2011 Fachliche Mitteilungen für fliegende ... - Luftwaffe.de

gung Cockpit, bestätigten die guten. Ergebnisse, die mit einem Fehlermel- desystem in anderen Organisationen erreicht wurden. Nach einer kurzen NATO-.
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Foto: PIZ Luftwaffe – Martin Stollberg – überarbeitet von www.schaltwerk.eu

Ausgabe 04/2011

Flugsicherheit Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände

Flugsicherheit Ausgabe 04 / 2011

Heft 4 Dezember 2011 – 48. Jahrgang

Fachliche Mitteilungen für fliegende Verbände

Flugsicherheit Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände

Titelfoto: PIZ Luftwaffe, Martin Stollberg, überarbeitet von www.schaltwerk.eu „Flugsicherheit“, Fachliche Mitteilung für fliegende Verbände der Bundeswehr Herausgeber: Luftwaffenamt General Flugsicherheit in der Bundeswehr Redaktion: Hauptmann Klemens Löb, Tel.: 02203-9083124 Luftwaffenkaserne 501/07 Postfach 906110 51127 Köln [email protected] [email protected] Gestaltung: Hauptmann Klemens Löb GenFlSichhBw Erscheinen: dreimonatlich Manuskripteinsendungen sind direkt an die Schriftleitung zu richten. Vom Verfasser gekennzeichnete Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung oder des Herausgebers dar. Es werden nur Beiträge abgedruckt, deren Verfasser mit einer weiteren Veröffentlichung einverstanden sind. Weiterveröffentlichungen in Flugsicherheits- publikationen (mit Autoren- und Quellenangaben) sind daher möglich und erwünscht. Druck: Heimbüchel & Köllen corporate publishing GbR 10117 Berlin

Editorial

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Lagebewusstsein

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Mayday, Mayday, Mayday ...

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Combined, aber doch nicht vereint?

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Learning the hard way

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Flugsicherheitsfachtagung 2011

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Gefährliche Begegnung

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Only Human

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Wir begrüßen und verabschieden ...

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Open your mind

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FEHLER MELDE SYSTEM FLUGBETRIEB

BW

Ansprechpartner: Hptm Jens Hoffmann Fehlermeldesystem Flugbetrieb Luftwaffenkaserne Wahn - 525 Postfach 906 110 • 51127 Köln

FINAL.indd 1

Bw: 90 3451 69 99 / Fax 5559 Tel.: 02203 908 69 99 / Fax 5559 Email: [email protected]

09.01.12 20:27

Editorial „Bundeswehr führt Fehlermeldesystem ein.“

freiwilliges

Mit dieser Meldung hat das Presseund Informationszentrum der Luftwaffe vor kurzem die Bw-Medien darüber informiert, dass das Fehlermeldesystem für den Flugbetrieb in der Bundeswehr, kurz FMS, in Betrieb genommen wurde. Dies ist ein Meilenstein in der Entwicklung einer gesunden und effektiven Fehler- und Sicherheitskultur, der sich bereits in anderen Hochrisikobranchen bewährt hat, z. B. bei zivilen Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air Berlin, Krankenhäusern und Unfallärzten, aber auch bei der Schweizer Luftwaffe und der in München stationierten Polizeihubschrauberstaffel. Genau wie in der Bundeswehr gab es zunächst in all diesen Bereichen neben breiter Zustimmung auch kritische Meinungen und Bedenken. Diese sind erwünscht und durchaus nützlich, da sie mögliche Fallstricke und Stolpersteine aufzeigen, die es zu bewältigen gilt. Das FMS konnte so maßgeschneidert auf die Belange unserer Armee und deren Besonderheiten, wie dem Soldatengesetz und der Vorgesetztenverordnung, entwickelt und aufgestellt werden. Das FMS der Bundeswehr unterscheidet sich daher von allen anderen existierenden Fehlermeldesystemen, genauso wie diese ebenfalls alle untereinander verschieden sind.

Dennoch existieren entscheidende Gemeinsamkeiten zwischen den bereits eingeführten Fehlermeldesystemen: - Alle Institutionen sind auch im Nachhinein überzeugt, das die Einführung ihres Meldesystems eine richtige und wichtige Entscheidung zur Förderung einer Fehlerkultur und Steigerung der Flugsicherheit war. - Die Fehlermeldesysteme haben Informationen und Erkenntnisse zugänglich gemacht, die bisher nicht bekannt waren und ermöglichen neben präventiver nun sogar prädiktive Sicherheitsarbeit. Tendenzen und Problembereiche können, ohne dass es schon zu einem Ereignis kam, bereits frühzeitig erkannt werden. So muss nicht gewartet werden bis etwas passiert ist. - Alle freiwilligen Fehlermeldesysteme funktionieren nur, wenn die Expertise aller Beteiligten einfließen kann und die gewonnenen Erkenntnisse wiederum allen zugänglich gemacht werden. Das FMS für den Flugbetrieb in der Bundeswehr soll bestehende Meldewege keinesfalls ersetzen oder gar unterlaufen. Pflichtmeldungen über Zwischenfälle, Unfälle, Dienstvergehen oder disziplinare Angelegenheiten sind nach wie vor auf den dafür vorgesehenen Wegen abzusetzen. Das FMS

soll und wird nicht in Konkurrenz zu Disziplinarvorgesetztem, Flugsicherheitsoffizier, Vertrauensperson oder Wehrbeauftragtem treten. Dieses neue System bietet die Möglichkeit, Beobachtungen, das Wissen und die Erfahrung jeder einzelnen am Flugbetrieb mittelbar oder unmittelbar beteiligten Person zu erfassen, auszuwerten und zu analysieren und dieser damit die Optimierung des Flugbetriebs und ihre Sicherheit noch effektiver zu ermöglichen. Mit dem jetzigen Startschuss haben wir noch nicht die „Goldrandlösung“ gemäß Konzept FMS erreicht. Wir sind aber personell arbeitsfähig, obwohl die vorgesehene Auswerte-Software derzeit noch nicht im Haus verfügbar ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem FMS einen weiteren großen Schritt zu mehr Sicherheit im Flugbetrieb der Bundeswehr machen werden. Helfen Sie aktiv mit, dass dies gelingt! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich nach 5 1/2 Jahren als General Flugsicherheit von Ihnen zu verabschieden und wünsche Ihnen stets Hals- und Beinbruch

Schmidt Brigadegeneral

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Flugsicherheit

Lagebewusstsein mit freundlicher Genehmigung der Redaktion Aviation Safety Spotlight Übersetzung vom BSprDst LwA

Vereinfacht ausgedrückt ist Lagebewusstsein die Beurteilung dessen, was zu einem beliebigen Zeitpunkt um jemanden herum vorgeht. Konkreter formuliert: 2

Im Hinblick auf das komplexe Umfeld der Luftfahrt, geht es beim Lagebewusstsein um die Kenntnis auftragsbezogener Vorkommnisse und Phänomene.

Ein Jagdflieger muss sich beispielsweise der Bedrohung durch die Absichten von Feindkräften, des eigenen Luftfahrzeugstatus und möglicherweise des Status eigener und verbündeter Luftfahrzeuge in operationsnahen Bereichen bewusst sein. Ein Fluglotse muss die aktuellen Luftfahrzeugpositionen und Flugpläne kennen und den zukünftigen Status vorhersagen,

Bild :Bildstelle JG 73 „Steinhoff“

um mögliche Konflikte auszumachen. Beim Lagebewusstsein im operationellem Sinne handelt es sich also darum, den aktuellen Status und die Dynamik eines Systems zu erkennen und künftige Änderungen und Entwicklungen einzuschätzen. Eine allgemeine Definition von Lagebewusstsein ist „die Wahrnehmung von Elementen in einer zeitund raumgebundenen Umgebung, das Verständnis ihrer Bedeutung und die Projektion ihres Status in die nahe Zukunft“. Lagebewusstsein wird in vier verschiedene Stufen unterteilt: - Gewinnung von Informationen aus der Umgebung, - Kombination dieser Informationen mit dem entsprechenden Wissen zur Entwicklung einer Vorstellung von der aktuellen Lage, - Nutzung dieser Vorstellung zur Einbindung weiterer Wahrnehmungen in einen kontinuierlichen Wahrnehmungskreislauf und - Abschätzung künftiger Ereignisse. Beim Lagebewusstsein handelt es sich nicht einfach um einen theoretischen Begriff; es ist eine reale Größe, deren Fehlen Unfälle verursacht. Aus Forschungsergebnissen des Australian Transportation Safety Board (ATSB, Australische Transportsicherheitsbehörde) geht hervor, dass in ca. 70 % aller Zwischen- und Unfälle in Australien der Faktor Mensch mitursächlich war und dass in 85 % der Zwischenfallberichte fehlendes Lagebewusstsein erwähnt ist. Eingeschränktes Lagebewusstsein kann zu unangemessenen Entscheidungen und Fehlern führen. Die wesentlichen Bausteine des Lagebewusstseins sind folgende:

- Umgebungsbewusstsein Kenntnis des Vorhandenseins sonstiger Luftfahrzeuge, des Wetters, Geländes und Fernmeldeverkehrs zwischen Flugsicherung und sonstigen Luftfahrzeugen. - Zustandsbewusstsein Kenntnis des Zustands der Luftfahrzeugkonfiguration und der Flugsteuerung. Darunter fallen Aspekte wie Geschwindigkeit, Höhe, Kurs und Zustand der Flugführungssysteme sowie Flugplanung. - Raumbewusstsein Kenntnis der geographischen Position und der Flughöhe. - Systembewusstsein Kenntnis der Luftfahrzeuganlagen. - Zeitrahmen Kenntnis der Zeit im Hinblick darauf, wann erforderliche Verfahren anstehen bzw. Ereignisse auftreten.

