bei Irmgard Keun, Marieluise Fleißer und Mela Hartwig AWS

Aus den korsettgeschnürten, zerbrechlich wirkenden Frauen der Jahrhundertwende wa- ren bis zur Mitte der Zwanziger Jahre sachlich ... Das Erzählwerk der dreißiger Jahre. Frankfurt am Main [u.a.]: Peter. Lang Verlag ... 10 Christiane Koch: „Sachlich, Sportlich, Sinnlich.“ In: Kristine von Soden und Maruta Schmidt (Hrsg.):.
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Fast, Evelyn: Das Frauenbild in der Literatur der 1920er Jahre: Die 'Neue Frau' bei Irmgard Keun, Marieluise Fleißer und Mela Hartwig. Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2015 Buch-ISBN: 978-3-95934-564-4 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95934-064-9 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2015 Covermotiv: morguefile.com Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Inhalt 1.

Einleitung ……………………………………………………………..

3

2.

Die Frau der zwanziger Jahre ………………………………………

5

2.1

Die ,Neue Frau’ ……………………………………………………….

6

2.2

Weibliche Angestellte in der Weimarer Republik ……………………

8

2.3

Das Bild der Frau in der Literatur der 20er Jahre ……………………..

10

3.

Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen (1932) ………………...

15

3.1

Biografie: Irmgard Keun (1905 – 1982) ………………………………

15

3.2

Analyse des Romans Das kunstseidene Mädchen …………………….

19

3.2.1 Erzählperspektive, Sprache und Stilmittel …………………………….

19

3.2.2 Betrachtung der Protagonistin Doris …………………………………..

20

3.2.3 „Schreiben wie Film“ – Doris´ Aufzeichnungen und filmische Elemente in Das kunstseidene Mädchen ………………………………

25

3.2.3.1 Exkurs: Entwicklung des Films von 1900 bis 1930 …………………..

28

3.2.4 System des Männerfangs – Doris´ Beziehung zu Männern …………..

30

3.2.5 Kunstseidene Doris – ‚Neue Frau’? …………………………………...

39

3.2.6 Großstadt im Roman Das kunstseidene Mädchen …………………….

41

3.2.6.1 Exkurs: Großstadt .................................................................................... 44 3.2.7 Neue Sachlichkeit in Das kunstseidene Mädchen …………………….. 46 3.2.7.1 Exkurs: Neue Sachlichkeit …………………………………………….

49

4.

Marieluise Fleißer: Ein Pfund Orangen (1926) ……………………

51

4.1

Biografie: Marieluise Fleißer (1901 – 1974) ……………………….....

51

4.2

Analyse der Erzählung Ein Pfund Orangen …………………………..

55

4.2.1 ‚Kalter Blick’ – Sachlicher Bericht …………………………………....

56

4.2.2 Betrachtung der Protagonistin ………………………………………....

57

4.2.3 Betrachtung der männlichen Figur …………………………………….

62

4.2.4 Geschlechterdifferenz …………………………………………………. 64 4.2.5 Gesellschaft und Anonymität …………………………………………. 66

1

5.

Mela Spira-Hartwig: Das Weib ist ein Nichts (1929) ………………

68

5.1

Biografie: Mela Spira-Hartwig (1893 – 1967) ………………………...

68

5.2

Analyse des Romans Das Weib ist ein Nichts …………………………

69

5.2.1 Erzählperspektive, Sprache und Metaphorik ………………………….

69

5.2.2 Die Verwandlungen der Protagonistin Bibiana in den Beziehungen zu den verschiedenen Männern ………………………....

71

5.2.2.1 Der Abenteurer ………………………………………………………...

72

5.2.2.2 Der Musiker …………………………………………………………...

75

5.2.2.3 Der Bankier…………………………………………………………….

77

5.2.2.4 Der Arbeiter ……………………………………………………………

78

5.2.3 Darstellung von Männlichkeit ………………………………………....

80

5.2.4 Betrachtung der dargestellten Form von Weiblichkeit ………………..

82

5.2.5 Körperlichkeit, Erotik und Sexualität in Das Weib ist ein Nichts ..........

83

6.

