Bierbaum-Proenen 1929–1952 - PDFDOKUMENT.COM

besonders, »wie frisch importierte russische Arbeitskräfte innerhalb von sechs. Stunden erfolgreich in den Arbeitsprozess eingereiht wurden«. Als die Brüder im.
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Helmut Vogt

Die Untersuchung deckt etwa ein Zehntel der Geschichte des 1788 in Köln gegründeten Unternehmens ab, eine Zeit häufiger historischer Brüche und Schwankungen: Ein Innovationsschub in der Weltwirtschaftskrise als Voraussetzung für eine ungeahnte Expansion bis 1938, tiefer Absturz und fast vollständige Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Jahre der Ungewissheit und ein mühsamer Neubeginn. Im Mittelpunkt steht die Frage, in welchem Maße sich dabei Unternehmensleitung und Firma in das System des Nationalsozialismus verstrickten.

Dr. Helmut Vogt, geb. 1951, ist gelernter Wirtschaftshistoriker und unterrichtet an einem Kölner Gymnasium. Er schrieb zahlreiche Bücher, Aufsätze, Zeitungs- und Internetbeiträge zur Rheinischen Regionalgeschichte sowie Sozial-,Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Zuletzt veröffentlichte er verstärkt Arbeiten zur Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen.

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Helmut Vogt

Das Familienunternehmen Bierbaum-Proenen ist heute mit der Marke BP ein europäischer Anbieter von Berufskleidung mit 360 Mitarbeitern, davon 250 im eigenen Werk in Tunesien. Neben dem tunesischen Werk wird BP-Berufskleidung in Partnerbetrieben in Osteuropa und Asien produziert.

Bierbaum-Proenen 1929–1952

Bierbaum-Proenen

1929–1952 Ein Familienunternehmen während Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus und Wiederaufbau

Alle Abbildungen im Privatbesitz Bierbaum-Proenen GmbH&Co. KG, bis auf: Rheinisch-Westfälisches Bildarchiv, Köln, Seite 44 Historisches Archiv der Stadt Köln, Seite 108 Wir haben uns bemüht, alle Inhaber von Bildrechten zu ermitteln; sollten uns dennoch Irrtümer oder Versäumnisse unterlaufen sein, werden diese selbstverständlich korrigiert. Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2012 © J.P. Bachem Verlag, Köln 2012 Produktion: Reprowerkstatt Wargalla, Köln Druck: Grafisches Centrum Cuno, Calbe Printed in Germany ISBN 978-3-7616-2606-1 Buchausgabe ISBN 978-3-7616-2650-4 EPUB ISBN 978-3-7616-2649-8 PDF Mit unserem Newsletter informieren wir Sie gerne über unser Buchprogramm. Bestellen Sie ihn unter www.bachem.de/verlag

Vorwort

Bierbaum-Proenen ist seit seiner Gründung 1788 ein Familienunternehmen und wird von uns heute in der siebten Generation geführt. Ziel dieses Werkes ist es, die Geschichte des Unternehmens und ein Bild der Persönlichkeiten und Motive der damaligen Inhaber während der Wirtschaftskrise, des Nationalsozialismus und des Wiederaufbaus zu zeichnen. Es ist vor allem ein Versuch, die Frage zu beantworten, inwieweit Unternehmen und Inhaber in das System des Nationalsozialismus verstrickt waren. Dieses vorliegende Buch wurde von der Bierbaum-Proenen GmbH & Co. KG beauftragt und finanziert. Auf den Inhalt des Buches wurden von dem Unternehmen und den heutigen Inhabern in keiner Weise Einfluss genommen. Harald Goost                Matthias Goost Geschäftsführer der Bierbaum-Proenen GmbH & Co. KG

inhalt

einleitung ........................................................................................................ 7 Die vierte Generation ..................................................................................... 9 Der lange Vorlauf zum neuanfang .............................................................. 14 Gegen den Trend: innovation in den Jahren der Krise (1929–1933) ......... 18 Verbandsarbeit und politik ............................................................................ 31 Firmenchef Franz Proenen im öffentlichen Leben ............................. 31 Sprungbrett: Der Verband Kölner Großfirmen .................................. 32 Konflikt mit Adenauer im »Kölner Steuerkampf« ............................... 34 In der Leitung der Industrie- und Handelskammer Köln ................... 37 Die »Gleichschaltung« der Verbände im Frühjahr 1933 ...................... 40 Der Eintritt in die NSDAP ................................................................ 45 Jahre der expansion (1934–1938) ................................................................ 52 Sonderkonjunktur in »Braunzeug« ..................................................... 52 Die Werkserweiterung von 1934/35 .................................................. 55 Wachstum in der »gelenkten Wirtschaft« ........................................... 58 Absatz ............................................................................................... 64 »Betriebsführer« und »Gefolgschaft« ................................................... 70 1938: Das 150. Firmenjubiläum ........................................................ 75 Kein NS-Musterbetrieb .................................................................... 79 Die Festschrift von 1938 als Zeitdokument ........................................ 85

