Beherzter Einsatz der Kollegen, die vor Ort das Richtige taten

cker Kulturdezernent Erik Schra- der, bis spätestens im Frühjahr 2016 vor der Saarbrücker Synagoge ein- richten. Und die Birkenstümpfe des. Bildhauers Ariel ...
441KB Größe 3 Downloads 551 Ansichten
AK | POLITIK + GESELLSCHAFT

ERSTRETTUNG I | Bei der Firma Homanit in Losheim gelang eine Lebensrettung

Beherzter Einsatz der Kollegen, die vor Ort das Richtige taten Diese vier Männer werden die dramatischen Momente am 25. Juni 2012 auf dem Gelände des HDFPlattenwerks der Firma Homanit in Losheim vermutlich nie vergessen. Die Arbeitskollegen Hans-Dieter Amelung (52), Peter Schumacher (44), Roman Hissler (49) und Norman Brachmann (45) hat ein Ereignis von damals nachhaltig geprägt, bei dem es tatsächlich um Leben und Tod ging. Es war kurz nach sechs Uhr früh an einem Montag, als Brachmann per Handy die Nachricht erhielt: „Bitte sofort zum Amelung fahren, dem geht’s nicht gut!“ Als der Betriebsratsvorsitzende mit dem Rad an dessen Arbeitsplatz – vor dem Hackereigebäude – ankam, lag Amelung vor einem Hublader auf dem Asphalt. Er war kurz zuvor am Steuer zusammengebrochen. Schumacher und ein weiterer Kollege hatten ihn daraufhin geborgen. Schumacher selbst legte schon den Brustkorb des Ohnmächtigen frei, denn dessen Zustand und sein aschfahles Gesicht verhießen nichts Gutes. Sofort begannen Schuhmacher und Brachmann mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung und veranlassten das Herbeiholen des erst rund sechs Wochen zuvor angeschafften Defibrillators. Dies dauerte nur wenige Minuten. Danach setzten Schumacher sowie der ausgebildete Betriebssanitäter Hissler das Gerät ein und führten die Herzdruckmassage fort, Brachmann beatmete den Kollegen. 13 Minuten später traf der Rettungswagen mit Notarzt vor Ort ein. „Uns kam das wie eine Stunde vor“, meint Brachmannn rückblickend. Der Arzt lobte die Erstretter in höchsten Tönen und ließ den Herzinfarkt-Patienten dann ins St.-Elizabeth-Krankenhaus in Saarlouis transportieren. Dort lag Amelung noch drei Wochen im Koma und kämpfte ums Überleben. Für die Notfallhelfer war das keine leichte Zeit. „Haben wir wirklich alles richtig gemacht?“, fragte sich beispielsweise Peter Schumacher. Brachmann spricht von einer „Riesenerleichterung“ bei allen Betei18

Heft 6 | 2014

| D‘Angiolillo

ligten, als der 52-jährige Patient endlich aufwachte und seine Frau erkannte. Für Amelung folgte nun ein zweiwöchiger Aufenthalt in der Waderner Klinik und eine mehrmonatige Rehabilitationsphase. Aber am 1.  Januar 2013 arbeitete er bereits wieder in Vollzeit bei Homanit. Er selbst hat an die dramatische Rettungsaktion im Sommer 2012 keine Erinnerung. „Er war mehrere Minuten lang richtig weg!“, sagt Brachmann. Seit dem Infarkt ist Amelung, wie er selbst sagt, aber „doch etwas nachdenklicher“ geworden, was seine Gesundheit betrifft. Und als Dank für seine Lebensretter feierte er an seinem „ersten (neuen) Geburtstag“, also am 25. Juni 2013, eine Party mit ihnen. Den Männern von Homanit ist es ein persönliches Anliegen, mit dieser Geschichte zu zeigen, dass die Ersthelfer-Ausbildung im Betrieb beileibe keine Sache ist, die die Beschäftigten so nebenbei organisieren sollten. In diesem Zusammenhang betonen alle vier, dass ihre Geschäftsführung beim Thema Erstrettung stets für Vorschläge aus der Belegschaft offen ist und auch das erforderliche Geld zur

Dankbar präsentiert Hans-Dieter Amelung den Defibrillator, mit dessen Hilfe ihn seine Kollegen retteten: der Betriebsratsvorsitzende Norman Brachmann (r.), Peter Schumacher (l.) und Roman Hissler.

