12.Glieder.abhaengigen.Entstehens.Unterweisungen.TL.2005.de


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Auszug aus dem Sommerkurs 2005, Lama Lhündrup Fünfte Unterweisung Lasst uns zu Anfang – wie sonst auch – die Motivation entwickeln, diese Unterweisung zu erhalten, um Erleuchtung zu erlangen und um anderen besser helfen zu können. Die Unterweisungen kommen aus dem „Kostbaren Schmuck der Befreiung“ von Gampopa, einem Werk, in dem Gampopa die Essenz von Buddhas Unterweisungen zusammengeführt hat. Es ermöglicht uns, in einem einzigen Band alles Wichtige für die Praxis zu finden. Gampopa schreibt dort zum dritten Geistesgift, dem wir uns in der Meditation widmen: Wenn Unwissenheit bei uns vorherrscht, kontemplieren wir die Zusammenhänge abhängigen Entstehens. Diese werden im Reissprössling Sutra erklärt: „Mönche! Wer diesen Reissprössling versteht, der versteht abhängiges Entstehen. Wer das abhängige Entstehen versteht, der versteht den Dharma. Wer den Dharma versteht, der versteht Buddhaschaft.“ Es gibt zwei Arten abhängigen Entstehens: die Reihenfolge des Entstehens von Samsara und von Nirvana. Dabei zeigt der Buddha einfach auf ein Reisfeld, an dem sie vorbeigehen und zeigt auf eine Reispflanze. Seine Jünger fragen dann natürlich: „Kannst du uns mehr dazu sagen? Kannst du uns erklären, wie das zu verstehen ist? Wie hat diese Pflanze mit dem Dharma zu tun?“ Darauf gibt der Buddha die Erklärungen, die als die zwölfgliedrige Kette abhängigen Entstehens bekannt geworden sind. In diesen zwölf Gliedern abhängigen Entstehens findet man den gesamten Dharma des Buddhas wieder. Man findet darin die Erklärung, wie Samsara funktioniert und man findet die Erklärung, wie Befreiung, Nirwana, zustande kommt. Diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens werden nicht oft unterrichtet, wahrscheinlich weil man die Zuhörer nicht belasten möchte. Zwölf Glieder auf einmal sind schwierig zu verstehen. Jedoch ist jedes Glied sehr leicht zu verstehen, wenn wir schon Grundlagen im Dharma haben und gelernt haben, hinzuschauen. Wir wollen uns in diesem Kurs die Zeit nehmen, diese Punkte nicht geschwind abzuhandeln, sondern ausführlich hinzuschauen, bis wir ein umfangreiches Verständnis dieser zwölf Glieder haben. Das ist wichtig, weil sie wie ein roter Faden sind, der sich durch alle Unterweisungen des Buddhas zieht. Diese zwölf Glieder ermöglichen es uns, den Zusammenhang der verschiedenen buddhistischen Erklärungen zu verstehen. Im Pali Kanon heißt es, der Buddha selbst habe diese Zusammenfassung gesprochen, und es gibt viele Stellen, in denen er sie immer wieder auf ähnliche Art und Weise wiederholt. Im Sanskrit Kanon, im Reissprössling Sutra, ist es der Buddha, der den ersten Satz sagt, der hier unterstrichen ist, und Maitreya erklärt den Schülern dann, was der Buddha damit gemeint hat. Der Buddha befindet sich in Meditation und segnet die Unterweisungen von Maitreya mit seiner Anwesenheit. Gampopa fasst dies wie folgt zusammen: 1. Den Anfang bildet das, was wir „verblendete Unwissenheit in Bezug auf das, was man kennen sollte (d.h. die Wirklichkeit)“ nennen. 2. Unter ihrem Einfluss kommt es zu ‚unreinen’ (dualistischen) heilsamen, nicht-heilsamen (und unbewegten) Handlungen, den karmischen

Tendenzen. Diese nennen wir „durch Unwissenheit bedingte karmische Gestaltungen“. 3. Den Geist, den die Samen dieser Handlungen beeinflussen, nennen wir „durch karmische Gestaltungen bedingtes Bewusstsein“. 4. Das durch die karmischen Kräfte dieser Handlungen getrübte Bewusstsein irrt sich, nimmt mit dem Eintritt in die Gebärmutter eine neue Existenz an und durchläuft die embryonale Entwicklung. Das nennen wir „durch Bewusstsein bedingte Name-und-Form“. 5. In der weiteren Entwicklung von Name-und-Form bilden sich vollständig die Sinnesfähigkeiten wie Augen, Ohren usw. (inklusive geistige Wahrnehmung). Diese nennen wir „die sechs durch Name-und-Form bedingten Sinnesquellen“. 6. Das Zusammentreffen der drei Aspekte – der Sinnesfähigkeiten, wie z.B. der Augen, mit den Sinnesobjekten und dem Bewusstsein – verursacht eine Wahrnehmung. Das nennen wir „durch die sechs Sinnesquellen bedingten Kontakt“. 7. Aufgrund dieses Kontaktes entstehen angenehme, unangenehme oder neutrale Empfindungen. Das nennen wir „kontaktbedingte Empfindung“. 8. Das Wohlbefinden, Begehren und starke Begehren beim Erleben einer Empfindung nennen wir „durch Empfindung bedingtes Verlangen (‚Durst’)“. 9. Das Begehrte nicht loszulassen, weil wir nicht davon getrennt sein und es wieder haben wollen, nennen wir „durch Verlangen bedingtes Ergreifen“. 10. Dieses Habenwollen führt zu Handlungen mit Körper, Rede und Geist, welche die nächste Existenz hervorbringen. Dies nennen wir „durch Ergreifen bedingtes Werden“ (die Antriebskraft für die nächste Existenz). 11. Die Handlungen bewirken, dass die fünf Aggregate wieder zusammenkommen. Dies nennen wir „durch Werden bedingte Geburt“. 12. Die Weiterentwicklung und Reifung der Aggregate nach der Geburt ist ‚Altern’ und ihre Zerstörung ist der ‚Tod’. Dies nennen wir „geburtsbedingtes Altern und Sterben“. Die Kette geht dann weiter: Mit dem Tod fällt das Bewusstsein wieder in die grundlegende Unwissenheit und der Kreis beginnt von vorne. In diesen zwölf Sätzen sind eine Menge Begriffe, die Euch vermutlich ein wenig schleierhaft sind, weil sie einer Erklärung bedürfen, die viele von euch noch nicht bekommen haben. Wir werden sie Stück für Stück erklären. Als erstes sollten wir verstehen, dass es sich um eine Ursache-Wirkungs-Kette handelt, wo der vorangehende Faktor die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass der nächste Faktor entsteht. Ohne Unwissenheit kommt es nicht zu karmischen Gestaltungen. Ohne karmische Gestaltungen kommt es nicht zu einem dualistischen Bewusstsein usw. Wenn der vorangehende Faktor fehlt, ist es nicht möglich, dass der nächste entsteht. Das nennt man das Entstehen in Abhängigkeit hinsichtlich der Ursache: Das eine ist die Ursache des nächsten. Der erste Punkt ist Unwissenheit. Dabei handelt es sich nicht darum, dass wir etwas intellektuell nicht wissen, sondern es handelt sich um eine mangelnde Bewusstheit.

Ma-rigpa, Tibetisch, bedeutet: nicht bewusst sein, nicht gewahr sein. Das bedeutet aber nicht, dass wir unbewusst sind, in völliger Bewusstlosigkeit, sondern dass es dem Bewusstsein an Klarheit und Schärfe mangelt, weil es verschleiert ist durch Annahmen über die Wirklichkeit, die ein direktes Sehen dessen, was ist, verhindern. Dieses direkte Sehen wäre Rigpa, und das nur teilweise und verschwommene Sehen von dem, was ist, wird marigpa genannt. Es ist also keine Bewusstlosigkeit. Es ist ein Bewusstsein, das sich irrt, das verschwommen oder trübe ist. Die Unwissenheit, von der wir hier sprechen, ist die Annahme, dass es ein Ich gibt, das als solches existiert. Und alles, was geschieht, wird mit dieser dualistischen Brille erlebt in der Annahme, „Ich existiere und alles andere existiert getrennt von mir.“ Das Andere ist entweder die äußere Welt oder auch das Innere, das innerhalb des eigenen Geistes als das andere bezeichnet oder erlebt wird: „Ich und meine Gedanken“, „Ich und meine Emotionen“ – da wird bereits innerhalb des Geistes eine Trennung vorgenommen. Man fragt sich: „Wo kommt diese Trennung her, diese Annahme, dass es da ein Ich gibt?“ Die erleuchteten Meister sagen: „Es gibt diese Trennung gar nicht!“ Die Ich-Annahme ist in sich trügerisch. Dieses Nicht-Sehen wird grundlegende Unwissenheit genannt. Es ist keine x-beliebige Unwissenheit, in der man etwas nicht kennt, z.B. eine Unterweisung oder etwas weniger Wichtiges. Es ist die grundlegende Annahme einer Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Ich und anderen. Diese grundlegende Unwissenheit ist das, wovon die Buddhas uns sagen: „Diese Täuschung führt zu allem Leid!“ Sie führt dazu, dass wir in Samsara kreisen. Jetzt werden wir uns dem Kreislauf zuwenden, wie in Abhängigkeit vom vorangehenden Faktor immer wieder der nächste entsteht und es so zu einem Kreislauf des Leidens kommt. Das ist die erste Unterweisung. Die zweite Unterweisung besteht darin, die Punkte zu identifizieren, um uns von dieser grundlegenden Unwissenheit befreien und die damit verbundene Kette unterbrechen zu können, damit wir wissen, wo wir mit unserer Praxis ansetzen können. Es gibt eine Reihe von Punkten, an denen wir direkt ansetzen können, um aus diese Kette auszusteigen. Diese Unterweisung Buddhas beruht auf seinem Mitgefühl. Es geht ihm dabei nicht darum, uns noch trauriger zu machen, so dass wir uns vielleicht noch gefangener fühlen. Es geht darum, den Blick zu öffnen für das, was ist, für die Kette von Ursache und Wirkungen, die zu immer mehr Leid führt. Wenn wir die Kette kennen, wissen wir, wo wir ansetzen können, um uns zu befreien. Jemand, der seine Ketten nicht kennt, weiß nicht, an welchen Stellen er sie sprengen kann. Ich wünsche mir sehr, dass Ihr bis zum Ende des Kurses diese zwölf Glieder auswendig lernt, dass Ihr wisst, was die zwölf Glieder sind, damit Ihr Eure Untersuchung der Wirklichkeit in der Praxis selber fortsetzen könnt. Ich werde immer wieder darauf zurückkommen, immer wieder neue Aspekte der verschiedenen Glieder erklären, sodass ihr diese zwölf Glieder im Gedächtnis behaltet, damit sich alle Unterweisungen zu einem Gesamten formen können und Ihr den Zusammenhang der verschiedenen Unterweisungen kennt. Durch die grundlegende Unwissenheit kommt es zu Handlungen von Körper, Rede und Geist. Sie führen zu dem, was wir karmische Gestaltungen nennen. Gestaltung ist das, was unser Leben formt, was unser Bewusstsein formt. Wir denken, sprechen, handeln – und alles beruht auf der Annahme eines vom anderen getrennten Ichs. Diese grundlegende Dualität, die wir annehmen, ohne sie untersucht zu haben, verankern wir durch unsere Körper-Rede-Geist-Handlungen immer tiefer in unserem

Geist. Es kommt zu einer sich verstärkenden karmischen Tendenz, die Wirklichkeit so wahrzunehmen: Ich und andere getrennt. Diese karmischen Gestaltungen haben umfangreiche Wirkungen. In allem, was wir tun, denken und sprechen, findet sich diese Dualität wieder. Die Hauptwirkung davon ist, dass unser eigenes Bewusstsein total von der immer tiefer eingegrabenen Spurrille der Annahme einer Dualität eingefärbt wird. Das führt zu dem, was wir das dualistische Bewusstsein nennen. Der dritte Punkt, durch karmische Gestaltungen bedingtes Bewusstsein, tib. Namsche, bedeutet dualistisches Bewusstsein im Unterschied zu dem zeitlosen Bewusstsein, Ye-sche. Nam-sche ist das dualistische, unterscheidende Bewusstsein. Dieses Bewusstsein hat große Fähigkeiten, es ist sehr aktiv, es hat eine unglaubliche Wahrnehmungsfähigkeit, Kombinationsfähigkeit und Unterscheidungsfähigkeit. Es ist gerade diese Fähigkeit zu unterscheiden, die hier ungezügelt zum Zug kommt. Es wird unterschieden, unterschieden, unterschieden. Zuerst zwischen Ich und anderen und daraus folgt die gesamte Palette der Unterscheidungen von „was mir nützt, was mir schadet, wovor ich Angst habe, was ich haben möchte, was ich nicht haben möchte“. Diese Unterscheidung in angenehm-unangenehm ist das Resultat von: „Was ist für mich interessant, was ist für mich nicht interessant? Was mag ich, was mag ich nicht?“. Es ist eine in jedem einzelnen Moment sich vollziehende Unterscheidung unseres Erlebens in: „Was hat das mit mir zu tun?“ Es ist diese sich verselbständigende Unterscheidungskraft des Bewusstseins. Sie führt zu dem, was wir „durch karmische Gestaltungen geprägtes Bewusstsein“ nennen, das dualistische Bewusstsein. Ihm mangelt die andere Seite, die wir den Blick der Einheit nennen könnten oder die Synthese. Es ist zu stark im Unterscheiden gelandet. Da fehlt ein Element der Wirklichkeit. Unterscheidungen zu treffen, ist völlig in Ordnung, da ist kein Problem, wenn wir nicht gleichzeitig vergessen, dass Unterscheidungen nur auf der relativen Ebene zutreffen, aber nicht die letztendliche Ebene erfassen. Der Buddha hat diese Dimension der Nondualität entdeckt, verwirklicht, und deswegen hat er von der Unwissenheit gesprochen, weil er das andere entdeckt hat. Sonst hätte er gar keine Veranlassung gehabt, von dem mangelnden Gewahrsein zu sprechen. Er sprach davon nur, weil er das Gewahrsein der Einheit gefunden hatte, des offenen Geistes, des Raumes ohne Zentrum, nicht Ich und der Raum drum herum, sondern einfach Raum. Dieses völlig entspannte Bewusstsein hat er entdeckt als die Quelle dessen, was man Leidfreiheit nennen könnte. Das ist der leidfreie Zustand, und weil er den entdeckt hat, hat er dann das Leid beschreiben können. Der Hintergrund von Buddhas Lehre ist immer so zu verstehen: die befreiende Entdeckung, und dann aus dieser Entdeckung heraus die Beschreibung des Normalzustandes der gefangenen Lebewesen. Dieser dualistisch geprägte Geist – namsche – trägt bereits eine stark ausgeprägte Identifikation in sich. Ich bin in Abgrenzung zum anderen. Und dieses „Ich bin“ ist bereits die Identifikation, aber das „Was bin ich?“ führt zur Identifikation- entweder mit dem Körper oder mit dem Geist, normalerweise mit Körper und Geist zusammen. Ich identifiziere mich mit meinem Körper und mit dem, was in meinem Geist passiert. Das nennt man Name-und-Form. Form ist der Körper, das erste Skandha, das erste Aggregat, und Name ist die Bezeichnung für das Mentale, für die geistigen Skandhas, wo man sagt, „Ich bin meine Empfindungen.“, „Ich bin die Gefühle.“, „Ich bin die Geistesfaktoren.“ (die gestaltenden Faktoren des Geistes, d.h. meine Emotionen, die komplexeren Gefühlszustände, all das bin ich) oder man sagt – fünftes Skandha – „Ich bin das Bewusstsein.“ Das sind die fünf großen Möglichkeiten, sich zu identifizieren. Und diese Identifikation drückt sich aus in unserem Körper, in unserer jetzigen Existenz. Wir sind jetzt identifiziert mit Körper

