INTERVIEW MIT DR. MED. PATRICK EGGER
«BEWEGUNG IST GANZ WICHTIG FÜRS HERZ»
Welche Herausforderungen kommen in Zukunft
Arbeiten Ärzte in den Bergen anders
auf Schweizer Spitäler zu?
als in der Stadt?
Der finanzielle Druck auf die öffentlichen Spitäler
Eigentlich nicht, aber vielleicht macht man hier
nimmt zu. So wird auch vom Spital Oberengadin
etwas pragmatischer Medizin als in der Stadt.
erwartet, dass es unternehmerisch geführt wird und möglichst schwarze Zahlen schreibt. Für die
Wie meinen Sie das?
zunehmende Feminisierung des Arztberufes sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit
Die Ansprüche der Bergbevölkerung unterschei-
die Berufstätigkeit mit einer Familie vereinbar ist.
den sich zu jenen der urbanen Zentren. Im Dialog mit den Patienten können wir eine gute und
Dr. Med. Patrick Egger ist seit Juli 2015 Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Spital Oberengadin. Im Interview zieht er Bilanz und erzählt uns mehr über seinen
Wie beurteilen Sie die Behandlungsqualität und
vertretbare Medizin betreiben. Das bedeutet zum
die Infrastruktur am Spital Oberengadin im
Beispiel, dass wir bei älteren Patienten vernünftige
Vergleich zu Stadtspitälern?
Abklärungen durchführen.
Fachbereich Kardiologie. Wir haben eine ausgezeichnete Infrastruktur.
Sie sind Kardiologe. Ist es nun gesund oder nicht,
Hier bieten wir alles an, was man von einem
das ganze Jahr auf 1800 Meter über Meer zu leben?
Herr Egger, darf man einen Arzt fragen wie es
Sie sind seit 1995 mit Unterbrüchen im Spital
peripheren Spital erwarten kann. Durch die drei
ihm geht? Wenn ja, wie geht es Ihnen?
Oberengadin tätig. Wissen sie noch wer damals
internen Spezialisten für Lungen-, Herz-
Für gesunde Menschen spielt die Höhe keine
Formel-1-Weltmeister war?
und Magendarmerkrankungen sind wir sehr gut
Rolle. Bei Lungenkranken kann die Höhe
Ja klar, wir sind ja auch nur Menschen. Danke,
aufgestellt. Zusätzlich bieten Fachärzte vom
problematisch sein, weniger bei Herzkranken.
es geht mir gut.
(lacht) Keine Ahnung! (Anmerkung der Redak-
Kantonsspital Graubünden Sprechstunden für
tion: Michael Schumacher mit Benetton-Renault)
Krebskranke und Patienten mit Gefässerkran
Warum haben Sie sich überhaupt für die
kungen bei uns an. Das erspart den Patienten
Spezialisierung Kardiologie entschieden?
Sie sind seit bald einem Jahr Chefarzt der Medizinischen Klinik am Spital Oberengadin.
Was hat sich seit Ihren Anfängen im Spital
Wie hat sich Ihre Rolle seit Ihrer Beförderung
Oberengadin verändert?
den Weg nach Chur. Mich hat das Herz schon immer fasziniert. Es schlägt rund 100 000 Mal pro Tag, ist das
verändert? Die Patienten sind besser informiert und kritischer Ich übernehme mehr Führungsaufgaben als
als früher. Sie wollen häufiger und schneller
vorher, was mir viel Freude bereitet. Das bringt
abgeklärt werden. Die Untersuchungen werden
aber auch mehr organisatorische Verpflichtungen
zunehmend ambulant durchgeführt, was zu einer
und Sitzungen mit sich. Dabei versuche ich,
Abnahme im stationären Bereich führt.
nicht unglaublich?
die Arbeit mit den Patienten nicht zu vernach lässigen. Deshalb gibt es am Wochenende
Und was das Angebot angeht?
und frühmorgens zusätzliche Arbeitsstunden. Aber ich werde sehr gut von meinen Kollegen
Das hat sich seit 1995 stark verändert. Damals
unterstützt. Wir sind ein gutes Team.
hatten wir neben dem internistischen Chefarzt einen leitenden Arzt mit Subspezialität «Pneu
Und welches Fazit ziehen Sie nach bald einem
mologie» und einen internistischen Oberarzt.
