Auf Befehl des Führers: Hitler und der NS-Kunstraub

sche Bedeutung einer regelrechten Raubpolitik. In deren Zentrum steht die Person Hitlers, denn er hat den NS-Kunstraub nicht nur erfunden, sondern auch die Plünderung des europäischen Kunstbesitzes mithilfe des „Führervorbehalts“ in seinem Sinne gelenkt. Damit schreibt das vor- liegende Buch die Geschichte des ...
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Birgit Schwarz

Auf Befehl des Führers Hitler und der NS-Kunstraub

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. © 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Susanne Mädger, Speyer Satz: Peter Lohse, Heppenheim Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-2958-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-2990-5 eBook (epub): 978-3-8062-2991-2

Inhalt Vorwort

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1. Der „Führervorbehalt“ und der größte Kunstraub aller Zeiten

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2. Der „Führer“ als Kunstsammler

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Hitlers Böcklin-Kollektion 19 Berater und Händler 26 Meisterwerke der Malerei AH 32

3. Das Projekt „Führermuseum“

39

Eine Galerie für Hitlers Heimatstadt 39 Das Erlebnis der Uffizien 42 Der Sonderbeauftragte Hans Posse 47

4. Kunstraub in Österreich

56

Vom Vermögensentzug zum Kunstraub 56 Hitler sammelt österreichisch 61 Das Denkmalamt als Kollaborateur 64 Streit um die Rothschild-Sammlungen 70 Die gescheiterte Verteilung 78

5. Raubkunst für die Museen

83

Posse inspiziert die Wiener Raubkunst 83 Zugriff auf die sichergestellten Kunstwerke 88 Der Kunstbesitz der Klöster und Stifte 89

6

Inhalt

Zwangsverkäufe 94 Posses Verteilungsplan 95 Streit um die Sammlung Lanckoroński 103 Kunstraub im „Altreich“ 109

6. Kunstraub in Polen

111

Die Rolle Hitlers 111 Posses Polen-Mission 114 Wissenschaft als Legitimierung 120 Die „Führerauswahl“ in Berlin 125 Lubomirskis Dürer-Sammlung 127 Konkurrierende Verteilungspläne 129

7. „Heimführung“

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Deutsche Kunstraub-Paranoia 137 Deutscher Kunstraub-Revanchismus 146 Posses Gutachten zum Genter Altar 150 Die Odyssee des Genter Altars 153

8. Kunstraub in Frankreich

158

Die Rolle Hitlers 158 Rosenbergs Zugriff auf die jüdischen Sammlungen 160 Posse in den Pariser Raubkunstdepots 164 Der Profiteur Hermann Göring 166 Konflikte um den Abtransport 174 Die symbolische Übergabe der Beute 180

9. Kunstraub in den Niederlanden

191

Erwerbungen en gros 191 Kampf gegen die Konkurrenz 196

10. Kunstraub in der Tschechoslowakei

199

Der „Führervorbehalt“ im Protektorat Böhmen und Mähren 199 Die Sammlung des Fürsten Lobkowicz 201 Der Hohenfurther Altar 205

Inhalt

11. Kunstraub in der Sowjetunion

7

208

Der „Sonderauftrag“ in der Sowjetunion 208 Der „Führervorbehalt“ für die Eremitage 210 Posses Beauftragter Niels von Holst 212 Überraschende Kooperationen 214 Der Anteil Rosenbergs 220

12. Die Gemälde für das „Führermuseum“

225

Die geplante Präsentation in München 225 Das „Führermuseum“ in Kremsmünster 230 Hitlers Sorge um die Kunstwerke 235

13. Der „Sonderauftrag“ nach Stalingrad

239

Der Nachfolger Hermann Voss 239 Die Zentralregistrierung in Dresden 245 Die Kunstwerke in Altaussee 248 Unautorisierte Einlieferungen 253

