Außenseiter integrieren

... Peter Rödler,. Inge Schubert, Dorothea Steinlechner-Oberläuter,. Silke Wolter und David Zimmermann ..... Günter/Bruns 2010) entgegengewirkt werden kann.
428KB Größe 7 Downloads 73 Ansichten
Mit Beiträgen von Georg Bruns, Rebecca Friedmann, Manfred Gerspach, Dieter Katzenbach, Sylvia Künstler, Hans von Lüpke, Peter Rödler, Dorothea Steinlechner-Oberläuter, David Zimmermann u.a.

Joachim Heilmann, Dipl.-Päd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Psychoanalytischer Pädagoge und Vorstandsmitglied des Frankfurter Arbeitskreises für Psychoanalytische Pädagogik (FAPP). Heinz Krebs, Dr. phil., Dipl.-Päd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Supervisor, Psychoanalytischer Pädagoge sowie zweiter Vorsitzender des FAPP.

Außenseiter integrieren

Für PädagogInnen und SozialarbeiterInnen besteht die Herausforderung darin, auf die sogenannten Außenseiter individuell einzugehen und tragfähige Beziehungen mit ihnen aufzubauen, um ihnen das (Über-) Leben im sozialen Gefüge zu erleichtern. Der vorliegende Band gibt einen Überblick über psychoanalytisch-pädagogische Verstehenszugänge und zeigt anhand von Beispielen, wie diesen Ausgrenzungsprozessen entgegengewirkt werden kann.

Joachim Heilmann, Heinz Krebs, Annelinde Eggert-Schmid Noerr (Hg.)

Außenseiter sind Einzelpersonen oder Gruppen, die den Erwartungen und Normen eines sozialen Gefüges nicht entsprechen, was sie selbst oft als leidvoll erleben. Für ihre Mitmenschen sind sie häufig eine Belastung, weil sie besondere Bedürfnisse haben und die bewährten Konzepte des Sozialen nicht greifen. Die Gründe, weshalb Kinder, Jugendliche oder Erwachsene in eine Außenseiterposition geraten können, sind vielfältig und können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Entscheidend ist vielmehr das komplexe Zusammenspiel von gesellschaftlichen Bewertungen, institutionellen Rahmenbedingungen und dem Erleben und Verhalten Einzelner.

Joachim Heilmann, Heinz Krebs, Annelinde Eggert-Schmid Noerr (Hg.)

Außenseiter integrieren Perspektiven auf gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Ausgrenzung

Annelinde Eggert-Schmid Noerr, Prof. Dr. phil., Dipl.-Päd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Gruppenanalytikerin und Vorsitzende des FAPP. Sie lehrt Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule Mainz.

www.psychosozial-verlag.de

Psychosozial-Verlag

Joachim Heilmann, Heinz Krebs, Annelinde Eggert-Schmid Noerr (Hg.): Außenseiter integrieren

Unter anderem sind bisher folgende Titel im Psychosozial-Verlag in der Reihe »Psychoanalytische Pädagogik« erschienen: BAND 18 Helmuth Figdor: Kinder aus geschiedenen Ehen: Zwischen Trauma und Hoffnung. 9. Auflage 2012. BAND 19 Kornelia Steinhardt: Psychoanalytisch orientierte Supervision. Auf dem Weg zu einer Profession? 2005. BAND 20 Fitzgerald Crain: Fürsorglichkeit und Konfrontation. Psychoanalytisches Lehrbuch zur Arbeit mit sozial auffälligen Kindern und Jugendlichen. 2005. BAND 21 Helmuth Figdor: Praxis der psychoanalytischen Pädagogik I. 2006. BAND 23 V. Fröhlich, R. Göppel (Hg.): Bildung als Reflexion über die Lebenszeit. 2006. BAND 24 Helmuth Figdor: Praxis der psychoanalytischen Pädagogik II. 2007. BAND 25 Beate West-Leuer: Coaching an Schulen. 2007. BAND 26 A. Eggert-Schmid Noerr, U. Finger-Trescher, U. Pforr (Hg.): Frühe Beziehungserfahrungen. 2007. BAND 27 M. Franz, B. West-Leuer (Hg.): Bindung – Trauma – Prävention. 2008. BAND 28 T. Mesdag, U. Pforr (Hg.): Phänomen geistige Behinderung. 2008. BAND 29 A. Eggert-Schmid Noerr, U. Finger-Trescher, J. Heilmann, H. Krebs (Hg.): Beratungskonzepte in der Psychoanalytischen Pädagogik. 2009. BAND 30 J. Körner, M. Müller (Hg.): Schuldbewusstsein und reale Schuld. 2010. BAND 31 B. Ahrbeck (Hg.): Von allen guten Geistern verlassen? Aggressivität in der Adoleszenz. 2010. BAND 32 D. Barth: Kinderheim Baumgarten. Siegfried Bernfelds »Versuch mit neuer Erziehung« aus psychoanalytischer und soziologischer Sicht. 2010. BAND 33 H. Hirblinger: Unterrichtskultur. 2 Bände. 2010. BAND 34 G. Salmon, J. Dover: Pädagogische Psychotherapie bei emotional-sozialen Lernstörungen. 2011. BAND 35 A. Eggert-Schmid Noerr, J. Heilmann, H. Krebs (Hg.): Elternarbeit. Ein Grundpfeiler der professionellen Pädagogik. 2011 BAND 36 S. Bender: Sexualität und Partnerschaft bei Menschen mit geistiger Behinderung. Perspektiven der Psychoanalytischen Pädagogik. 2011 BAND 37 M. Datler: Die Macht der Emotion im Unterricht. Eine psychoanalytisch-pädagogische Studie. 2012 BAND 38 D. Zimmermann: Migration und Trauma. Pädagogisches Verstehen und Handeln in der Arbeit mit jungen Flüchtlingen. 2012