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Kriegswirtschaft und Zerstörung (1939-1945) ............................................ 91 Anpassungen von Produktion und Absatz .......................................... 91 Umsatz- und Gewinnentwicklung ..................................................... 95 Arbeitsbedingungen und betriebliche Sozialleistungen im Krieg ........ 98 Arbeitskräfteversorgung im Zweiten Weltkrieg .................................. 99 Das Kölner Werk im Bombenkrieg ................................................. 105 Der Kampf um die Firma (1945–1948) ..................................................... 112 Bescheidener Neuanfang ................................................................. 112 Entnazifizierung .............................................................................. 117 Der Wiederaufbau (1948–1952) ................................................................ 125 unternehmer im nationalsozialismus: Versuch einer einordnung ............ 135 anmerkungen ............................................................................................. 144 Quellen- und Literaturverzeichnis ............................................................. 152

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Treppenhaus mit Flügel im Betriebsgebäude 1952 |6|

einleitung

Nur gut zwei Jahrzehnte umfasst die Zeitspanne dieser Untersuchung. Sie deckt also lediglich etwa ein Zehntel der Geschichte des 1788 gegründeten Familienunternehmens Bierbaum-Proenen ab. Ohne Beispiel in weniger als einer Generation ist jedoch die Häufung der historischen Brüche: Republik, Diktatur, Besatzungsherrschaft und ein demokratischer Neuanfang bilden den politischen Hintergrund, Weltwirtschaftskrise, gelenkte NS-Wirtschaft, die Verwaltung des Mangels vor der Währungsreform und die Anfänge des Wirtschaftswunders den ökonomischen. Entsprechend deutliche Schwankungen prägen das Schicksal der Firma: Ein Innovationsschub in der Krise als Voraussetzung für eine ungeahnte Expansion bis 1938, tiefer Absturz und fast vollständige Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Jahre der Ungewissheit und ein quälend mühsamer Neubeginn auf ungleich niedrigerem Niveau. Und als Folge der großen personellen Kontinuität waren all diese Herausforderungen von denselben Unternehmerpersönlichkeiten an der Spitze zu bewältigen. Die Darstellung ist überwiegend auf der Grundlage archivarischer Quellen sowie zeitgenössischer Periodika geschrieben. Wissenslücken bleiben dort, wo für die am Ende des Zweiten Weltkrieges vernichteten Firmenunterlagen kein Ersatz in staatlichen Archiven gefunden werden konnte. Im Mittelpunkt des Interesses steht naturgemäß die Frage, in welchem Maße Unternehmungsleitung und Firma in das System des Nationalsozialismus verstrickt waren. Dies soll an verschiedenen Stellen differenziert analysiert werden. Vieles erschließt sich erst, wenn auch die Vorgeschichte der Jahre 1929 bis 1933 mit einbezogen wird. Ähnliches gilt für den Prozess der Entnazifizierung. Eine vergleichende Einordnung der Einzelergebnisse in den gut erforschten Themenkomplex »Unternehmer im Nationalsozialismus« bleibt dem Schlusskapitel vorbehalten. Ein Stück über die Geschichte des dargestellten Industrieunternehmens hinaus weist eine interessante, aber bisher wenig beachtete Facette der Adenauer-Biogra|7|

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phie. Als gewählter Verbandsvorsitzender attackierte Seniorchef Franz Proenen im »Kölner Steuerkampf« die riskante Finanzpolitik des Kölner Oberbürgermeisters hart und publikumswirksam. Die überaus empfindliche Reaktion des Stadtoberhauptes hat nicht nur den robusten Proenen erstaunt. Sie wirkt auch im Rückblick befremdlich, lässt sie doch noch wenig von der gelassenen Souveränität erahnen, mit der der spätere Bundeskanzler seinen zahlreichen Gegnern gegenübertrat.

