2009 GEF 14. Oktober 2009 GEF C Motion 1693 ... - Grosser Rat

14.10.2009 - Ausbildung oder für Erwerbstätige ohne existenzsicherndes ... eingesparten Kosten vermindern die Aufwendungen der Sozialhilfe als Ganzes. ... umfassendere Betreuungs- und Coachingstrukturen notwendig, als dies ...
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M 182/2009 GEF

14. Oktober 2009 GEF C Motion

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Messerli, Nidau (EVP) Gasser, Wabern (EVP) Weitere Unterschriften:

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Eingereicht am:

09.04.2009

Arbeitsintegration fördern - Fallzahlen vermindern Neue Wege in der Sozialhilfe Der Regierungsrat wird beauftragt, für die Sozialdienste die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, damit arbeitsfähige Personen mit einem grundsätzlichen Anspruch auf Unterstützung vor ihrer Aufnahme in die Sozialhilfe zu einem einmonatigen Arbeitseinsatz verpflichtet werden können. Dabei gelten die folgenden Vorgaben: 1. Für den einmonatigen Arbeitseinsatz wird den Teilnehmenden ein existenzsichernder Lohn ausbezahlt. 2. Es wird allen Teilnehmenden eine ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit angeboten. Auf körperliche Schwächen wird Rücksicht genommen. 3. Neben der Arbeit werden in regelmässigen Gruppencoachings die persönlichen Möglichkeiten der Teilnehmenden und ihr Potenzial für eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt abgeklärt sowie ihre Bewerbungsbemühungen begleitet. 4. Wer den Arbeitseinsatz verweigert und nicht absolviert, hat anschliessend auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe. 5. Ausnahmen können für Personen mit Betreuungspflichten, für Kranke, für Personen in Ausbildung oder für Erwerbstätige ohne existenzsicherndes Einkommen vorgesehen werden. 6. Die Programme sollen mit der Finanzierung über den Lastenausgleich oder eventuell über andere finanzielle Anreize gefördert werden. Begründung: Die vorliegende Motion basiert auf dem Schwellenprojekt „Passage“, welches bereits in der Stadt Winterthur erfolgreich angewendet wird. Das Programm ist nach dem Prinzip „Leistung und Gegenleistung“ aufgebaut. Mit dem einmonatigen Arbeitseinsatz, welcher vor dem Eintritt in die Sozialhilfe obligatorisch geleistet werden muss, soll die Aufnahme arbeitsfähiger Personen in die Fürsorge vermieden werden. Die angebotene Arbeit besteht beispielsweise aus Einsätzen im Wald, auf Sportanlagen oder in den Bereichen Abfallbeseitigung und Elektrorecycling. Das Programm setzt auf die Eigenständigkeit der Teilnehmenden und verleiht ihnen im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe einen wichtigen Anstoss, um ihre Probleme anzugehen und ihre Arbeitsperspektiven zu verbessern. Die Kombination von geregelter Arbeit und intensiver Betreuung und Beratung erweist sich dabei für die Teilnehmenden als erfolgsversprechend. Mit dem Arbeitsobligatorium von einem Monat werden jene Personen von der Sozialhilfe ferngehalten, die bereits heimlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine Stelle in Aussicht haben. Auf diese Weise wird gleichzeitig dem missbräuchlichen Bezug von