Band 39

Psychoanalytische Pädagogik Herausgegeben von Bernd Ahrbeck, Wilfried Datler und Urte Finger-Trescher

Joachim Heilmann, Heinz Krebs, Annelinde Eggert-Schmid Noerr (Hg.)

Außenseiter integrieren Perspektiven auf gesellschaftliche, institutionelle und individuelle Ausgrenzung Mit Beiträgen von Georg Bruns, Ines Carstens, Annelinde Eggert-Schmid Noerr, Rebecca Friedmann, Manfred Gerspach, Joachim Heilmann, Dieter Katzenbach, Christoph Kleemann, Heinz Krebs, Sylvia Künstler, Hans von Lüpke, Thilo Naumann, Bernadette Neuhaus, Bernd Niedergesäß, Horst Nonnenmann, Peter Rödler, Inge Schubert, Dorothea Steinlechner-Oberläuter, Silke Wolter und David Zimmermann

Psychosozial-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. E-Book-Ausgabe 2012 © der Originalausgabe 2012 Psychosozial-Verlag Walltorstr. 10, D-35390 Gießen Fon: 06 41 - 96 99 78 - 18; Fax: 06 41-969978-19 E-Mail: [email protected] www.psychosozial-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: Paul Klee: »Erwachende« 1920 © Umschlaggestaltung & Satz: Hanspeter Ludwig, Wetzlar www.imaginary-world.de ISBN Print-Ausgabe 978-3-8379-2187-8 ISBN E-Book-PDF 978-3-8379-6546-9

Inhalt

Einführende Überlegungen: Außenseiter integrieren Heinz Krebs, Joachim Heilmann und Annelinde Eggert-Schmid Noerr

9

Grundlegende Aspekte von Ausgrenzung Das Kind als Außenseiter Annelinde Eggert-Schmid Noerr »… an der Szene teilhaben und doch innere Distanz dazu gewinnen« (Aloys Leber) Manfred Gerspach Die innere Seite von Inklusion und Exklusion Dieter Katzenbach »Mit 14 Jahren galt ich als Archetyp einer Kindfrau« Georg Bruns

25

47

81

113

Integrationsprozesse in der Kindertagesstätte Zum Umgang mit Ausgrenzung in der Kita Thilo M. Naumann

133

5

Inhalt

Das Verständnis von Ausgrenzung, Inklusion und Integration in den Kinderhäusern der Mainkrokodile Bernd Niedergesäß

157

Zum pädagogischen Umgang mit Außenseitern in Beratungsprozessen Marginalisierte Kinder und Jugendliche Heinz Krebs »Niemand spricht mit mir!« – Szenisches Verstehen in einem Fall von Mobbing in einer Schulklasse Dorothea Steinlechner-Oberläuter

181

197

Inklusion und Exklusion in der Schule Das Unheimliche in der Inklusion Christoph Kleemann

225

Wer ist hier der Außenseiter? Bernadette Neuhaus und Ines Carstens

241

Durch Besonderheit dazugehören? Inge Schubert

267

Psychoanalytische Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen Autistische Kinder in der Schule Joachim Heilmann