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Die vierte Generation

Am 7. November 1929 starb im Alter von 80 Jahren Chrysanth Joseph Proenen, der markanteste Vertreter der dritten Generation in der Leitung des Familienunternehmens. Zusammen mit seinem Schwager Johann Baptist Schmitz (18331908) hatte er die Expansion des Geschäfts forciert, 1889 das Stammhaus durch einen Neubau ersetzt, schließlich den Ausbruch aus der Enge der Mühlengasse auf ein neu erworbenes Areal an der Domstraße (Nr. 59-67) gewagt. Die dort 1904/05 errichteten und 1913 erweiterten Fabrikgebäude markierten die Verlagerung des geschäftlichen Schwerpunktes zur modernen Serienfertigung von Wäsche und Berufskleidung, ohne dass der traditionelle Großhandel ganz aufgegeben wurde. Als der Senior 1919 aus der Geschäftsführung ausschied, waren seine drei Söhne bereits gut mit den Geschicken der Firma vertraut. So, wie sich bei Bierbaum-Proenen immer wieder tüchtige Söhne (und Schwiegersöhne) zu unternehmerischer Tätigkeit bereit fanden, war es der abtretenden Generation auch meist vergönnt, die Nachfolger noch ein gutes Stück auf ihrem Weg zu begleiten. Aller-

Briefkopf mit Ansicht des 1913/14 erweiterten Werks in der Domstraße |9|

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dings hatten die Belastungen des Ersten Weltkriegs die Gesundheit des Seniorchefs beeinträchtigt, die Inflationsjahre sein Vermögen vernichtet: Eine großzügige finanzielle Unterstützung durch die Kinder ermöglichte Chrysanth Joseph Proenen einen gesicherten, durch karitative Tätigkeit ausgefüllten Lebensabend. Die herausragende Unternehmerpersönlichkeit unter den Teilhabern der vierten Generation ist zweifellos der älteste der drei Söhne gewesen. Mehr als fünfzig Jahre lang wirkte Franz Proenen (1877-1968) maßgeblich in der Firma mit, denn zahlreiche der in der Ära seines Vaters eingeleiteten Weichenstellungen gingen letztendlich auf seine Initiative zurück. Nach dem »Einjährigen« (Obersekundarreife) besuchte der erst Fünfzehnjährige ein Jahr die Kölner Handelsschule. Der kaufmännischen Lehre in einer Bocholter Weberei folgten mehrere Jahre im englischen Manchester; die Reise-Verkaufstätigkeit als Repräsentant eines dortigen Exporthauses führte den neugierigen Jungkaufmann bis nach Polen, Russland und Skandinavien. Eine ihm angebotene Tätigkeit in Shanghai musste er ablehnen, um zum 1. Oktober 1900 seiner einjährigen Militärdienstpflicht genügen zu können. Die verbleibende Zwischenzeit nutzte er, um bei einer Vertreterfirma in Paris seine Kenntnisse zu vertiefen und die dortige Weltausstellung zu besuchen. Am 1. Oktober 1901 trat der Vierundzwanzigjährige bei Bierbaum-Proenen ein. Die Firma befand sich nach dem Ausscheiden von Johann Baptist Schmitz im Alleinbesitz des Vaters. Der Junior fand ein überaus konservativ geführtes Unternehmen mit einem Jahresumsatz von ca. einer Million Mark vor, bestehend aus einem altertümlichen Ladengeschäft für die Landkundschaft und dem wesentlich bedeutenderen Großhandel, der in der Hauptsache kleinere Einzelhändler im westlichen Deutschland belieferte. Der Seniorchef betreute die Region Bonn, Siegburg und Euskirchen persönlich, vier Reisende die übrigen Bezirke. Doch die Geschäftsunkosten lagen hoch. Die Kölner Firma benötigte eine Handelsspanne von 12%; Elberfelder Konkurrenten kamen durch größere Umsätze mit 5% bis 8% aus. Franz Proenen überzeugte deshalb seinen Vater, die bereits bestehende Fertigung von Arbeitskleidung auszuweiten; um Platz zu schaffen, wurde das unrentable Detailgeschäft aufgegeben. Installiert wurden überwiegend Zuschneidemaschinen, Knopfloch- und Knopfannähmaschinen (mit Fußantrieb). Das Nähen fand nach wie vor fast ausschließlich in Heimarbeit statt. Noch im 1905 bezogenen Neubau | 10 |

