Basiswissen zur zeitgemäßen Gestaltung von Märchen - Buch.de

10.04.2012 - die Weiterleitung an Dritte oder für die Veröffentlichung im Internet oder in Intranets. ... Volksmärchen – die Lieblinge der Kinder . ..... magischen Welt leben, sie suchen bereits auf wackeligen Füßen den Zwerg unter der ...
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Kindergarten/Grundschule Gabi Koppehele

Handbuch Märchen Basiswissen zur zeitgemäßen Gestaltung von Märchen

Ideal auch für die Ausund Weiterbildung

Für meinen Vater

Gedruckt auf umweltbewusst gefertigtem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier. 1. Auflage 2012 Nach den seit 2006 amtlich gültigen Regelungen der Rechtschreibung © Auer Verlag AAP Lehrerfachverlage GmbH, Donauwörth Alle Rechte vorbehalten Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Illustrationen: Julia Flasche © 2013 Auer Verlag, Donauwörth Satz: Fotosatz AAP Lehrerfachverlage GmbH H. Buck, Kumhausen Druck und Bindung: Aubele Druck GmbH, Kempten Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-403-06777-1 Das Werk als Ganzes sowie in seinen Teilen unterliegt dem deutschen Urheberrecht. Der Erwerber des Werkes ist berechtigt, das Werk als Ganzeswww.auer-verlag.de oder in seinen Teilen für den eigenen Gebrauch und den Einsatz im eigenen Unterricht zu nutzen. Downloads und Kopien dieser Seiten sind nur für den genannten Zweck gestattet, nicht jedoch für einen weiteren kommerziellen Gebrauch, für die Weiterleitung an Dritte oder für die Veröffentlichung im Internet oder in Intranets. Die Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes bedürfen der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlages. Die AAP Lehrerfachverlage GmbH kann für die Inhalte externer Sites, die Sie mittels eines Links oder sonstiger Hinweise errei06777 – Koppehele – Handbuch Märchen chen, keine Verantwortung übernehmen. Ferner haftet die AAP Lehrerfachverlage GmbH nicht für direkte oder indirekte Schäden Herstellung: Marc Grethen – 10.04.12 – Stand:können, Druckdaten – Seite 2 externen Websites stehen. (inkl. entgangener Gewinne), die auf Informationen zurückgeführt werden die auf diesen Illustrationen: Julia Flasche Satz: Fotosatz H. Buck, Kumhausen ISBN: 978-3-403-36777-2 www.auer-verlag.de

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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Alle wichtigen Hintergrundinformationen zum Thema . . . . . . . . .

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1. Zur Erklärung des Wortes Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Volksmärchen – die Lieblinge der Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die Merkmale des Volksmärchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Märchen früher, heute und in Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5. Kindheit heute und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 6. Mit Märchen aktuelle Probleme lösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 7. Wie man der Skepsis gegenüber Märchen begegnen kann . . . . . . . . 32 8. Wie man mit Märchen richtig fördern kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Märchen in der Kita – Alle praktischen Tipps . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Das Märchen erzählen oder vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Der Anfang jedes Erzählens – Das „richtige“ Märchenbuch . . . . . . . . 41 3. Das „richtige“ Märchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4. Die richtige Vorbereitung und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. Wichtiger Aspekt zum Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6. Märchenfavoriten mit Altersempfehlung und Erläuterung . . . . . . . . . . 56 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Lied „Komm mit ins Märchenland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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Vorwort Dieses Buch ist aus meiner tiefsten Überzeugung heraus entstanden, dass Kinder Märchen brauchen, heute mehr denn je. Märchen müssen wieder vollständig und „ganz pur“ in die Kindergärten und Schulen zurückkehren. Wir leben in einer technischen, schnellen Zeit. Unsere Kinder fügen sich scheinbar ohne Probleme dem rasanten Tempo des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Doch nie zuvor hörte man von so vielen Erziehungsproblemen und Defiziten im Verhalten der Kinder wie heute. Lehrer, Erzieherinnen, Eltern und nicht zuletzt unterschiedlichste Therapeuten sind pausenlos darum bemüht, diesen Problemen durch gezielte Angebote und Förderung entgegenzuwirken. Durch meine Besuche als Märchenerzählerin in den diversen pädagogischen Einrichtungen erlebe ich die Probleme der neuen Zeit hautnah mit und erkenne deutlicher als je zuvor, dass gerade die alten Volksmärchen einen wichtigen Beitrag leisten können in der aktuellen pädagogischen und psychologischen Arbeit. Märchen schaffen Ruheinseln, sie bieten den Kindern etwas, das im Zeitalter des Fernseh- und Computerkonsums oftmals zu kurz kommt: viel Raum für die eigene Fantasie und Kreativität. Märchen verzaubern und gleichzeitig spiegeln sie ganz und gar das kindliche Weltbild wider. Märchen erzählen heißt, sich Zeit für einander zu nehmen und gemeinsame Zeit zu verbringen. Wertvolle Zeit – heute fast schon Luxus! Wenn es uns also möglich sein sollte, mit Märchen bereits von Anfang an Problemen unserer Kinder entgegenzuwirken, so sollten wir es tun. Ich möchte mit diesem Buch hauptsächlich meine eigenen, tagtäglich gemachten positiven Erfahrungen an Sie weitergeben, werde aber auch wichtige Aspekte anderer bekannter Märchenexperten anführen.