Hören – beim Erkunden der Umgebung zu sammeln. Die Aufmerksamkeit ist auf die wichtigsten Aspekte des Umfelds zu richten; anschließend sind die mit den Sinnen erfassten Daten mit den im Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen und Kenntnissen abzugleichen. Dabei handelt es sich um einen aktiven Prozess, der höchste Disziplin und das Wissen erfordert, worauf die Aufmerksamkeit wann und warum zu richten ist. Das Lageverständnis wird durch die Kombination von Beobachtungen und Wissen sowie Erinnerungen aus früheren Erfahrungen aufgebaut. Werden Beobachtungen erfolgreich mit dem Wissen und den Erinnerungen aus früheren Erfahrungen in Verbindung gebracht, kann ein exaktes gedankliches Modell der Umgebung entwickelt werden. Dieses gedankliche Modell muss durch Einbeziehung einer Reihe von Informationen kontinuierlich mit Daten aus der realen Welt aktualisiert werden.

Erlangung und Erhaltung des Lagebewusstseins Wie oben ausgeführt, geht es beim Lagebewusstsein um die exakte Wahrnehmung/Kenntnis dessen, was um die eigene Person herum vorgeht und was in naher Zukunft zu erwarten ist. Dabei laufen drei gedankliche Prozesse ab:

Das Lageverständnis ermöglicht vorausschauendes Denken und die Einschätzung des zukünftigen Zustands der Umgebung. Dieser Schritt ist von wesentlicher Bedeutung im Entscheidungsfindungsprozess und erfordert ein möglichst exaktes Verständnis auf der Grundlage sorgfältiger Informationsgewinnung.

- Die Wahrnehmung der Geschehnisse,

Der Entscheidungsfindungskreislauf Unsere Handlungen sind auf Ziele ausgerichtet. Wir verwenden mentale Modelle, um das Ergebnis unserer Handlungen abzuschätzen und die Zielerreichung zu unterstützen. Dies kann als Vorwärtsverarbeitung (Feedforward) betrachtet werden. Je exakter unsere Einschätzungen, desto effektiver erfüllen wir unsere Aufgaben, desto mehr Energie sparen wir und desto mehr Ressourcen können wir für unerwartete Situationen bewahren. Umgekehrt können wir durch den Ab-

- das Verstehen dessen, was wahrgenommen wurde und - die Nutzung der dabei gewonnenen Informationen zum vorausschauenden Denken. Zur Erstellung eines gedanklichen Modells der Umgebung ist es erforderlich, ausreichende und brauchbare Daten mithilfe seiner Sinne – Sehen und

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Flugsicherheit

gleich der Ergebnisse unserer Handlungen mit den gesetzten Zielen wiederum unsere Handlungen oder erforderlichenfalls unsere Ziele festlegen. Diese Rückmeldung ist entscheidend für den Erfolg eines Projekts. Rückmeldung und vorausschauende

FAKTOREN

Einschätzung unterstützen den kontinuierlichen Abgleich unseres gedanklichen Weltbilds mit der Realität. Ein beträchtlicher Verlust des Lagebewusstseins tritt auf, wenn unpassende gedankliche Bilder anstelle realer Daten aktiviert werden. In

RICHTLINIEN ZUR VORBEUGUNG

Ebene 1 – Wahrnehmung Ein Bezugspunkt wird nicht beobachtet, entweder weil die Beobachtung schwierig ist oder weil sie vom Beobachter aus folgenden Gründen mangelhaft durchgeführt wird: - Eingeschränkte Aufmerksamkeit, - passives, selbstgefälliges Verhalten, - hohe Arbeitsbelastung, - Ablenkungen und Unterbrechungen. Visuelle Illusionen Bestätigungsfehler, wenn Informationen falsch wahrgenommen werden (die Erwartung, eine bestimmte Beobachtung zu machen und die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf diese Annahme kann dazu führen, dass wir das Erwartete anstelle des tatsächlichen Geschehens wahrnehmen).

Eingehendes Beobachten erfordert Disziplin. Aktiv nach neuen Daten suchen, alternative Quellen verwenden. Aufmerksamkeit breit streuen. Checklisten verwenden. Arbeitsbelastung verringern und Aufgabenteilung vornehmen. Bei Ablenkung neu beginnen. Informationen weitergeben. Vor visuellen Illusionen hüten und deren Existenz im Voraus erkennen. Mit Fluginstrumenten gegenprüfen bzw. überprüfen. Den Instrumenten vertrauen. Niemals den eigenen Erwartungen trauen. Eigene Beobachtungen und Erwartungen stets anhand sonstiger Datenquellen oder mithilfe anderer Besatzungsmitglieder überprüfen. Das gedankliche Modell regelmäßig aktualisieren.

Ebene 2 und 3 – Verständnis und vorausschauendes Denken Verwendung eines unzureichenden oder unvollständigen gedanklichen Modells auf Grund von: - Defiziten bei der Beobachtung, - mangelnden Kenntnissen und/oder mangelnder Erfahrung.

Das Verständnis erhöht sich mit zunehmender Erfahrung, da mehr Situationen im Gedächtnis gespeichert sind (Muster und Assoziationen, die für den mentalen Abgleich zur Verfügung stehen). Bewertungen nicht übereilt vornehmen. Das gedankliche Modell stets anhand der Verwendung eines falschen oder unge- folgenden Vorgehensweisen überprüfen: eigneten gedanklichen Modells, über- - Modell auf widersprüchliche Elemente überprüfen. mäßiges Vertrauen in dieses Modell und Die Verlässlichkeit jeder einzelnen Information fehlende Erkenntnis der Notwendigkeit, überprüfen. das Modell zu ändern. - Den zukünftigen Status einschätzen und mit dem jeweiligen Ziel abgleichen. - Bestätigungsindikatoren festlegen.

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einem solchen Fall gehen Menschen in ihrem Handeln von einem falschen Szenarium aus und suchen Hinweise zur Bestätigung ihrer Erwartungen – ein Verhalten, das als Bestätigungsfehler (Confirmation Bias) bezeichnet wird. Das Lagebewusstsein beeinflusst unsere Entscheidungsfindung und ermöglicht vorausschauendes Fliegen. Es unterstützt uns bei der Entwicklung einer Vorstellung der uns umgebenden Welt und bei der Verwendung dieser Vorstellung für die Einschätzung zukünftiger Ereignisse – also bei der Vorwärtsverarbeitung. Aufgrund der engen Verzahnung von Rückmeldungen aus der realen Welt, gedanklicher Vorauseinschätzung und Anpassung von Handlungen nehmen wir als Reaktion auf die Diskrepanz zwischen dem erwarteten Geschehen und dem, was tatsächlich eintritt, Anpassungen unserer Vorstellung sowie Änderungen unserer Handlungen und teilweise auch Ziele vor. Aus diesem Grund haben wir häufig das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben, wenn das Erwartete nicht eintritt. Verlust des Lagebewusstseins Viele Faktoren können zum Verlust des Lagebewusstseins führen, da Fehler auf jeder Ebene des Entscheidungsfindungsprozesses auftreten können. Die für den Verlust des Lagebewusstseins maßgeblichen Faktoren sowie Richtlinien zur Vorbeugung sind in der Tabelle (links) aufgeführt.

Mayday, Mayday, Mayday ... Bild: Presse- und Informationszentrale der Marine

German Navy 4821, single engine failure, inbound Kiel von Oberleutnant zur See Thomas Heide, MFG 5 September 2011, 5 nautische Meilen vor Maasholm. 54°44´N 010°04´E. 19.45 Uhr.

Ende September war ich als Copilot für den SARDienst in Kiel eingeteilt. Im Rahmen dieser Bereitschaft sollte ich während eines Nachtflugs meinen Combat-ReadyStatuscheck ablegen.

Nachdem die Woche fast beendet war (zwei Einsätze wurden erfolgreich beendet) stand für den Donnerstagabend der abschließende Nachtflug an. Entsprechend dem Auftrag war ein Flug vorzubereiten, der eine Winschübung am Schiff sowie der „Dunking-Verfahren“ beinhaltete, also den An- und Abflug zum Hover mit der automatischen Flugregelanlage. Beides eignet sich hervorragend zum Einspielen von Notverfahren durch den Fluglehrer.