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Domstraße nahm die Fertigung lediglich das Dachgeschoss ein. Die anderen Etagen des 7.000 Quadratmeter umfassenden Gebäudes dienten als Lager für Stoffe, Wäsche und Fertigkleidung. Expedition und Packkammer befanden sich im Untergeschoss. Das Absatzgebiet dehnte sich nach Nord- und Mitteldeutschland aus. Franz Proenen engagierte persönlich eine Reihe von Vertretern in den neuen Bezirken. Schnell wachsende Umsätze bestätigten den eingeschlagenen Kurs, bevor 1908 die schwere Krise der Textilindustrie einen Verlust von ca. 100.000 Mark brachte. Er wäre ungleich größer ausgefallen, hätte die Firma nicht den drastischen Preisverfall bei Webwaren genutzt, um sich längerfristig mit Rohstoffen einzudecken und so einen Ausgleich für die vor der Krise zu teuer gekauften Lager zu schaffen. Zur Verbesserung der angespannten Liquidität erhielt Franz Proenen von seinem Schwiegervater einen Sonderkredit in Höhe von 200.000 Mark. Franz Rasquin, Gründer und Inhaber der gleichnamigen Kölner Farbwerke, war tonangebend in der profitablen Herstellung künstlicher Mineralfarben und hatte schon für den BP-Neubau die an zweiter Stelle eingetragene Hypothek übernommen. Im Endeffekt nahmen Bierbaum-Proenen den Überbrückungskredit nur zu einem Drittel in Anspruch und konnten das Darlehen bald zurückzahlen. Dennoch: Um Personalkosten zu sparen, beorderte der Seniorchef seinen zweitältesten Sohn, der gerade in einem Londoner Wolltuchhaus Auslandserfahrungen sammelte, nach Köln zurück. Adolf Proenen (1884-1964) hatte nach der Obersekunda eine Lehre in einem Herforder Konfektionsbetrieb absolviert, dessen Spezialisierung auf Sport- und Berufskleidung für Männer sehr gut zur zukünftigen Ausrichtung des elterlichen Unternehmens passte. Weniger glücklich gewählt war die erste Stelle in einer kleineren Nürnberger Kleiderfabrik. »Hier sah er sicher manches, wie man es vorteilhafterweise nicht machen sollte«, urteilte der ältere Bruder später im Rückblick. In Köln übernahm Adolf Proenen die Sparte Berufskleidung und die Kalkulation für den weiter wachsenden Fabrikationsbetrieb. Im Jahre 1911 überschritt der bilanzierte Gewinn bei ca. 2,5 Millionen Mark Umsatz erstmalig die Marke von 100.000 Mark. Auch mit den Eisenbahnen-Betrieben kam man ins Geschäft. Ihren riesigen Uniformbedarf deckten sie traditionell in eigener Regie, aber jetzt verlangten auch Lokführer und Rangierer nach waschbarer Arbeitskleidung. Die | 11 |

