/98 Am 26. abds. u. 27. vorm. Beschießung. Ein Schuß vor den ...

als ich die Gefahr genau über meinem Rücken fühlte, schloß ich die Augen. Es sauste und pfiff wie ein kommendes Hagelwetter. Dann dröhnte die Salve in der.
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HERMANN KÖBELE (1897-1945): KRIEGSTAGEBUCH 1917

/98 Am 26. abds. u. 27. vorm. Beschießung. Ein Schuß vor den Sanitätsunterstand. 28. Früh ½5h Abfahrt. Für die Nacht war ein franz[ösischer] Angriff angesagt. Er war gegen ½7h. Ank[unft] Wagenburg 5¾h. Einfahren schwierig. Das 3. [Geschütz] fiel halt in den Graben. (Nur sind jetzt 4 tot [?].) Wegen des starken Nebels feuerte unser Abschnitt bei dem Angriff nicht mit. Abd. Wache im Panzerhaus. Wir sind alle froh. Unsere Stellung wurde von den [unleserl.] (11. Div[ision] / 42. F[eld]A[rtillerie]K[ommando]) sauber hergerichtet. Die schwarzen Tage sind vorüber. Die 11. Div[ision] nach Flandern. 31. 6h abd. Angriff. Sperrfeuer, Gasbeschießung. [Am Rand: Probst?] 8h Zwischenposten. ½10 zurück. Lager. 1. Nov. 2h Nachm. nach Machault mit Beiter. M[achault] ab 3h Bahnhof ab 522h Savigny 6h /99 ab 930 Vouzieres 10h Nachtlager. 2. XI. Vorm. ins Soldatenheim. Nur Kaffee. ab 11h Vaux 12h Wieder nichts zu essen. Nur Kaffee. ab 533 Herricourt 630 Übernachten im Warteraum mit einem Kameraden, der Brot, Fleisch und Wein mit mir teilte. 3. IX. [muß heißen XI.] ab ½10 Begräbnis. Vaux ½12h Quartier auf 114 Nachmittag Gefechtsvorführung und Holzholen. Miserable Bude zu zweit. 4. IX. [muß heißen XI.] Vorm. Spaziergang auf die Höhe. Grab v[om] Aug[ust] 14 ("Eigenes Bild". "Ein Landschaftsbild. Elegie". - "Meine Braut") /100 Neues Quartier furchtbar (13) Kamin. Dienst: 1. Zug: 9¾ - 11¾h 2. " 7½ - 9½h 2 - 4h Essen gut. Ab[en]dausgabe um 4h, Sonntags 3h. 9. Erste Post, daheim - Theuersbacher, Gerl. 10. 4 Pakete! 3 daheim, 1 Ulrich. Brief von Alfons. Ein Prinz bin ich! Dazu das schöne Leben. Holdrio! - V. Burckhardt 5. Tag! 11. Sonntag. Gottesdienst. Beicht und Kommunion. Harmonium. 12. Sollte Scharfschießen sein. Stattdessen Strafexerzieren! "Der große Zwischenfall!" Gegensatz zwischen Bayern und Preußen. [in einem Kasten:] Ziegler Rud. Theod. + Sigl. Jos. + Flandern Flandern 18. Sonntag. Morgenspaziergang ("Ein Jüngling", "Vision") 25. Erster Schnee. 5 Pakete! Geld und Butt[er] [Lesung zweifelhaft] 28. Abmarsch 815h früh nach Besac, 5/4 h. Großer Wald. /101 Abfahrt ½11h; Sedan 12h, Essen in der Kriegsverpflegungsanstalt, dann in einem Gasthaus in der Nähe der Place Turenne. Belegte Brote. Tadellos! Abfahrt 5 50 Charleville. Abf. 709 Amagne, umsteigen, Machault ½12h nachts. Aus Sedan: die gotische Kirche. Wieder Neuschnee! 29. Nachm. Machault. 30. In Stellung. 1

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Etwas helles Wetter. Von der Batt[erie] zur Vermittlung Koblenz. Um 20h kam ich dort an. Plan

