Ach, du schönes faules Ei! AWS

Science-Fiction-Roman wäre auch, daß sie in einem Anfall von Mitleid und Samariter- .... zum Teil viel Geld ausgegeben haben, um am Jahreswechsel 1999/2000 den Beginn des letzten Jahres des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung zu feiern, haben die Verstandesmenschen ein Jahr später ganz wohlfeil den Beginn ...
682KB Größe 3 Downloads 70 Ansichten
Titel: Ach, du schönes faules Ei! Neues Aphorismen-Mosaik des Menschentiers und seiner Welt Konzept und Herausgeber: EditionAutorDigital ISBN: 978-3-943788-14-3 Copyright: M.R.A. Rüdenauer, 2002, 2006 ff. Neubearbeitung 2012 als eBook Alle Rechte vorbehalten

Prof. Querulix

Ach, du schönes faules Ei! Neues Aphorismen-Mosaik des Menschentiers und seiner Welt

eBook-Ausgabe - Dem Nutzer ist bekannt, daß dieses Manuskript sowohl urheberrechtlich wie auch verlagsrechtlich geschützt ist. Mit dem Erwerb der Datei verpflichtet er sich ausdrücklich, diese Rechte zu wahren, insbesondere diese Datei nicht an Dritte weiterzugeben und nur maximal einen Ausdruck für den eigenen Gebrauch herzustellen. Hiervon abweichende Vereinbarungen, insbesondere solche der gewerblichen Nutzung, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verfassers.

4

5

Inhalt

1 Prolog: Ach, du schönes faules Ei! 7 2 Denken, Sprache, Wirklichkeit 13 3 Erziehung, Bildung, menschliche Reife 27 4 Szenen aus dem Menschentheater 33 5 Leben: Das individuell gestaltete Dasein 49 6 Staat und Demokratie 75 7 Von der Art und den Spielregeln des Zusammenlebens 81 8 Kommunikation und die Medien 101 9 Politiker und ihre Politik 111 10 Geld, Wirtschaft und Geschäft 127 11 Stichwortverzeichnis 139

6

7

1 Prolog: Ach, du schönes faules Ei! Zivilisation nennen wir den unsicheren Daseinszustand, den der Verstand des Menschen zeitweise seinen bestialischen Instinkten abzuringen in der Lage ist. Für Lebewesen von einem fernen anderen Stern, die imstande wären, ihren Verstand besser zu gebrauchen als es uns Menschen bis heute möglich ist, wäre die Welt, die sich die Menschheit auf der Erde geschaffen hat, bestimmt ein hochinteressantes, wenn auch nicht besonders erfreuliches Studienobjekt. Nach ihrer Landung auf unserem winzigen verlorenen Planeten würden sich die Außerirdischen wahrscheinlich zunächst verwundert die Augen reiben. Sie fänden den Menschen als die überlegene und alle anderen Arten beherrschende Art. Sie wären vielleicht beeindruckt von seinen großartigen wissenschaftlichen, technischen und organisatorischen Leistungen. Aber sie wären gewiß befremdet bei der Betrachtung des Menschen selbst, jenes außergewöhnlich entwickelten Lebewesens: eines wilden Tieres, das sich mehr anstrengt als zum bloßen Überleben notwendig wäre, das kocht und Gedichte macht, sich mit allem möglichen Tand umgibt, und das seine Dummheiten und Räubereien in vernünftige Gründe kleidet. Und geradezu entsetzt wären die weitgereisten Besucher vermutlich über das ebenso alberne wie brutale Kaspertheater, das die alles Leben auf der Erde beherrschende Spezies unaufhörlich miteinander veranstaltet, sowie über das Leid und das Elend, das sie dabei unaufhörlich ihresgleichen und der ganzen Erdennatur zufügt. Warum, würden sich die weitgereisten Forscher aus dem Kosmos fragen, ist es den genialen Denkern, Werkzeugmachern und Organisatoren nicht gelungen, auch Ethik und Moral auf dem hohen Niveau ihrer Technologien zu praktizieren? Warum waren sie nicht in der Lage, ihre Intelligenz ebenso nützlich auf die vernünftige Ordnung ihrer sozialen Verhältnisse anzuwenden wie auf die Entwicklung ihrer Techniken? Warum lassen sie es zu, daß extremer Egoismus, Scheinheiligkeit, Lüge, Machtgier, Niedertracht, Ausbeutung und Gewalt permanent ihr Leben vergiften und die Lebensqualität, die sie sich mit ihren herausragenden geistigen Fähigkeiten geschaffen haben, wieder zunichte machen? Warum verhalten sich hochintelligente Wesen, die nach und nach sämtliche Geheimnisse der Natur enträtseln und sich anschicken, ihre zukünftige Evolution selbst zu steuern, wie primitive Raubtiere? Sollten sich die Besucher nach ihrer langen Reise durch das All auf die Entdekkung intelligenter Lebewesen und eine von ihnen hochentwickelte Kultur gefreut haben, käme ihnen die Freude beim Anblick dessen, was die Erdenbeherrscher mit ihrer Intelligenz anfangen, wohl schnell wieder abhanden. Sie wären gewiß tief enttäuscht über die offensichtliche Unfähigkeit der Menschheit, ihre geistigen Fähigkeiten vernünftig, zum gemeinschaftlichen Wohl und zur Sicherung der Zukunft ihrer Art zu nut-

