Auftrag: Überleben!

mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. .... bereit, von der rechten Hand ergriffen zu wer- ... vermochte die Waffe mit Leichtigkeit zu identifi-.
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Thomas Pfanner

Auftrag: Überleben! Science Fiction

© 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: Tatjana Meletzky, Berlin Grafik: Uwe Schaaf, http://www.augensound.de/profil/mops Frank Meyer, http://gusti-boucher.deviantart.com

Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0103-9 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken!

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Dieser Roman wurde bewusst so belassen, wie ihn der Autor geschaffen hat, und spiegelt dessen originale Ausdruckskraft und Fantasie.

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Für Josefa, Viola und Madita

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Ein Vorgeschmack

Eine einzige Sekunde kann alles verändern. In einer einzigen Sekunde verarbeitet das Gehirn alle erreichbaren Sinneseindrücke und präsentiert sie dem Bewusstsein. Das Bewusstsein wiederum tut sich regelmäßig schwer, in der gleichen Geschwindigkeit die Informationen auszuwerten und eine Entscheidung zu treffen. Je nach Charakter der handelnden Person wird die Zeitspanne, die sich zwischen Erkenntnis und Entscheidung eröffnet, als sehr lang oder unglaublich kurz empfunden. Gelegentlich ergibt sich neben dem Zeitdruck auch durch die ungeheure Tragweite des fälligen Entschlusses eine zusätzliche Dramatik. Johenn wusste dies seit Langem, wenn gleich auf einer eher theoretischen Ebene. Seine Erfahrungen hatten seinen Charakter geprägt und sein Charakter machte ihn zu einem pessimistischen und vorsichtigen Menschen. Bei jeder Krise, jeder 4

Schwierigkeit, jeder Veränderung malte er sich unwillkürlich das Worst-Case-Szenario aus, inklusive der dann noch möglichen Optionen für ihn. In der Realität trat ein absoluter Notfall praktisch nie ein. Auch ein Soldat befand sich nur selten im Kampf. In seinen Gedanken aber, in seinem Gedächtnis, in seinen geheimen Plänen, spielte er alles jeden Monat etliche Male durch. Er hielt sich für vorbereitet. Von einer Sekunde auf die andere wurde klar, dass er es nicht war. Er hatte sich zu sehr darauf verlassen, in einem friedlichen Land zu leben. Er wurde von der sich unvermittelt ergebenden Situation vollständig überrascht. Eben noch stand er leise pfeifend vor dem Pissoir der Besuchertoilette des Albert-Einstein-Gymnasiums, nicht so sehr der Notdurft wegen, sondern um die Zeit totzuschlagen. Zeit hatte er immer genug gehabt, weil er ein Gehetzter blieb, eine ihn permanent quälende Facette seines Pessimismus. Immer schon und seit frühester Jugend lebte er mit der Angst, zu spät zu kommen. Die Aussicht, auch nur eine Minute zu spät zu kommen, machte ihn panisch. Früher, als Schüler, schwänzte er 5

den Unterricht lieber ganz, als verspätet in die Klasse zu treten und sich der vermeintlichen Schande aussetzen zu müssen. Das Problem bewältigte er dauerhaft, in dem er stets mit reichlich Spielraum arbeitete. Sein Leben war aufgrund dieser Vorgehensweise relativ unaufgeregt verlaufen, was die Angst vor der Verspätung betraf. Heute also stand er zwanzig Minuten zu früh in der Schule. Seine Tochter saß noch im Unterricht, und er vertrieb sich die Zeit mit einem überflüssigen Toilettengang. Eigentlich wollte er sich noch ausgiebig die Hände waschen, doch irgendetwas bewog ihn, ohne hygienische Nachsorge den Raum zu verlassen. Später konnte er nicht sagen, welchem Umstand er die einmalige Abweichung vom immer gleichen Plan verdankte. Er hatte nichts gehört außer dem Rauschen der Belüftung und dem Gurgeln der Spülung. Da war nichts und doch traf er bereits hier eine Entscheidung, die ihn schnurgerade und überaus pünktlich zu der eigentlichen, der wichtigsten Entscheidung führte.

