Alles andere ist Käse

und Gentechnik ist ohnehin streng verboten. «Kommt gut», brummt er. Im Kupferkessel drehen zwei. Käseharfen gemächlich ihre. Runden. Sie durchschneiden.
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Gut Ding will Reife haben: Der «Raclette du Valais AOP» muss drei Monate lagern.

Raclette

Alles andere ist Käse Felix Arnold, Käser aus Simplon Dorf, gibt seit 40 Jahren alles für Raclette. Und schwört auf Milch von Kühen, die er kennt.

Zweimal täglich bringen ihm die Bauern kuhwarme Milch: Käser Felix Arnold

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TEXT: SAMANTA SIEGFRIED FOTOS: CLAUDIA LINK

halt von mindestens 52 Prozent. Dieser wiederum hängt mit dem Futter der Kühe zusammen. Fressen sie im Sommer saftiges Gras, muss man sich nicht darum sorgen. Bei Trockenfutter hingegen muss man der Milch Wasser beigeben. Zur Kontrolle entnimmt Arnold stets Proben und friert sie für ein Jahr ein. Wenn etwas schiefgeht, lässt er sie untersuchen: «Ich habe gelernt,

Der Walliser Milchverband setzte sich dafür ein, dass sich nur Raclettekäse a draussen beginnt ein kalter aus dem Wallis tatsächlich «Raclette» Wintertag. Drinnen breitet sich nennen darf. Er trug das Anliegen bis tropische Hitze aus. Die Fensvor Bundesgericht – vergeblich. Die ter der Sennerei von Simplon Dorf sind Walliser Käsehersteller erhielten ledigbeschlagen, von der Decke tropft Konlich die geschützte Ursprungsbezeichdenswasser, gefühlte 30 Grad hängen nung «Raclette du Valais AOP». in der Luft. Es riecht säuerlich, feucht. Felix Arnold ist das recht so. «Wenn Felix Arnold huscht umher. Ein kleindie damit durchgekommen wären, gewachsener, drahtiger Mann hätten wir Walliser anfangen mit wachen blauen Augen. müssen zu tricksen», meint er. «Rohmilch ist ein Lebewesen. Zwischen seinen Zähnen klaf«Denn der Kanton hätte nieWir töten die Bakterien nicht, wir fen Lücken, die ihm etwas mals den ganzen Bedarf der Spitzbübisches verleihen. Schweiz abdecken können.» arbeiten mit ihnen zusammen.» Felix Arnold ist Käser in Tatsächlich produziert die Felix Arnold, Käser Simplon Dorf, dicht an der Schweiz etwa 13 000 Tonnen Grenze zu Italien. Steile BergRaclette, das Wallis nur etwas hänge umringen die kleinen mehr als 2000 Tonnen. Denn Häuser. Es gibt drei Hotels, das eigene AOP-Label verlangt eine Bäckerei, einen Dorfladen spezielle Anstrengungen. Etund eben eine Sennerei. Dazu wa kein Silofutter für die Kühe, acht Bauernhöfe. 