Ökonomische Theorie des Gesellschaftsvertrags

7.3 Der Status quo bei Buchanan und in der Ökonomischen ... Vorwort. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht The Limits of Liberty von James M. Buchanan.
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Seit den 1970er Jahren ist die Theorie des Gesellschaftsvertrags wieder zur dominanten Begründungsstrategie politischer Legitimität geworden. Im Rahmen dieser Entwicklung haben ökonomische Elemente wie die Entscheidungs- und die Spieltheorie, aber auch der ökonomische Rationalitätsbegriff Eingang in die Politische Philosophie gefunden. Zeitgleich findet innerhalb der Wirtschaftswissenschaften der Versuch statt, die Anwendung ökonomischer Methoden auf nichtwirtschaftliche Zusammenhänge auszuweiten. Diese beiden Entwicklungen kreuzen sich im Versuch verschiedener Denker, die Theorie des Gesellschaftsvertrags in ihrer Breite ökonomisch zu rekonstruieren. Das Buch will am Beispiel des umfassendsten Versuchs, diesen so genannten ›ökonomischen Ansatz‹ für die Vertragstheorie fruchtbar zu machen, James Buchanans Entwurf einer Konstitutionellen Politischen Ökonomie, Stärken und Grenzen desselben ausloten. Entgegen der gängigen Praxis wird dabei versucht, den methodischen Ansatz der Ökonomie nicht eo ipso mit einer unerlaubten Ökonomisierung, einem Ökonomismus, gleichzusetzen, sondern vielmehr den Versuch einer methodischen Innovation vorurteilsfrei zu evaluieren.

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Brantl · Ökonomische Theorie des Gesellschaftsvertrags

Dirk Brantl

Ökonomische Theorie des Gesellschaftsvertrags James Buchanans Konstitutionelle Politische Ökonomie

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Brantl · Ökonomische Theorie des Gesellschaftsvertrags

Dirk Brantl

Ökonomische Theorie des Gesellschaftsvertrags James Buchanans Konstitutionelle Politische Ökonomie

mentis MÜNSTER

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Einbandabbildung: © Joachim Wendler – Fotolia.com

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Für H.S.

7 INHALT: Vorwort ………………………………………………………………… 9 1. Einführung …………………………………………………………. 13 1.1 Was ist Ökonomik? ………………………………………………… 13 1.2 Was ist Vertragstheorie? ……………………………………………. 18 1.3 Was ist Ökonomische Vertragstheorie? ……………………………... 20 1.4 James Buchanans Konstitutionelle Politische Ökonomik …………………. 23 1.5 Der Status des Projekts: Ökonomismus vs. Ökonomischer Imperialismus ………………………………………………….. 28 1.6 Ausblick ……………………………………………………………. 36 Teil I: Die Grundelemente des ökonomischen Ansatzes ………..… 37 2. Methodischer Individualismus …………………………………… 39 2.1 Methodische Perspektiven …………………………………………. 40 2.2 Der Anspruch des methodischen Individualismus ………………….. 45 3. Ökonomische Rationalität ………………………………………… 49 3.1 Der homo oeconomicus ………………………………………………… 50 3.2 Die Evolution des homo oeconomicus ………………………………….. 52 3.3 Die Verwendung des Modells ………………………………………. 58 3.4 Das Humesche Modell: der homo oeconomicus-Test …………………… 61 3.5 Das Wicksteedsche Modell: Non-Tuismus …………………………..... 66 3.6 Fazit …………………………………………………………...…… 75 4. Ökonomische Interaktion …………………………………………. 77 4.1 Präferenzen und Restriktionen im Naturzustand der Ökonomischen Vertragstheorie ……………………………………………….... 77 4.2 Spiele im Naturzustand ……………………………………………... 81 4.3 Wege aus dem Dilemma ………………………………………….… 88 4.4 Der Ausgang aus dem Naturzustand ……………………….....…… 102 4.5 Fazit ………………………………………………………….…… 109 Teil II: James Buchanans Konstitutionelle Politische Ökonomie ... 111 5. Der Naturzustand in Buchanans Konstitutioneller Politischer Ökonomie …………………………………………………… 113 5.1 Was ist der Mensch? ………………………………………………. 114 5.2 Gleichheit und Freiheit ……………………………………………. 122 5.3 Die natürliche Verteilung als Basis von Verträgen im Naturzustand .. 131 5.4 Die philosophiegeschichtlichen Wurzeln des ökonomischen Ansatzes ……………………………………………………… 140