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Johenn schob die Tür auf, die wahrscheinlich einzige Tür in dem ganzen maroden Bau, die nicht quietschte, trat einen Schritt vor ... und die Sekunde begann. Die Toilette befand sich an der Seite der großen Aula, die sich im Erdgeschoss über gute vierhundert Quadratmeter erstreckte. Auf der anderen Seite führten einige Türen zu den Treppenhäusern, links von seinem Standort verlief der breite Flur, durch den man zu den beiden Ausgängen gelangte. Die Aula war dennoch kein Ort übermäßiger Weite, zehn oder zwölf breite Säulen stützen die oberen Geschosse und verdeckten den Blick zumindest teilweise. Johenn selbst wurde von einer dieser Säulen verdeckt, die just drei Meter knapp links von ihm aus dem Boden wuchs. Die Existenz der Säule verschaffte ihm erst die Sekunde. Nach dem Schritt hinaus in die Aula stoppte Johenn, blieb wie angefroren mitten in der Bewegung stehen, wobei er den Grund für seine Handlung noch nicht einmal im Entferntesten zu erfassen vermochte. Die Szenerie wirkte auf ihn irgendwie falsch. Nichts passte zu seiner Erwar7

tung, wie Menschen sich in einer Schule zu verhalten hatten. Eine Zehntelsekunde währte die Bestandsaufnahme. Er sah Schüler, die starr vor Schreck an den Wänden kauerten. Er sah Schüler, die rannten, jeder in eine andere Richtung, aber alle von ihm weg. Die nächste Zehntelsekunde forschte er nach einem möglichen Grund. Er fand ihn direkt vor sich an besagter Säule. Halb verdeckt von dem Gebilde aus Beton stand da ein Mann. Eine weitere Zehntelsekunde investierte Johenn in die Musterung des Mannes. Er konnte lediglich die rechte Körperhälfte erkennen, sowie die rechte Hand. Er sah alles auf einmal und war doch verwirrt. An der Schulter des Fremden ragte der Griff eines Messers heraus, bereit, von der rechten Hand ergriffen zu werden. Rund um das Messer grünlicher Drillich, ein militärisch wirkendes Hemd, in diesem Fall zusätzlich mit arabischen Schriftzeichen verziert, am Hals in ein schwarzes Tuch übergehend. Ein Kopf voller Haare, das Stirnband hinten geknotet, ohne den Haaren eine Ordnung geben zu wollen. Nackter Unterarm, in eine haarige Hand übergehend. In der Hand eine Pistole. Johenn 8

vermochte die Waffe mit Leichtigkeit zu identifizieren. Er vergaß nie etwas, das war sein Schicksal. Eine solche Fähigkeit geriet gemeinhin zu einer unendlichen Bürde, da alle Katastrophen und Fehlschläge eingebrannt blieben ins schlechte Gewissen. Heute würde die Ernte eingefahren werden, heute würde sich all das Leid auszahlen. Und doch nur wieder Leid erzeugen. Eine Glock 19. Die Pistole musste echt sein, für dieses Modell gab es keine Gas- oder Schreckschuss-Version. Außerdem sprang ihm der fettglänzende Verschluss ins Auge, hochwertiges Waffenöl kam hier überreichlich zum Einsatz. Einige Teile des Puzzles fielen zusammen, die Konsequenz unglaublich klar vor Augen, begannen nun die grässlichsten Zehntelsekunden. Wie eine Schrankwand fiel der Zwang zur Entscheidung auf Johenn und nahm ihm die Luft zum Atmen. Sein Gehirn spaltete sich auf in zwei Teilbereiche, die in zwei Geschwindigkeiten arbeiteten. Die eine, vertraute Seite, verfiel in gewohnter Weise in Panik, spürte sie doch den Zeitdruck. Johenn wusste ganz genau und ohne 9