und Geist. Der Eintritt in diesen Körper ist der Eintritt des dualistisch geprägten Bewusstseins in eine Form solider Identifikation. Das ist dieser Übergang. Wenn ein solches dualistisch geprägtes Bewusstsein Name-und-Form, also einen psycho-physischen Organismus annimmt, komplett mit Körper und Geist, dann entstehen – um in Beziehung treten zu können mit der Umwelt – die sechs Sinnesquellen. Damit sind gemeint: das Auge und das Sehbewusstsein, die Fähigkeit, visuelle Objekte wahrzunehmen. In der gleichen Weise Nase, Ohren, Geschmacksapparat und das Körperbewusstsein, wobei damit nicht nur das taktile Bewusstsein gemeint ist, sondern auch die Wahrnehmung der Haltung im Raum, die Temperaturempfindung. All das ist mit Tastsinn gemeint, all das, was man durch den Körper wahrnehmen kann. Der sechste Sinn ist die Fähigkeit, Gedanken, geistige Bewegungen wahrzunehmen. Die einfache Fähigkeit, zu bemerken: es passiert etwas im Geist, zu sehen, was da gerade stattfindet. Das ist noch nicht die verarbeitende Funktion, es ist einfach nur das Wahrnehmen. Nur wenn Name-und-Form vorhanden sind, also wenn es zu Körper und Geist kommt, wird es zu den sechs Sinnesfeldern kommen. Und nur wenn diese sechs Sinnesfelder aktiv sind und mit einem Objekt zusammen kommen, wird es zu einem Kontakt kommen. Mit Kontakt ist das gemeint, was die Grundlage der Empfindung ist. Nehmen wir das Beispiel des Aufwachens am Morgen. Bevor wir aufwachen, ist das Sehbewusstsein noch nicht aktiviert. Im Moment des Aufwachens wird das Sehbewusstsein aktiviert und zusammen mit den intakten Augen wird es – bei Vorhandensein visueller Objekte – zu einer Sehwahrnehmung kommen. Dieses Zusammentreffen der drei Komponenten wird Kontakt genannt. Kontakt ist das bloße Erscheinen des Objektes im Geist. Das Objekt ist noch nicht als solches identifiziert, man hat noch keine Empfindung ausgelöst, das ist der nächste Schritt. Damit es Empfindung gibt, ist Kontakt notwendig. Damit es Kontakt gibt, sind Sinnesquellen oder Sinnesfelder nötig. Der Zwischenschritt mit Kontakt ist deswegen so wichtig, weil es Geisteszustände gibt, in denen es trotz intakter Sinnesfunktionen nicht zu einem Kontakt kommt, z.B. in tiefer Meditation, in tiefem Samadhi: Wenn das Sehbewusstsein, das Hörbewusstsein nicht aktiviert sind, weil der Geist aus diesen Bewusstseinsformen zurückgezogen ist, dann kommt es bei einem Menschen in tiefer Versenkung nicht zur Sehwahrnehmung, nicht zur Hörwahrnehmung. Man kann ihn sogar anfassen, er spürt nichts, weil der Geist auf einer anderen Ebene ist. Deswegen wird als Zwischenschritt Kontakt aufgeführt. Es gibt halt Fälle, wo es nicht zu einem Kontakt kommt, obwohl Auge und Ohr absolut gesund sind, denn das zugehörige Sehbewusstsein oder Hörbewusstsein sind nicht aktiviert. Heißt das, dass in diesem Samadhi die Wahrnehmung nicht funktioniert? Es ist tatsächlich so, dass in der tiefen Versenkung die fünf physischen Wahrnehmungen nicht funktionieren, sie sind ausgeschaltet. Der Geist aktiviert diese Formen des Bewusstseins nicht. Nur weil es diese Spielweise unseres Seins auch gibt, hat der Buddha diesen Zwischenschritt benannt. Er hätte sonst auch direkt von den Sinnesquellen in die Sinnes-Empfindung gehen können. Bei geistigen Störungen können ja auch Empfindungen ausgeschaltet sein. Bei Gehirnkrankheiten. Bei Menschen mit partiellem Verlust der Wahrnehmung gibt es in diesem Bereich die Kette von Kontakt zu Bewertungen, Anhaften usw. nicht. Der nächste Schritt ist dann, dass es zu Empfindungen kommt aufgrund des Kontaktes. Und Empfindungen sind auf jeden Fall immer angenehm, unangenehm oder neutral. Diese Unterscheidung findet automatisch statt. Kaum, dass etwas

empfunden wird, wahrgenommen wird, ohne dass wir es merken, fragen wir: „Ist das gefährlich für mich? Ist das interessant für mich oder interessiert mich das nicht?“ Diese grundlegende Unterscheidung findet ständig statt mit allem, was passiert und wir schalten sofort das aus, was uns nicht interessiert und wenden uns nur dem zu, was uns interessiert, weil es uns etwas bringt, oder dem, was uns gefährdet und Leid zufügt. Wir haben sofort diese selektive Wahrnehmung, weil ein dualistisches Bewusstsein Empfindungen hat: sofort werden diese Empfindungen mit Ich und anderen in Verbindung gebracht und daraufhin untersucht: „Was hat das mit mir und anderen zu tun?“ Jetzt kommt es aufgrund von Empfindungen zu dem, was wir Verlangen oder Durst nennen. Verlangen hier ist das Verlangen, etwas zu haben oder das Verlangen, etwas nicht zu haben – Angenehmes zu haben und Unangenehmes nicht zu haben. Wir sollten also wissen, – auch wenn hier in der Folge Gampopa das Haften an Angenehmes als Grundlage für die Erklärung nimmt –dass Haften an Angenehmes völlig identisch ist mit Haften im Unangenehmen. Das Nicht-Haben-Wollen von etwas führt zu genauso starken Reaktionen wie das Haben-wollen von etwas. Es ist einfach das Haben-wollen der Abwesenheit von dem, was uns stört. Von der Empfindung ausgehend kommt es also zu diesem Interesse an einem als angenehm wahrgenommenen Sinnesobjekt in irgendeinem der sechs Sinnesbereiche. Es kann ein angenehmer Geruch sein, eine angenehme Hautberührung, ein angenehmer Gedanke. Völlig egal, es ist etwas, das unser Interesse weckt und uns angenehm bzw. unangenehm vorkommt. Das Angenehme weckt unser Interesse und führt zu einem Festhalten. Dieses Festhalten-Wollen beschreibt der Buddha als Ergreifen. Wir ergreifen das Objekt und versuchen, es festzuhalten. Ergreifen bedeutet starkes Interesse, Festhalten von etwas, was ich mir heranziehen möchte und Festhalten von etwas, was ich wegstoßen möchte. Ich gebe dem eine übergroße Bedeutung, was da mein Interesse geweckt hat. Wenn wir uns jetzt den nächsten Faktor anschauen: Aus dem Ergreifen, dem Haften, dem Festhalten kommen jede Menge Handlungen mit Körper, Rede und Geist. Sobald uns etwas gefällt, führen wir Handlungen aus, um es zu verstärken, um diese Erfahrung zu wiederholen. Ein Geruch gefällt uns, wir werden schauen, woher er kommt und vielleicht die Blume oder das Parfum besorgen. Wir werden – wenn wir Gedanken haben, die uns gefallen – darin verweilen und sie weiter ausformen. Wenn wir angenehme Eindrücke haben, dann werden wir versuchen, diese Eindrücke häufiger zu erleben und Handlungen ausführen mit Körper, Rede und Geist, die es uns ermöglichen, sie wieder zu erleben. Andrerseits werden wir versuchen, unangenehme Eindrücke nach Möglichkeit nicht mehr zu erleben. Das nennt man Handlungen, die auf der Annahme eines Ichs beruhen. Es sind also auch wieder die karmischen Kräfte, diese Gestaltungskräfte, die wir in Bewegung setzen. Punkt (10) Werden und Punkt (2) sind eigentlich identisch, lassen aber zwei verschiedene Erklärungen zu. Entweder findet dieses Werden im Hier und Jetzt statt, wir werden immer wieder neu, oder es ist bereits der Übergang zur nächsten Existenz. Es geht hierbei um die Kräfte, die zu einem immer wieder neuen Bejahen von Existenz führen: Geburt hier und jetzt zu nehmen oder Geburt in der nächsten Existenz. Eigentlich ist es kein Unterschied. Jedes Mal, wenn ich mich bestätige als „Ich bin!“ durch das Handeln im Unterschied zum anderen, jedes Mal, wenn ich mit einem Objekt in Kontakt trete und eine Handlung ausführe, vertiefe ich die Annahme

„Ich bin!“. Ich bestätige mich, ich nehme Geburt an, ich habe ein Leben in der Dualität dadurch, dass ich mich im ergreifenden Handeln bestätige. Nun kann aber dieses Leben nicht ewig dauern, es wird der Tod kommen. Im Tod lösen sich Körper und Geist voneinander, der Körper bleibt zurück. Aufgrund der enorm vielen Handlungen, die wir mit Körper, Rede und Geist ausgeführt haben, wird es unmittelbar nach dem Tod wieder dazu kommen, dass ich mich bestätigen möchte als „Ich bin!“, „Ich will sein!“, „Ich will existieren!“. Dieses „Ich will existieren!“ führt unweigerlich zur nächsten Geburt, zur Annahme eines Körpers und zur Identifikation mit einem Geist. Die Kette der Identifikationen hört nicht auf. Nur wer sich nicht weiter identifiziert, wird keine neue Geburt annehmen. Sobald Identifikation da ist – und die ist durch so viele Handlungen geprägt – wird es zur Annahme einer nächsten Geburt kommen. Schauen wir uns diesen Prozess von Geburt, Alter und Tod an: Wenn es Geburt gibt, gibt es auch Tod und alles dazwischen wird „Altern“ genannt. Altern beginnt mit der Geburt, nicht erst im fortgeschrittenen Alter. Sobald etwas geboren ist, geht der Prozess des Wandels weiter und dieser Wandel – bis es zum Auflösen dessen kommt, was geboren wurde – wird Altern genannt. Dieses Altern ist nicht angenehm für ein Bewusstsein, das von Unwissenheit geprägt ist und gerne in der angenehmen Erfahrung der Jugend bleiben würde. Doch Wandel bringt immer das Aufhören dessen, was gerade ist, und es kommt zu etwas Neuem. Und für den unwissenden Geist, der sich dem Wandel widersetzt, ist das von Leid begleitet. Und so heißt es bei Gampopa: Aufgrund von Unwissenheit führt Sterben zu heftigem inneren Leid, begleitet von starkem Begehren und Haften. Dies ist Elend. Das Ausdrücken dieses Elends in Worten ist Klagen. Das Erfahren unangenehmer Empfindungen durch die fünf Prozesse sinnlicher Wahrnehmung ist (körperliches) Leid. Das mit geistigen Vorstellungen einhergehende geistige Leid ist Unglücklichsein. Alle weiteren Emotionen dieser Art werden Aufgewühltsein genannt. Das spielt sich also im Leben und in Sterben ab. Immer, wenn der am Ich haftende Geist mit angenehmen Empfindungen konfrontiert wird, die sich auflösen und in etwas anderes wandeln, kommt es zu diesem Leid. Wenn der Körper krank wird oder wenn er Hunger hat, Durst usw., entsteht körperliches Leid mit all den Ausdrucksformen, die wir kennen. Das ist die Beschreibung dessen, wie im Geist, der im Haften an angenehmen Empfindungen gefangen ist, automatisch Leid erfahren wird. Ist es so, dass einige der Faktoren mehr die Ursachen betonen während andere die unvermeidbaren Folgen sind? Das stimmt. Man kann diese Faktoren gruppieren in die, die eher grundlegende Ursachen sind und in jene, die leidvolle Resultate sind. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Ich will nicht, dass Ihr heute viele Fragen stellt, weil noch viel zu erklären ist, was Eure Fragen automatisch beantworten wird. Es gibt auch die Möglichkeit, diese zwölf Faktoren so zu verstehen, dass sie sich auf drei verschiedene Leben, auf zwei Leben, auf ein Leben und auf jeden Augenblick beziehen. Da gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Ich wollte noch einmal beim siebten Punkt ansetzen, bei den Empfindungen. Empfindungen können doch auch entstehen, wenn Ichlosigkeit schon realisiert ist,

