen Anreize für Pflegedienste gibt, sich dort niederzulassen. Dieses Grundsatzproblem bleibe bestehen, auch wenn die wachsende Anzahl von Pflegebedürftigen zunächst zu einer Verringerung der zwischen zwei Einsätzen liegenden Fahrzeit führen wird. Die mangelnde Attraktivität des ländlichen Raums wird verstärkt durch die eher geringeren Möglichkeiten der Pflegebedürftigen, über das Leistungsvolumen der Pflegeversicherung hinaus mit privaten Mitteln Leistungen der Pflege und Betreuung nachzufragen. Problematisch ist heute schon insbesondere die Versorgung mit spezialisierten Angeboten, für die aufgrund der Vorgaben der Pflegeversicherung besondere Einrichtungen erforderlich sind. Wenn aber in diesen Regionen die pflegerische Versorgung nicht mehr sichergestellt werden kann, wäre die Konsequenz, dass Personen in besser versorgte Gebiete umziehen müssten, also eine Zentralisierung der pflegerischen Versorgung vorangetrieben würde. Die Alternative zu diesem Szenario sei eine kommunal organisierte und finanzierte Pflege, die das Leistungsangebot bereitstellt, das von den Pflegebedürftigen und deren Angehörigen benötigt und eingefordert wird. Dieses Modell wäre jedoch nicht bloß nur mit erheblichen Zuschüssen aus Steuermitteln finanzierbar, es wäre zudem ein kompletter Systemwechsel, der aus politischer Perspektive derzeit unrealistisch ist. 6.6.4 Situation in Brandenburg Die beschriebene prekäre hausärztliche Versorgung in Brandenburg verschärft sich dadurch, dass über 40 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte älter als 60 Jahre sind und große Schwierigkeiten haben, eine Nachfolgerin bzw. einen Nachfolger für ihre Praxen zu finden (Baumgardt 2012).

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Für die von der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassenverbänden zu verantwortende Bedarfsplanung in der ambulanten Versorgung hat das GKV-Versorgungsstrukturgesetz von 2011 wichtige Rahmenbedingungen geändert und für eine Bedarfsplanung unterhalb der Landkreis-Ebene gesorgt. In Brandenburg sind die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassenverbände schon vor Jahren einen ähnlichen Weg auch ohne diese rechtliche Vorgabe gegangen und haben die Altkreise der DDR zur Grundlage für die Feststellung von Über- und Unterversorgung gemacht. Seit 2008 läuft im Internet (www.arzt-in-brandenburg.de) eine von der Landesregierung finanzierte Info-Kampagne zur Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten für eine Tätigkeit in Brandenburg. Alle relevanten Institutionen Brandenburgs sind darin eingebunden. Diese Webseite bietet einen Überblick über die Möglichkeiten und Service-Angebote in Brandenburg für Hausärztinnen und -ärzte und solche, die es werden wollen. Sie wird gegenwärtig aktualisiert und soll weitere Arztgruppen sowie Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe berücksichtigen. Auch bei der Einbindung von Pflegeberufen ist man in Brandenburg eigene Wege gegangen. In Zusammenarbeit mit MecklenburgVorpommern und der Universität Greifswald wurde ein Konzept zur Einbindung von Pflegeberufen in die hausärztliche Versorgung entwickelt („AGNES“), das in Modellversuchen erfolgreich erprobt wurde (van den Berg 2007). Dabei ergaben sich nicht nur positive Effekte in der medizinischen Versorgung, sondern auch wichtige Informationen und Anknüpfungspunkte für die pflegerische Betreuung. Hinzu kommen diverse regionale Initiativen zum Aufbau integrierter Versorgungsnetze (Baumgardt 2012). 6.6.5 Handlungsempfehlungen ■■ In den strukturschwachen ländlichen Regionen finden insgesamt Konzentrationsprozesse zugunsten der regionalen

Wachstumskerne statt und werden raumordnungspolitisch begrüßt und unterstützt. Zugleich aber wollen viele Ältere ihren bisherigen Lebensmittelpunkt nicht aufgeben und benötigen hierfür auch vor Ort eine Infrastruktur, die zunehmend dort nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Die Landesregierung sollte einen offenen gesellschaftlichen Dialog zur pflegerischen Versorgung in ländlichen Regionen anstoßen. Die Anforderungen der verschiedenen ordnungsrechtlichen Systeme, aber auch des SGB XI und deren Handhabung müssen daraufhin überprüft werden, ob sie hinreichend die Besonderheiten dünn besiedelter Regionen berücksichtigen. Wenn man z. B. an die Idee eines „stationären Mittagstisch“ denkt, an dem fünf bis zehn älteren Menschen aus dem Ort die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Mittagessen (gegen Entgelt) in einem Privathaushalt geboten wird, dann überzeugt sofort, dass gegenüber dem „Essen auf Rädern“ eine größere Aktivierung und Teilhabe erreicht wird. Gleichzeitig lässt sich nur erahnen, an welche hygiene-, bauordnungs- oder gewerberechtlichen Bedingungen eine solche kleinteilige Versorgungsstruktur stoßen würde. Pflegekassen und Trägerverbände sollten die bestehende Auslegung zur Frage, für welche pflegerischen Angebote separate Versorgungsverträge erforderlich sind und welche im Verbund möglich sind, kritisch überprüfen und nach neuen, offeneren Lösungen suchen. Dies betrifft auch die Frage, inwieweit Krankenhäuser in unterversorgten Gebieten bestimmte Leistungen nach SGB XI erbringen können. ■■ Durch den Rückzug der Kommunen aus der Organisation der lokalen Pflege ist nach Aussagen der befragten Expertinnen und Experte vielerorts ein Steuerungs-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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und Koordinationsvakuum entstanden. Um eine auf die Kommune passgerechte Bedarfsplanung zu erreichen, bedarf es anderer Institutionen bzw. Steuerungsgremien. Da eine ausschließlich staatliche bzw. kommunale Planung auf Basis des gegebenen Systems der Pflegeversicherung mit privaten und frei-gemeinnützigen Anbietern nicht möglich ist, sollten regionale Planungsgremien paritätisch aus Vertretungen von Kommunen, Kostenträgern und Dienstleistern gebildet werden. Die dadurch entstehenden Verwaltungs­kosten können durch mehr Planungssicherheit und eine bessere Abstimmung in der Wahrnehmung der Versorgungsaufgaben kompensiert werden. Eine solche Lösung ist allerdings an rechtliche Änderungen gebunden, insbesondere im SGB XI, die auf Bundesebene geklärt werden müssen. ■■ Voraussetzung einer sinnvollen Planung auf Kommunalebene ist auf der Betriebsseite eine größere Offenheit und Bereitschaft zur Kooperation. Diese Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln kann nicht nur seitens des Landes, der Kommunen und der Kostenträger eingefordert werden, sie muss gleichermaßen auch von den Betrieben in Brandenburg getragen werden. Durch die Koordination und gemeinsame Nutzung knapper Personalressourcen wäre eine positive Wirkung auf die Fachkräftesituation zu erwarten, wobei es aber auch abzuwägen gilt, wie viel Zeit solche Gremien binden würden. ■■ Die Kostenträger und die Pflegedienstleister sollten überlegen, ob bei der Aushandlung der Preise nicht nach gewissen Strukturmerkmalen der Pflegedienstleister differenzierte Preise auszuhandeln sind. So wäre es möglich, dass Leistungserbringer mit einer schlechteren strukturellen Ausgangslage oder einem ausgewiesenen profilierten Angebot gesonderte Verträge aushandeln könnten. Eine pauschale Vergütung der Fahrtkosten ist bürokratisch

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zwar weniger aufwendig, aber ungerecht gegenüber Einrichtungen mit langen Fahrwegen und bevorteilt ambulante Dienstleister in städtischen Regionen. Die derzeitigen Regelungen zur Aushandlung und vertraglichen Vergütungsvereinbarungen erlauben die Vereinbarung unterschied­ licher Preise. ■■ Die pflegerische Versorgung im ländlichen Raum kann nur im Rahmen einer Vernetzung mit integrierten Versorgungs­ systemen in der medizinischen Versorgung sichergestellt werden. Hier gibt es zwar nach wie vor große Hindernisse, die nur durch bundesweite Reformen aus dem Weg geräumt werden können, jedoch gibt es eine Reihe von Handlungsfeldern der Landespolitik, die auch ohne bundespolitische Flankierung zumindest im Ansatz besetzt werden können: Förderung des ärztlichen Nachwuchses, Entwicklung integrierter und fachübergreifender Versorgungskonzepte, Einsatz arztentlastender Fachkräfte, Bedarfsplanung und Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung, Förderung der Telemedizin, Attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen, Info-Kampagnen, Projekte zur Gesundheitsförderung. ■■ Zur Umsetzung solcher Projekte ist die Kooperation nicht nur zwischen dem Gesundheits- und dem Sozialressort der Landesregierung unabdingbar, es empfiehlt sich auch dringend eine Einbindung des Infrastrukturministeriums. Fragen der gesundheitlichen und sozialen Versorgung müssen auch als Fragen der Infrastrukturentwicklung verstanden werden. Hier gibt es bereits erste Ansätze einer Zusammenarbeit, die so in anderen Ländern noch nicht vorhanden sind. In dem Zusammenhang kann auch auf Fördermittel des Bundes und der EU zurückgegriffen werden (Baumgardt 2012).

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6.7

Handlungsfeld 7: Fachkräfte in der Pflege: Qualifikationsbedarfe und Personalkonzepte

6.7.1 Erkenntnisse aus der Wissenschaft Vor allem die stationäre Langzeitversorgung ist in den vergangenen Jahren zusehends unter Problemdruck geraten. Ihre Klientel hat sich grundlegend verändert, und die Betreuungskonzepte haben mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten. Heime sind zu Stätten der Pflege und Krankheitsbewältigung in den Spätund Endstadien chronischer Krankheit bzw. am Lebensende geworden (Wingenfeld 2008). Vielfach ist die individuelle Art der Pflegebedürftigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner durch eine Demenz geprägt. Für die Betroffenen ist der Gang ins Pflegeheim ein einschneidendes Lebensereignis (Oswald 2012). Thorson/Davis (2000) sowie Bekhet et al. (2008) zeigen, dass die subjektiv wahrgenommene Kontrolle beim Übergang in ein Heim empfindlich gestört werden kann, was (Dauer-)Stressreaktionen mit einer Erhöhung von Desorientiertheit, Passivität und Depressivität bei den Betroffenen bis hin zu einer erhöhten Mortalität bedingen kann. Auch neuere Erhebungen für Deutschland belegen, dass v. a. unfreiwillige Heimübersiedlungen zu geringerer Lebenszufriedenheit, niedrigerem Wohlbefinden und höherer Mortalität führen können (Schneekloth/Wahl 2009). Um dies zu verhindern, bedarf es medizinisch- und sozial-pflegerischer Erkenntnisse und ein Handeln, das die soziale Integration der unterstützungsbedürftigen Personen fördert (Klie 2009, Behrens 1990 und 2008). Das gilt vor allem für Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz. Hierfür gibt es im westeuropäischen und skandinavischen Raum entwickelte Pflege- und Betreuungsmodelle, wie etwa ein in den Niederlanden zur Anwendung kommendes Pflegekonzept zur Begleitung gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen (van der Kooij 2007). Wesentliches Problem ist international der Mangel an qualifiziertem Personal für Pfle-

ge und Betreuung in der Langzeitpflege. Trotz guter Arbeitsmöglichkeiten übt das Berufsfeld eine geringe Anziehungskraft aus. Vielfach sind in den Einrichtungen nur wenige qualifizierte Fachkräfte und überwiegend Personen mit einer kurzen pflegerischen Grundausbildung sowie angelerntes Hilfspersonal anzutreffen (Sairanen 2004). Diese Situation dürfte mit dazu beitragen, dass pflegende Familienmitglieder auch bei schwierig zu gestaltenden häuslichen Arrangements eine Heimübersiedlung oft nur zögerlich in Betracht ziehen, obwohl die Problemlage dies nahelegt. Dem Personalmangel versucht man im Krankenhaussektor verstärkt mit einem Einsatz von geringer qualifizierten Pflegekräften zu begegnen, wie das IQWiG (2006) ermittelte. Inzwischen finden sich auch vergleichbare Trends im Langzeitpflegebereich. Stearns et al. (2007) untersuchten die Bedeutung, die das Qualifikationsniveau des Personals in betreuten Wohneinrichtungen für die dort lebenden Personen hat. Sie kamen zu dem Schluss, dass ein hoher Anteil an qualifizierten Pflegefachpersonen positiven Einfluss auf die Senkung der Krankenhauseinweisungsrate, die Umsiedlung in stationäre Langzeitpflegeeinrichtungen sowie auf die Entwicklung von Pflegbedürftigkeit hat. Das gilt auch für externe wie interne Qualitätssicherungs- und -entwicklungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang ist auf die vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) im Rahmen der Projektförderung durch das Bundesministerium für Gesundheit entwickelten nationalen Expertenstandards in der Pflege zu verweisen (vgl. BMG 2011a). Die Umsetzung von Expertenstandards stellt bei ihrer Neueinführung zunächst eine fachliche und organisatorische Herausforderung für die Pflegenden, die Einrichtungen und deren Träger dar. Sie regt dabei jedoch Lern- und Kommunikationsprozesse an.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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6.7.2 Qualifikationsanforderungen und Kooperation in der Langzeitpflege Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Qualifikationsanforderungen in der Langzeitpflege sind aufgrund der oft beweiskraftschwachen Studiendesigns, der z.T. widersprüchlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen sowie der begrenzten Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Länder eher rudimentär (Buchan/Dal Poz 2002; Crossan/Ferguson 2005). Bislang untersuchten nur wenige Studien das Zusammenwirken von Pflegepersonen mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus (Juthberg/Sundin 2010). Untersucht wurde u. a., wie sich die Kompetenzen unterschiedlich qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der direkten Patienten- und Bewohnerversorgung zeigen und wie diese das Zusammenwirken in Teamstrukturen prägen (Buchan/Dal Poz 2002, Möhler et al. 2011). Dabei wird überall deutlich, dass der Personaleinsatz häufig nicht qualifikationsadäquat erfolgt. Pflegekräfte übernehmen oft sowohl Aufgaben, ohne über die dafür notwendige Qualifikation zu verfügen, als auch Tätigkeiten, die weit unter ihrem Qualifikationsniveau liegen (Buchan/Dal Poz 2002, Paquay et al. 2007, MDS 2012). Zum Einsatz von akademisch qualifizierten Pflegenden mit erweiterten Kompetenzen finden sich mehrere Studien, in denen auch die Einstellungen des traditionell qualifizierten Pflegepersonals zur Zusammenarbeit mit den höher qualifizierten Pflegenden untersucht wurden. Hier zeigt sich, dass Pflegende selbst grundsätzlich die Einführung erweiterter Rollen für notwendig halten und Verbesserungen in der Pflegequalität und Patienten- bzw. Bewohnerzufriedenheit erwarten (Norris/Melby 2005, Melby et al. 2010). Jedoch werden auch Unsicherheiten bzgl. der Rollen und Aufgabenbereiche der klinischen Pflegeexpertinnen und -experten beschrieben (Tye/Ross 2000, Trasher/PurcStephenson 2007, Sullivan-Bentz et al. 2010). Es wird festgestellt, dass in einer klaren Rollendefinition ein zentraler Erfolgsfaktor für die

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Integration akademisch qualifizierter Pflegepersonen liegt. Schwierigkeiten werden auch darin gesehen, die erweiterten Kompetenzen akademisch qualifizierter Pflegepersonen im Pflegeteam zu rechtfertigen, für diese Rolle Akzeptanz zu erlangen und sie i. S. der Verbesserung der Versorgungspraxis auszufüllen. Oft besteht keine Bereitschaft der Pflegepersonen, die Anordnungen von klinischen Pflegeexpertinnen und -experten auszuführen, da erwartet wird, dass diese ihre Anordnungen auch selbst umsetzen (Tye/Ross 2000, Trasher/Purc-Stephenson 2007). Auch das Risiko von Rollenkonflikten mit Ärztinnen bzw. Ärzten und älteren Pflegekräften sowie von Widerständen im Team gegen Veränderungen und einer unangemessenen Bezahlung der Pflegeexpertinnen und -experten wird benannt (Norris/Melby 2005). Zudem wird die Befürchtung geäußert, dass Pflegende, die nicht als Pflegeexpertinnen und -experten arbeiten, unterfordert und aufgrund eigener fehlender Entwicklungsmöglichkeiten frustriert werden könnten (Melby et al. 2010). Die effektive und effiziente Personalbesetzung stellt ein weiteres Themenfeld dar. Besonders aus dem stationären Langzeitpflegebereich wird berichtet, dass eine angemessene Pflegequalität durch eine hohe Personalfluktuation erschwert wird. Hodgkinson et al. (2011) gingen in einer Übersichtsarbeit der Fragestellung nach, welches Personalmodell gleichermaßen dazu geeignet ist, die Bedürfnisse des Personals wie auch die der Bewohnerinnen und Bewohner in der stationären Langzeitpflege zu berücksichtigen. Sie untersuchten einerseits, welche Personaleinsatzmodelle zu den besten Ergebnissen bei den Bewohnerinnen und Bewohnern führen. Zudem interessierte die Autoren, welche dieser Modelle zugleich auch zu den besten Ergebnissen in Bezug auf Krankenstand und Fluktuationsraten führen. Dabei schlossen sie Studien ein, in denen die Organisationsmodelle Bezugspflege („Primary Nursing“), Gruppenpflege („Team-Nursing“) und die am häu-

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figsten anzutreffende funktionsorientiert ausgerichtete Pflegeorganisation vergleichend untersucht wurden. Sie fanden heraus, dass vom Personal das Bezugspflegemodell („Primary Nursing“) bevorzugt wird. Bezüglich der Bewohnerzufriedenheit zeigte dieses Modell im Vergleich zur Gruppenpflege eine geringe, aber keine signifikante Überlegenheit. Ein eindeutiger Nachweis dafür, dass ein spezifisches Personaleinsatzmodell günstigere gesundheitsfördernde Effekte auf die zu pflegenden Bewohnerinnen und Bewohner hat, konnte nicht geführt werden. Auch konnten keine eindeutigen Unterschiede in Bezug auf den Krankenstand, die Zufriedenheit des Personals und die Personalfluktuation gefunden werden. Weiterführende Untersuchungen sind erforderlich, um die Fragestellung nach einem möglichst optimalen Personalorganisationsmodell für die stationäre Langzeitpflege fundiert beantworten zu können. Neben Fragen der Qualifizierung von Pflegefachkräften sind auch die Anforderungsveränderungen an die Qualifizierung weiterer Gesundheitsberufe in den Blick zu nehmen und ist zu fragen, ob diese auf den demografisch bedingten Wandel des Berufsfeldes vorbereitet sind (SVR 2007). Dazu gehören Aspekte wie präventives bzw. rehabilitatives Handeln in der Versorgung, Umgang mit kommunikativ anspruchsvollen Situationen sowie Handeln in interdisziplinären Strukturen. Die gesetzlichen Grundlagen für eine ganze Reihe von Gesundheitsfachberufsausbildungen wurden in Deutschland seit langem nicht grundlegend aktualisiert. Zwar ist davon auszugehen, dass neues Wissen und neue Techniken kompensatorisch durch die Lehrenden in den theoretischen und praktischen Unterricht eingebunden und in der Praxis vermittelt werden, doch muss davon ausgegangen werden, dass dies nicht flächendeckend im notwendigen Umfang stattfindet. In dieses Handlungsfeld fallen auch sogenannte arztentlastende Angebote, die zumeist bei den Hausarztpraxen verortet sind und eine

Übernahme bestimmter ärztlicher Tätigkeiten durch Medizinische Fachangestellte (MFA) des Hausarztes bzw. der Hausärztin beinhalten. Sie finden in der Häuslichkeit der Patientinnen und Patienten statt, weisen jedoch keinen konkreten Pflegebezug auf19. Sie sollen vor allem die ärztliche Behandlung unterstützen und haben keinen spezifischen Beratungsauftrag zur pflegerischen Versorgung. Die Delegation ihrer Aufgaben an Pflegedienstleister ist prinzipiell nicht ausgeschlossen, ist aber anscheinend nicht erwünscht. Zudem müssten entsprechende Kommunikationsstrukturen und Voraussetzungen der Vergütung geschaffen werden, was mit weiterem Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Aus pflegewissenschaftlicher Perspektive bieten diese Ansätze arztentlastender Maßnahmen ein großes Potenzial, besteht doch zumeist schon eine langjährige Bindung und damit eine vertrauensvolle Beziehung zum eigenen Hausarzt bzw. zur Hausärztin und den dort arbeitenden MFA. Der Zugang und die Inanspruchnahme von Leistungen wären somit niedrigschwelliger als im jetzigen System. Dennoch bedürften die Konzepte einer stärkeren Ausrichtung auf das Pflegesystem mit einer entsprechend erweiterten Beratungskompetenz der MFA. Alternativ wäre im Sinne von Primärversorgungspraxen auch der Einsatz von Pflegefachkräften in den Arztpraxen denkbar, was aber momentan noch an den herrschenden Vergütungsstrukturen und Arbeitsteilungen scheitert. Eine realistischere Möglichkeit ist die Einbindung von Hausarztpraxen in lokale Kooperationsnetzwerke zur pflegerischen Versorgung. Die Verschränkung der pflegerischen und der medizinischen Versorgung kann nur vom Bundesgesetzgeber vorangetrieben werden. Brandenburg könnte