zeitraubende Denkarbeit, dass er jetzt und hier handeln musste, auf der Stelle und sofort. Stattdessen hielt ihn die zweite Hälfte seines Denkorgans davon ab, in dem dort in quälender Langsamkeit alle Möglichkeiten durchgespielt wurden. Das hier konnte nicht so sein, wie es aussah, es durfte nicht sein, sicher gab es eine logische und ganz harmlose Erklärung, die ihm nur noch nicht klar geworden war. Auch die zweite, langsame Hälfte wurde in diesem winzigen Zeitabschnitt von Panik gepeitscht. Ohne die Augen zu bewegen, suchte Johenn in dem sich ihm bietenden Bild nach einem Hinweis, nach einer Kamera, einem Beleuchter, einer Regieassistentin, einem Schauspieler. Nicht auszudenken, wenn er einen Darsteller angriff und verletzte, wenn das alles nur die neue Folge einer bekannten Fernsehserie werden sollte. Er würde ins Gefängnis kommen, und zudem der Lächerlichkeit preisgegeben, von den lebenslangen Selbstvorwürfen ganz zu schweigen. Die hektische Hälfte seines Denkens beobachtete mit wachsender Panik, wie die langsame Hälfte um neue Erkenntnisse rang, während gleichzei10

tig bereits das was-wäre-wenn-Szenario bedacht werden musste. Was, wenn das alles wirklich echt wäre? Was konnte er dagegen tun? Seine Fähigkeiten, würden sie ausreichen? Seine Skrupel, sein Gewissen, der ganze zivilisatorische Überbau eines Menschen, der die letzten Jahre in Frieden gelebt hatte, würde ihn all das nicht von jeglicher Gewalt abhalten? Alles geschah auf einmal. Aus der Glock sprang ein Feuerstrahl, der Schlitten zuckte nach hinten und warf eine Patronenhülse aus, die scheinbar träge durch die Luft taumelte. Beinahe vermeinte er, die Kugel auf ihrer Bahn beobachten zu können. Er warf einen Blick in die Zukunft und das straffte alle Muskeln in ihm und bewirkte die Wiedervereinigung seiner Denkhälften. Er sah, was kommen würde und vermochte es nicht zu verhindern. An der anderen Seite kauerte ein Schüler, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Er starrte unverwandt und mit weit aufgerissenen Augen den Mann mit der Pistole an, während die Kugel auf ihn zu raste. Johenn wusste, sie würde treffen und das tat sie auch.

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Die Sekunde endete. Ein einziger Gedanke füllte sein Denken aus wie mit dem Vorschlaghammer eingeprügelt. Melissa! Seine Tochter war da oben im zweiten Stock. Er traf die notwendige Entscheidung, sie war so zwingend wie schrecklich. Bereits vor dreizehn Jahren hatte er an ihrem Bett gestanden und sich geschworen, mit seinem Leben für ihres einzustehen. Er vergaß nie etwas, Situationen wurden stets mit den damals gelebten Emotionen gespeichert. In einer stillen Ecke seines Bewusstseins gab es keinen Zweifel an der Aussichtslosigkeit seines Unterfangens, doch das interessierte jetzt nicht. Er würde sein ganzes restliches Leben in der Psychiatrie zubringen mit der täglichen Erinnerung seines maximalen Versagens. Hier zu stehen und zuzulassen, dass seine Tochter getötet wurde, das ging nicht. Unmöglich. Nicht bei seinen Möglichkeiten. Das größte Risiko einzugehen wäre besser als die schändliche Untätigkeit. Johenn hatte sich entschieden, die Starre löste sich, die Gedanken entwickelten sich in nie da gewesener Rasanz, der erste Schritt brachte ihm sogleich die Möglichkeit der ersten Tat. Der Un12