14. Der „Führervorbehalt“ als Instrument

258

Hitler ist der Chef 258 Posse setzt sich durch 262

15. Das Nachkriegsschicksal der Raubkunst

Anmerkungen 280 Abkürzungen 301 Quellen 302 Literatur 305 Personenregister 316

270

Vorwort Hitler war nicht nur die zentrale Figur des „Dritten Reiches“, sondern auch die zentrale Figur des NS-Kunstraubs, der ganz Europa erfasste und dessen Folgen bis heute die Museums- und Kunstwelt erschüttern. Anders als im Fall des Holocaust, wo ein zentraler schriftlicher Befehl Hitlers fehlt, gibt es einen solchen für den Kunstraub: den „Führervorbehalt“. In diesem Schlüsseldokument zum NS-Kunstraub räumte sich Hitler das Vorrecht ein, persönlich die Entscheidung über die Verwendung eines jeden beschlagnahmten Kunstwerkes von Museumsrang zu treffen, um es auf Museen des „Großdeutschen Reiches“ zu verteilen. Der „Führervorbehalt“ ist kein Beschlagnahmebefehl, sondern formuliert einen Verwertungsanspruch. Hitler legte ganz bewusst eine Distanz zwischen sich und den Vorgang des Raubes. Obwohl die Beschlagnahmen auf Befehlen Hitlers basieren, durfte nicht in seinem Namen beschlagnahmt werden. Er griff erst zu, nachdem die Kunstwerke im Namen des Deutschen Reiches eingezogen worden waren. Zur operativen Durchführung seiner Kunstraubpolitik setzte Hitler 1939 einen renommierten Museumskunsthistoriker ein: Hans Posse, Direktor der Dresdner Gemäldegalerie. Er hatte die Aufgabe, den Raubzug im Sinne des Verteilungsprogramms zu steuern und Hitlers Zuweisungen an die deutschen Museen vorzubereiten. Posse beriet den „Führer“, welche Werke und Sammlungen in den besetzten Ländern sich für das Programm eigneten. Hitler sorgte daraufhin für entsprechende Beschlagnahmebefehle und ließ den „Führervorbehalt“ auf die gewünschten Bestände erweitern. Posses Einfluss ging erkennbar über das Operative hinaus. Er war Hitlers Dämon, der seinen Auftraggeber antrieb und den Kunstraub radikalisierte. In welchem Umfang Posse die Plünderung Europas gesteuert hat, war bisher unbekannt, da der Kunstraub Geheimstatus hatte und von Hitler und Posse vor allem mündlich verhandelt wurde. Der Geheimstatus hatte zur Folge, dass Hans Posse vor allem als Einkäufer für Hitlers Lieblingsprojekt, das geplante „Führermuseum“

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Vorwort

in Linz, in die Geschichte eingegangen ist. Als solchen hat ihn die NSPropaganda nach seinem Tod Ende 1942 in Szene gesetzt und damit die Wahrnehmung der Historiker bis heute geprägt. Parallel dazu entwickelte sich ein entsprechendes Bild von Hitler als manischen Sammler, der für sein Linzer Museum keine Ausgaben scheute, in Angelegenheit des Kunstraubes aber nicht recht zum Zug kam. Unablässig werden Behauptungen wiederholt, Hitler sei als Kunsträuber zu spät gekommen, sein Sonderbeauftragter Posse habe die beschlagnahmten jüdischen Kunstsammlungen in Frankreich ignoriert und am beschlagnahmten Kunstbesitz Polens, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion wenig Interesse gezeigt. Im Konkurrenzkampf der diversen Kunstrauborganisationen sei der angeblich skrupulöse Posse gar eine Randfigur gewesen, Hitlers Machtsystem habe hier letztlich versagt. Dieser Fehleinschätzung, die bis heute in der Forschung verbreitet ist, setzt das vorliegende Buch einen facettenreichen und neuen Einblick in die Struktur des NS-Kunstraubes entgegen. Dabei werden Hitlers und Posses tatsächliche Rollen im NS-Kunstraub deutlich. Die Darstellung der Ereignisse orientiert sich am Kriegsverlauf und gibt einen Überblick über die Vorgänge in den einzelnen Ländern. Sie beschreibt, nach welchen Mustern diese gestaltet und wie sie gelenkt wurden. Der Blick wendet sich vom Linzer „Führermuseum“ ab, das im Nachhinein von den am Kunstraub beteiligten Kunsthistorikern zu ihrer eigenen Entlastung instrumentalisiert wurde, und richtet sich stattdessen auf die politische Bedeutung einer regelrechten Raubpolitik. In deren Zentrum steht die Person Hitlers, denn er hat den NS-Kunstraub nicht nur erfunden, sondern auch die Plünderung des europäischen Kunstbesitzes mithilfe des „Führervorbehalts“ in seinem Sinne gelenkt. Damit schreibt das vorliegende Buch die Geschichte des NS-Kunstraubes als Geschichte von Hitlers Kunstraub neu.