320 Einwohund Gentechnik ist ohnehin ner, mindestens jeder zweite streng verboten. trägt den Nachnamen Arnold. «Kommt gut», brummt er Viele davon sind mit Felix ArIm Kupferkessel drehen zwei nold verwandt. Er war 19, als Käseharfen gemächlich ihre er die alte Sennerei übernahm; Runden. Sie durchschneiden Anfang Oktober feierte er sein die fest gewordene Masse aus 40-Jahr-Jubiläum. Längst sind Milch, Wasser und Lab. Felix seine Produkte weit über die Arnold holt einen Fetzen herengen Täler hinaus bekannt. aus und prüft die Konsistenz. Was die Kuh frisst, hat Einfluss «Kommt gut», brummt er zuWie jeder Walliser Raclettekäse frieden. Rund 2700 Liter Milch wird auch der von Arnold aus verarbeitet er täglich zu Raunpasteurisierter Milch hergeclettekäse. Das ergibt 60 Stück, stellt. Eine Arbeit mit Risiken: 65 Tonnen im Jahr. Dazu kom«Rohmilch ist ein Lebewesen», men 30 Tonnen Mutschli. Und sagt Arnold. «Wir töten die naweil es gerade so einfach geht, türlichen Bakterien nicht, sonproduziert er auch noch Butter, dern arbeiten mit ihnen zuZiger, Hobelkäse und Joghurt. sammen.» Daher sei es wichDen Grossteil des Käses tig, die Milch gut zu kennen. vermarktet die Vereinigung Käse aus dem Kupferchessi: Die Sennerei in Simplon Dorf «Der Kontakt zwischen Bauer der Milchproduzenten Alpgold produziert gegen 100 Tonnen jährlich. und Käser ist für ein gutes Proin Siders für ihn. Von dort verdukt das oberste Gebot.» streut sich Arnolds Käse ins Zweimal täglich nimmt er ganze Land, auch Migros und in der Genossenschafts-Sennerei die Coop sind Abnehmer. Den Rest behält Veränderungen rasch zu erkennen Milch «kuhwarm» von den acht Simer für die Dorfchäsi und Privatkunden, und zu reagieren.» ploner Bauern entgegen. Was die Kühe die von nah und fern bestellen. Arnold trägt weisse Gummistiefel, fressen, an welcher Hanglage sie graEine Wand im Laden ist mit Zeugeine weisse Latzhose, ein weisses sen und ob sie gerade im Stall wintern nissen seiner Erfolge geschmückt: Shirt, eine weisse Schürze. Auf seinen oder auf der Alp sömmern – das alles Bronzesterne für «hervorragende Käsegrauen, dichten Haaren sitzt ein Käppi hat entscheidende Auswirkungen auf qualität», «Swiss Cheese Award» für mit der Aufschrift «Raclette du Valais die Produktion. Raclette. Im internationalen WettbeAOP» – das Kennzeichen für den RohEin Beispiel: Damit der Käse gut werb erhielt er bereits 1988 eine Silbermilch-Schmelzkäse aus dem Wallis, schmilzt, braucht er einen Wassergemedaille – auf die ist er speziell stolz. dem ein jahrelanger Streit vorausging.