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5 Nach so vielen Jahren des Erzählens bin ich noch immer erstaunt, welche Faszination von den Märchen ausgeht. Niemals zuvor habe ich in so viele leuchtende Augen gesehen. Und nie zuvor kam ich meinem Gegenüber so nah, ohne jeglichen Körperkontakt. Sie können mir glauben, nach meinen Erzählstunden (die im Übrigen nicht nur aus dem reinen Erzählen bestehen, dazu aber später mehr) werde ich häufig von Eltern, Erzieherinnen und Lehrern angesprochen, die ich alle mit dem „Märchenvirus“ infiziert habe. Das ist meine größte Freude – neben dem Erzählen natürlich – und ein ganz besonderer Lohn ist, dass ich die Herzen der kleinen und großen Zuhörer berühren darf und dort etwas platziere, was vielleicht zu einer lebenslangen wohligen Grundstimmung führen kann. Vertrauen, Mut, Kraft, Durchsetzungsvermögen, Hoffnung, Liebe, Zuversicht, Selbstvertrauen, Durchhaltevermögen, List … das alles steckt in den Märchen … und vieles mehr. Damit gehe ich konform mit den aktuellen Erkenntnissen aus der Neurobiologie. Prof. Dr. Gerald Hüther beschreibt in allen seinen Publikationen, wie Kinder bereits früh aktiv bedeutende Erfahrungen machen, die sie für ihr zukünftiges Leben stark prägen und dafür sorgen, dass sie lebenslanges Interesse für bestimmte Themen entwickeln. Ihre Gabi Koppehele

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A. Alle wichtigen Hintergrundinformationen zum Thema 1. Zur Erklärung des Wortes Märchen Das alte deutsche Wort „Mär“ steht für Kunde, Erzählung. Das „chen“ ist die Verniedlichungsform, ähnlich wie „lein“. Wie die obige Definition zeigt, handelt es sich bei Märchen um Erzählungen, die früher in der Regel mündlich weitergegeben wurden. Jedes Land kennt eigene Märchen, die irgendwann erfunden und über Generationen mündlich, später auch schriftlich übermittelt wurden. Wichtige Märchensammler waren in Deutschland die Brüder Grimm oder Ernst Moritz Arndt, jedoch hat fast jedes Land eigene Märchensammler, die die wichtigsten Märchen weitererzählt haben. Woran erkennt man Märchen?

2. Märchen erkennt man an einer Handlung, die durch Elemente aus dem Fantastischen gekennzeichnet ist. Neben magischen Wesen, wie Hexen, Zwergen oder Riesen, kommen auch wundersame Gegenstände und Menschen mit besonderen Kräften in den Märchen vor. 3. Im Märchen gibt es keine durchschnittlichen Personen, alle Protagonisten sind entweder gut oder böse, schlau oder dumm, groß oder klein.

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Gabi Koppehele: Handbuch Märchen © Auer Verlag – AAP Lehrerfachverlage GmbH, Donauwörth

1. Märchen sind immer gleich aufgebaut. Im Mittelpunkt steht eine Person, die oft am Rande der Gesellschaft steht, die oft arm und mittellos ist. Manchmal spielt aber auch eine reiche Person eine wichtige Rolle, die dann oft allein und unglücklich ist.