1. Der „Führervorbehalt“ und der größte Kunstraub aller Zeiten Es war wahrscheinlich der größte Kunstraub aller Zeiten: Jedenfalls stellte der amerikanische Ankläger beim Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg, Robert G. Storey, fest, dass das, was sich Hitlerdeutschland an Kunstgegenständen angeeignet hatte, alle Schätze des Metropolitan Museum of Art in New York, des Britischen Museums in London, des Louvre in Paris und der Tretjakow-Galerie in Moskau zusammengenommen übertraf.1 Dabei stützte sich Storey unter anderem auf Untersuchungen einer amerikanischen Untersuchungseinheit für Kunstraub, die Art Looting Investigation Unit (ALIU), die der amerikanische Nachrichtendienst Office of Strategic Services (OSS) im November 1944 eingerichtet hatte, um zum nationalsozialistischen Kunstraub zu recherchieren. Die ALIU setzte sich aus hochrangigen Fachleuten, Kunsthistorikern, zusammen; für die Untersuchung des NS-Kunstraubes waren Theodore Rousseau, James Plaut und S. Lane Faison Jr. zuständig.2 Sie spürten 16 Hauptbeteiligte am NS-Kunstraub auf, verhafteten und verhörten sie, oft wochenlang. Unter den Verhörten befanden sich Maria Almas-Dietrich und Karl Haberstock, Hitlers wichtigste Kunsthändler, Heinrich Hoffmann, sein Fotograph und langjähriger Kunstberater, Kajetan Mühlmann, eine zentrale Figur für den Kunstraub in Österreich, Polen und den Niederlanden und Hermann Voss, der Nachfolger des 1942 verstorbenen Sonderbeauftragten Hans Posse. In drei Monaten, vom 10. Juni bis 15. September 1945, entstanden 13 Detailed Interrogation Reports über die einzelnen Akteure. Darauf aufbauend wurden in den folgenden drei Monaten vier thematisch angelegte Consolidated Interrogation Reports ausgearbeitet, ein Bericht über die Aktivitäten des Einsatzstabes Reichsleiter Ro-

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senberg (ERR), ein weiterer über die Kunstsammlung Hermann Görings und schließlich Faisons Linz-Report (Hitler’s Museum and Library), der am 15. Dezember 1945 abgeschlossen war, sowie ein Abschlussbericht. Die Berichte waren für die Vorbereitung der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse bestimmt, sodass Eile geboten war. S. Lane Faison musste sich innerhalb kurzer Zeit ein Bild von den Aktivitäten des „Sonderauftrags Linz“ – der informellen Kunstraub- und -verteilungsorganisation – sowie von Art und Umfang des von diesem zusammengetragenen Bestandes machen. Damit war ihm eine besonders schwierige Aufgabe zugefallen, denn während die Kunsträuber Alfred Rosenberg und Hermann Göring noch lebten und befragt werden konnten, waren Hitler und sein erster, für den Kunstraub maßgeblicher Sonderbeauftragter Hans Posse tot. Dessen Nachfolger Hermann Voss war als Zeitzeuge wenig brauchbar und lieferte nur vereinzelt verwertbare, oft (absichtlich?) widersprüchliche Informationen. Er hatte die laufenden Geschäfte weitgehend seinen Mitarbeitern Gottfried Reimer und Robert Oertel überlassen, die den amerikanischen Verhöroffizieren wiederum nicht zur Verfügung standen, da sie sich in der sowjetischen Besatzungszone befanden. Hermann Voss gab an, keine beschlagnahmten Kunstwerke in den Bestand des „Sonderauftrags Linz“ aufgenommen zu haben. Das entsprach nicht der Wahrheit, doch war dies mit den Unterlagen, die Faison zur Verfügung standen, nicht nachzuweisen. Faisons größtes Manko war, dass er keinen Zugriff auf die Zentralregistrierung des „Sonderauftrags Linz“ hatte, da diese sich in Dresden und damit in der sowjetischen Besatzungszone befand. Die umfangreichen Karteien und die Akten des „Sonderauftrags“ waren von der Sowjetarmee beschlagnahmt worden. Selbstverständlich bemühten sich die Amerikaner um Einsichtnahme; Faison ging am 15. September 1945 noch davon aus, dass die Bemühungen von Erfolg gekrönt sein würden.3 Seine Hoffnung trog, die Russen stellten die Unterlagen und Karteien nicht zur Verfügung. Das war vermutlich eine Folge des Umstandes, dass die westlichen Alliierten auf einer Länge von etwa 650 Kilometern mehr als 150 Kilometer tief in die sowjetische Besatzungszone vorgedrungen waren und dass US-Einheiten an 34 Orten, in Bergwerken und Auslagerungsdepots, die evaku-