oder umgekehrt: eine Empfindung darf sein, ich kann sie registrieren, das Entscheidende ist doch, ob ich beginne, an dieser Empfindung zu haften. Das ist richtig. Was du da ansprichst, ist die Unterweisung darüber, wie man damit praktizieren kann. Jeder Punkt führt – wenn es kein Ich-Anhaften gibt – zu einem ganz anderen Resultat. Wenn wir z.B. Empfindungen nicht bewerten oder wenn wir den Bewertungen, die schon entstanden sind, nicht aufsitzen, kommt es zu etwas ganz anderem. — Meditation — *** Sechste Unterweisung, 31. 7. 04 Ihr habt das Blatt, auf dem die zwölf Glieder abhängigen Entstehens dargestellt sind, vor Euch liegen. Wir werden versuchen, mit Hilfe des Textes von Gampopa zu einem tieferen Verständnis dieser zwölf Glieder zu kommen. Gampopa schreibt: Diese zwölf Glieder gehören zu drei Gruppen: Unwissenheit, Durst (Verlangen) und Ergreifen sind emotionale Verblendung… Schauen wir uns das einmal an: Der erste dieser Faktoren ist Unwissenheit, und wir erinnern uns, dass Unwissenheit dieses mangelnde Gewahrsein ist, nicht zu wissen, was die Wirklichkeit tatsächlich ist. Und in der Darstellung des Dharma wird Unwissenheit immer zu den Emotionen gerechnet, weil die Definition der Emotion im Dharma anders ist als das, was wir in unserem Sprachgebrauch gewöhnlich denken und sagen. In unserem normalen Sprachgebrauch ist auch Freude eine Emotion, das ist aber hier nicht gemeint. Hier sind die Emotionen gemeint, die zu einer Verblendung führen, zu einer Beschränkung der Sicht, und die uns aufwühlen. Auf Tibetisch heißt das nyön-mong. Die erste Silbe nyön bedeutet: das, was uns betrunken macht; das, was aufwühlt; das, was verrückt macht. Und mong, die zweite Silbe, bedeutet: das, was verdunkelt; das, was blind macht. Darum ist emotionale Verblendung eigentlich eine gute Übersetzung, und im Wort Emotion – da steckt Motion, Bewegung, drin: das, was etwas in Bewegung bringt, was den Geist aufwühlt. So sind also Emotionen im Dharma-Kontext immer die beschränkenden, verdunkelnden Geistesregungen und nicht die Geistesregungen wie Liebe, Mitgefühl, Freude und dergleichen. Das wird hier nicht als Emotion bezeichnet. Auf Sanskrit heißt das Wort klesha, und damit ist gemeint: das, was uns in Samsara festhält. Unwissenheit ist also der Faktor des Nicht-Wissen-Wollens bzw. aufgewühlt zu sein dadurch, dass man nicht weiß, dass man die Wirklichkeit nicht kennt. Das beunruhigt. Aufgrund von Nicht-Wissen, Nicht-Verstehen, Nicht-Erkennen entsteht Unruhe im Geist. Jetzt schauen wir uns die Gruppe der drei Emotionen an, die Faktoren, die emotionale Verblendung darstellen. Unwissenheit haben wir bereits gesehen. Aus Unwissenheit kommt es zu karmischen Gestaltungen, das ist der zweite Faktor. Das ist in sich keine Emotion, es ist einfach das Handeln aufgrund der Unwissenheit. Dieses Handeln führt dazu, dass wir Tendenzen erzeugen, wie wir die Welt sehen, wie wir sie erfahren – nämlich in Form einer dualistischen Wahrnehmung, was zu einem dualistisch geprägten Bewusstsein führt, das auf Unwissenheit beruht, aber

in sich keine Emotion ist. Dieses dualistische Bewusstsein, das sich mit Ich und anderen identifiziert – also Ich in Abgrenzung zu anderen – identifiziert sich mit Name-und-Form, mit einem Körper und Geist. Das ist in sich einfach wiederum nur Ausdruck der Unwissenheit. Sich damit zu identifizieren, ist keine neue Emotion. Wenn wir einen Körper haben und einen Geist, dann haben wir logischerweise in Folge der Entwicklung auch die sechs Sinnesquellen, die in sich keine Emotion sind, aber zum Kontakt führen. Kontakt führt zur Empfindung. Kontakt und Empfindung sind auch neutral, sind nicht emotionsgeladen. Wenn die Empfindung, die angenehm, unangenehm oder neutral sein kann, wieder zu einem Ich in Beziehung gesetzt wird, entsteht der Durst oder das Verlangen. Verlangen bedeutet zugleich auch Ablehnung, denn in dem Haften an dem, was angenehm ist, ist auch das Haften an dem, was wir nicht haben wollen. Es spielt sich immer in dieser Dualität ab: das eine möchte ich, das andere möchte ich nicht. Deswegen ist, wenn hier von Verlangen die Rede ist, gleichzeitig von Nicht- Haben- Wollen die Rede. Und darauf aufbauend das Ergreifen, das emotionale Ergreifen, wenn ich sage: „Ich will das!“ Das ist meine Begierde, das ist mein Haften oder meine Abneigung, meine Ablehnung, die sich darin ausdrückt. Wir ergreifen Objekte der Sinneserfahrung als tatsächlich existent und wollen damit entweder, dass es bei uns bleibt, oder wir wollen es von uns wegstoßen. Diese beiden Faktoren – 8) und 9) sind die anderen Glieder, die wir die Glieder der emotionalen Verblendung nennen. Was daraus folgt – dass wir nämlich wieder Handlungen ausführen und damit die Kräfte erzeugen, die wir die Werdens-Kräfte nennen, Faktor 10), das Werden –ist eigentlich der Wunsch nach Existenz. Es beruht auf Unwissenheit und Anhaftung, aber ist in sich neutral, führt zu Geburt, Alter und Tod, was in sich auch keine emotionalen Faktoren sind. Die emotionalen Faktoren, die hier im Spiel sind, sind das erste Glied, das achte und das neunte. Gampopa stellt dann die zweite Gruppe vor –alles stammt von Buddha- Gampopa schreibt da kein einziges persönliches Wort. Es sind die Worte des Buddha: …karmische Gestaltungen und Werden sind Karma… Damit ist gemeint, dass es sich beim zweiten Faktor, den wir karmische Gestaltungen nennen, um die direkte Auswirkung von Unwissenheit handelt. Wo Unwissenheit, d.h. die Annahme eines Ichs vorhanden ist, kommt es automatisch zu einer Gestaltung – zunächst einmal im Geist, zu Gedanken, die sich um ein vermeintliches Ich drehen. Diese Gedanken färben unseren Bewusstseinszustand, was der dritte Faktor ist. Gleichzeitig – wenn wir schon in einer Existenz sind – können wir auch sprechen und handeln, körperlich handeln, was weiter unsere Existenz gestaltet. Dieses Handeln ist motiviert durch Haften. Das grundlegende Haften ist die Unwissenheit, das Haften an einem vermeintlichen Ich, und dann das Haften an Sinneswahrnehmungen, was die Faktoren 8) und 9) sind, die ihrerseits zu Handlungen führen, die im Laufe eines Lebens die Summe aller Handlungen ausmachen, die zum nächsten Leben führen. Das ist der Faktor 10). Die Summe der Handlungen, die das nächste Leben bewirken, wird Werden genannt, der Faktor des Werdens, die Kräfte, die zur nächsten Existenz führen, beruhend auf dem Wunsch nach Existenz, auf dem Wunsch, sich als ein Wesen zu bestätigen und wieder zu erfahren. Also der Unterschied zwischen 2) und 10) ist eigentlich nur der, dass 2) sich auf die direkt aus Unwissenheit geborenen Handlungen bezieht – das können auch einzelne Handlungen sein – während 10) sich auf die Summe aller aus Emotionen geborenen

Handlungen bezieht, die wir im Laufe eines Lebens ausführen und die die Kräfte darstellen, die uns in die nächste Existenz schleudern. Diese beiden Faktoren sind also die Glieder, mit denen wir unser Leben gestalten. Hiermit nehmen wir durch Körper, Rede und Geist Einfluss auf das, was uns im Leben widerfährt. Und diese Handlungen beruhen ihrerseits auf der emotionalen Gruppe. Unwissenheit ist die Grundlage für Faktor 2), für die karmischen Gestaltungen, und Anhaften – Ablehnung, die Faktoren 8) und 9), sind die Grundlage für sämtliche karmische Handlungen. Gampopa beschreibt weiter und sagt: …und die restlichen sieben – Bewusstsein usw. – sind Leid. Es überrascht uns vielleicht, dass Bewusstsein als erster dieser Faktoren auch schon Leid genannt wird. Das hat damit zu tun, dass es sich um ein begrenztes, dualistisches Bewusstsein handelt. Vom Standpunkt eines Buddhas aus ist ein Bewusstsein, in dem sich die Täuschung eines Ich breit macht, ein begrenztes Bewusstsein, weil es immer auf Spannung aufbaut. Es hat immer noch die Anspannung des künstlichen Aufrecht-Erhaltens einer Täuschung in sich. Und diese Grundspannung, die das dualistische Bewusstsein charakterisiert, hat dazu geführt, dass man dieses dualistische Bewusstsein bereits in die Glieder des Leidens einordnet. Dieses dualistische Bewusstsein, das sich mit Körper und Geist identifiziert, beruht auch auf Anspannung. Es ist ein Festhalten damit verbunden, deswegen auch Leid. Das setzt sich fort in den Sinnesfeldern, den Sinnesquellen, auch das ist ein begrenzter Geisteszustand. Und auch diese Begrenzung ist – aus der Sicht eines Buddhas –Teil des samsarischen Leidens, z. B. dass man nicht mehr wahrnehmen kann, als man z.B. mit den eigenen Augen sieht, obwohl unser Geist prinzipiell Dinge wahrnehmen könnte weit über das hinaus, was wir mit den eigenen Augen sehen. Der Geist kann eigentlich unbegrenzt wahrnehmen, genauso kann der Geist eigentlich unbegrenzt hören usw. Diese hellhörigen Fähigkeiten gehören dazu, wenn man zur Buddhaschaft erwacht. Von daher sind diese begrenzten Sinnesquellen Leid, ebenso auch der Kontakt und die Empfindungen, die daraus resultieren, wobei diese Empfindungen sofort mit einem Ich in Beziehung gebracht werden und zu engen Geisteszuständen führen. Diese Empfindungen führen dann zu Emotionen, die Emotionen charakterisieren unser Leben, und wir nehmen dadurch ein Leben nach dem anderen an. Die Faktoren 11) und 12), Geburt, Altern und Tod sind dann ebenfalls Leid, weil Geburt nicht leicht ist: wir sind abhängig von anderen, wir haben es kalt, wir haben es zu heiß, wir haben nichts zu essen, wir haben Verdauungsschwierigkeiten, wir werden krank, wir müssen aufwachsen,…das Leben ist nicht einfach, es ist schwierig. Und dann kommen die Krankheiten dazu, dann kommt der Sterbeprozess dazu, und deswegen sind diese Faktoren unter Leid eingeordnet. Der Buddha ist sich bewusst, dass unser menschliches Leben sehr viele angenehme Empfindungen hat. Das ist ja der Faktor, der das Verlangen auslöst. Was er Leid nennt, ist die Tatsache, dass alle Empfindungen – angenehme wie unangenehme – sich in einem dualistischen Bewusstsein abspielen. Und diese Begrenzung des Bewusstseins ist das eigentliche Leid. Und diese Begrenzung ist Unwissenheit, das ist der erste Faktor. Ihr seht, dass ich zwischen dem Faktor 9), Ergreifen, und der Unwissenheit, eine gestrichelte Verbindungslinie gezogen habe. Die weist darauf hin, dass Haften und Ergreifen immer wieder erneut unsere Unwissenheit nähren, dass das auf

dualistischer Wahrnehmung beruhende Ergreifen zu einer Verstärkung der Dualität in uns führt, zu der grundlegenden Unwissenheit. Es ist so, als würden unsere Emotionen immer wieder die Grundannahme bestätigen: ich existiere! Das ist ein sich selbst nährender Kreislauf. Mit diesem kleinen Strich hier soll das ausgedrückt werden: Je mehr Emotionen, desto mehr glaube ich zu sein. Und dieser Kreis dreht sich unaufhörlich und nährt sich von den dazwischen geschalteten Faktoren des Identifizierens mit Sinneseindrücken usw. Gampopa fährt fort und gibt uns ein Beispiel – das stammt auch aus dem Sutra: Ein Beispiel: Unwissenheit ist wie der Sämann, Karma (oder Handlung) ist der Boden, Bewusstsein ist der Same, Durst entspricht der Feuchtigkeit, Name und Form sind der Keim und die anderen Glieder entsprechen den Zweigen, Blättern und so fort. Ich gebe euch einen Satz, den ich selber zusammengestellt habe, der leichter zu verstehen ist: „Bewusstsein ist wie ein Same, der von Unwissenheit gesät und unaufhörlich genährt wird im Boden des Karma und von Verlangen gewässert wird. Feucht gehalten von Verlangen, bringt es die Keime von Name und Form hervor mit ihren Ästen und Blättern in allen Geburtsorten des Werdens. Bewusstsein ist also wie ein Same, den wir säen. Bewusstsein ist das, was sich mit Ei und Sperma verbindet. Da kommt nicht nur Materie zusammen, sondern auch das Prinzip des Bewusstseins, die Vitalität, das was das Persönliche des neuen Wesens ausmacht. Das nennen wir das Bewusstsein. Dieses Bewusstsein wird mit Unwissenheit gepflanzt. Unwissenheit bedeutet hier, es wird mit einem mangelnden Gewahrsein gepflanzt, in der Annahme eines Ichs und in dem Bedürfnis, dieses Ich zu bestätigen, sich weiter zu identifizieren. Wo hinein wird es gepflanzt? Die Unwissenheit ist wie der Sämann, sie sät den Samen in ein Feld des Karma. Die Unwissenheit hat auch dieses Feld ausgesucht, geschaffen. Das Feld, in dem der Boden – wie bei jeder Pflanze – enormen Einfluss auf den Samen hat: ob der Same aufgeht oder nicht, ob er stark wird usw. Die Umgebung, in der sich das Bewusstsein entwickelt, wird karmische Gestaltungen genannt. Das ist das Feld, in dem der Same aufgeht. Damit ein Pflänzchen wachsen kann, muss es gewässert werden, es braucht Feuchtigkeit. Was ist die Feuchtigkeit, die das dualistische Bewusstsein braucht, um stärker und stärker zu werden? Es ist das Anhaften, das Verlangen, das Ergreifen. Das Ergreifen ist das, was die Dualität durch die Annahme eines Ichs immer weiter verstärkt. Dadurch wird dieses Bewusstsein richtig fest installiert. In der embryonalen Entwicklung führt das Sich-Identifizieren mit Name und Form – mit Körper und Geist – dazu, dass sich immer mehr individuelle Merkmale ausprägen. Das nennen wir die Zweige und Blätter von dem Keim, der Name und Form heißt. Das sind die Merkmale, die eine voll entwickelte Pflanze hat: Zweige und Blätter. Und so haben wir als voll entwickelte Menschen auch unsere persönlichen Merkmale, die uns unterscheiden. Die volle Ausprägung aller Merkmale heißt hier: Äste und Zweige. Dieser Prozess vollzieht sich an allen Geburtsorten des Werdens. Werden, tib. Sipa, dieses Wort wird als Synonym für samsarische Existenz benutzt. So habt Ihr in diesem Satz – den man natürlich durchmeditieren sollte – alle zwölf Faktoren anhand eines Beispiels zusammengefügt, eines Beispiels, das die Quelle für das Sutra war:

„Wer diesen Reissprössling versteht, versteht den Dharma. Wer den Dharma versteht, versteht die Buddhaschaft.“ Das gesamte Beispiel, anhand der Pflanze aufgezeigt, ist somit in diesem einen Satz zusammengefasst. Aber was wir wissen sollten: in Verlangen, das hier bewässert oder befeuchtet, sind die Faktoren 8) und 9) zusammengefasst, und mit den Zweigen und Blättern sind die Faktoren 5), 6) und 7) zusammengefasst. Die Sinnesquellen, Kontakt und Empfindungen bilden in dieser Darstellung eine Einheit, das sind einfach die Zweige und Blätter, mit denen die Pflanze in Kontakt zu ihrer Umgebung tritt. Habt Ihr dieses Beispiel mit der Pflanze verstanden? Habe ich mich klar ausgedrückt, oder sind noch zusätzliche Erklärungen nötig? Zum Werden und Punkt 4) Name und Form. Wie ist das bei den formlosen Göttern? Dieser Kreislauf ist etwas anders, wenn es sich um formlose Bereiche handelt, da heißt es nicht Name und Form, sondern es heißt nur noch Name. Die Empfindungen sind dann nur geistige Empfindungen. Zu Punkt 7): Du hast bei den Empfindungen unterschieden. Gehören in diese Unterscheidungen z.B. auch Empfindungen hinein, die man in lebensbedrohenden Situationen hat? Wenn ich z.B. vor einem Auto weg springe, dann sind das auch Empfindungen und man könnte sagten, die beziehen sich nur auf mich. Ja, die gehören alle mit dazu. Wenn du ein Auto auf dich zurasen siehst: Du siehst es und du hörst es. Das ist die direkte auditive und visuelle Wahrnehmung. Als nächstes setzt du damit Dinge in Beziehung, die du weißt, die du erfahren hast. Da findet eine Rückkoppelung statt. Und diese Rückkoppelung kann Ich-bezogen sein und sie kann nicht Ich-bezogen sein. Wenn sie nicht Ich-bezogen ist, so heißt das nicht, dass du deswegen nicht weg springen würdest. Du würdest weg springen, weil es z.B. sinnvoll ist, diesen Körper am Leben zu erhalten. Es gibt andere Motivationen, ohne Angst. Man kann weg springen, ohne Angst zu haben. Die Angst, die da auftaucht, ist ein typisches Merkmal für die Ich-Identifikation. Das bedeutet nicht, dass man nicht weg springt, wenn man keine Angst hat. Auch ein Buddha würde auf die Seite treten, wenn ein Auto auf ihn zu rast, er würde irgendetwas machen, um diese Existenz zu schützen, oder auch um den Fahrer zu schützen. Das unwissende Element besteht darin, welche Rückkoppelungen aufgrund dieser Empfindung stattfinden. Könnte man das unter dem Begriff „Selbsterhaltungstrieb“ zusammenfassen? Der Selbsterhaltungstrieb ist ein auf der Annahme eines Ichs beruhendes Phänomen und beruht in den meisten Fällen auf Angst, auf unangenehmen Empfindungen, die man vermeiden möchte. Das bedeutet aber nicht, dass ein Erleuchteter nicht mehr essen und trinken würde, sich nicht behandeln lassen würde und nicht auch Handlungen ausführen würde, die zur Erhaltung dieses Lebens beitragen. Das ist absolut sinnvoll. Aber er würde nicht aus Angst heraus handeln und wenn es so sein soll, dass er stirbt, dann ist das in Ordnung, dann gibt es bei ihm kein Aufbäumen dagegen. Um das Beispiel fortzusetzen: Als der Buddha zu einem Zeitpunkt starb, den er vorher wusste, hat er noch jemandem Zuflucht gegeben, hat sich hingelegt, von seinen Jüngern verabschiedet und ist danach durch die verschiedenen Samadhis, die Versenkungen gegangen in aufsteigender und absteigender Ordnung und dann ins Parinirwana übergegangen ohne die geringste Anhaftung, Sorge und Angst, ohne die Ich-bezogenen Reaktionen, die man normalerweise hat.

Lama Taschi: Die Angst ist ein unmittelbarer Ausdruck der Unwissenheit. Weil wir Menschen sind, haben wir nicht nur einen Geist, sondern auch einen Körper. Was bringt das für Vorteile auf einem spirituellen Weg,? Warum sprechen wir von einer kostbaren menschlichen Existenz, wenn wir doch eigentlich mehr Identifikationsgrundlage haben als z.B. die formlosen Götter? Es gibt zwei große Vorteile. Der eine ist: Einen Körper zu haben stabilisiert den Geist, weil wir immer im selben Körper aufwachen und vor Ort bleiben, weil der Geist nicht hingehen kann, wohin er will. Das führt zu einer gewissen Kontinuität in unserem Leben. Und dann ist es so, dass wir aufgrund des Körpers sehr viel mehr unangenehme Erfahrungen machen, Leid erfahren, was uns motiviert, den Dharma anzuwenden. Götter ohne Körper erfahren keine unangenehmen körperlichen Empfindungen und sind von daher auch nicht motiviert, den Dharma anzuwenden. Sie sehen keinen Grund dafür, weil sie leider nicht weitsichtig genug sind, zu sehen, was später auf sie zukommt. Aber ihre jetzige Existenz motiviert sie nicht, den Dharma anzuwenden, während unsere jetzige Existenz mit all dem Leid, das wir erfahren, uns durchaus motiviert zu praktizieren. Man sagt, dass die Wesen in den niederen Bereichen sehr viel Leid erfahren. Haben diese Wesen einen Körper? In den niederen Daseinsbereichen, bei den Tieren, haben wir natürlich einen Körper, eine Form mit der entsprechenden Identifikation. Bei den Hungergeistern und bei den Höllenwesen haben wir nur einen Lichtkörper, keinen substantiellen Körper. Und dummerweise – obwohl sie nur einen Lichtkörper haben – sind sie so intensiv identifiziert mit ihrem Lichtkörper, schlimmer noch als wir mit unserem menschlichen Körper, und haben eine noch sehr viel geringere Bandbreite der Nicht-Identifikation. Alles, was ihr vermeintlicher, ihr projizierter Lichtkörper zu erfahren scheint, ist für sie mindestens genauso schlimm wie für uns mit unserem materiellen Körper. Sie haben keine wirkliche Form, keine materielle Gestalt, aber ihre geistige Form ist so von Anhaften und Identifikation durchtränkt, dass sie aufgrund dessen enormes Leid erfahren. Wie übrigens auch die Götter im Form- und Begierdebereich, die sich Zeit ihres Lebens der Anhaftung an ihren Körper gar nicht so bewusst waren. Aber wenn der Körper dann übel zu riechen anfängt usw., dann scheint ihre Anhaftung an den Körper während der letzten sieben Göttertage vor dem Tod so stark zu sein, dass sie dann Leid erfahren, was sie vorher nicht gekannt haben. Es ist also durchaus möglich, auch an einem Lichtkörper anzuhaften. Das abhängige Entstehen bezieht sich auf die Wesen. Wie bezeichnet man das Entstehen aller übrigen Phänomene, die ja auch bedingt entstehen. Ja, das hier wird das innere Entstehen in Abhängigkeit genannt und das, was die äußeren Phänomene angeht ist das äußere Entstehen in Abhängigkeit. Sind da dann auch zwölf Glieder? Die Ketten sind anders, weil es kein Bewusstsein gibt. Das äußere Entstehen in Abhängigkeit wird als das Zusammenkommen der verschiedenen Elemente mit ihrer Auflösung beschrieben. Erde, Wasser, Feuer, Luft, Raum und Zeit. Wenn das äußere Entstehen in Abhängigkeit beschrieben wird, kommt der Zeitfaktor dazu, da wird dieses Zusammenkommen der Elemente beschrieben, wie sich Festigkeit und Flüssigkeit, diese Elemente durchdringen. Diese Ketten sind also ganz anders. Soll man sich die äußeren Elemente und das Bewusstsein als getrennte Einheiten vorstellen?

Nein. Diese Ketten sind alle auf der relativen Ebene. Auf der höchsten, der letztendlichen Ebene ist alles Geist, ist alles Ausdruck des Geistes und da gäbe es auch keine Zeit, der Faktor Zeit würde bei den Elementen wegfallen. Hier ist die Erklärung, wie im Relativen Leid entsteht. Wenn wir uns das genau anschauen, dann ist jeder Faktor dieser Zwölferkette – auch für den Menschenbereich – in sich völlig rein, ist in sich Ausdruck des Dharmakaya und ist nicht an sich ein Faktor des Leidens. Aber das gilt nur für jemanden, der erkannt hat, dass selbst dualistische Gedanken die Natur des Dharmakaya haben, dass auch dualistisch wahrgenommene Empfindungen dieselbe Natur des Geistes haben, dass alle Emotionen dieselbe Natur des Geistes haben. Für diese hat sich dann aber auch die Kette abhängigen Entstehens aufgelöst, weil diese Erkenntnis da ist, weil die Unwissenheit gewichen ist. Wenn in dieser Kette ein Glied wegfällt, wenn ein Glied nicht mehr besteht – jetzt waren wir gerade bei der Unwissenheit: wenn Unwissenheit wegfällt, das erste Glied, dann gibt es auch keine karmischen Gestaltungen mehr. Wenn es keine karmischen Gestaltungen gibt, kommt es auch nicht zu einem dualistischen Bewusstsein. Wenn es kein dualistisches Bewusstsein gibt, kommt es auch nicht zur Identifikation mit Name und Form. Wenn es diese nicht gibt, kommt es nicht zur Identifikation mit Sinnesfeldern und Wahrnehmungen, kommt es nicht zu all den weiteren Gliedern in der Kette. Zum Faktor 10), Werden. Kann man aussteigen aus dem Faktor Werden? Wie ist das möglich? Werden führt automatisch zu Geburt. Werden ist die Gesamtheit der Kräfte von Tausenden von Millionen Handlungen, die wir in Ich-Bezogenheit ausgeführt haben. Wir haben da normalerweise gar keine Wahl. Wir sind gezwungen, wieder Geburt anzunehmen. Es wird automatisch Geburt angenommen, weil die Kraft dieser Handlungen so stark ist, die Tendenzen so stark sind. Der Faktor Werden fällt weg, wenn Realisation eintritt, wenn der Geistesstrom sich dessen bewusst wird, was die letztendliche Natur der Dinge ist, das Gewahrsein des Dharmakaya. Wenn dieses Gewahrsein eintritt – wenn Unwissenheit aufhört – dann ist man nicht mehr verfangen in dem Werden-Kreislauf. Dann mag es zwar noch Werdenskräfte geben, aber da keinerlei Anhaften mehr ist, worum sich diese Kräfte gruppieren können, kommt es nicht zu einer erneuten Geburt. Wir werden uns das morgen weiter anschauen, wir machen noch mehrere Durchgänge, bis das richtig klar ist. Hängt dieser Kreis speziell mit dem Sambhogakaya zusammen? Nicht mehr als mit Dharmakaya und Nirmanakaya. Morgen werden wir davon sprechen, welche Unterweisungen sich auf welche Glieder beziehen. Ich habe Euch zu Anfang gesagt, dass diese zwölf Glieder die komplette Darstellung des Dharma in sich trägt, so wie das der Buddha in seinem Sutra auch gesagt hat. Wir werden uns damit beschäftigen, wie wir diesen Kreislauf durchbrechen können, das ist ja unser Hauptanliegen. Jetzt ging es erst einmal darum, den Kreislauf zu verstehen und dann geht es darum, den Kreislauf noch besser zu verstehen, um ihn durchbrechen zu können. ***

Siebte Unterweisung, 1. 8. 04 Wir fahren heute fort mit den zwölf Gliedern abhängigen Entstehens, deren Verständnis uns ermöglicht, unsere Unwissenheit zu verringern. „Ohne das Auftreten von Unwissenheit manifestieren sich keine karmischen Gestaltungen (usw.) und so gibt es ohne Geburt auch kein Altern und Tod. Da es aber Unwissenheit gibt, kommt es tatsächlich zu karmischen Gestaltungen (usw.) und da es Geburt gibt, manifestieren sich Alter und Tod. Aber es ist nicht etwa so, dass die Unwissenheit denken würde: „Ich werde karmische Gestaltungen manifestieren“ und auch die karmischen Gestaltungen denken nicht: “Wir wurden von Unwissenheit erzeugt“ (usw.) und genauso wenig denkt Geburt: „Ich werde Alter und Tod manifestieren“, und Alter und Tod denken nicht: „Geburt hat mich erzeugt.“ Vielmehr bewirkt das bloße Vorhandensein von Unwissenheit, dass sich karmische Tendenzen manifestieren (usw.) und das bloße Vorhandensein von Geburt bewirkt, dass sich Alter und Tod manifestieren. So wird das innere Entstehen in Abhängigkeit als eine Verkettung von Ursachen betrachtet.“ Was will der Buddha damit sagen? Er will damit sagen, dass es da kein Ich gibt, das diese Funktion eines Schöpfergottes hat. Es gibt keinen Faktor, der sich sagt: „Ich werde die anderen erzeugen.“ Wenn wir z. B. bei Name und Form schauen: Name und Form sagen sich nicht. „Ich wurde geschaffen von einem Schöpfer und ich werde das weitere erzeugen.“ Diese Glieder der Kette gehen von alleine weiter, erzeugen sich selber, ohne dass es in dieser Kette einen Schöpfer gibt. Das ist also das Gegenteil von dem Konzept eines Schöpfergottes. Der Buddha zeigt uns, dass das Ganze immer von alleine weitergeht. Es gibt vier Arten, wie man den Ursprung eines menschlichen Wesens erklären oder wahrnehmen kann. Erstens: Diese Existenz zeigt sich oder entsteht aus sich selbst. Zweitens: Diese Existenz entsteht aus einem Schöpfer. Drittens: als Ursprung dieser Existenz gibt es sowohl sich selbst als auch den Schöpfer und viertens: Es gibt ganz und gar keine Ursache für die Existenz. Das, was man einen Schöpfer nennt, ist eine unabhängige Ursache, d.h. etwas, was außerhalb dieser Kette existieren würde. Mit diesen zwölf Gliedern abhängigen Entstehens zeigt der Buddha, dass die Dinge nicht aus sich selbst heraus existieren. D.h. es gibt einen Faktor, der als Ursache fungiert für das, was daraus folgt. Es ist ungefähr so wie bei einer Waage: Wenn auf der einen Seite etwas verschwindet, dann erscheint in der Folge etwas auf der anderen Seite. Oder wie man es bei einem Samenkorn beobachten kann. Das Samenkorn verschwindet im Keim. Der Keim löst sich auf in der Pflanze und die Pflanze ist nicht identisch mit dem Keim, aber man kann auch nicht sagen, dass sie völlig verschieden ist von dem Keim. D. h. es gibt eine Kontinuität von Ursache und Wirkung, und das ist die Idee der zwölf Glieder abhängigen Entstehens. Das eine löst sich auf und gibt dem Nächsten, das erscheint, seinen Platz. D.h. es gibt eine Kontinuität von Ursache und Wirkung, die aber nicht auf einem Willen beruht, nicht auf dem Willen: „Ich werde das erzeugen!“ Diese Kontinuität hat keinen Willen dahinter. Es gibt fünf Charakteristika für diese wechselseitige Abhängigkeit.