8

zen. Und sie wären bestimmt schockiert, mit welchem Eifer, ja Fanatismus die Menschheit ihre dummen Macht- und Ausbeutungsspielchen treibt und mit welcher Beharrlichkeit und Kreativität sie dadurch an ihrer psychischen und physischen Selbstvernichtung arbeitet. Warum benehmen sich diese seltsamen Wesen immer noch genauso wie ihre tierischen Vorfahren vor Millionen Jahren, würden sich die Außerirdischen vermutlich fragen, obwohl sie sich mit ihrem Verstand doch schon längst ein Paradies auf Erden hätten schaffen können? Von der höheren Warte ihrer geistigen Entwicklung aus würden die Erdbesucher wohl versuchen, sich ein Bild von den Ursachen dieses unklugen Verhaltens der Menschentiere zu machen. Vermutlich würden sie feststellen: Der Mensch ist das lebende Museum seiner Artgeschichte. Unter seiner fadenscheinigen kulturellen Verkleidung ist er immer noch das urzeitliche räuberische Rudeltier, von dem es seine Gene geerbt hat. An neuen Errungenschaften kann er seit seiner Abspaltung von der Affenlinie lediglich Werkzeuge und deren virtuose Beherrschung sowie besonderes organisatorisches Geschick vorweisen, Werkzeuge und Fertigkeiten, die er aber zu nichts anderem gebraucht als zum immer wirksameren Ausleben seiner uralten Instinkte. So besteht das, was die Menschen gerne Fortschritt nennen, vor allem in ausgefeilteren und wirksameren Methoden und Techniken des Rudelkampfes, des Beutemachens, der Machtausübung und der Ausbeutung der Schwächeren durch die Stärkeren. Der ständige archaische Kampf innerhalb der Menschenrudel und zwischen verschiedenen Menschenrudeln ist nach wie vor genauso alltäglich wie vor hunderttausenden Jahren. Nur seine Ausführung wurde im Laufe der Zeit weiterentwickelt: Durch immer feiner ausgearbeitete Ideologien zur Rechtfertigung von Machtausübung und Ausbeutung, durch betrügerische und scheinheilige Kommunikation, sowie durch die Perfektionierung der Organisationen und Werkzeuge. Skrupellose Ausbeuter und Gutmenschen ziehen dabei am gleichen Strang: die einen beherrscht von ihrem Machttrieb und ihrer Beutegier, die anderen voller Furcht, mit selbständigen Urteilen unter ihresgleichen unangenehm aufzufallen, oder – aus Furcht, Fehler zu machen – unfähig zu selbständigem kritischen Denken und Handeln. Statt sich mit ihren geistigen Fähigkeiten die Erde untertan zu machen, versuchen die Menschen vor allem einander untertan zu machen – jede neue Entdeckung und Erfindung sowie sämtliche politischen Ideen und Ideologien liefern dazu unaufhörlich neue Gründe und Mittel. Wissen und Werkzeuge, die ausschließlich zur Förderung des allgemeinen menschlichen Wohls gebraucht werden könnten und sollten, werden mit nahezu naturgesetzlicher Sicherheit mißbraucht. Die außerirdischen Forscher könnten angesichts der sozialen Nutzung der geistigen Errungenschaften des Menschen von einer hoch entwickelten intelligenten Dummheit sprechen, die sich permanent selbst ihre