Verfügung stellt. „Wir haben eine 100-prozentige Unterstützung“, er­ klärt Hissler. Nach dem Einsatz im Sommer 2012 wurden beispielsweise sogenannte Alarmmelder angeschafft, um die Rettungskette noch schneller in Gang setzen zu können. Bei Homanit gibt es zudem einen festen Stamm von Erstrettern, die regelmäßig Übungen machen, damit alles reibungslos klappt. Betriebssanitäter Roman Hissler, der übrigens seinerzeit seine Ausbildung zum Gruppenleiter gerade beendet hatte und an besagtem Tag „zuerst dachte, dass das ein Test ist“, hält eine ständige Auffrischung der Kenntnisse für unabdingbar. Er organisiert daher neben den gesetzlich vorgeschriebenen Weiterbildungen monatlich noch Schulungen für seine Mitstreiter und sich in der Firma: Dabei geht es mal um Knochenbrüche, mal um Wundversorgung, mal um HerzLungen-Wiederbelebung. Die Homanit-Ersthelfer nehmen die Sache also sehr ernst, um auch künftig für den „Fall der Fälle“ gewappnet zu sein. 

Wulf Wein

AK | POLITIK + GESELLSCHAFT

| picture alliance (2)

ERSTRETTUNG II | In deutschen Unternehmen gibt es klare gesetzliche Vorgaben

Rasche Hilfe muss in jedem Betrieb gewährleistet sein Prinzipiell ist jeder verpflichtet, bei einem Unfall zu helfen. Das gilt also eigentlich auch für Erste-Hilfe-Maßnahmen am Arbeitsplatz. Allerdings hat der Staat in diesem Bereich regulierend eingegriffen und die Sache klar gefasst. In einer Broschüre der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) heißt es: „Der Unternehmer ist für die Organisation der Ersten Hilfe in seinem Betrieb verantwortlich. Ihm obliegt es, die organisatorischen, sachlichen und personellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass seine Beschäftigten bei einem Arbeitsunfall Erste Hilfe erhalten und entsprechend dem Prinzip der Rettungskette versorgt werden.“ Weiter heißt es in dem DGUV-Info zum Thema Erstrettung. „Der Arbeitgeber hat diejenigen Personen zu benennen, die Aufgaben der Ersten Hilfe übernehmen.“ Der Erstretter ist nach der Definition des Arbeitsschutzgesetzes und des Sozialgesetzbuchs ein „ausgebildeter Laie, der als Erster am Ort des Geschehens Maßnahmen ergreifen kann, um akute Gefahren für Leben und Gesundheit abzuwenden“. Nach geltendem Recht muss es in Betrieben mit zwei bis 20 Mitarbeitern einen Rettungshelfer geben, ab 21 Beschäftigten müssen mindestens zehn Prozent oder fünf Prozent der Belegschaft (Verwaltungs- und Handelsbetriebe) Ersthelfer sein.

Um die Vorgaben zu erfüllen, muss jeder Ersthelfer einen acht Dop­ pel­ stunden umfassenden ErsteHilfe-Lehrgang erfolgreich absol­ vieren. Alle zwei Jahre ist ein Auffrischungskurs von vier Doppelstunden erforderlich, um den Status des Ersthelfers zu behalten. Die Kurse werden von Hilfsorganisationen wie DRK, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser-Hilfsdienst und anderen angeboten. Die Lehrgangskosten übernehmen die Berufsgenossenschaften, Entgeltfortzahlung und Fahrtkosten sind vom jeweiligen Unternehmen zu tragen. Als Ersthelfer mit erweiterter Ausbildung gibt es in größeren Firmen und Unternehmen mit besonderem Gefährdungspotenzial zusätzlich Betriebssanitäter, die „erweiterte Erste Hilfe leisten“ können.

Wer weiß, wie sachgerecht zu handeln ist, spart wertvolle Zeit, bis der Notarzt kommt.