Resümee ...…………………………………………………………….

86

7.

Literaturverzeichnis ………………………………………………….

89

2

1. Einleitung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema „Das Frauenbild der 20er Jahre“ und untersucht diesen Themenkomplex anhand der literarischen Positionen Irmgard Keuns, Marieluise Fleißers und Mela Hartwigs. Da mit den zwanziger Jahren eine Zeit beginnt, in der die Stellung der Frau immer mehr an Bedeutung gewinnt, werde ich zunächst die Rolle der Frau in der Gesellschaft betrachten. Dabei nehme ich Bezug auf das Bild der ‚Neuen Frau’ und hiermit verbunden, auf den enormen Aufschwung der Angestelltenkultur. In meinen Betrachtungen werde ich ebenfalls auf die Literatur der Zeit eingehen und anhand einiger Beispiele die Frage klären, inwieweit weibliche Angestellte und ein neues Frauenbild Thema der zeitgenössischen Literatur werden und welche Funktion diese dabei übernimmt. Irmgard Keun, Marieluise Fleißer und Mela Hartwig sind Frauen der zwanziger Jahre, die den Weg des Schreibens als Form zur Verwirklichung ihres Selbst gewählt haben. Ihre eigenen Erlebnisse sind teilweise in ihre Werke mit eingeflossen, weshalb ich den Werdegang der Autorinnen, vor allem von Keun und Fleißer, etwas ausführlicher schildern werde. Mit der Betrachtung der drei verschiedenen Autorinnen im Kontext ihrer Zeit werde ich jeweils ein Werk ihrer Schaffensperiode auf Merkmale der ‚Neuen Frau’ untersuchen, den Stellenwert des Mannes und schlussendlich, welche unterschiedlichen Konzepte von Weiblichkeit verhandelt werden. Der Schwerpunkt meiner Untersuchungen liegt auf Irmgard Keun und ihrem Roman Das kunstseidene Mädchen, weshalb er in meiner Analyse an erster Stelle steht. Der Roman greift die zeittypischen Merkmale der zwanziger Jahre am deutlichsten auf und zudem stellt Keun von den drei Autorinnen, die wichtigste Repräsentantin der ‚Neuen Sachlichkeit’ dar. Mit der Betrachtung der Protagonistin Doris soll in einem ersten Schritt geklärt werden, um welchen Weiblichkeitstyp es sich im Roman Das kunstseidene Mädchen handelt. Die Popularität der Massenmedien, besonders des Mediums Film, greift Keun in ihrem Roman auf, indem sie ihre Protagonistin, die sie umgebende Welt aus einer filmischen Perspektive betrachten lässt, worauf ich näher eingehen werde. Im Anschluss daran, werde ich in einem gesonderten Kapitel einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Films von 1900 bis 1930 geben. Weiterhin spielt die Großstadt für die Erfahrung einer neuen Weiblichkeit eine wichtige Rolle, weshalb ich untersuchen werde inwieweit Großstadt eine Bedeutung im Roman erfährt. Des Weiteren werde ich in einem kurzen Exkurs die Großstadt in den zwanziger Jahren darstellen. Abschließend ordne ich den 3