Als Schiff stand uns die NIS RANDERS der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger zur Verfügung, stationiert in Maasholm an der Schleimündung. Die Rendevouz-Position war für 19.30 Uhr nordöstlich von Schleimünde festgelegt, gerade nördlich der zu dieser Zeit aktiven Schießgebiete. Entsprechend der Wetterberatung für den Flug sollten die folgenden Wetterbedingungen am Abend anzutreffen sein: 5

Flugsicherheit

Auf der Rückseite eines Tiefs vorherrschende Sichten von 10 km und mehr, Bewölkung FEW 035, Minimum: Sicht 7 km in leichten Regenschauern, SCT 020, BKN 030, ISOL. Wind: 250-270, 25-30 Knoten (weniger in der Landabdeckung). Wellenhöhe im Übungsgebiet: 0,5 m bei ablandigem Wind. Sonnenuntergang: 17:19 Z, Mondaufgang 23:23 Z. Helligkeit: Bis 18:00 Z 131 mlx (sehr hell), danach 1.1-0,6 mlx (sehr dunkel), wir planten einen konventionellen Nachtflug ohne BiV. Das Briefing fand um 16:45 Z statt. Aufgrund des anstehenden Checkflugs wurden die Leistungs- und Schwerpunktberechnungen von mir „zu Fuß“ mit der GAF T.O. durchgeführt und beinhalteten auch die Minimum- und Maximumgeschwindigkeit Single Engine. Ebenfalls wurde im Briefing das Anlegen des Kälteschutzanzug MK 10 festgelegt, obwohl dies gemäß der Wettervorhersage und dem geplanten Übungsgebiet (unmittelbar vor der Schleimünde zum Winschen und in der Geltinger Bucht zum Dunking) nicht vorgeschrieben gewesen wäre. Zum Zeitpunkt unseres Flugs fand in der Messe allerdings der Offizierabend statt, außerdem waren wir aufgrund von fehlenden Besatzungen und flugklaren Maschinen die einzige SAR-Crew in Norddeutschland. Daher schien es sinnvoll, den MK 10 anzuziehen. Der Start erfolgte pünktlich um 17:45 Z. Wir flogen zuerst über Land Richtung Norden, westlich an den Schießgebieten ED-R 11 A/B und 12 A/B vorbei in die Geltinger Bucht. Nach einigen Versuchen war der Funkkontakt zur NIS RANDERS hergestellt und wir konnten kurz nach Beginn der Time on task mit dem Winschen beginnen. 6

Standardmäßig fahren die Schiffe dieser Klasse der DGzRS rückwärts, um uns ein Winschen auf dem Deck des Vorderschiffs zu ermöglichen. Wir lassen die Einheiten nach Möglichkeit einen Kurs von Wind + 30° steuern, so dass wir mit einem günstigen Öffnungswinkel für den Abflug über dem Bug stehen, aber trotzdem noch genügend Referenzen haben, um die Position halten zu können. Den Absetzpunkt selber können wir von vorne nicht sehen, hier verlassen wir uns völlig auf die Winschansprache des Bordmechanikers. In Hoverposition neben dem Schiff notierten wir eine Hoverleistung von 76 % je Triebwerk bei einem Wind von zwölf Knoten. Die maximale Leistung Single engine liegt bei 150 % für fünf Sekunden, daher lautete das Emergency Briefing: In case of single engine failure with NR (Hauptrotordrehzahl) dropping below 92 % - Ditching. Soweit die Theorie. Das Schiff machte etwa fünf Knoten Fahrt über den Achtersteven, wir waren vorbereitet und begannen unsere Übung. Die Hoverlights waren angeschaltet, ebenso wie mein rechter Suchscheinwerfer. Den hatte ich nach vorne unten gerichtet. Es wurde nur das Winschgewicht an Bord des Rettungskreuzers gebracht und die ersten drei Runs gelangen ohne größere Probleme, auch wenn der Hubschrauber etwas unruhig stand. Auf Weisung des IP (Instructor pilot) wurde daher das Schiff angewiesen 30° größer zu steuern, um so eine optimale Windanströmung des Hubschraubers zu erreichen. Dies reduzierte die Vibrationen deutlich, der Hubschrauber stand besser im Wind. Trotzdem zeigte der Torque-Wert pro Triebwerk über dem Schiff zwischen 80 % und 85 %.

Der fünfte Anlauf sollte dann Stab Off, das heißt ohne die Stabilisierungsanlage (AFCS), durchgeführt werden. Nachdem die Maschine ausgetrimmt war, wurde der Hubschrauber von mir über den Absetzpunkt gesteuert, die Winde gleichzeitig vom Bordmechaniker ausgefahren und der Winschsack geerdet sowie manuell angenommen. In diesem Moment spürte der linkssitzende IP ein Yawing. Im ersten Augenblick vermutete er eine unruhige Steuerführung Stab Off, erkannte aber einen Sekundenbruchteil später den Ausfall eines Triebwerks. Ich habe diesen Yaw-Kick nicht bewusst wahrgenommen, wohl auch weil ich mich fast ausschließlich auf das Winschen konzentrierte und der Hubschrauber ohne Stabilisierungsanlage immer etwas unruhiger fliegt. „Triebwerkausfall“ drang an mein Ohr. Instinktiv bewegte ich den Cyclic Stick nach vorne und links, weg vom Hindernis, dem Schiffsmast. Unmittelbar danach verschwand das Schiff auch aus meinem peripheren Sehen und bis auf den nach vorne unten gerichteten Suchscheinwerfer auf dem Wasser herrschte völlige Dunkelheit. Das verbliebene Triebwerk heulte unter Volllast auf und wir näherten uns mit abnehmender Rotordrehzahl der Wasseroberfläche. „Ditching“ (Notlandung auf dem Wasser) schoss uns allen durch den Kopf, aber der Sea King setzte sich auf das Ground Cushion (Luftpolster im Bodeneffekt) und wir erkämpften uns einige Fuß Höhe über dem Wasser. Nach wenigen Augenblicken schaltete der links sitzende IP die Stabilisierungsanlage wieder ein, um so die Flugsteuerung etwas zu vereinfachen. Zusammen gelang es uns, den NRAbfall am unteren operationellen Limit (mit 91 % angegeben) zu stoppen. Ich kann mich nicht erinnern, den War-Cry „Torque Split – Call out NR“ unmittelbar noch am Schiff ausgerufen zu haben.

Danach war meine erste bewusst wahrgenommene Äußerung der Versuch, eben diesen Ruf los zu werden, zusammen mit der Antwort: „NR 92“. Dies geschah nach einer gefühlten Ewigkeit nach dem Triebwerkausfall und dem Wegfliegen vom Schiff, tatsächlich etwa drei bis fünf Sekunden danach. Tatsächlich fand noch viel mehr Kommunikation statt, als uns anfänglich bewusst war, hier war das Anhören der Aufnahme vom CVR (Cockpit Voice Recorder) sehr aufschlussreich. Sogar die richtige Diagnose wurde sofort gestellt, auch der War-Cry: „Torque Split- Call out NR“ war da. Während ich mich auf das Fliegen konzentrierte, unterstützte mich der IP mit Werten und Hinweisen zu Höhe und Geschwindigkeit. Der Bordmechaniker fuhr während dieser Zeit die Winde vollständig ein; das Gewicht war der Person auf dem Schiff aus der Hand gerissen worden, verletzt wurde zum Glück niemand. Vom Luftfahrzeugoperationsoffizier (LOPO) kam später die Info, dass die von ihm auf dem digitalen Readout des FLIR-Bildschirms abgelesene Höhe im Minimum vier Fuß betragen habe. Nachdem NR und Fluglage soweit stabilisiert waren, erfolgte vom VHF das Kommando die Nase etwas anzuheben und den Collective gleichzeitig etwas zu senken, um so die Rotordrehzahl wieder nahe an die 100 % zu bringen und dadurch einen Steigflug einzuleiten. Mein nächster Blick auf die Instrumente zeigte eine geringe Steigrate, eine Geschwindigkeit von etwa 50-60 KIAS und etwa 100 % NR. In 300 Fuß Radarhöhe und bei 70 KIAS schalteten wir die barometrische Höhenhaltung ein und nahmen einen Kurs Richtung Kiel. Der LOPO setzte den Mayday-Call auf der Frequenz von Glücksburg Rescue ab, dieser wurde von dort auch bestätigt. Der Gefechtsstand in Kiel wurde daraufhin aus Glücksburg über

unsere Luftnotlage informiert. Nachdem das IFF auf EMER (7700) gestellt wurde, rief auch Bremen Radar im Gefechtsstand an und informierte den dortigen Wachgänger. Das Notverfahren Single Engine Failure wurde mit den FRCs abgearbeitet und die Crew traf die Entscheidung, direkt nach Kiel zu fliegen. Die verfügbaren Landebahnen in Hohn und Schleswig waren geschlossen, ebenso das Kieler Oberland (EDHK). Der LOPO wies uns darauf hin, dass uns der eingenommene Flugweg bereits in die aktiven Schießgebiete geführt hatte. Daraufhin wurde zusätzlich auf der AREA-Frequenz und auf UHF-Guard erklärt, dass wir mit einer Luftnotlage durch die Gebiete fliegen. Die Sperrgebiete zu umfliegen schien uns nicht ratsam, da es die Flugzeit über See ebenso wie die Gesamtflugzeit deutlich verlängert hätte. Nach einem Windcheck über Funk mit dem Gefechtsstand (220°/12 kts) haben wir uns entschieden, in eben dieser Richtung den Heliport anzufliegen. Die Vorteile dieser Entscheidung waren die vor Ort befindliche Notdienstgruppe sowie das bekannte und gut beleuchtete Gelände mit einer ausreichenden Stopstrecke (Taxiway South). Das Oberland bietet zwar eine Landebahn, hier hätten wir aber einen unbeleuchteten Platz anfliegen müssen und auch den Wind nicht genau von vorne gehabt. Als der Anflug und die Landung besprochen waren, übernahm der IP die Steuerung der Maschine und führte die Landung am Heliport durch. Hier musste Triebwerk I erneut bis an das Torque-Limit belastet werden. Nach der sicheren Landung meldeten wir uns beim Kommodore, ich mit bestandenem Checkflug und im Status CR ...

