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1. Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Die Versprechen der Demokratie. Tübingen, 24. – 28. September 2012. Sektion Internationale Politik und Arbeitskreis soziale Bewegungen. Globale Opposition? Postnationale Governance und ihre KritikerInnen. Organisiert von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff ...
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Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft Die Versprechen der Demokratie Tübingen, 24. – 28. September 2012

Sektion Internationale Politik und Arbeitskreis soziale Bewegungen

Globale Opposition? Postnationale Governance und ihre KritikerInnen Organisiert von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Universität Frankfurt/M.) und Simon Teune (Wissenschaftszentrum Berlin) Discussant: Prof. Dr. Nicole Deitelhoff Donnerstag, 27. September 2012, 9.00 – 12.30 Uhr

Veränderung politischer Entscheidungsprozesse durch globale Opposition? Eine quantitative Analyse der Partizipationsmöglichkeiten von transnationalen Akteuren in internationalen Organisationen von 1950-2010 Dr. Thomas Sommerer (Universität Stockholm) Die Präsenz zivilgesellschaftlicher Organisationen, Verbände und Interessengruppen auf dem Parkett internationaler Politik ist heute Realität. Man findet diese sogenannten transnationalen Akteure als akkreditierte Teilnehmer von NGO-Foren bei Gipfeltreffen, als Prozessparteien bei internationalen Gerichten, als Beobachter in Krisenregionen oder als Experten in Arbeitsgruppen multilateraler Organisationen. Vormals exklusiv von der Diplomatie der Nationalstaaten geprägt, haben sich internationale Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt und sich gegenüber diesen Akteuren geöffnet. In meinem Beitrag möchte ich darstellen, wie weit die formalen Beteiligungsmöglichkeiten dieser Akteure reichen, welche Prozesse zu dem beobachteten Wandel führten, und welche Konsequenzen sowohl für die Aktivitäten Internationaler Organisationen also auch für die Rolle zivilgesellschaftlicher Gruppen als transnationale Opposition zu erwarten sind. Die empirische Grundlage des geplanten Vortrages ist ein neuer Datensatz, der im Rahmen eines laufenden ERC-Projektes an der Universität Stockholm erstellt wurde. Der Datensatz umfasst die formalen Beteiligungsmöglichkeiten transnationaler Akteure in 50 internationalen Institutionen aus zahlreichen Politikfeldern zwischen 1950 und 2010. Die quantitative Analyse dieser Daten zeigt, wie umfassend, aber auch wie vielseitig die institutionellen Beteiligungsmöglichkeiten von transnationalen Akteuren auf internationaler Ebene sind. Die Öffnung internationaler Institutionen erfolgte zuerst und auch am umfassendsten dort, wo Mitgliedstaaten sich von zivilgesellschaftlichen Akteuren wertvolle Informationen oder Ressourcen erhofften. Die starke Ausweitung der Partizipationsmöglichkeiten nach 1989 geht auf eine Veränderung der Aufgabenbereiche internationaler Organisation und rationales Lernen, aber auch auf Demokratisierungsprozesse im Kontext der Mitgliedstaaten und einen zunehmenden Legitimationsdruck auf die Akteure in internationalen Institutionen zurück.

Berater statt Watchdog - Erklärungen für die fehlende Kritik transnationaler NGOs an der Privatisierung von Sicherheit PD Jutta Joachim, PhD und Dr. Andrea Schneiker (beide Universität Hannover) Private Sicherheits- und Militärfirmen (PSMFs) haben in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen. Dabei übernehmen die Firmen immer mehr vormals staatliche Aufgaben. Während sie zunächst hauptsächlich logistische Dienste durchführten, wird derzeit beispielsweise ihr Einsatz auf Handelsschiffen zum Schutz vor Piratenangriffen diskutiert. Auffallend ist die erstaunlich geringe Kritik seitens gesellschaftlicher Akteure, insbesondere von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), an 1