Roman in das Genre der ‚Neuen Sachlichkeit’ ein und erläutere im Anschluss daran in einem kurzen Exkurs die wichtigsten Programmpunkte der ‚Neuen Sachlichkeit’. In Marieluise Fleißers Erzählung Ein Pfund Orangen, entstanden 1926, stellt sich dem Leser ein komplett anderes Bild von Weiblichkeit dar als bei Keun. In einer ersten Betrachtung werde ich die Erzählung auf Erzählperspektive, Sachlichkeit und den ‚kalten Blick’ untersuchen und des Weiteren eine Analyse der Protagonistin vornehmen. Hierauf Bezug nehmend betrachte ich die zentrale männliche Figur im Text und gehe auf die Differenz zwischen den Geschlechtern in einem nächsten Kapitel ein. Von Bedeutung ist ebenfalls das dargestellte Bild der Gesellschaft und die damit verbundene Anonymität, die ich in einem letzten Kapitel betrachten werde. Als letzte der drei Autorinnen wird Mela Hartwig mit ihrem 1929 erschienenen Roman Das Weib ist ein Nichts in meine Analyse mit einfließen. Im Gegensatz zu Keuns Roman, Das kunstseidene Mädchen, wird Hartwigs Roman kaum in der Sekundärliteratur behandelt, weshalb ich in meinen Ausführungen hauptsächlich auf die Erkenntnisse der Literaturwissenschaftlerin Bettina Fraisl zurückgreifen werde. In einem ersten Schritt untersuche ich die Verwandlungen der Protagonistin Bibiana in den Beziehungen zu den verschiedenen Männern, ebenso wie die im Roman dargestellte Form von Männlichkeit. Konträr dazu steht die dargestellte Form von Weiblichkeit, die ich in einem gesonderten Kapitel noch einmal genauer betrachten werde. Da Körperlichkeit, Sexualität und Erotik einen hohen Stellenwert im Roman einnehmen, werde ich in einem letzten Kapitel darauf eingehen und untersuchen inwieweit dies für das dargestellte Weiblichkeitsbild von Bedeutung ist. In einem abschließenden Resümee werde ich die drei Positionen der unterschiedlichen Autorinnen in einen übergeordneten, abstrakten Rahmen stellen und noch einmal reflektieren welche Konzepte von Weiblichkeit in den drei Werken verhandelt werden.

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2. Die Frau der zwanziger Jahre Durch die existenzbedrohenden Erfahrungen, die die Menschen im Ersten Weltkrieg machen müssen, durch den Zusammenbruch des Kaiserreiches und den Beginn der Weimarer Republik, entsteht eine Situation des politischen Umbruchs, die besonders für Frauen Auswirkungen hat. Sie bekommen eine, durch die Verfassung eingeräumte, grundsätzliche Gleichberechtigung und erhalten zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht. Mit dem neuen Arbeitsmarkt ergeben sich für die Frauen ungeahnte Möglichkeiten, es erschließen sich neue Berufsfelder und für viele ergeben sich verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten.1 Trotz der neuen Möglichkeiten zur weiblichen Selbstständigkeit wird die Ehe von einem Großteil der Frauen noch immer „als die beste Möglichkeit der Lebensgestaltung“2 angesehen. Dies geht mit der Hoffnung einher, in der Ehe materiell und sozial besser gestellt zu sein. Doch verliert die Frau in einer Ehe an persönlichen Rechten, denn sie ist wirtschaftlich von ihrem Mann abhängig, braucht die Zustimmung des Mannes zur Ausübung eines Berufes und ebenso zur Eröffnung eines neuen Kontos.3 Es entsteht die Forderung nach einer neuen Ethik, „die eine liberalere und vor allem positive Einstellung zur Sexualität nach sich ziehen“4 soll. Hierdurch soll eine neue Grundlage im Geschlechterverhältnis entstehen, die zu einer neuen persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit der Frau beitragen soll. Die Frau soll von der meinungslosen, untergebenen Gefährtin des Mannes zu einer modernen, selbstständigen Frau werden, die gerade auch in der Ehe ihrem Mann gleichberechtigt ist. Im 20. Jahrhundert kommt es dann zu einem grundlegenden Wandel. Zur industriellen und technologischen Revolution hinzukommend, findet eine Umgestaltung der Gesellschaft statt, und als Folge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses tritt ein verändertes Rollenverständnis der Geschlechter ein. Aus den korsettgeschnürten, zerbrechlich wirkenden Frauen der Jahrhundertwende waren bis zur Mitte der Zwanziger Jahre sachlich gekleidete, sportlich wirkende Frauen geworden, die ein gänzlich verändertes Bild von Weiblichkeit und weiblichem Körper wiederzugeben schienen.5