ARBEITSKAMMER PLÄDIERT FÜR HÄUFIGE SCHULUNG

Christoph Ecker, der Referatsleiter für den betrieblichen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz bei der Arbeitskammer des Saarlandes ist, hält es für immens wichtig, dass die Unternehmer ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und die Vorschriften einhalten. Der Betriebsarzt sei dabei „der originäre Berater“, auch was die Ausstattung mit Rettungsmaterial (Verbandskästen, Tragen, Erste-Hilfe-Raum, Defibrillator etc.) angehe. Außer-

dem hält Ecker es für unabdingbar, dass die Ersthelfer möglichst häufig geschult werden. Bei der Anschaffung eines neuen Rettungsgerätes wie eines Defibrillators sollten sie umgehend mit der Handhabung vertraut gemacht werden. Ecker: „Die Rettungskette muss stimmen, deshalb ist die Unterweisung wichtig.“ Unter Rettungskette versteht man das reibungslose Ineinandergreifen von Maßnahmen wie Soforthilfe, Notruf, Erste Hilfe, Übergabe an den Rettungsdienst und Aufnahme im Krankenhaus. Bei der Auswahl von Ersthelfern plädiert der AK-Vertreter für das Prinzip der Freiwilligkeit. „In der Regel findet man die Leute“, meint er. Notfalls könne die Firmenleitung aber auch Personen zu der Aufgabe verpflichten. Bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern sollten Betriebs- oder Personalrat einbezogen werden. Wulf Wein Die AK-Fachleute bieten eigene Veranstaltungen

und

Semina-

re zum Thema Erst­ rettung an, außerdem informieren die AKExperten in Betrieben oder beraten am Telefon. Als zusätzlichen | fotolia

Service verschickt die Arbeitskammer eine regelmäßig aktualisierte Broschüre zum Thema Arbeitssicherheit mit wichtigen Telefonnummern und Adressen.

Heft 6 | 2014

19

AK | POLITIK + GESELLSCHAFT

INTERVIEW | Die Psychologin Ingrid Scholz zur seelischen Gesundheit von Migranten

„Sie erfahren oft Ausgrenzung und Ablehnung“ In diesem Jahr liegt der Schwerpunkt der saarlandweiten „Wochen der Seelischen Gesundheit“ auf dem Thema „Heimat-Fremde“. Über die spezifische Situation im Saarland lebender Migranten sprach Hanne Kraus vom Interkulturellen Kompetenzzentrum der Arbeitskammer des Saarlandes mit der Diplompsychologin Ingrid Scholz. Sie arbeiten seit vielen Jahren beim Beratungsdienst für migrationsbedingte psychosoziale Problemlagen bei BARIŞ – Leben und Lernen e.V. in Völklingen. Könnten Sie die Situation der Migranten etwas genauer beschreiben? | SCHOLZ: Die Situation stellt sich sehr unterschiedlich dar. Keine Bevölkerungsgruppe ist so heterogen wie die der Migranten. Sie unterscheiden sich durch Einreisemotiv, Aufenthaltsstatus, ethnische Zugehörigkeit und Bildungsvoraussetzungen. Da gibt es Arbeits- und Hei­ratsmigranten, Asylsuchende, politische Flüchtlinge, illegale Migranten, Studenten, Aussiedler, EUBinnenmigranten, um nur einige Gruppen zu benennen. Und deren Problemlagen sind sehr unterschiedlich. | ARBEITNEHMER:

Gibt es migrationsspezifische Probleme? | SCHOLZ: Migration an sich ist für viele Menschen mit einem kritischen Lebensereignis oder anderen Stressfaktoren verbunden, die das Risiko psychischer Erkrankungen erhöhen können. Da ist etwa der Verlust von Sicherheit. Alles, was selbstverständlich war, ist es auf einmal nicht mehr. Hieraus können Identitätskrisen erwachsen. Entwurzelungserlebnisse, der Verlust sozialer Netzwerke, Sprach- und Verständigungsprobleme, all dies kann Auswirkungen auf die Psyche haben. | ARBEITNEHMER:

Und welche Rolle spielt unsere Gesellschaft? | SCHOLZ: Ausgrenzung und Ablehnung sind oft beschriebene Erfahrungen. Immer wieder Schwie| ARBEITNEHMER:

20

Heft 6 | 2014

| D‘Angiolillo

Ingrid Scholz befasst sich bei BARIŞ mit migrationsbedingten psychischen Problemen.

rigkeiten: in der Schule, bei der Ausbildungsplatzsuche, im Berufsleben oder nur beim Versuch, in die Disco zu kommen. Diskriminierungserfahrungen, Fremdenfeindlichkeit und erlebter Rassismus können sich auswirken auf das eigene Ich, auf die seelische Gesundheit. Selbst Enkel von in den 60er Jahren eingewanderten Menschen haben es schwer, eine Hier-gehöreich-dazu-Identität zu entwickeln, werden sie doch immer wieder mit Fragen konfrontiert wie: „Wo kommst du her?“ oder „Wie ist das denn bei euch?“ Ist unsere psychologische Versorgung auf Migranten eingestellt? | SCHOLZ: Nein. Unser Gesundheitssystem hat im Bereich Psychotherapie und Psychiatrie kaum auf die Herausforderungen einer Zuwanderungsgesellschaft reagiert. Diese Patientengruppe ist vollkommen unterversorgt, die Angebote sind nicht auf sie zugeschnitten. | ARBEITNEHMER:

Können Sie das etwas genauer beschreiben? | SCHOLZ: Da gibt es Sprach- und Verständigungsprobleme. Belegt ist, dass selbst gute – für den Alltag ausreichende – Sprachkenntnisse bei der Verständigung über Emotionales unzureichend sein können. Der Ausdruck von Gefühlen wird | ARBEITNEHMER:

überwiegend mit der Erstsprache assoziiert, und bestehende Sprachkenntnisse werden in psychischen Krisen gemindert. Das Hinzuziehen professioneller Dolmetscher wird von den Krankenkassen nicht finanziert, so dass viele Migranten von der Regelversorgung ausgeschlossen sind. Hier kann auch das Dolmetschen durch Familienangehörige oder semiprofessionelle Übersetzer wie Reinigungs- oder Küchenpersonal im Krankenhausalltag keine ernsthafte Lösung darstellen. Auch ist die Anzahl muttersprachlicher oder binationaler Therapeuten aufgrund von Schwierigkeiten bei der Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Abschlüsse gering. Zudem wird bei der Vergabe von Kassenzulassungen der Aspekt der prozentualen Verteilung nach kultureller oder sprachlicher Herkunft an der Gesamtbevölkerung nicht berücksichtigt. Wie sollte Ihrer Meinung nach das Versorgungssystem der Zukunft aussehen? | SCHOLZ: Da die Zukunft moderner Gesellschaften zweifellos von zunehmender Diversität geprägt ist, bedarf es einer professionellen Weiterentwicklung des Systems. Absolut unerlässlich sind ein kultursensibler Umgang mit der Vielfalt und transkulturelle Kompetenz. | ARBEITNEHMER:

AK | POLITIK + GESELLSCHAFT

GEDENKEN | Welche Orte eignen sich, um an Nazi-Opfer zu erinnern?

Tafeln, Stolpersteine und Gedenkstätten…

| D‘Angiolillo (2)

Gerade einmal 67 mal zehn Zentimeter klein ist sie, die Stolperschwelle, an der Meinrad Maria Grewenig im August so großen Anstoß nahm. Mit der Verlegung der Messingschwelle auf dem Trottoir vor dem Völklinger Weltkulturerbe wollten der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig und das Aktionsbündnis Frieden an die über 200 Opfer der Zwangsarbeit bei den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken in der Nazizeit erinnern. Buchstäblich in letzter Minute versuchte der Weltkulturerbe-Leiter das Bündnis von seinem Vorhaben abzuhalten, indem er einen offenen Brief mit Einwänden verbreiten ließ. Der vorgesehene Ort sei „würdelos“ und gefährlich, die Inschrift „historisch unangemessen“ schrieb Grewenig unter anderem. Nicht nur bei dem Aktionsbündnis, auch bei den Medien stieß Grewenigs Einmischung auf Unverständnis und Kritik. Schon einmal, bei den Plänen zur Umbenennung der Hermann-Röchling-Höhe in Bouser Höhe, hatte er sich mit einem offenen Brief eingemischt – und vor dem Verlust des Welkulturerbes gewarnt, was sich als glatter Fehlalarm erwies. Gleichzeitig kündigte Grewenig nun kurzfristig für September die Realisierung der seit 2003 erwarteten Ausstellung