/102 Hier ists schön wie auf Obadja. Nichts zu tun. Nachtwache 3½ h. Zwei v[on] d[er] 8. Batt[erie]: Reinemann u. Eisenberger. - Vorn Ruhe. - Bei der Batt[erie] wird nichts gearbeitet. XII.17 3. Ablösung. Sonheuser, Jakobsen (ein Lüneburger und Jude) (2. Batt.) 7. Abl[ö]su[n]g. 1. Batt. Rudorfer, Stoll Wetter wärmer. Die letzten Tage winterlich kalt. 6. Geg[en] 4h Flugzeuggeschwader v[on] 9 Fl[ugzeugen]. 7. Beim Essenholen Feuer auf Somme-Py hinein. 8. Morg[ens] Regen. Ich las teilweise "Auferstehung" [Tolstoj], ferner Schmidbonn "Schlaraffenland". 10. u. 11. kam die Batterie in Stellung. 4 Ba. [Lesung zweifelhaft], ca. 15 min. hinter Coblenz. Alles andere ist schon hinter der Py, mit Ausnahme der 1. u. 4. 10. Schweres Feuer nach S[omme]-P[y]. Gegen 4h Patroille Gasverbreitung m. Stoll. 11. morgens links Angriff. Das Wetter ist klar und zeitweise kalt, aber im ganzen ist dies ein recht milder Winteranfang. Wir sollen nach den Feiertagen in Urlaub fahren. Das ist doch einmal eine greifbare Aussicht! /103

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14. Es regnet wieder etwas. - Die 1. Batt. kam frühmorgens in die Attila-Stellung. 15. Nachm. 3h. Coblenz wird aufgelöst. Zusammenpacken und zur Batt[erie]. In der Batterie wohnt sichs schlecht. Kalt und zugig, die 2 Öfen geben nicht aus. Abd. Leut[nant] Schefold: "Stellungswechsel! In der Nacht noch! Unternehmen - alle Batt[erien] müssen wieder in die alte Stellung vor. Wir gehen erst übermorgen früh weg." - Nachts sehr schlecht geschlafen. 16. 10 - 11h Schießen. Tagsüber Ruhe - Sonntag. 17. Früh 4h Aufstehen. Arbeiten zum Stellungswechsel. Samer, Buchner und ich zur Patrouille bestimmt. Vorm. 8h fahren wir zurück. Lager. - 1h Melden bei der 3. Komp[anie] Gottrop. Lager. ½3h Üb[un]g am Üb[un]gswerk mit dem Stoßtrupp. 18. 715h Melden. "Das Unternehmen fällt aus!" Meine Gefühle waren nicht allzu freudiger Natur. Ich hatte mich schon eingelebt. Am 3. 1. 18 soll ich in Urlaub fahren. 19. Brunnenbohren. 20. In Stellung. Wagenburg. Gersch. Reiter. 22. morg[en]s 11h Stellungswechsel nach 4 Ba. Posten. /104 24. Weihnachtsabend. 7h - 3h. Schweinsbraten, Geld (10 M) Rauchzeug. Rud. Roloffs Gesinge. Tanz. Die Nacht völlig ruhig. 25. Schöner Tag. Ruhe. Etwas Schnee. Abds. Posten. 29. Abzug in die Ruhe[stellung]. Abds. 8h Preuß. Langrohr lösten uns ab. (52. Ow.1.Feld.) - Nachtlager im Stall. 30. Vorm. 9h Abmarsch. Über Machault, Remy, Pauvres ins Armeelager. Ankunft Mittags. Es wird noch nicht viel gearbeitet. Holzmachen. 1. Vorm Apell [!]. Liebesgaben. Abds. erfuhr ich mit Hugo [Lesung zweifelhaft], daß wir morgen früh in Urlaub fahren. 2. Urlaub Wir gehen 6¼h weg. Weg ungefähr bekannt. Gegen 7h kommen wir nach Pauvres! Nach Remy kommen wir dann, trotz Mitfahrens mit einer Kolonne, zu spät. Erst 10 30 nächster Zug. Abfahrt. Umsteigen in Amagne, Charleville (Ankunft 5h in Metz. Bis Metz der Zug ungeheizt. Vor der [unleserliches Wort] zeitweise geheizt. /105 Dann Straßburg, Karlsruhe, Stuttgart, Ulm, Augsburg, München, Ank. ½7h. Nach Weilheim Abf[ahrt] 7h. Peißenberg Ank. 11h. ½12h Abmarsch trotz Kälte, schlechten Wegs und wunden Fußes. 3½h gebraucht. Um 3h (also am 4. 1. morgens) kam ich an. Alles geriet in Aufruhr. "Frühstück" Butterbrot und Pfannkuchen. Bis 10h geschlafen - und wie! Den Tag kam ich nicht aus dem Haus. Nachm. Jagd in die Kirche. Abd. kleine Weihnachtsbescherung. 5. Aufst[ehen] ½10h. 9. Skifahren. - Schneesturm. 10. Mit Albert in den Gäwinden 11. Ebenfalls. Höhlen gebaut. 12. Mit Luise Alfons u. Rupert entgegengegangen. Getroffen am Ramsauerberg.