Was also sind die Lessons learnt? Zuerst einmal hatten wir Glück. Diesem haben wir allerdings etwas auf die Sprünge helfen können. Hierbei sind es auch die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen können: - Hätte mein Fluglehrer mit seiner Erfahrung nicht darauf bestanden, das Schiff weitere 30° drehen zu lassen, wäre die Anströmung im Fly-away nicht optimal gewesen und uns hätten vielleicht die nötigen zwei Knoten Wind gefehlt. - Mein Suchscheinwerfer ist grundsätzlich in Richtung des Auswegs eingestellt. Dadurch war zumindest ein visueller Bodenkontakt möglich, der Horizont war nicht erkennbar. - Das Verfahren Advanced Single Engine – continued wird in einem Flug während der Schulung trainiert, tagsüber und über einer Runway (aus der Standardhöhe 40 Fuß). - Jede Möglichkeit, dieses Notverfahren zu üben, sollte genutzt werden. - Wir konnten die NR gerade noch innerhalb der Limits halten, weil ich zum einen mit Unterstützung des IP dem Impuls widerstehen konnte, am Collective pitch zu ziehen und wir uns zum zweiten auf das Ground cushion „setzen“ konnten. Hier kann nur Übung die nötige Sicherheit geben. - Nachts können ein paar Fuß extra einen großen Unterschied machen. Daher muss eine Abwägung erfolgen, ob man die normalen 40 Fuß Höhe aufgibt und tiefer am Schiff steht, nur um bessere Referenzen zu haben. - Sicherlich war der größte Glücksfaktor, dass keine Person an der Winde hing. Die Zeit um „cut, cut, cut“ (Absprengen der Winde) zu rufen gab es nicht. Hier muss im Rahmen des CRM vorher besprochen werden, dass und wann der Bordmechaniker in eigener Verantwortung selbstständig das Seil kappt. 7

Aber wie sieht es dann mit der Bereitschaft aus, womöglich ein Besatzungsmitglied über dem Schiff oder über Wasser vom Hubschrauber zu trennen? So oder so, die Person hätte schwere Verletzungen erlitten und uns eventuell sogar am Wegfliegen gehindert. Da es sich bei dem Flug um meinen CR-Check handelte, war ich sicherlich aufmerksamer als bei einem TCTPFlug, musste ich doch damit rechnen, vom Fluglehrer simulierte Notverfahren eingespielt zu bekommen.

Die Immediate Actions (maintain aircraft control – fly the aircraft) bringen die Piloten in die richtige Richtung und helfen die ersten Schrecksekunden zu überbrücken, um dann die FRCs abzuarbeiten. Wenn dann die trainierte CrewCoordination greift und alle in die gleiche Richtung arbeiten, kann auch ein

Bild: Presse- und Informationszentrale der Marine , überarbeitet von LB

Flugsicherheit

Worst-Case-Szenario erfolgreich überstanden werden. Die Ursache des Triebwerkausfalls war die Auslösung des Überdrehzahlschutzschalters am Triebwerk (Overspeed Trip Govenor). Hier hatte sich ein Zapfluftrohr gelöst, sodass heiße Luft auf den OTG strömte, bis er auslöste.

Einige Tage nach dem Zwischenfall hörten wir uns innerhalb der Crew die Aufzeichnungen des Cockpit Voice Recorders an. Dies hat uns allen verdeutlicht, dass die Zeitspanne zwischen dem Wegfliegen und dem Erreichen eines sicheren Flugzustandes sehr viel geringer war, als es sich für uns alle angefühlt hatte. Die geschulten Verfahren, sowohl von der fliegerischen Seite als auch von der Aufgabenverteilung, sind richtig und haben sich bewährt. 8

Bild: Presse- und Informationszentrale der Marine

Das Briefing neben dem Schiff besagte: „In case of single engine failure with NR dropping below 92 % – Ditching“. In der Praxis gelang uns das Flyaway aufgrund der folgenden Faktoren: - Zwölf Knoten Wind plus Schiffsfahrt (ca. fünf Knoten), - Ground Cushion, - keine hohen Wellen und Hindernisse, somit eine beträchtliche verfügbare Wegstrecke um Geschwindigkeit zu gewinnen (wir benötigten etwa 3-5 km), - eingeübte, trainierte Verfahren, gute Crew-Coordination auch ohne viele Worte und - ein leistungsstarkes verbleibendes Triebwerk. Wäre ein kontrolliertes Ditching genauso glücklich ausgegangen? Vielleicht …

Combined, aber doch nicht vereint?

von Oberstleutnant Thorsten Denkmann, DezLtr b, LwA AbtFlSichhBw

Im September 2010 ereignete sich nordöstlich von Helgoland in der Deutschen Bucht ein Zwischenfall, der

interessante Wendungen nahm und aus dem viele Lehren für den Flugbetrieb gezogen werden können.

Drei F-4F „Phantom II“ aus Wittmund waren in einem Gebiet nördlich von Helgoland für eine Abfangübung geplant, die in einem Flughöhenband von 5.500 bis 24.500 Fuß durchgeführt werden sollte. Kurz vor Beginn der Vorflugbesprechung wurde von dem Formationsführer mitgeteilt, dass die Marine um Unterstützung gebeten hatte. Zur Überprüfung des Radars auf der Fre9

Flugsicherheit

gatte Lübeck wurde um Überflüge der drei Phantoms aus verschiedenen Richtungen und einer Entfernung von zehn nautischen Meilen in einem niedrigen Höhenband angefragt. Die Durchführung dieses Vorhabens wurde dem verantwortlichen Einsatzstabsoffizier zugesagt und in den Flugauftrag aufgenommen. Unmittelbar nach der Abfangübung sollten die Überflüge für die Fregatte eingeplant werden. Koordinaten sowie die Frequenz der Fregatte wurden an die für die Flugplanung verantwortliche Besatzung weitergegeben. Die An- und Überflüge wurden zeitlich und räumlich koordiniert, ein Plan zur Vermeidung von Zusammenstößen in der Nähe der Fregatte wurde ebenfalls festgelegt. Alles war besprochen und sauber geplant. Allerdings wartete die Realität – wie so oft – mit einigen Besonderheiten auf. Die Mission wurde wie geplant begonnen und verlief bis zum Abschluss der Abfangübungen der F-4F untereinander wie vorgesehen: Der Flightlead nahm Kontakt mit der Fregatte Lübeck auf. Dabei wurde ihm mitgeteilt, dass das Radar der Fregatte erst in einigen Minuten für die Überprüfung bereit wäre. Da der Kraftstoffvorrat von zwei Flugzeugen nicht mehr für ein längeres Verweilen ausreichte, teilte der Flightlead der Fregatte Lübeck mit, dass er und seine Nummer 2 zum Heimatflugplatz fliegen und somit nur noch die Nummer 3 mit ausreichendem Kraftstoff für Überflüge zur Verfügung stände. Die Nummer 1 und 2 verließen den Luftraum in Richtung Süden, die Nummer 3 verblieb im Fluggebiet. Eine Wolkendecke befand sich in 4.000 Fuß und erlaubte es der Besatzung nicht, die Fregatte schon aus größerer Höhe zu identifizieren oder sie direkt anzufliegen. Deshalb flog sie zuerst in Richtung Norden. Zehn Meilen nördlich von Helgoland fand die Besatzung 10

eine Wolkenlücke, die es ermöglichte, auf eine Höhe von ca. 3.000 Fuß über Grund unter die Wolken zu sinken. Nach Aufnahme des Funkkontakts mit der Fregatte wurde diese durch die F-4F-Besatzung auf ihrem jetzt wieder südlichen Weg zu der ursprünglich geplanten Position aus der Luft visuell aufgefasst. Die Position der Fregatte befand sich aber entgegen den in der Vorflugbesprechung übermittelten Koordinaten ca. 15 nautische Meilen nordwestlich. Die Abweichung der Position erklärte man sich innerhalb der Besatzung mit dem Alter der Information. Anscheinend – so die eigene Erklärung – hatte sich die Fregatte innerhalb der zwei Stunden in Richtung Nordwesten bewegt. Daraufhin fand folgender Funkverkehr (in Auszügen/sinngemäß übersetzt ins Deutsche) zwischen der Fregatte Lübeck und der F-4F ab: F-4F (F): Lübeck, F-4, einzelne Phantom. Lübeck (L): Hier spricht die Lübeck. (F): Lübeck, eine Phantom ist jetzt bereit, Ihre Mission für 10 bis 15 Minuten, falls erforderlich, zu unterstützen. (L): Hier ist die Lübeck, verstanden, warten Sie. Nach einer kurzen Pause – da erst abgeklärt werden musste, ob eine F-4F ausreichen würde um das Radar zu überprüfen – kam die Anweisung: (L): Wir brauchen nur einen Überflug in 200 Fuß. (F): Ok, gibt es eine gewünschte Richtung von der angeflogen werden soll? (L): Kommen Sie von Nordwesten. (F): Verstanden! Zurzeit sind wir südlich von Ihnen, setzen uns im Nordwesten ab und brauchen dafür ca. zwei Minuten. (L): Sagen Sie das noch einmal, Sie wurden unterbrochen.