Jahr als Chefarzt?
Heute decken wir zu viert im Kader mit der Kardiologie, Gastroenterologie und Pneumologie
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Ich bin froh, dass ich mich für diese Stelle bewor-
drei Fachbereiche der Inneren Medizin ab.
ben und sie bekommen habe. Mit gut 50 Jahren
Diese Spezialisten sind nicht nur fürs Spital Ober-
eine neue Funktion zu erhalten, ist eine willkom-
engadin da, sie sind auch wichtige Konsiliarärzte
mene Herausforderung.
für unsere Kollegen in den Hausarztpraxen. 27
Sie würden also wieder Kardiologe werden wollen. Ja, sicher.
Ist das gesund fürs Herz? Ja, auf jeden Fall, Bewegung ist ganz wichtig fürs gesunde und kranke Herz.
Welche sind die häufigsten Eingriffe, die Sie machen?
Ist das Engadin dafür geeignet, sich nach einer
Dr. med. Patrick Egger
Herz-Operation zu erholen? Im Spital Oberengadin beschränken wir uns
Dr. med. Patrick Egger war vor seiner
bei Herzkranken auf die Diagnostik und medi
Leider haben wir zu wenig Patienten, um eine
Ernennung zum Chefarzt 13 Jahre leitender
kamentöse Therapien. Diese beinhalten vor
institutionalisierte Rehabilitation anzubieten.
Arzt für Kardiologie in der Klinik für
allem Ultraschalluntersuchungen des Herzens,
Das ist schade, denn das Engadin eignet sich mit
Innere Medizin am Spital Oberengadin.
Belastungstests, EKG-Untersuchungen und
seiner Infrastruktur eigentlich sehr gut dafür,
Der 52-jährige absolvierte sein Medizin
Schrittmacherkontrollen. Patienten, die Eingriffe
die Höhe des Tals spielt dabei übrigens keine Rolle.
studium von 1982 bis 1988 in Zürich.
benötigen, überweisen wir in der Regel nach
Aber es gibt ein Projekt, das auf die Rehabilitation
Während seiner Assistenzzeit arbeitete er
Chur oder Zürich.
von Patienten abzielt.
am Regionalspital Herisau und am Kantons spital Graubünden, am Departement für
Mit welchen Krankheitsbildern kommen Patienten
Sie haben regelmässig in Poschiavo eine
Innere Medizin und auf der Intensivstation.
zu Ihnen?
Sprechstunde. Wie läuft diese Kooperation?
Von 1995 bis 1998 war er als Oberarzt am Spital Oberengadin, Bereich Innere
Mit Durchblutungsstörungen am Herzen, Herz-
Ich bin ca. alle zwei Wochen einen Tag im
Medizin, tätig. 2001 wurde er Facharzt für
klappenerkrankungen oder Rhythmusstörungen.
Ospedale San Sisto in Poschiavo. Vorher habe ich
Kardiologie. Während seiner Ausbildung
Patienten, die zu uns kommen, haben oft
pro Jahr etwa 50 Patienten aus dem Puschlav
war er Assistenzarzt auf der kardio
Symptome wie Brustschmerzen, Atemnot oder
im Spital Oberengadin behandelt. Seit ich regel-
logischen Klinik am Kantonsspital St. Gallen
hohen Blutdruck. Manchmal geht es auch
mässig runter fahre, sehe ich ca. 170 Patienten pro
und am Stadtspital Triemli in Zürich.
um Herzgeräusche oder Ohnmachtsanfälle.
Jahr. Dieser Service wird von der Bevölkerung und von den Hausärzten sehr geschätzt.
Sind die Engadiner fitter als der Durchschnittsschweizer?
Wie unterscheiden sich die Patienten in Poschiavo von den Engadiner Patienten?