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Sozialhilfegeldern ein Riegel geschoben. So erschienen in Winterthur rund ein Sechstel der Personen, die zu einem Arbeitseinsatz verpflichtet worden waren, gar nicht erst zur Arbeit. Am Ende des Monats musste zudem jeweils nur gut die Hälfte der Teilnehmenden in die Sozialhilfe aufgenommen werden. Eine externe Kosten-Nutzen-Analyse der Firma econcept hat aufgezeigt, dass sich die Durchführung von Arbeitsintegrationsmassnahmen für die Stadt Winterthur mittelfristig ausbezahlt. Gemäss der Studie konnte pro investiertem Franken eine Einsparung von rund vier Franken erzielt und die Sozialhilfe damit wirksam entlastet werden. Auch die Teilnehmenden bewerten das Obligatorium des Arbeitseinsatzes rückblickend als positiv. Mit einer Finanzierung über den Lastenausgleich oder eventuell über andere finanzielle Impulse wird für die Gemeinden der Anreiz erhöht, ein solches Modell einzuführen. Die eingesparten Kosten vermindern die Aufwendungen der Sozialhilfe als Ganzes. Antwort des Regierungsrates Die Motion beauftragt den Regierungsrat, die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, mit denen arbeitsfähige Personen mit einem grundsätzlichen Anspruch auf Sozialhilfe bereits vor der Aufnahme in die Sozialhilfe im Rahmen von gewissen Vorgaben zu einem einmonatigen Arbeitseinsatz verpflichtet werden können. Die Motion verfolgt damit zwei Ziele: Die Förderung der Arbeitsintegration durch einen sofortigen Arbeitseinstieg und die Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch durch Schwarzarbeitende. Der Motionär lehnt sich an das Projekt „Passage“ der Stadt Winterthur an. Der Regierungsrat erachtet beide Zielsetzungen - die schnelle Arbeitsintegration und die Missbrauchsprävention – für wichtig. Die GEF hat sich in diesem Zusammenhang auch bereits eingehend mit dem Winterthurer Modell „Passage“ auseinandergesetzt. „Passage“ richtet sich an Personen, die sich zum Soziahilfebezug angemeldet haben und deren Bedürftigkeit grundsätzlich anerkannt worden ist. Jährlich erfüllen ca. 20% aller Sozialhilfegesuchstellenden die Voraussetzung für eine Passage-Zuweisung; rund 80% der Hilfesuchenden werden ohne Passage-Teilnahme direkt in die Sozialhilfe aufgenommen. Den Teilnehmenden von „Passage“ wird ein Arbeitsplatz in der Forstpflege zur Verfügung gestellt und sie werden mit einer täglichen Fragestunde im Plenum vor dem Arbeitseinsatz begleitet. Im Zusammenhang mit „Passage“ wird auch häufig der Begriff „Gate-Keeping“ verwendet. Im Vordergrund dieses Ansatzes steht die Frage des Zugangs zur Sozialhilfe und der Anspruchsberechtigung auf individuelle Unterstützung. Dementsprechend verfolgt dieses Modell die Missbrauchsbekämpfung als prioritäres Ziel. Denn um dem Ziel der Arbeitsintegration gerecht zu werden, sind erweiterte und umfassendere Betreuungs- und Coachingstrukturen notwendig, als dies „Passage“ anbietet. Als Beispiel sei hier das Modell „Basisbeschäftigung“ der Stadt Zürich genannt, die in ähnlicher Weise wie „Passage“ Neubeziehende einem vierwöchigen Arbeitseinsatz zuweist. Während des Einsatzes werden die Teilnehmenden jedoch intensiv abgeklärt und gecoacht, womit in erster Linie das Ziel der Arbeitsintegration verfolgt wird. Der Regierungsrat geht mit dem Motionär einig, dass sowohl die Arbeitsintegration wie auch die Missbrauchsbekämpfung wichtige Ziele sind und verfolgt werden müssen. Die Beispiele „Passage“ und „Basisbeschäftigung“ zeigen jedoch, dass es schwierig ist, beide Ziele innerhalb derselben Massnahme in gleichberechtigter Weise anzugehen. Je nach Ziel erfordert die Massnahme eine andere optimale Ausgestaltung. Der Regierungsrat geht davon aus, dass beide Ziele effizienter erreicht werden können, wenn eine Massnahme eindeutig auf ein Ziel und eine Zielgruppe ausgerichtet ist. Effizient auch deshalb, weil es möglich sein wird, beide Zielsetzungen in einzelnen Massnahmen innerhalb des bestehenden und breit akzeptierten Systems der beruflichen und sozialen Integration in der Sozialhilfe – den sogenannten BIAS – zu verwirklichen. Die Arbeitsintegration ist ein eigenständiges und erfolgreich umgesetztes Ziel der BIAS: 2008 konnten 29% der Teilnehmenden von Programmen der beruflichen Integration in den 1. Arbeitsmarkt