19 Entsprechende Projekte und Akronyme: AGnES – Arztentlastende, gemeindenahe, e-health-gestützte, systemische Intervention; MOPRA – Mobile/r Praxisassistent/in; VerAH – Versorgungsassistent/in in der Hausarztpraxis; EVA – Entlastende/r Versorgungsassistent/in; HELVER – Arzthelfer/innen in der ambulanten Versorgung.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

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zusammen mit anderen Flächenländern, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen, vorangehen und Initiativen auf Bundesebene anstoßen. 6.7.3 Ergänzende Befunde aus den Experteninterviews und der Betriebsbefragung In der telefonischen Befragung gaben die Pflegedienstleister Auskunft über zu erwartende Abgänge und über ihre Strategien und Optionen zur Fachkräftegewinnung. Von den 82 befragten Betrieben gaben 30 an, dass sie bis 2015 rentenbedingte Ersatzbedarfe zu bewältigen haben. In 22 Betrieben waren hiervon Pflegefachkräfte und in 15 Betrieben Hilfskräfte betroffen. In drei Betrieben geht in den nächsten Jahren hochqualifiziertes Pflegefachpersonal in den Ruhestand. Dieser Trend wird sich in den Jahren nach 2015 weiter zuspitzen, wenn nach und nach die geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965 in Rente gehen, die heute den Kern der Belegschaften von Pflegediensten stellen. Die Generation der heute 30- bis 45-Jährigen wird in der Pflege zukünftig relativ dünn besetzt sein, wie das Fachkräfteinformationssystem der LASA Brandenburg GmbH meldet. Die Ausdünnung dieser als Leistungsträger geltenden Beschäftigtengruppe muss durch personalpolitische Innovationen kompensiert werden, damit die Einrichtungen und Dienste auch zukünftig dazu in der Lage sind, die sich wandelnden Anforderungen in der Pflege zu bewältigen. Formen alternsgerechter Beschäftigung auf der einen Seite und die Eröffnung von Entwicklungs- sowie Karrierechancen für Berufseinsteiger und -einsteigerinnen auf der anderen Seite werden entsprechend weiter an Bedeutung gewinnen. Dass von den befragten Betrieben nach ihrer Einschätzung nur 13 vor dem Problem der frühzeitigen Berufsaufgabe von Pflegekräften stehen, könnte ein Hinweis auf deren hohe Berufsidentifikation sein. In den ländlichen Regionen könnte diese „Verbundenheit“ aller-

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dings auch ein Indiz für schlechtere Perspektiven in anderen Bereichen des Arbeitsmarktes und daraus resultierender Abhängigkeit vom Betrieb sein. Die Einrichtungen und Dienste werden sich zukünftig noch stärker bemühen müssen, ihr Personal im Betrieb zu halten. Personalentwicklung muss schon heute die gesamte Belegschaft im Blick behalten, damit sich abzeichnende Engpässe gar nicht erst entstehen. Dieser Druck entsteht auch durch Abwanderungen in andere Regionen mit besseren Arbeits- und Lebensbedingungen. 25 der befragten Betriebe gaben an, hiervon betroffen zu sein. Betrachtet man die Zahlen geordnet nach der Qualifikationsstufe, so zeigt sich für Pflegehelferinne und -helfer sowie Pflegeassistentinnen und -assistenten im Vergleich zu Pflegefachkräften ein Abgang aufgrund besserer Arbeitsbedingungen deutlich seltener. Dies deutet darauf hin, dass die berufliche Mobilität in dieser Qualifikationsstufe geringer ausgeprägt ist und eine stärkere Verbundenheit – oder wie schon erwähnt auch Abhängigkeit – zum Betrieb besteht. Dass gerade höher qualifizierte Fachkräfte einen Arbeitsplatzwechsel als Option für die Verbesserung ihrer Beschäftigungssituation sehen, verweist wiederum auf die hohe Bedeutung innovativer Beschäftigungs- und Personalentwicklungskonzepte. Personalfluktuation dürfte die betrieblichen Entwicklungsspielräume in zweifacher Weise begrenzen. Zum einen stehen die betroffenen Betriebe überdurchschnittlich häufig vor der Herausforderung, neues Personal in die eigenen Betriebsabläufe einzuarbeiten. Zum anderen erschwert die Fluktuation eine reibungslose Zusammenarbeit. Betriebe mit hohem Personalwechsel sind nur begrenzt in der Lage, sich in innovative Versorgungsstrukturen einzubringen. Die Mitarbeit in lokalen Kooperationen oder die Einbindung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer in die Pflege verlangen nach einer personellen Kontinuität, ohne die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schwer möglich ist.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

Die im Rahmen der Fachkräftestudie Pflege durchgeführte Betriebsbefragung bestätigt, dass die Brandenburger Dienste und Einrichtungen den Handlungsbedarf bei der Mitarbeiterbindung erkannt und zahlreiche Maßnahmen ergriffen haben. Am geringsten scheint der Spielraum bei übertariflichen Leistungen zu sein, dennoch werden sie von gut einem Viertel der Betriebe gewährt. Die Bereiche betriebliche Altersvorsorge, Gesundheitsförderung, Flexibilisierung und Unterstützungsangebote sind hingegen gut besetzt. Allerdings lassen verschiedene Gespräche mit Trägern und Trägerverbänden darauf schließen, dass die Qualität der Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung zwischen den Betrieben stark variiert. Das Bewusstsein für die zunehmende Bedeutung derartiger Maßnahmen ist bei den meisten Brandenburger Pflegediensten und -einrichtungen vorhanden. Die Umsetzung dieser Erkenntnis in eine Strategie der Fachkräftesicherung befindet sich bei der Mehrzahl der Betriebe jedoch noch am Anfang. Kleinere Betriebe stehen in diesem Zusammenhang vor einer besonderen Herausforderung. Größere Einrichtungen sind oft attraktiver, weil sie neben einer oft höheren Bezahlung auch mehr Entwicklungschancen innerhalb des Betriebes und eine größere Flexibilität beim Personaleinsatz bieten. Die kleineren Pflegedienstleister müssen ihre Vorteile weiterentwickeln, etwa eine familiäre Arbeitsatmosphäre, geringere Spezialisierung im Arbeitsalltag und insgesamt vielschichtigere Arbeitsinhalte. Sie haben aber Schwierigkeiten, die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen für eine aktive Personalentwicklung bereitzustellen. Personalfragen werden häufig erst im Krisenfall angegangen. Gerade bei Klein- und Kleinstbetrieben ist in diesem Feld ein relevanter Unterstützungsbedarf zu vermuten. Durch externe Beratung können unkomplizierte und dennoch effektive Ansätze der Personalentwicklung in den Unternehmen implementiert werden. Hier steht das Land in der Pflicht, die Ansätze der Ar-

beits- und Wirtschaftsförderung noch intensiver als bisher zusammenzuführen und auf die besonderen Bedingungen der Pflege auszurichten. Sowohl die Weiterentwicklung bereits bestehender Förderinstrumente und Unterstützungsstrukturen, als auch die Neuauflage betriebs- und branchenspezifischer Instrumente dürfte dafür notwendig sein. In ähnlicher Weise stehen die Trägerverbände in der Pflicht. Auch sie sollten prüfen, welche Unterstützung sie ihren Mitgliedern im Bereich Personalpolitik anbieten können und vor welchen spezifischen Herausforderungen gerade kleinere Pflegedienste und -einrichtungen stehen. Bei der Gewinnung von neuem Personal spielen Wiedereinstiegsmodelle für Berufspausierer eine große Rolle. Die Mehrzahl der Betriebe setzt darauf, Fachkräfte mit den nötigen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt gewinnen zu können – eine Strategie, bei der der eigene personalpolitische Aufwand relativ gering ist. Die Ausrichtung der Personalpolitik auf ältere Arbeitsuchende, geeignete Langzeitarbeitslose sowie Fachkräfte aus dem Ausland spielt hingegen eine geringere Rolle. Dabei sind es vor allem diese Gruppen, die mittelfristig deutlich an Bedeutung für die Fachkräftesicherung gewinnen werden. Umso wichtiger ist es, dass die Dienste und Einrichtungen sich bereits heute mit der Frage auseinandersetzen, wie dieses spezifische Fachkräftepotenzial erfolgreich in den Betrieb integriert werden kann. Mehr als zwei Drittel der antwortenden Betriebe kann sich vorstellen, Quereinsteiger umzubilden bzw. tut dieses schon. Diese Tatsache verweist auf das nicht zu unterschätzende Potenzial von Pflegehilfskräften in der Fachkräftesicherung. Leider sind die Kenntnisse vieler Betriebe zur Nutzung der breit aufgestellten Förderlandschaft nicht sehr ausgeprägt. Dabei bieten sich gute Förderungschancen für Brandenburger Pflegebetriebe, die ihnen offenbar nicht in vollem Umfang bekannt sind. Hier besteht ein relevanter Beratungsbedarf.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

125

6.7.4 Situation in Brandenburg In Brandenburg werden deutlich mehr Pflegekräfte gesucht als auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit standen im August 2013 den 129 arbeitsuchenden Pflegefachkräften 450 offene Stellen gegenüber, wobei davon ausgegangen werden kann, dass die tatsächliche Zahl der offenen Stellen noch deutlich höher ist. Auch wegen dieses Engpasses auf dem Arbeitsmarkt wird die Sicherung eines ausreichenden Potenzials von qualifizierten Fachkräften mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Im Begleitausschuss der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege besteht Einigkeit darüber, dass der Einsatz eines sinnvollen Qualifikationsmixes bei der Erbringung von Pflegeleistungen weiter verbessert werden muss. Im Kern geht es um die Frage, wie Teams besser zusammenarbeiten können und über welche Kompetenzen die einzelnen Teammitglieder hierfür verfügen müssen. Hierbei stellen derzeit die Pflegefachkräfte in Brandenburg das personelle Nadelöhr dar. Es fehlt ihnen an zeitlichen Kapazitäten, um notwendige Koordinierungsaufgaben wahrnehmen zu können. Aus dieser Perspektive ist auch die Einbindung von ehrenamtlichen Akteuren schwierig und betriebswirtschaftlich häufig wenig sinnvoll. Es stellt sich als problematisch für die Herausbildung umfassender beruflicher Handlungskompetenz von Altenpflegeschülerinnen und -schülern dar, dass Praxisanleitende die ihnen zukommende Schlüsselfunktion in der Ausbildung häufig nicht adäquat wahrnehmen können. Grundsätzlich ist eine qualitative Aufwertung der Pflege – nicht zuletzt auch, um den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten – sinnvoll und wünschenswert. Dabei kann es jedoch nicht darum gehen, das Problem der ärztlichen Versorgung auf die Schultern der Pflege abzuladen, indem ungeliebte ärztliche Tätigkeiten an die Pflege abgetreten werden. Eine Öffnung der Pflege für gering qualifizierte Hilfskräfte wird als problematisch bewertet.

126

Eine Arbeitsteilung mit umfangreicher Koordinierungsverantwortung auf Seiten der Pflegefachkräfte ist nur möglich, wenn Hilfskräfte über hinreichende pflegerische Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, um in arbeitsteiligen Prozessen agieren zu können. In diesem Zusammenhang ist zu klären, über welche Qualifikationen Helferinnen und Helfer verfügen müssen. Mit der Einführung der einjährigen Ausbildung zur Altenpflegehelferin/ Altenpflegehelfer (sog. „examinierte Helfer“) wurde in Brandenburg ein wichtiger Schritt in Richtung berufliche Differenzierung unternommen. Damit diese Qualifizierungsmaßnahme die erwünschte Wirkung erzielen kann, bedarf es einer sinnvollen Einbindung der examinierten Helferinnen und Helfer in arbeitsteilige Pflegeprozesse. Diese hat erst in Ansätzen stattgefunden, was sich in der noch geringen Bereitschaft der Pflegeeinrichtungen widerspiegelt, derartig qualifizierte Personen zu beschäftigen. 6.7.5 Handlungsempfehlungen (1) Möglichkeiten und Grenzen alternsgerechter Beschäftigung in der Pflege Einigkeit besteht darüber, dass die Alterung der Belegschaften sowohl betriebsorganisatorische Herausforderungen als auch qualitative Chancen mit sich bringt. Auf der einen Seite müssen spezifische Belastungslagen berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite gilt es, das Erfahrungswissen der älteren Beschäftigten zu nutzen und im Betrieb zu halten. Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege verdeutlicht, dass die Möglichkeiten eines alternsgerechten Personaleinsatzes in der Pflege weder aus inner- noch aus überbetrieblicher Perspektive entwickelt oder gar umgesetzt sind. Die zur Anwendung kommenden Konzepte sind häufig wenig innovativ und finden in der Regel nur in wenigen Betrieben Anwendung. Sowohl bei der Konzeptentwicklung als auch bei der Verbreitung von Beispie-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

len guter Praxis bedarf es unterstützender Strukturen, damit die Einrichtungen und Dienste vorhandene Gestaltungsspielräume stärker als bisher nutzen. Hierbei gibt es drei Gestaltungsebenen: 1. Identifikation alternsgerechter Tätigkeitsfelder innerhalb der bestehenden Betriebsund Tätigkeitsstrukturen. Vorstellbar wäre bspw. ein Wechsel älterer Beschäftigter zwischen pflegerischen Tätigkeiten und planenden oder beratenden Tätigkeiten im Betrieb. 2. Generierung alternsgerechter Tätigkeitsfelder durch die Reorganisation der betrieblichen Organisationsabläufe und Tätigkeitszuschnitte unter dem Fokus einer ressourcenorientierten Pflege. Vorstellbar wäre bspw. ein Wechsel zwischen pflegerischen Tätigkeiten und koordinierenden Aufgaben in komplexen Versorgungssettings. Insbesondere ältere professionell Pflegende würden dann primär als Netzwerkkoordinatorinnen oder -koordinatoren agieren, die vielschichtige Versorgungsstrukturen organisieren und unterstützen. 3. Entwicklung betriebsübergreifender Konzepte alternsgerechter Beschäftigung auf Basis des pflegerischen Versorgungssystems. Vorstellbar wäre bspw. ein Wechsel zwischen Tätigkeiten im Pflegedienst und Aufgaben bei den Pflegekassen oder Trägerverbänden. Der Fokus läge hierbei auf dem Gesamtsystem Pflege. Um derartige Lösungen umsetzen zu können, bedarf es einer engen Zusammenarbeit der pflegerelevanten Akteure im lokalen Umfeld. Denkbar wäre etwa, für die Personalakquise eine interne Job-Vermittlung aufzubauen oder auch betriebsübergreifende Formen der „Jobrotation“ zu initiieren. Für betriebsübergreifende Ansätze ist im Wesentlichen die lokale Struktur der Leistungserstellung relevant. Nur wenn vor Ort eine intensive Kooperationskultur gelebt wird, ist es realistisch, dass betriebsübergreifende Konzepte der Personalentwicklung gelingen. Für

die Dienste und Einrichtungen bedeutet das, dass sie sich wesentlich stärker als bisher auf ihr regionales Umfeld einlassen und die Bereitschaft entwickeln müssen, Kooperationsspielräume aufzuschließen. Initiativen zum Auf- und Ausbau lokaler Versorgungsnetzwerke stehen entsprechend vor der Aufgabe, Pflegedienste und -einrichtungen für eine Mitarbeit in solchen Strukturen zu gewinnen. Auch sind arbeitsrechtliche Vorgaben, wie etwa das Mitarbeiterüberlassungsgesetz, zu beachten. Unter dem aktuellen Kostendruck kann all dies ohne Moderation, Beratung und Unterstützung vom Land und den Kommunen kaum gelingen. (2) Möglichkeiten und Grenzen innovativer Personaleinsatz konzepte in der Pflege Die personalpolitischen Gestaltungsspielräume in der ambulanten und stationären Pflege lassen sich drei Handlungsebenen zuordnen: 1. Es ist eine konsequentere Ausrichtung betrieblicher Personaleinsatzkonzepte an den Pflege- und Betreuungsbedarfen der Pflegebedürftigen sowie den Qualifikationen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen notwendig. Im stationären Bereich werden die Gestaltungsspielräume, die die Strukturqualitätsverordnung des Landes Brandenburg (SQV) vom 28.10.2010 in § 4 Abs. 4 eröffnet, erst in Ansätzen genutzt. Nach dieser Vorschrift können stationäre Einrichtungen bei ihrem Personaleinsatz von der sogenannten 50 Prozent-Fachkraftquote20 abweichen, wenn sie jederzeit nachweisen können, „(…) dass die Gestaltung und Umsetzung von Pflege- und Betreuungsprozessen nach dem anerkannten Stand der

20 In § 4 Abs. 3 SQV heißt es: „Absatz 1 Satz 1 gilt als eingehalten, wenn mindestens 50 Prozent der mit pflegenden oder betreuenden Tätigkeiten Beschäftigten Fachkräfte im Sinne dieser Verordnung sind und qualifikationsgerecht eingesetzt werden, sofern nicht ein außerordentlicher Pflege- oder Betreuungsbedarf eine darüber hinausgehende Beteiligung von Fachkräften erforderlich macht.“

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

127

Erkenntnisse (…) sichergestellt ist. Hierfür ist die Planung und Umsetzung eines nach Qualifikation und Funktion differenzierten Personaleinsatzes nachzuweisen.“ Dass von den 400 Einrichtungen in Brandenburg bisher nur zehn hiervon Gebrauch machen, liegt auch daran, dass die für die Umsetzung benötigten Kompetenzen bei den Einrichtungen und der Aufsicht erst aufgebaut werden müssen und die leistungsrechtlichen Konsequenzen im Einzelfall zu klären sind. Der Fachkrafteinsatz unterhalb der 50 Prozent-Quote wurde im 3. Meilensteinworkshops nicht nur positiv beurteilt. Die Befürchtungen richten sich vor allem darauf, dass mit der Neuorganisation des Personaleinsatzes die Qualität in den Einrichtungen absinken könnte. Um dieser Gefahr entgegenwirken zu können, ist es notwendig, dass die Aufsicht für unterstützende Wohnformen (AuW) ihren Beratungsauftrag noch aktiver und gestaltungsorientierter als bisher wahrnimmt. Ziel einer solchen Beratung wäre es, Gestaltungsspielräume im Fachkräfteeinsatz zu identifizieren und die Einrichtungen bei der Erarbeitung entsprechender Personalkonzepte zu unterstützen. Ein solcher Kompetenzaufbau bei der AuW ist nur vorstellbar, wenn die hierfür benötigten zeitlichen und personellen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Der große Vorteile läge darin, dass man im Land gebündelte Kompetenzen zu alternativen Personaleinsatzkonzepten generieren würde, durch die die Gestaltungsspielräume der SQV im Sinne der Fachkräftesicherung deutlich effektiver ausgenutzt werden könnten als bisher. Darüber hinaus könnte die AuW als unabhängige Beratungsstelle fungieren, die dazu in der Lage ist, Beispiele guter Praxis systematisch aufzubereiten und zu kommunizieren. Auch im ambulanten Bereich kann eine qualitativ hochwertige Versorgung nur sichergestellt werden, wenn das Miteinander von Pflegehilfs- und Pflegefachkräften be-