Der RabbinerRülf-Platz mit seinem „unterbrochenen Wald“ an der Berliner Promenade in Saarbrücken ruft die während der Nazizeit ermordeten saarländischen Juden in Erinnerung. (Bild rechts) Vor dem Weltkulturerbe Völklinger Hütte erinnert eine in den Boden eingelassene Messingschwelle an die Opfer von Zwangsarbeit. (Bild links)

zur Aufarbeitung der Geschichte der Röchlings und ihrer Hütte in der Nazizeit sowie ein Denkmal für Zwangsarbeit im Weltkulturerbe an. Worum ging es also? Beanspruchte Grewenig ein DenkmalMonopol? Warum soll es nicht zwei Mahnmale für die Zwangsarbeiter geben? Im November vorigen Jahres hatte die Landeshauptstadt Saarbrücken den Rabbiner-Rülf-Platz (zum Gedenken an den letzten Saarbrücker Rabbiner in der Nazizeit) und das damit verbundene Mahnmal „Der unterbrochene Wald“ für die unter den Nazis ermordeten saarländischen Juden eingeweiht. Auch gegen dieses Projekt gab es kurz vor der geplanten Realisierung Einwände – aus unterschiedlichsten Beweggründen. Neben den üblichen vereinzelten antisemitischen Stimmen meldeten sich in der Bürgerschaft auch viele, die sich – wie sie sagten – nicht die „schöne neue“ Freitreppe zur Saar mit Skulpturen zustellen und durch ein Mahnmal das Chillen und Party-Machen vergellen lassen wollten. Der Synagogengemeinde wiederum war das Mahnmal nicht deutlich genug. Sie wollte zusätzlich eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer angebracht sehen. Fast ein Jahr später ist jegliche Kritik verstummt. Die Gedenktafeln mit den Opfernamen will die Stadt nun, so der Saarbrücker Kulturdezernent Erik Schrader, bis spätestens im Frühjahr 2016 vor der Saarbrücker Synagoge einrichten. Und die Birkenstümpfe des Bildhauers Ariel Auslender scheinen die Saarbrücker und ihre Gäste beim Chillen auf der Treppe wenig zu stören. Bisweilen werden die Bronze-Stümpfe sogar als Trommeln genutzt. Die Frage stellt sich eher andersherum: „Funktioniert“ das Mahnmal? Wird es überhaupt als solches wahrgenommen? Findet Gedenken statt? Hört man sich bei regelmäßigen Platznutzern und Architekten um, so stößt man auf Skepsis. Der Rabbiner-Rülf-Platz sei „überfunktional“, habe viel zu viele Funktionen auf einmal, sagen Architekten. Man

warte da auf den Bus, stelle sein Rad ab, esse und trinke im Café, ruhe sich beim Shopping kurz mal aus oder gehe von A nach B... – da fehle einfach die Ruhe und Konzentration, um an die Shoah zu denken. Ganz anders die Gedenkstätten für Willi Graf neben dessen Grab auf dem Alten Friedhof St. Johann und die für das Gestapo-Lager Neue Bremm: Beides sind nicht nur Orte, an denen es einen konkreten Bezug zu den Opfern gibt. Wer sie aufsucht, macht dies auch selten aus einem anderen Grund. Das frühere Gestapo-Lager, so weit außerhalb der City es auch liegt, wird außerdem rege für Jugendarbeit genutzt. Ergeht es dem „unterbrochenen Wald“ also so ähnlich wie dem buchstäblich „unsichtbaren Mahnmal“ von Jochen Gerz auf dem Saarbrücker Schlossplatz? Nimmt es irgendwann niemand mehr wahr? Andererseits: Gedenken kann viele Formen haben. Die Stolperschwellen und -steine etwa, die Gunter Demnig in ganz Europa verlegt, sind auch nicht dazu gedacht, dass man sich dort länger aufhält und in sich geht oder gar Kränze ablegt. Sie wollen einen Gedankenanstoß geben, gegen das Vergessen. Und das ist gut so. 