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Vorwort

6. Der Verfassungsvertrag in der Konstitutionellen Politischen Ökonomie …………………………………………………… 147 6.1 Die Entscheidungssituation ……………………………………….. 147 6.2 Der Inhalt des Verfassungsvertrages ………………………………. 154 6.3 Die Dimensionen des Staates …………………………………….... 157 7. Der Status des Status quo ………………………………………... 169 7.1 Legitimität, Recht, Gerechtigkeit …………………………………. .169 7.2 Effizienz und das Pareto-Prinzip ………………………………. … 180 7.3 Der Status quo bei Buchanan und in der Ökonomischen Vertragstheorie ……………………………………………… .185 8. Die Dynamik des Status quo ……………………………………. 199 8.1 Die Argumentationsstruktur der Ökonomischen Vertragstheorie … 200 8.2 Dynamik auf post-konstitutioneller Ebene ………………………... 202 8.3 Dynamik auf konstitutioneller Ebene ……………………………... 206 8.4 Die Ökonomische Vertragstheorie als Diskurstheorie des Rechts … 216 9. Fazit und Ausblick: Vom Nutzen instruktiven Scheiterns ……. 227 Literatur ……………………………………………………………... 233 Personenregister ……………………………………………………. 245 Sachregister …………………………………………………………. 247

“… all men are fools which pull down anything which does them good before they have set up something better in its place.” Hobbes, Behemoth, Dialog III, 155.

Vorwort Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht The Limits of Liberty von James M. Buchanan. Dieses Werk befindet sich, wie viele Arbeiten Buchanans, auf dem Schnittpunkt zweier Disziplinen, der Philosophie und der Wirtschaftswissenschaften. Aufgrund seiner Anwendbarkeit auf viele Themenkomplexe in beiden Disziplinen hat Buchanans Oeuvre reichhaltige Aufmerksamkeit erhalten. Nachhaltig ist seine Wirkung in den Wirtschaftswissenschaften, wo Buchanan als Mitbegründer der Public Choice-Theorie und als Begründer einer eigenen kleinen Subdisziplin derselben, der Konstitutionellen Politischen Ökonomie, gilt. In der Philosophie hingegen ist seine Wirkung begrenzt, seine Leistungen als Vertragstheoretiker vor allem von John Rawls und seinen neokantianischen Nachfolgern überschattet. Bei aller Vielfalt seiner Wirkung darf man als Philosoph also fragen, weshalb man sich mit Buchanan noch beschäftigen solle. Eine angemessene Erklärung ist vielschichtig und beleuchtet auch die Komplexität von Buchanans Beitrag zu Wirtschaftswissenschaften und Philosophie, und sie hilft zu erläutern, welche Aspekte von Buchanans Theorie in dieser Arbeit betont werden, welche in den Hintergrund treten. Buchanan ist einer der ersten Ökonomen, die nicht mehr nur fragen, wie ein rationales Individuum innerhalb gegebener Regelsysteme wählen soll, sondern auch, wie eine Auswahl unter verschiedenen Regelsystemen rational getroffen werden kann. Diese Trennung zwischen der Auswahl von Handlungsalternativen unter gegebenen Regeln und der Auswahl von Regeln stellt den ersten, das gesamte Schaffen Buchanans durchziehenden Aspekt dar, den Konstitutionalismus. Unter der Annahme ökonomischer Rationalität wird jede Auswahl von Regeln aber eine dilemmatische Situation darstellen, in der Individuen differentielle Vorteile bei der Gestaltung von Regeln für sich herausschlagen oder sich gleich ganz von der Befolgung derselben ausnehmen wollen. Schon früh trennt Buchanan daher die Public Choice-Theorie von der Sozialwahltheorie, indem er annimmt, daß Personen in politischen Institutionen, da sie einem dem ökonomischen analogen Rationalitätsmodell gemäß handeln, nichts zur Überwindung dieses Dilemmas beitragen können. Eine Einigung