128

darfsgerecht organisiert wird. Zu beachten ist die Gefahr, dass durch eine Überforderung von Pflegehilfskräften Möglichkeiten der Rehabilitation nicht genutzt werden oder sogar eine Verschlechterung der Versorgungslage beim Pflegebedürftigen eintritt. Eine an Teilhabe und Selbstbestimmung ausgerichtete Pflege verlangt nach vielschichtigen Kompetenzen beim Pflegepersonal. Präventives und rehabilitatives Knowhow kann aber bei Pflegehilfskräften nur in eingeschränktem Maße vorausgesetzt werden. Zu klären wäre in diesem Zusammenhang, wie ein fachlich ausreichender Einsatz an Pflegefachkräften in der ambulanten Versorgung sichergestellt werden kann. Um das Rehabilitationspotenzial in diesem Bereich nutzen zu können, ist darüber hinaus zu prüfen, ob die in der ambulanten Pflege tätigen Fachkräfte über die benötigten Kompetenzen verfügen und – last but not least – wie ein angemessener Fachkräfteeinsatz finanziell flankiert werden muss. 2. Der Fachkräfteeinsatz muss stärker betriebsübergreifend organisiert werden, um die sich abzeichnenden personalpolitischen Herausforderungen meistern zu können. Basis für solche Ansätze ist ein Perspektivwechsel bei den Einrichtungen und Diensten. Sowohl die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen professionellen Pflegeanbietern als auch zwischen den Diensten und Einrichtungen mit lokalen Hilfe- und Versorgungsstrukturen werden nicht ausgeschöpft. Damit bleibt ein Instrument der Fachkräftesicherung in der Pflege weit hinter den gegebenen Möglichkeiten zurück. Um in diesem Handlungsfeld erfolgreicher als bisher agieren zu können, bedarf es Beispiele guter Praxis, die zeigen, inwieweit die Öffnung von Einrichtungen und Diensten die Versorgungsqualität verbessern und das Fachkräfteproblem entschärfen können. Zu prüfen ist, inwieweit die Trägerverbände und das Land bei der Erarbeitung die Verbreitung derartiger Beispiele unterstüt-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

zen können. Denkbar sind Pilotprojekte mit ausgewählten Trägern, in denen ermittelt wird, welche organisatorischen, qualifikatorischen und kulturellen Voraussetzungen auf Seiten der Betriebe notwendig sind, damit regionale Kooperation gelingen kann. In diesem Sinn wäre eine Erweiterung des Informationssystems Pflege der LASA Brandenburg GmbH um einen Bereich „Beispiele guter Praxis aus der Region“ empfehlenswert. 3. Es fehlt an einem gezielten Einbezug von Ehrenamtlichen, Angehörigen, Betreuungsassistenten bzw. -assistentinnen nach § 87b SGB XI sowie niedrigschwelligen Betreuungsangeboten nach § 45b SGB XI in den Pflege- und Betreuungsprozess. Eine solche Strategie ist auch als betriebliche Investition im Bereich Fachkräftesicherung und Versorgungsqualität zu verstehen. Derartige Ansätze sind für den Betrieb zwar mit Kosten verbunden, weil soziales Engagement gepflegt und koordiniert werden muss. Aber solche Investitionen zahlen sich aus, weil sie zu einer Stärkung der persönlichen Versorgung und Pflege beitragen. Auch hier fehlt es an guten Konzepten und an Beispielen guter Praxis, die so kommuniziert werden, dass sie zum Nachmachen anregen. Die Dienste und Einrichtungen brauchen Unterstützung in Form von Beratung sowie Raum zum Experimentieren bspw. auf Basis geförderter Pilotprojekte. Inwieweit innovative Personaleinsatzkonzepte in Brandenburg vorangebracht werden können, hängt auch von den Inhalten und der Anwendung strukturgebender Gesetze und Verordnungen ab. Auf der einen Seite ist im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen, welche Auswirkungen bestimmte Regelungen auf zukünftige Entwicklungsspielräume haben werden. Kurzfristig scheinbar sinnvolle Lösungen können mittelfristig mit hohen Kosten verbunden sein. Wenn etwa durch den mangelnden Einsatz von Pflege-

fachkräften präventive und rehabilitative Potentiale weder erkannt noch gehoben werden, kann dies zu einem Folgeaufwand führen, der den vorherigen Einspareffekt deutlich übersteigt. Nur wenn der bedarfsgerechte Mix von Hilfs- und Fachkräften gelingt und die definierten Tätigkeitsfelder den Anforderungen einer modernen Pflege entsprechen, wird die weitere Öffnung der Pflege für unterschiedliche Qualifikationsprofile einen substanziellen Beitrag zur Lösung des Fachkräfteproblems leisten können. (3) Personalentwicklung und Fachkräftesicherung durch Aus-, Fort- und Weiterbildung Innovative Versorgungskonzepte lassen sich nur umsetzen, wenn auf Seiten der professionellen Dienstleister hinreichend Kompetenzen zur Organisation solcher Settings vorgehalten werden. Davon kann gegenwärtig nicht nur in Brandenburg nicht – zumindest nicht in hinreichender Breite – ausgegangen werden. Die damit verbundene Aufgabe der Koordination durch Pflegefachkräfte setzt eine Akademisierung für ausgewählte pflegefachliche Aufgaben sinnvoll voraus, die pädagogische Kompetenz vermittelt. Eine durchgängige Akademisierung der Pflegeausbildung erscheint jedoch nicht empfehlenswert. Neben Fragen der Qualifizierung von Pflegefachkräften sollte ein Schwerpunkt auch auf die Qualifizierung weiterer Gesundheitsfachberufe gelegt werden, die nicht hinreichend auf den demografisch bedingten Wandel ihres Berufsfeldes vorbereitet werden. Im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern liegen in vielen Gesundheitsfachberufen hierzulande kaum verbindliche (aktuelle) Standards, Richtlinien oder Curricula vor, die über die meist sehr allgemein gehaltenen Aussagen bezüglich der Ziele und Inhalte der jeweiligen Ausbildung in den Berufszulassungsgesetzen und den dazugehörigen Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen hinausgehen. Zudem fehlt es, mit Ausnahme der Akkreditierung für Ins-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

129

titutionen und Bildungsgänge im Hochschulsektor an einer verbindlichen und umfassenden Qualitätssicherung in der Aus- und Weiterbildung. Eine Überarbeitung der Ausbildungskataloge durch Entfernung obsoleter und das Aufgreifen aktueller Lerninhalte und -methoden erscheint angezeigt. Obwohl es sich bei den Ausbildungen für die Gesundheitsfachberufe um bundeseinheitliche Regelungen handelt, haben die Länder hier große Gestaltungsspielräume bei deren Umsetzung. Nach bisherigem Kenntnisstand werden die Möglichkeiten von Aus-, Fort- und Weiterbildung von den Betrieben der Brandenburger Pflege nur in eingeschränktem Maße wahrgenommen. Sie gelten primär als Kostenfaktor und weniger als Investitionen in die Weiterentwicklung des Betriebes. Nur wenige Betriebe haben bisher die Möglichkeit erkannt, durch gezielte Weiterqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Geschäftsfeld zu erweitern und damit auch in Teilen etwas unabhängiger vom stark regulierten Pflegemarkt zu werden. Folgende Gründe sprechen dafür, die Aktivitäten in diesem Bereich zu forcieren:

■■ Bedarfsgerechte Pflege erfolgt in vielschichtigen Versorgungsstrukturen und verlangt fortlaufende Aus-, Fort- und Weiterbildung. ■■ Die Inhalte und Strukturen von Aus-, Fort- und Weiterbildung müssen den sich wandelnden Anforderungen an Pflege angepasst werden. Vermeintliche Kosteneinsparungen in diesem Bereich verbauen den Diensten und Einrichtungen notwendige Entwicklungsspielräume. ■■ Die Möglichkeiten der lokalen Vernetzung zur Optimierung der Pflege und als Instrument der Fachkräftesicherung lassen sich nur mit gut ausgebildetem Personal realisieren. Bereichsübergreifende Zusammenarbeit verlangt nach umfangreichen Kompetenzen bei den handelnden Akteuren. Die Förderlandschaft für betriebliche und überbetriebliche Aus-, Fort- und Weiterbil-

130

dungsmaßnahmen ist in Brandenburg gut aufgestellt. Eine der wesentlichen Aufgaben der Zukunft besteht darin, zu prüfen, inwieweit die bestehenden Angebote auch für den Bereich Pflege genutzt werden können bzw. in welchen Fällen die Förderungen angepasst werden müssen, um den Anforderungen in der Pflege gerecht zu werden. Darüber hinaus besteht auch in diesem Feld Bedarf an einer aktiven Vermarktung des bestehenden Angebotes. Den Betrieben muss nahe gebracht werden, in welchen Bereichen sie unter welchen Voraussetzungen unterstützt werden und wie sie einzelne Förderungen beantragen können. So wäre etwa seitens des Landes und der Trägerverbände zu prüfen, welche Möglichkeiten der „Innovationsassistent“ für die Einrichtungen und Dienste eröffnet und unter welchen Bedingungen die Beschäftigung eines Innovationsassistenten bzw. einer Innovationsassistentin in der Pflege realisierbar wäre. Für den Mangel geeigneter Auszubildender machen die Pflegedienstleister neben den im Vergleich zu anderen Berufen schlechten Verdienstmöglichkeiten auch das eher schlechte öffentliche Image der Pflegeberufe verantwortlich, wobei hier aber noch einmal zwischen Alten- und Krankenpflege differenziert wird. Inwieweit eine Imagekampagne für den Beruf Altenpflege Abhilfe schaffen kann, bedarf der Prüfung. Entscheidend dürfte hierbei sein, dass die Bewerbung des Berufs mit einer realen Verbesserung der Beschäftigungs- und Entlohnungsbedingungen einhergeht. Mit warmen Worten allein wird es vermutlich nicht gelingen, einen relevant höheren Anteil an Ausbildungssuchenden für die Altenpflege zu gewinnen. (4) Betriebliche Ansätze zur Verbesse rung der Arbeitsbedingungen in der Pflege Die Diskussion über Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege konzentriert sich derzeit vor allem auf finanzielle und ar-

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

beitszeitliche Aspekte. Solange infolge der niedrigen Löhne in Brandenburg Pflegekräfte zum Teil so schlecht bezahlt werden, dass sie aufstockende Hilfen zum Lebensunterhalt beantragen müssen und die Arbeitgeber Teilzeitstellen bevorzugen, da so die Personaleinsatzplanung flexibler als mit Vollzeitkräften gestaltet werden kann, wird es nicht gelingen, die bestehenden und sich zukünftig zuspitzenden Herausforderungen der Fachkräftesicherung zu bewältigen. Die Brandenburger Pflegedienstleister sind hier klar benachteiligt gegenüber anderen Regionen in Deutschland, die aufgrund höherer Vergütungsvereinbarungen mit den Kostenträgern auch höhere Arbeitslöhne zahlen können. Es wird befürchtet, dass insbesondere jüngere flexiblere und gut ausgebildete Fachkräfte aus Brandenburg wegziehen. Löhne und Arbeitszeitmodelle sind zwar wesentliche, aber nicht die einzigen Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Gerade im Hinblick auf die spezifischen Rahmenbedingungen ist davon auszugehen, dass in der Pflege breiter angelegte Strategien notwendig sind, um auch zukünftig bei der Konkurrenz um Fachkräfte mithalten zu können. Zu nennen sind hier vor allem folgende Handlungsfelder: ■■ Die Organisation der Arbeitsabläufe (Dienst- und Routenpläne etc.) orientiert sich noch immer zu wenig an den Bedarfslagen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ■■ Karriereplanung und Gratifikationsanreize kommen wenig zur Anwendung. ■■ Maßnahmen zum Schutz der physischen Gesundheit der Beschäftigten kommen aus Kosten- und Zeitgründen nicht konsequent zur Anwendung. ■■ Maßnahmen zum Erhalt der psychischen Gesundheit der oft mit Grenzsituationen konfrontierten Beschäftigten stehen nicht im Fokus des betrieblichen Gesundheitsmanagements. ■■ Die angebotenen Konzepte zu familienfreundlichen Beschäftigungsbedingungen

helfen wenig, Doppelbelastungen in Arbeit und Familie zu bewältigen. ■■ Eine gezielte Gestaltung von Berufspausen etwa bei Schwangerschaft und einer anschließenden Rückkehr in den Beruf findet kaum statt. Ein zentraler Ansatz zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen innerhalb eines Wirtschaftszweiges ist die Organisation kollektiver Interessen durch Gewerkschaften und Betriebsräte. Der Organisationsgrad ist in der Pflege gering. Durch die Mitarbeitervertretungen in den kirchlichen Einrichtungen stellt sich dort die Situation auf der betrieblichen Ebene zwar formal besser dar, häufig fehlt es allerdings an Kapazitäten und Kompetenzen auf Seiten der Arbeitnehmervertretungen, um die betriebliche Interessenvertretung erfolgreich organisieren zu können. Der Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird in der Pflege vor allem als konfliktträchtiges Verhältnis wahrgenommen. Die Gestaltungsmöglichkeiten starker Interessenvertretungen geraten hingegen nicht in den Blick. Gewerkschaften, Betriebsräte und Berufsverbände können einen relevanten Beitrag bei der Weiterentwicklung der Pflege leisten, indem sie nicht als Konfliktverstärker, sondern als Problemlöser im Interesse von Beschäftigten und Arbeitgebern agieren. Das Land sollte prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, die kollektiven Interessenvertretungen in der Pflege zu stärken. Die jüngst durchgeführte Bestandsaufnahme zu den sozialpartnerschaftlichen Strukturen sollte vertieft und auf den Bereich der Betriebsräte resp. Mitarbeitervertretungen ausgeweitet werden. Im Kern sollte die Frage beantwortet werden, mit welchen Maßnahmen die Organisation kollektiver Interessen in der Pflege unterstützt werden kann.

Befunde und Handlungsempfehlungen zu den Handlungsfeldern

131

Lösungspotenzial der identifizierten 7

Handlungsfelder Dr. Carsten Kampe 7.1

Prävention und Rehabilitation

Die beste Strategie zur Bewältigung des Fachkräfteproblems in der Pflege ist die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit. Aktuell gehört Brandenburg mit einem Anteil von über 3,8 Prozent Pflegebedürftigen an der Bevölkerung zu den Bundesländern mit der höchsten Pflegeprävalenz. Der Bundesdurchschnitt liegt bei unter 3,1 Prozent und in Baden-Württemberg – als Bundesland mit der geringsten Pflegeprävalenz – sind nur knapp 2,6 Prozent der Bevölkerung pflegebedürftig. Dabei ist politisch besonders relevant, dass sich in diesen Zahlen neben der unterschiedlichen Altersstruktur der Bevölkerung auch unterschiedliche altersspezifische Pflegeprävalenzen niederschlagen. Im Rahmen der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege ist es gelungen, vielzählige Ansatzpunkte zur Beeinflussung von Pflegeprävalenz und zur noch konsequenteren Umsetzung rehabilitativer Ansätze zu identifizieren. Welche Effekte diese Einzelmaßnahmen haben könnten, lässt sich jedoch nicht quantifizieren. Szenarien zu den Auswirkungen alternativer Prävalenzwerte in Brandenburg müssen sich daher auf gröbere Orientierungswerte stützen. Eine durchaus plausible Variante geht von der Annahme aus, dass es in Brandenburg gelingt, bis zum Jahr 2030 die altersspezifischen Pflegeprävalenzen auf den bundesdeutschen Durchschnitt zu senken. Für eine solche Annäherung spricht, dass die wesentlichen Faktoren, die das Risiko der Pflegebedürftigkeit maßgeblich bestimmen, sich in Deutschland zunehmend anpassen; seien es Ernährungsgewohnheiten, berufliche Belastungen oder auch die Bereitschaft, Angebote der Gesundheitsvorsorge anzunehmen. Bei bundesdeutscher Pflegeprävalenz gebe es in Brandenburg im Jahr 2030 über 30.000 Pflegebedürftige weniger zu versorgen als unter Status-Quo-Bedingungen. Im Besonderen die Zahl 80 bis 90-jähriger Pflegebedürftiger würde deutlich geringer ausfallen. In diesen Altersgruppen wäre mit einem

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Rückgang der Zahl an Pflegebedürftigen von fast einem Viertel – im Vergleich zur StatusQuo-Prognose für 2030 – zu rechnen. Um die hohe Relevanz von Prävention und Rehabilitation nochmals zu betonen, bietet es sich darüber hinaus an, ein Best-Case-Szenario zu berechnen. Basis des Szenarios ist die Pflegeprävalenz in Baden-Württemberg21. Wenn es in Brandenburg gelingt, bis zum Jahr 2030 die altersspezifische Pflegeprävalenz auf die heutigen Baden-Württembergwerte zu senken, dann gebe es in Brandenburg im Jahr 2030 über 53.000 Pflegebedürftige weniger zu versorgen als unter Status-Quo-Bedingungen. Abbildung 7 verdeutlicht, wie groß der Effekt wäre, wenn sukzessive ein Absinken auf alternative altersspezifische Pflegeprävalenzen in Brandenburg erfolgen würde.22

21 Baden-Württemberg ist das Bundesland mit der geringsten Pflegeprävalenz. 22 In dieser und den nachfolgenden Abbildungen wird von einer linearen Annäherung an den jeweiligen Alternativwert des Jahres 2030 ausgegangen.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

Projektion der Zahl an Pflegebedürftigen in Brandenburg unter den Bedingungen eines sukzessiven Absinkens auf alternative Pflegeprävalenzen

Abbildung 7:

170.000

161.783

160.000 146.076

150.000 140.000 126.862

130.000

128.318

120.000 110.000

106.775 106.775

100.000

100.254

90.000

95.911

122.841 112.848 107.633

103.633

106.190

30

29

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12

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11

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10

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20

09

80.000

Brandenburger Pflegeprävalenz Bundesdeutsche Pflegeprävalenz Baden-Württembergische Pflageprävalenz Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvoraus­ berechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

Um den Beschäftigungseffekt einer alternativen Pflegeprävalenz abschätzen zu können, ist es zunächst notwendig, nach den verschiedenen Versorgungstypen zu differenzieren. In einem ersten Schritt wurde davon ausgegangen, dass die Versorgungsstruktur in Brandenburg zukünftig stabil bleibt. Bei Bundesdeutscher Pflegeprävalenz würden in Brandenburg im Jahr 2030 gut 39.000 Personen die Leistungen ambulanter Dienste in Anspruch nehmen und über 42.000 Personen wären in der stationären Versorgung (die verbleibenden knapp 50.000 Pflegebedürftigen würden Pflegegeld beziehen). Bei stabiler Betreuungsquote und stabilen Beschäftigungsstrukturen (Verhältnis von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung) müssten dann im Jahr

2030 gut 16.000 Personen in der ambulanten und 27.000 Personen in der stationären Pflege tätig sein. Damit würde der zukünftige Personalmehrbedarf in der stationären Pflege um fast 6.000 Personen und in der ambulanten Pflege um knapp 5.000 Personen geringer ausfallen als unter den Bedingungen der heutigen Brandenburger Pflegeprävalenz. Bei Baden-Württembergischer Pflegeprävalenz würden in Brandenburg im Jahr 2030 knapp 33.000 Personen die Leistungen ambulanter Dienste in Anspruch nehmen, gut 35.000 Personen wären in stationärer Versorgung und etwa 40.000 Pflegebedürftige würden Pflegegeld beziehen). Bei stabiler Betreuungsquote und stabilen Beschäftigungsstruk-

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

133

Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen

Abbildung 8:

60.000

54.116 48.060

50.000 40.636 40.000

30.000

33.240

36.492

31.390

33.560

43.623

40.932

36.249

35.975

30.050 20.000

10.000

30

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10

20

20

20

09

0

Brandenburger Pflegeprävalenz Bundesdeutsche Pflegeprävalenz Baden-Württembergische Pflageprävalenz Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvoraus­ berechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

turen müssten dann gut 13.000 Personen in der ambulanten und 22.800 Personen in der stationären Pflege tätig sein. In diesem Fall würde der zukünftige Personalmehrbedarf in der stationären Pflege um ca. 10.000 Personen und in der ambulanten Pflege um über 7.000 Personen geringer ausfallen als unter

134

den Bedingungen der Brandenburger Pflegeprävalenz. Abbildung 8 verdeutlicht, wie groß der Beitrag von Prävention und Rehabilitation bei der Lösung des Fachkräfteproblems in der Brandenburger Pflege ausfallen könnte.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

7.2

Alternative Versorgungsstrukturen

Im Rahmen der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege konnten verschiedene Maßnahmen zur Stabilisierung und Optimierung der Versorgungsstrukturen herausgearbeitet werden. Die Szenarien zeigen, welche Effekte zu erwarten wären, wenn die Versorgungsstruktur eines einzelnen Landkreises in ganz Brandenburg Gültigkeit hätte. Aufgrund des sehr hohen Anteils an ambulant versorgten Pflegebedürftigen in der Uckermark werden die Verhältnisse dieses Landkreises als Basis eines Best-Case-Szenario genutzt. Die Versor-

gungsstrukturen der kreisfreien Stadt Cottbus dienen aufgrund des hohen Anteils an stationär Versorgten (fast 40 Prozent aller Pflegebedürftigen in Cottbus, vgl. Tabelle 20) als Berechnungsgrundlage des Worst-Case-Szenarios. Auch wenn eine kreisfreie Stadt sich durch spezifische Strukturmerkmale auszeichnet, scheint dieses Vorgehen legitim, da bspw. auch das Flächenland Schleswig-Holstein eine stationäre Versorgungsquote von über 40 Prozent aufweist: Cottbuser Verhältnisse in ganz Brandenburg sind durchaus vorstellbar.