Ich wurde etwas krank. 13. Sonntag. Nachm. wir 3 krank, dann zu Finkels, mit Heini u. Stadler eine zünftige Unterhaltung. Gesungen, eine Flasche /106 Wein. 14. Vorm. am Weiher und der Hütte. Nachm. in den Gäwinden über den harten Schnee gefahren! Um 4h gingen wir weg. 6h nach Peiting. Ank. München ¾12h. Warten auf Alfons. Schlafen bei Rupert. Wie lange wir uns unterhielten! Über unsere Liebesverhältnisse. 15. Suche nach Erna erfolglos. In der Kaserne wegen der Koppel. H[auptmann ?] Clerlt [Lesung 3

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unsicher] u. Wachtmeister Vitzthum sehr freundlich. Bei Theuersbacher, Hartmann. Egle. Dann Besorgungen, bei Geiger, Rupert, Alfons. Schule (ohne A[lfons]) zu treffen. Zu Braunschild, nicht getroffen, Dann durch Zufall Hugo u. Alfons. Mit Alf. in Hans Heiling [Oper von Heinrich Marschner]. Dann im Domhof m. Rupert. Abschied von Alf. um 11h. Bei R[upert] geschlafen. Tauwetter. 16. ½6h aufgestanden. 650h Abfahrt Bahnh[of]. Peißenberg 1030. 12h Abf[ahrt] mit der Post. Daheim 3h. Brief v. Erna. Ich bin schmerzlich bewegt, aber ich suche sie doch am Freitag wieder! Abds. u. Nachts sehr starker Föhn. Nachts Schnee. /107 17. Morg. sehr warm. Abds. Abschied. Wein. 18. 10h mit Luise nach Peiting. Um 330 nach München. Braunschild - Rupert aufgesucht - umsonst. 7h bei Erna. Sehr bedeutungsvoll. Am Bahnhof Alf. getroffen Abf[ahrt] ½10h. 19. 11h Metz. Abds. ½12h Remy. Übernachtet im Warteraum. 20. ½10h ins Lager. Sonntag. Nachm. Vorbereitungen zur Abfahrt. 21. Ruhetag. Regen. 22. Abfahrt 8h. Pauvres - Mazagran - Bourco - Brières, Artillerielager, Ank. ½5. Mittag vor Blaise Vouvieres.½ h. Begegnung mit einem Flieger (der Bruder Behrends). Wache. 23. Aufst[ehen] 6h. Abfahrt 8h. /108 Brieres - Mouron - Termes - Grandpré - St. Juvin - St. Georges. Mittag vor St. Juvin. Ank. 3h. Wache bis 4h. 24. Arbeit im Park. 25. Früh ½2h in Stellung. Neblig kalte Mondnacht. Ank. 6h. Arbeit mit Geschützeinbringen! Cheppy und Aire, Argonnerwald. 4. Gesch[ütz] U.O. Müller, Egger, Ring, ich. Die Stellung saudumm angelegt, aber ziemlich feuersicher, Unterstand groß, trocken, aber nicht tief. Sehr schmutzig überall, die alten Trichter sind voll Wasser. Geschützstand schlecht, Fliegerdeckung gut. - [Am Rand: s. Foto!] Essen gut. Aber meine Stiefel sind schlecht! 26. - 27. Wache. Schönes Wetter. Gefechtstätigkeit nur gering. ("Kamerad, Explosion!") /109 28. Mitt[ags] Trommelfeuer rechts. Diese Tage mußte die 1. Batt. unter starker Beschießung leiden. 1. II. Versetzt zum Arbeitsgeschütz. ("Ilse". Unsere Stellung heißt "Schwanz 19".) U. O. Rothmüller, Eberhard, Först, Berthold. 3. II. Vorm. der Krach von Lt. Schefold! Nachm. Feuer, 15er. 20m zwei vor die Hütte. Wir liefen davon. Först und ich in einem Loch an der Straße. Abd. Auszug! 10h abds. holte ein Kraftwagen das Gesch[ütz] ab. Ich fuhr bis Grandpré mit zur Art[illerie]. Werk[statt]. Früh 3h. Geschlafen auf der Wache. 4. 12h nach Marq gefahren, von da nach [St.] Georges gegangen, zw[ischen St. ] Juvin u. [St.] G[eorges] unser Verpflegungsfuhrwerk getroffen. Die Batt[erie] war ausgezogen. Wir verluden noch 3 Wagen, fuhren gegen 5h weg. Ank. im Lager Sommerance ("Neu Weinberg") 7h.