7 4. In Märchen erfährt man nicht, wann und wo genau eine Geschichte passiert ist, außer vielleicht in neueren Erzählungen des Märchens „Die Bremer Stadtmusikanten“. In älteren Ausgaben fehlt allerdings die Ortsangabe in diesem Märchen, auch werden die Tiere niemals Musiker in dieser Stadt. 5. Es gibt entweder etwas, um das eine Person kämpft, jemanden den sie besiegen oder Aufgaben, die sie erfolgreich lösen muss. Hierbei ist interessant, dass es oft drei Aufgaben sind, die der Held oder die Heldin erfolgreich bewältigen muss. 6. Beruhigend daran ist, dass das Märchen immer gut ausgeht. Das weiß man und das beruhigt Alt und Jung beim Hören der Geschichte.

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7. Die Zuhörer werden durch bestimmte Formeln an die Geschichte gebunden, neben bekannten formelhaftigen Aussprüchen, kommen bestimmte Zahlen immer wieder vor. 8. Man unterscheidet zwei Formen von Märchen: Die Kunstmärchen wurden von Dichtern und Schriftsteller in unterschiedlichen Zeiten ausgedacht und spiegeln die persönliche Meinung der Autoren wider. Die Autoren haben dabei mehr schöpferische Freiheit und wählen die Merkmale der Märchen, die sie verwenden möchten, individuell aus. Es müssen also nicht alle Merkmale genau so vorhanden sein, wie es die Märchendefinition vorgibt. Die zweite bekanntere Märchenform ist das Volksmärchen. Die Urheber der Volksmärchen sind nicht bekannt, oft wurden die Märchen über lange Zeit nur mündlich, später auch schriftlich weitergegeben, wobei die Struktur weitestgehend erhalten blieb. Im Volksmärchen müssen alle Merkmale des Märchens auf jeden Fall erhalten sein, natürlich in jedem Märchen in unterschiedlicher Gewichtung. Für das Volksmärchen gibt es weitere Elemente, die zusätzlich vorkommen können. Aufgrund der wichtigen Bedeutung der Volksmärchen wird im nächsten Kapitel ausführlicher auf diese Form eingegangen.

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2. Volksmärchen – die Lieblinge der Kinder Schon als ganz junge Erzieherin habe ich „meinen“ Kindern die sogenannten „Märchenklassiker“ erzählt, wenn sie thematisch gut zur jeweiligen Gruppensituation passten. Ich erinnerte mich dabei sehr schnell wieder an mein eigenes wohliges Gefühl, das ich empfand, als mir meine Großmutter einst die „alten“ Märchen erzählte. Bald wurde mir klar, dass Kinder Märchen vor allem mit dem Herzen hören, denn bei mir war es ja ganz genauso. Erst einige Jahre später setzte ich mich damit auseinander, warum gerade die Volksmärchen Kinder besonders ansprechen. Ich stellte mir die Frage: „Was ist es eigentlich, was Kinder an ihnen so sehr fasziniert?“ Ich suchte in Fachbüchern nach Antworten auf diese Frage und entdeckte dabei in Bruno Bettelheims Buch „Kinder brauchen Märchen“ eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage. „Je mehr ich mich bemühte zu verstehen, warum das Märchen so bezeichnend für das innere Leben des Kindes ist, umso klarer wurde mir, dass das Märchen in einem viel tieferen Sinn als jede andere Lektüre dort einsetzt, wo sich das Kind in seiner seelischen und emotionalen Existenz befindet. In den Märchen kommen die schweren inneren Spannungen des Kindes so zum Ausdruck, dass es diese unbewusst versteht; und ohne die heftigen Kämpfe des Heranwachsens herunterzuspielen, bieten sie Beispiele dafür, wie bedrückende Schwierigkeiten vorübergehend oder dauerhaft gelöst werden können.“ Ja, dachte ich mir, das ist genau das, was auch ich mit den Kindern durch das Erzählen erlebe. Und ich erkannte, dass besonders die Bildsprache, die das Volksmärchen kennzeichnet, die Kinder in einer einzigartigen Weise anspricht. Gerade Kinder im Vorschulalter erleben und denken bildhaft. Sie befinden sich in der Phase des „Magischen Denkens“. Was genau sich hinter diesem Begriff verbirgt, zeigen die folgenden Definitionen recht einfach.

