ABSCHIED NEHMEN

Niemand denkt gerne an Abschied, an Vergänglichkeit, Sterben und Tod. In Wirklichkeit aber ist unser Leben seit seinem Beginn geprägt von Anfängen und ...
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ABSCHIED NEHMEN Niemand denkt gerne an Abschied, an Vergänglichkeit, Sterben und Tod. In Wirklichkeit aber ist unser Leben seit seinem Beginn geprägt von Anfängen und Abschieden, vom Werden und Vergehen. Ein Abschied muss nicht grundsätzlich traurig oder schmerzlich sein. Es gibt Abschiede, die fröhlich, ja sogar mit einer Aufbruchsstimmung verbunden sind und Trennungen, die ungeduldig erwartet werden! Abschiede sind oft schwierig; Abschied nehmen gelingt nicht immer problemlos, ist aber unvermeidlich. Auch wenn es noch so schwer fällt, sich von Erwartungen und Wünschen, von Vorstellungen und Bedürfnissen, von vertrauten Gegenständen oder liebgewordenen Menschen zu trennen - loslassen muss ich schließlich doch. Ein Abschied gibt die Sicherheit, dass etwas vergangen ist. Wer den Gedanken an Vergänglichkeit, Sterblichkeit und Endlichkeit des Daseins verdrängt, wer bis zum Ende seines Lebens dem Gedanken an den Tod ausweicht, wird trotzdem sterben. Sich seiner Vergänglichkeit zu stellen und Abschied zu nehmen von den großen und wichtigen Dingen des Lebens fällt, schwer. Hier kommt uns zu Hilfe, dass wir im Laufe des Lebens immer wieder von vielen kleineren und größeren Dingen von vertrauten Gegebenheiten und von Menschen, die für uns wichtig geworden sind, Abschied nehmen müssen. Dadurch können wir Abschied nehmen einüben; wenn wir es bewusst tun, helfen die vielen kleinen Abschiede, uns einzuüben auf den Umgang mit großen Abschieden. Dinge, die vergänglich sind, bewusst loslassen, hilft, mit dem Gedanken umzugehen, dass auch mein Leben vergänglich ist. Doch wie immer gibt es auch hier zwei Seiten. Die Bibel warnt immer davor, das Herz an vergängliche Dinge zu hängen, sie festzuhalten und ihnen damit einen Wert zu geben, der ihnen nicht zukommt. Sie redet diese nicht schlecht. Im Gegenteil: sie schätzt diese und ruft auf, sie zu nutzen und sich daran zu freuen und für alles, was sie ermöglichen, dankbar zu sein. Dies gilt für Besitz, für den Umgang mit der Schöpfung und vor allem für die Beziehungen, in denen wir leben. Sie haben ihren Sinn und ihren Wert, und gerade ihre Vergänglichkeit und Zerbrechlichkeit macht sie wertvoll. Der Wert, den sie für uns darstellen, lässt sie uns festhalten, manchmal so fest, dass wir uns nicht vorstellen können, dass es auch etwas anders gibt. An etwas fest zu halten gibt zwar Sicherheit, bindet aber auch Kräfte und verhindert eine andere Sichtweise. Etwas loslassen macht unsicher, aber auch frei für Neues. So bedeutet ein Abschied immer Übergang von einem zum andern, und Abschiednehmen bedeutet nicht nur, etwas zu verlieren, sondern auch den Beginn von etwas Neuem: eines neuen Lebensabschnittes, einer tieferen Verstehens- und Sichtweise, einer anderen Form des Umganges mit Dingen und Menschen. In der Tradition der Mystik ist sehr bald ein Bewusstsein dafür entstanden, dass Lebenskunst und Zufriedenheit mehr in der Kunst des Loslassens besteht als im Reichtum des Habens – und dass Glück nicht so sehr im Erreichen des Gewollten zu finden ist als vielmehr im Wahrnehmen dessen, was uns geschenkt ist. Wer einen Abschied als Beginn von etwas Neuem, als Beginn einer Weiterentwicklung betrachten kann, dem wird es gelingen, auch Sterben und Tod von einer anderen Seite zu sehen. Dazu braucht es aber die Bereitschaft, Dinge für möglich zu halten, die wir uns mit unseren menschlichen Gedanken und Mitteln nicht vorstellen können, aber in Gottes Macht und Möglichkeiten liegen und uns im Glauben offen stehen. Jesus macht uns darauf aufmerksam mit seinen Worten von der falschen und der rechten Sorge. (Mt 6, 19-34) Er möchte auf das rechte Maß zwischen dem Gebrauch der Dinge und der eigenen Verantwortung hinweisen und den Blick und die Offenheit für das schärfen, was darüber hinaus möglich ist, wenn wir uns Gott anvertrauen. Im Johannesevangelium bringt Jesus den Aposteln eine andere Sichtweise vom Abschiednehmen nahe. Er spricht davon, dass er bald nicht mehr in der gewohnten Art und Weise unter seinen Jüngern weilen werde, nennt dies seine Rückkehr in das Haus des Vaters, die geschieht, um den Aposteln eine Wohnung vorzubereiten. (Joh 14,1-14) Sterben ist demnach mit einem Wohnungswechsel vergleichbar. Ein Umzug in eine andere, passendere Wohnung ist fällig. Ein Umzug ist zwar immer mit unangenehmen Begleiterscheinungen verbunden, macht jedoch aufs Ganze gesehen Sinn, noch dazu, wenn ausreichend passender Wohnraum vorhanden ist und der Umzug außerdem bewirkt, in unmittelbarer Nähe „des Vaters“ zu sein, also dort, wo wir uns letztlich hin sehnen, an den Ort, der

Heimat und Geborgenheit ist. Wer wünscht das nicht allen, die ihm nahestehen? Wer möchte das nicht für sich selbst? Und wer ist nicht der Meinung, dass das Leben eines Menschen nicht umsonst gewesen ist, sondern seinen Sinn (gehabt) hat? „Wenn dir ein Narr erzählt, dass die Seele mit dem Körper zusammen vergeht und dass, was einmal tot ist, niemals wiederkommt, so sage ihm: Die Blume geht zugrunde, aber der Samen bleibt zurück und liegt vor uns, geheimnisvoll, wie die Ewigkeit des Lebens.“ (Khalil Gibran, der Prophet)