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05.09.2014 - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gewährleistung einer unionsrechtskonformen Anwendung der Neuregelung des Optionsverfahrens im ...
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Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode

Drucksache

18/2484 05.09.2014

Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Özcan Mutlu, Britta Haßelmann, Renate Künast, Monika Lazar, Nicole Maisch, Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gewährleistung einer unionsrechtskonformen Anwendung der Neuregelung des Optionsverfahrens im Staatsangehörigkeitsrecht

Am 3. Juli 2014 hat der Deutsche Bundestag das Zweite Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes beschlossen, das nun dem Bundesrat zugeleitet worden ist. Mit dem Gesetz soll die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsgesetz modifiziert werden. Bislang müssen sich im Inland geborene Kinder ausländischer Eltern vor Vollendung des 23. Lebensjahrs grundsätzlich zwischen der deutschen und ihrer durch Abstammung erworbenen weiteren Staatsangehörigkeit entscheiden. An diesem Grundsatz wird festgehalten, doch sieht die Neuregelung Ausnahmen vor, in denen Mehrstaatigkeit hingenommen werden soll. Dies betrifft einerseits Kinder, die neben der deutschen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz besitzen, andererseits Kinder, die im Inland aufgewachsen sind. Im Inland aufgewachsen ist nach dem Gesetz, wer sich acht Jahre gewöhnlich im Inland aufgehalten hat, sechs Jahre im Inland eine Schule besucht hat oder über einen im Inland erworbenen Schulabschluss oder eine im Inland abgeschlossene Berufsausbildung verfügt. Die Regelung begegnet unionsrechtlichen Bedenken, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in mehreren Anfragen thematisiert hat (vgl. Bundestagsdrucksache 18/1173, S. 7 und Bundestagsdrucksache 18/1369, S. 8). Insoweit das Gesetz den Aufenthalt, den Schulbesuch sowie Schulabschlüsse und Berufsausbildungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht denjenigen im Inland gleichstellt, macht es die Ausübung der Freizügigkeit (Artikel 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) für die Betroffenen weniger attraktiv, da sie unter Umständen dazu führt, dass sie letztendlich ihre deutsche oder ihre weitere Staatsangehörigkeit aufgeben müssen. Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 18/185 (neu)), der die vollständige Abschaffung des Optionszwangs vorsah, hätte hingegen mit dem Recht der Europäischen Union im Einklang gestanden. Ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Ausschussdrucksache 18(4)109B), der darauf abzielte, wenn schon nicht den Optionszwang insgesamt abzuschaffen, so doch zumindest die Neuregelung unionsrechtskonform auszugestalten, wurde im Innenausschuss des Deutschen Bundestages mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD abgelehnt.

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Die Bedenken der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden jetzt durch eine Ausarbeitung des Fachbereichs Europa des Deutschen Bundestages bestätigt. Danach sei die Neuregelung nur dann in Einklang mit dem Recht der Europäischen Union zu bringen, wenn der Optionszwang verhältnismäßig ausgestaltet werde. Insofern erscheine es „fraglich, ob hierbei in hinreichendem Maße die insbesondere aus dem Unionsbürgerstatus resultierenden Rechte Beachtung finden können. Hierfür böte sich eine unionsrechtskonforme Auslegung der Ausnahmeklausel des § 29 Abs. 1a S. 2 StAG n. F. an, die dabei den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit genügen müsste“ (PE 6 – 3000 – 132/14, S. 16). Wir fragen die Bundesregierung: 1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die aus der Unionsbürgerschaft folgenden Rechte nicht ihre volle Wirkung entfalten können, wenn ein Staatsangehöriger von ihrer Wahrnehmung durch nationale Regelungen abgehalten wird, die ihn aufgrund der Ausübung seiner Rechte ungünstiger behandeln (PE a. a. O., S. 9 m. w. N.)? Wenn nein, warum nicht? 2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass es eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Freizügigkeit darstellt, wenn ein Mitgliedstaat der Europäischen Union bestimmte eigene Staatsangehörige deshalb weniger günstig behandelt, weil sie von ihren unionsbürgerlichen Rechten Gebrauch machen oder gemacht haben, indem sie sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben oder begeben haben, um sich dort aufzuhalten (PE a. a. O., S. 9 m. w. N.)? Wenn nein, warum nicht? 3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine Beschränkung der Freizügigkeit nur gerechtfertigt sein kann, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht (PE a. a. O., S. 10 f. m. w. N.)? Wenn nein, warum nicht? 4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Vorgaben des § 29 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) n. F. zum Optionszwang den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung des Unionsbürgerstatus wahren müssen und daher geeignet sein müssen, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels – nämlich der Nachweis einer hinreichend engen Bindung an Deutschland – zu gewährleisten und nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist (PE a. a. O., S. 13)? Wenn nein, warum nicht? 5. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit Blick auf die potenzielle Beschränkung der unionsbürgerlichen Freiheiten der von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verlangte Nachweis für die Geltendmachung des Bestehens eines tatsächlichen Bandes der Integration keinen zu einseitigen Charakter haben darf und daher einem Gesichtspunkt, der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit des Antragstellers mit dem Mitgliedstaat repräsentativ ist, nicht unter Ausschluss aller anderen Gesichtspunkte unangemessen hohe Bedeutung beimessen darf (PE a. a. O., S. 14 m. w. N.)? Wenn nein, warum nicht?