9

Voraussetzungen zur Weiterentwicklung schafft, sozusagen ihren eigenen evolutionären Prozeß zu immer intelligenterer Dummheit vorantreibt. Offensichtlich stehen dem vernünftigen Gebrauch der geistigen Fähigkeiten des Menschen seine uralten Rudeltierinstinkte im Wege. Sie, die seiner Art lange Zeit hindurch das Überleben sicherten und ihr die Herrschaft über alles Erdenleben ermöglichten, erweisen sich unter den Bedingungen der heutigen, vom Menschen selbst geschaffenen künstlichen Welt, als überlebensgefährdende Altlasten. Angesichts der hochentwickelten Arbeitsmethoden und Werkzeuge, deren sich diese tierischen Instinkte heute bedienen können, wachsen die dadurch angerichteten psychischen, sozialen und materiellen Schäden allmählich ins Unermeßliche. Was einstmals dem Überleben und der Weiterentwicklung der Art nützlich war, hat sich längst umgekehrt in einen selbstverstärkenden Vernichtungsprozeß. Die außerirdischen Besucher würden nach näherer Untersuchung der Antriebe menschlichen Verhaltens wahrscheinlich zu der Überzeugung gelangen, daß der Mensch Gefangener seines evolutionären Entwicklungsstandes ist. Solange seine tierischen Instinkte im Zweifel seinen Verstand beherrschen und für ihre Zwecke instrumentalisieren, wird der Mensch sich selbst sein ärgster Feind bleiben und jeder echte soziale Fortschritt zu einem Leben in Würde, Freiheit und Frieden für alle muß eine Illusion bleiben. Die Entwicklung der Menschheit scheint in einer evolutionären Sackgasse zu verlaufen, aus der es kein Entkommen gibt. Wir wissen nicht, ob die Außerirdischen nach diesem Befund achselzuckend wieder in ihre Raumschiffe steigen und enttäuscht die Heimreise antreten würden, vielleicht mit dem Vorsatz, in ein paar tausend Jahren wieder einmal nachzuschauen, was sich inzwischen auf der Erde getan hat. Denkbar und eine interessante Idee für einen Science-Fiction-Roman wäre auch, daß sie in einem Anfall von Mitleid und Samaritertum versuchen würden, die Menschheit vor ihrer Selbstvernichtung zu retten. Wir wollen uns aber nicht mit Spekulationen über mögliche Ereignisse aufhalten, mit denen weniger gerechnet werden kann als mit dem Gewinn des Jackpots im Zahlenlotto. Aus kosmischer Sicht läßt sich augenblicklich nur feststellen: Die Erde ist ein Nichts, aus dem die Menschen alles machen – nur nicht das Beste. Im Gegenteil: Indem sie als Einzelwesen und Grüppchen für sich persönlich das Beste erstreben, machen sie oft das denkbar Schlechteste aus den Möglichkeiten, die sich ihnen und ihren Mitmenschen bieten. Dem natürlichen Egoismus und Machtstreben fehlt offenbar ein ausreichendes Gegengewicht an Verantwortungsbewußtsein für die menschliche Gemeinschaft und ihre Lebenswelt. Unter der Herrschaft des Menschen ist deshalb auf diesem Planeten eine Lebenswelt entstanden, die auf zwar den ersten Blick und oberflächlich betrachtet recht gut aussieht und viele Annehmlichkeiten zu bieten scheint – jedenfalls für einen Teil der Menschheit. Das glanzvolle Äußere täuscht jedoch. Bei genauerem Hinsehen wird