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/110 Alte, blockhausähnliche Baracke. 6. u. 7. Kohle holen in Cornay. ab 9. Beim Barackenbau in S[ommerance]. 10. "Fideler Abend". Ansprache Lt. Schefold, die kommende Offensive. 12. Nach Grandpré (s. Studienbuch) 15. Abds. 7h Lager. 17. Cenoley [?]. In Stellung, mit Vogginger und Bruckner. Gegangen bis Cornay, mit der Kleinbahn bis über Spremont hinaus, dann geschoben bis zu einer Ferme. Küche d. 8. Batt. Warten in dem großen Haus. ½6 mit dem nächsten Zug nach Varennes. Gehe bis Cheppy. - Zur Blinkstation Holländer. Mit Winkler, Berr. 21. Ans 2. Gesch[ütz], Beiter. Mit Stafswender, Brunnauer, Hörndle, Photographie! 24. Abfahrt i. d. Stellung. 12h im Lager. 25. [Abfahrt] 8h nach Chevieres, trockenes Wetter, aber elende Straßen. Ank. 12h. bis 3. in Chevieres. Baracke schlecht. /111 Kalt und naß. Essen wenig. Exerzieren. abends im Soldatenheim bei müdraunendem [Lesung zweifelhaft] Klavierspiel! [Ein Satz in Kurzschrift] 3. Abfahrt 7h. Verladen in Grandpré. Verpflegung Liart. [Zwei Wörter unleserl.] nach Origny. Ankunft 7h. Marsch nach Le Chaudron, 3h. Quartier suchen im Dunkeln! Auf 66, 89, 10, 99. Gelandet [Lesung zweifelhaft]. Gut, 10 Mann. 5. Besch[ießung]. Ausrücken. 7. Reisemarsch der Abteilung. Wetter schön. 10. Scharfschießen. Ausgeben der Gesch[osse]. Mein Gesch[ütz] als einziges einen Volltreffer erzielt. Rückkehr 3h 11. Vorm. Marsch. Gew[ehr]richtung. Sieger. Nachm. 3 h Gesch[ütz-] u. Fußdienst. Schlimmer als in Garnison. Aufst[ellen] 4 - ½7h. /112 12. Diese [unleserliches Wort]. Ausmarsch 715h. 115h Erste Stellung bei Landouzry [?] la Cour. 10h Vorgehen. Stellung nur Wirkungsschießen, Rückkehr 415. Nicht aufsitzen! Sehr warm, staubige Straße. 13. Ruhe, Gottesdienst, Beicht, Kommunion. 14. 230 Abmarsch 7h Marly Quart[ier] 41 m. Bucher. Zu Fuß. Wache. 15. 130 Abm[arsch] ½6 Lesquielles. Qu[artier]. Hof. Gefahren. 16. 2h Abm[arsch] 7h Origny. 14km bis St. Quentin marschiert. Qu[artier] 57 Speicher. Biwak. Der Ort ist mit Truppen überfüllt. Ein sehenswürdiger, lauter Betrieb und dabei musterhaft ordentlich. Sehr viel Artillerie. Österreichische 30,5[cm]. 42cm. Abds. Geschütze in Stellung, d. h. in einem Holz versteckt. 17. M. G. Anschießen. Wetter gut. Häufige /113 Fliegerbesuche. (Das Marmeladenlied!) Soldatenheim. 18. Abds. ½11h in Stellung. Gräben ausheben. Gegen Morgen lebh. Feuer. Um 9 h wieder in Or[igny]. 