(F): Zurzeit sind wir fünf Meilen südlich von Ihnen. Wir brauchen zwei Minuten um von Nordwesten anzufliegen. (L): Verstanden. Nach einer Minute sagte der Kontroller auf der Lübeck: (L): Wir sind mit Ihrer jetzigen Position zufrieden, fliegen Sie jetzt auf die Fregatte zu. (F): Verstanden. Um den Sichtkontakt zur Fregatte nicht zu verlieren, hielt sich die F-4F während des Funkverkehrs ca. fünf Meilen südlich in der Nähe der gesichteten Fregatte auf. Alles schien so weit geklärt zu sein. Der Überflug konnte beginnen. Die Phantom sank kontinuierlich auf die beabsichtigte Überflughöhe und setzte sich parallel zur Längsseite der Fregatte ab. Vor dem Erreichen der Fregatte sah die F-4F-Besatzung einen Hubschrauber auf dem Flugdeck landen. Sie hielt diesen für den Grund, warum die Genehmigung zum Überflug erst so spät erfolgte. Nach dem Überflug stieg die F-4F wieder auf 3.000 Fuß und wurde jetzt auf der Guardfrequenz (Notfrequenz, die alle Flugzeuge einzuschalten haben) angerufen: „Phantom, hier spricht die Niedersachsen, sie haben uns gerade überflogen, melden sie sich umgehend auf der Areafrequenz (Frequenz, die alle Luftfahrzeuge, die sich im unteren Luftraum über See bewegen, einzustellen haben, wenn sie keiner direkten Kontrolle z. B. einer zugewiesenen Luftraumkontrollstation bzw. Fregatte unterliegen)“. Die anschließende Frage der Phantom-Besatzung an die Fregatte Lübeck, die Areafrequenz zu bestätigen, beantwortete diese mit einer Positionsangabe. Gemäß dieser befand sich die Lübeck zurzeit ca. 15 Meilen südöstlich der Position der F-4F, was für einige Fragen im Cockpit der F-4F sorgte.

Darstellung des Flugweges während des Zwischenfallgeschehens

Was war passiert? Anstatt an der für den Überflug geplanten Fregatte Lübeck war die F-4F gerade an der Fregatte Niedersachsen vorbeigeflogen. Die Niedersachsen, auf der Flugbetrieb mit besagtem bordeigenem Hubschrauber durchgeführt wurde, lag ca. 18 Meilen nordwestlich der Lübeck. Schnell war klar, dass man somit ohne Genehmigung die Flugkontrollzone der Niedersachsen durchflogen hatte. Da der Kontroller der Fregatte Niedersachsen die Kreise der F-4F neben seinem Schiff bereits längere Zeit beobachtet hatte, konnte er die Hubschrauberpiloten

zeitgerecht vorwarnen. Kurz bevor die Phantom ihren Anflug begann, wurde der Hubschrauber zurückbeordert und landete an Bord. Gut mitgedacht! Die F-4F-Besatzung entschuldigte sich für das Versehen, ohne den Grund dafür aber sofort benennen zu können und versprach beide Fregatten nach der Landung anzurufen, um die genauen Umstände des Zwischenfalles zu klären. Vor allem für den betroffenen Hubschrauberpiloten, der sich zu Recht beschwerte, dass er aufgrund des Überflugs zu einer übereilten Landung

gezwungen war, stellte der Überflug ein sicherheitsgefährdendes Ereignis dar. Um diese Art von Zwischenfällen in der Zukunft zu verhindern, lohnt es sich, die einzelnen Phasen des Fluges, in denen Fehler gemacht wurden, genauer zu beleuchten. Zuerst muss man sicherlich die Informationsweitergabe im Vorfeld betrachten. So stellte sich heraus, dass von einer weiteren Fregatte innerhalb der deutschen Bucht keine Information auf der F-4F-Seite vorlag. Auch die Information, dass der Kontroller auf der Fregatte Lübeck nicht die Erlaubnis besaß, Luftfahrzeuge zu führen, sondern nur zu beraten, ging innerhalb des Informationsprozesses verloren. Für eine solche Operation zwischen den Teilstreitkräften ist es wichtig, dass auf eine umfassende Informationsweitergabe mit einer erhöhten Aufmerksamkeit für teilstreitkräftespezifischen Details Wert gelegt wird. Denn gerade Dinge, die für den eigenen Teilbereich selbstverständlich sind, können anderen Teilbereichen fremd oder nicht vertraut sein. Während des Fluges gab es zahlreiche Möglichkeiten, diesen Vorfall zu verhindern. So ist es bei der Operation mit Schiffen auf Seiten der Luftwaffe Standard, dass man nach der Kontaktaufnahme mit dem Schiff einen „Alpha-Check“, also einen Abgleich der eigenen Position mit der des Schiffes durchführt. Das visuelle Auffassen des Schiffes hatte die Besatzung dazu verleitet, diesen Check zu vernachlässigen. Eine Möglichkeit, den Fehler bereits hier zu erkennen, wurde somit ausgelassen. Zusätzlich erklärte sich die F-4FBesatzung die Veränderung der Position der Fregatte durch die lange Zeit zwischen der Vorflugbesprechung und dem Überflug. Die mögliche Anwesenheit einer zweiten Fregatte in nächster Umgebung des Ziels wurde nicht bedacht. Die F-4F-Besatzung passte alle vorgefundenen Gegebenheiten 11

Flugsicherheit

in ihr eigenes Lagebild (eine Fregatte in der Nähe von Helgoland benötigt einen Überflug) ein, ohne sich diese Abweichung ggf. durch die Fregatte Lübeck bestätigen zu lassen. Die eigene Erwartungshaltung führte so zu einer selektiven Aufmerksamkeitsverteilung. Die nächste Gelegenheit, diesen Vorfall zu verhindern, ergab sich für den Kontroller der Fregatte Lübeck, als die F-4F-Besatzung vor dem Überflug die eigene Position im Verhältnis zu seinem Schiff durchgab. Nachdem er den ersten Funkspruch nicht verstanden hatte, kam nach der Wiederholung der Position kein Einspruch von seiner Seite. Dies nahm die F-4F-Besatzung als eine positive Bestätigung der Position der Fregatte und ihres Lagebildes auf. Auf der Seite des Kontrollers hätte an dieser Stelle ein Hinweis auf die falsche Positionsangabe kommen oder bei einer schlechten Funkverbindung ein erneutes Nachfragen stattfinden müssen. Eine weitere Chance, das Vorkommnis zu verhindern, ergab sich für den Kontroller der Lübeck, als die Phantom in Richtung Norden anstatt Richtung Süden flog. Hier hätte er bei der Beobachtung der F-4F nachfragen können, welche Absicht sie damit verfolgte. Auf Seiten der Fregatte Lübeck ging man aber davon aus, dass die Phantom-Besatzung schon wisse, was sie zu tun habe. Gerade dieses „sich verlassen“ auf die Fähigkeiten des Anderen, obwohl man sieht, dass etwas nicht gemäß den vorbestimmten Plan verläuft, sowie der Fehler sich nicht zu vergewissern, ob die Informationen auch richtig verstanden wurden, sind häufige Gründe für das Entstehen sicherheitsgefährdender Situationen im Flugbetrieb. Zu guter Letzt hätte auch noch der Kontroller der Fregatte Niedersachsen die Kette der Ereignisse unterbrechen können. Er beobachtet eine geraume Zeit die Bewegungen der F-4F um sein Schiff, beorderte auch den Hub12

schrauber auf das Landedeck zurück und hätte womöglich einen Überflug frühzeitig durch einen Anruf an die Phantom-Besatzung über die Guardfrequenz verhindern können. Trotz dieser Möglichkeit muss in diesem Zusammenhang noch einmal betont werden, dass es gerade der Aufmerksamkeit des Kontrollers der Fregatte Niedersachsen zu verdanken ist, dass dieser Zwischenfall ohne Beeinträchtigung für Personal und Material geblieben ist. Die Übernahme von Verantwortung auch außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs, das Erkennen von möglichen Gefahren und die darauf basierenden Entscheidungen für seinen Bereich (Anweisung zur Landung des Hubschraubers) haben mögliche negative Konsequenzen verhindert.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich bei der genaueren Betrachtung von Zwischenfällen immer Möglichkeiten offenbaren, an denen die verschiedenen Beteiligten eine Ereigniskette stoppen können. Dabei sind folgende Faktoren oft entscheidend: - eine verstärkte Aufmerksamkeit, auch außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs, - das Vertrauen auf die Fähigkeiten der Anderen, gepaart mit dem Selbstbewusstsein nachzufragen, wenn etwas nicht so läuft wie es sollte, - das Durchführen von festgelegten Verfahren, auch wenn sie „anscheinend“ nicht mehr benötigt werden.