Tabelle 20: Anteil

der Pflegebedürftigen nach Art der Versorgung in 2009 im regionalen Vergleich Pflegegeld

Ambulante Dienste

stationär

Uckermark

47,2 %

35,5 %

17,3 %

Cottbus

30,8 %

32,2 %

37,0 %

Brandenburg insgesamt

44,6 %

30,4 %

25,0 %

Quelle: Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg

Die Anwendung der alters- und geschlechtsspezifischen Versorgungsstrukturen der Uckermark des Jahres 2009 auf die prognostizierte Zahl an Pflegebedürftigen in Brandenburg in 2030 zeigt, dass unter Uckermärker Versorgungsstrukturen die Zahl an stationär Versorgten in Brandenburg um über 10.000 Personen niedriger ausfallen würde als unter Status-Quo-Bedingungen. Entsprechend würde die Zahl ambulanter Sachleistungsempfänger um gut 8.200 und die Zahl der Pflegegeldempfänger um gut 2.000 Personen höher liegen. Der Gesamtbeschäftigungseffekt fällt durch eine Verschiebung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung überschaubar aus. Wenn es in Brandenburg bis zum Jahr 2030 gelingen sollte, die Uckermärker Versorgungsstrukturen zu realisieren, würde der Personalbedarf in der Pflege um etwa 3.700 Personen geringer ausfallen als unter Status-

Quo-Bedingungen. Die qualitativen Effekte wären etwas stärker ausgeprägt: In der stationären Versorgung würde der Personalbedarf in der Brandenburger Pflege um über 7.000 Personen geringer ausfallen. In der ambulanten Versorgung müssten demgegenüber fast 3.400 Beschäftigte mehr tätig sein. Dieser Zusammenhang macht wiederum auf das enge Wechselverhältnis zwischen pflegerischer Versorgungsstruktur und Fachkräftesicherung aufmerksam. Ein Wandel der Versorgungslandschaft hätte nicht nur quantitative Effekte, sondern würde fachkräfteseitig auch qualitative Veränderungen mit sich bringen. Im Ausbildungsbereich bspw. könnte der relative Bedeutungsverlust der stationären Versorgung zusätzliche Herausforderungen schaffen, da die ambulanten Dienste ihre Ausbildungsverantwortung zukünftig noch stärker als bisher wahrnehmen müssten.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

135

Bei bundesdeutscher Pflegeprävalenz würde das Erreichen Uckermärker Versorgungsstrukturen aufgrund der unter diesen Gegebenheiten niedrigeren Zahl an Pflegebedürftigen zu einem Personalbedarf in der Pflege in Brandenburg führen, der um etwa 3.600 Personen niedriger läge als bei Brandenburger Versorgungsstrukturen und bundesdeutscher Pflegeprävalenz. In der stationären Versorgung müssten ca. 6.500 Personen weniger und in der ambulanten Pflege fast 2.900 Beschäftigte mehr tätig sein. Bei Baden-Württembergischer Pflegeprävalenz wäre der zusätzliche Beitrag alternativer Versorgungsstrukturen aus den gleichen Gründen noch-

mals geringer: Der Personalbedarf in der Pflege würde in Brandenburg um etwa 3.000 Personen niedriger liegen. In der stationären Versorgung müssten ca. 5.400 Personen weniger und in der ambulanten Pflege fast 2.400 Beschäftigte mehr tätig sein. Die nachstehende Grafik verdeutlicht, welchen zusätzlichen Effekt das Erreichen Uckermärker Versorgungsstrukturen unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen bei der Bewältigung der anstehenden Fachkräfteherausforderungen hätte. Als Orientierungswert ist in der Abbildung auch die Projektion des Personalbedarfs in Brandenburg unter Status-QuoBedingungen dargestellt.

Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen und Uckermärker Versorgungsstrukturen

Abbildung 9:

60.000

54.116 48.060

50.000

40.000

40.636 38.701

33.240 32.184

45.246

33.681

31.983

29.190

39.993

38.165

34.590

30.352

30.000

50.422

33.239

20.000

10.000

30

29

20

28

20

27

20

26

20

25

20

24

20

23

20

22

20

21

20

20

20

19

20

20

18

17

20

16

20

15

20

14

20

13

20

12

20

11

20

10

20

20

20

09

0

Status-Quo-Projektion

Brandenburger Pflegeprävalenz

Bundesdeutsche Pflegeprävalenz

Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvoraus­ berechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

136

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

Im Hinblick auf die zu erwartenden sozio-demografischen Folgen der Bevölkerungsentwicklung (Abnahme des familiären Pflegepotenzials, weitere Reduzierung der Bevölkerungszahl in peripheren Regionen) wird es zukünftig in Brandenburg eher schwierig werden, den hohen Anteil an ambulant Versorgten zu halten. Das Worst-Case-Szenario soll verdeutlichen, welche personalpolitischen Anforderungen mit einem Bedeutungsgewinn der stationären Pflege einhergehen würden. Die Anwendung der alters- und geschlechtsspezifischen Versorgungsstrukturen der kreisfreien Stadt Cottbus des Jahres 2009 auf die prognostizierte Zahl an Pflegebedürftigen in Brandenburg in 2030 zeigt, dass unter Cottbuser Versorgungsstrukturen die Zahl an stationär Versorgten in Brandenburg mit fast 72.000 Bedürftigen um über 17.500 Personen höher ausfallen würde als unter Status-QuoBedingungen. Die Zahl ambulanter Sachleistungsempfänger würde um knapp 2.600 höher liegen und die Zahl der Pflegegeldempfängerinnen und -empfänger entsprechend um gut 20.000 Personen geringer ausfallen. Bei unverändertem Personaleinsatz in der ambulanten und stationären Pflege würde der Personalbedarf in Brandenburg um etwa 14.400 Personen höher ausfallen als unter Status-

Quo-Bedingungen. In der stationären Pflege müssten knapp 13.400 Personen und in der ambulanten Versorgung gut 1.000 Beschäftigte mehr tätig sein. Dadurch wären enorme Investitionen in stationäre Einrichtungen in Brandenburg notwendig und der Personalbedarf würde sich in den nächsten 20 Jahren fast verdreifachen (von aktuell 16.429 Beschäftigten auf fast 46.600). Mit Blick auf die zu erwartenden Entwicklungen des Brandenburger Arbeitsmarktes erscheint dieses kaum leistbar. Die Abbildung auf Seite 138 zeigt, wie sich der Gesamteffekt darstellen würde. Bei Annäherung an die bundesdeutsche Pflegeprävalenz würde der Personalmehrbedarf Cottbusser Versorgungsstrukturen fast vollständig kompensiert werden – oder umgekehrt, der Positiveffekt des geringeren Pflegerisikos wäre personalseitig absorbiert. Unter Baden-Württembergischen Prävalenzbedingungen wäre der Personalbedarf auch bei Cottbusser Versorgungsstrukturen geringer als unter Status-Quo-Bedingungen. Er läge aber gut 10.000 Beschäftigte über dem Wert, der bei Uckermärker Versorgungsstrukturen möglich wäre.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

137

Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen und Cottbuser Versorgungsstrukturen

Abbildung 10:

70.000

68.520

60.000 50.000 40.000

48.181 42.069 40.636 38.128

37.355 34.432 33.240 32.542

30.000

59.053

54.270

49.044

54.116

48.060

44.970

42.619

20.000 10.000

30

29

20

28

20

27

20

26

20

25

20

24

20

23

20

22

20

21

20

20

20

19

20

20

18

17

20

16

20

15

20

14

20

13

20

12

20

11

20

10

20

20

20

09

0

Status-Quo-Projektion

Brandenburger Pflegeprävalenz

Bundesdeutsche Pflegeprävalenz

Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

138

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

7.3

Alternativer Personaleinsatz

Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege hat gezeigt, dass auch in Bezug auf eine Optimierung des Fachkräfteeinsatzes in der Pflege vielfältige Spielräume bestehen. Im Folgenden wird gezeigt, wie sich der Personalbedarf in der Brandenburger Pflege bei unterschiedlichen Betreuungsquoten (Veränderung des zahlenmäßigen Verhältnisses zwischen Personal je Pflegebedürftigen) entwickeln würde und welche Auswirkungen eine Erhöhung der Vollzeitquote für den zukünftigen Fachkräftebedarf hätte. 7.3.1 Personaleffekt alternativer Betreuungsquoten Eine der zentralen Herausforderungen bei der Optimierung des Personaleinsatzes in der Pflege besteht darin, die hohe Versorgungsqualität trotz geringerem Fachkräfteeinsatz zu halten bzw. weiter zu entwickeln. Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch, kann das nur gelingen, wenn personalpolitische Reorganisationsmaßnahmen mit Prozessinnovationen flankiert werden. Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege zeigt, dass qualitativ hochwertige Pflege mit einer geringeren Betreuungsquote funktionieren kann, wenn Pflege in Zukunft anders organisiert wird. Einrichtungen und Dienste müssen sich deutlich mehr dem regionalen und familialen Umfeld öffnen. Der pflegefachlich fragwürdige Ansatz einer stationären Komplettversorgung stößt unter den Bedingungen eines sich verknappenden Fachkräfteangebotes zunehmend an Grenzen. Auf Basis einer voranschreitenden Ambulantisierung der stationären Pflege und einer auf mehr Beratung, Anleitung und Organisation ausgerichteten ambulanten Versorgung ist es durchaus möglich, die Qualität von Pflege bei optimiertem Personaleinsatz zu erhöhen. Das Szenario zu alternativen Betreuungsquoten stützt sich wiederum auf die Situation eines Brandenburger Landkreises. Dieses Vorgehen erscheint plausibel, da die gewählten

Orientierungswerte trotz spezifischer Rahmenbedingungen in Brandenburg umgesetzt werden konnten und entsprechend als realisierbar gelten müssen. Wie die unterschiedlichen Betreuungsquoten in den Brandenburger Landkreisen ursächlich zu erklären sind, ist offen. Die These, dass in Flächenlandkreisen mehr Zeit für Anfahrtswege aufgewandt werden muss, was den benötigten Personalbedarf in der ambulanten Versorgung tendenziell erhöhen sollte, bestätigt sich nicht (Kampe 2013, S. 18). Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege zeigt jedoch, dass beim Personaleinsatz in den ambulanten Diensten und stationären Einrichtungen Gestaltungsspielräume bestehen. Je nach Betreuungsquote würde der zukünftige Personalbedarf in der Brandenburger Pflege (bei ansonsten stabilen Rahmenbedingungen) in relevantem Maße variieren. Da der Landkreis Prignitz die geringsten Betreuungsquoten in Brandenburg aufweist, wurden die Prignitzer Strukturen als Basis des Best-Case-Szenarios genutzt.23 Auf eine Worst-Case-Rechnung wurde verzichtet, weil Gestaltungspotenziale aufgezeigt werden sollen und eine weitere Dramatisierung der Situation wenig erkenntnisfördernd erscheint. Um den Effekt alternativer Betreuungsquoten ermitteln zu können, ist es notwendig, die Berechnungen auf die erbrachte Arbeitsleistung (gemessen in Vollzeitäquivalenten) zu stützen.24 Mit 0,24 Vollzeitäquivalenten je Pflegebedürftigen liegt die Betreuungsquote in der ambulanten Versorgung in der Prignitz deutlich unter dem Brandenburger Wert von 0,32.

23 Damit soll keine Aussage über den Zusammenhang zwischen Personaleinsatz und der Qualität der Pflege getroffen werden. Best-Case im Sinne der Fachkräftesicherung bedeutet an dieser Stelle ausschließlich einen möglichst geringen Personalaufwand. 24 Bei einer Betrachtung der Beschäftigtenzahlen (Köpfe) käme es zu Unschärfen infolge unterschiedlicher Beschäf­ tigungsstrukturen (Vollzeitquoten) innerhalb der Vergleichsregionen.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

139

Unter den Bedingungen der Prignitzer Betreuungsquote von 2009 würde der Arbeitskräftebedarf in der ambulanten Versorgung in Brandenburg im Jahr 2030 um etwa 4.200 Vollzeitäquivalente geringer ausfallen als unter Status-Quo-Bedingungen. In Köpfen beläuft sich der Unterschied auf fast 4.700 Beschäftigte. Da die Unterschiede in der Betreuungsquote im stationären Bereich in Brandenburg kleiner sind (Prignitz 0,47 VZÄ und Brandenburg 0,51 VZÄ), wäre der zu erwartende Beschäftigungseffekt einer Prignitzer Betreuungsquote in allen Brandenburger Pflegeeinrichtungen weniger ausgeprägt. Bei Erreichen Prignitzer Betreuungsquoten in der stationären Versorgung würde der Personalbedarf in Brandenburg im Jahr 2030 um etwa 2.900 Personen geringer ausfallen als unter Status-Quo-Bedingungen. Das entspricht einer Einsparung an Arbeitsleistung von gut 1.600 Vollzeitäquivalenten.25 Insgesamt würde das Erreichen der Prignitzer Betreuungsquoten bei ansonsten stabilen Rahmenbedingungen den Personalbedarf in der Brandenburger Pflege um gut 7.500 Personen reduzieren. Bei Annäherung an die bundesdeutsche Pflegeprävalenz würde der zusätzliche Beschäftigungseffekt der Prignitzer Betreuungsquote aufgrund der geringeren Zahl an Pflegebedürftigen etwas niedriger ausfallen. Der Arbeitskräftebedarf in der ambulanten Pflege würde sich in Brandenburg in 2030 um etwa 3.600 Personen und in der stationären Versorgung um ca. 2.600 Beschäftigte reduzieren. Insgesamt würde es unter den Bedingungen einer bundesdeutschen Pflegprävalenz durch Erreichen der Prignitzer Betreuungsquote zu Personaleinsparungen von gut 6.200 Beschäftigten kommen. Bei Annäherung an die Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

wäre der zusätzliche Personaleffekt Prignitzer Betreuungsquoten nochmals geringer: Im ambulanten Bereich müssten dann etwa 3.000 und in der stationären Versorgung knapp 2.200 Personen weniger tätig sein (insgesamt also 5.200). Die nachstehende Grafik bildet den Gesamteffekt der bisher skizzierten Ansätze zur Lösung des Fachkräfteproblems in der Pflege ab. Gezeigt wird, wie sich der Personalbedarf in der Brandenburger Pflege (ambulant und stationär) unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen entwickeln würde, wenn es gelänge, Uckermärker Versorgungsstrukturen und Prignitzer Betreuungsquoten in ganz Brandenburg zu erreichen. Durch die Kombination von Prävention, Organisation von Pflege und einen optimierten Personaleinsatz lassen sich die personalpolitischen Herausforderungen der Brandenburger Pflege relevant reduzieren. Im Best-Case-Szenario (Erreichen der Baden-Württembergische Pflegeprävalenz, der Uckermärker Versorgungsstrukturen und der Prignitzer Betreuungsquote) kann der Personalmehrbedarf bis 2030 fast stabil gehalten werden. Fachkräftesicherung würde unter diesen Bedingungen primär die Sicherstellung des Ersatzbedarfs bedeuten.

25 Die Differenz zwischen Vollzeitäquivalenten und Köpfen fällt hier höher aus, weil die prognostizierte Zahl an Beschäftigten im stationären Bereich deutlich über der prognostizierten Zahl an Beschäftigten in der ambulanten Pflege liegt.

140

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen, Uckermärker Versorgungsstrukturen und Prignitzer Betreuungsquoten

Abbildung 11:

60.000

54.116 48.060

50.000 40.636 40.000

33.240

34.556

29.923 30.000

29.260

27.705

37.362

36.161

33.212

29.601

42.508

39.216

29.721

28.041

20.000

10.000

30

29

20

28

20

27

20

26

20

25

20

24

20

23

20

22

20

21

20

20

20

19

20

18

20

17

20

16

20

15

20

14

20

13

20

12

20

11

20

10

20

20

20

09

0

Status-Quo-Projektion

Brandenburger Pflegeprävalenz

Bundesdeutsche Pflegeprävalenz

Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

7.3.2 Alternative Vollzeitquoten Neben der Optimierung der Betreuungsquote stellt die Ausweitung der Arbeitsleistung je Beschäftigten (Erhöhung der Vollzeitquote) ein mögliches Instrument zur Bewältigung des Fachkräfteproblems in der Pflege dar. Kernargument der Träger und Trägerverbände gegen die Erhöhung der Vollzeitquote ist, dass die Betriebsabläufe in der Pflege – mit einem hohen Versorgungsbedarf am Morgen und Vormittag, einer Versorgungspause am frühen Nachmittag und einem hohen Versorgungsbedarf am späten Nachmittag und Abend – mit Vollzeitstellen nur schlecht zu organisieren seien. Der Pflegeprozess lege eine Arbeitszeit von ca. sechs Stunden am Tag nahe (sog. 30-Stunden-Kräfte). Gegen diese Behauptung spricht die große Variation an Beschäftigungs-

konzepten, die sich sowohl bei unterschiedlichen Trägern (private und freigemeinnützige Träger), als auch auf der betrieblichen Ebene finden lassen. Die Pflegestatistik zeigt, dass die Vollzeitquote bei den privaten Trägern im gesamten Beobachtungszeitraum deutlich über den Vollzeitquoten der Dienste und Einrichtungen freigemeinnütziger Träger lag. Erst in den letzten Jahren ist es zu einer leichten Annäherung der Vollzeitquoten – mit einem immer noch hohen Niveauunterschied – gekommen. In 2011 belief sich die Vollzeitquote bei den ambulanten Diensten in privater Trägerschaft auf über 46 Prozent. Bei den freigemeinnützigen Trägern hatten nur knapp 23 Prozent der Beschäftigten eine Vollzeitstelle. Das Verhält-

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

141

nis in den stationären Einrichtungen fällt ähnlich aus: Bei den privaten Trägern beläuft sich die Vollzeitquote 2011 auf 46, bei den freigemeinnützigen Trägern auf 24 Prozent. Wie dieser Unterschied zustande kommt, ist auf Basis der vorliegenden Daten nicht zu erklären. Für die vorliegende Argumentation ist wesentlich, dass der trägertypische Unterschied in den Vollzeitquoten die These einer zwangsläufig hohen Teilzeitbeschäftigung in der Pflege wiederlegt. Welche Beschäftigungsverhältnisse in der Pflege zur Anwen-

dung kommen, ist nur bedingt vom Pflegeprozess als solchem abhängig. Bestimmender scheinen vielmehr betriebliche Personaleinsatzkonzepte zu sein. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man betriebstypische Vollzeitquoten in den Blick nimmt. In Tabelle 21 ist der Anteil ambulanter Dienste und stationärer Einrichtungen ausgewiesen, die mit einer bestimmten Vollzeitquote (bspw. 90 bis 100 Prozent) arbeiten:

Tabelle 21: Anteil ambulanter Dienste und stationärer Einrichtungen mit einer spezifischen Vollzeitquote, bezogen auf alle Dienste und Einrichtungen in Brandenburg

Vollzeitquote von ... bis unter ... Prozent

Ambulante Einrichtungen

stationäre Einrichtungen

Anteil in Prozent

100

5,2

1,5

90 – 100

1,8

1,3

80 – 90

6,7

4,5

70 – 80

6,4

4,0

60 – 70

7,5

4,5

50 – 60

7,5

7,8

40 – 50

6,2

7,0

30 – 40

9,2

12,0

20 – 30

12,4

18,0

10 – 20

18,6

21,0

unter 10

18,6

18,5

3,3

7,5

darunter genau 0

Quelle: Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg, nicht öffentliche Sonderauswertung

142

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

In Brandenburg gibt es danach Dienste und Einrichtungen, die ausschließlich mit Vollzeitbeschäftigten arbeiten wie auch Dienste und Einrichtungen, die überhaupt keine Vollzeitkraft beschäftigen.26 Der Anteil der Dienste und Einrichtungen mit einer unterdurchschnittlichen Vollzeitquote (unter 30 Prozent) überwiegt. Daher scheint die Betriebsgröße eine Rolle zu spielen. Nichts desto trotz konnte auch ein relevanter Anteil an Dienstleistern identifiziert werden, die mit einer Vollzeitquote von über 80 Prozent arbeiten. Deutlich wird auch hier, dass bei der Frage nach Voll- und Teilzeitbeschäftigung offensichtlich mehr Gestaltungsspielräume bestehen, als von den Betriebsakteuren und ihren Verbandsvertretern angenommen wird. Da keine plausible Begründung für die stark variierenden Vollzeitquoten vorliegt, ist es nicht möglich, unterschiedliche Szenarien auf Plausibilitätsannahmen zu stützen. Klar ist, dass umfangreiche Gestaltungsspielräume beim Personaleinsatz bestehen und dass der Handlungsdruck, in diesem Bereich aktiv zu werden, weiter stark zunehmen wird. Auch von Seiten des Fachkraftangebotes sind im Hinblick auf die Ausweitung der Vollzeitquote kaum Engpässe zu erwarten. Fast die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten in der Pflege hat offenbar ein Interesse daran, ihre Arbeitszeit zu erhöhen (Afentakis/ Maier 2010). Insgesamt erscheint es legitim, sich für das Best-CaseSzenario auf die höchste Vollzeitquote in Brandenburg innerhalb des Beobachtungszeitraums zu stützen.27 Am höchsten fiel die Vollzeitquote bei den privaten Trägern mit 57 Prozent Vollzeitbeschäftigten im ambulanten

26 Eine Differenzierung nach Betriebsgrößenklassen wäre an dieser Stelle sinnvoll, da es mit hoher Wahrscheinlichkeit relevante Unterschiede zwischen großen Anbietern sowie Klein- und Kleinstbetrieben gibt. Aus datenschutztechnischen Gründen war eine solche Differenzierung aber nicht möglich. 27 Auf ein Worst-Case-Szenario wurde aufgrund der bereits hohen Dramatik der Status-Quo-Projektion erneut ver­ zichtet.