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Verhandlungen gestalteten sich lang und zäh, doch gelang es am Ende, 15 von 21 preußischen Bahndirektionen mit den benötigten schwarzen Joppen zu beliefern. Diverse Bekleidungsämter des Heeres zogen nach. Bierbaum-Proenen zählten inzwischen über 1.000 Beschäftigte, dazu eine Schar von Heimarbeiterinnen, die in Kinderwagen oder auf Fahrrädern aus dem Stammhaus die Zuschnitte abholten. Mit dem Argument, er trage die Hauptlast der Arbeit, rang Franz Proenen dem Vater an Stelle des bis dahin bezogenen Jahresgehalts eine Quote von 47,5% des Reinverdienstes ab. 1913/1914 wurde nach Kauf eines Nachbargrundstücks das Fabrikgebäude auf 11.000 Quadratmeter vergrößert. Im Parterre fand sich Platz für ein eigenes Ladengeschäft, betrieben zunächst unter dem sperrigen Namen »Kölner Fabrik- und Engros-Lager«, später griffiger »Kaufhaus Domstraße« genannt. Von langfristig großer Bedeutung für die Zukunft der Firma wurden die USA-Reisen 1913/14. Vorausgefahren war Paul Proenen, der jüngste der künftigen Teilhaber. Der geborene Verkäufer hatte seine Ausbildung bei Althoff in Dortmund absolviert, in Zell-Schönau die Weberei kennengelernt, in England Erfahrungen gesammelt. Jetzt konnte er auf Einladung der New Yorker Bekleidungsfabrik Sweet-Orr & Co. mehrere Monate den dortigen Betrieb studieren. Im April 1914 stieß Franz Proenen zu ihm, ließ sich vom Gastgeber mit Empfehlungsschreiben ausstatten und besuchte zahlreiche Hersteller von Berufskleidung, dazu Webereien, ein Farbstoffwerk sowie als Höhepunkt der Reise die Ford-Werke in Detroit mit ihrer weltbekannten Fließbandfertigung. Hier beeindruckte ihn besonders, »wie frisch importierte russische Arbeitskräfte innerhalb von sechs Stunden erfolgreich in den Arbeitsprozess eingereiht wurden«. Als die Brüder im Mai auf der »Imperator« nach Europa zurückkehrten, brachten sie nicht nur einen schweren Koffer mit Mustern und Reklamematerial mit nach Köln, sondern auch die Zukunftsformel für eine profitablere Produktion von Berufskleidung: Konzentration auf möglichst wenige Artikel und Massenfertigung in höchster Qualität durch angelernte Kräfte. Dass es mehr als zehn Jahre dauern würde, bevor die Pläne überhaupt wieder hervorgeholt werden konnten, ahnte im Frühjahr 1914 noch niemand. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs entzog dem Unternehmen die jüngere Führungsriege. Der gerade erst in die Firma aufgenommene Paul Proenen rückte | 12 |

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noch 1914 in den Militärdienst ein, Anfang 1915 auch sein Bruder Adolf. Er diente als Offizier bei der Nachrichtentruppe. Franz Proenen konnte seine bereits erfolgte Einberufung zunächst um zwei Monate zurückstellen lassen. Als die Frist ablief, war klar, dass der erfahrene älteste Bruder angesichts der schlechten Gesundheit des Seniorchefs im Betrieb unabkömmlich war; dies überzeugte auch die Militärbehörden. Schließlich wurden jetzt die bereits Jahre zuvor für den Mobilisierungsfall abgeschlossenen Lieferverträge wirksam, zunächst Sandsäcke zur Verstärkung der Kölner Befestigungen und Drillichzeug für Kasernen, dann Uniformteile für die Bekleidungsämter, zuletzt ein Großauftrag für die Einkleidung der Schaffnerinnen, die bei der preußisch-hessischen Staatseisenbahn die einberufenen Männer ersetzten – bis 1917 arbeiteten hier bereits 85.000 Frauen. Eine Zeit lang konnten bei Bierbaum-Proenen durch solche Sonderaufträge Entlassungen vermieden werden, doch dann machten sich die fehlenden Einfuhrmöglichkeiten für Textilrohstoffe bemerkbar. Ende 1918 waren die Lager leer, die Maschinen verschlissen. Die Belegschaft war auf ein Zehntel des Standes von 1913 zusammengeschmolzen. Es sollte Jahre dauern, bis sich wieder eine stabile Stammarbeiterschaft zusammenfand. In der Familie überwog jedoch die Dankbarkeit, dass nach wohlbehaltener Rückkehr der Kriegsteilnehmer Adolf und Paul Proenen das Brüdertrio wieder in Köln vereint war.1

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Der lange Vorlauf zum neuanfang