diesen Unternehmen, obwohl es zahlreiche Belege für die mit dem Einsatz von PSMFs verbundenen Probleme gibt. So wird in den Medien und in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder auf Fälle hingewiesen, in denen Firmen konfliktverlängernd wirken, ihre Mitarbeiter ausbeuten oder in denen PSMF-Mitarbeiter für Menschenrechtsverletzungen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Dennoch sind die Reaktionen von NGOs hierauf im Vergleich zu Themen wie Umweltschutz oder Kinderarbeit sehr verhalten. Um diesem Rätsel auf den Grund zu gehen, haben wir die Reaktionen von USamerikanischen und britischen NGOs auf PSMFs untersucht, weil dies die beiden größten Märkte für private Sicherheitsdienstleistungen in der westlichen Hemisphäre sind. Dabei zeigt sich, dass nur wenige, vor allem kleine NGOs eine Watchdog-Funktion übernehmen und das Handeln der PSMFs kritisch beobachten. Bei vielen NGOs findet sich jedoch keine offene Kritik – im Gegenteil. Diese NGOs nehmen oft an öffentlich-privaten Politikprozessen teil, die sich mit dem Einsatz von PSMFs, beispielsweise der Regulierung der Firmen, befassen. In diesem Kontext suchen die NGOs, sich als Berater politischer Entscheidungsträger zu etablieren und geben Empfehlungen zum Umgang mit PSMFs. Dabei fällt auf, dass diese Empfehlungen in der Regel nicht in Opposition zu, sondern in Einklang mit der Position der jeweiligen Regierung stehen. Das Verhalten der NGOs scheint also einerseits von der Position der Regierungen zu PSMFs und andererseits von ihrer Teilnahme an Politikprozessen abzuhängen. Doch in anderen Politikfeldern, wie zum Beispiel Umwelt, hindert die Teilnahme an Politikprozessen NGOs nicht daran, in Opposition zu ihrer oder zu anderen Regierungen zu treten. Warum dies im Politikfeld Sicherheit und vor allem mit Blick auf PSMFs anders ist, kann unter anderem mit folgenden Faktoren erklärt werden: der Intransparenz der PSMF-Branche, den mangelnden Informationen über die Vertragsgrundlagen und die konkreten Aufträge und der Schwierigkeit, die Dienstleistungen der Unternehmen zu boykottieren. Grundsätzlich scheint aber die Zurückhaltung von vielen NGOs jedoch dem Sachverhalt geschuldet, dass sie den Einsatz von PSMFs als Notwendigkeit in den komplexen Sicherheitskontexten der Einsatzländer betrachten.

Interregionale Governance und zivilgesellschaftliche Partizipation: Das Asia-Europe Meeting (ASEM) und dessen Gegenmobilisierung Sabrina Zajak (Humboldt Universität Berlin) Die Rolle von Nichtregierungsorganisationen, transnationalen zivilgesellschaftliche Netzwerken, Gegenforen und Protestereignisse zu Gipfeltreffen hat seit Anfang der 1990er Jahre besondere Aufmerksamkeit erhalten. Internationale Ereignisse wie G8 Treffen, WTO Verhandlungen, das Weltwirtschaftsforum oder Klimagipfel und die Gegenmobilisierung, die sie produzieren, stehen dabei im Zentrum wissenschaftlichen Interesses. Kaum Berücksichtigung in dieser Debatte findet jedoch die Mobilisierung und Gegentreffen zu dem interregionalen Forum der Asia-Europe Gipfeltreffen – die Asia-Europe People’s Foren (AEPF) –welche von kritischen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften organisiert werden. Dies ist umso erstaunlicher, da interregionale Integration immer mehr an politischer und ökonomischer Bedeutung gewinnt, wohingegen der Demokratiegehalt solcher Prozesse noch kaum erforscht ist. Das Asia-Europe Meeting (ASEM) ist ein interregionales Forum, auf dem sich seit 1996 alle zwei Jahre Vertreter europäischer und asiatischer Staaten treffen, um die interregionalen Beziehungen zu vertiefen. Doch obwohl der ASEM Prozess aus verschiedenen Säulen besteht, die neben ökonomischer Integration auch Aspekte des politischen Dialogs, des kulturellen Austausches und zivilgesellschaftlicher Partizipation umfassen, wird das Asia-Europe Meeting von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Gewerkschaften aus Asien und Europa für seine mangelnde demokratische Legitimation und der bevorzugten Berücksichtigung ökonomischer Interessen gegenüber sozialen und ökologischen Aspekten kritisiert. Dieser Beitrag rekonstruiert die Entwicklung des People Forum und dessen Interaktion mit dem ASEM Prozess zwischen 1996 und 2010. Er zeigt, wie sich transnationale Opposition formiert, mit dem Ziel zum einen den zwischenstaatlichen Dialog zu demokratisieren, zum anderen aber auch, um Einfluss auf die Entwicklung von Sozialen, Umwelt- und Menschenrechtsstandards insbesondere in Asiatischen Ländern zu nehmen. Es wird deutlich, dass sich im Zeitverlauf zwar ein diskursiver Annährungsprozess zwischen den staatlichen und internationalen Akteuren und ihren Kritikern feststellen lässt, dieser Prozess ist dennoch kaum in der Lage, bestehende Disbalancen in Hinblick auf die Favorisierung ökonomischer Themen und Interessenlagen auszugleichen. Zwar gewinnen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften im Zeitverlauf an Zugangsmöglichkeiten und tragen zum Agenda Setting bei; Partizipationsmöglichkeiten bleiben jedoch stark selektiv und begünstigen weniger kritische, sondern eher integrationsförderliche Stimmen. Das Beispiel zeigt nicht nur Möglichkeiten der Organisierung einer transnationalen Opposition auf, sondern macht auch auf ihre Grenzen aufmerksam in Kontexten, in denen vor allem nicht demokratisch gewählte