19. Geschlafen. Abds. Theater. Küchenbesuch! In Stellung. Unmöglichkeit, bei dem Regen die Gräben zu vermehren. Schutz suchen in Zelten u. dgl. Wir zu 6 in einer Hütte, "Lichtsignalstation 9". Erst Zeltplanen spannen, die aber das Wasser durchließen. Wir sitzen Knie an Knie, ich bekomme abwechslungsweise den Krampf in beiden Beinen. Draußen kommt Schuß um Schuß schwere[s] Kaliber in die Wälder herein und die Splitter singen gefährlich heran. Die Nacht ist schrecklich lang. Als endlich der Morgen kommt, ist alle Furcht und Qual verflogen. Die Feldküche kommt und der Kaffee 5

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erwärmt alles zu neuem Leben. 20. Herrichten des Geschützstandes. Überall /114 wird eifrigst gearbeitet. Batt[erie] steht an Batterie, die Linien hintereinander und Gerüchte von wahrhaft fabelhafter Stärke unserer Artillerie heben Stimmung und Mut. Ausbessern unserer Hütte. Das Wetter ist neblig. Abds. Heranziehen der Geschütze. Mit einem Schlag steht Geschütz an Geschütz, wo vorher nichts zu erblicken war. Die Feldküche kommt spät, da sie im Dreck steckenblieb. Daran sah ich die Probe von späteren, schwierigeren Dingen. Der Kampf mit der Erde! Inzwischen belebte sich die englische Artillerie auf recht empfindliche Weise. Wir aßen trotzdem in bester Stimmung. Post kam. 3 Pakete v. daheim, 1 v. Erna. Dies freute mich außerordentlich. Nachdem bis ½2h die Aufstapelung von 490 Schuß pro Gesch[ütz] erledigt war, sprach ich meinem Vorrat noch tapfer zu und füllte dann meinen Brotbeutel mit Brot, Honig, Butter und Käse, ohne zu ahnen, wie das Geschick mit solchen Dingen umzugehen vermag! /115 Der 21. März 1918. Frühlingsanfang "Michaelangriff" Offensivebeginn! Ich schlief kurz und schlecht, die englischen Granaten krachten wiederum schwer und reichtönig in der Nähe. Um 330 wurde gepackt. Mit einigem Unbehagen suchte ich mein Zeug zusammen und begab mich ans Geschütz. Wir alle hegten schlimme Befürchtungen. Die Nacht war sehr dunkel. Alsbald brannten alle Festlegungspunkte, überall wirds lebendig, alles wurde nervös, die genaue Uhrzeit lief von Mund zu Mund. Plötzlich rollte hinter uns eine Salve hinaus, rechts und links beginnts zu krachen, die schweren Kaliber poltern drein, die Luft füllt sich mit Heulen und Krachen und der Himmel flackert wie im Wind vom Mündungsfeuer der Geschütze. Noch hält der Einser den Abzug krampfhaft in der Hand, da - es ist 4 40 "Feuer!" ertönts wie von fern und der erste Schuß flitzt hinaus. /116 Tommy, es gilt! Jetzt schieß, wenn du kannst! Schieße inmitten der Gasschwaden unserer Geschosse! Es wird dir bald vergehn! Wir feuern langsam, wie kühl berechnet. Bei jedem Abzug erscheint das Gesicht meines Einsers (Winkler) mit den geschlossenen Augen leichenhaft fahl beleuchtet vom grünen Mündungsfeuer. Wie ein unheimliches Symbol, diese Wolke! Das allgemeine Rollen ist gewaltig, grandios. Keine Sekunde vergeht ohne mehrmalige Lufterschütterung. Später wird es schwächer. Der