1. Die Phänomene sind nicht dauerhaft, sie sind vergänglich. D.h. in diesem Zyklus: eines hört auf, damit das nächst entstehen kann. So wie wir anhand der Pflanze gesehen haben: der Keim vergeht, wenn die Pflanze entsteht. Das ist eine Beschreibung, wie das Leben ist. Das Leben ist nicht statisch, es ist ein ständiger Prozess der Veränderung. 2. Die Phänomene sind nicht unterbrochen. D.h. es ist dort keine Diskontinuität. Und wie wir am Beispiel der Waage gesehen haben: das ist eine gleichmäßige, kontinuierliche Bewegung, es gibt keine Unterbrechung. Wenn wir den Keim beobachten: er wird langsam zur Pflanze. Er ist nicht in einem Moment nicht mehr da, dann dauert es eine Weile und die Pflanze ist da. Der Keim wird zur Pflanze. 3. Die Verbindung ist nicht eine Verwandlung in das nächste, d.h. es ist nicht identisch mit dem, was vorher war. Das bedeutet, dass wir in diesen Gliedern keine Identität haben, die weitergeht, die nur ihre Erscheinungsform ändert. D.h. die nächste Sache erscheint als Konsequenz des Vorherigen, aber es ist kein Ich darin vorhanden, keine Identität, die weitergeht. 4. Das vierte Charakteristikum ist: eine kleine Ursache kann eine große Wirkung erzeugen. Ein ganz kleines Samenkorn kann die Ursache für einen großen Baum sein. 5. Ursache und Wirkung haben eine Ähnlichkeit in ihrer Kontinuität oder in ihrer Basis und das bedeutet, sie haben etwas gemeinsam. Wenn wir das Beispiel eines Gerstenkorns nehmen: Es wird keine beliebige Pflanze hervorbringen sondern eine Gerstenpflanze, es ist also etwas Gemeinsames vorhanden. Wir können sehen, dass diese Überlegungen uns Antworten auf unsere Fragen geben. Z.B. denken wir „Ich“, weil es eine Kontinuität gibt. Wir sehen eine Kontinuität von der Geburt all die Jahre hindurch bis zum heutigen Moment. Und weil es diese Kontinuität gibt, denken wir, es gibt ein Ich. Wir sehen diese Kette von Ursache und Wirkung, wir sehen, dass es eine Verbindung gibt, dass es auch Dinge gibt, die sich verändern. Aber weil es die Verbindung von all diesen Momenten von der Geburt bis heute gibt, denken wir, wir hätten eine Identität, es gäbe ein Ich. Es ist so, als ob wir einen Fluss betrachten: da fließt immer Wasser. Weil dort immer Wasser fließt, sagen wir: Das ist der Rhein, das ist die Rhone. Wir geben einen Namen und denken, es sei immer derselbe Fluss, nur weil da diese Kontinuität ist. Aber es ist immer anderes Wasser, es ist eigentlich nicht derselbe Fluss, doch aufgrund der Kontinuität denken wir, er sei derselbe. So können wir von der Geburt bis heute zurückverfolgen: da ist eine Kontinuität in dem Wesen, das heute ist und dem Wesen, das gestern war. So können wir jeden Tag eine Kontinuität sehen von dem, was vorher war zu dem, was jetzt ist. Und diese Kontinuität – zwar im steten Wandel begriffen, aber verbunden miteinander – diese Kontinuität gibt uns den Eindruck eines Ichs, einer Identität, dass da etwas ist, von dem ich heute noch sage: „Ich bin das Baby von damals.“ Diese Identifikation kommt durch die Ähnlichkeit im kontinuierlichen Wandel, dass Ähnliches aufeinander folgt, wobei dann im Endprozess ein Riesenunterschied zur Ursache bestehen kann – also zwischen dem, was das Baby war und was ich heute bin. Doch wir denken immer noch, das wäre Ich, das wäre dieselbe Person. Ebenso ist es, wenn wir in das nächste Leben hinübergehen. Auch da gibt es kein Ich, das weitergeht. Es gibt eine Kontinuität, aber es gibt eine neue Mischung von Karma. Und der Buddha hilft uns mit diesem Beispiel zu sehen, dass wir nicht

aufgrund dieser Kontinuität davon ausgehen dürfen, dass ein Ich besteht, das von einer Existenz in die nächste weitergeht. Das heißt, er schneidet die Idee von einem beständigen, kontinuierlichen Ich durch. Es sind unterschiedliche Faktoren, die jeweils das Nächste erzeugen. Wir werden uns später noch genauer anschauen, wie diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens sich aufteilen in die verschiedenen Leben, welches zu diesem Leben gehört, welches zu dem vorigen und welches zu dem nächsten Leben gehören. Jetzt werden wir fortfahren mit weiteren Charakteristika dieser wechselseitigen Abhängigkeit. Ihr erinnert euch an das Sutra des Reissprösslings. Buddha sagte: „Wer diesen Reissprössling versteht, der versteht die wechselseitige Abhängigkeit. Wer die wechselseitige Abhängigkeit versteht, versteht den Dharma. Und wer den Dharma versteht, versteht Buddhaschaft.“ Die Merkmale, die ich Euch jetzt erklären werde, sind identisch für den Dharma und das abhängige Entstehen. Die Kette des Entstehens in wechselseitiger Abhängigkeit bleibt immer gleich und ebenso der Dharma, er bleibt derselbe, er ändert sich nicht. Es gibt hinter diesem Zyklus keine Lebenskraft, die ihn belebt, so wie es auch hinter dem Dharma keine Kraft gibt, die den Dharma hervorbringen würde oder belebt. Dieser Zyklus wird nicht von einer Vitalkraft unterstützt, animiert, d.h. er ist frei von einer Vitalkraft, er funktioniert ganz alleine. Wenn man das Ganze mit dem Auge eines Buddhas anschaut, dann ist das die Soheit, frei von Konzepten, Begriffen. Soheit bedeutet Leerheit, d.h. es gibt kein Ich darin, das ist einfach so. Wir brauchen nicht weiter nach etwas zu suchen. Diese Kette abhängigen Entstehens ist frei von Verwirrung, es gibt keinen Fehler darin. Diese wechselseitige Abhängigkeit wurde nicht geschaffen, ebenso wie der Dharma nicht geschaffen wurde. Diese wechselseitige Abhängigkeit ist nicht erschienen, d.h. sie ist schon immer da, ohne Anfang und ohne Ende. Und sie ist nicht zusammengesetzt, d.h. sie kann auch nicht auseinander fallen, und so ist es auch mit dem Dharma. Der Dharma ist nicht zusammengesetzt, er ist nur eine Beschreibung von dem, was ist. Wir könnten statt ‚nicht zusammengesetzt’ auch sagen: nicht fabriziert, nicht erzeugt. Die wechselseitige Abhängigkeit ist ungehindert, nichts kann sie daran hindern zu funktionieren, zu erscheinen. Sie ist nicht erfassbar und das bedeutet, sie hat keine wirkliche Natur, sie ist jenseits von dem, was man intellektuell begreifen kann, d.h. sie ist Leerheit, das bedeutet die Abwesenheit eines Ich, die Abwesenheit von etwas, das ewig weiter existiert. Wenn wir die wechselseitige Abhängigkeit realisieren, dann finden wir Frieden. Und ebenso ist es mit dem Dharma: Wenn wir den Dharma realisieren, finden wir Frieden. Und ebenso: Wenn wir die wechselseitige Abhängigkeit realisieren, erlangen wir Furchtlosigkeit. Dieser Prozess ist unbeeinflussbar. Er ist unerschöpflich. Er ist jenseits davon, zur Ruhe gebracht werden zu müssen, man kann ihn nicht anhalten. Das ist sehr wichtig, denn wenn wir jetzt die Belehrungen hören, könnten wir denken, es ginge darum, diesen Prozess anzuhalten, um aus Samsara herauszukommen. Das ist nicht der Punkt, es geht darum, ihn zu realisieren, ihn zu begreifen.

Ich verstehe den Widerspruch noch nicht zwischen diesem sehr präzise beschriebenen Konzept und einem nicht vorhandenen Konzept. Weil die eigentliche Natur dessen, was beschrieben ist, sich einem erst auftut, wenn man die Leerheit versteht. Im Moment verstehen wir es auf der Ebene von Konzepten, aber wie das wirklich funktioniert – dass z.B. ein Geist einen Körper annehmen kann und wie dieser Körper Veränderungen unterliegt, wie es dann im Bardo weitergeht – das kann man erst verstehen, wenn man jenseits der Begrifflichkeit geht, in die Natur des Nicht-Ichs hinein. Da tut sich einem die wahre Kette der zwölf Glieder auf. Buddha hat diese Kette erst verstanden und entdeckt, als er selber bereits auf der zehnten Bodhisattvastufe war. Kurz vor dem Eintritt in den Vajrasamadhi hat er diese Kette verstanden. Weil sich dort alles zusammensetzte, wie der Kreislauf wirklich läuft; deswegen diese Bemerkung. Die Frage ist z.B., wie ein Bewusstsein, das eigentlich keinen Wesenskern hat, Form annehmen kann, mit dieser Form dann Handlungen ausführt, die offenbar auch gravierende Folgen haben. Die Handlungen und die Folgen an sich sind leer von Natur aus, sind eigentlich nicht bindend, wenn man sich nicht identifiziert. Das Zusammenspiel der relativen und der letztendlichen Ebene, das in dieser Kette vorhanden ist, kann ohne Verständnis der Leerheit nicht begriffen werden. Diese kleine Ursache mit der großen Wirkung. Es ist zwar so, dass ein kleiner Same Ursache für einen großen Baum ist, aber es bedarf ja noch vieler anderer Dinge, die notwendig sind, damit der Baum entstehen kann. Ja, das wird „Bedingungen“ genannt. Die Hauptursache ist der Same und dann braucht es Bedingungen wie Feuchtigkeit, Erde, Platz usw.; das sind die zusätzlichen Bedingungen und es gibt natürlich auch die Möglichkeit, dass große Ursachen kleine Folgen haben. Damit wird ausgedrückt, dass es dynamisch ist und nicht festgelegt, dass etwas Kleines immer klein bleibt und etwas Großes immer groß. Das Kleine, von dem hier gesprochen wird, ist der kleine Ausrutscher, der kleine Fehler, ein Ich anzunehmen, wo kein Ich ist. Daraus entsteht eine Menge an Leid für ein Bewusstsein, das eigentlich gar keinen Ich-Wesenskern, aber unglaubliche Konsequenzen über Millionen von Leben hinweg hat. Es ist eine Trivialität, nicht erkannt zu haben, dass das, was wir landläufig mit Ich bezeichnen nur eine Konvention ist und nicht wirklich existiert. Ich denke vor allem an Situationen, in denen sich etwas zusammenbraut und in denen dann eine Person als Zünder fungiert, so dass eine Lawine losgetreten wird. Es sind viele Ursachen, die zusammenwirken. Da frag ich mich, was ist die Hauptursache, ist es das Zusammenkommen oder dieser eine Same? Was diese Zwölferkette angeht, so sind die Hauptursachen die Faktoren 1, 2, 3, 8 und 9. Wenn Unwissenheit, karmische Gestaltungen, dualistisches Bewusstsein dazu führen, dass wir begehren und ergreifen, ist das die treibende Kraft. Das wird die Wahrheit von der Ursache des Leidens genannt. Die wird hier mit diesen Faktoren beschrieben. Über die unglaubliche Vernetzung von Bedingungen in der Welt und die vielen anderen Bedingungen zur Entstehung einer Pflanze oder eines Blattes Papier braucht man nicht zu sprechen, darüber bist du dir sowieso im Klaren. Aber hier geht es um die fünf Faktoren, die als Hauptursachen benannt werden.