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6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Fallgruppen in § 29 Absatz 1a Satz 1 StAG n. F. für sich genommen die Berücksichtigung anderweitiger Umstände (etwa familiäre oder soziale Bindungen sowie Sprachkenntnisse) im Einzelfall nicht gewährleisten (PE a. a. O., S. 14)? Wenn nein, warum nicht? 7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass diese Umstände allenfalls in einer entsprechenden Auslegung der Härteklausel in § 29 Absatz 1a Satz 2 StAG n. F. berücksichtigt werden können (PE a. a. O., S. 15)? Wenn nein, warum nicht? 8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass zur Gewährleistung einer unionsrechtskonformen Anwendung der Optionsregelung die Härteklausel dahingehend ausgelegt werden muss, dass Aufenthalte, Schulbesuche, Schulabschlüsse und berufliche Ausbildungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betroffenen einen „vergleichbar engen Bezug“ zu Deutschland bewirken (PE a. a. O., S. 15)? Wenn nein, warum nicht? 9. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass in einer unionsrechtskonformen Auslegung der Härteklausel das Vorliegen einer besonderen Härte im Einzelfall bei einer im Übrigen bestehenden engen Bindung zurücktreten muss, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten (PE a. a. O., S. 15)? Wenn nein, warum nicht? 10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung der Härteklausel den im Grundgesetz und im Recht der Europäischen Union verankerten Bestimmtheitsgrundsatz beachten muss und dass es dem Betroffenen daher möglich sein muss, den Umfang der ihm auferlegten Rechte und Pflichten eindeutig zu erkennen und sich darauf einstellen zu können (PE a. a. O., S. 16 m. w. N.)? Wenn nein, warum nicht? 11. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung angesichts der zum Teil sehr unterschiedlichen Praxis der Staatsangehörigkeitsbehörden im Einbürgerungsverfahren (vgl. Unterrichtung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Neunter Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Bundestagsdrucksache 17/10221, S. 191 ff.) die Möglichkeit bzw. Gefahr einer je nach Bundesland unterschiedlichen Auslegung und Anwendung der Härteklausel? a) Wenn ja, hält die Bundesregierung dies für rechtlich und politisch vertretbar? aa) Wenn ja, wie rechtfertigt die Bundesregierung ihre Auffassung vor dem Hintergrund, dass jeder Deutsche in jedem Land die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten hat (Artikel 33 Absatz 1 des Grundgesetzes)? bb) Wenn nein, welche Maßnahmen wird sie ergreifen, um die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der Härteklausel zu verhindern? aaa) Wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass das Bundesministerium des Innern seine vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz ändert bzw. ergänzt?

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a) Wenn ja, wie wird die Änderung bzw. Ergänzung lauten, und wann ist mit ihr zu rechnen? b) Wenn nein, warum nicht? bbb) Wird die Bundesregierung einen Entwurf für Verwaltungsvorschriften vorlegen oder sich mit anderen Maßnahmen (Rundschreiben, Bund-Länder-Besprechungen auf der Ebene der Staatsangehörigkeitsreferenten o. Ä.) dafür einsetzen, dass es zu einem einheitlichen Gesetzesvollzug in den Ländern kommt? Wenn nein, warum nicht? b) Wenn nein, warum nicht? 12. Hält es die Bundesregierung für gewährleistet, dass die Härteklausel unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgrundsatzes in unionsrechtskonformer Weise ausgelegt und angewendet wird? a) Wenn ja, auf welche Erkenntnisse stützt sie ihre Auffassung? b) Wenn nein, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die unionsrechtskonforme Anwendung und Auslegung der Härteklausel zu gewährleisten? aa) Wird die Bundesregierung dafür sorgen, dass das Bundesministerium des Innern seine vorläufigen Anwendungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz ändert bzw. ergänzt? aaa) Wenn ja, wie wird die Änderung bzw. Ergänzung lauten und wann ist mit ihr zu rechnen? bbb) Wenn nein, warum nicht? bb) Wird die Bundesregierung einen Entwurf für Verwaltungsvorschriften vorlegen oder sich mit anderen Maßnahmen (Rundschreiben, Bund-Länder-Besprechungen auf der Ebene der Staatsangehörigkeitsreferenten o. Ä.) dafür einsetzen, dass es zu einem einheitlichen Gesetzesvollzug in den Ländern kommt? Wenn nein, warum nicht? Berlin, den 5. September 2014 Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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