Ja, ich glaube schon. Hier oben sind die Leute fitter als Stadtbewohner. Wahrscheinlich weil
Der Puschlaver geht nicht so schnell zum Arzt.
wir ein Paradies vor der Haustüre haben, das
Er wartet lange und manchmal kommt es deshalb
zum Bewegen anregt.
kurz nach der Diagnose zu einem Eingriff.
Gilt das auch für die älteren Einheimischen?
Wollten Sie schon immer Arzt werden?
Speziell für die. Es ist immer faszinierend, wenn
Nein, meine Eltern hatten eine Bäckerei und
70- oder 80-jährige Leute fast jeden Tag auf die
eigentlich wollte ich diese übernehmen.
Skipiste, Loipe oder im Sommer wandern, biken
Aber ich war naturwissenschaftlich sehr interessiert
oder auf den Golfplatz gehen.
und besuchte deshalb die Mittelschule. Der Rest hat sich dann ergeben.
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Auch die Spitalkarriere?
Gibt es das oft, dass Nicht-Engadiner zu Ihnen kommen?
Ja, denn ich wollte zuerst Hausarzt werden. Nachdem ich Internist geworden bin, hat mich
Ja, und das freut mich sehr. Einige Patienten, die
dann die Fachrichtung Kardiologie nicht mehr
bei uns in Behandlung waren, kommen für
losgelassen.
Nachuntersuchungen wieder zu uns. Gerade wenn sie eine Zweitwohnung im Engadin besitzen. Wie ist das Leben als Chefarzt in einem kleinen Hochtal wie dem Engadin? Rufen Sie am Skilift:
Gerade letztes Jahr wurde ein Patient auf der
Die Klinik für Innere Medizin befasst sich mit sämtlichen Erkrankungen der inneren Organe.
Können Sie sich an einen eindrücklichen Fall Ihrer Arztlaufbahn erinnern?
INNERE MEDIZIN SPITAL OBERENGADIN
«Lassen Sie mich mal durch, ich bin Arzt?»
Skipiste ohnmächtig. Wir haben bei ihm einen Riss
Sie untersucht und behandelt Krankheiten mit modernsten Mitteln. Alle diagnostischen und
1423 Endoskopien
therapeutischen Massnahmen richten sich dabei
in der Aorta (Hauptschlagader) festgestellt –
(lacht) Nein, man merkt einfach, dass die Leute
nach den anerkannten wissenschaftlichen
ein absoluter Notfall, der in mehr als 50 % der Fälle
wissen, wer ich bin, obwohl ich sie nicht unbedingt
Standards.
tödlich endet. Wir haben den Patienten schnells-
kenne. So werde ich zum Beispiel am Laret-Markt
tens nach Zürich geflogen und eine Woche nach
angesprochen. Privilegien sind mir nicht wichtig.
der Operation war er wieder zu Hause. Er ist diese
Ich will einfach Freude an meinem Beruf haben
Saison wieder am Skifahren.
und dass sich die Patienten bei uns gut aufgehoben
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stationäre Patienten
und betreut fühlen. Ein Einheimischer? Nein, er war ein Gast aus dem Unterland.
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10 Fa k t e n ü b e r D r. m e d . P a t r i c k E g g e r
ambulante Konsultationen auf der medizinischen Klinik
Kommt ursprünglich aus der Stadt St. Gallen, wo er aufgewachsen ist. Hat einen Sohn und eine Tochter im Alter von 10 und 8 Jahren. Ist regelmässig sportlich aktiv – beim Joggen, auf dem Tennisplatz, auf der Loipe und Skipiste sowie mit dem Strassenvelo und dem Mountainbike. Sein Italienisch ist gut genug, um sich mit italienischsprachigen Patienten verständigen zu können. Fährt einen VW Sharan. Isst am liebsten Cordon Bleu und kocht selten selbst. Seine Frau würde sagen, er koche nie. Liest vor allem medizinische Fachliteratur. Für ein Buch fehlt ihm meist die Zeit. Fährt diesen Frühling mit seiner Familie nach Mallorca – u. a. zum Velofahren. Schaut seit seiner Beförderung praktisch kein TV mehr.
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