Jetzt werden wir uns mit der Frage beschäftigen: „Warum versteht man den Dharma, wenn man diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens versteht?“ Und dann werden wir auch anschauen, wie wir diese Kette unterbrechen können. Das erste Glied ist die Unwissenheit. Es ist sehr schwer, sie direkt anzugreifen, weil es sich dabei um einen fundamentalen Irrtum handelt, um eine Annahme, die sehr grundlegend ist. Das ist nicht nur irgendein oberflächliches Konzept, das wir loslassen könnten, es betrifft wirklich das Herz unserer Identität. Um diese Unwissenheit zu schwächen, geben die Meister Erklärungen, was rigpa und marigpa betrifft. Rigpa ist das klare Bewusstsein und marigpa ist das verschleierte Bewusstsein. Sie erklären uns die Buddhanatur, sie erklären uns Mahamudra-Meditation und den nondualen Geist. Mahamudra-Meditation löst die Unwissenheit auf. Wenn wir Mahamudra richtig meditieren, dann schneiden wir die Wurzel der Unwissenheit ab. Damit wir dort hinkommen, gibt es Lhaktong, eine Technik, bei der man sich in der Meditation Fragen stellt. Fragen, die das Objekt und das Subjekt betreffen und die uns helfen, die Dualität aufzulösen. In dem Moment, in dem wirklich Lhaktong realisiert wird, in diesem Moment der Realisation, manifestiert sich die letztendliche Weisheit, die Prajnaparamita. Alle Belehrungen über Prajnaparamita, dieser Paramita der Weisheit, sind Mittel gegen Unwissenheit. Wenn man die sechs Yogas von Naropa praktiziert, dann ist es die Praxis des klaren Lichts, die die Unwissenheit vernichtet, und auch die Praxis von Tummo schneidet die Wurzel der Unwissenheit ab. Im Moment können wir über die Nicht-Dualität sprechen, wir können von Mahamudra sprechen, aber nur mit den Jahren der Praxis wird sich langsam die Unwissenheit schwächen. Wir müssen erst an anderen Punkten arbeiten. Die Unwissenheit, das Nicht-Gewahr-Sein, erzeugt die karmischen Gestaltungen und daran können wir nichts ändern. Es ist unmöglich, das durchzuschneiden. Sobald Nicht-Gewahr-Sein entsteht, treten auch Schleier auf, die Folgen von Handlungen, und dafür haben wir die Belehrungen, was Karma und die Schleier betrifft: die Schleier der störenden Emotionen, die Schleier von Karma, die Schleier unserer Gewohnheitsmuster oder Tendenzen, die Schleier, die das Gewahrsein trüben. Wir haben die Belehrungen dafür, wie wir diese Schleier durch Praxis reinigen können. Es gibt auch die Beschreibungen der verschiedenen emotionalen Zustände, die sich aufgrund von Unwissenheit ergeben. Durch das Nicht-Gewahr-Sein entstehen also die karmischen Gestaltungen; durch die karmischen Gestaltungen entsteht das dualistische Bewusstsein und da können wir nichts machen. Um es zu verstehen, gibt es z. B. die Belehrungen des Namsche Yesche. Namsche, das dualistische Bewusstsein, Yesche, das zeitlose Gewahrsein. Es gibt auch die Erklärungen, wie sich das Bewusstsein im Bardo verhält, warum es sich von dieser oder jener Form für die nächste Existenz angezogen fühlt. Das Bewusstsein wird im Bardo vom Karma getrieben, bewegt. Durch das Karma entsteht eine gewisse Neigung zu einer bestimmten Form von Existenz, aber es ist kein wirkliches Aussuchen, es bleibt keine Wahl. Es ist eine Kraft, von der das Bewusstsein bewegt wird, z.B. hin zu einer menschlichen Existenz. Es ist keine freie Wahl dabei, die karmischen Kräfte bewegen den Vorgang.

Dann kommt es zu dieser Geburt, es gibt diesen Organismus, was Name und Form genannt wird. Das geht einher mit einer Identifikation mit den fünf Skandhas, die dann erklärt werden. Es sind die fünf Skandhas, die dazu führen, dass man sich mit etwas identifiziert. Wir identifizieren uns mit unserem Körper, mit den Empfindungen, den Wahrnehmungen, mit all den geistigen Prozessen und auch mit dem Bewusstsein. Das automatisches Resultat davon, dass wir Geburt annehmen, sind die Sinnesquellen. Die Sinnesquellen ermöglichen uns, mit den Objekten in Kontakt zu treten. Um diese Funktionsweise zu erklären, gibt es im Dharma die Theorie der Wahrnehmung, in der erklärt wird, wie der Geist funktioniert, wie er mit den Wahrnehmungen umgeht, wie die Emotionen entstehen, usw. Dann kommen wir zu den Punkten 7,8,9. Da können wir jetzt endlich wirklich etwas tun, da haben wir Material zu bearbeiten. Wie gehen wir mit den Wahrnehmungen und Empfindungen um? Für Anfänger ist es am leichtesten, am Ergreifen zu arbeiten, damit zu praktizieren, ob wir in diesem Punkt etwas verändern können. Wenn wir Fortschritte machen, ist es etwas subtiler, mit der Begierde zu arbeiten, mit dem Durst, dem Verlangen. Und noch schwieriger wird die Arbeit, wo wir bei Empfindungen die Unterscheidung in angenehm – unangenehm vornehmen. Die Praxis hilft, uns in diesem Moment nicht zu identifizieren. Denn: bei jeder Wahrnehmung, bei jedem Verlangen verstärken wir automatisch diese Identifikation, die die Basis der fünf Skandhas ist. Das drückt sich bei jeder Empfindung aus: ich empfinde etwas und dadurch existiere ich. In solchen Situationen helfen uns die Belehrungen zu entspannen, damit wir die Identifikation loslassen, damit wir nicht in diesen Automatismus geraten, der sehr viel Bewegung, Aufwühlung im Geist entsteht lässt, der Emotionen hervorbringt, durch die Handlungen entstehen und negatives Karma erzeugt wird. Da hilft uns die Praxis. Die Idee ist, die Kette zwischen 9 und 1 zu unterbrechen, zwischen Ergreifen und Unwissenheit. Es geht also darum, am Werden zu arbeiten, diesen Wunsch nach Existenz so zu beeinflussen, dass er immer positiver wird, d.h. dass durch karmische Kräfte eine Wiedergeburt entsteht, in der wir den Dharma praktizieren können. Auf diese Weise – wenn wir den Dharma immer weiter praktizieren – wird sich unsere Identifikation abschwächen bis zu dem Punkt, an dem wir nicht mehr dazu gezwungen sind, Wiedergeburt anzunehmen. Ein Beispiel: Hier ist es ziemlich warm. Wir empfinden mit dem Körper: „Es ist warm!“ Das ist der siebte Punkt – die Empfindungen. Wir bleiben bei der Empfindung: es ist uns angenehm, es ist uns unangenehm oder es ist uns ziemlich egal. Das ist sehr wichtig für uns. Wenn wir uns im Saal umschauen, dann gibt es einige, die es sehr angenehm finden, dass es warm ist, andere halten es kaum noch aus und für manche ist es nicht so wichtig. Wir sehen also, dass der Geist sofort mit der Empfindung arbeitet, sofort ist ein Urteil da: es ist mir angenehm, unangenehm oder egal. Jetzt können wir lernen, zu entspannen. Wir lassen die Wärme so wie sie ist, ohne dass sie in uns Verlangen oder Ablehnung hervorruft, ohne dass es ein Greifen gibt. Einfach belassen- so wie es ist, ohne dafür zu sein oder dagegen.

Da gibt es ein Hilfsmittel: Wir können einfach einen anderen Blick auf die Situation werfen. Statt zu sagen, „Mir ist heiß!“, können wir sagen, „Es ist heiß!“ Bereits in unserer Wortwahl drückt sich aus, dass schon ein bisschen weniger Identifikation vorhanden ist. Es reicht natürlich noch nicht, aber es ist ein Ausdruck davon, dass wir uns entspannen, wir lassen die Identifikation ein bisschen los und dann ist die Wirkung ganz anders. Um an diesem Punkt zu arbeiten, müssen wir sehr schnell und sehr geistesgegenwärtig sein, d.h. wir brauchen tiefes Schinä, eine tiefe Stabilität des Geistes. Wir hören z.B. ein Geräusch und ganz schnell, noch bevor wir zum Urteilen kommen, lassen wir dieses Urteil los. Normalerweise landen wir bei den Empfindungen – Punkt 7 – sofort im Punkt 8. Wir wollen etwas oder wir wollen es nicht: anhaften oder ablehnen. Z.B. geht mit der Empfindung von Wärme sofort die Hoffnung einher: „Wann hört die Hitze endlich auf!“ oder die Furcht, „Sie könnte noch schlimmer werden! Heute Nachmittag vielleicht.“ Wir sind also sofort in einer Gedankenkette, sofort werden wir davongetragen, und das löst einen richtigen Ballon von Hoffnung und Furcht aus. Meistens sind wir dann ganz schnell im Punkt 9:“ Ich muss ganz schnell etwas dagegen unternehmen. Ich muss darauf reagieren.“ Dann reagieren wir entweder angetrieben von Wut, Abneigung oder von Begierde: „Ich will das oder ich will das nicht!“ Es ist ein starker Impuls da von „Ich will!“, ein Willensimpuls. Für dieses Thema gibt es die Meditationsunterweisungen, die Gegenmittel gegen die Emotionen sowie die Unterweisungen zu Liebe und Mitgefühl, die ganzen Paramitas, - all das, was uns dabei hilft, uns zu entspannen. Alles kann uns helfen, die Dinge mit Gleichmut zu betrachten und Ausgewogenheit in unseren Empfindungen zu üben. Je tiefer unsere Meditation wird, desto mehr wird es uns möglich, an den Anfang dieses Prozesses der Identifikation zu gelangen. Wenn wir bereits eine Emotion haben – wir sind im Punkt 9, im Ergreifen, wo wir handeln wollen – da können wir die Kette nicht unterbrechen, aber wir können die Richtung unserer Art zu handeln ändern. Wir werden – statt unserem Impuls zu folgen – positive Handlungen setzen. Vielleicht hilft es uns, dass wir die BodhisattvaGelübde genommen haben. Oder wir haben die Gelübde für die persönliche Befreiung, die uns helfen, uns darin zu üben, positive Handlungen zu setzen. Auch die Kontemplation hilft uns, die Emotionen zu besänftigen. Wenn wir auf der Ebene der sechs Yogas von Naropa arbeiten, so greifen diese Praktiken (der illusorische Körper und auch Tummo und während der Nacht der Traumyoga) an den Punkten 4 – 9. Dies hilft uns sehr, das Greifen zu verringern, das Greifen gegenüber all dem, was sich in unserem Geist erhebt, was dort erscheint. Aber auch wenn wir nicht die sechs Yogas von Naropa praktizieren, so praktizieren wir z. B. auch in der Tschenresi Praxis den illusorischen Körper. Wir visualisieren uns als Tschenresi, und das heißt, dass alle Empfindungen, alles, was in unserem Geist aufsteigt, nicht mehr als „meine Gedanken, meine Empfindungen“ betrachtet wird, denn wir visualisieren uns als Tschenresi. Es steigt im Geist von Tschenresi auf, d.h. unsere Vision von dem, was erscheint, ist anders, und das führt uns auch zu anderen Handlungen. Das heißt, bei all diesen Praktiken des Vajrayana arbeiten wir mit den Empfindungen, wir arbeiten mit der Begierde, wir arbeiten mit dem Ergreifen und wir lernen, uns zu ändern.

Alle Handlungen, die wir Zeit unseres Lebens angesammelt haben, werden zu den Kräften des Werdens, das ist der Punkt 10. Es ist das, was uns in die nächste Existenz bewegt. Das kann eine Existenz sein, in der wir den Dharma praktizieren, aber diese angesammelten Kräfte können auch dazu führen, dass wir in einen Bereich des Leidens fallen. Diesen Punkt betreffend werden die Erklärungen gegeben zu Karma, Wiedergeburt, zu den Daseinsbereichen - aber auch die Belehrungen zu den reinen Bereichen, denn wir können ja auch positive Kräfte ansammeln, indem wir uns selber als Tschenresi visualisieren, indem wir Amitabha anrufen, indem wir im Bardo Zuflucht nehmen. Dann ist es auch möglich, in einen reinen Bereich zu gelangen, wo wir nicht eine samsarische, sondern eine andere Form von Geburt in einem reinen Bereich annehmen. Für diesen Moment sind auch die Unterweisungen zu Phowa gedacht, dem Transfer des Bewusstseins. Wie können wir diesen Moment des Bardo nutzen, um uns weiter in Richtung Dharma-Praxis zu entwickeln, um diesen Zyklus zu unterbrechen? Wie können wir unser Leben nutzen, damit wir in diesem Moment fähig sind, das zu tun? Wie können wir die Kräfte des Werdens beeinflussen, damit wir von ihnen nicht in eine niedrige Existenz geworfen werden? Wenn es uns mit unserer Dharmapraxis nicht gelingt, diesen Zyklus dort zu unterbrechen, dann werden wir Wiedergeburt annehmen. Es werden sich erneut die fünf Skandhas bilden, und als Folge von Geburt wird es Alter und Tod geben, 11 und 12: Geburt, Altern und Sterben. Die Belehrungen dazu sind all die Belehrungen, die das Leid in Samsara betreffen oder auch das Leiden eines Embryos oder die Belehrungen zu Vergänglichkeit und Tod. So seht Ihr, wie der ganze Dharma in diesen zwölf Gliedern abhängigen Entstehens enthalten ist. Sie sind wie ein roter Faden, der die verschiedenen Belehrungen des Dharmas verbindet. Wenn wir uns das genauer anschauen, dann können wir sehen, dass die meisten Belehrungen, die wir erhalten, die Punkte 8, 9 und 10 betreffen: Begierde, Ergreifen und die Kräfte des Werdens. Dort ist es am leichtesten, mit Hilfe der Praxis auszusteigen. Ihr kennt die Vier Edlen Wahrheiten. Die Wahrheit des Leidens betrifft die Glieder 4, 5, 6, 7 und natürlich auch 10, 11 und 12. Die zweite Edle Wahrheit, die Wahrheit der Ursache des Leidens, ist in den ersten drei Punkten – Unwissenheit, karmische Gestaltungen und dualistisches Bewusstsein – zusammen mit Punkt 8 und 9 – Verlangen und Ergreifen – enthalten. Die dritte Edle Wahrheit, die Wahrheit vom Ende des Leidens, sehen wir, wenn wir das Ganze in umgekehrter Reihenfolge durchlesen. Es gibt keine Unwissenheit mehr; dadurch, dass es keine Unwissenheit mehr gibt, kommt es nicht zu karmischen Gestaltungen; es gibt kein dualistisches Bewusstsein, keine Identifikation mit Name und Form, keine Sinnesquellen und es gibt auch nicht Geburt, Alter und Tod. Der vierte Punkt ist der Weg, der zur Befreiung führt. Die Wahrheit bezüglich der Ursache vom Ende des Leidens sehen wir wieder in der umgedrehten Reihenfolge der Glieder: Es gibt keine Unwissenheit mehr, keine karmischen Gestaltungen. Der Weg sind all die vorher aufgezählten Praktiken, mit deren Hilfe wir die Glieder durchbrechen können. Frage: Es gibt auch die Belehrung, dass man die Kette rückwärts geht, und jeden Punkt auflöst, bis man an den Anfang kommt zur Unwissenheit und die dann auch auflöst.