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vermittelt werden. Im interkantonalen Vergleich ist dieses Resultat bereits gut. Mit der geplanten Revision des Sozialhilfegesetzes per 2012 ist vorgesehen, die Träger von Beschäftigungs- und Integrationsprogrammen künftig durch den Kanton direkt mittels Leistungsverträgen zu beauftragen und damit schneller auf Veränderungen reagieren zu können. In diesem Zusammenhang soll das Angebotskonzept überprüft und neuen Bedürfnissen angepasst werden. Bezüglich einer Ergänzung im Bereich Missbrauchsbekämpfung bzw. Abklärung steht die GEF bereits heute im Gespräch mit der Stadt Bern, die in Anlehnung an „Passage“ das Konzept des Pilotprojekts „Testarbeitsplätze“ erarbeitet hat. Ab Frühling 2010 sollen in der Stadt Bern Personen, die des Sozialhilfemissbrauchs verdächtigt werden, unmittelbar und unter Einstellung der Sozialhilfeleistungen einem einmonatigen Arbeitseinsatz zugewiesen werden können. Die Evaluation dieses städtischen Pilotprojekts wird im Hinblick auf eine kantonale Umsetzung Klarheit bezüglich Wirkung und Kosten liefern. Der Regierungsrat geht davon aus, die Missbrauchsbekämpfung im Sinne der dargelegten Idee von Testarbeitsplätzen künftig als festes Modul nebst der beruflichen und sozialen Integration in die BIAS einzubinden. Der Regierungsrat ist deshalb der Ansicht, dass die Anliegen der Motion innerhalb BIAS aufgenommen werden sollten – eine Lösung, die gerade nicht dem Modell „Passage“ entspricht. Das Modell „Passage“ – ein Gate-Keeping vor dem Eintritt in die Sozialhilfe , wie es der Motionär für den gesamten Kanton fordert – wirft zudem auch rechtliche und finanzielle Fragen auf: Der obligatorische, einmonatige Arbeitseinsatz soll laut Motion vor dem regulären Sozialhilfebezug geleistet und der Lohn über den Lastenausgleich Sozialhilfe abgerechnet werden. Der Lohn müsste somit für eine bedürftige Person vorfinanziert werden. Damit würden Leistungen ausserhalb des eigentlichen Soziahilfesystems finanziert. Weiter würden Arbeitseinsätze ausserhalb der Sozialhilfe den rechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts und in einigen Branchen einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) mit Mindestlöhnen unterliegen. Die Konsequenz ist, dass in Winterthur häufig nur Arbeitsverträge in Branchen ohne GAV angeboten werden können und dass Personen, deren existenzsichernder Lohn Fr. 4'500.- übersteigt, von „Passage“ ausgeschlossen werden. Die Motion fordert die Finanzierung dieser Arbeitsplätze über den Lastenausgleich der Sozialhilfe. Auf Grund der BIAS-Wartelisten, wäre es nicht sinnvoll, für die Finanzierung der gemäss Motion geforderten Abklärungsplätze BIAS-Plätze zu reduzieren. Der Regierungsrat geht vielmehr davon aus, dass zusätzliche Plätze geschaffen werden müssen. Die Kosten wie auch die Einsparungen lassen sich für den Kanton Bern nur vage beziffern. Geht man in Analogie zu „Passage“ davon aus, dass 20% der sich neu anmeldenden Personen (im Kanton Bern 2840 Personen jährlich) an den Einsatz verwiesen werden und schliesslich 62% daran teilnehmen, so müssten unter der Berücksichtigung der regionalen Verteilung (Faktor 1.2) gesamtkantonal ca. 176 Jahreseinsatzplätze bereitgestellt werden. Bei Strukturkosten analog BIAS à Fr. 1504./Monat und existenzsichernden Lohnkosten von durchschnittlich Fr. 3'500.-/Monat ergeben sich jährliche Zusatzkosten von ca. 10.6 Mio. Franken. Subtrahiert man davon die Einsparungen der Sozialhilfekosten während des Einsatzmonates, so bestehen noch Nettokosten von 6.2 Mio. Franken. Gemäss „Passage“ beziehen zudem 13% der zugewiesenen Personen langfristig keine Sozialhilfe. Unter Annahme einer Sozialhilfeunterstützung von 2'500.- Franken pro Person während neun Monaten ergibt sich eine Nettoeinsparung von 2.1 Mio. In dieser Kostenschätzung ist nicht berücksichtigt, dass die stärkere Gewichtung der Abklärungs-, Coaching- und Kontrollleistungen zusätzliche Kosten verursachen können. Ob im Kanton Bern zudem ebenfalls 13% der Zugewiesenen schlussendlich nicht weiter unterstützt werden müssen, ist ebenfalls schwer abzuschätzen. Der Regierungsrat rechnet aber grundsätzlich mit der Möglichkeit, durch Abklärungsplätze Einsparungen zu realisieren bzw. sie kostenneutral umzusetzen.

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Zusammenfassend erkennt der Regierungsrat den Bedarf an Massnahmen zur Missbrauchsbekämpfung sowie zur gezielteren Arbeitsintegration. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Modell „Passage“ zeigt jedoch, dass eine Umsetzung dieses Modells, an das sich der Motionär anlehnt, rechtliche Probleme aufwirft (System ausserhalb der Sozialhilfe) und durch die niederschwellige Ausrichtung zu kurz greift. Der Regierungsrat sieht die Aufnahme der Anliegen der Motion in der Schaffung von zusätzlichen Testarbeitsplätzen, zu denen die Stadt Bern nun im Rahmen eines Pilotprojekts Erfahrungen sammelt. Diese Plätze sind auf das Erkennen von Schwarzarbeit sowie auf Abklärung von Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmotivation bei einer entsprechenden Zielgruppe ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Regierungsrat die Annahme der Motion als Postulat. Antrag:

Annahme als Postulat

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