Bereich und 77 Prozent Vollzeitbeschäftigten im stationären Bereich im Jahr 1999 aus.28 Wenn es bis zum Jahr 2030 in Brandenburg gelingen sollte, die Beschäftigungsstrukturen der privaten Träger von 1999 zu erreichen, würde der Personalbedarf in der ambulanten Pflege um fast 1.350 Beschäftigte geringer ausfallen als unter Status-Quo-Bedingungen.29 Das entspricht immerhin einer Reduzierung um gut 6,4 Prozent. In der stationären Versorgung wäre der Effekt noch ausgeprägter. Bei Erreichen der deutlich höheren Vollzeitquote würde der Personalbedarf um 13,3 Prozent geringer ausfallen. In diesem Fall müssten 4.440 Personen weniger für die Pflege gewonnen werden als unter Status-Quo-Bedingungen. Insgesamt beträgt der Unterschied zwischen den hier berechneten Szenarien 5.780 Beschäftigte bzw. knapp 11 Prozent. Auch bei diesem Ansatz würden aufgrund der geringeren Zahl an Pflegebedürftigen und der damit einhergehenden niedrigeren Beschäftigtenzahlen die Effekte bei Erreichen der bundesdeutschen Pflegeprävalenz etwas geringer ausfallen. Der personelle Einsparungseffekt würde sich bei den ambulanten Diensten auf gut 1.000 Personen belaufen. In den stationären Einrichtungen würde der Personalbedarf im Jahr 2030 um etwa 3.650 Personen geringer ausfallen. Insgesamt ließe sich der zukünftige Personalbedarf in der Brandenburger Pflege damit um ca. 4.700 Personen reduzieren. Unter den Bedingungen BadenWürttembergischer Pflegeprävalenzen würde sich der zusätzliche Personaleffekt auf 850 Beschäftigte im ambulanten und gut 3.000

28 Aktuell (2011) beläuft sich die Vollzeitquote in der ambulanten Versorgung in Brandenburg auf 36, 2 Prozent und in der stationären Versorgung auf 30,9 Prozent. 29 Hierbei wird davon ausgegangen, dass Beschäftigte mit einem Stundenkontingent von über 50 Prozent einer Vollzeitstelle im Durchschnitt 80 Prozent einer Vollzeitstelle arbeiten und Beschäftigte mit einem Stundenkontingent von unter 50 Prozent einer Vollzeitstelle im Durchschnitt 30 Prozent einer Vollzeitstelle arbeiten.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

143

Beschäftigte im stationären Bereich belaufen (was insgesamt ca. 3.900 Beschäftigte ausmachen würde). In der nachstehenden Grafik ist der Gesamteffekt der skizzierten Ansätze zur Lösung des Fachkräfteproblems in der Pflege um die Auswirkung einer erhöhten Vollzeitquote ergänzt.

Im Best-Case-Szenario (Baden-Württembergische Pflegeprävalenz, Uckermärkische Versorgungsstrukturen, Prignitzer Betreuungsquote und Vollzeitquote wie bei den privaten Trägern in 1999) käme es bis 2030 sogar zu einem leichten Rückgang des in der Brandenburger Pflege benötigten Personals.

Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen, Uckermärker Versorgungsstrukturen, Prignitzer Betreuungsquoten und einer Vollzeitquote wie bei den privaten Trägern im Jahr 1999 Abbildung 12:

60.000

54.116 48.060

50.000 40.636 40.000 33.240

32.266

28.674 28.608

30.000

38.137

35.886 31.392 27.745

26.878

33.886

33.513 27.517

25.149

20.000

10.000

30

29

20

28

20

27

20

26

20

25

20

24

20

23

20

22

20

21

20

20

20

19

20

20

18

17

20

16

20

15

20

14

20

13

20

12

20

11

20

10

20

20

20

09

0

Status-Quo-Projektion

Brandenburger Pflegeprävalenz

Bundesdeutsche Pflegeprävalenz

Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

Schließlich lassen sich für das Baden-Württemberg-Szenario die Effekte der einzelnen Ansätze der Fachkräftesicherung in einer zusammenführenden Grafik abbilden. Deutlich wird, wie groß – ausgehend von der Status-

144

Quo-Projektion – der Beitrag des jeweiligen Handlungsfeldes zur Bewältigung der Fachkräfteproblematik in der Brandenburger Pflege ausfallen könnte (Vgl. Abbildung 13).

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

Potenzial der skizzierten Ansätze zur Lösung des Fachkräfteproblems in der Brandenburger Pflege entsprechend des Baden-Württemberg-Szenarios

Abbildung 13:

60.000

50.000

40.000

30.000

20.000

10.000

30

29

20

28

20

27

20

26

20

25

20

24

20

23

20

22

20

21

20

20

20

19

20

18

20

17

20

16

20

15

20

14

20

13

20

12

20

11

20

10

20

20

20

09

0

Status-Quo-Projektion

Baden-Württembergische Pflegeprävalenz

Uckermärker Versorgungsstrukturen

Prignitzer Betreuungsquote

Vollzeitquote wie private Träger in 1999 Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

Die Reduzierung der Pflegeprävalenz würde die mit abstand größten Personaleffekte nach sich ziehen. Mehr als 50 Prozent des zukünftigen Personal-Mehrbedarfs könnte durch das Erreichen Baden-Württemberger Pflegeprävalenzen vermieden werden. Die Optimierung des Personaleinsatzes in der Pflege (orangene Fläche) könnte für die Bewältigung des zukünftigen Fachkräftebedarfs die zweitwichtigste Strategie darstellen. Auch der Ausbau ambulanter Versorgungsstrukturen (grüne Fläche) und die Erhöhung der Vollzeitquote (blaue Fläche) können einen relevanten – und vermutlich notwendigen – Beitrag zu Fachkräftesicherung in der Brandenburger Pflege leisten, selbst wenn die Personaleffekte im dargestellten Szenario etwas geringer ausfallen.

Die in der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege vorgeschlagenen Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Brandenburger Pflege sind in der Regel mit Kosten verbunden. Die Prognosen zur Kostenentwicklung im Bereich Hilfe zur Pflege zeigen, dass es sich hierbei um Investitionen handelt, die sich bereits in den nächsten Jahren amortisieren könnten.

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

145

7.4

Kostenentwicklung bei der Hilfe zur Pflege

Die Reduzierung der altersspezifischen Pflegeprävalenz und damit der Zahl an Pflegebedürftigen sowie ein nochmaliger Bedeutungsgewinn der ambulanten Versorgung bis zum Jahr 2030 hätten Auswirkungen auf die entstehenden Kosten der Hilfe zur Pflege. Da die Kostenstruktur (Kosten je Pflegebedürftigen) und die Hilfeempfängerquote (Anteil an Leistungsbeziehern an allen Pflegebedürftigen) im Bereich Hilfe zur Pflege primär von sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen abhängen und nur sehr bedingt von den Akteuren auf Landesebene beeinflussbar sind, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Kosten der Hilfe zur Pflege auf den bundesdeutschen Durchschnitt ansteigen. Käme es bis zum Jahr 2030 bei der Hilfe zur Pflege zu einer Anpassung der Kostenstruktur und Hilfeempfängerquote an das aktuelle bundesdeutsche Niveau, dann wären in Brandenburg in diesem Bereich Bruttosozialhilfekosten in Höhe von etwa 295 Millionen Euro zu leisten.30 Wenn es unter dieser Prämisse in Brandenburg jedoch gelingen würde, die Pflegeprävalenz auf den Bundesdurchschnitt von 2009 zu senken, dann würden sich unter den angenommenen Bedingungen die Bruttokosten für Leistungen der Hilfe zur Pflege im Jahr 2030 auf knapp 241 Millionen Euro, bei BadenWürttembergischer Pflegeprävalenz auf gut 200 Millionen Euro belaufen. Allein durch die Annäherung der Pflegeprävalenz auf den Baden-Württembergischen Durchschnitt von 2009 ließen sich in Brandenburg im Jahr 2030 voraussichtlich fast 100 Millionen Euro Bruttosozialhilfekosten im Bereich Hilfe zur Pflege sparen.

Die Kosten der Hilfe zur Pflege liegen im stationären Bereich deutlich über den Kosten in der ambulanten Versorgung. Daher würde bei Erreichen Uckermärker Versorgungsstrukturen der relative Bedeutungsverlust der stationären Pflege sich direkt auf die Kosten im Bereich Hilfe zur Pflege niederschlagen. Selbst bei stabiler Pflegeprävalenz würde man unter den getroffenen Annahmen durch die Uckermärker Versorgungsstrukturen ca. 42 Millionen Euro Bruttosozialhilfekosten in Brandenburg einsparen können. Unter den Bedingungen Uckermärker Versorgungsstrukturen und bundesdeutschem Prävalenzniveau würden im Jahr 2030 in Brandenburg 202 Millionen Euro Bruttosozialhilfekosten in der Hilfe zur Pflege anfallen – also 94 Millionen weniger als unter Status-Quo-Annahme. Bei BadenWürttembergischen Prävalenzwerten und Uckermärker Versorgungsstrukturen wären sogar nur 168 Millionen Euro Bruttokosten Hilfe zur Pflege zu leisten. Das jährliche Einsparpotenzial steigert sich bei dieser Variante bis 2030 auf immerhin 128 Millionen Euro. Abbildung 14 fasst die Kostenentwicklung im Bereich Hilfe zur Pflege unter den angenommenen Varianten zusammen.

30 Die Angabe ist nicht inflationsbereinigt, sondern bezieht sich auf die aktuelle Höhe von Sozialhilfeleistungen.

146

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

Kosten der Hilfe zur Pflege unter der Annahme bundesdeutscher Kosten- und Bedarfsstrukturen bei alternativen Pflegeprävalenzen und unterschiedlichen Versorgungsstrukturen

Abbildung 14:

300.000.000

295.646.997 253.517.343

250.000.000 240.958.105 201.850.307

200.000.000

200.383.775 167.283.903

150.000.000

100.000.000

50.000.000

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20

10

20

20

20

09

0

Bbg. Prävalenz- und Bbg. Versorgungsstruktur

Bbg. Pflegeprävalenz- und UM Versorgungsstruktur

Dt. Prävalenz- und Bbg. Versorgungsstruktur

Dt. Pflegeprävalenz- und UM Versorgungsstruktur

Bw. Prävalenz- und Bbg. Versorgungsstruktur

Bw. Pflegeprävalenz- und UM Versorgungsstruktur

Quelle: Pflegestatistik des Bundesamtes für Statistik, Pflegestatistik des Amtes für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Bauen und Verkehr Brandenburg, eigene Berechnungen

Lösungspotenzial der identifizierten Handlunsfelder

147

„Weiter so“ geht nicht! Konsequenzen aus der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege

8

für die Pflegepolitik des Landes

Unsere Lebenserwartung steigt. Wir erleben mehr gesunde und fitte Jahre als jede Generation zuvor. Zugleich entsteht für viele von uns ein neuer Lebensabschnitt, in dem wir möglicherweise über viele Jahre mit auch hohem Unterstützungsbedarf gepflegt werden müssen. Was ist unser Leitbild für diesen neuen Lebensabschnitt? Wie soll er individuell und gesellschaftlich gestaltet und bewältigt werden? Darauf Antworten zu finden und den unabwendbaren demografischen Wandel positiv zu gestalten, ist insbesondere in Brandenburg – da er hier besonders stark ausgeprägt sein wird – eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen nicht nur der nächsten Jahre. Die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege ist dafür eine wichtige Basis. Sie richtet sich mit umfassenden Handlungsempfehlungen an alle Beteiligten. Wir kommen dann weiter, wenn daraus jeder seine eigenen Aufgaben und Möglichkeiten erkennt, sie ausschöpft und sich nicht vor allem darauf konzentriert, was die anderen machen sollten. Das gilt auch für das Land, das in zentraler Verantwortung steht. Daher lege ich hier meine Vorstellungen einer zukunftsfesten Pflegepolitik des Landes vor. Ich bin überzeugt: Notwendig ist ein pflegepolitischer Aufbruch. Wir müssen jetzt – ideell wie materiell – kraftvoll investieren, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verzögern und um nach ihrem Eintritt ein selbstbestimmtes Leben trotz Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen. Deshalb müssen wir pflegende Angehörige unterstützen, die „Pflege im Quartier“ organisieren und die dringend benötigten Pflegefachkräfte bilden, halten und für Brandenburg gewinnen. Das kostet Geld. Aber Sparsamkeit an der falschen Stelle rächt sich. Am teuersten wird es, wenn wir nichts tun. Ich halte es für richtig, dass das Land, das den Löwenanteil der Hilfe

148

Günter Baaske

zur Pflege (Sozialhilfe aufgrund von Pflegebedürftigkeit) trägt, auch entsprechend jene Strukturen finanziert, mit denen die Ausgaben der Hilfe zur Pflege verringert werden können. Dazu nenne ich einige Punkte, die aus meiner Sicht zentral sind. Dabei ergibt sich meine Sicht nicht nur aus der Studie, sondern ist auch Ergebnis vieler Gespräche und Veranstaltungen. Dazu gehört unser „Pflege Dialog“, mit dem wir im ganzen Land Brandenburg unterwegs sind, um die Erfahrungen, Ideen, aber auch Nöte der direkt Betroffenen und Handelnden kennenzulernen und für unsere politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Dialoge zeigen, dass der Schlüssel zum Erfolg oft die Arbeit direkt an der Basis, in der Kommune ist. Die Studie macht klar, dass sich der demografische Wandel für die Pflege bei uns dreifach auswirkt: 1. Wächst die Zahl der Pflegebedürftigen drastisch. 2. Wird es zugleich immer weniger pflegende Angehörige geben. Dadurch kommt es nach bisheriger Logik zu einem entsprechenden Mehrbedarf an professioneller Pflege. 3. Sinkt mit dem demografischen Wandel das Potenzial an Erwerbspersonen deutlich; damit wird es immer schwieriger, ausreichend Personal für die professionelle Pflege zu gewinnen. Diese dreifache Herausforderung wird mit den bisherigen Lösungsansätzen kaum zu beherrschen sein. Damit lautet die erste Erkenntnis der Fachkräftestudie: „Weiter so“ – geht nicht. Ein „Weiter so“ würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer drastischen Unterversorgung in der Pflege und steigenden Kosten bei gleichzeitigem Absinken der pflegerischen Standards führen. Wir werden nicht ausreichend Personal haben, um eine deutlich steigende stationäre Versorgung gewährleisten zu können.

Konsequenzen aus der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege

Die zweite Erkenntnis: Am teuersten wird es, wenn wir zu wenig tun. Die Szenarien zeigen, dass – wenn alles so weiter läuft – jährlich etwa 200 Millionen Euro zusätzliche Sozialhilfe erforderlich werden. Das würde die Spielräume für eine proaktive Landespolitik für alle Ressorts stark beschränken. Daher ist jeder Euro, den wir heute ausgeben, um wirksame Strukturen für eine vorsorgende Pflegepolitik zu schaffen, eine auch fiskalisch notwendige Investition in die Zukunft. Die Studie zeigt plausible Wege auf, um einen Teil der Probleme – und damit auch finanzielle Lasten – abzuwenden. Wenn es uns in Brandenburg gelingt – bezogen auf das Jahr 2030 – nur 15 Prozent des erwarteten Kostenaufwuchses durch gestaltende und präventiv wirksame Maßnahmen abzuwenden, würden wir gegenüber einem „Weiter so“ über 30 Mio. EUR weniger aufwenden müssen. Es geht um einen Wechsel in unserem Verständnis von Alter, Pflegebedürftigkeit und Versorgung. Alter und Pflegebedürftigkeit müssen weiter an Normalität gewinnen. Die Menschen wollen im Alter und auch bei Pflegebedürftigkeit möglichst selbstbestimmt und sozial integriert leben und in ihrer häuslichen Umgebung bleiben. Und die allermeisten Angehörigen sind bereit, sie dabei tatkräftig zu unterstützen. Sie können dies aber meistens nicht alleine. Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen für ein gelingendes Leben im Alter zu schaffen. Dies geht über Pflegepolitik hinaus. Um älteren und pflegebedürftigen Menschen Teilhabe und Selbstbestimmung zu sichern, bedarf es einer alternsgerechten Infrastruktur, die in Deutschland (und in Brandenburg) größtenteils noch aufgebaut werden muss. Es geht um Wohnen, Wohnumfeld, Sicherheit, Gesundheitsversorgung, Alltagshilfen und Hauswirtschaft, soziale Teilhabe und vieles mehr. Im Sinne von gesellschaftlicher Teilhabe und

Inklusion gehören Alter und Pflege als Lebensabschnitt dazu, sie sind nichts „Besonderes“. Die sozialpolitische Leitfrage darf nicht (mehr) nur heißen, wie die Einschränkungen bei Pflegebedürftigkeit zu kompensieren sind, sondern sie muss lauten, wie die vorhandenen Ressourcen und Potenziale erschlossen und in die Gesellschaft nützlich eingebracht werden können. Die Pflege der Zukunft wird sich an dieser Perspektive ausrichten und damit breiter als bisher gedacht, geplant, realisiert werden müssen. Pflegebedürftige sollen nicht mehr allein in abgeschlossenen Systemen – wie in der Familie oder der Pflegeeinrichtung – betreut und unterstützt werden. Eine humane Pflege gelingt nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein neues Verständnis von Pflege erfordert eine umfassende Neuorientierung in der Pflegepolitik. In deren Zentrum steht die dritte Erkenntnis: Pflege ist mehr als Pflegeversicherung, mehr als die punktuelle Hilfe bei körperlichen Verrichtungen. Pflegebedürftigkeit ist eine komplexe Lebenslage. Ihre Bewältigung erfordert spezifische, insbesondere sozialräumliche Lebensbedingungen. Davon ausgehend muss die Pflegeversicherung als Teil eines größeren Systems begriffen und ausgestaltet werden. Hier ist in erster Linie die Bundespolitik in der Pflicht, den Rahmen zu setzen, der die notwendige Neuorientierung in der Pflege zulässt und unterstützt. Aus meiner Sicht sind dabei besonders wichtig:

■■ Unabdingbar ist die Einführung eines neuen, erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Dies ist notwendig, um in der Pflegeversicherung die spezifischen Unter­ stützungsbedarfe insbesondere von Menschen mit Demenz gleichberechtigt zu berücksichtigen. Diesem neuen Begriff müssen auch die Leistungen der Pflegeversicherung entsprechen. Menschen mit Demenz brauchen andere Leistungen als solche mit vorwiegend somatischem Hilfe-

Konsequenzen aus der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege

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bedarf. Häusliche Betreuung ist daher als Regelleistung einzuführen. ■■ Das Leistungsrecht muss einfacher und flexibler ausgestaltet, bürokratischer Aufwand deutlich verringert werden. Die Menschen benötigen ein Leistungsrecht, das übersichtlich ist und flexibel auf die unterschiedlichen und sich verändernden Bedarfe reagiert. Das SGB XI muss sich daher öffnen für neue Leistungsformen; so verhindern z.B. bisher die starren Strukturanforderungen – etwa an die Tagespflege – die Entwicklung der notwendigen neuen Betreuungsstrukturen in dünn besiedelten Gebieten. ■■ Pflegerische und gesundheitliche Versorgung müssen aufeinander abgestimmt werden. Die Umsetzung des Grundsatzes „Prävention und Rehabilitation vor Pflege“ ist dringend notwendig. ■■ Die Kommunen müssen sowohl die Zuständigkeit für die Unterstützung pflegender Angehöriger als auch die Aufgabe und die Ressourcen für eine Koordinierung der pflegerischen Versorgung vor Ort erhalten. Diese Verantwortung umfasst die Koordinierung der Leistungsgewährung und -erbringung in Einzelfällen wie auch die Schaffung eines Hilfenetzes, das professionelle und bürgerschaftliche Unterstützungen sinnvoll zusammenbringt. Die mit der Bundestagswahl 2013 entstandene neue politische Konstellation gibt die Möglichkeit, in allen vier Punkten voranzukommen. Unabhängig davon dürfen wir auf Landesebene nicht zögerlich sein und müssen entschlossen handeln. Zwar können wir die strukturellen Schieflagen in diesem Bereich nicht vollständig ausgleichen, gleichwohl verfügen die Akteure in der Pflege – Land, Kommunen, Kassen, Leistungserbringer – bereits heute über umfangreiche Gestaltungsspielräume, die wir stärker nutzen müssen. Auch das bestätigt die Studie.