1

Vgl. Manja Seelen: Das Bild der Frau in Werken deutscher Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit. Münster: Lit Verlag 1995, S. 6-7. 2 Doris Rosenstein: Irmgard Keun. Das Erzählwerk der dreißiger Jahre. Frankfurt am Main [u.a.]: Peter Lang Verlag 1989, S. 48. 3 Vgl. Rosenstein (1989): Irmgard Keun, S. 48. 4 Gesa Kessemeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis1929. Dortmund: Ed. Ebersbach 2000, S. 23. 5 Kessemeier (2000): Sportlich, sachlich, männlich, S. 1.

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Vor diesem Hintergrund des Umbruches, verbunden mit einer daraus resultierenden Aufbruchstimmung in vielen Bereichen, entfaltet sich das Schlagwort der ‚Neuen Frau’, das „noch heute als Synonym für das Frauenbild der zwanziger Jahre gilt.“6

2.1 Die ‚Neue Frau’ Durch das Aufkommen von vielen neuen Massenmedien wie Rundfunk, Kino, Zeitschriften und Trivialliteratur erreicht das Schlagwort der ‚Neuen Frau’ sehr schnell eine große Verbreitung, besonders auch in Form von visualisierten Bildern der Frau. Während der Diskurs der Neuen Frau vor dem Ersten Weltkrieg auf das soziokulturelle Umfeld der städtischen Künstlerbohème, die literarischen Zeitschriften der Moderne und die Publikationen der Frauenbewegung beschränkt bleibt, öffnet sich der Diskurs in der Weimarer Republik der zeitgenössischen Populärkultur. Hier werden die Bilder der neuen Frau in Filmen und Romanen, Schlagertexten und Fotoreportagen, auf der Bühne und auf Reklametafeln multipliziert.7

Festzuhalten ist, dass diese Entwicklungen von den Bildmedien nicht nur „widergespiegelt, sondern von diesen auch mit ausgeprägt“8 werden. Die 'Neue Frau' avanciert zu einem Synonym für Modernität. Sie spiegelt Freiheitsund Angstpotential des ambivalenten Prozesses der Modernisierung. Personifizieren die neuen Frauenbilder einerseits Zeitenwandel und Aufbruch, müssen sie andererseits auch dafür einstehen, dass eine gewisse 'Balance' zwischen Modernisierung und Tradition gewahrt bleibt.9

Ein wichtiges Thema in Bezug auf die Veränderung der Frau in den zwanziger Jahren ist das Thema Mode. Die Frauenkleidung erfährt in dieser Zeit eine große Wandlung. „Befreiung aus den Fesseln althergebrachter Moral und Lebensführung – was der Alltag den Frauen der Zwanziger nicht oder nur den wenigsten gewährt hat, das fand in Fragen der Frauenkleidung allerdings sehr viel weitgehender statt.“10 Für den umpanzerten Körper der Frau, der vorher nur als „Vorzeigestück männlichen Besitzes“11 dient, bricht nun eine neue Zeit, ohne Korsett und beengende Kleidung, an. Vor allem gibt es nun eine Mode, nicht nur für die oberen Klassen der Gesellschaft, sondern Mode wird zur Massenmode. Durch den technischen Fortschritt der Textilindustrie wird die Konfektionsmode geschaf-

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Kessemeier (2000): Sportlich, sachlich, männlich, S. 1. Kerstin Barndt: Sentiment und Sachlichkeit. Der Roman der neuen Frau in der Weimarer Republik. Köln: Böhlau Verlag 2003, S. 10. 8 Katharina Sykora et. al. (Hrsg.): Die neue Frau. Herausforderung für die Bildmedien der Zwanziger Jahre. Marburg: Jonas Verlag 1993, S. 30. 9 Barndt (2003): Sentiment und Sachlichkeit, S. 10. 10 Christiane Koch: „Sachlich, Sportlich, Sinnlich.“ In: Kristine von Soden und Maruta Schmidt (Hrsg.): Neue Frauen. Die Zwanziger Jahre. Berlin: Elefanten Press Verlag 1988, S. 16. 11 Koch (1988): Sachlich, Sportlich, Sinnlich, S. 16. 7

