Alles neu am Gotthard

befürchtet etwa der SAC – würde Vari- antenfahrer in Geländekammern trei- ben, wo sie das Wild in bisher unberühr- ten Gebieten störten. Korridor am Oberalp.
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nzz

27.05.11

Nr. 123

Seite 15

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Teil 01

Alles neu am Gotthard Unterwegs am Oberalp, wo wegen der Ausbaupläne für die Andermatter Skigebiete Goldgräberstimmung aufkommt Die Reaktionen ob der Ausbaupläne für die Andermatter Skigebiete sind kontrovers. Während Umweltverbände die Grösse des Projekts kritisieren, hofft die Bevölkerung auf wirtschaftliche Prosperität. So auch der Rettungschef Carlo Danioth. Daniel Fuchs, Andermatt Heuer war die Wintersaison im kleinen Familienskigebiet Nätschen-Gütsch oberhalb von Andermatt kurz. Hoch über der Passstrasse und dem Bahntrassee zum Oberalppass liegt das kleine Skigebiet – weil südexponiert – viele Stunden pro Tag besonnt. Nur wenig Schnee hat die in anderen Jahren mit Niederschlägen verwöhnten Skiregionen am Gotthard in der vergangenen Saison beglückt. So liegen an diesem sommerlich warmen Frühlingstag am Gütsch, rund 2200 Meter über Meer, nur noch vereinzelte Schneehaufen dort, wo sich die Sportler während des vergangenen Winters tummelten.

Parkieren in Göschenen Carlo Danioth kurvt sein Allradfahrzeug durch eine letzte wässrige Schneewechte, die das schmale Militärsträsschen zu versperren scheint. Dann lässt er den Wagen stehen. Danioth ist Betriebsleiter der Andermatt Sportbahnen AG und als Pisten- und Rettungschef verantwortlich für die Sicherheit der Wintersportler am Gemsstock und im Skigebiet Nätschen-Gütsch. Er kennt die Gegend wie kein anderer. Ein kühler Wind bläst uns um die Ohren. Drei Windturbinen des Elektrizitätswerks Ursern drehen sich langsam und produzieren Ökostrom. Tief unten im Reusstal der viele Beton der Autobahn, kurz bevor sie bei Göschenen im GotthardTunnel verschwindet. «Vom Talboden ist eine direkte Anlage hier herauf geplant», erklärt Danioth. Sie soll Göschenen dereinst direkt mit dem Skigebiet verbinden. Tagestouristen müssten sich dank der Gondelbahn nicht mehr durch die Schöllenen nach Andermatt quälen, sondern könnten ihre Wagen in Göschenen stehenlassen. Doch diese Verbindung hat für Danioth nicht erste Priorität, wie er sagt. Der grosse Nachteil liege darin, dass keine Talabfahrt nach Göschenen möglich sei. «Heute wollen die Wintersportler doch auf ihren Ski ins Tal fahren und nicht wieder

die Gondel besteigen», sagt er.

Wildschutz am Gemsstock Danioth wendet sich ab und blickt nachdenklich zur gegenüberliegenden Talseite, zum Gemsstock. Das «NischenSkigebiet» schlechthin – bei Kennern und Freeridern überaus beliebt. Es liegt dem Andermatter Rettungschef am Herzen: Der Gemsstock dürfe ob der geplanten Neu- und Ausbauten im Oberalp-Gebiet nicht zum Verlierer werden, mahnt er. Denn er sei ein schweizweit einzigartiger Skiberg. Eine Beschneiungsanlage für die Talabfahrt nach Andermatt steht für Danioth ganz oben auf der Wunschliste. Eine Erschliessung des St.-Anna-Gletschers von Hospental aus, wie es der Masterplan einer kanadischen Firma vorsieht, erachtet Danioth dagegen nicht als notwendig. Den Gletscher könne man auch vom bestehenden Skigebiet aus erschliessen, wenn man dies wolle. Umweltverbände könnten mit ihm in diesem Punkt einverstanden sein, kritisieren sie doch die «Erschliessung neuer Geländekammern», insbesondere jene des St.-Anna-Gletschers. Doch Danioth präzisiert: Der St.-AnnaGletscher sei bereits heute mit einer Piste versehen und die St.-Anna-Lücke auch aus dem bestehenden Skigebiet erschliessbar. Die Umweltverbände kritisieren aber genau solche Pläne, ist doch die Variante St.-Anna-Lücke mit einer Abfahrt durchs Felsental bei Freeridern überaus beliebt. Die Erschliessung – das befürchtet etwa der SAC – würde Variantenfahrer in Geländekammern treiben, wo sie das Wild in bisher unberührten Gebieten störten.