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Vorwort

auf Regeln kann dann nur noch durch die ökonomisch rationalen Individuen selbst gelingen, und diese setzt die Zustimmungsfähigkeit aller betroffenen Individuen durch. Um dies zu gewährleisten, greift Buchanan auf das Konstrukt des Gesellschaftsvertrags zurück. Mit diesen zwei Aspekte, Konstitutionalismus und Kontraktualismus, sind die zwei Grundaxiome von Buchanans Denken gefunden. Ein dritter Aspekt, der uns beschäftigen wird, ist Buchanans freiheitlicher Impuls: er ist ein Konservativer und libertarian. Dabei geht es uns weniger um das Spannungsverhältnis der zwei großen ökonomischen Denker des 20. Jahrhunderts, die einer freiheitlichen Ordnung anhängen, Buchanan und Hayek, und ihrer Theorien des vertragstheoretischen Kostitutionalismus und liberalen Evolutionismus.1 Wir konzentrieren uns vielmehr auf den Status des normativen Individualismus und des Freiheitsbegriffs in Buchanans Theorie. Wenn sich die Arbeit auf Buchanans Werk und dessen Schwerpunkten, Vertrag, Verfassung und Freiheit, widmet, so soll damit aber mehr geleistet werden als bloß eine kritische Würdigung Buchanans. Vielmehr rückte Buchanan selbst in den Fokus der Untersuchung aufgrund der Konsequenz, mit der er eine Vertragstheorie entwirft, die genuin ökonomisch ist. In einem weiteren Sinn fragt die Arbeit also nach der Möglichkeit, Politische Philosophie im Rahmen des sogenannten ökonomischen Ansatzes zu treiben. Dabei geht es weniger darum, diesen insgesamt zu vertreten oder – was der philosophischen Diskussion zu Buchanan im deutschsprachigen Raum ohnehin angemessener wäre – zu verteufeln, sondern schlicht zu eruieren, erstens, inwieweit der ökonomische Ansatz zur Herausarbeitung politischer Normen dienlich ist und, zweitens, inwiefern Buchanans Modell einer ökonomischen Theorie des Gesellschaftsvertrags ein Beispiel dieses Ansatzes ist und inwiefern Buchanan selbst von seinen gewählten Absichten abweicht. Entsprechend beschäftigt sich der erste Teil der Arbeit mit den Grundlagen einer Ökonomischen Vertragstheorie: Welcher Elemente bedarf sie? Wie müssen diese Elemente aussehen, um die Tragfähigkeit des Arguments zu maximieren? Erst der zweite Teil behandelt Buchanans Konstitutionelle Politische Ökonomie mit den Limits of Liberty als zentralem Werk. Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Version meiner Dissertation, die unter dem Titel „Ökonomische Vertragstheorie“ 2009 vom Philosophischen Seminar der Eberhard-Karls-Universität Tübingen angenommen wurde. Mein Dank gilt vor allem meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Otfried Höffe, außerdem Simone Neuber und Nico Scarano für Einwände und Kritik, Giovanni Panno für die Anfertigung des Sachregisters und nicht zuletzt Michael Kienecker für das Vertrauen, diese Arbeit auf den 1 So der Titel eines Vergleich der beiden Denker von Viktor Vanberg (Vanberg 1981). Zu dieser Diskussion s. beispielsweise Zintl 1983, Leschke 1993 und Voigt 1999.

Vorwort

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Markt zu bringen. Ein besonderer Dank gebührt schließlich der Geschwister-Boehringer-Ingelheim-Stiftung für Geisteswissenschaften, deren großzügiger Druckkostenzuschuß die Veröffentlichung der Arbeit bedeutend erleichtert hat. Tübingen, 01. Dezember 2012 Dirk Brantl