Für diesen umgekehrten Prozess ist der Schlüssel die Realisation von Leerheit, dann gibt es keine Geburt mehr usw., der ganze Prozess hört auf. *** Achte Unterweisung, 2. 8. 04 Wir fahren heute fort mit den zwölf Gliedern abhängigen Entstehens. Es gibt einen kleinen Absatz von Gampopa, den wir noch nicht gelesen haben. Es ist eigentlich etwas Selbstverständliches. Dieses innere Entstehen in Abhängigkeit ist darüber hinaus von Bedingungen anhängig, da der Körper aus den sechs Elementen besteht: Erde, Wasser, Feuer, Wind, Raum und Bewusstsein. Fehlen diese Bedingungen, kann kein Körper entstehen. Kommen jedoch alle sechs inneren Elemente vollständig zusammen, manifestiert sich aus ihnen ein Körper. Das heißt, diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens hängen auch noch von anderen Dingen ab, die nicht innerhalb dieser Glieder abhängigen Entstehens erwähnt sind. Aber weil die Elemente in der Regel vorhanden sind, wird eine menschliche Wiedergeburt durch deren Abhängigkeit nicht verhindert. Man mag sich nun fragen, ob all diese Glieder abhängigen Entstehens in diesem Leben vorhanden sind. Hierauf antwortet das Sutra Zehn Stufen (der Bodhisattvas): „Es ist so zu verstehen: Die ‚durch Unwissenheit bedingten karmischen Gestaltungen’ kommen aus dem vorherigen Leben; die Glieder von Bewusstsein bis Empfindung sind gegenwärtig; Verlangen bis Werden gehören zum kommenden Leben – und der Kreislauf geht immer so weiter.“ Wir schauen noch einmal auf unserem Blatt nach, wie dieser Zyklus der zwölf Glieder sich auf drei Leben verteilt: (1) die grundlegende Unwissenheit, das NichtGewahrsein betrifft unser vorheriges Leben, was dazu geführt hat, dass karmische Gestaltungen (2) entstanden sind. Auch das gehört noch zu unserem vorherigen Leben. Die karmischen Gestaltungen haben zu (3) geführt, zum dualistischen Bewusstsein. Dieses Bewusstsein hat im Bardo nach einem Körper gesucht. Es findet diesen Körper (4) Name und Form, d.h. Körper und der dazugehörige Geist vereinigen sich und dieser Körper entwickelt dann die Sinnesquellen (5). Mit denen in Zusammenhang steht (6) der Kontakt und (7) die Empfindungen. Das heißt die ersten beiden gehören zum vorherigen Leben, und ab drei betrifft es direkt dieses, unser jetziges Leben. Punkt (8) Begierde zählt man schon zum nächsten Leben. Begierde steht insofern mit dem nächsten Leben in Verbindung, als sie dazu führt, dass die Kräfte geschaffen werden, die uns in das nächste Leben führen. Das nennt man den Wunsch nach Existenz, das Werden fängt bereits mit dem Verlangen an. Dann kommt das Ergreifen (9) und daraus ergeben sich die Kräfte des Werdens (10), es entsteht der Wunsch nach der nächsten Existenz. Die Kräfte des Werdens sind die Summe aller karmischen Kräfte, die dann aktiv werden und uns in die nächste Wiedergeburt bringen. Das heißt also nächstes Leben (11), Wiedergeburt, die mit der Empfängnis beginnt, dazu gehören natürlich auch Altern und Sterben (12). Da sehen wir, dass in diesem Kreislauf drei Leben enthalten sind. Das vorherige Leben, das jetzige und das nächste Leben. Die einzelnen Leben unterscheiden sich ein wenig, aber man kann sagen, dass das Werden, dieser Wunsch nach Existenz gleich ist wie

das dualistische Bewusstsein (2), Namsche, denn im Alaya, diesem Bewusstsein sind bereits alle karmischen Kräfte vorhanden. Da ist ein Pfeil eingefügt zwischen karmischen Gestaltungen und Handlungen (Karma). Da besteht eine Identität in diesen Handlungen, die zum Werden oder zum dualistischen Bewusstsein führen. Man kann auch sagen, dass der letzte Moment in diesem Leben der Tod ist (7). Auf diese Empfindung folgt sofort das Verlangen nach Existenz, direkt nach dem Tod. Es ist auch möglich, kleine Kreise zu machen. Wir können sehen, wie die Kräfte des Werdens (10) zu Wiedergeburt führen (11), die führt zum Altern und Sterben (12) und von da direkt zu den Kräften des Werdens (10). Dieser kleine Kreis enthält bereits das ganze Samsara. Selbstverständlich hört der Tod immer auf mit einem Moment von Nicht-Gewahrsein, von Unwissenheit. Das ist gleichzeitig wieder der Ausgangspunkt. Wenn wir von der Wiedergeburt sprechen, ist sie identisch mit (4) Name und Form. Wiedergeburt bedeutet immer, dass die fünf Skandhas entstehen, d.h. also Wiedergeburt und Name und Form finden sich auf dem gleichen Niveau. Um noch ein bisschen Geistes-Stretching zu machen, werden wir weitere Erklärungen erhalten, wie wir diesen Kreislauf auf zwei Leben verteilen können. Man könnte z.B. sagen, unser gegenwärtiges Leben besteht aus den Punkten (1 – 9). Wir sind in der Unwissenheit, diese Unwissenheit verstärkt unser dualistisches Bewusstsein, wir identifizieren uns mit unserem Körper, mit unserem Geist, mit unseren Kontakten, es entsteht Ergreifen, dieses Ergreifen wiederum verstärkt unsere Unwissenheit. Am Ende unseres Lebens geht der Zyklus so weiter: die Unwissenheit im Moment des Todes – ist dieses Nicht-Gewahrsein. Daraus manifestieren sich dann die Kräfte des Werdens – identisch mit den karmischen Gestaltungen (2, 3) – und diese Kräfte des Werdens (10) führen uns zur Wiedergeburt, und so geht es dann weiter. Eine andere Erklärung, wie wir den Zyklus auf zwei Leben verteilen: (1 und 2), Unwissenheit und karmische Gestaltungen gehören zum vergangenen Leben und der ganze Rest gehört zum gegenwärtigen. Das heißt, wir beginnen mit dem dualistischen Bewusstsein, das wäre dieses Leben und alles, was danach kommt bis einschließlich (12), ist in diesem Leben. Von Ergreifen (9) an schaffen wir in diesem Leben selbst ständig die Kräfte des Werdens und bestätigen unsere Geburt, wir werden ständig geboren im Anhaften, in der Identifikation mit unseren Skandhas und erleben in diesem Leben selbst ständig Alter und Tod. Könnte man nicht auch sagen, dass es von Moment zu Moment geht? Ja, dazu kommen wir noch, das ist die letzte Erklärung. Und dann gibt es noch eine Möglichkeit das Ganze als Bardo und menschliches Leben zu erklären. Das heißt die Glieder von der Unwissenheit bis hin zum Ergreifen (1 – 9) gehören dem Bardo an, und dann gibt es die Kräfte des Werdens (10), die die Verbindung zwischen Bardo und unserem gegenwärtigen menschlichen Leben schaffen. Geburt, Altern und Sterben (11 und 12) gehören dem gegenwärtigen menschlichen Leben an.

Diese Erklärung zeigt uns, dass im Bardo – im Zwischenzustand zwischen zwei Leben – die gleichen Identifikationen stattfinden wie in unserem Leben, außer dass es kein Skandha der Form gibt, d.h. es gibt dann nur vier Skandhas. Es gibt keinen soliden Körper, das ist der einzige Unterschied. Aber mit den restlichen vier Skandhas findet die gleiche Identifikation statt; diese führt zu den Erlebnissen von Kontakt. Und die Reaktionen, die wir auch in diesem Leben kennen, finden ebenfalls im Bardo statt. Natürlich können wir dann auch diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens so erklären, dass sie diesem einzigen Leben angehören. Das Leben beginnt mit der Unwissenheit (1) und endet mit dem Tod (12), von dem aus es mit der Unwissenheit weitergeht. Wir können auch sagen, dass die Kette in jedem Augenblick funktioniert, dass die Kette in jeder Handlung gegenwärtig ist. Um das zu erklären, müssen wir noch ein bisschen mehr Hirn-Stretching machen. Es folgt eine Erklärung dazu: sie nimmt das Beispiel aus einem Sutra, das auf der Handlung des Tötens basiert. Alle diejenigen, die ein bisschen gelehrig sind, sollen sich das gut notieren: Diese Liste findet Ihr sonst nicht so leicht. 

Es beginnt mit der Unwissenheit: Unwissenheit ist der Mangel an Bewusstsein, sie geht der Handlung voraus oder begleitet die Handlung.



Dann die karmischen Gestaltungen: der Handlungsakt, der auf einer Intention, einer Absicht beruht.



Das Bewusstsein: die Kognition, die Bewusstseinskraft, die im Augenblick zum Einsatz bereit steht ist.



Name und Form: die Identifikation, die in diesem Augenblick stattfindet.



Die Sinnesquellen : die Sinne, die in diesem Moment aktiv sind.



Kontakt: die Tat; der Moment, in dem das Messer schneidet oder in dem der Hammer zuschlägt.



Die Empfindung: die Genugtuung oder das Vergnügen, das Leiden oder etwas Neutrales im Moment der Tat.



Verlangen, Durst, : unsere enthusiastische Implikation, diese Tat wirklich zu vollbringen.



Ergreifen: wir stehen zu dieser Handlung, wie wir sie beabsichtigt haben, d.h. wir lassen nicht los, wir führen unsere Handlung bis zum Schluss aus, so wie wir sie geplant haben.



Hierdurch erzeugen wir die Kräfte des Werdens, d.h. wir bestärken unsere Existenz. Das kann unser gegenwärtiges Sein sein oder unsere zukünftige Existenz, d.h. wir bereiten bereits dieses Verlangen nach einer zukünftigen Existenz vor. Zukünftige Existenz bedeutet – wenn wir es auf diese Art und Weise betrachten – der nächste Moment, die nächste Situation.



Die Wiedergeburt betreffend gibt es zwei mögliche Erklärungen: entweder die nächste Situation oder man kann am Anfang der Situation sagen: die Geburt dieser Handlung.



Das Sterben ist die Veränderung in der Situation, das Ende der Handlung. Das kann auch auf zwei Arten gesehen werden. Eine Situation ist nicht nur in

einem Augenblick gegeben, sondern umspannt den Zeitraum, in dem eine Handlung stattfindet. Und darin findet eine Entwicklung statt, diese Entwicklung wird Alter genannt und das Zu-Ende- kommen dieser Handlung wird Tod genannt und führt dann zur nächsten Situation. Diese Erklärung betrifft die zwölf Glieder abhängigen Entstehens, wenn wir sie als eine Kette von Ursache und Wirkung betrachten, die eine einzige Handlung betreffen. Wir sehen, es ist wirklich sehr vollständig und wir können daran auch sehen, dass es an uns liegt, wie wir uns in jeder Situation weiter entwickeln, dass es in jeder Situation, in jedem Moment möglich ist, durchzuschneiden, auszusteigen, nicht dem Verlangen zu folgen, nicht unser Ergreifen zu verstärken. Das heißt, in jedem Moment ist es möglich, unser Verhalten zu ändern. Jetzt können wir das Ganze auch vereinfachen. Diese zwölf Glieder abhängigen Entstehens sind in drei Punkten enthalten: Die Emotionen führen zu Handlungen, also zu Karma. Das Karma führt zu Leiden und aufgrund dieses Leidens haben wir eine Empfindung, eine Emotion. Diese Emotion führt uns zu weiteren Handlungen, sprich Karma: Emotionen – Karma – Leiden – … usw. Emotionen sind die Glieder 1, 8, 9. Karma sind die Punkte 2 und 10 und der ganze Rest ist das, was wir die Grundlagen des Leidens nennen. Das war also eine ziemlich vollständige Einführung in die zwölf Glieder abhängigen Entstehens. Was ist das Problem in diesen zwölf Gliedern? Warum beschäftigen wir uns damit? Du hast vorhin erklärt, dass diese Identifikation auch im Bardo stattfindet, nur dass da das Skandha der Form fehlt. Das macht mir Schwierigkeiten: was ist statt der Augen im Bardo, was ist mit Geruch im Bardo? Das zeigt uns ein grundlegendes Missverständnis. Wir denken, dass wir sehen, weil wir Augen haben, aber es ist die Fähigkeit zu sehen, die das Organ der Augen erzeugt. In unserem jetzigen Leben sind wir sehr beschränkt: nur wenn Augen da sind, sehen wir. Aber das muss nicht unbedingt so sein, und im Bardo sehen auch die Blinden, d.h. sämtliche Sinneskräfte sind im Bardo vorhanden, auch wenn man vorher blind oder taub usw. war. Das findet im Bardo statt ohne dass das physische Organ existiert. Wir müssen wirklich unser Verstehen umdrehen; es ist eine Umkehr im Verstehen darüber notwendig, wie die Dinge wirklich funktionieren. Und noch eine Bemerkung von Lama Taschi: Erinnert Euch, wie es im Traum ist. Im Traum fühlen wir Dinge, schmecken wir Dinge, sehen wir Dinge, hören wir Dinge, die gar nicht in dem Raum sind, in dem wir schlafen. Du hast vorher erklärt, wie das alles in einem Moment ist. 6, 7, 8 und 9, das ist ja gar nicht in der Reihenfolge, oder? Eigentlich ist das ja gleichzeitig, ich hab doch nicht erst die Handlung, dann das Engagement, die Handlung auszuführen. Ja, das hast du richtig verstanden, es ist alles gleichzeitig. Es tauchte gestern die Frage auf: Ist ein Buddha den zwölf Gliedern unterworfen? Was habt ihr herausgefunden? Schauen wir, wie das bei einem Buddha aussieht: Hat er Nicht-Gewahrsein, Unwissenheit? Nein! Und was erzeugt er, wenn er handelt? Karmische Gestaltungen? Nein! Seine Aktivität ist erleuchtete Aktivität. Das heißt, natürlich gibt es da auch Ursache und Wirkungen, aber es gibt keine Identifikation, es gibt kein Zentrum der Identifikation.

