1 recherchierte Dokumente

Hermann Röchling ein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilter Na- tionalsozialist war, der 1933 bei Adolf Hit- ler vorstellig wurde, damit das ...
194KB Größe 4 Downloads 347 Ansichten
OLIVER DIETZE / DER SPIEGEL

WALTER FRENTZ COLLECTION, BERLIN

Deutschland

Gedenkstein für Röchling in Völklingen, Industrieller Röchling (r.) 1943 mit Hitler: Als ginge es um ein Stück Seele der Stadt ZEITGESCHICHTE

Süßer Hermi Im saarländischen Völklingen ist ein Stadtteil seit 56 Jahren nach einem Nazi-Verbrecher benannt. Viele Bewohner kämpfen leidenschaftlich dafür, dass das so bleibt.

A

uf der Straße grüßen sie ihn nicht mehr. Seine Frau wird im Turnverein angegiftet. Ein Gleichgesinnter bekommt in manchen Kneipen kein Bier mehr ausgeschenkt und vom Gartenbauclub keinen Häcksler mehr vermietet. Christoph Gottschalk, 61, und seine Mitstreiter fühlen sich in ihrem Viertel wie Ausgestoßene – weil sie dafür kämpfen, dass ihr Stadtteil nicht mehr so heißt wie ein verurteilter Nazi-Verbrecher. Das saarländische Völklingen hatte 1956 beschlossen, dem Industriellen und Nazi Hermann Röchling (1872 bis 1955) ein Denkmal zu setzen und einen Stadtteil nach ihm zu benennen. Rund 1300 Menschen wohnen heute auf der HermannRöchling-Höhe, idyllisch auf einem Hügel am Wald gelegen. Die sozialen Brennpunkte der Stadt sind weit weg, die Welt könnte in Ordnung sein – wären da nicht Gottschalk und seine paar Mitstreiter. Sie weisen beharrlich darauf hin, dass Hermann Röchling ein wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilter Nationalsozialist war, der 1933 bei Adolf Hitler vorstellig wurde, damit das damals noch vom Völkerbund verwaltete Saargebiet kein „jüdischer Naturschutzpark“ werde. Als Unternehmer beutete er während des Zweiten Weltkriegs Tausende Zwangsarbeiter aus und ließ sie bei Ungehorsam ins werknahe Straflager schicken. Immer wieder mal wird in Deutschland über Umbenennungen von Straßen und Plätzen diskutiert. Meist erhielten sie den Namen von Persönlichkeiten, deren Wir54

ken heute kritischer gesehen wird als frü- Röchling-Höhe“ gegründet. Von den her – wegen ihrer Rolle während der Nazi- Zwangsarbeitern hat er gehört, auch, dass Zeit oder weil sie Antisemiten waren. In Röchling sie in Arbeitslager schickte. Berlin betrifft das etwa die Treitschkestra- Aber: „Der Röchling ist ja nicht selbst in ße, in München die Hilblestraße. Zuletzt die Arbeitslager und hat die irgendwie erregte der Münsteraner Hindenburgplatz malträtiert.“ Röchling habe sich nur an größeres Aufsehen, bei einem Bürgerent- das geltende System gehalten. Mit einem neuen Namen würde die scheid votierten im September 60 Prozent Identität des Stadtteils verlorengehen, für den neuen Namen Schlossplatz. In Völklingen ist es umgekehrt. Hier warnt Torsten Krieg, 41, der Pressesprewollen die meisten den Namen des brau- cher des Vereins. „Die jungen Leute sanen Patriarchen behalten. Man müsse die gen heute sogar Hermi“, freut sich Krieg, Vergangenheit endlich ruhen lassen, sagt „das find ich so süß.“ Im Juni sollte der Völklinger Stadtrat eine Bäckerin. Ein Makler befürchtet, die Immobilienpreise könnten sinken, „weil auf Antrag der Linken über eine Umbedie Hermann-Röchling-Höhe ja ein Mar- nennung entscheiden. 150 aufgebrachte kenname ist“. Der Nächste sorgt sich um Bürger waren gekommen, viele hatten den gleichnamigen Fußballverein, wer be- Plakate mitgebracht: „Hermann-Röchlingzahlt dem neue Trikots? Und CDU-Ober- Höhe soll bleiben“. Die Gegner des alten bürgermeister Klaus Lorig, 60, ein ehe- Namens wurden ausgebuht, die Argumenmaliger Geschichtslehrer, sagt, dass man te der anwesenden NPD bejubelt: Es könVergangenheit nicht aufarbeiten könne, ne nicht sein, „dass aufgrund weniger Änderungsbefürworter über die Köpfe aller indem man Namen ausradiere. Christoph Gottschalk kennt diese Ar- anderen Bürger hinweg entschieden wird, gumente. Vor knapp drei Jahren gründete ohne deren Meinung zu berücksichtigen“. Er habe nach der Sitzung zwei Nächte er mit anderen Völklingern eine Bürgerinitiative für die Umbenennung. Er dach- nicht schlafen können, sagt Fred Engelte, er tue das Richtige. Nun sitzt er in sei- Pollak, 79, von der Umbenennungsinitianem Haus auf der Hermann-Röchling- tive. „Ich habe mich gefühlt wie auf einer Höhe und guckt ratlos durch seine runde Nazi-Veranstaltung.“ Engel-Pollak war Brille. Gerade einmal 200 Unterzeichner 1933 als Sohn einer Jüdin in Völklingen hat er für die Petition gewinnen können. zur Welt gekommen, Verwandte versteckDer einst glühende Nationalsozialist ten ihn vor den Nazis. Er fand es ungeHermann Röchling ist für viele Völklinger heuerlich, einen Stadtteil nach Röchling in erster Linie Wohltäter. Früher arbeite- zu benennen, aber er kann es nicht fassen, ten bis zu 17 000 Arbeiter auf der „Hütte“, dass im Jahr 2012 eine Mehrheit der Völkdem großen Eisenwerk der Familie Röch- linger um den Namen des Stadtteils ling, das heute Weltkulturerbe ist und kämpft, als ginge es um ein Stück Seele jährlich bis zu 400 000 Besucher anzieht. der Stadt. Für Mitte Dezember haben die Linken Ältere Bewohner beschreiben Röchling als Chef, der im Werk ein rigides Regi- das Thema erneut auf die Tagesordnung ment führte, nach Feierabend aber durch des Stadtrats gesetzt. Um sich vom Vordie Stadt ritt und die Arbeiter nach ihrem wurf der „Diktatur einer Minderheit“ freiBefinden fragte. Einer, der Milchküchen zumachen, plädieren sie nun für eine für Frauen und Kinder unterhielt und ein Bürgerbefragung. Für die Verfechter der „Hermann-Röchling-Höhe“ wäre das ein werkseigenes Krankenhaus aufbaute. „Und das soll auf einmal alles nicht Erfolg. Ein Votum für die Umbenennung mehr wahr sein?“, empört sich Gabriel ist von den Völklingern nicht zu erwarten. Theisen, 56. Er hat mit anderen Völklin- Alles könnte so bleiben wie gehabt. gern den Verein „Zukunft HermannSARAH MÜHLBERGER D E R

S P I E G E L

4 8 / 2 0 1 2