Korridor am Oberalp Auch sonst hat Danioth das Heu in den wenigsten Fragen auf derselben Bühne wie der SAC oder Mountain Wilderness. Trotzdem befürwortet er deren Mitsprache. Ihm ist aber wichtig, dass blockierte Projekte ein Wirtschaften der Bergbevölkerung nicht verhinderten. «Schliesslich leben wir direkt von der Schönheit der Berglandschaft. Verbandsfunktionäre sehen die Berge dagegen allzu oft als Naherholungsgebiet für die Städter», kritisiert Danioth. Auf dem Gütsch drehen sich die Windräder weiter. In dieser Kulisse, mit Sicht über das Urserntal hin zum Furkapass, Galenstock und Dammastock, soll dereinst auch ein neues Restaurant stehen. Ab hier sind zahlreiche neue Anlagen in östlicher Richtung geplant, alle-

samt nördlich von der Eisenbahnlinie und der Strasse über den Oberalppass. Viele neue Pisten sollen NätschenGütsch mit dem Sedruner Skigebiet auf der Bündner Seite des Oberalp verbinden. Aber sind die beiden Gebiete nicht bereits heute durch die MatterhornGotthard-Bahn verbunden, gar im selben Tarifverbund integriert? Danioth bejaht und erklärt: «Die Skifahrer wollen auf ihren Ski in das jeweilig andere Gebiet gelangen.» Die Bahnfahrt sei zwar malerisch, jedoch für Wintersportler unattraktiv. Es sei wenig sinnvoll – wie von Umweltverbänden gefordert –, einzig einen Korridor mit kurzen «Zubringeranlagen» zu schaffen, der beide Skigebiete verbinde. Das Ziel sei vielmehr, mit längeren «Frequentier-Anlagen» Raum für Pisten zu schaffen, die für Wintersportler attraktiv sind. Der erfahrene Pisten- und Bergretter Danioth schlägt trotz seiner grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber dem Projekt durchaus skeptische Töne an. So macht er auf die Arbeiten aufmerksam, die für die Sicherheit der Pisten notwendig sind. Vom Gemsstock – die Hänge im hochalpinen Gelände sind steil, von Felsen durchsetzt und lawinengefährdet – weiss Danioth, welch grossen Aufwand solche Sicherungsarbeiten verursachen. Besonders in den höher gelegenen Gebieten, etwa am Fuss des Gross Schijen oder des Schneehüenerstocks, sei mit einem grösseren Sicherungsaufwand zu rechnen. Danioth räumt ein, dass Eingriffe in die Landschaft nicht ausbleiben. So müsse vielerorts das Gelände für Pisten planiert werden, was er aber als unproblematisch erachtet: «Schauen Sie sich um. Die Gegend ist sowieso schon verbaut.» Tatsächlich: Die Armee hat ihre Spuren hinterlassen. Nach ihrer jahrzehntelangen Anwesenheit in der Gegend rund um Andermatt ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Der Schneehüenerstock sei ausgehöhlt, so Danioth. Die Bunkereingänge sind derart «unauffällig» gebaut, dass sie ganz einfach auffallen müssen. Am Boden liegen Patronenhülsen herum. Danioth möchte nicht wissen, wie verbleit die Böden hier oben sind.

Dank «Neu-Andermatt» Verbleites Land: Ein Problem, mit dem auch der gigantische Bau eines LuxusResorts des ägyptischen Investors Samih Sawiris zu kämpfen hatte. Doch wo einst die Armee das Urserntal besetzte, ist das Erdreich nun abgetragen. Eine riesige Brache liegt planiert auf dem

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Talboden. Danioth hält in einer der Haarnadelkurven an, als es wieder talwärts geht. Dort sollen also die Appartements entstehen. Daneben sind die Ausmasse des 18-Loch-Golfplatzes erkennbar. Bereits sind einzelne Teiche und Hügel auszumachen. Die Erweiterung des Skigebiets steht in direktem Zusammenhang mit «NeuAndermatt», zu dem auch ein Fünfsternehotel beim Bahnhof der Matterhorn-Gotthard-Bahn gehört. «Die Gäste aus aller Welt wollen nicht nur golfen, sondern auch Ski fahren», meint Danioth. «Und das mit einer zeitgemässen Infrastruktur.» Doch gelingt der Sprung vom verstaubten zum glamourösen Image? Ganz sicher scheint sich der Andermatter nicht zu sein, ob die Reichen dereinst tatsächlich nach Andermatt kommen und die Luxuswohnungen nicht einzig als teure Geldanlagen – und damit ebenso die neuen Pisten und Restaurants am Oberalppass – leer bleiben werden.

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Teil 02