10

deutlich, daß viele der vermeintlichen Fortschritte und Errungenschaften nicht mehr als eitler Selbstbetrug sind. Und von dem, was tatsächlich als Verbesserung gelten kann, hat die überwältigenden Mehrheit der Menschen wenig oder gar keinen Nutzen, nicht selten nur den Schaden. Und das gilt für alle Erdteile und Kulturen gleichermaßen. Während die einen aber „nur“ unter Lügen, Scheinheiligkeit, Betrug und Ausbeutung leiden, teilweise auf höchstem zivilisatorischen Niveau, müssen die anderen zusätzlich noch Armut, Hunger und Gewalt ertragen. Die Menschenwelt erinnert an ein faules Ei, dessen Zustand man auch nicht auf den ersten Blick erfährt. Die Wahrheit liegt unterhalb der Oberfläche von Egoismus, Machtgier, Gleichgültigkeit, Unwissenheit, Selbsttäuschung, Scheinheiligkeit und Lüge verborgen. Wer sie ergründen möchte, muß seine Bequemlichkeit überwinden, muß sich aufraffen, die Schale des äußeren Scheins zu durchstoßen und das Innere zu probieren. Erst dann kann er sich ein Urteil bilden. Das erfordert offene Sinne und Mut zum querdenken. Doch Vorsicht! Auch faule Eier haben ihre Liebhaber und Nutznießer. Sei es, daß sie allein durch die Ästhetik der äußeren Form genügend Befriedigung finden und den inneren Zustand einfach ignorieren, oder sei es, daß es gerade der Geruch und der Geschmack der Verwesung ist, der ihnen besonderen Genuß bereitet. Im Hinblick auf individuelle menschliche Vorlieben und Abneigungen ist immer schon alles möglich gewesen. Wir haben nicht die Absicht, über diejenigen zu richten, die mit der Welt, wie sie ist, zufrieden sind – aus welchen Gründen auch immer. Denn was macht uns eigentlich so sicher, daß der andere der Narr ist, wenn einer anders denkt oder anders handelt als wir es an seiner Stelle täten? Wir wollen nicht den Fehler machen, unsere subjektive Perspektive zu verabsolutieren und den besseren Gebrauch des individuellen Verstandes im Interesse des menschlichen Allgemeinwohls mit missionarischem Eifer zu propagieren. Denn wir kennen ebenso wenig wie jeder andere Mensch das Ziel der Evolution – wenn es überhaupt eines gibt. Deshalb schütteln wir über das, was die Menschheit so anstellt, mit nicht mehr Berechtigung den Kopf als wir das zum Beispiel über die unbequeme Auswirkung der Schwerkraft auf unser Leben tun könnten. Die Menschen sind eben so, wie sie seit Jahrtausenden sind. Wir können nur subjektiv über sie urteilen, und das ist – auch wenn wir es noch so logisch oder moralisch begründen oder rechtfertigen – niemals allgemein verbindlich. Man könnte sich allenfalls mit möglichst vielen Mitmenschen darauf einigen. Aber auch dann wäre noch nicht viel gewonnen. Über Unabänderliches, weil genetisch Prädisponiertes, zu streiten, lohnt sich ohnehin nicht. Denn Instinkte und Gefühle sind nun einmal naturgegeben bei allen Menschen sehr viel stärker als der Verstand. Deshalb haben Konstruktionen des Verstandes, wie Tugenden und Moral, seit Bestehen menschenähnlicher Wesen ständig Schwierigkeiten, allgemeine Anerkennung und Förderung zu finden. Mit diesem Erbe wird unse-