Morgen will nicht kommen, sehr dichter Nebel hängt in den Wäldern und vermischt sich mit dem Pulverdampf, sodaß das Richten schwer wird. Es ist zwar Tag, aber ich sehe das nächste Geschütz nicht. Unsere Stimmung ist herrlich gewachsen, da wir die gänzliche Ohnmacht desGegners erkennen. Wir lösen uns gegenseitig zur Brotzeit ab. Der Leutnant ist voll Humor. Es ist wie am Schießplatz. Gegen ½10 [am Rand: 940!] stürmt die Infanterie und wir schießen die Feuerwalze. Von hinten kommen lange Kolonnen nach. Sie wollen gar nicht /117 enden! Der Durchbruch gelingt, feuern! Wir schießen nun 6 Stunden, das Rohr ist heiß, wir schütten Wasser darüber. Es verdampft sofort. Endlich kommen die Protzen. Der Wachtm[eister] sagt, Reims sei gefallen. Beiter ruft: Ein Schuß! Er wird abgezogen und Först taumelt blutend zurück - er stand vorne um seinen Mantel aufzulegen. Er sieht nichts mehr und jammert. So kommt er zurück. Unser erster Verlust! Um 11 h protzten wir auf und fuhren vor. Es geht über die Grabenbrücken, die die Pioniere in Eile errichtet haben. Zuvor fahren wir noch an schweren Batterien vorbei, die noch schwach feuern. Da der Nebel sich lichtet, wird der Ausblick immer bewegter. Infanteriereserven in den Gräben, Verwundete, irgendwo ein Gefangener, der, gleichmütig hingelehnt, eine Zigarette raucht. Engländer, waschecht, unverwüstlich typisch. Die erste Brücke ist genommen. Gott sei Dank! Todgefährlich wars, unten lag schon ein totes Gespann. Und so kommen noch viele Übergänge. Pferd und Mann sind schon ermüdet. Wir halten vor der englischen Linie.

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/118 Tiefe Trichter, aufgeweichter Boden, hügelan gehts. Wohlan! Das erste doppelte Genugtuen [Lesung ungewiß] hüben und drüben, eine Kette ziehender, stemmender Menschen, die Fahrer mit "Hüh!" und "Hussa". Die Peitschen über den Pferderücken - langsam und rascher, doch widerwillig folgt das Geschütz. Da stehts wieder an steiler Schwelle, rechts und links tiefe Trichter. Es geht nicht mehr! "Abprotzen!" "Nein! Nicht! Anpacken, faßt zu! Zu-gleich!" Und im Gleichtakt alle 30: "Zu-gleich! Zu-gleich!" Und es geht. Die Pferde schnauben blicken wild. Und wenn ihre Flanken bluten - es muß! Oben halten Taue und Hacken, zurück zum nächsten. Ein kurzes Aufatmen. "Zu-gleich!" Und so alle vier. Wir schwitzen kaum mehr, wir röcheln vor Durst, wir taumeln wie Betrun-kene. Niemand [Lesung ungewiß] sieht die Infanterie diese Leistung /119 mit dem einen, unwiderstehlichen Ruck des Wollens. Als wir am dritten keuchten, kam der Adjutant herangesprengt: "Vorwärts! Vorwärts! Alles stockt, wenn die Artillerie steckenbleibt!" Wir horchen vor: Infanterie-, Maschinengewehrfeuer, rechts und links schwere Kanonendonner. Die Linie vor uns muß ausgefüllt werden. Drum: "Vorwärts!" Und wir habens geschafft, schneller als alle gehofft. Noch kamen