Silvia Buss

Heft 6 | 2014

21

AK | POLITIK + GESELLSCHAFT

ROLLENBILDER | Das Paritätische Bildungswerk versucht mit einem

„Genderparcours“ an Schulen gängige Stereotypen aufzubrechen

Möglichkeiten jenseits eingefahrener Wege aufzeigen Mädchen werden Friseurinnen oder gehen in soziale Berufe – Jungen schrauben an Autos oder studieren Technik. Soweit die guten alten Vorurteile und leider häufig auch die Realität. Ist daran etwas veränderbar, wie kann man im Bildungsverlauf mit welchen Mitteln ansetzen, was ist rein praktisch möglich? In der Theorie ist vieles längst bekannt: Mädchen werden von frühester Kindheit an mit ihren Rollenstereotypen „fleißig, sozial engagiert und wenig technikbegeistert“ identifiziert. Bei Jungen hingegen ist derjenige cool, der sich schon in der Kita für Mathematik und Technik begeistert. Zuwendung zu sozialen Berufen im jugendlichen Alter hingegen gilt auch heute noch allzu oft als „Frauenkram“. Die Forderungen, bereits in der frühen Kindheit diesen Rollenzuschreibungen ein Ende zu machen, sind alt, in der Praxis erweisen sich diese Vorstellungen jedoch als sehr resistent. Spätestens im Jugendalter aber, wenn die Berufswahl ansteht, kann der eine oder andere Denkanstoß womöglich noch etwas bewirken – davon ist Anja Weyrath, Leiterin der Fachstelle Mädchenarbeit beim Paritätischen Bildungswerk (PBW) in Saarbrücken überzeugt: „Wir wollen Denkanstöße geben, um Jungen und Mädchen dazu zu bringen, über Rollenvorstellungen nachzudenken. Sie können sich hier fragen, was sie wirklich wollen – ohne sich nur auf das zu beschränken, was man von außen von ihnen erwartet.“ Zu diesem Zweck hat das PBW in Zusammenarbeit mit dem Regionalverband und dessen Arbeitskreis „Mädchenarbeit“ bereits vor geraumer Zeit über das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung einen sogenannten „Mädchenparcours“ erarbeitet. Dieser wurde nach guten Erfahrungen auf einen „Genderparcours“ für beide Geschlechter ausgeweitet. Das Projekt wird voraussichtlich bis Mitte 2015 vom Sozialministerium unterstützt und wendet sich direkt an Schülerinnen und Schüler (ab 12 Jahre) und außerdem an Fachkräfte, die in der Jugendarbeit aktiv sind. „Wir bewerben unsere Maßnahme aktiv in den entsprechenden Einrichtungen und konnten bisher rund achtmal mit unserem Programm starten“, berichtet Anja Weyrath. Dazu gehen mindestens zwei ausgebildete Fachkräfte für fünf Stunden in die Klassen oder Gruppen und bearbeiten das Themenfeld Rollen- und Genderfragen systematisch mit den Jugendlichen. Den Start macht meist ein Film oder ein Gender-Quiz, um die Gruppe zu sensibilisieren und Fragen zu diskutieren, was ihrer Meinung nach „typisch“ für das jeweilige Geschlecht 22

Heft 6 | 2014

Was Mädchen können, dürfen, wollen oder sollen, kann auf der Tafel spielerisch zugeordnet werden.

ist. Danach werden die Gruppen nach Geschlechtern getrennt, um spezielleren Fragestellungen nachgehen zu können. Im Mittelpunkt stehen Rollenerwartungen, die anhand ganz konkreter Gegenstände altersbezogen und erlebnisorientiert thematisiert und hinterfragt werden. Beispielsweise erleichtert ein sogenanntes „Rollenhaus“, in dem die anstehenden Tätigkeiten zu Hause den Geschlechtern zugewiesen werden, die Bearbeitung dieses Themas. Anschließend dis-