11

re Art noch so lange leben und sterben müssen, bis die Evolution unsere Nachfahren einst von den Fesseln unserer tierischen Instinkte erlöst und zu anderen – vernünftigeren – Menschen gemacht haben wird. Wenn sie es jemals tut. Vielleicht ist der Mensch ja auch wirklich nur ein Irrläufer der Evolution, wie Arthur Koestler meinte. Wir und unsere Kinder, Enkel, Urenkel und weitere Generationen werden das aber trotz des in Zukunft wahrscheinlichen erfolgreichen Ge- und Mißbrauchs der Gentechnik ganz sicher nicht mehr erleben. Bis dahin muß der Mensch mit sich und seinesgleichen zurechtkommen, wie er nun einmal ist. „Humor ist Erkenntnis der Grenze, verbunden mit grenzenloser Erkenntnis“, definierte Gerhart Hauptmann. Praktizieren wir angesichts des menschlichen Dramas genau diese Art von Humor! Akzeptieren wir das Unabänderliche, den gegenwärtigen Stand der menschlichen Evolution mit seinen bedauerlichen Folgen für das persönliche Glück vieler Menschen und die Verfassung der menschlichen Gesellschaft. Nehmen wir den Menschen so, wie er beim gegenwärtigen Stand seiner evolutionären Entwicklung nun einmal ist: ein Tier, hin- und her gerissen zwischen der Macht seiner selbst geschaffenen Symbole und der Kraft seiner ererbten Instinkte, ein geistiger Gigant, hilflos treibend in den Fluten seiner Emotionen. Lächeln wir über den Mantel der Lüge und der Scheinheiligkeit, in den sich die größten und skrupellosesten Raubtiere der Erde schon so lange gewohnheitsmäßig hüllen, daß ihnen kaum noch bewußt ist, wie sie sich selbst und ihre Artgenossen über die wahren Triebkräfte ihres Denkens und Handelns hinwegtäuschen. Wer diesen individuell und kollektiv verübten Selbstbetrug als Dummheit abzukanzeln geneigt ist, sollte bedenken, daß er sicherlich das wirksamste Mittel gegen die Schmerzen der Selbsterkenntnis ist. Der Wahrheit können wir nicht entrinnen. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in der Welt einzurichten, wie sie ist: eigene Dummheiten – so wir sie rechtzeitig als solche erkennen – möglichst zu vermeiden und uns, so gut es geht, vor den Auswirkungen der Dummheiten anderer zu schützen. Tugendhaft zu leben, darin auch Vorbild zu sein, bleibt uns unbenommen. Nur dürfen wir nicht blauäugig voraussetzen, daß alle unsere Mitmenschen das respektieren, uns vielleicht sogar dafür dankbar sein werden. Darüber hinaus haben wir alle Freiheit, die tragikomische Menschenwelt zu beobachten, über das Wahrgenommene zu staunen, zu lachen oder zu weinen und wie weiland Goethen unsere Betrachtungen darüber anstellen. Unser Humor wird uns dabei vor allzu großen psychischen Traumata bewahren. Querdenkerische Betrachtungen wie die folgenden können immer nur Schlaglichter sein, die aus einer bestimmten subjektiv-kritischen Perspektive auf die Menschenwirklichkeit geworfen werden. Sie sollen weder belehren noch bekehren. Ihr einziger Zweck ist es, in möglichst vielfältiger Weise zum Nachdenken anzuregen. Sie sollen die Subjektivität und Janusköpfigkeit unserer Urteile und Überzeugungen bewußt machen und damit beim Leser eine gesunde geistige Unruhe stiften. Denn nur der unruhi-