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ierten Objekte sowie die dazugehörigen Dokumentationen sichergestellt und entfernt hatten.4 Faison stand also wenig Material zur Verfügung, um ein Bild von Hitlers Kunstraub zu zeichnen. Elf Aktenbände Korrespondenz des „Sonderauftrags“ mit der Reichskanzlei tauchten zu spät auf, um noch ausgewertet werden zu können.5 Dennoch musste er in seinem Abschlussbericht eine Einschätzung des Umfanges der Hitler-Sammlungen abliefern. Eine ungefähre Vorstellung ließ sich, wie er annahm, über die Einlagerungen im Salzbergwerk von Altaussee gewinnen. Das Bergwerk war gegen Ende des Krieges zum zentralen Bergungsort der Hitler-Sammlungen geworden. Der amerikanische Untersuchungsoffizier erstellte eine summarische Inventarliste, die 5350 „alte Meister“ und 21 zeitgenössische Gemälde als Bestand des „Sonderauftrags Linz“ bezeichnete.6 Sie basiert auf einer Zusammenfassung der Einlagerungen im Salzbergwerk Altaussee, die im Mai 1945 von dem für das Bergwerk zuständigen Ingenieur Max Eder und dem für die Kunstwerke verantwortlichen Restaurator Karl Sieber erstellt worden war.7 Die Verfasser, beide keine Kunsthistoriker, hatten keinerlei Einblick in den Fundus des „Sonderauftrags Linz“. Der zuständige Referent des „Sonderauftrags“, Gottfried Reimer, war seit der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 nicht mehr in Altaussee aufgetaucht. Die summarische Aufstellung, welche nur Konvolute in den verschiedenen Bergwerkräumen aufführt, war im Grunde genommen völlig unbrauchbar, weil grob mangelhaft, was die Autoren sogar angaben: „In dieser Aufstellung ist eine sehr große Anzahl von Kunstgütern, von denen z. Zt. die Einlagerungslisten nicht vorliegen, unberücksichtigt geblieben.“ So ignorierten sie etwa die 1000 Kisten des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg, obwohl diese Kunstwerke enthielten, die für Hitlers Museumsprogramm vorgesehen waren.8 Das einzige detaillierte Inventar, das Faison zur Verfügung stand, war das des Depots im Führerbau in München, das knapp 4000 Objekte umfasst. Dort waren vor allem die Ankäufe eingegangen, die der „Sonderauftrag“ in Deutschland, den besetzten Westgebieten und in Italien für das „Führermuseum“ getätigt hatte. Trotz seiner eklatanten Mängel wurde die Geschichte des „Sonderauftrags“ auf Basis von Faisons

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Kolumne

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Karl Sieber, Zusammenfassung der Einlagerungen im Salzbergwerk Altaussee, Mai 1945, Bundesdenkmalamt Wien, Archiv

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Linz-Report und damit auf der Materialbasis des Münchner Depots weitergeschrieben. Die Bild-Datenbank Sammlung Sonderauftrag Linz, die das Deutsche Historische Museum in Berlin gemeinsam mit dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen im Sommer 2008 ins Internet gestellt hat, wurde auf dem Münchner Karteibestand aufgebaut. Im Vorwort heißt es, bis 1945 seien ungefähr 560 Werke aus Beschlagnahmungen in die Sammlung des „Sonderauftrages Linz“ gelangt.9 Dabei hatte Faison schon 1945 im Linz-Report klar zum Ausdruck gebracht, dass der „Sonderauftrag“ Erstzugriff auf die gesamte NS-Raubkunst hatte: „Nevertheless, the Sonderauftrag Linz had first claim upon all works of art looted by Germany“.10 Er erklärte diesen daher zur kriminellen Organisation und empfahl eine Anklage vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg. Dem kamen die Ankläger jedoch nicht nach. Die Verantwortlichen des „Sonderauftrags Linz“ sind auch nicht in den Nürnberger Folgeprozessen angeklagt worden. Der Umstand, dass belastbares Beweismaterial wie etwa die zentrale Registrierung in Dresden fehlte, dürfte dabei eine Rolle gespielt haben. Tatsächlich hatte der „Sonderauftrag Linz“ Zugriff auf die Kunstraubbestände aus Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Polen, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. Die sogenannte „Führerauswahl“ aus diesem Fundus lagerte nicht im Führerbau in München, sondern in anderen Depots, etwa in Berlin sowie in Klöstern und Schlössern in Österreich und Bayern. Zum Zugriff berechtigt wurde der „Sonderauftrag“ durch den „Führervorbehalt“, ein Erstzugriffsrecht auf Raubkunst, das sich Hitler selbst eingeräumt hatte. Zum ersten Mal formulierte ein Rundschreiben der Reichskanzlei vom 18. Juni 1938 diesen Anspruch, und zwar hinsichtlich der in Österreich nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich beschlagnahmten jüdischen Kunstsammlungen. Der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, sandte das Schreiben an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, an verschiedene Reichsminister sowie an den Reichsstatthalter in Österreich, Arthur Seyß-Inquart, und den „Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, Josef Bürckel.

Kolumne

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Der „Führervorbehalt“ vom 18. Juni 1938, Bundesdenkmalamt Wien, Archiv