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Mit Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes hat eine „Entpflichtung und Selbstentpflichtung“ der Länder und Kommunen im Bereich Pflege stattgefunden. Dies schnellstens rückgängig zu machen und ihnen wieder die Geltung zu verschaffen, die sie für eine koordinierende Funktion in der Pflege brauchen, ist dringend notwendig. Die Ergebnisse der Studie, wie auch die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass Pflege nur gesichert werden kann, wenn das Land in enger Zusammenarbeit mit den Landkreisen, den Ämtern und Gemeinden politische Verantwortung übernimmt und die Weiterentwicklung der Brandenburger Pflege aktiv vorantreibt. Die Studie hat viele Handlungsfelder zur Optimierung der Brandenburger Pflege und zur Fachkräftesicherung herausgearbeitet. Sie bestätigt uns, dass Prävention und Rehabilitation zentrale Schlüssel einer nachhaltigen Pflegepolitik sind – und folgerichtig zieht sich dieser Gedanke durch alle Argumentationen und Empfehlungen der Studie. Prävention ist hierbei als erste Leitidee einer alternsgerechten Politik insgesamt zu verstehen. Dabei geht es neben Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge – die unverzichtbar bleiben – vor allem um eine Grundorientierung für alle politischen Handlungsfelder. Wenn wir die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Organisation von Pflege, sowie die Herausforderungen der Fachkräftesicherung und -entwicklung angehen, dann muss dies immer auch unter dem Aspekt vorhandener Präventionspotenziale geschehen. Es geht um die Frage, welchen Beitrag die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure in unterschiedlichen Handlungsfeldern leisten können und müssen, damit die alternde Gesellschaft möglichst fit bleibt. Daher werden wir die auf das „aktive Altern“ ausgerichtete Seniorenpolitik fortsetzen. Die Lebensweise im Alter wirkt sich auf Zeitpunkt und Ausmaß der eigenen Pflegebedürftigkeit

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aus. Vor allem aber erkennt ein aktiver, sozial eingebundener älterer Mensch eher seinen eigenen Unterstützungsbedarf und kann sehr viel besser entsprechende Hilfe organisieren. Schließlich ermöglicht die Aktivität im Alter, soziale Netze aufrechtzuerhalten oder neu zu knüpfen, die bei späterem Unterstützungsbedarf so notwendig sind. Deutlich stärker als bisher muss Pflege künftig übergreifend organisiert werden. Allein auf sich gestellte Familien auf der einen und die alternativlose Vollversorgung durch Pflegeheime auf der anderen Seite sind nicht die Lösungswege der Zukunft. Ganz klar zeichnet sich ab: Informelle Pflegearrangements (pflegende Angehörige) brauchen mehr professionelle Unterstützung; und die formellen, die professionellen Arrangements müssen viel offener auch für individuelle Beiträge und Ressourcen ausgestaltet werden.

■■ Pflegende Angehörige benötigen in Zukunft noch stärker als heute unterstützende Strukturen, die dem Risiko ihrer Überlastung entgegenwirken. ■■ Die Pflege der Zukunft ist die Pflege im Quartier. Hier entscheidet sich, wie Pflegebedürftigkeit vermieden und bewältigt werden kann. Die Akteure vor Ort müssen durch das Land unterstützt werden. ■■ Die Pflege braucht dringend ein beschäftigungspolitisches Programm, um Handlungsstrategien der Fachkräftesicherung kraftvoll auf den Weg zu bringen und bündeln zu können.

Wir brauchen Ansätze, die die verschiedenen Institutionen übergreifend zusammenbringen – innerhalb der Pflege, aber auch zwischen der Pflege und angrenzenden Systemen. Insbesondere müssen Leistungen der Gesundheitsvorsorge und -versorgung und Pflege deutlich stärker aufeinander abgestimmt werden; das gilt für die Ressourcen, die Strukturen und die Prozesse. Eine solche Abstimmung fordert sowohl die Akteure vor Ort als auch die rahmengebende Landesverwaltung. Auch wenn eine bessere Unterstützung der pflegenden Angehörigen und eine „Pflege im Quartier“ viel bewegen können: Der Personalbedarf in der professionellen Pflege steigt. Es sind erhebliche Anstrengungen aller notwendig, um genügend Hände und Köpfe zu gewinnen und zu halten. Damit ergeben sich im Ergebnis der Studie für mich drei zentrale strategische Ziele, an denen die Brandenburger Pflegepolitik auszurichten ist:

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Unterstützung von pflegenden Angehörigen In Brandenburg wurden im Jahr 2011 rund 77 Prozent aller Pflegebedürftigen ambulant betreut – das ist ein Spitzenwert in Deutschland. Damit setzen wir den Grundsatz „ambulant vor stationär“ bislang sehr erfolgreich um. Ausruhen dürfen wir uns auf diesem Erfolg allerdings nicht. Pflegebedürftige werden älter – mit der Folge, dass auch Demenz und Multimorbidität zunehmen, was noch höhere Anforderungen mit sich bringt. Glücklicherweise geht die Arbeitslosigkeit von Frauen zurück – was aber auch zur Folge hat, dass sie nicht mehr als Familienangehörige vollständig für die häusliche Pflege zur Verfügung stehen. Das deutsche System der pflegerischen Versorgung funktioniert bisher deshalb gut, weil das informelle Pflegepotenzial in Deutschland noch immer sehr hoch ist. Prof. Dr. Thomas Klie, Mitautor der Studie, formuliert es so: „Die Pflegeversicherung und der Einsatz von beruflichen Hilfen sind sozialpolitisch und fiskalisch kalkuliert auf der Pflegebereitschaft von Familien, der Solidaritätsfähigkeit von Nachbarschaften und Freundeskreisen sowie auf der Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement in Pflegekontexten.“ Dies gilt für Brandenburg mit seinem überdurchschnittlich hohen Anteil an häuslich Versorgten in besonderem Maße. Aufgrund des sozialstrukturellen Wandels der nächsten Jahre sinkt vermutlich das traditionelle informelle Pflegepotenzial auch in Brandenburg. Deshalb brauchen wir Antworten in zwei Bereichen: Zum einen müssen wir alles dafür tun, dass pflegende Angehörige breite Unterstützung erfahren. Zum anderen gilt es, in den Gemeinden Plattformen zu schaffen, die neben den Verwandtschaften auch „Wahlverwandtschaften“ entstehen lassen – wie Nachbarschaften, Freundeskreise, Selbsthilfestrukturen, Verbünde gegenseitiger Hilfe und vieles mehr.

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Pflegende Angehörige sollen die Pflege als normalen Bestandteil eines sozialintegrierten Lebens erfahren können. Die Übernahme von Pflege ist und bleibt eine große Herausforderung für die eigene Lebensgestaltung, aber sie darf den eigenen Lebensweg – wie etwa die Berufsbiografie – nicht gänzlich in Frage stellen. Nur wenn es gelingt, Angehörigenpflege gut zu begleiten und zu stützen, wird sie auch künftig den größten Anteil an den Unterstützungsleistungen ausmachen können. Wird Pflege zu Hause hingegen als starke Überforderung empfunden, die tief in das eigene Leben einschneidet, dann wird sie künftig immer schwerer zu organisieren sein. Wir wollen deshalb auf Bundesebene die kurzfristige Freistellung von jährlich bis zu 10 Tagen für direkte Familienangehörige mit einer Lohnersatzleistung durchsetzen. Das ist ein wichtiger Beitrag. Lange Zeit wurden Familien allein gelassen. Heute wissen wir: Diese Pflege ist, ebenso wie nachbarschaftliche und ehrenamtliche Unterstützung, auf Dauer nicht zum Nulltarif zu haben. Notwendige Unterstützungsstrukturen müssen organisiert, verlässlich finanziert und betrieben werden. Mittelfristig bewirken diese Investitionen Kosteneinsparungen im Gesamtsystem. Das sowohl mit Blick auf die heutige als auch in Bezug auf die Vermeidung zukünftiger Pflege. Denn die größte Gefahr, pflegebedürftig zu werden, besteht derzeit für Frauen und Männer, die selbst pflegen. Experten sprechen von der „Pflegefalle“, in der sich unser Versorgungssystem befindet: Je höher der Anteil an überlastender informeller Pflege, desto höher der künftige Anteil an Pflegebedürftigen an der Bevölkerung. Es muss gelingen, diesen Kreislauf aus Pflege und später eigener Pflegebedürftigkeit zu durchbrechen. Eine Voraussetzung dafür sind gut informierte Angehörige, die wissen, wie fachgerecht gepflegt wird. Angehörige, die aber auch ihre Grenzen erkennen und not-

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wendige Unterstützung organisieren. Daher ist es notwendig, die Beratungsstruktur für pflegende Angehörige weiter auszubauen. Es gilt, die bereits Vorhandenen zu erweitern, intensiver als bisher zu nutzen sowie laufende Pilotprojekte zu unterstützen und sie gegebenenfalls schneller in die Regelförderung zu bringen. Ausbau der Pflegestützpunkte – Außenstellen und mobile Pflegestützpunkte Pflegebedürftigkeit entsteht zumeist plötzlich, man kann sich kaum darauf vorbereiten – oder will sich mit der nahenden Situation nicht auseinandersetzen. Dies gilt gleichermaßen für die Betroffenen wie für die Angehörigen. So stehen viele unvermittelt vor völlig neuen Fragen: Welche Hilfen gibt es? Wie werden sie finanziert? Welche Rechte habe ich als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer? Was kann ich selbst tun? Was übersteigt meine Fähigkeiten und Kräfte? Wer als Angehöriger Pflegeaufgaben übernimmt, hat Anspruch auf eine sachkundige und verlässliche Beratung und Begleitung. Wesentliches Element unserer Beratungsstruktur sind die erfolgreich aufgebauten 19 Pflegestützpunkte im Land. Ihre besondere Stärke beziehen sie aus der Kombination einer trägerunabhängigen Experten-Beratung und regionalem Know-how. Die Pflegestützpunkte haben sich als notwendiges, hoch wirksames Angebot erwiesen, das gut angenommen und immer stärker nachgefragt wird. Damit stehen sie in ihrer jetzigen Ausstattung an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Außerdem besteht ein strukturelles Problem bei ihrer Arbeit in einem Flächenland: Viele Menschen im jeweiligen Kreisgebiet können den weiten Weg zum Stützpunkt kaum bewältigen und nicht immer ist dort das gebündelte Wissen über tatsächlich alle vorhandenen Leistungen und teilweise sehr informellen Hilfen im eigenen Ort vorhanden. Daher sind Pflegestützpunkte bisher mehr lokal als regional

wirksam. Von einer flächendeckenden Beratung kann daher noch nicht die Rede sein. Zu empfehlen ist, die Beratungsstruktur auszuweiten. Wir brauchen vor allem Außenstellen und mobile Angebote. Das Land sollte dafür mit einer einmaligen Anschubfinanzierung deutliche Impulse setzen. Die angestrebte Regionalisierung erfordert die wirksame Einbindung jener Gemeinde, in der die Außenstelle ihren Sitz haben wird. Es ist Aufgabe der Träger der Pflegestützpunkte (Kranken- und Pflegekassen sowie der Landkreise und kreisfreien Städte als örtliche Sozialhilfeträger), diese Anschubfinanzierung zu nutzen und die Beratungsleistungen der Pflegestützpunkte allen vor Ort zur Verfügung zu stellen. Qualifizierung der Beratung für Pflegegeldempfänger Eine bisher kaum wahrgenommene Chance für Pflegedürftige und Angehörige sind die Beratungsbesuche durch ambulante Pflegedienste bei Pflegegeldempfängern (§ 37 Absatz 3 SGB XI). Dabei handelt es sich um eine institutionalisierte, regelmäßige Form der „zugehenden Beratung“. Das Problem der Kontaktaufnahme zu den Betroffenen hat der Gesetzgeber gelöst: Die Empfänger von Pflegegeld sind verpflichtet, diese Beratung abzurufen. Unser Ziel muss es sein, dass durch diese Beratung die Angehörigenpflege fachlich gut begleitet wird. Es müssen Problemlagen erkannt, Informationen und Beratung vermittelt und gegebenenfalls weiterführende Maßnahmen eingeleitet werden. Wird die Chance dieser Beratung vertan, setzt Unterstützung zu spät an – mit der Folge, dass Angehörige überfordert sein könnten, die Pflege ihre Funktionstüchtigkeit verliert und gegebenenfalls nicht mehr fortgesetzt werden kann. Derzeit leisten ausschließlich die Beschäftigten ambulanter Pflegedienste diese Einsätze und bekommen dafür nur unzureichende Unterstützung. Es wird bisher nicht gewährleis-

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tet, dass sie über die notwendigen Informationen verfügen und die Ergebnisse ihrer Besuche dazu verwenden können, gegebenenfalls notwendige weitere Unterstützung der Angehörigen anzustoßen. Ich setze mich auf Bundesebene dafür ein, dass diese begleitende Beratung von Pflegegeldempfängern zur kommunalen Aufgabe gemacht wird, denn Kommunen können über die Pflege hinaus vielfältige Form der Hilfe und Unterstützung anstoßen und leisten. Da diese „große Lösung“ noch aussteht, werden die Beratungsbesuche weiterhin vor allem von ambulanten Diensten geleistet. Aber wir müssen jetzt handeln und es den Kommunen ermöglichen, diese Besuche zu koordinieren und in geeigneter Form auszuwerten, damit sie ihre Unterstützungsmöglichkeiten tatsächlich ausschöpfen können. Die Informationen aus der Beratung müssen zur Verbesserung der Versorgungslage genutzt werden können. Gelingen kann das nur, wenn die Beratenden die regionalen Versorgungs- und Netzwerkstrukturen genau kennen. Solche Kompetenzen sind bei der Qualifizierung zum „§ 37-Berater“ zu vermitteln. Entsprechend ist die kooperative Zusammenarbeit zwischen Beraterinnen und Beratern, Pflegedienst, Pflegestützpunkten und Einrichtungen wie Demenzberatungsstellen der Alzheimergesellschaft oder „Pflege in Not“ frühzeitig vorzubereiten und im Prozess zu unterstützen. Pflege in Familien fördern Ein weiterer Erfolg versprechender Ansatz, das Problem der Kontaktaufnahme zu Betroffenen und pflegenden Angehörigen zu lösen, erprobt das AOK-Pilotprojekt „Pflege in Familien fördern“. Dabei werden die Angehörigen potenziell Pflegebedürftiger bereits im Krankenhaus zu möglichen Schulungsangeboten angesprochen. Ein guter Zeitpunkt, denn der Kontakt wird in einer akuten Krisensituation hergestellt, in der die Bereitschaft groß ist, sich auf externe Unterstützung einzulassen.

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Zudem sind sie während des Krankenhausaufenthaltes des Pflegebedürftigen nicht mit akuten Pflegeaufgaben belastet und haben daher Zeit für Schulungen. Zum dritten finden diese Schulungen häufig bei noch nicht vorhandener, wohl aber zu erwartender Pflegebedürftigkeit statt. Ein Zeitpunkt, in dem die weitere Pflege noch grundsätzlich gestaltet werden kann. Das Modell schließt eine Lücke zwischen der Gesundheitsversorgung im Krankenhaus und der anschließenden Pflege zu Hause und ermöglicht eine bessere Abstimmung in der Versorgungskette. Die Landesregierung sollte die inhaltliche Nachsteuerung sowie die geplante Ausweitung des Modellprojektes aktiv unterstützen. Unsere Moderation wird vor allem gefragt sein, um es mit anderen Akteuren abzustimmen und in die regionalen Strukturen einzubinden. Vereinbarkeitslotsen Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Pflege ist einer der zentralen Punkte zur Unterstützung pflegender Angehöriger. Aufgrund des demografischen Wandels rückt sie zunehmend ins Zentrum der „Vereinbarkeitspolitik“. Wir haben über die Innopunkt-Initiative „Beruf, Familie, Pflege – Neue Vereinbarkeitslösungen für Brandenburg“ Strategien erarbeitet, die jetzt breit umgesetzt werden müssen. 2012 entstand das Modellprojekt „Vereinbarkeitslotsen“. Es entwickelt in Kooperation mit Betrieben und pflegenden Angehörigen individuelle Vereinbarkeitslösungen für Pflege und Erwerbsarbeit. Ziel ist es, die Angehörigen zu entlasten und gleichzeitig betrieblich verträgliche Lösungen zu finden. Darüber hinaus sollen die ehrenamtlichen Lotsen das Thema Pflege auch in eher abgeschlossene soziale Milieus transportieren und sie für Unterstützung von außen öffnen. Deshalb sollten Vereinbarkeitslotsen ihrerseits Zugang zu verschiedenen sozialen Milieus haben. Sie werden ausreichend geschult, um einfache Fragen zur Organisation von häuslicher Pflege zu

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beantworten. Und sie vermitteln gegebenenfalls notwendige Fachberatung – vor allen in den Pflegestützpunkten. Da sie unmittelbar in ihrem lokalen Umfeld aktiv sind, ist die Quartiersnähe der informellen Beratung sichergestellt. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Modellprojekt sind uneingeschränkt positiv. Es war weder ein Problem, die ehrenamtlich tätigen Vereinbarkeitslotsen zu gewinnen, noch gab es größere Schwierigkeiten, Unternehmen zu finden, die sich am Projekt beteiligen. Erfolgreich wurden erste Vereinbarkeitslösungen erarbeitet und die hoch motivierten Lotsen tragen das Thema Pflege aktiv in ihr Umfeld. Entsprechend dieser positiven Erfahrungen der Pilotphase planen wir das Projekt mittels ESF- Förderung auf andere Landkreise und kreisfreie Städte auszuweiten. Ich halte es für sinnvoll, wenn die Vereinbarkeitslotsen organisatorisch den Pflegestützpunkten zugeordnet werden. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, dass die Beratungsschwelle dort nochmals reduziert wird sowie das SGB XI-Wissen mit dem regionalen Know-how fester verknüpft werden könnte. Entlastungsangebote für pflegende Angehörige Schließlich sollte das Land bei konkreten Entlastungsangeboten für pflegende Angehörige die bisherigen Aktivitäten weiter ausbauen. Exemplarisch dazu drei aktuelle Maßnahmen: 1. In Brandenburg ist die Struktur der niedrigschwellige Betreuungsangebote bereits gut ausgebaut. So wurden im Jahr 2012 knapp 4.700 Menschen mit Demenz, geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankung von insgesamt 1.824 Helfenden im Rahmen von sogenannten „Helferinnenkreisen“ oder Betreuungsgruppen betreut. Das ist ein bundesweiter Spitzenwert. Aber es gibt noch weiße Flecken, die zu füllen wären, wenn Land und Landesverbände der Pfle-

gekassen gemeinsam ihre Förderung der „Koordinierungsstelle zum Auf- und Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote“ bei der Alzheimer-Gesellschaft aufstocken. 2. Die Förderung gemeinsamer Ferien von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Der hohe Wert einer Auszeit für Betroffene und Angehörige ist unbestritten. Neben dem direkten Erholungseffekt wachsen bei unterbrochenem Alltagstrott die Bereitschaft und die Fähigkeit, die Pflege zu optimieren und so Belastungen reduzieren zu können. Das Land sollte alle Möglichkeiten nutzen, den Wert solcher Ferien zu propagieren und deren Organisation und Finanzierung unterstützen. 3. Ambulant betreute Wohngemeinschaften ergänzen wirksam die vorhandenen Wohnund Pflegeangebote. Insbesondere im dünnbesiedelten Raum ist die wohnortnahe Pflege in einer Wohngemeinschaft eine gute Alternative, wenn häusliche Pflege nicht mehr möglich ist. Hier werden soziale Kontakte aufrechterhalten und Angehörige weiter eingebunden. Ambulant betreute Wohngemeinschaften sind vor allem deshalb so anspruchsvoll, weil sie in geteilter Verantwortung organsiert werden. Der ambulante Pflegedienst ist nicht Hausherr, sondern Gast und aufsuchender Dienstleister. Die Angehörigen übernehmen sehr viel mehr an praktischer Hilfe und Verantwortung als bei vollstationärer Pflege. Damit stehen sie vor schwierigen konzeptionellen, sozial- und ordnungsrechtlichen Fragen und brauchen fachkundige Unterstützung. In Brandenburg gibt es ca. 200 derartige Wohngemeinschaften, und damit proportional mehr als in jedem anderen Flächenland. Das ist auch der Erfolg eines flexiblen Heimrechts und der gemeinsam von den Landesverbänden der Pflegekassen und dem Land geförderten Beratungsstelle für neue Wohnformen.

