“Wir sind keine Barbaren” am neuen theater Halle

03.02.2015 - v.l.n.r. : Alexander Gamnitzer (Paul), Matthias Walter (Mario), Stella Hilb (Barbara), ... Dort ist die Nähe zum Publikum besonders groß und die.
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Saalereporter, 3.2.2015, Text: Gisela Tanner Ernst bis heiter – “Wir sind keine Barbaren” am neuen theater Halle

v.l.n.r. : Alexander Gamnitzer (Paul), Matthias Walter (Mario), Stella Hilb (Barbara), Sonja Isemer (Linda) * Foto: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, © Falk Wenzel

Für die Zuschauer war die Premiere von Philipp Löhles Stück “Wir sind keine Barbaren” im neuen theater Halle ein Wechselbad der Gefühle. Regisseur Ronny Jakubaschk (Gast) hat es nach der Vorlage des Dramatikers in einer durchgängigen Choreographie inszeniert, die durch regelmäßige Einsätze des sogenannten “Heimatchores” ihren Rahmen erhält. Das Stück ist 2014 entstanden als in der Schweiz die Initiative gegen “Überfremdung” lief. Es beginnt alles ganz harmlos, das Paar Barbara und Mario – beide Mitte dreißig – bekommt neue Nachbarn. Man stößt mit den Neuen – Linda und Paul – mit einem Glas Prosecco an, lernt sich kennen. Alle Vier sind angekommen in der Gesellschaft, die einen verwirklichen sich in einem veganen Restaurant, die anderen haben oft Sex und die Frau arbeitet als Fitnesstrainerin. Die obligatorische Schrankwand ziert die Wohnung, fast identisch bei beiden Paaren und sehr funktional gestaltet. Man kennt die Trends und weiß, wie man sich zu kleiden hat. Äußerlich bis zu einer beängstigenden Uniformität vereinheitlicht, bewegen sich die Akteure auf der Bühne, nur Stelle Hilb (Barbara) durfte am Ende als Anna ihr wallendes Haar zeigen. Ansonsten sind braunes Kleid, Hochsteckfrisur und Brille oder bunte, modisch gebundene Bluse und Hose angesagt. Die Herren tragen ihr Haar leicht ohrbedeckend. Tritt der Heimatchor auf, sind die Akteure nicht mehr zu unterscheiden. Die Bewegungen sind identisch und wie ein Einpeitscher treibt der Chor die Einzelnen an und gibt die Verhaltensregeln vor. Das lässt am Anfang die Zuschauer schmunzeln, wirkt aber im Laufe der Handlung immer bedrohlicher, denn es kommt zu einem Riss in der heilen Wohlstandswelt. Während es am Anfang nur kleine Unzufriedenheiten sind, etwa wenn Mario seiner Barbara einen Ultra-HD-Fernseher schenkt, mit dem er eigentlich sich selbst einen Wunsch erfüllt hat, kommt es plötzlich zu einem einschneidenden Ereignis. Ein Flüchtling – heißt er nun eigentlich Bobo oder Klint – klopft an die Tür und bittet um Unterkunft. Zu sehen bekommt man ihn nicht, aber er ist immer präsent. Die Paare streiten sich heftig: Während Linda und Paul den Asylsuchenden abweisen, nehmen ihn Barbara und Mario auf. Das heißt, eigentlich nimmt nur Barbara ihn auf und Mario betrachtet das mit wachsendem Argwohn. Die Handlung gipfelt in dem Mord an Barbara und natürlich ist “Bobo/Klint” der Hauptverdächtige, auch wenn dann am Ende alles ganz anders war. Das Stück wird in der Kammer des neuen theaters gezeigt. Dort ist die Nähe zum Publikum besonders groß und die Handlung wird sehr eindringlich wahrgenommen. Regisseur Ronny Jakubaschk ist es mit seiner Inszenierung gelungen, die Zuschauer emotional zu berühren und in die Gefühlswelt des sogenannten Bildungsbürgertums hineinzuziehen. Wird zu Beginn der Vorstellung noch häufig gelacht, versiegt die Fröhlichkeit sichtlich mit Fortschreiten der Handlung und Betroffenheit macht sich breit. Bühnenbild und Kostüme von Annegret Riediger als Gast unterstreichen das Geschehen auf der Bühne auf angenehme und pointierte Weise. Die Schauspieler der beiden Paare – Stella Hilb und Alexander Gamnitzer als Barbara und Marion sowie Sonja Isemer und Matthias Walter als Linda und Paul – verkörpern überzeugend die Gefühlswelt und die Verhaltensregeln der heutigen Mittelklasse. Der Heimatchor, teils mit Schauspielern des Ensembles, teils mit Schauspielern vom Studio besetzt, bildet das feste Korsett, aus dem das Ausbrechen fast unmöglich ist. Ein sehenswertes Stück, das bestimmt auch jüngere Zuschauer ansprechen wird.