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ÖJZ:Herr Präsident, Sie sind seit 1980 Richter und Ihre Karriere hat. Sie durch alle ... Wie kann einer solchen Entwicklung allenfalls entgegen- gewirkt werden?
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[AKTUELLES]

ÖJZ aktuell Interview mit dem neuen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz ÖJZ 2012/11

ÖJZ: Herr Präsident, Sie sind seit 1980 Richter und Ihre Karriere hat Sie durch alle Instanzen der Gerichtsbarkeit bis an die Spitze des Obersten Gerichtshofs geführt. Welche markanten Veränderungen hat aus Ihrer Sicht die Justiz in diesen mehr als 30 Jahren erfahren? Ratz: Eine markante Änderung ist zweifellos, dass es bei meinem Dienstantritt als Richteramtsanwärter noch ganz außergewöhnlich war, wenn eine Frau „übernommen“ wurde. Brigitte Ciresa wurde ungefähr zeitgleich mit meiner Ernennung ans BG Feldkirch die überhaupt erste Richterin in Vorarlberg. Heute wird die Arbeit der Justiz bereits zum überwiegenden Teil von engagierten und hochqualifizierten Frauen getragen. In meiner unmittelbaren Arbeitswelt, wo in Senaten diskutiert und entschieden wird, wird durch das idR überlegene soziale Geschick von Frauen manche konfliktträchtige Situation zur Zufriedenheit aller aufgelöst. Also auch hier ein echter Gewinn! Die markanteste inhaltliche Veränderung ist für mich die ungeheure Bedeutung, welche Grund- und Menschenrechten in der modernen Justiz zukommt. Der OGH ist voll auf der Höhe der Zeit und setzt den Grundrechtsschutz in vielfacher Weise, teils mit sehr kreativen Ansätzen um. Das gilt für Zivil- und Strafrecht gleichermaßen. Das oberste Fachgericht in Zivil- und Strafrechtssachen versteht sich so zugleich als Verfassungsgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit und ist damit auch in dieser Beziehung oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen, wie es Art 92 B-VG verlangt. ÖJZ: In jüngerer Zeit ist in der Öffentlichkeit von einem Schwinden des Vertrauens in die Justiz die Rede. Wie beurteilen Sie dies? Wie kann einer solchen Entwicklung allenfalls entgegengewirkt werden? Ratz: Ich denke, dass da vieles bloß herbei geschrieben wird. Meine Erfahrungswelt ist eine andere. Ich sehe, dass weit überwiegend seriös und tatkräftig gearbeitet wird. Damit keine Möglichkeit besteht, aufgrund von Einzelfällen, die tatsächlich Kopfschütteln verursachen, auf das Versagen des ganzen Justizsystems zu schließen, halte ich es für verstärkt angezeigt, das Augenmerk auf die ganz wenigen Kollegen zu richten, die ihre Justizangehörigen und insbesondere Richtern gewährten Privilegien als persönliche begreifen und nicht willens sind, an sich selbst zu arbeiten. So sollte meines Erachtens die im § 57 Abs 1 RStDG enthaltene Fortbildungsverpflichtung von der Dienstaufsicht, bei der Bereitstellung entsprechender Ausbildungsformate und im Rahmen der Disziplinargerichtsbarkeit ganz konkret umgesetzt werden, wenn vereinzelt Kollegen nicht hinreichend bereit sind, sich anzustrengen. Dass die Standesvertretung die notwendige Selbstreinigungskraft von Richtern und Staatsanwälten im Auge hat, hat sie immer wieder, zuletzt besonders überzeugend bei der Verschärfung und Öffnung der Disziplinargerichtsbarkeit bewiesen. ÖJZ: Wie hat sich nach Ihren Erfahrungen die Strafprozessreform auf die Strafrechtspflege ausgewirkt? Von manchen wird einer legislativen Nachjustierung, von manchen sogar einer Rückkehr zum Untersuchungsrichter alten Stils das Wort geredet. Wie sehen Sie das? Ratz: Dass eine derart umwälzende Reform, wie sie 2008 von einem Tag auf den anderen stattgefunden hat, nicht reibungslos ÖJZ [2012] 03

vonstattengehen würde, war von vornherein klar. Was geleistet wurde, ist ohnehin beeindruckend. Die vielen jungen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die die Reform getragen haben, bekommen zunehmend Erfahrung. Und mit der Erfahrung wächst das Selbstbewusstsein, mit dem Selbstbewusstsein wiederum die Fähigkeit, einen Fall von vornherein klar durchzudenken und strukturiert an die Sache heranzugehen. Ein Kleinkind fällt bei seinen ersten Gehversuchen auch immer wieder um, um zuletzt erfolgreich zu sein. Ich warte jetzt einmal ab, was von Seiten des BMJ ins Auge gefasst wird, und möchte das bewerten, anstatt mich durch Zurufe wichtig zu machen. ÖJZ: Wie soll es mit der Reform des Strafverfahrens weitergehen? Ratz: Im Bereich des Haupt- und Rechtsmittelverfahrens sollten wir uns jedenfalls zuerst besinnen, wie sehr es denn wirklich nötig ist, das bewährte und schlanke österreichische System mit Versatzstücken aus anderen Rechtskreisen anzureichern. Unter dem Aspekt von checks and balances ist es durchaus möglich, dass etwa ein Beweisverbot, das im einen Rechtssystem unbedingt erforderlich ist, in einem ganz anderen Kollateralschäden hervorruft, die das Vertrauen in das Funktionieren des Strafrechts insgesamt in Frage stellen können. „Man muss es sich im Einzelfall genau überlegen, ob der Staat neben der Peinlichkeit einer Rechtsverletzung durch seine Organe nun auch noch bei der Verwirklichung des materiellen Strafrechts versagen soll“, wie es Platzgummer einmal auf den Punkt gebracht hat. Und dann scheinen mir Hauptverhandlung und Rechtsmittelverfahren in Österreich grundsätzlich effizient und durchaus auch fair strukturiert zu sein. Das heißt selbstverständlich nicht, dass Reform im Kleinen nicht stets notwendig ist. ÖJZ: Sie sind nicht nur Richter, sondern auch Honorarprofessor an der Universität Wien und angesehener Autor auf dem Gebiet des Strafrechts. Wie beurteilen Sie grundsätzlich das Verhältnis von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft? Ratz: Im Strafrecht, wo ich den Überblick habe, sehe ich bis auf einzelne Ausnahmen großen gegenseitigen Respekt. Jeder kann vom anderen lernen. ÖJZ: Ihre Vorgänger im Amt haben sich besonders für eine Verbesserung der Arbeitssituation der Richterinnen und Richter des Obersten Gerichtshofs, insbesondere durch Beiziehung wissenschaftlicher Mitarbeiter, eingesetzt. Was haben Sie in dieser Beziehung vor? Ratz: Ich schau mir das jetzt einmal ganz in Ruhe an und treffe dann meine Entscheidungen. ÖJZ: Noch eine Frage in eigener Sache: Die ÖJZ hofft, auch in Zukunft nicht auf Ihre wesentliche Mitwirkung am Evidenzblatt verzichten zu müssen. Hoffen wir zu Recht? Ratz: Ich mache meine Arbeit für das EvBl ausgesprochen gern. Sie gibt mir die Gelegenheit, dem Leser einen umfassenden Überblick über die aktuelle Rsp zu geben und ich selbst bleibe durch die Auswahl der Entscheidungen ebenfalls über alles informiert. Ich würde also gern weitermachen. 97