1. EINFÜHRUNG

1.1 Was ist Ökonomik? „Ökonomik ist die wissenschaftliche Reflexionsform der Ökonomie“, weiß das Handbuch der Wirtschaftsethik (1999) im Kapitel über ‚Das Zuordnungsverhältnis von Ethik und Ökonomik als Grundproblem der Wirtschaftsethik’ zu berichten.1 „In der Wissenschaft, die der deutsche Volksmund seit jeher und immerdar als Nationalökonomie bezeichnet hat, ist alles, was bestimmt sein sollte, unbestimmt“2, so eröffnet Werner Sombart 1929 seine Abhandlung über Die drei Nationalökonomien. Unbestimmt sei die Disziplin ihrem Gegenstand, ihren Erkenntnisweisen, ja selbst ihrer Namensgebung nach. Stellt man diese beiden Aussagen gegenüber, so ergibt sich der Eindruck, daß die Ökonomik in den siebzig Jahren zwischen den zitierten Werken deutliche Fortschritte gemacht habe, was den Prozeß ihrer wissenschaftlichen Selbstfindung angeht. Bei näherer Betrachtung freilich findet sich auf die Frage, was die Ökonomik denn sei, eine ganze Reihe von unterschiedlichen Antworten, die die optimistische Behauptung des ersten Zitats zu relativieren scheinen: − Ökonomik ist Praxäologie, die Lehre vom menschlichen Handeln (von Mises).3 − Ökonomik ist die Wissenschaft von der Allokation knapper Ressourcen zu beliebigen Zwecken (Robbins).4 − Ökonomik ist die Lehre vom Tausch (‚catallactics’, ‚catallaxy’: Whately, Buchanan, von Hayek).5 − Ökonomik ist die Wissenschaft von der Untersuchung dilemmatischer Interaktionssituationen (Homann).6 HdWE 1999, Bd. I, 834. Sombart 1929, 1. 3 Von Mises 1960, 3 f. 4 Robbins 1932, 16. 5 Hayek 1976, 108 f.; Buchanan 1979, 27; Buchanan würde allerdings den Begriff ‚symbiotics’ bevorzugen, um die Betonung auf den wechselseitigen Vorteil der Tauschhandlungen zu verstärken, s. ebenda. Der Begriff ‚catallactics’ wiederum geht auf Richard Whately zurück, der ihn schon 1832 verwendet; s. dazu auch Kap. 3.5. 1 2

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Einführung

Die sicher wirkungsmächtigste dieser Definitionen ist die knappheitsorientierte Definition von Lionel Robbins. Sie bestimmt den Gegenstand der Ökonomik als die Wahlhandlung, mit der Individuen ihre Präferenzen verwirklichen. Ähnlich die noch breitere Definition von Ludwig von Mises, die den Gegenstandsbereich der Ökonomik von dem anderer Sozial- und Verhaltenswissenschaften lediglich durch die Einschränkung auf den intentionalen Teil des Verhaltens von Individuen unterscheidet, ohne einen bestimmten gesellschaftlichen oder institutionellen Bereich abzugrenzen, in dem sie stattfinden. Demgegenüber beziehen sich James Buchanans und Friedrich von Hayeks Definitionen auf die Umstände, unter denen Tauschhandlungen zustande kommen sowie auf die Resultate, die diese zeitigen. Dabei verschiebt sich (in Buchanans Fall: explizit7) der Schwerpunkt der Untersuchung von der Verwirklichung von Präferenzen zu den Resultaten von Tauschhandlungen und von intendierten zu nicht-intendierten Ergebnissen: Adam Smiths ‚unsichtbare Hand’ und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen werden zum hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand in Buchanans und von Hayeks bedeutendsten Werken.8 Ohne Interaktion kann es hier kein ökonomisches Problem geben, während beispielsweise die Entscheidungen Robinson Crusoes vor der Ankunft Freitags auf der Insel Robbins’ Definition des Ökonomischen genügen würden.9 Interaktion ist aber nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Existenz eines ökonomischen Problems. Die Zusatzbedingung des Unterschieds zwischen den Individuen im Hinblick auf Angebot und Nachfrage – für in dieser Hinsicht vollständig identische Individuen besteht kein Grund, etwas auszutauschen –, die im Tauschgedanken vorliegt, wird schließlich von Karl Homann vollends auf die Untersuchung der Interaktionsstruktur reduziert. Seine dem zunehmenden Gewicht spieltheoretischer Untersuchungen in der Ökonomik10 Sorge tragende Definition stellt eine natürliche Entwicklung dar, indem sie das Tauschparadigma auf eine höhere Abstraktionsebene führt: Gegenstand der Untersuchung wird die Interaktionsstruktur selbst, das handelnde Individuum ist ein allgemeines geworden und stellt sich als hilfloses QuasiIndividuum dar, das intentionale Gestaltungsmacht nur noch zum Preis der eigenen Rationalität ausüben kann. Kann man diese unterschiedlichen, zum Teil geradezu widersprüchlichen Definitionen so in Einklang bringen, daß man über den UntersuchungsgeHomann 2002, 78 ff. Buchanan 1979, 20. 8 In Hayeks Sozialphilosophie bspw. in Hayek 1976, Kap. 10. 9 Buchanan 1979, 27. 10 Die Untersuchung entscheidungs- und spieltheoretischer Instrumente im Rahmen des ökonomischen Ansatzes findet sich bereits bei Höffe 1975, Kap. 3 und 1979, Kap. 12. 6 7