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Regierungsvertreter aus Asien, die wenig auf öffentliche Legitimation angewiesen sind, wirtschaftliche Integration und ein „exklusives“ Verständnis von zivilgesellschaftlicher Partizipation vorantreiben.

Nationalstaatliche Governance, postnationale Opposition: Migrantenorganisationen und das Global Forum on Migration and Development (GFMD) Stefan Rother (Universität Freiburg) Von postnationaler Governance kann im Bereich der Migration nur bedingt die Rede sein. Vielmehr dienen regionale und globale Governance-Anstrengungen hier vor allem dazu, das System der Nationalstaaten und ihre Souveränität ( entry- und exit rules) zu erhalten. Dies zeigt sich auch bei der Konstruktion des prominentesten globalen Prozesses im Bereich der Migration: Das Global Forum on Migration and Development (GFMD) wurde explizit als Staaten-basierter Prozess konzipiert, der außerhalb des UN-Systems angesiedelt ist, dessen Treffen informell und dessen Beschlüsse nichtbindend sind. Veranstalter der jährlichen Treffen ist jeweils das Gastgeberland, es gibt nur eine minimale permanente organisatorische Infrastruktur. Doch so sehr der Prozess am System der Nationalstaaten orientiert ist, so sehr hat er in seiner noch jungen Geschichte das Entstehen einer trans- und in vieler Hinsicht auch postnationalen Opposition begünstigt. Hier haben sich zwei „cluster“ an Migrantenorganisationen mit einer Vielzahl an Mitgliedern herausgebildet, die stark voneinander abgegrenzte Strategien verfolgen. Der „NGO cluster“ setzt auf eine kombinierte „inside-outside“Strategie. Dazu zählt zum einen die Teilnahme am „offiziellen“ für die Zivilgesellschaft vorgesehenen Teil des GFMDs, den Civil Society Days (CSD). Hier konnten Vertreter der beteiligten Migrantenorganisationen zunehmend die Agenda beeinflussen und Themen wie Migrantenrechte, einen weiter gefassten Entwicklungsbegriff („human development“) oder Kritik an der Militarisierung der Grenzen einbringen. Nachdem in den ersten Jahren des 2007 gegründeten GFMDs noch die jeweiligen Landesstiftungen die Organisation der CSDs übernahmen, liegt auch diese seit 2011 in den Händen der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig wurde aus dem Cluster heraus der Parallelprozess „People’s Global Action on Migration, Development and Human Rights“ (PGA) ins Leben gerufen, der einen inklusiveren Ansatz verfolgt. Zu den postnationalen Ansätzen, die hier diskutiert werden, zählen die Portabilität von Rechten über Staatsgrenzen hinweg und nicht an Nationalstaaten gebundene Gewerkschaften („social movement unionism“). Diese Strategie wird von einem weiteren Zusammenschluss an Migrantenorganisationen, den ich als „Graswurzel cluster“ bezeichne, abgelehnt. Dessen Mitglieder sprechen dem GFMD jegliche Legitimität ab und werfen dem „NGO cluster“ vor, das Forum durch seine Partizipation ungerechtfertigt zu legitimieren. Auch wenn sich in beiden Zusammenschlüssen Organisationen von und für Migranten finden, sieht sich der „Graswurzel cluster“ als wahre Stimme der Migrantenbasis. Er veranstaltet ebenfalls eine Parallelveranstaltung zum GFMD, die „International Assembly of Migrants and Refugees“ (IAMR) sowie zahlreiche Mobilmachungen. Auch wenn diese Spaltung der Migrantenbewegung als Zeichen von Schwäche interpretiert werden kann, sehe ich sie eher als zwangsläufigen Ausdruck von Pluralismus. Während der „NGO cluster“ versucht, den bestehenden GFMD-Prozess zu demokratisieren, stellt der „Graswurzel cluster“ dessen Legitimität grundlegend in Frage. In dieser (unabgestimmten) Kombination können die Anliegen von Migranten möglicherweise sogar effektiver auf die Agenda gebracht werden. Wiederum vereint sind beide „cluster“ in der Forderung, das Thema Migration künftig innerhalb der UN zu behandeln.

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