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(Bruno Bettelheim, Kinder brauchen Märchen, dtv, München, 1993)

9 „Magisches Denken bezeichnet im psychologischen Sinne ein Symptom der irrtümlichen Annahme einer Person, dass ihre Gedanken, Worte und Handlungen Einfluss auf ursächlich nicht verbundene Ereignisse hervorrufen oder verbinden können, wobei allgemeingültige Regeln von Ursache und Wirkung ignoriert werden.“ (Nicolas Hofmann/Birgit Hofmann, Expositionen bei Ängsten und Zwängen, Beltz Psychologie Verlag, Weinheim, 2008).

„Manche Entwicklungspsychologen sehen „ Magisches Denken“ in Anlehnung an Jean Piaget als eine archaische Denkform der animistisch magischen Entwicklungsphase der zwei-bis fünfjährigen Kinder an.“ (Franz Resch, Entwicklungspsychopathologie des Kindes und Jugendlichen, Beltz PVU, Weinheim, 1999)

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Noch immer wird das „Magische Denken“ heute von Experten hauptsächlich auf das Alter zwischen ca. drei und zehn Jahren festgelegt. Doch auch hier liest man häufig von einer „Abstufung“. So vertreten manche Wissenschaftler die Ansicht, das „Magische Denken“ reiche bis etwa zum 7. Lebensjahr, das eigentlich formale Denken beginne aber letztendlich erst mit 10 bzw. 12 Jahren, was für einen langsamen Übergang und eine Nachwirkung des magischen Denkens sprechen würde. Aber wann beginnt das „Magische Denken“? Wirklich erst mit etwa drei Jahren? Die Experten sind sich in dieser Frage nicht einig. Liegt es vielleicht nur daran, dass man es deshalb nicht genau sagen kann, weil sich die jüngeren Kinder noch nicht richtig ausdrücken können? Was denken und fühlen sie wirklich? Ich erlebe täglich, dass auch schon die Kleinsten in ihrer eigenen magischen Welt leben, sie suchen bereits auf wackeligen Füßen den Zwerg unter der Baumrinde und die Fee auf der Blume. So frage ich mich seit längerem, ob vielleicht das magische Alter schon ab der Geburt beginnt.

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3. Die Merkmale des Volksmärchens Im Folgenden werde ich Ihnen einen kleinen Überblick über die wichtigsten Merkmale des Volksmärchens und ihre wichtige Bedeutung geben, die für Sie in pädagogischen Berufen interessant sind. So fällt es Ihnen leichter, das typische Volksmärchen schnell zu erkennen, denn was heute als „Märchen“ daherkommt, ist oftmals gar keines. Max Lüthi (1909–1961), ein Schweizer Märchenforscher und Literaturwissenschaftler, prägte die folgenden Begriffe der einzelnen Merkmale des Volksmärchens.

Alle im Märchen vorkommenden „Wesen“ sind gleichberechtigt: Es gibt keine Hierarchie. Menschen sprechen mit Zwergen, Hexen und Riesen kochen am Herd, Spiegel sprechen. Alle erhalten eine sog. „Beseelung“und alle leben neben- und miteinander, als wäre das ganz normal. Hier wird vor allem das „Magische Denken“ des Kindes angesprochen. Für Kinder in dieser Entwicklungsphase ist es normal, dass Bäume sprechen, kleine, graue Männlein fluchen und Esel die Laute spielen … in der Fachsprache wird dies „Illusionsfähigkeit“ genannt. Bei Karl Groos („Die Spiele des Menschen“) macht diese „Illusionsfähigkeit“ zusammen mit der „Kombinationsfähigkeit“ hauptsächlich das aus, was man unter dem Begriff Fantasie zusammenfassen kann (vgl. Karl Groos, Die Spiele des Menschen, 1899). Kinder im Alter des „Magischen Denkens“ unterscheiden nicht zwischen real und irreal, denn für sie ist alles möglich.

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Eindimensionalität (sogenannte „Einweltcharakter“)