291

Grenzgänge Sylvia Künstler und Horst Nonnenmann

307

6

Inhalt

»Was wollen Sie mir schon beibringen?« Rebecca Friedmann und Silke Wolter

321

Die subjektive und soziale Fremdheit David Zimmermann

347

Kritische Rückfragen »… und sind tatsächlich arm, wenn wir nur geistig gesund sind« Hans von Lüpke

367

Der Mensch wird am Du zum Ich! Peter Rödler

379

Die Autorinnen und Autoren

395

7

Einführende Überlegungen: Außenseiter integrieren Heinz Krebs, Joachim Heilmann und Annelinde Eggert-Schmid Noerr

Außenseiter sind Einzelne oder Gruppen, die den Erwartungen und Normen eines sozialen Gefüges nicht entsprechen. Sie selbst erleben dies oft als leidvoll. Umgekehrt werden sie selbst von anderen häufig als Belastung wahrgenommen. Sie finden in den helfenden Institutionen keinen »guten« Platz und keine sie »haltenden« Beziehungen. Sie brauchen mehr oder anderes als die übrigen. So greifen die üblichen Konzepte des Sozialen und der Pädagogik nicht, ihre Grenzen werden offenkundig. Auf der anderen Seite gibt es auch immer wieder Menschen, die sich aus mehr oder weniger freien Stücken einen Platz am Rand der Gesellschaft wählen. Auch sie haben einen Anspruch auf Respekt und Achtung durch die sogenannte Mehrheit und haben das Recht, anders zu sein (vgl. die Beiträge von Bruns und Eggert-Schmid Noerr in diesem Band). Aber vielleicht hat Freiwilligkeit hier nur den Status einer nachträglichen Bewusstseinskonstruktion, und vielleicht verdeckt die Zuschreibung von Unfreiwilligkeit den Eigenanteil des Ausgeschlossenen an seinem Status. Dann wäre die Unterscheidung zwischen unfreiwilligem und freiwilligem Außenseitertum eher ein Oberflächenphänomen, das es im besonderen Fall, und gerade in der Perspektive der Psychoanalytischen Pädagogik, jeweils zu hinterfragen gälte. Soziale Arbeit und Pädagogik sind in besonderem Maße verpflichtet, sich mit Außenseitern zu beschäftigen, vor allen Dingen dann, wenn es sich bei ihnen um Kinder, Jugendliche und ihre Familien handelt. Um diese geht es auch vorrangig in diesem Band. 9

Heinz Krebs, Joachim Heilmann und Annelinde Eggert-Schmid Noerr

Es gibt viele Gründe, weshalb Kinder, Jugendliche oder Erwachsene in eine Außenseiterposition geraten können. Die Ursachen können nicht isoliert betrachtet werden, da sie nicht unabhängig voneinander wirken. Es sind nicht entweder soziale oder individuelle Faktoren, die eine Rolle spielen. Vielmehr geht es stets um ein komplexes Zusammenspiel von gesellschaftlichen Bewertungen, institutionellen Rahmenbedingungen und dem Verhalten von Gruppen und Einzelnen (vgl. Eggert-Schmid Noerr et al. 2010; die Beiträge von Eggert-Schmid Noerr, Katzenbach, Naumann und Niedergesäß in diesem Band). Bei der Thematik des Ausschlusses geht man üblicherweise davon aus, dass es eine Gruppe gibt, die integriert, und eine andere, die integriert wird. Mit einer solchen Zweigruppentheorie wird eine aktive und passive Rollenverteilung festgeschrieben, die schon aufgrund ihrer eigenen begrifflichen Voraussetzung die gleichberechtigte Teilhabe Marginalisierter am gesellschaftlichen Leben einschränkt (vgl. Hinz 2007, S. 83f.). Entsprechend ist es mit den in der BRD praktizierten Formen der Integration bisher nur unbefriedigend gelungen, den marginalisierten Status derjenigen, die anders sind, zu verändern. Dies führt dazu, dass die alte Frage – »wie Menschen, die anders sind, als verhaltensauffällig, lerngestört oder geistig behindert gelten, in das gesellschaftliche Leben integriert werden können?« – neu gestellt werden muss. Vor dem Hintergrund der im Jahre 2008 beschlossenen UN-Konvention über Rechte von Menschen mit Behinderungen ist die o.g. Form der Integration, mit der die Aussonderung und die Diskriminierung letztlich festgeschrieben werden, nicht mehr akzeptabel. Praxis und Theorie der Pädagogik wie der Sozialen Arbeit müssen sich an den Vorgaben der UN-Konvention ausrichten und auf die Vielfalt der menschlichen Lebensbedingungen und Lebensweisen inklusiv reagieren und entsprechende Konzepte entwickeln, die die Verschiedenartigkeiten des Aufwachsens, der Lern- und Bildungsprozesse als Grundbedingungen des Lebens ansehen. Menschen entwickeln sich entlang von Differenzen wie Geschlecht, Ethnizität, Sozialstatus und bilden unterschiedliche physische und psychische Persönlichkeitsmuster aus (vgl. Schroeder 2007, S. 33), unabhängig davon, ob sie als behindert, verhaltensgestört, gesund oder normal gelten. In dieser Heterogenitäts-Perspektive sind die letztgenannten Einteilungen nur Beschreibungen menschlichen Lebens, mit denen es nicht zu rechtfertigen ist, dass Menschen diskri10