Brücken, Hügel, aber sie hielten uns nicht. Plötzlich - vor uns - sind das nicht unsere Geschütze? Da fahren wir auch schon leis [Lesung ungewiß] an - wahrhaftig, dort feuert eine Batterie! Wir sind kaum in Rufweite angelangt. "Nach rechts - protzt ab!" Schrapnellbrennzünder. Ich höre nichts mehr, sehe nur den ausgestreckten Arm des Offiziers. Drüben an einzelnen Bäumen hängen da weiße Wölkchen und laufende Gestalten. "550m!" Und wie ich an die Trommel haste, stößt mich einer /120 weg - "Mein Geschütz!" Wo steckt denn meines? Es stand in einer Mulde. Als ich hinkam, hieß es "Ruhekette zur Beobachtung!" Ich legte mich gleich in einen Trichter, müde, abgeschlagen, völlig teilnahmslos. Es ging wenig durch. Nach 20 Schüssen war am 3. eine Verholfeder gebrochen und wir rückten ein. [Am Rand: R.g. 238] Ich traute meinen Augen kaum, als ich hinkam (an die Bataillonsküche). 5h Stell[un]g 22. III. Urvillers, Essigny, Montescourt. Am Bahndamm! / Fdl. Fliegerangriff 23. Nachts 2 km zurück. Vorm[ittags] vor. Montescourt, Crozatkanal, Fleury, Le Martell, abds. Stell[un]g bei einem Schießplatz. [Am Rand Kurzschriftnotiz] 24. Palmsonntag. Kastner +, Gruber schwer verw[undet] (+)*, Brenner schwer verw[undet].

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Nachm[ittags] Marsch. Wald. Stell[un]g bei La Neuville im Wald. 25. La Neuville, Wald. Stell[un]g bei Villerselve. Protzen Be[a]umont la Reine. Nachts ab. Villerselve, Berlancourt, Fleury, Rouvrel, Waldbiwak. 26. Rezavom, Fretry, Catigny, Ecuvilly. Biwak. * + 29. 3. (Reg.buch) /121 27. Ecuvilly, Candor. Biwak (Garten). Nachts abm[arschiert] 28. Haussy - (Canny -) Ferm[e]. Stell[un]g bis 9. April [eingeschoben:] Ostern am 31. III. - + Egger, Essigkrug, Niederhuber u. U.O. Tillmanns Ablösung. Candor, Ecuvilly, Rezavom. Biwak am alten Platz (Fretry?) 12. IV. Freniches, Rouvrel, Berlancourt, Villendre, Beaumont, Cugny, Detrait, Blen. Lager: "Groß Kölln" [Kurzschriftnotiz] 14. Nachm. 4h. Flavy le Martell, Jussy, Montescourt, Clastres. Barackenlager. 18. Clastres, Montescourt, Hivercourt, Ly [sur] Fontaine, Moy (alte Front) Hennegicourt, Senercy, Seryen Mezieres. 20. Sur Fontaine, Fay le Noyer, Ferriere Fe[rme], Chevresis, Parpeville, Villancourt Ferm[e]. 23. Fancouzy (verladen) Seins Richaumont, Rougeriges, Montcornet, Léart (Verpfl[egung]). Amagne, Attigny, Vouzieres, Sugny 8h. Marsch: St. Marie, Blaise, Bourecqu. Quartier. 24. Vorkommando. Konstantin Fe[rme], Mazagran Fe[rme], Be[au]mont Fe[rme], Medeat Fe[rme], Somme Py. Stell[un]g 517. Iltis. 9. V. Unternehmen ("Holzfällen" R.g. 266) 10. Ablösung. Lager Be[au]mont Fe[rme], "Groß Kölln". /122 14. Be[au]mont, Mazagran, Konstantin Ferme], Pauvres, Quartier. (Kino) 15. P[auvres], Bignicourt (?), Juniville, Elincourt, Neuflize, Chatelet, Bernicourt, Quartier. 16. B[ernicourt], Roizy, Asfeld le Ville, Bismarck-Lager. 