12

ge Geist ist in der Lage, die Selbstverständlichkeiten der menschlichen Kultur in Frage zu stellen. Denn nur er kann sie als die (zufällige?) Verwirklichung lediglich einer einzigen Möglichkeit aus einem unendlichen Repertoire von Möglichkeiten menschlicher Entwicklung erkennen. Und nur der unabhängige (soweit das überhaupt möglich ist) Geist ist motiviert, nach den Gründen für diese "Entscheidung" des Menschentiers zu forschen. In der vorliegenden Sammlung von Gedankensplittern, Aphorismen, Definitionen, Fabeln und Versen sind wiederum Ergebnisse zahlreicher Beobachtungen und Betrachtungen über das wunderliche Menschentier und seine Welt zusammengefaßt. Damit setzt Prof. Querulix seine erste Veröffentlichung nachdenklicher, kritischer, entlarvender, spöttischer, bissiger, aber durchaus auch humorvoller Be- und Anmerkungen zum Menschentum auf dieser Erde fort, die unter dem Titel Ein Jahr2000Problem – und sonst nichts? im gleichen Verlag erschienen ist.

13

2 Denken, Sprache, Wirklichkeit Sprache liefert zugleich Werkzeuge und Baupläne des Denkens. Wer die Sprache kontrolliert, bestimmt das Denken und damit die Wirklichkeit der Menschen. 2.1 Gehirn Eine noch zu klärende Frage: Hat der Mensch sein Gehirn oder hat das Gehirn seinen Menschen?

Die modernen Bodenschätze sind gut entwickelte Gehirne. Wie Bodenschätze erst nützlich werden, nachdem man sie verarbeitet hat, werden auch Gehirne erst nützlich, wenn sie Nachdenken – bewußtes Denken in komplexen Zusammenhängen – gelernt haben.

14

Es ist durchaus nicht sicher, daß man seinen Kindern immer einen Gefallen tut, wenn man ihnen die Lust am Nachdenken vermittelt. Nachdenker leben unbequemer. Auch in sogenannten freiheitlichen Gesellschaften! Gehirne kann man – leider – auch anders nutzen, als zum Nachdenken, z.B. wie einen Computer, der nur Programme und Befehle befolgt. Der Unterschied zwischen Intelligenz und Klugheit entspricht dem zwischen dem bloßen Besitz eines Computers und seiner nützlichen Anwendung. 2.2 Denken und Bewußtsein So, wie der Mensch denkt, so wird er. Beobachten heißt, im Wechselspiel der äußeren Reize mit inneren Vorgängen ein Bild von dem Beobachteten in sich zu erzeugen; also nicht Abmalen oder Fotografieren, sondern Konstruieren. Definieren heißt, Gefundenes in Begriffen des eigenen Weltbildes auszudrücken. Da die Definition in der Regel durch undefinierte Begriffe erfolgt, sind Definitionen nicht mehr als kommunikative Hilfskonstruktionen zu Erleichterung der menschlichen Kooperation. Da sie subjektiv konstruiert werden, sind sie keine Wahrheiten, sondern lediglich Sichtweisen (Perspektiven) der Wahrheit. Dem Denkenden erscheinen mit der Zeit immer weniger Dinge selbstverständlich.

15

Allzu häufig sind Macher gefragt, wo Denker gebraucht würden. Der Intellekt ist diejenige Wahrnehmungs- und Denkweise, die einen Menschen daran hindert, einfach so zu funktionieren, wie man es von ihm verlangt. Während weltweit hunderte Millionen Gefühlsmenschen zum Teil viel Geld ausgegeben haben, um am Jahreswechsel 1999/2000 den Beginn des letzten Jahres des 2. Jahrtausends unserer Zeitrechnung zu feiern, haben die Verstandesmenschen ein Jahr später ganz wohlfeil den Beginn des ersten Jahres des 3. Jahrtausends gefeiert. Die Mathematik ist eine Methode abstrakter Weltbeschreibung, die meistens auf Voraussetzungen beruht, die nicht gegeben sind. 2.3 Sprache Sprache ist als Mittel der Verständigung (Kooperation) entstanden, und nicht um einander zu verstehen. Dieser feine Unterschied wird meistens übersehen. Alle Sprache wurzelt in der Körpersprache. Ein Begriff ist der Name, den wir einer Wahrnehmung oder einer Erkenntnis geben. Wir begreifen, indem wir das, was wir wahrnehmen, in unseren Sprachschatz aufnehmen und es damit ausdrückbar machen.