Einführende Überlegungen: Außenseiter integrieren

miniert und von Teilhabechancen ausgeschlossen werden (vgl. Lüpke in diesem Band). Aufgrund dieser Vorgaben müssen Soziale Arbeit und Pädagogik ihre Praxis differenzieren und individualisieren, ohne dass dies mit Ausgrenzungen verbunden ist (vgl. Katzenbach 2007a). So stellt z.B. die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs für Lernhilfe in Verbindung mit der Einweisung in eine entsprechende Sonderschule eine Vereinheitlichung bestimmter Schüler dar, die pädagogisch zu kurz greift und eine marginalisierende institutionelle Praxis erzeugt. Das heißt, die Grenzziehungen zwischen den Prozessen der Heterogenisierung und Individualisierung sowie der Homogenisierung müssen neu bestimmt werden. Diese Grenzziehungen berühren die »paradoxale Aufgabenstruktur« (Reiser 2005) von Pädagogik und Sozialer Arbeit. Das heißt, die Zulassung und Herstellung von Heterogenität und Homogenität kann nicht durch eine polare Verhältnisbestimmung erfasst werden. Vielmehr müssen diese Aspekte als Momente wechselseitig sich bedingender ko-evolutionärer Prozesse betrachtet werden. Sie sind Teilaspekte integrativer Prozesse, mit denen ähnlich verfahren werden muss, wie es bei intersubjektiven Einigungen hinsichtlich der konflikthaften Dynamik von Annäherung an und Abgrenzung von dem Anderen geschieht (vgl. Reiser 2007, S. 99). Leber (1988) benennt eine ähnliche paradoxale Einheit und spricht von »Halten« und »Zumuten« unter der Perspektive des Szenischen Verstehens (Alfred Lorenzer; vgl. Gerspach und Kleemann in diesem Band). Die genannten Gegensätze – Heterogenität und Homogenität, Annäherung und Abgrenzung, Halten und Zumuten oder »Wissen und NichtWissen« (vgl. Liesner/Wimmer 2003) bzw. »Nicht-wissen-Können« (Müller 1993) – sind als notwendig widersprüchliche Einheiten zu betrachten, die aus ihrem Spannungsfeld heraus neue Sinn- und Handlungsstrukturen generieren (vgl. Reiser 2005, S. 154). Sie durchdringen sich gegenseitig und stellen Momente der Bewusstwerdung von Konfliktpotenzialen und Chancen des Wachstums für Einzelne und Gruppen dar. Diese Vorstellungen zur Integration korrespondieren mit dem Begriff der »egalitären Differenz« (Prengel). Unter dieser Perspektive wird nach der Verschiedenheit und Gleichheit der Menschen gefragt. Egalität und Differenz werden nicht als sich ausschließend, sondern ebenfalls als sich wechselseitig bedingend verstanden (vgl. Prengel 2001, S. 93). Der Begriff 11