Bild: PIZ Luftwaffe

Seilbahnen haben im schwer zugänglichem Gelände, insbesondere im Gebirge, eine wichtige Transportfunktion. In bergigen Regionen gibt es, bedingt durch die Topografie, neben den großen und bekannten Personenseilbahnen tausende von Materialseilbahnen. von Oberstleutnant Heribert Mennen, LwA AbtFlSichhBw

Der Tod in der Seinsbachklamm

Diese Bahnen stellen ein großes Risiko für die Luftraumnutzer, insbesondere für tieffliegende Helikopter und Hängegleiter, dar. Es ist daher besonders wichtig, dass alle Seilbahnen gemeldet, den Luftfahrern bekannt gemacht und in Gefahrenkarten eingezeichnet werden. Die Schweizer Luftwaffe bietet seit Jahren eine kostenlose Demontage nicht mehr benötigter Materialseilbahnen an, um das Risiko für zivile und militärische Luftfahrer in der Schweiz zu verringern. In Deutschland ist gemäß Luftverkehrsgesetz § 16a das Bestehen sowie das Errichten oder Abbauen von Freileitungen, Seilbahnen und ähnlichen Anlagen, die in einer Länge von mehr als 75 m Täler oder Schluchten überspannen oder Steilabhängen folgen und dabei die Höhe von 20 m über der Erdoberfläche überschreiten, von den Eigentümern oder anderen Berechtigten unverzüglich zu melden. Ähnliche Regelungen gibt es in den Nachbarstaaten. 13

Flugsicherheit

Flugbetriebliche Umsetzung von Hindernismeldungen Gemäß MIL AIP GERMANY, ENR 5.2, ist zur Koordinierung und Steuerung von Flugvorhaben im deutschen Alpenraum unterhalb von 1.000 Fuß über Grund das sogenannte „Hubschrauberkoordinierungsgebiet Alpen“ (HFCA Alpen) eingerichtet. Begrenzt wird die HFCA Alpen im Norden durch die Grenzabstandslinie, im Süden durch die Landesgrenze zu Österreich, im Westen durch die Autobahnen A96, im Osten durch die A8. Die HFCA Alpen ist zur flexibleren Nutzung in mehrere Flugräume (B-Areas 1 bis 20) unterteilt. Alle VFR-Flüge in die HFCA Alpen, auch die der ausländischen Streitkräfte, müssen bei den oben genannten Flugberatungen angemeldet, durch diese koordiniert und überwacht werden.

Für die militärische Luftfahrt in Deutschland betreibt das Flugberatungspersonal des LTG 61 in Landsberg die sogenannte „Alpen-Hinderniszentrale“. Dort laufen gewöhnlich die Meldungen des Luftamts Südbayern über relevante Hindernisse auf. Sie werden auch an die Flugberatung Laupheim weitergegeben, die Einweisungen für Flüge westlich einer Linie Nesselwang - Jungholz durchführt, während Flüge östlich dieser Linie von Landsberg koordiniert und mit relevanten Informationen versorgt werden. Von den in der MIL AIP GERMANY beschriebenen Regelungen ausgenommen sind Hubschrauberflüge im Rahmen des militärischen Such- und Rettungsdienst, des Katastrophenschutzes und der dringenden Nothilfe.

Soweit möglich ist eine entsprechende Information über solche Flugbewegungen durch die SAR-Leitstelle Münster an die oben genannten Dienststellen weiterzuleiten. Bei kürzlich durchgeführten Flugsicherheitsinspizierungen in Landsberg und Laupheim wurde die Sorge geäußert, dass möglicherweise nicht alle relevanten Hindernisse rechtzeitig gemeldet werden. Indikatoren hierfür seien Meldungen von Luftfahrzeugbesatzungen (PIREP) sowie die aus einem Telefongespräch ersichtliche Unkenntnis eines Forstbeamten über bestehende Meldeverpflichtungen. Diese Information hat mich beunruhigt und zu einer Nachfrage beim Luftamt Südbayern veranlasst. Zugleich hat sie mich an einen tragischen Flugunfall in den 1960er Jahren erin-

Hubschrauberzelle

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Bild aus der Flugunfallakte

nert, bei dem alle fünf Insassen ums Leben kamen. Der Todesflug Im Juli 1962 erprobten die deutschen Heeresflieger den Hubschrauber SE 3160 „Alouette III“, eine verbesserte und vergrößerte Version der in der Bundeswehr eingesetzten SE 3130 „Alouette II“ des französischen Herstellers Sud-Aviation. Der zivil zugelassene Hubschrauber (FWJSB, Werk-Nr.: 4) wurde von einer Werksbesatzung vorgeführt. Im Rahmen der Eignungsprüfung wurde er von etlichen Bw-Piloten in Begleitung eines französischen Hubschrauberführers und seines Bordmechanikers nachgeflogen, darunter auch im Karwendelgebirge bei Mittenwald. Dort kam es zu einem schrecklichen Unfall, der das Testprogramm beendete: Der Hubschrauber geriet in das an dieser Stelle ohne Erlaubnis über die Seinsbachklamm gespannte Tragseil einer Holztransportseilbahn und stürzte ab, wobei die Besatzung starb. Verlauf des Unfallfluges: Für den Nachmittag des 12. Juli 1962 war ein Erprobungsflug im Bereich des Seinsklamm vorgesehen. Die Seinsklamm ist eine bewaldete Bergschlucht, die sich östlich der Straße Mittenwald-Wallgau von der Aschauer Alm bis zur Krinner-Kofler-Hütte hinzieht und stufenweise ansteigt. Am Vortag war die Strecke (wenngleich in größerer Höhe) vom französischen Werkspiloten Prost und seinem später verunfallten Kollegen beflogen worden, ohne dass etwas Ungewöhnliches oder ein unbekanntes Hindernis aufgefallen war. Um 14.22 Uhr startete der Hubschrauber vom Hubschrauberlandeplatz der Gebirgs- und Winterkampfschule Mittenwald/Luttensee. Der schriftliche Flugauftrag lautete: „Gebirgsflugtest, Konturenfliegen, Tiefstflug“. An Bord waren ein französischer Pilot als verantwortlicher

Triebwerk

Bild aus der Flugunfallakte

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Flugsicherheit

Heckrotor mit Getriebe

Luftfahrzeugführer (VLF), sein Bordmechaniker sowie drei sehr erfahrene Hubschrauberführer der Bundeswehr, allesamt Fluglehrer der Heeresfliegerwaffenschule Bückeburg. Einer von ihnen fungierte als Copilot. Die deutschen Besatzungsangehörigen sollten in den verschiedenen Flugphasen die Flugwerte beobachten und schriftlich festhalten. Der weitere Verlauf des Fluges liest sich im Untersuchungsbericht des Luftfahrtbundesamts Braunschweig vom 27. Juli 1962 wie folgt: „Zu diesem Zweck flog der Hubschrauber, von Westen kommend, in die zum Teil sehr enge Seinsbachklamm ein (etwa 1.050 m über NN) und näherte sich der aus einem Tragseil und zwei Zugseilen bestehenden Materialseilbahn. Nach Zeugenaussagen befand sich der Hubschrauber in konstantem leichten Steigflug, das Triebwerkgeräusch war gleichmäßig. Der Hubschrauber berührte das Tragseil mit der Bugunterseite und glitt auf diesem 16

Bild aus der Flugunfallakte

bis zur Bugradstrebe weiter. Der erste Berührungspunkt war etwa in der Mitte des Tragseiles. Der Hubschrauber rutschte, sich leicht nach rechts drehend (der Hubschrauberrumpf hinter dem Bugrad drehte nach links), an der Bugstrebe bis zu einem gewissen Grad gefesselt nach rechts. Durch die Kippbewegung beim Aufprall neigte sich das Rumpfhinterteil mit Heckrotorträger nach oben und wurde von den Hauptrotorblättern, die in ihrer Drehebene blieben, durchschlagen, sodass der Heckrotor zusammen mit dem Heckrotorgetriebe, Teilen der Stabilisatoren und des Heckrotorträgers vom Rumpf getrennt wurde. Der Hubschrauber schlug folgend auf der südlichen Seite der bewaldeten Klamm auf. Hierbei lösten sich das Triebwerk und der Hauptrotor mit Getriebe. Bei der Kollision riss das Tragseil etwa 3 m von der südlichen Verankerung (ca. 200 m vom ersten Berührungspunkt entfernt). Ebenfalls riss eines der zwei Zugseile.“