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Am Anfang muss der Käse täglich gewaschen werden: Käser Ari Locher

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Eigentlich ist Felix Arnold ein Bäger Raclette gegessen. «Nur», fügt er Gschwellte, eine Essiggurke und zwei ckerssohn. Seine Eltern führten die hinzu, als wäre es ein Geheimnis: Silberzwiebeln auf dem Teller an, Bäckerei Arnold im Dorf, in der heute «Das ist kein Raclette. Das ist gesenkt den halben Laib nach unten und sein Neffe das ebenfalls preisgekrönte schmolzener Käse.» streicht mit einer schnellen HandWalliser Roggenbrot herstellt, in der Zu wahrem Raclette brauche es bewegung die gelbliche Schmelze ganzen Schweiz als Slow-Food-Proeinen traditionellen Ofen, einen, bei hinein. Mit der scharfen Messerseite dukt bekannt. Seine Liebe zum Käse dem man einen halben Laib Käse unschneidet er die Rinde ab – fertig. verdankt Felix Arnold der Grossmutter den Heizkörper klemmt und die «So sieht für mich ein echtes Walliser ter, die ihn bereits als Vierjährigen mit Schmelze von oben in den Teller Raclette aus», sagt er, nicht ohne Stolz. «z Alp» nahm. «Für mich kommt der streicht. Schliesslich kommt Raclette Das Gericht eignet sich auch für AllerMittag jeden Tag zu schnell», giker: Das Endprodukt ist laksagt er frohgemut. Die jahretose- und glutenfrei. «Racletteöfen für Scheiben sind lange schwere Arbeit ist ihm Doch woran erkennt man Käsemörder. Das ist kein Raclette, kaum anzumerken, nur die geein gutes Raclette? «Man kann schwollenen, geröteten Hände es ohne Messer essen», sagt das ist geschmolzener Käse.» deuten darauf hin. der Meister und drückt mit der Felix Arnold, Käser Die Dorfsennerei hat 365 Gabel seitlich in den Käse, um Tage geöffnet, kein Wochenein Stück abzutrennen. Wenn ende, keine Ferien. Felix Ares sich leicht löse, sei das ein nolds innerer Wecker klingelt gutes Zeichen. «Geschmeidig um vier Uhr in der Früh, der muss er sein. Nicht klumpen Feierabend kommt nicht vor oder fetten.» Entscheidend sei sieben Uhr abends. «Ich arbeiam Ende natürlich der echte te nicht nach Uhrzeit», sagt er. Rohmilchgeschmack. Ihn beSollte er doch einmal ein paar schreiben kann Arnold nicht. Tage frei haben, schmeissen Jedenfalls schmeckt man den seine zwei Angestellten den Käse, vielleicht sogar die Kuh. Laden: die 29-jährige Nichte Arnolds Geheimnis? «Ich habe Lilian Arnold und der 21-jähkeine Geheimnisse.» rige Ari Locher. Am liebsten Ein Nachfolger wird sich finden geht Arnold dann Ski fahren. Felix Arnold ist der Erste in «Ich fahre abnormal gern Ski», seiner Familie, der als Käser erzählt er und strahlt. Fliegen arbeitet – und vielleicht auch hingegen ist nicht sein Ding. der Letzte. Seine drei Söhne Die von seinen Söhnen gesind in anderen Berufen tätig. schenkte Reise nach Mallorca Enttäuscht ist er deswegen habe er «überlebt». In Zukunft nicht. «Ich habe meinen Burbleibe er lieber hier. schen immer gesagt: ‹Macht, Er probiert auch Pasteurisiertes was euch gefällt. Aber das In der Käsestube wirft Arnold macht ihr dann mit Freude.›» den Mitarbeitern die fertigen Noch ein paar Jahre, dann Laibe zu wie Bälle. Nur drei geht Arnold in Pension. Dann Stunden dauert die Produkwolle er dort aushelfen, wo er So machts der Profi: halber Laib Käse, traditioneller Ofen, tion, doch die Arbeit ist noch gebraucht werde. Ganz ohne schneller Abstrich mit dem Messerrücken lange nicht zu Ende. In den Druck. Angst, dass die Senneersten zehn Tagen muss jeder rei ohne ihn nicht weiterläuft, Laib täglich gewaschen werden. hat er nicht. «Die gibts seit 133 Drei Monate ruhen sie dann im Keller. Jahren.» Er sieht sich nicht als Besitzer, vom französischen Wort «racler» und Noch immer isst Felix Arnold den sondern als Angestellter des eigenen bedeutet so viel wie «schaben». Schmelzkäse fürs Leben gern. Dabei Betriebs. «Ich tu meine Pflicht bis zum «Ich bin ein zügiger Streicher», sagt probiert er alles, auch Pasteurisiertes. Schluss», sagt er. «Alles Weitere steht Felix Arnold. Er steht in der Gaststube «Manchmal sogar aus einem ‹Käseohnehin nicht in meiner Macht.» des Hotels Grina vor dem Ofen, das mörder›», sagt er ganz selbstverständMesser in seiner Rechten, bereit für lich und meint damit die Racletteöfen den ersten Strich. Langsam bilden sich Den Simplon-Raclettekäse von Felix Arnold für Käsescheiben. Er habe absolut Bläschen an der Oberfläche, es fängt gibt es in seiner Sennerei in Simplon Dorf oder nichts dagegen, betont er, ohne «Käsean zu knistern, Käseduft verbreitet online: www.sennerei-simplon.ch; ein Viertellaib (rund 1,3 Kilogramm) kostet Fr. 21.50. mörder» würde schliesslich viel wenisich. Sorgsam ordnet Arnold eine