Heinz Krebs, Joachim Heilmann und Annelinde Eggert-Schmid Noerr

umfasst nicht nur Prozesse im Erziehungs- und Bildungswesen, sondern nimmt ebenfalls Stellung zur Frage und dem Verhältnis der Geschlechter, der Kulturen und Subkulturen. Im Gedanken der egalitären Differenz kommt das plurale Miteinander verschiedener Individuen auf der Basis gleicher Rechte und wechselseitiger Anerkennung zum Tragen. Im Hinblick auf Soziale Arbeit und Pädagogik sind beispielsweise die folgenden Leitvorstellungen als zentral anzusehen: eigenverantwortliches Handeln, Innovationsfähigkeit, Wissen um die Bedeutung von Ambivalenzen und Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel und zur Multiperspektivität (vgl. a.a.O., S. 94; Müller 1993; Katzenbach, Heilmann, Künstler/Nonnenmann, Friedmann/Wolter und Zimmermann in diesem Band). Obwohl die Begriffe der Gleichheit und der Enthierarchisierung in den integrativen Konzepten und ihrer Praxis von großer Bedeutung sind, scheinen Hierarchie, Selektion und Etikettierungen doch tief in die menschlichen Verhältnisse und in die Prozesse von Erziehung und Bildung eingelagert zu sein. Dies hat gesellschaftliche Gründe und ist eng mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem verbunden, das Konkurrenz, Individualisierung und Entsolidarisierung in ungeahnte Höhen katapultiert hat (vgl. Rödler in diesem Band). Diese Momente sind aber auch Teil der schon genannten paradoxalen Aufgabenstrukturen, die ebenfalls ein »unaufhebbares Wissens-, Könnens- und Machtgefälle« (Reiser 2005) beinhalten. Allerdings ist es eine Frage gesellschaftlicher Zukunftsfähigkeit, ob es gelingt, in Erziehung und Bildung, insbesondere im Schulsystem, Hierarchisierung, Selektion und Ausgrenzung abzubauen und stattdessen egalitären und reziproken Formen der Anerkennung mehr Raum zu geben (vgl. Krebs 2009, S. 209ff.; Krebs, Neuhaus/Carstens, Steinlechner-Oberläuter und Schubert in diesem Band). Ziel des vorliegenden Bandes ist es, diesen Problemstellungen nachzugehen. Besonderes Augenmerk soll darauf gerichtet werden, wie destruktive Ausgrenzungsmechanismen und starre Identitätszuschreibungen zustande kommen und welche Rolle dabei bewusste und unbewusste Dynamiken spielen. Es steht zur Diskussion, wie solchen Prozessen aus der Sicht der Psychoanalytischen Pädagogik und Psychoanalytischen Sozialarbeit (vgl. Günter/Bruns 2010) entgegengewirkt werden kann. Diese Aufgabenstellung, die das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren bei der Entstehung von Marginalisierung in Rechnung stellt, erfordert dreierlei: Auf der sozialpolitischen Ebene geht es darum, sich 12

Einführende Überlegungen: Außenseiter integrieren

für gesellschaftliche Veränderungsprozesse einzusetzen; auf der institutionellen Ebene darum, für tragfähige und belastbare Rahmenbedingungen zu sorgen; und auf der Ebene der professionellen Beziehungen geht es darum, Prozesse der Verständigung anzustoßen, die den durch Szenisches Verstehen (Lorenzer 1983) gewonnenen Erkenntnissen konstruktive Formen verleihen. Mit anderen Worten, es geht darum, dass die lebenspraktischen Fragen und die unbewusst-verschlüsselten Botschaften der Menschen Gehör und Antworten finden.

Zu den einzelnen Beiträgen In den Beiträgen werden die vielfältigen Facetten von Ausgrenzungsprozessen entfaltet. Im ersten Kapitel legen die AutorInnen grundlegende Aspekte der Problematik dar. Annelinde Eggert-Schmid Noerr weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass das frühere pädagogische Bild vom erzieherisch geprägten Kind heute einem anderen gewichen ist: Kinder werden zunehmend als an ihrer Entwicklung und Bildung aktiv beteiligte Akteure gesehen. Zugleich sind Gleichaltrige und Peer Groups sozialisatorisch bedeutsamer geworden. Dementsprechend hat sich auch der professionelle Blick auf Ausgrenzungsprozesse in Kindergruppen gewandelt. Aus psychoanalytisch-pädagogischer Perspektive müssen diese grundsätzlich als Wechselwirkung zwischen dem ausgegrenzten Kind und der ausgrenzenden Gruppe verstanden werden. Ob ein Kind soziale Kompetenz entwickeln und damit die Akzeptanz Gleichaltriger erlangen kann oder nicht, hängt von komplexen lebensgeschichtlich hergestellten, teilweise unbewussten Interaktionsformen ab, für die frühe Bindungserfahrungen und deren Modulation den Ausgangpunkt bilden. Ob eine Kindergruppe eine eher prosoziale oder eine eher destruktive Kultur z.B. mit Mobbing herausbildet, hängt wiederum von den in der Gruppen-Matrix sich herausbildenden unbewussten kollektiven Konstruktionen des Ausschließens ab. Beide Ebenen können nicht auseinandergerissen werden. Wie sich ein Kind in einen sozialen Kontext einbringt und wie eine Gruppe interagiert, lässt sich stets als sinnhafte Bearbeitung relevanter Entwicklungsthemen verstehen. Eine angemessene pädagogische Haltung und Handlung schließt somit eine dritte Ebene mit ein: die Ziele und Ideale der pädagogischen 13