Wie konnte es zum Unfall kommen? Die Hubschrauberführer waren (wie bei jedem Gebirgsflug) vor dem ersten Einsatz anhand einer Karte in alle gemeldeten Hindernisse eingewiesen worden. Genaue Übersichten über die für den Tiefflug relevante Hindernislage im deutschen Gebirge wurden zum damaligen Zeitpunkt sowohl in Landsberg, als auch in Oberschleißheim und in Laupheim geführt. In der Seinsbachklamm war keine Seilbahn mehr verzeichnet. Der Erprobungsleiter hatte sich vor der Gebirgsflugerprobung sowohl beim Landratsamt Garmisch-Partenkirchen als auch bei der Heeresfliegerstaffel (Gebirge) 8 in Oberschleißheim über Hindernisse kundig gemacht. Ein Holzhändler hatte vom Landratsamt Garmisch-Partenkirchen mit Bescheid vom 12. Dezember 1961 die bis zum 30. Juni 1962 befristete Genehmigung erhalten, auf zwei Flurstücken am Seinsgraben (Seinsbachklamm) in Höhe der „reißenden Lahn“ Materialseilbahnen zu errichten. Eine der beiden Materialseilbahnen wurde gemäß Angabe des Seilbahnbauers abgebaut. Die zweite wurde vom 5. bis 20. Juni 1962 an die Stelle verlegt, an der sich der Unfall ereignete. Diese Bahn war am neuen Standort „Stichbödele“ noch nicht in Betrieb genommen, die Seile aber trotzdem gespannt gehalten. Die Verlegung war dem zuständigen Landratsamt nicht mitgeteilt worden (gleichwohl durch eine Meldung vom 20. Juni 1962 der Grenzpolizeistation Mittenwald bekannt). Die Genehmigung selbst war am 1. Juli 1962 abgelaufen. Das Licht in der Klamm war zum Unfallzeitpunkt sehr diffus, und so hoben sich das unbenutzte 18 mm starke Tragseil sowie die 6 mm starken Zugseile nur schlecht vom Hintergrund in der bewaldeten Schlucht ab. Auch waren Haltemasten, welche die Besatzung hätten warnen können, nicht vorhanden, denn die Seile waren an Bäumen befestigt.

gespanntes Seil oh ne Durchhang, rel . Gefälle 4 %

ungespanntes Seil vor dem Unfall

Seilverankerung

ca. 95 m

Seilwinde und Forststrasse

Seilverankerung

ca. 85 m

Nord

Erstellte Grafik anhand der Zeichnung von POM Mannes/Mauer ohne Maßstab Seinsbachklamm

Die Zugfestigkeit betrug nach Angaben des Seilbahnbauers etwa 3.5 t. Der Abstand zwischen Seildurchhang und Talsohle wurde mit etwa 85 m ermittelt. Bei der Untersuchung der Wrackteile wurden keinerlei technische Mängel am Hubschrauber festgestellt. Aus den Beschädigungen war ersichtlich, dass das Triebwerk auch noch nach dem Aufschlag mit hoher Umdrehungszahl gelaufen war. Wie Oberst a. D. Dipl. Ing. Kurt Schütt in seinem Buch „Heeresflieger Truppengattung der dritten Dimension“ eindrucksvoll beschreibt, ist dieser Unfall den deutschen Heeresfliegern sehr nahe gegangen. Nicht nur, weil drei ihrer besten Piloten ihr Leben verloren, sondern auch weil die beiden französischen Kameraden nicht mehr nach Hause kamen. Dieser tragische Unfall hat jahrelang die Gerichte beschäftigt. Zur Vollendung der Tragik muss erwähnt werden, dass sich der Betreiber der Seilbahn und Mitverantwortliche für diesen Unfall später das Leben genommen hat. Er konnte es offenbar nicht überwinden, dass er am Tod von fünf Menschen ursächlich beteiligt war.

Wie ist die Situation heute? Dem Luftamt Südbayern liegen nach Aussage des zuständigen Sachbearbeiters keine Erkenntnisse vor, welche die anfangs erwähnten Sorgen des militärischen Flugberatungspersonals in Landsberg und Laupheim stützen. Die Meldeverpflichtung gemäß Luftverkehrsgesetz sei bekannt, entsprechende Verfahren seien veröffentlicht. Ist dem wirklich so? Was findet sich hierzu im Internet? Eine entsprechende Recherche ergab zahlreiche Verfahrenshinweise aus bzw. für Österreich, Italien und der Schweiz einschließlich elektronisch verfügbarer Meldeformulare und Hinderniskarten. Nicht jedoch für Deutschland. Erst nach Eingabe des Suchbegriffs „Alpenhinderniszentrale“ wurde ein Dokument des bayrischen Landesamts für Umwelt angezeigt. Es hat für den deutschen Alpenraum Sicherheitsregeln für Materialseilbahnen erlassen (Anlage zum Merkblatt Nr. 5.5/2 vom 10. Dezember 2000). Darin sind auch Dienststellen aufgeführt, denen solche Bahnen als Flughindernis gemeldet werden sollen.

Wir sollten uns dennoch nicht darauf verlassen, dass dies immer (rechtzeitig) geschieht. Die Geschichte hat schon einmal das Gegenteil bewiesen. Zudem ist GenFlSichhBw eine zentrale, länderübergreifende Verfahrensregelung hinsichtlich Aufnahme und Weiterleitung von Informationen über baulichen Anlagen außerhalb der Bauschutzbereiche von Flugplätzen, die eine Höhe von 20 m über Grund übersteigen, nicht bekannt. Es gilt also, wachsam zu bleiben, Augen und Ohren offen zu halten und alle Ebenen für diese Problematik zu sensibilisieren. Damit ist nicht nur der Umgang mit Seilbahnen in der Alpenregion gemeint, sondern auch mit Freileitungen und anderen Luftfahrthindernissen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Quellen: - Kurt Schütt: Heeresflieger: Truppengattung der dritten Dimension; die Geschichte der Heeresfliegertruppe der Bundeswehr. Bernard und Graefe, Koblenz 1985, ISBN 3-7637-5451-2 - Untersuchungsbericht LBA vom 27. Juli 1962 17

Flugsicherheit

von OSFw d. R. Karl Heinz Weiß, LwA AbtFlSichhBw

Nach dem Motto „Nach der Fachtagung ist vor der (nächsten) Fachtagung“ wurde im Hause des GenFlSichhBw nach eingehender Manöverkritik mit der Planung der Tagung 2011 bereits Anfang des vergangenen Jahres begonnen. Getrost einem weiteren Motto, dass man niemals ein winning team auswechseln soll, wurde Oberstleutnant Andreas Kern als Projektoffizier mit seinem Organisationsteam, bestehend aus Oberstleutnant Dirk Waltenberg, Hauptmann Klemens Löb und Stabsfeldwebel Christoph Brück, mit der Planung des Events beauftragt. Nach umfangreicher Suche konnte kein geeigneter Tagungsort in Deutschland gefunden werden; nur der Tagungsort von 2009, das TaktAusbKdoLw IT auf der italienischen Luftwaffenbasis Decimomannu auf Sardinien, verfügte über ausreichende Kapazitäten und gab grünes Licht. In den vorgesehenen Zeitraum waren keine übenden Kommandos am Platz. 18

OTL Kern konnte wieder einmal hervorragende Referenten für die Veranstaltung gewinnen, die interessante Themen aus der Flugsicherheitsarbeit aufgriffen. Dass diese Flugsicherheitsfachtagung nicht nur für das Flugsicherheitspersonal aus allen Bereichen der Bundeswehr interessant ist, zeigt die Tatsache, dass auch Tagungsteilnehmer aus zivilen Organisationen daran teilnahmen. Für die Organisatoren war die Planung der Veranstaltung auf Sardinien umfangreicher und schwieriger als bei der Tagung 2010, weil hier neben der Bereitstellung von Tagungsräumen, Unterkünften und Verpflegung auch noch der Transport der Tagungsteilnehmer und der Referenten nach Deci organisiert werden musste, was aber gut gelang. Die Reise der über 130 militärischen Teilnehmer begann am 14. November 2011 in Köln, von wo aus sie mit einem Airbus A-310 der Flugbereitschaft BMVg nach Deci geflogen wurden. Nach der Ankunft in Deci, dem Erledigen der organisatorischen Formalitäten, der Einweisung am Standort und dem Beziehen der Unterkünfte endete der Tag mit einem gemeinsamen Abendessen. Da der General Flugsicherheit in der Bundeswehr verhindert war, fand die Fachtagung unter Leitung des Stellvertreters General Flugsicherheit, Oberst Uwe Ahrens, statt.