Nicht jeder Junge wird in einem technischen Beruf glücklich, auch wenn es der tradierten Rollenerwartung entspricht.

| D‘Angiolillo (3)

kutieren die Jugendlichen über den Themenkomplex Freundschaft und die gegenseitige Beeinflussung, die daraus entsteht – aber auch das Thema Sexualität wird nicht ausgespart. „Dabei geht es in unserem lockeren Rahmen häufig um ganz konkrete Fragen. Die Jugendlichen sind spürbar froh, über diese Dinge mit uns reden zu können und sich bestimmter Erwartungen bewusst zu werden“, berichtet die Projektleiterin. Besonders wichtig sei es daher, dass die Fachkräfte, die diese Aufgaben erfüllen, entsprechend ausgebildet und sensibel mit den Themen umgehen können. Nicht zuletzt kommen die beruflichen Fragen auf den Tisch. Es geht um die eigenen Vorstellungen und für manche zum ersten Mal auch darum, sich jenseits der eingefahrenen Wege auch andere Möglichkeiten vorzustellen. Dazu stellt der Genderparcours eine Auswahl von Gegenständen und auch Kleidung zur Verfügung, um die Jungs und Mädchen praktisch fühlen zu lassen, wie es ist, als Bäcker/-in oder Schornsteinfeger/-in aufzutreten. Dies ist erfahrungsgemäß ein sehr heiterer Bestandteil des Genderparcours; das Heitere aber sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr diese Erfahrungen wirken, wenn sie so ganz praktisch ausfallen – davon ist Anja Weyrath überzeugt. Tatsächlich werden viele sensible Fragen während des Genderpar‑

cours angesprochen und mit den Jugendlichen diskutiert. Für Anja Weyrath ist es daher selbstverständlich, dass nur eigens ausgebildete Fachkräfte die Projekte durchführen. Ein weiteres Ziel ist es deshalb, eine „interne“ Schulung der pädagogischen Fachkräfte im eigenen Haus aber auch von anderen Bildungsträgern anzubieten. Hintergedanke dabei: Auch Fachkräfte können gendersensibler mit Jugendlichen umgehen, wenn sie sich vorher die dabei lauernden stereotypen Vorstellungen noch einmal bewusst machen. Damit – so die Hoffnung – kann das Konzept noch weiter in die Fläche und in das alltägliche Handeln verbreitet werden.

Typisches Zubehör für klassische Männerberufe bringen die Fachkräfte in einem Koffer mit. So können Mädchen ausprobieren, wie sich das anfühlt.

Der Genderparcours hat auch die Gleichstellungsbeauftragte des Land­ kreises Neunkirchen beeindruckt. Heike Neurohr-Kleer entwickelte daher in Zusammenarbeit mit den örtlichen Fachkräften (Schoolworkern, Jugendpflegern) ein ganz ähnliches, mehrtägiges sogenanntes „Rollenpuzzle“. Damit versucht sie in Neunkirchen ebenfalls mit den Genderthemen in Schulen und Einrichtungen der Jugendpflege die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu bekommen. „Ein mühsames Geschäft“, so sagt sie, „aber eines, das den Aufwand lohnt!“ Besonders interessant wird es, wenn sich zu den unterschiedlichen Rollenvorstellungen auch noch zusätzlich unterschiedliche kulturelle Hintergründe mischen. „Offen gestanden sind wir manchmal überrascht von der Vehemenz der Rollenvorstellungen bei den Jugendlichen. Wir sind aber auch begeistert, welche Diskussionen die Fachkräfte im Laufe der Projekttage in Gang setzen können“, so Neurohr-Kleers Einschätzung ihres Projekts. Insgesamt sieht sie – genau wie das PBW – die dringende Notwendigkeit, diese Themen stärker in die Fläche und in das Alltagsleben der Jugendlichen zu transportieren. Es hat sich in der Praxis zwar schon viel verändert in puncto Gleichstellung der Geschlechter, wer aber die Aussagen der Jugendlichen in den selbst erstellten Filmen des Projektes sieht, weiß auch, wie viel gleichzeitig noch zu tun bleibt. 

Gertrud Schmidt



Referentin für



Frauen- und Gleichstellungspolitik

Heft 6 | 2014

23