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fen. Die preiswerte Massenware kann nun in den neu eingeführten Kaufhäusern erworben werden. Die vereinfachten Schnittmuster der Kleidung machen es für viele Frauen einfacher, sich die neue Mode zu Hause selbst zu nähen, da die Nähmaschine „im 20. Jahrhundert ihren selbstverständlichen Platz in immer mehr proletarischen, kleinbürgerlichen und bürgerlichen Stuben“12 einnimmt. Das allgemeine Modebewusstsein, das in dieser Zeit aufkommt, wird unterstützt durch die neu aufkommenden Massenmedien, wie z. B. Modezeitschriften, die für eine weite Verbreitung der gerade aktuellen Mode sorgen. Zu Kriegszeiten sind Stoffe für das normale Volk noch unerschwinglich, die alten Kleider müssen aufgetragen werden. Die Kleidung fällt sehr schlicht, mit möglichst wenig Material gestaltet, aus. Umso mehr Wert kommt der Mode in der Nachkriegszeit zu. Christiane Koch beschreibt in ihrem Aufsatz „Sachlich, Sportlich, Sinnlich. Frauenkleidung in den Zwanziger Jahren“ die Frauen als nicht die gleichen, die sie vor Kriegsbeginn sind. Viele Frauen müssen zur Kriegszeit in den Fabriken und Büros arbeiten und, anstatt wieder zu ihren Vorkriegsarbeiten zurückzukehren, bleiben viele von ihnen nach dem Krieg im Erwerbsleben. Dies hat auch Folgen für die Mode, denn plötzlich ist eine zweckmäßige Berufskleidung erforderlich. Zweiteiler und Kostüme, orientiert am Vorbild des Männeranzugs, werden immer beliebter.13 Auch der Frauensport wird immer populärer, weshalb Bequemlichkeit einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. Im Gegensatz hierzu fällt dem Anstand immer weniger Bedeutung zu. Ab 1920 wird das Schwimmen sehr modern, es dürfen nun auch nackte Arme und Beine gezeigt werden, etwas das zu vorigen Zeiten undenkbar gewesen wäre. Der Standard der vornehmen Blässe verschwindet zusehends mit dem häufigeren Aufenthalt der Frauen im Freien und auch die Hosenmode entwickelt sich langsam aber stetig. Der Sport repräsentiert die Hektik und ‚Nervosität’ modernen Lebens. Er [bringt] den modernen Zeitgeist zum Ausdruck, der auch die Mode [kennzeichnet]. In dieser Konstellation bedeutet die Anerkennung des Sports in Anschluss an Baudelaire eine Aufwertung des Flüchtigen und Zufälligen, die für die großstädtische Kultur kennzeichnend ist.14

Nach Janina Nentwig wird die Sportlerin „[i]m intellektuellen Diskurs [...] zum Prototyp der Neuen Frau stilisiert“15, deren „muskulöser, schlanker Körper“ sich schon rein äußer12

Koch (1988): Sachlich, Sportlich, Sinnlich, S. 16. Vgl. Koch (1988): Sachlich, Sportlich, Sinnlich, S. 17. 14 Anne Fleig: „Musils Kritik am Geist des Sports.“ In: Michael Cowan und Marcel Sicks (Hrsg.): Leibhaftige Moderne. Körper in Kunst und Massenmedien 1918 bis 1933. Bielefeld: transcript Verlag 2005, S. 85. 15 Janina Nentwig: „Akt und Sport. Anton Räderscheidts ‚hundertprozentige Frau’.“ In: Michael Cowan und Marcel Sicks (Hrsg.): Leibhaftige Moderne. Körper in Kunst und Massenmedien 1918 bis 1933. Bielefeld: transcript Verlag 2005, S. 97. 13

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