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Pflegevermeidung und Pflege im Quartier organisieren Pflege ist weit mehr als die Pflegeversicherung. Die Lebenslagen von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen sind zu komplex, um sie allein mit den eher schematischen Hilfen einer Sozialversicherung zu bewältigen. Zu den Lebenslagengehört das Wohnen und das Wohnumfeld, die Nachbarschaft und die soziale Einbindung, Mobilität, Einkaufs- und sonstige Versorgungsangebote, Alltagshilfen, ehrenamtliche Dienste und vieles mehr. Das ist der erste Punkt, an dem die Kommunen – und nur die Kommunen – Lösungen anbieten ­können. Der zweite Punkt ist die Koordination und Vernetzung innerhalb des Versorgungssystems Pflege. Die Gestaltung der Pflege als Markt steht einer kooperativen und planungsbasierten Versorgungsstruktur entgegen. Triebfeder von (freien) Märkten ist die Konkurrenz unabhängig agierender Marktteilnehmer. So geschieht es, dass mehrere ambulante Dienste parallel in einen Ort fahren, um einzelne Pflegebedürftige zu versorgen, anstelle nur eines Dienstes, der viele versorgt. Kooperation ist in einem solchen Feld ausgesprochen anspruchsvoll und kann dem betriebswirtschaftlichen Interesse der Akteure entgegenstehen; auch wenn die Zusammenarbeit aus politischer und gesellschaftlicher Perspektive wünschenswert ist. Diese Sicht der Dinge hat die Pflege-Studie bestätigt: Neben der Konkurrenz der Pflegebetriebe, die sich zunehmend auf die Personalakquise bezieht, sind auch die Interessengegensätze zwischen den mit der Pflege befassten Institutionen groß. Wünschenswerte gemeinsame Initiativen scheitern in der Regel an spezifischen Interessenlagen und den damit einhergehenden Konflikten, die auf die Brandenburger Pflegelandschaft insgesamt ausstrahlen. Zwar bietet die im Landespflegegesetz formulierte Aufforderung zum Aufbau lokaler Pflegestrukturen die rechtliche Basis für kooperative Zusammenarbeit auf

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örtlicher Ebene – doch aufgrund der genannten Konfliktlagen wurde dieses Anliegen erst in Ansätzen umgesetzt. Hierfür müssen Methoden und Formen entwickelt und bekannt gemacht werden. Lokale Versorgungsstrukturen sind dann realisierbar, wenn es gelingt, zunächst eine sinnvolle Kooperation zwischen Landes-, Landkreis-und Gemeindeebene zu initiieren. Mit Einführung der Pflegeversicherung vollzog sich aber eine Entpflichtung und Selbstentpflichtung der Kommunen. Pflege wurde von einem vormals kommunalen Thema zur scheinbar ausschließlichen Aufgabe einer Sozialversicherung. Insbesondere die kreisangehörigen Kommunen haben im formalen System der Pflege keinerlei Rolle und Funktion. Im Rahmen der Pflegestudie wurde aber deutlich, dass die vom Land gewollten strukturellen Veränderungen nur gelingen können, wenn die Ämter und Gemeinden bzw. die Dörfer und Quartiere wieder wesentlich stärker als bisher die Verantwortung für die Lebensbedingungen Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen vor Ort übernehmen. Auch wenn sich Pflegedienste und -einrichtungen in einem Marktsystem nicht direkt planen lassen, haben Kommunen eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Situation der Pflege vor Ort wirksam zu beeinflussen. Die Steuerung auf örtlicher Ebene braucht Freiräume, eine „Ermöglichungskultur“, in der sich die Beteiligten gegenseitig Gestaltungsfreiräume zugestehen, was wiederum eine hohe Kompromissbereitschaft aller verlangt. Auch die Verwaltung auf den verschiedenen Ebenen muss noch stärker als bisher dazu bereit sein, Partikularinteressen zurückzustellen, wenn es um die Realisierung eines umfassenderen Ansatzes zur Sicherung der Pflege geht. Konkret geht es etwa um die Initiierung bzw. Vertiefung eines strukturierten Dia-

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logs zwischen Landesverwaltung und Pflegeakteuren mit dem Ziel, alle Spielräume bei Ausführung des SGB XI und bei der Anwendung ordnungsrechtlicher Bestimmungen (z.B. Heimrecht, Bauordnungsrecht, HygieneBestimmungen, Arbeitsschutz) zu nutzen. Ohne diese lösungsorientierte Grundhaltung, die neben den Einzelinteressen auch das Gesamtproblem in den Blick nimmt, wird es nicht gelingen, neue kleinteilige Angebote in der pflegerischen Versorgung und für vorpflegerische Hilfen auf den Weg zu bringen. Inhaltlich stellt sich mit dem anvisierten Aufbau lokaler Versorgungsstrukturen für die örtlichen Akteure vor allem ein Kompetenzproblem. Die Gemeinden – teils aber auch die Landkreise – müssen dabei unterstützt werden, die ihnen zugeschriebene Verantwortung wieder wahrzunehmen. Die Verwaltungen müssen dazu in der Lage sein, komplexe sowie lokalspezifische Konzepte zur alternsgerechten Gestaltung ihrer Kommune und Leitvorstellungen zur pflegerischen Versorgung zu erarbeiten und deren Realisierung voranzutreiben. Hierfür bedarf es vielfältiger Kenntnisse – sei es in Fragen der Auslegung des SGB XI, des Arbeitsrechts oder auch des Baurechts –, die in der Regel nicht vorgehalten werden können. Unterstützungsbedarf besteht teilweise auch im Bereich der Steuerung und aktiven Begleitung von Entwicklungsprozessen. Wie auch auf der Ebene des Landes ist die wesentliche Herausforderung nicht nur die Erarbeitung wohl überlegter Handlungsansätze – auch das eine Herausforderung, die man nicht unterschätzen sollte –, sondern vor allem die Umsetzung solcher Konzepte.

Beratungs- und Koordinierungsstellen „Pflege im Quartier“ Entsprechend dieser Ausgangslage ist der Aufbau von regionalen Beratungs- und Koordinierungsstellen zur „Pflege im Quartier“ notwendig. Ihre Aufgabe wäre es, Gemeinden, Kreisverwaltungen und Träger bei der Initiierung und laufenden Koordinierung vernetzter lokaler Versorgungsstrukturen und damit bei der Schaffung pflegegerechter Lebensbedingungen zu unterstützen. Dafür würden die Beratungsstellen den lokalen Akteuren Instrumente zur Etablierung derartiger Pflegestrukturen bereitstellen. Basis hierfür sollte u.a. ein so genannter „Methodenkoffer kommunale Senioren- und Pflegepolitik“ sein, der als wesentliches Arbeitsinstrument der Beratungsstellen praktikable Ansätze der regionalen Zusammenarbeit und Strategieentwicklung enthält und ständig weiterentwickelt wird. Es gibt bereits in einzelnen Kommunen überzeugende Ansätze, die hierfür ausgewertet und aufbereitet werden müssen. Neben der Beratung sollten außerdem konkrete (Pilot-) Projekte unterstützt und begleitet sowie dem Erfahrungsaustausch der Kommunen ein Forum gegeben werden. Darüber hinaus sollten die Beratungsstellen dazu in der Lage sein, Dienste und Einrichtungen bei der sozialräumlichen Weiterentwicklung ihrer Angebote auch im Vor- und Umfeld der Pflege zu unterstützen. Für sie ergibt sich damit ein anspruchsvolles, weil vielschichtiges Leistungsprofil. Dieses erscheint angesichts der Ergebnisse der Pflegestudie notwendig, da das kooperative Miteinander von Verwaltung, Zivilgesellschaft, pflegenden Angehörigen und professionellen Anbietern im angestrebten Versorgungsmix sinnvoller Weise mit einem vergleichbar breit angelegten Unterstützungsangebot zu unterlegen ist. Ich halte die Einrichtung von mehreren regional tätigen Beratungsstellen für sinnvoll, um eine flächendeckende Präsenz in Brandenburg sicherstellen zu können.

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Förderung der Ressourcen für regionale Koordinierung und Vernetzung der Pflege In einer Reihe von Landkreisen und kreisfreien Städten haben Vernetzungsprozesse sowohl zwischen Akteuren in der Pflege als auch zwischen der Pflege und angrenzenden Versorgungsfeldern, insbesondere Gesundheit und Wohnen, begonnen. Das ist wichtig, da bei alten Menschen die Übergänge zwischen gesundheitlicher und pflegerischer Versorgung oft fließend sind. Außerdem sind Ärzte und Pflegekräfte in der Akut-Versorgung und auch in der Reha-Medizin wichtige Informationsquellen zur bevor stehenden Pflegebedürftigkeit. Hausärzte bekommen neben den Angehörigen zuerst mit, wenn alte Menschen Probleme bekommen, den Alltag zu bewältigen und sich Pflegebedürftigkeit abzeichnet. Ziel ist ein aufeinander abgestimmtes Handeln unter den jeweiligen konkreten Bedingungen. Sinnvoll sind z.B. Regionale Gesundheits- und Pflegekonferenzen, die sowohl die Sicherstellung einer ausreichenden und verzahnten Versorgungsstruktur als auch einen abgestimmten, zielgenauen Fachkräfteeinsatz der verschiedenen Bereiche (SGB V und SGB XI) zum Gegenstand haben. Insbesondere in den „Tortenstück-Landkreisen“, die einen berlinnahen und einen berlinfernen Raum umfassen, sind die Entfernungen so groß und Kooperationsbedarfe und Kooperationsbereitschaft der Akteure so unterschiedlich, dass neben den auf Gesamtkreis-Ebene zu behandelnden Themen viele andere erfolgreich in Teil-Versorgungsregionen bearbeitet werden sollten. Diese Koordinationsarbeit erfordert erhebliche personelle Ressourcen der Landkreise und kreisfreien Städte. Wir wollten mit Bildung der neuen Bundesregierung auf Bundesebene eine Bundes-Finanzierung dieser kommunalen Steuerungsaufgabe klären, was jedoch nicht durchsetzbar war. Daran werden wir jedoch weiter arbeiten. Auch hier gilt aber: Wir

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können nicht auf den Bund warten. Daher werden wir in Brandenburg in den nächsten Jahren in einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten Vernetzungs- und Koordinierungsstrukturen modellhaft erproben. Aktualisierung und Ausbau des Informationssystems Pflege Zur Unterstützung der kommunalen Pflegepolitik sollte die Datengrundlage zur pflegerischen Versorgung in Brandenburg weiter ausgebaut werden. Ziel ist es, den lokalen Akteuren die notwendigen Informationen zu geben, damit sie die örtlichen Versorgungsbedarfe und die Versorgungswirklichkeit fundiert einschätzen und deren Entwicklung planen können. Das von der LASA (Landesagentur für Struktur und Arbeit) entwickelte und der ZAB (Zukunftsagentur Brandenburg) betreute Informationssystem Pflege bietet bereits heute kreisscharf statistische Daten und Hochrechnungen zur Pflege. Es wird ausgebaut und künftig auch den Wohnort der Pflegebedürftigen mit ambulanter Sachleistung und nicht mehr nur den Standort des mit der Pflege beauftragten Pflegedienstes beinhalten. Damit ergibt sich die Möglichkeit, Versorgungslagen gemeindescharf abzubilden und die Planungsgrundlage wesentlich zu verfeinern. Im Sinne einer Gesamtstrategie des Landes ist darüber hinaus eine enge Abstimmung zwischen Anlauf- und Beratungsstellen zur „Pflege im Quartier“ und dem Informationssystem Pflege sicherzustellen. Landeskoordinierungsstelle „Wohnen und Technik im Alter“ Ein zentrales Handlungsfeld bei der Pflegevermeidung und der Organisation von „Pflege im Quartier“ ist das Thema „Wohnen und Technik im Alter“. Die Studie hat gezeigt, dass die Möglichkeiten der Wohnraumanpassung, der Wohnumfeldgestaltung sowie des Einsatzes unterstützender Technik in Brandenburg noch unzureichend genutzt werden. Beides ist jedoch unabdingbar für gesellschaftliche Teil-

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habe und selbstbestimmte Lebensführung bis ins hohe Alter. Die Studie macht deutlich, dass ein enges Zusammenspiel von (Pflege-) Dienstleistungen und technischer Unterstützung ein entscheidender, und bisher kaum realisierter Erfolgsfaktor ist. Defizite bestehen sowohl bezüglich praxistauglicher Konzepte als auch in der Projektumsetzung: Da es bislang nicht gelungen ist, das Thema „Alternsgerechtes Wohnen“ in Brandenburg auf breiter Ebene zu etablieren, wissen die Akteure oftmals nicht, welche Ansätze tragfähig sind und mit welchen Partnern konkrete Maßnahmen vorangetrieben werden können. Gleichzeitig verhalten sich viele Beteiligte (Wohnungsbaugenossenschaften, Bauämter, Träger) bei Anfragen eher defensiv und erschweren damit die Realisierung einzelner Vor­ haben.

wohnerinnen und Bewohner und ihrer Angehörigen sinnvoll mit professionellen Hilfen verbindet. Zugleich wird mit vertretbarem Aufwand alternsgerechter Wohnraum geschaffen bzw. erhalten. Insbesondere auch, damit die Kosten der bauordnungsrechtlichen Auflagen neue gemeinschaftliche Wohnformen im Alter nicht verhindern, ist aus meiner Sicht eine zielgerichtete Investitionsförderung auch außerhalb der bisherigen Förderkulissen notwendig.

Ich halte daher die Einrichtung einer Landeskoordinierungsstelle „Wohnen und Technik im Alter“ für sinnvoll. Zentrale Aufgabe wäre die Beratung der Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften und Träger bei der Entwicklung von Konzepten zur Wohnraumanpassung, Wohnumfeldgestaltung und neuen Wohnformen unter Einbeziehung unterstützender Techniken. Neben der inhaltlichen Beratung würde die Landeskoordinierungsstelle auch die Abstimmungsprozesse zwischen Kommunen, Trägern von Pflegediensten, Bauämtern und der Landesverwaltung etc. kommunizieren und das Thema gezielt in die Öffentlichkeit bringen. Förderung von Investitionen zur Schaffung neuer gemeinschaftlicher Wohnformen Flankiert werden sollte die Landeskoordinierungsstelle „Wohnen und Technik im Alter“ mit einem Landesprogramm, das Investitionen zur Schaffung neuer gemeinschaftlicher Wohnformen im Alter fördert. Neue Wohnformen im Alter befördern Unterstützungsarrangements, die die gegenseitige Hilfe der Be-

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Fachkräftesicherung und Arbeitsbedingungen Angesichts der demografischen Entwicklung werden die professionellen Dienste und Einrichtungen bei der langfristigen Sicherung der pflegerischen Versorgung im Land Brandenburg zwangsläufig weiter an Bedeutung gewinnen. Ohne die Kompetenzen der professionell Pflegenden ist es nicht möglich, die empfohlenen Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflege erfolgreich umzusetzen. Im Hinblick auf die sich abzeichnende Arbeitsmarktund Versorgungssituation gilt nicht zuletzt für die Betriebe in der Pflege, dass ein „weiter so“ keine Option ist. Um die Herausforderungen meistern und ihrer zentralen Rolle innerhalb eines komplexen Versorgungsmix` gerecht werden zu können, müssen die ambulanten Dienste und stationären Einrichtungen ihr Verständnis von Pflege und den damit einhergehenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu denken. Voraussetzung hierfür ist, dass es gelingt, sowohl dem quantitativen Fachkräftebedarf nachzukommen, als auch die qualitativen Herausforderungen der Fachkräfteentwicklung zu meistern. Vordringlich ist aus Sicht des Landes die tatsächliche Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen und so Pflegekräfte möglichst lange im Beruf zu halten und mehr Frauen und Männer zu gewinnen.. Es ist eine Herausforderung für die Pflegebranche, in der zunehmenden Konkurrenz um beruflichen Nachwuchs erfolgreich zu sein. Bei der Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen stehen Entlohnung, Arbeitszeitbedingungen, die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, betriebliches Gesundheitsmanagement sowie Konzepte alternsgerechter Beschäftigung im Mittelpunkt. Um dies zu ermöglichen, muss das Land ebenso Beiträge leisten wie alle anderen Beteiligten.

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Allgemeinverbindlicher Lohn-Tarifvertrag für die Pflege Ungeachtet der vielzähligen Handlungsfelder und Maßnahmenansätze der Fachkräftesicherung ist für die Zukunft der pflegerischen Versorgung in Brandenburg die Lohnfrage von entscheidender Bedeutung. Eine ausreichende Zahl an Fachkräften und der skizzierte Kompetenzaufbau sind nur zu gewährleisten, wenn die Einkommen der großen Verantwortung und den hohen Qualifikationsanforderungen pflegerischer Tätigkeiten gerecht werden. Dass sich trotz der anhaltenden akuten Fachkräfteengpässe die Löhne in der Pflege nur in Ansätzen entwickeln, dürfte im Wesentlichen der starken Regulierung des Pflegemarktes geschuldet sein. Umso wichtiger ist es, für die Pflege einen flächendeckenden Lohn-Tarifvertrag auf den Weg zu bringen, um so das Berufsfeld interessanter und auch unter den Bedingungen sich ausweitender Fachkräfteengpässe in anderen Branchen konkurrenzfähiger zu machen. Aufgrund der differenzierten Trägerstruktur in der Pflege ist es ausgesprochen anspruchsvoll, die für die Allgemeinverbindlichkeit derzeit benötigten 50 Prozent aller Beschäftigten unter einen solchen Tarifvertrag zu binden. Wir verstärken unsere Aktivitäten zur Initiierung eines Tarifvertrags in der Pflege und unterstützen den Diskussionsprozess der Tarifpartner auch weiterhin moderierend. Dass das Land die Bereitschaft signalisiert, seinen Beitrag zur Verbesserung der Einkommenssituation in der Pflege zu leisten, indem der durch eine Lohnerhöhung zu erwartende Kostenanstieg bei der „Hilfe zur Pflege“ (Sozialhilfekosten) akzeptiert wird, ist ein wichtiges Signal für den Gesamtprozess. Nur wenn einzelne Akteure und damit alle Verantwortung übernehmen und bereit sind, in die Zukunft zu investieren, lassen sich strukturelle Veränderungen (wie ein Flächentarifvertrag) realisieren