Taucht dann trotzdem Karma auf im Leben eines Buddhas? Das ist ein Streitpunkt, über den Gelehrte schon Jahrhunderte lang diskutiert haben. Irgendwann haben sie herausgefunden, dass es sieben einzelne Karmas gibt, die im Leben eines Buddhas auftauchen können: Krankheit, Tod, Feind wie z.B. Devadatta. Das sind Sachen, die ein Buddha erleben kann, dann gibt es aber auch andere Standpunkte, in denen es heißt, dass alles, was ein Buddha lebt zum Wohl der Wesen geschieht, da ist kein Karma. Empfindet ein Buddha Kontakt? Hat er Empfindungen? Ja, aber wo sind denn die Empfindungen, wenn sich jemand in der Leerheit befindet? Wie ist die Empfindung eines Buddhas, wenn er eine Tasse in die Hand nimmt? Spürt er das? Ja, das spürt er, aber es ist kein Ergreifen da, kein Verlangen. Sind alle Lebensumstände automatisch vom Karma bedingt oder existiert das Karma nur auf die Art und Weise, wie man Dinge wahrnimmt? Wie nimmt man Dinge wahr, wenn man sich in der Leerheit befindet? Gibt es Gefühle? Da gibt es viele Diskussionen bei den Gelehrten, aber die verwirklichten Meister sind sich sicher. Unter den Gelehrten gab es welche, die folgende Meinung vertraten: Da ein Buddha die ganze Zeit im Dharmakaya verweilt, tritt er nicht in Kontakt mit der unreinen weltlichen Wirklichkeit. Andere sagten: Ganz gewiss tritt er in Kontakt mit der relativen Wirklichkeit, wie sonst könnte er das Wohl der Wesen verwirklichen. Gampopa zitiert seinen Meister Milarepa und sagt: „Ganz gewiss spürt ein Buddha all das, was alle Lebewesen spüren, aber er verlässt nicht den Bereich des Dharmakaya.“ Das heißt, es findet in keinem Augenblick eine Identifikation statt. Er zieht kein Karma mehr an, weil es keine Identifikation mehr gibt. Selbst wenn ein Rest Karma noch irgendwo bleibt: aufgrund der Tatsache, dass es keine Identifikation gibt, hat es keine Auswirkung. Wir können sagen, ein Buddha teilt mit uns das Karma des menschlichen Wesens, aber in seinem Geist bewegt es sich nicht, d.h. er ist nicht gestört von etwas. Ich stell euch meine Frage noch einmal: Was ist das zentrale Problem dieser zwölf Glieder abhängigen Entstehens? Warum beschäftigen wir uns damit? Weil wir uns im Kreis bewegen. Weil wir leiden. Ist es nicht lustig, sich im Kreis zu bewegen? Es ist nicht so lustig, sich im Kreis zu bewegen, weil es das Leiden gibt. Die zentrale Idee dieser zwölf Glieder abhängigen Entstehens ist, dass wir verstehen, wie das Leid erzeugt wird und dass wir verstehen, wie wir das Leiden beenden können. Wo ist es wirklich möglich, auszusteigen? Man ist von den karmischen Kräften geprägt, es ist sehr wenig Freiraum da. Wo sind wirklich Punkte, an denen wir was verändern können? Für die, die vollkommen in diesem Zyklus gefangen sind, ist der Zyklus endlos, es gibt keine Möglichkeit, auszusteigen. Die Antriebskräfte sind sehr stark. Diese Antriebskräfte sind die Unwissenheit, die karmischen Kräfte und das dualistische Bewusstsein. Und all dies wird vom Ergreifen verstärkt, d.h. es gibt sehr wenig

Raum. Aber der Dharma wurde von jenen gelehrt, die selber Befreiung erlangt haben und sie zeigen uns, wo es Raum, wo es Möglichkeiten gibt. Wir haben jetzt die Erklärungen erhalten und verstehen die zwölf Glieder abhängigen Entstehens ein bisschen. Wo sehen wir für uns persönlich Raum, eine Möglichkeit, das in Angriff zu nehmen? Wo scheint es für uns möglich zu sein, diese Kette zu schwächen? Empfindungen, Handlungen, Ergreifen, Unwissenheit, Identifikation. Sind das nicht die vier Punkte, bei denen du die jeweilige Praxis angeführt hast, die dazu beiträgt zu sehen und umzusetzen, also 1, 9, 8 und 7? Ja, das sind die Punkte, an denen man am leichtesten ansetzen kann, bei den anderen ist es noch viel schwieriger. Gestern haben wir Übungen gemacht, um mehr Raum zu erzeugen. Die erste war, bewegungslos zu sitzen, d.h. nicht auf die körperliche Empfindungen zu reagieren. Die zweite Übung war das Zählen des Atems. Damit verhindern wir Reaktionen auf die gedanklichen Impulse. In der dritten Übung folgten wir dauernd dem Atem, um das Auftauchen von weiteren Gedanken zu unterbinden. Das natürlich mit mehr oder weniger Erfolg, je nachdem wie achtsam wir sein können. Diese drei Übungen sind Schinä Methoden, Methoden zum Beruhigen des Geistes. Alle Schinä Methoden haben gemeinsam, dass sie uns helfen, Raum zu erzeugen. Sie beruhigen das Spiel in unserem Geist, sodass Raum entsteht, damit wir uns selber entscheiden können: „Welche Handlung möchte ich setzen? Welches Karma möchte ich erzeugen?“ Das heißt, wir folgen nicht mehr unseren Impulsen und handeln nicht mehr automatisch. Es wird dieser Druck im Geist beruhigt, es entsteht mehr Raum, und so haben wir mehr Zeit. Wir haben Zeit, Zuflucht zu nehmen, wir haben Zeit zu entscheiden, in welche Richtung wir uns bewegen möchten. Die erste Regel bei Schinä ist: Nicht reagieren! Das heißt, nicht den Gedanken zu folgen, nicht den Impulsen zu folgen, nicht automatisch zu reagieren. Dann gibt es all die Methoden der Kontemplation, die unser Verständnis nähren. Was können wir kontemplieren? Wir kontemplieren die Vergänglichkeit, Karma, die Nachteile und Leiden in Samsara, die Qualitäten der Befreiung, die Qualitäten der Zuflucht, Bodhicitta, Liebe und Mitgefühl. Wir können auch die zwölf Glieder abhängigen Entstehens kontemplieren, da gibt es sehr viele Themen. Wir können uns auch als Jidam, als Tschenresi visualisieren. Zunächst ist die Methode, sich als Tschenresi zu visualisieren, eine Kontemplation, die uns Zugang verschafft zu einem anderen Aspekt der Wirklichkeit und uns hilft, die Kräfte der zwölf Glieder dieser Kette zu schwächen. Die Stufe der Kontemplation ist so eine Zwischenstufe. Um imstande zu sein, diese Betrachtungen überhaupt durchzuführen, brauchen wir bereits eine gewisse Qualität, ein bisschen Raum im Geist. Und dann werden die Betrachtungen präziser und gehen in die Lhaktong Methoden über, bei denen wir uns genaue Fragen stellen, die zu einem direkten Verständnis dessen, was ist, führen. Zum Beispiel die Kontemplation der Vergänglichkeit. Sie führt uns dazu, dass wir alle Phänomene, die in unserem Geist auftauchen, in Bezug auf ihre Dauer betrachten. Wir sehen dann, dass dieses Spiel der Gedanken etwas sehr Bewegliches ist, etwas sehr schnell Vergängliches. Das ist wirklich ein Fluss von Ereignissen, die sich im

Geist abspielen. Diese Tatsache immer deutlicher zu erkennen, führt uns mehr und mehr dazu, ihre illusorische Natur zu erkennen. D.h. also, wir sehen, wie diese Kontemplation über die Vergänglichkeit zu einem tiefen Verständnis führt, das dann in Lhaktong übergeht. Z.B. stellen wir uns dabei die Frage: „Wo ist der Gedanke?“ Das heißt also, wir betrachten nicht mehr nur die Vergänglichkeit des Gedanken, wir schauen direkt hin. Und wir finden ihn nirgends. Das ist eine Art des Schauens im Lhaktong. Wir können dort erkennen, dass es einen progressiven Fortschritt gibt, der in die Methoden von Lhaktong übergeht. Wir schauen: „Wo ist der Denker? Wer ist es, der denkt?“ „Ich!“, „Wer denkt?“, „Ich!“ D.h. wir stellen uns diese Lhaktong Fragen, die direkt das Objekt oder das Subjekt anvisieren. Auf diese Art und Weise gehen wir die Basis der Unwissenheit an. Wir schauen: „Wo ist die Wahrheit?“ Das führt uns dahin, zu sehen:“ Was ist die Wahrheit dessen, was ist?“ D.h. wir gehen direkt diese Dualität an: „Was ist die Natur des Subjekts?“ „Was ist die Natur des Objekts?“ Das Objekt sind die Gedanken, ist das andere, oder sind die Ereignisse. Greifen wir mit Lhaktong direkt diesen Punkt 3 an, das dualistische Bewusstsein? Ja. Punkt 3, das dualistische Bewusstsein – Namsche – ist die Grundlage für unsere Geburt. Wir können sie eigentlich nicht direkt angehen, aber wir können für einen Moment das dualistische Bewusstsein – Namsche – von der Unwissenheit befreien und für einen kurzen Augenblick verwandelt sich Namsche in Yesche. Tschenresi ist ja eine etwas andere Praxis als Vipassana, beim einen geht es eher um das Innehalten, beim anderen mehr um Vertrauen und Öffnung. Kannst du zu diesem Unterschied etwas sagen? Tschenresi Praxis ist wie jede Jidam-Praxis eine andere Art zu leben. D.h. also, wenn wir das praktizieren, versuchen wir, den Ausdruck der erleuchteten Sichtweise zu leben, das ist eine andere Lebensform. Und da gibt es auch die Elemente von Lhaktong und Mahamudra, aber auf eine umfangreichere Weise. Das sind dann nicht nur Meditationsaugenblicke, das nimmt mehr und mehr unser ganzes Wesen ein. Und manchmal fühlen wir uns etwas wohler mit der Tschenresi Praxis, weil diese reine Sichtweise da ist: Liebe und Mitgefühl, Hingabe, Offenheit. Diese Praxis hilft uns auch, intuitive Einsicht – Lhaktong – zu entwickeln. Bei der formellen Tschenresi Praxis gibt es diesen Aspekt der Klarheit, in der wir Tschenresi visualisieren und es gibt diesen Aspekt, bei dem wir ganz bewusst das Mantra rezitieren. Diese beiden Aspekte gehören Schinä an, d.h. es sind Möglichkeiten, wie wir unseren Gedankenfluss unterbrechen können, weil wir ganz innen drin sind. Die Wirkung dieser beiden Aspekte der Meditation ist so, als ob wir den Atem als Meditationsstütze nehmen oder als ob wir auf eine andere Stütze meditieren. Auf diese Weise können wir mit der Tschenresi Praxis immer mehr Raum schaffen, wir unterbrechen diesen mentalen Prozess der ununterbrochenen Gedankenketten. Das ist der Schinä Aspekt in der Tschenresi Praxis. Aber danach meditieren wir auf immer mehr Transparenz und fragen uns: „Wer bin ich? Bin ich Tschenresi? Oder bin ich Ich? Was ist wirklicher: Tschenresi oder ich?“ Diese Fragen leiten uns zu einem Verständnis von Lhaktong, der intuitiven Einsicht.

Lhaktong wird in Beziehung gebracht zu der Transparenz und zu der NichtSubstanzhaftigkeit von all dem, was wir visualisieren und auch vom Klang des Mantras. Diese Elemente der illusorischen Natur der Visualisation und des Klanges bringt Lhaktong in uns hervor. Das heißt, es gibt diesen Unterschied in der Technik von Schinä – Lhaktong und der Jidam-Praxis. Bei der Jidam-Praxis stellen wir uns diese Fragen nicht, sie tauchen von alleine auf, weil es uns schwer fällt, die Praxis zu machen, weil da Widersprüche sind zwischen unserer normalen Funktionsweise und der reinen Sichtweise. Es entsteht eine Reibung zwischen der gewöhnlichen Sichtweise und der reinen Sichtweise und daraus ergeben sich die Fragen. Aber daraus ergeben sich auch die Antworten, es findet ein ganz natürlicher Prozess statt, der zu mehr und mehr Offenheit führt, zu mehr und mehr Verständnis und Hingabe. Ich lade Euch ein, während der nächsten Meditationssitzungen noch andere Methoden auszuprobieren, die zu mehr Raum im Geist führen. Und noch eine Einladung oder Aufforderung, an den Nachmittags-Gruppen teilzunehmen. Es ist heiß und alle sind müde, aber es ist eine ausgezeichnete Möglichkeit sich sowohl untereinander auszutauschen als auch mit denen, die lehren. Alle, die hier lehren, sind kompetent. Es ist eine gute Möglichkeit zu lernen, wie wir im Alltag die Paramitas anwenden, wie wir den Dharma in den Alltag hinüberbringen können. Ihr habt gehört, die Teilnahme an den Nachmittags-Gruppen ist ein bisschen zurückgegangen. Vielleicht liegt das daran, dass wir die Anstrengung scheuen, weil uns nicht so bewusst ist, wie kostbar diese Momente sein können. Falls also noch ein bisschen Energie da ist: es bleiben noch einige Nachmittage mit Workshops. Ich kann die Paramita der Meditation nur auf der Grundlage unterrichten, dass Ihr Euch die anderen Paramitas erarbeitet, d.h. dank der Ateliers am Nachmittag ist es möglich, auch die Meditations-Paramita zu lehren. Nur mir allein zuzuhören, reicht nicht. Die Nachmittage sind sogar wichtiger, weil sie die Grundlage für die Meditation bilden. Nur wenn Ihr an beidem teilnehmt, kann man sagen, dass Ihr die Übertragung erhalten habt. Es gibt viele, die kommen und bitten, „Lehre mich Meditation! Ich will meditieren.“ Als Antwort bekommen sie dann zu hören: „Entwickle Geduld, übe dich in Disziplin!“ und dann „Grrrrrrrrrrrr, wir wollen meditieren, wir wollen am besten die Weisheit lernen.“ Das heißt, wir wollen die Etappen überspringen und gleich am Ziel ankommen. Aber wir werden nicht in der Lage sein zu meditieren, wenn wir nicht Freigebigkeit entwickeln, wenn wir uns nicht in Disziplin üben, wenn wir uns nicht in Geduld und freudiger Ausdauer üben! Glaubt Ihr, es ist möglich, Befreiung zu erlangen, wenn es uns nicht möglich ist, eine Viertelstunde zu sitzen, ohne uns zu bewegen? Ich habe den Eindruck, dass Ihr – wenn euch gesagt wird, Ihr sollt Euch während der Meditation für einen kurzen Zeitraum nicht bewegen – denkt, „Oh, das sind aber wirklich nur die vorbereitenden Übungen, wir wollen schnell etwas ganz anderes machen, anstatt das wirklich anzuwenden“ Das, was wir miteinander teilen – die Meditation – ist etwas, was wir jeden Tag zu Hause machen sollten. Nur auf diese Weise werden wir eine stabile, vernünftige Grundlage für unsere Meditation und unsere Praxis errichten können. Ein Praktizierender, der weiß, „Oh,

jetzt bin ich wütend! Was mir hilft, diese Wut zu durchtrennen, mich nicht hinreißen zu lassen, genau das ist die Meditation. Ich werde mich auf mein Kissen setzen und so meine Wut beenden!“ Das ist ein Praktizierender, der eine gute Basis entwickelt hat. Die Ergebnisse der Praxis kommen von einem regelmäßigen Üben. Das ist mit der Praxis so wie mit allen anderen Dingen: wer ein guter Tennis-Spieler werden will, der muss trainieren. — Meditation — ***