Kriegsende und Novemberrevolution brachten weitere Umstellungen mit sich: Wiedereingliederung der Soldaten in den Zivilberuf, Übergang zur Friedensproduktion, die Einführung des Achtstundentags und von Betriebsräten sowie die im Rheinland ungewohnte Rechtslage eines besetzten Gebietes. Viele unternehmerische Entscheidungen waren wegen der Ungewissheit über die Entwicklung der Mark in ihren Konsequenzen nicht einzuschätzen. Auch Kölner Industrieunternehmen erlitten durch die Geldentwertung unbemerkt Substanzverluste. Bevor die inflationsgeschüttelte Währung nicht dauerhaft stabilisiert war, glaubte die Leitung von Bierbaum-Proenen den geplanten Umbau der Firma zum modernen Fertigungsbetrieb nicht in Angriff nehmen zu können. Obwohl man in der Werbung weiterhin als »Webwaren-, Wäsche- und Kleiderfabrik« firmierte, wurde faktisch der Großhandel wieder zum Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit. Eine in Jahren der kriegswirtschaftlichen Beschränkungen aufgestaute Nachfrage versprach demjenigen gute Gewinne, der die begehrte Ware heranschaffen konnte. Währenddessen saßen die ehemaligen Kriegsgegner auf riesigen Posten überschüssiger Textilien (»Khaki-Boom«). Geschickt nutzten Franz und Adolf Proenen die in ihrer Jugend geknüpften Kontakte zu englischen und französischen Lieferfirmen, welche im besetzten Rheinland vom Fortfall der deutschen Zollgrenze (»Loch im Westen«) profitierten. Ganze Schiffsladungen von Textilien wurden eingeführt und über das alte Vertreternetz schnell in ganz Deutschland abgesetzt. Zusätzliche Nachfrage bestand seitens Unternehmen, die ihrer Belegschaft einen Teil des Lohns in Waren auszahlten. So lieferten Bierbaum-Proenen große Mengen Bergmannshemden nach Bochum. Prokurist Paul Winkler (1881-1959), Sohn eines Unteroffiziers aus Brandenburg, seit 1896 in der Firma, enger Mitarbeiter und später auch Freund Franz Proenens, besorgte die notwendigen Devisen. Da Köln in der britisch besetzten Rheinlandzone lag, konnte die Firma fremde Währungen auf Termin kaufen. | 14 |

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Im Gegensatz zu seinem Vater, der auf hochverzinsliche Kriegsanleihen gesetzt hatte, war Franz Proenen nüchtern genug, wertbeständigere Anlageformen zu wählen. Im Ersten Weltkrieg hatte er Beteiligungen an mehreren Textilfabriken erworben, auch mit dem Ziel, als Aufsichtsratsmitglied bevorzugt an Vorprodukte heranzukommen. 1920-1924 ließ er zusammen mit seinen Brüdern an der Riehler Straße vier Einfamilienhäuser für leitende Angestellte der Firma errichten. Auch im privaten Bereich verließ er sich auf Immobilien sowie erstklassige deutsche Industrieaktien. Seinem Naturell entsprach, den erworbenen Wohlstand durchaus sichtbar zu zeigen. 1921 kaufte er auf einen Schlag drei Benz-Automobile: einen offenen Viersitzer für Jagdzwecke, eine sechssitzige Stadtlimousine und einen komfortablen Wagen für längere Reisen. Gute Erfahrungen mit dem im Erweiterungsbau eröffneten Detailverkauf führten 1920 zum Erwerb der Firma Moritz Fußhöller, einem alteingesessenen Textilhaus in Siegburg. Weitere Ladengeschäfte folgten; so konnten flüssige Mittel wertbeständig angelegt und der in Köln vorhandene Einkaufsapparat besser ausgelastet werden. Die auf dem Geschäftsgrundstück lastende Hypothek wurde vorzeitig abgelöst. Nach der Markstabilisierung wurden 1924 die kleineren Ladengeschäfte wieder verkauft: Ihre Kontrolle von Köln aus erwies sich als zu schwierig. Ähnliche Erfahrungen machte die Firma F.W. Brügelmann, der größte Konkurrent vor Ort. Sie gab den defizitären Geschäftszweig allerdings erst in den 1960er Jahren auf. Während das Stammhaus von Bierbaum-Proenen 1924 vorsichtig disponierte, vor allem auf Einkäufe mit langen Lieferterminen verzichtete und so einen Jahresgewinn von 900.000 Rentenmark erwirtschaftete, führte der in der zweiten Jahreshälfte einsetzende Preisverfall bei den Einzelhandelsgeschäften zu einem Verlust von ca. einer halben Million Mark. Ein sehr schlechtes Ergebnis erbrachte auch das Folgejahr. Der in den Inflationsjahren aufgeblähte Großhandel schrumpfte auf Normalmaß, doch das Fehlen eines nennenswerten Fertigungsapparats ließ den Jahresumsatz weit unter Vorkriegsniveau sinken. Es bestand also alle Veranlassung, den Geschäftsbereich Produktion zu stärken. Der Zeitpunkt schien günstig: Mit Macht griff die amerikanische Rationalisierungsbewegung auf Deutschland über; nirgends sonst wurde sie ähnlich eindrucksvoll umgesetzt. Zwischen 1925 und Mitte 1929 stieg die Arbeitsproduktivität in der Industrie um ein Viertel. Von technikfreundlichen Gewerkschaften tole| 15 |