Die eigentliche Veranstaltung begann am Morgen des 15. Novembers mit einer kurzen Einführung in die Fachtagung durch den Projektoffizier und der Begrüßung der Tagungsteilnehmer durch den Kommandeur des TaktAusbKdoLw IT, Oberst Joachim Elguth. In seiner Einführung zur Fachtagung informierte Oberst Ahrens über aktuelle Themen. Die Flugstundensituation in den fliegenden Verbänden der Bundeswehr bildete den Schwerpunkt seines Vortrags. Dass trotz Rückgang der Flugstunden der einzelnen Waffensysteme die Zahl der Zwischenfälle nicht gesunken ist, stimmt nachdenklich.

Durch die Reduzierung der Flugstunden ergibt sich aber nicht nur eine Abnahme der Erfahrung bei den fliegenden Besatzungen, sondern auch bei dem Flugsicherungspersonal und den Luftfahrzeugtechnikern, also dem gesamten in der militärischen Fliegerei eingesetzten Personenkreis. Es sei festzustellen, dass einige in der Umrüstung auf neue Waffensysteme befindliche fliegende Verbände der Bundeswehr „aus dem Tritt“ gekommen seien, weil bei der Einführung der neuen Systeme das technische Personal bereits umgeschult worden sei, aber nur eine ungenügende Anzahl Luftfahrzeuge verfügbar sei. Außerdem gebe es zu viele Modifikationen und die Dokumentation sei in vielen Fällen unvollständig. Ein weiteres Problem seien die Engpässe in der Ersatzteilversorgung. Das fliegende Personal sei „behind timelines“. Das alles zwinge zu einer Weiternutzung der Altsysteme, was mit hohen Kosten verbunden sei. Die Gründe dafür seien die finanzielle Situation in der Bundesrepublik Deutschland und der Bundeswehr sowie das limitierte Budget für die Materialerhaltung. Es folgte das erste Referat von Frau Oberfeldarzt Dr. med. Barbara Mayr, Fachärztin für Rechtsmedizin, Abt. Rechtsmedizin und Flugunfallmedizin (RuF) am Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe (FMI) in Fürstenfeldbruck. OFA Dr. Mayr informierte über die Arbeit an der Unfallstelle, rechtliche Grundlagen und zeigte den anwesenden Flugsicherheitsoffizieren anhand von Fallbeispielen, womit sie an einer Unfallstelle konfrontiert werden könnten. Sie machte deutlich, dass bei Flugunfällen oder –zwischenfällen die Verletzten

durch den Fliegerarzt bzw. Notarzt geborgen und medizinisch versorgt werden müssen. Wichtig sei aber auch die Dokumentation der Unfallstelle, die im Regelfall durch den FSO erfolge. Bei Verletzten könne auch ggf. das FMI, Abt. RuF, hinzugezogen werden. Außerdem seien eine Blutentnahme (z. B. durch den Fliegerarzt) und Urinabgabe oder eine toxikologische Untersuchung in der Abt. RuF auf Flugbetriebsstoffe, CO, Rauch-, Schwel-, Brand- und Abgase sowie ggf. Alkohol, Medikamente und Drogen nur mit dem Einverständnis des Betroffenen oder auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erlaubt. Bei Nichtbeachtung handelte es sich um einen Fall der Körperverletzung! Ebenfalls wurde die Vorgehensweise bei Flugunfällen mit Todesopfern erläutert. Es wurde nochmals darauf hingewiesen, die Unfallstelle unverändert zu belassen, bis das Untersuchungsteam von GenFlSichhBw und die Einsatzgruppe des FMI, Abt. RuF, vor Ort sind. Falls die Unfallstelle dennoch geräumt werden muss, wurde gezeigt, wie eine umfangreiche und eindeutige Dokumentation vorzunehmen ist. Nach einer kurzen Pause referierte DiplomPsychologe Robert Hannig vom Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe (FMI), Fachgruppe Klinische Flugpsychologie, Ausbildung und Intervention, über „Erkennen und Umgang mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)“. Er informierte über PTBS, ihre Hintergründe, Diagnostik und Belastungsreaktionen. Er führte aus, dass ein Flugunfall ein kritisches Ereignis sei, da anschließend mit Faktoren wie Bedrohung von Leib und Leben, persönlicher Betroffen-

heit, Grad der Identifikation, Intensität des Ereignisses, Gefühl der Hilflosigkeit/Machtlosigkeit und Schuldgefühlen umgegangen werden müsse. Woran erkennt man eine PTBS und was ist zu tun im Umgang mit den beobachtbaren Veränderungen? Auf diese Fragen wurden Antworten gegeben und Möglichkeiten der Hilfe angeboten. Nach der Mittagspause berichtete Herr Grauenhorst (Kapitänleutnant d. R., Hubschrauberführer und Flugsicherheitsoffizier) von der ADAC-Luftrettung über die mögliche Traumatisierung der Hubschrauberbesatzungen bei Rettungseinsätzen, Prävention und Behandlung und wie sein Unternehmen mit dieser Problematik umgeht. Neben einigen Fallbeispielen gab er auch Informationen über Aeromedical CRM (ACRM), die Fehler- und Führungskultur im Unternehmen sowie das Critical Incident Stress Management (CISM) im Unternehmen. Zum Thema Fehlerkultur nannte er die bestehende Möglichkeit, Fehler anzusprechen und ein freiwilliges Meldesystem, bei dem Meldungen auch anonym gemacht werden können. Als wichtigste Faktoren für die Führungskultur führte er an, dass auch Vorgesetzte am ACRM teilnehmen, eine non punitive Auswertung erfolge, bei Bedarf Hilfe geleistet werde und es keinen Kostendruck bei Gesundheitsfragen gebe. Aus seiner Erfahrung sei es Aufgabe des Arbeitsgebers, die Ausbildung von kollegialen Ansprechpartnern im Peer Support System und Kontaktpflege mit professionellen CISM-Teamleitern zu ermöglichen. Sein Fazit: Die Inanspruchnahme von Unterstützung ist niemals ein Zei19

Flugsicherheit

chen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke und zeugt von Professionalität im Umgang mit sich selbst! Denn: Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun, sondern auch für das was wir nicht tun! Das und wie eine „Computergestützte Vorbereitung auf Extremsituationen“ möglich ist zeigte das Referat von Dr. Michael Merk, Leiter der ESG-Geschäftseinheit Informationsmanagement (ISR), in München. Da zivile und militärische Einsatz- und Rettungskräfte bei Friedenssicherungsmaßnahmen, Terroranschlägen, Naturkatastrophen oder schweren Unfällen hohen psychischen Belastungen ausgesetzt sind, reicht nicht immer die individuelle psychische Abwehr aus, um schreckliche Erlebnisse zu verarbeiten. So kann es im schlimmsten Fall zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) kommen. Deshalb hat die Fa. ESG eine innovative, multimediale Trainingsplattform für die psychosoziale Unterstützung (PSU) von Einsatz- und Rettungskräften entwickelt. Sie soll die bestehenden Betreuungsund Unterrichtseinheiten ergänzen und helfen, die psychosoziale Belastbarkeit der Einsatzkräfte effizient und nachhaltig zu erhöhen. Die Plattform soll helfen, Akzeptanz für die eigenen Grenzen zu schaffen und Verständnis für berufsbedingte Traumatisierungen zu fördern. Die Merkmale der PSUPlattform, die zentraler Bestandteil in der Ausbildung für Beamte und Angestellte im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst in Berlin wird, sind: - Ansprache und Begleitung durch einen virtuellen Coach, - Wissensvermittlung zu Stress und Trauma (Psychoedukation), 20

- Stressbewältigungsmethoden erlernen und individuell erproben, - spielerische Elemente zur Stressinduktion, - Konfrontation mit realistisch veranschaulichten Belastungsszenarien, - Biofeedback zur Objektivierung der Selbstwirksamkeit, - Training der Gesprächsführung mit virtuellem Gesprächspartner, - kontinuierliche Betreuung durch Psychologen (Blended-Training-Setting) und - sämtliche Aktivitäten werden in einem Punktesystem evaluiert. Nach einer kurzen Kaffeepause referierte der DiplomIngenieur (FH) Norbert Scholz von der Arbeitsgruppe für technische Untersuchungen (AGTU) bei Luftwaffeninstandhaltungsregiment (LwInsthRgt) 1 in Erding über eine „Gefahrenminimierung nach Brand von Faserverbundwerkstoffen“ mit Hilfe von Bindeund Hilfsmitteln. Dazu wurde die AGTU beauftragt, verschiedene Lacke auszuwählen, zu testen und zu bewerten, die zum Binden derartiger Stäube an einer solchen Flugunfallstelle unter den unterschiedlichsten Umweltbedingungen (heiß-kalt, nass-trocken, verunreinigt) geeignet sind. Dabei sollten sowohl die Belange der Flugunfalluntersuchung als auch die Besonderheiten bei der Bergung berücksichtigt werden. Ziel war es, einen Lack zu finden, der Wrackteile benetzt und eine schließende Schicht ausbildet, bei Feuchtigkeit und tiefen Temperaturen (