bekannte konzentrierte sich auf die Schüler um ihn herum und ganz offensichtlich wählte er die leichteren Ziele aus, in dem er den Flüchtenden keine Beachtung schenkte, sondern sorgfältig zielend die bewegungslos erstarrten Jugendlichen zu töten trachtete. Die Toilette übersah er oder hielt den Ort für nicht relevant, ein schwerwiegender Fehler. Sein letzter Fehler. Johenn spürte die wohltuende Schärfe seiner aufflammenden Wut, die ihm alle Skrupel nahm, gleichzeitig die Fähigkeit zu klarer Planung unangetastet ließ. Er sah das Messer in der Scheide, verband die Fülle nie vergessener Informationen mit den realen Übungseinheiten und griff danach. Alles musste schnell gehen und es ging schnell. Der Mann gewahrte den rasch auf ihn zu eilenden Schatten, die Pistolenhand begann zu schwenken, doch es war zu spät. Johenn ergriff das Messer im ersten Versuch, riss es heraus, schnell, aber nicht übermäßig heftig, um keine Zeit zu vergeuden. Unmittelbar nach der vollständigen Befreiung der Klinge aus der Scheide stieß er in Gegenrichtung zu, nun mit aller Macht. Der Mann kam ihm entgegen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. 13

Indem er sich zu ihm hin drehte, offenbarte er seinen Hals. Die Klinge fuhr in die rechte Halsschlagader, es war ganz leicht, kein Widerstand zu spüren. Fast ganz versenkt hielt die Klinge abrupt inne, von einem scharrenden Knirschen begleitet. Die Wirbel waren erreicht. Der Mann riss Augen und Mund auf, gleichzeitig öffnete sich die Hand und die Pistole begann ihren Weg zum Boden. Ein weiterer Erinnerungssplitter blitzte in Johenns Kopf auf, weshalb er nicht versuchte, die Wirbel mit einer verstärkten Anstrengung zu durchtrennen, statt dessen drehte er die Klinge und zog sich sogleich heraus, bereit für einen neuen Stoß. Der wurde nicht mehr benötigt. Der Mann starrte ihn einen Augenblick lang an, dann sackte er einfach weg wie eine Leiche, die den Trägern aus der Hand geglitten war. Genau das war er nun, eine Leiche. Obwohl bereits tot, pulste das Blut aus der eröffneten Schlagader und besudelte Johenns Hosenbeine. Es gab wichtigere Probleme. Johenn sprang weg, tauchte nach unten und versuchte, die über den Boden tanzende Glock zu 14

fassen. Er fühlte sich sicher, er kannte die drei Sicherungsmechanismen der Waffe, durch die bei einem Aufprall auf den Boden die Abgabe eines Schusses verhindert wurde. Im dritten Versuch bekam er die Pistole zu fassen, richtete sie von sich weg, hektisch nach einem möglichen Ziel suchend, gleichzeitig das Magazin herausnehmend und die Zahl der verbliebenen Patronen abschätzend. Alles ging ganz schnell und sicher, hätte sein Gehirn genug Rechenleistung übrig gehabt, wäre Raum für angemessenes Staunen geblieben. Johenn stand jedoch unter Druck, dem stärksten Druck seines Lebens, die Ohren meldeten gerade weitere Schüsse in den oberen Etagen. Ob das allgemeine Geschrei in diesem Augenblick begann, oder erst jetzt von ihm wahrgenommen wurde, blieb auf immer ein Rätsel. Für ihn stand fest, dass es mit dem einen Angreifer nicht getan sein würde. Johenn wandte sich dem Toten zu, der unverändert blutete, ein wahrer See aus Blut hüllte ihn ein. Wie erhofft gehörte der Mann zu der Sorte von Angreifern, die nie genug Munition dabei haben konnten. In aller Hast riss Johenn fünf 15