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Stärkung der Ausbildung in der Altenpflege In den letzten Jahren ist es in Brandenburg gelungen, die Anzahl der Ausbildungsverhältnisse in der Altenpflege beständig zu steigern. Das Land hat hierfür die notwendigen Schulkosten getragen und wird das weiter verlässlich tun. Aber im „Ausbildungsbereich“ sind weitere Anstrengungen notwendig, denn der Bedarf steigt dramatisch an. Handlungsbedarf besteht zum einen in Bezug auf die Qualität der Ausbildung. Umfragen unter den Auszubildenden zeigen, dass die praktische Ausbildung zum Teil unzureichend Ist. Dies gilt bezüglich der Ausbildungsvergütung, die im Durchschnitt deutlich unter der in der Krankenpflege liegt. Und dies gilt hinsichtlich der wenigen Zeit, die für Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen und –diensten zur Verfügung steht. Die Altenpflegeausbildung muss ihre Möglichkeiten noch besser ausschöpfen, auch weil zufriedene Auszubildende die besten Imagebotschafter in ihrer Altersgruppe sind. Zum anderen besteht Handlungsbedarf, um im Bereich der heutigen Pflegehilfskräfte weiteres Ausbildungspotenzial zu erschließen. Hierfür müssen die vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente konsequent genutzt werden. Die neue Bundesregierung wird ein einheitliches Pflegeberufsgesetz auf den Weg bringen. In diesem Zusammenhang ist die Ausbildung des neuen Pflegeberufs auf eine solide und beständige Finanzierungsgrundlage zu stellen. Aus meiner Sicht ist zusätzlich wichtig, durch Formen der Delegation und Substitution bisher ärztlicher Leistungen auf hierfür qualifizierte Pflegekräfte das Berufsbild der Pflege zu stärken. Dabei ist qualifizierte Pflege auf unterschiedlichen Ebenen sinnvoll und notwendig: Auf der Ebene der einjährigen Altenpflegehilfeausbildung, auf der Ebene der dreijährig ausgebil-

deten Pflegefachkraft und auf der Ebene der Bachelor- und Masterstudiengänge für Leitungs- und Koordinierungsaufgaben. Die Landesregierung hat gemeinsam mit der BTU Cottbus Senftenberg im Jahr 2013 am Standort Senftenberg den gesundheitsbezogenen Studiengang „Pflegewissenschaft“ errichtet. Diesen Ansatz gilt es zu verstetigen und konsequent auszubauen. Wir brauchen akademisch qualifizierte Fachkräfte in der Pflege, im Management der Pflegeinrichtungen und in unseren Ausbildungsstätten. Überführung der Altenpflegehilfeausbildung in die Regelausbildung Einen weiteren konkreten Beitrag zur Verbesserung der organisatorischen Rahmenbedingungen kann das Land im Bereich der Ausbildung von Altenpflegehelferinnen und –helfern leisten. Durch die Überführung der Altenpflegehilfeausbildung in die Regelausbildung wäre es durchaus möglich, weitere Ausbildungswillige für die Pflege zu gewinnen. Bisher ist die Ausbildung zur qualifizierten Pflegehilfskraft in Brandenburg nur als Umschulung möglich und kommt damit für Schulabsolventinnen und -absolventen nicht in Frage. Die neu zu erschließende Zielgruppe in der Regelausbildung wären entsprechend junge Frauen und Männer, die sich zwar eine Tätigkeit in der Pflege vorstellen können, sich eine dreijährige Ausbildung in diesem Feld aber (noch) nicht zutrauen. Diesem Personenkreis würde man den Einstieg in diesen Beruf ermöglichen, einschließlich der Option, sich zu einem späteren Zeitpunkt unter Anrechnung der Altenpflegehilfeausbildung zur Pflegefachkraft ausbilden zu lassen. Das Land sollte die für die Finanzierung der Ausbildung benötigten Mittel bereitstellen. Gründung lokaler Netzwerke „Ausbildung und Beschäftigung in der Pflege“ Das Land sollte den Aufbau von Kooperationsund Koordinationsnetzwerken zwischen Betrieben, Ausbildungsstätten und Strukturen

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der Arbeitsförderung unterstützen, um Betriebe bei der Fachkräftesicherung nicht nur zu fordern, sondern auch zu fördern. Durch lokale Netzwerke „Ausbildung und Beschäftigung in der Pflege“ soll der notwendige Wissensaustausch und die Zusammenarbeit zu personalpolitisch relevanten Fragen forciert werden. Mit Blick auf die extrem angespannte Arbeitsmarktsituation in der Pflege steht die Bundesagentur für Arbeit darüber hinaus in der Pflicht, weiterführende Ausbildungs- und Qualifizierungsprogramme für Pflege(fach)personal aufzulegen, um so ihren Beitrag zur Bewältigung der sich zuspitzenden Fachkräfteproblematik zu leisten. Im Rahmen der lokalen Netzwerke können hierfür örtlich fachgerechte Ansätze erarbeitet und umgesetzt werden. Aufgrund des komplizierten Verhältnisses zwischen Konkurrenz und Kooperation ist eine externe Moderation solcher Vernetzungsprozesse im Auftrag des Landes unverzichtbar. Einrichtungsbefragung zur Arbeitsmarktsituation in ausgewählten Gesundheitsfachberufen Für eine erfolgreiche Beratung von Pflegediensten und -einrichtungen zu Fragen der Weiterentwicklung von Pflegeangeboten und der Fachkräftesicherung sind differenzierte Informationen zur Arbeitsmarktlage in ausgewählten Gesundheitsfachberufen notwendig. Es ist für die Einrichtungen der Pflege und des Gesundheitswesens zunehmend schwieriger geworden, neue Fachkräfte zu gewinnen. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit kamen im August 2013 auf 450 in Brandenburg gemeldete Stellen für Altenpflegerinnen und – pfleger nur 129 Arbeitssuchende (wobei davon ausgegangen werden kann, dass die Zahl der wirklich offenen Stellen deutlich darüber liegt). Unklar ist allerdings, welche Gesundheitsfachberufe und Spezialisierungen in welchem Umfang, in welcher Region und in welchen Versorgungssektoren von der Anspannung auf dem Arbeitsmarkt bereits betroffen sind.

162

Um in dieser Situation als Betrieb und als arbeitspolitischer Akteur zielgerichtet agieren zu können, müssen die zu erwartenden Entwicklungen auf dem Berlin-Brandenburger Arbeitsmarkt für Gesundheitsfachberufe in ihren Grundzügen bekannt sein. Da auf Basis der aktuellen Datenlage nicht abzuschätzen ist, wie sich Fachkräftenachfrage und -angebot mittelfristig entwickeln werden, wird entsprechend vergleichbarer Befragungen in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen regelmäßig eine Einrichtungsbefragung zu diesem Themenkomplex durchgeführt. Ziel der Befragung ist die differenzierte Aufbereitung der Arbeitsmarktsituation (Angebot und Nachfrage) für ausgewählte Gesundheitsfachberufe, um zielgenaue Arbeitspolitische Maßnahmen für diesen Teilarbeitsmarkt initiieren und die Wirkung vorhandener Instrumente beurteilen zu können. Im Sinne der Praxisorientierung soll darüber hinaus ein regionaler, fortlaufender Diskurs mit Personalverantwortlichen und Experten über arbeitspolitische Notwendigkeiten und die Wirkung arbeitspolitischer Instrumente initiieret werden. Die Einrichtungsbefragung könnte damit als Basis und Kristallisationspunkt eines intensiven Diskurses mit Diensten und Einrichtungen wirken. Entwicklung von Personaleinsatz- und ­Personalentwicklungskonzepten fördern Neben der Optimierung der Rahmenbedingungen müssen bei vielen Diensten und Einrichtungen personalpolitische und betriebsstrategische Konzepte noch entwickelt bzw. weiter ausgebaut werden. Gerade Klein- und Kleinstbetriebe – und sie prägen die Brandenburger Pflegelandschaft- haben kaum die personellen und zeitlichen Ressourcen, sich strategisch den Herausforderungen einer zukunftssicheren Personalpolitik zu stellen. Vor allem diesen Einrichtungen fällt es bisher schwer, z.B. die Möglichkeiten der Strukturqualitätsverordnung im Sinne eines optimier-

Konsequenzen aus der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege

baren Fachkräfteeinsatzes für sich zu nutzen und Vollzeitarbeit zu organisieren. Um diesen Defiziten begegnen zu können, ist es sinnvoll, die Entwicklung von Personaleinsatz- und Personalentwicklungskonzepten durch zertifizierte Beratungsunternehmen finanziell zu fördern. Der ESF bietet hierfür Möglichkeiten. Die Dienste und Einrichtungen sollen bei der Nutzung professioneller Beratungsangebote unterstützt werden, mit dem Ziel, ihr personalpolitisches Know-how gezielt auszubauen. Konkret wären z.B. Konzepte zu entwickeln, wie die Vollzeitquote in den Diensten und Einrichtungen erhöht werden kann und so vorhandene Arbeitskraftpotenziale – auch im Interesse der Beschäftigten – effektiver als bisher genutzt werden können. Empfohlen wird auch, zu derart konkreten Themen begleitende Fachveranstaltungen zu organisieren, um den Wissenstransfer zur gezielten Personalplanung in der Pflege aktiv befördern zu können.

Schlussbemerkung Brandenburg steht pflegepolitisch vor enormen Herausforderungen. „Weiter so“ geht nicht. Wir brauchen einen pflegepolitischen Aufbruch, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Für diesen Aufbruch sind die Ergebnisse der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege und der intensive, gemeinsame Prozess ihrer Erarbeitung von großer Bedeutung. Auf der Bundesebene muss sich viel tun. Aber zu Recht steht im Zentrum der Fachkräftestudie Pflege das, was wir in Brandenburg selber gestalten können. Wir brauchen jetzt den Gestaltungswillen und den Mut aller Beteiligten.

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163

Anhang

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Modell des Welfare-Mix nach Klie (2009)

11

Abbildung 2: Pflegebedürftigkeit und Erwerbspersonenpotenzial in Brandenburg bis 2030 (Indexwert: 2009 = 100) 14 Abbildung 3: Personalbedarf in der ambulanten und stationären Pflege in Brandenburg bis 2030

15

Abbildung 4: Personalbedarf und jährlicher Personalmehrbedarf im Bereich Pflege und Betreuung in Brandenburg bis 2030

16

Abbildung 5: Allgemeines Modell von Pflegebedürftigkeit nach Wahl und Kruse

84

Abbildung 6: Indirekte und direkte Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige 96

166

Abbildung 7: Projektion der Zahl an Pflegebedürftigen in Brandenburg unter den Bedingungen eines sukzessiven Absinkens auf alternative Pflegeprävalenzen

133

Abbildung 8: Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen

134

Abbildung 9: Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen und Uckermärker Versorgungsstrukturen

136

Abbildung 10: Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen und Cottbuser Versorgungsstrukturen

138

Abbildung 11: Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen, Uckermärker Versorgungsstrukturen und Prignitzer Betreuungsquoten

141

Abbildung 12: Projektion der Zahl an Beschäftigten in der Brandenburger Pflege unter den Bedingungen alternativer Pflegeprävalenzen, Uckermärker Versorgungsstrukturen, Prignitzer Betreuungsquoten und einer Vollzeitquote wie bei den privaten Trägern im Jahr 1999

144

Abbildung 13: Potenzial der skizzierten Ansätze zur Lösung des Fachkräfteproblems in der Brandenburger Pflege entsprechend des Baden-WürttembergSzenarios

145

Abbildung 14: Kosten der Hilfe zur Pflege unter der Annahme bundesdeutscher Kosten- und Bedarfsstrukturen bei alternativen Pflegeprävalenzen und unterschiedlichen Versorgungsstrukturen

147

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Weibliche Bevölkerung und Anzahl an weiblichen Pflegebedürftigen in 2009

12

Tabelle 2:

Männliche Bevölkerung und Anzahl an männlichen Pflegebedürftigen in 2009 13

Tabelle 3:

Allgemeine Betriebsdaten

65

Tabelle 4:

Mitarbeiterstruktur

67

Tabelle 5:

Entwicklung Personalbestand bis 2015 (n = 82)

69

Tabelle 6:

Rekrutierungsprobleme, aktuell und erwartet (n = 82)

70

Tabelle 7: Probleme bei der Rekrutierung von Pflegefachkräften

71

Tabelle 8:

Maßnahmen zur Deckung des Fachkräftebedarfs

72

Tabelle 9:

Betriebliche Sozialleistungen/ finanzielle Anreize

74

Tabelle 10: Sozialleistungen nach Betriebsgröße

76

Tabelle 11 Aktuelle und geplante Angebote Betreuung/ Pflege

77

Tabelle 12: Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Angeboten mit Spezialisierungen

78

Tabelle 13: Ausbildung in der Einrichtung

79

Tabelle 14: Strukturen der Fort- und Weiterbildung

80

Tabelle 15: Probleme bei der Fort- und Weiterbildung

81

Tabelle 16: Kooperationen

100

Tabelle 17: Schwierigkeiten bei Kooperationsvorhaben

101

Tabelle 18: Kooperationen mit Pflegestützpunkten

102

Tabelle 19: Angebote und Spezialisierungen der Pflegedienstleister, offene Nennungen

107

Tabelle 20: Anteil der Pflegebedürftigen nach Art der Versorgung in 2009 im regionalen Vergleich

135

Tabelle 21: Anteil ambulanter Dienste und stationärer Einrichtungen mit einer spezifischen Vollzeitquote, bezogen auf alle Dienste und Einrichtungen in Brandenburg

142

Tabellenverzeichnis

167

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Autoren Prof. Dr. phil. Johann Behrens Seit 1998 Professor und (Gründungs-)direktor des Institutes für Gesundheits- und Pflegewissenschaft und des German Center for Evidence Based Nursing der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg geb. 1949, Dr. phil. (Frankfurt a. M.), habilitierter Sozialökonom (Bochum), ­studierte Sozialmedizin, Soziologie, Philosophie, Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik und Sozialpsychologie in Frankfurt a. M. und Ann Arbor, USA. 1975 – 1984 Lehrbeauftragter, 1985 – 2000 Gründungsmitglied und Projektleiter des DFG-SFB 186, (1994 – 1998 Professor und Prodekan am Fachbereich Pflege und Gesundheit der FH Fulda. Visiting Professor der Mc Master University Ontario, Kanada, Gewählter Sprecher des Pflegeforschungsverbundes Mitte-Süd, seit 2004 Vorstand des Rehaforschungsverbundes. Gründungssprecher des „Interdisziplinären Zentrums für Altern Halle: Biologie-Medizin-Gesellschaft“, seit 2004 Sprecher des Bereichs Sozialer Sektor des DFG-Sonderforschungsbereichs Veröffentlichungen EbM ist die aktuelle Selbstreflexion der individualisierten Medizin als Handlungswissenschaft //2010) in: ZEFQ 104 Elsevier Urban und Fischer München. S. 617-624 Evidence based Nursing (2010) in: Schaeffer D, Wingenfeld K (Hrsg.) Handbuch Pflegewissenschaft, Juventa Weinheim, S. 151-163 (13) (zus. mit Langer G (Hrsg) 2010, Handbuch Evidence-based Nursing. Externe Evidence für die Pflegepraxis, Hans Huber, Bern

Sabine Böttcher Sabine Böttcher studiere Soziologie an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. Seit 2000 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind vor allem der Bereich Arbeitsmarkt und lokale Governance (u.a. Evaluation von Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg und Mecklenburg-Vorpommern) sowie die Vereinbarkeit von Erwerbs­tätigkeit und Familienverantwortung, insbesondere die Themen Schichtarbeit, Kinderbetreuung außerhalb der Regelzeiten und Verantwortung für ältere oder pflegebedürftige Angehörige. Aktuelle Forschungsprojekte sind u.a. die Evaluation der Vernetzten Pflegeberatung in Sachsen-Anhalt und die Sozialberichterstattung zur Lage der Pflege­berufe in Mecklenburg-Vorpommern.

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Steffen Fleischer Ausbildung & Abschlüsse 2012 Promotion zum Doktor rerum medicarum, 1998 – 2003 Diplom-Studiengang „Pflege- und Gesundheitswissenschaft“, IGPW Halle, 1993 – 1996: Ausbildung zum Krankenpfleger, PLK Weinsberg Beruflicher Werdegang seit 2007 wiss. Mitarbeiter am IGPW Halle, 2004 – 2007 wiss. Angestellter am Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg, 2006 Dozententätigkeit an der Marburger Akademie für Pflege- und Sozialberufe, 2003 – 2005 wiss. Hilfskraft und wiss. Mitarbeiter am IGPW Halle, 1996 – 2007 Krankenpfleger, Zentrum für Psychiatrie Weinsberg Forschungsschwerpunkte Evidence-based Nursing Klinische Pflegeforschung

Prof. Dr. Rolf G. Heinze geb. 1951, 1971–1976 Studium an der Universität Bielefeld/1977 Diplom in Soziologie, 1979 Promotion an der Universität Bielefeld/1984 Habilitation an der Universität Paderborn, seit 1988 Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), seit 1994 geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) an der RUB seit Jahren wissenschaftliche Politikberatung auf Bundes- und Länderebene (aktuell u.a. Mitglied der Sachverständigenkommission der Bundesregierung für den Siebten ­Altenbericht zum Thema „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“) Ausgewählte Publikationen aus den letzten Jahren Rückkehr des Staates? Politische Handlungsmöglichkeiten in unsicheren Zeiten, Wiesbaden 2009 Handbuch Soziale Dienste (Hg. zusammen mit A. Evers und T. Olk), Wiesbaden 2011 Wirtschaftliche Potentiale des Alters (zus. mit G. Naegele und K. Schneiders), Stuttgart 2011 Die erschöpfte Mitte. Zwischen marktbestimmten Soziallagen, politischer Stagnation und der Chance auf Gestaltung, Weinheim 2011 Soziale Gerontologie in gesellschaftlicher Verantwortung (Hg. zus. mit G. Bäcker), Wiesbaden 2013

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Dr. Carsten Kampe Carsten Kampe ist promovierter Soziologe. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Technischen Universität Braunschweig hat er sich mit Themen der Arbeits- und Organisationssoziologie auseinandergesetzt. In seiner Dissertation ist Carsten Kampe der Frage nach dem Innovationsbeitrag wissensintensiver business-to-business Dienstleistungen nachgegangen. Seit März 2006 ist Herr Kampe im Projekt Regionalbüros für Fachkräftesicherung beschäftigt. Hier ist er im Projektbereich Brandenburger Fachkräftemonitoring tätig. Neben regionalen Fachkräftebedarfsanalysen war das Fachkräftemonitoring u.a. an der Beschäftigungsstrukturanalyse der Berlin-Brandenburger Gesundheitswirtschaft – ein Kooperationsprojekt in Federführung des Gesundheitsnetzwerkes HealthCapital - beteiligt. Während seiner zweijährigen Tätigkeit beim Ministerium für Arbeit, Soziales Frauen und Familie hat Herr Kampe die Brandenburger Fachkräftestudie Pflege hauptverantwortlich begleitet. In diesem Kontext hat Herr Kampe die differenzierte Aufbereitung der Pflegestatistik sowie die Berechnung alternativer Entwicklungsszenarien für die Brandenburger Pflegelandschaft durchgeführt.

Prof. Dr. habil. Thomas Klie Thomas Klie, Thomas Klie, Rechts- und Verwaltungswissenschaftler, Professor an der Evangelischen Hochschule Freiburg. Er leitet das Institut AGP Sozial­ forschung, das seit 25 Jahren im Bereich Alter, Pflege und Partizipation tätig ist. Zu den Forschungsprojekten mit bundesweiter Resonanz gehörten das Modellprojekt Pflegebudget, das Freiburger Modell, Wohngruppen für Menschen mit ­Demenz in geteilter Verantwortung und die Evaluation der Pflegeberatung gem. § 7a SGB XI, sowie die Erarbeitung von Grundlagen und Methoden kommunaler Altenplanung. Thomas Klie ist Mitglied der 6. und 7. Altenberichtskommission und leitet die 2. Engagementberichtskommission der Bundesregierung. Er ist nebenberuflich als Rechtsanwalt tätig und Privatdozent an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt/ IFF Wien (Venia in Gerontologie).

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Julia Portugall Julia Portugall hat nach langjähriger Berufstätigkeit als Physiotherapeutin mit Schwerpunkt Neurologie zunächst an der Universität Siegen den B.A. in Sozialwissenschaften (Soziologie und Politik), mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik absolviert. Im Anschluss erlangte sie an der Universität Bielefeld, an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften den M.Sc. in Public Health. Während dieser Zeit arbeitete sie vorwiegend im Bereich der Gesundheitspolitik und Gesundheitssystemanalyse. In diesem Zuge entstand die Kooperation mit Prof. Dr. Christoph Strünck zur Mitwirkung an der Brandenburger Fachkräftestudie Pflege. Nach Abschluss des Masterstudiums arbeitete sie vier Monate am Institut für Pflegewissenschaften (IPW) der Universität Bielefeld, bevor sie im Anschluss in eine Einrichtung des Landes NRW wechselte.

Birgit Schuhmacher Birgit Schuhmacher, Diplom-Soziologin, bearbeitet als wissenschaftliche ­Geschäftsführung im Institut AGP Sozialforschung an der Ev. Hochschule Freiburg Projekte in der angewandten Pflege- und gerontologischen Forschung. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Wohnformen für Menschen mit Demenz, kommunale Planung für das Alter und Innovationen in der Ausgestaltung ambulanter und stationärer Pflege wie bspw. die Pflegeoase, das Leben von Menschen mit ­Pflegebedarf in Gastfamilien oder auch die Schnittstelle von Alter und Technik.

Prof. Dr. Christoph Strünck Christoph Strünck, geb. 1970, ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der Universität Siegen. Er hat Sozialwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert und u.a. an den Universitäten Düsseldorf, Duisburg-Essen, Marburg, Nijmegen und Berkeley gearbeitet. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie Sprecher des Arbeitskreises „Verbände“ der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW). Seine Interessen gelten der Sozial-, Wirtschafts- und Verbraucherpolitik, der Demografiepolitik, der Kommunalpolitik sowie der Analyse von Interessengruppen und Nonprofit-Organisationen.

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Notizen

Notizen

Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg Öffentlichkeitsarbeit Heinrich-Mann-Allee 103 14473 Potdam www.masf.brandenburg.de

Layout/Satz: Druck: Auflage: Fotos: März 2014

Martina Gerber GrafikDesign, Brunow Druckerei Grabow, Teltow 1.000 Exemplare fotolia, Alzheimer Gesellschaft Brandenburg