24. Evernycourt, Pignicourt, Neufchatel. Stell[un]g 272 (Marie Ferme) Nähe Berri au Lac. 27. 2. Offensive. abds. Bertricourt, Pont Livart. Stellg. 480 (Brimont Fort) (vor Reims) [Kurzschrift-Ergänzung] 29. abds. 7h Brimont (umkehren) 1. Linie (uwk.) [?] Landau Fe[rme] nachts Bourgagne, Fresnes, Pomade. 30. Cauvel, Algere Fe[rme], Barrue (Lager) Abm[arsch] 10h abds. L'Abesse, Stellg. 107. (Fort Nogent) (s. "Klein Carignan" [1 Wort Kurzschrift]) [am Rand: R.g. 278 1..?] 31. Angriff auf Fort Pompelle. ([Kurzschrift, dann Druckbuchstaben:] Tappeiner) 6. VI. Lager bei Milan Ferme. 7. abds. Fliegerkampf. 2 Franz[osen] abgestürzt. In Stell[un]g Berru, Stellg. 166a bei Witry [!] 14. Lager. Berru, Lavannes, Biwak (Wäldchen). 18. vorm. Stellg. abds. Beschießung u. Verseuchung Reims! /123 19. Ablösung d[es] link[en] Zuges. 20. [Ablösung des] recht[en Zuges] Isles l'Ecaille. [eingefügt in eckiger Klammer: Kurzschrift] Berru 22. l'Ecaille, Neuflize, Alincourt, Juniville, Bignicourt. 23. Bignicourt, Villers sur Retournee, M[ont] S[aint] Rémy, Machault, Lager. 25. Ein Flieger schießt den Fesselballon ab. 27. Bemont F[erme], Mazagran, Chuilly, Grivy. 29. Einschießen. [Kurzschrift] 2. 7. Krank. Span[ische] [?] Kr[ankheit] 5. u. 7. ?nachts [od. "rechts"?] Bombenangriffe. 7. Mit andern (15 M[ann]) nach Blaise, von da n[ach] Vouzieres. K[ranken]Sammelstelle. 8

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8. abds. 11h L. K.Z. 9. 1h Carignan (Buchner, Ritz, /124 Hößle, Helminger [in Klammern Kurzschrift] Bar[acke] 6. Pion[ier] Winter II. Rhein. Pion. Bat[taillon] 27 4. Komp[anie] D. F. 653 Kan[onier] Schmidler Fuß.Art.Batl. 123. Stab Fabr. Knapp [eingefügt:] 27. [7.] Gottesdienst, Beicht u. Kom[munion]. - 4. [8.] Kirche. Schwestern Elise u. Gertrud, Dr. Zahn. 5. 8.Vorm. Geschäftliches. Abds. Abschied (Buchner L[a]z[arett]!) Soldatenheim, Klavier. Abfahrt 937. 6. 8. 12h Laon. Schuster getroffen. 249 n[ach] Anizy. Regen! Abendkost. Nach Pinon. Das 8. Res[erve]R[egiment] soll noch hier sein. Ich gehe zuerst zur Batt[erie], dann suche ich 4/8 Res[erve] auf. Nach langem Suchen endlich gefunden. Alfons soll im Revier sein. Eben will ich weggehen, da springt er daher und weiß sich vor Staunen kaum zu fassen. Wir blieben im Zelt der Ber[eichs-?] Leute beisammen. Bucher, Schmidt. /125 Es kommt ein Paket u. Brief f[ür] Alf. Eben recht! Wir schreiben zus[ammen] eine Karte. Bei starker Finsternis gehe ich weg. Alf. eine Strecke weit mit. Durch Drahtverhau, über einen Bach, durch Brennnesseln, auch eine Einwerfung! Abds. habe ich von N. Zwetl die Erlaubnis, daß ich nicht früh 6h, sondern mittags erst in Stell[un]g gehe, was der Wachtm[eister] nicht zulasen wollte. 7. 8. ½6h aufgest[anden], 8h drüben. Sie schlafen noch! Dann schreiben wir Brief, unterschreiben Photographien gemeinsam usw. Um ½12 nehmen wir Abschied. (Das Schloß Pinon! Der Park!) ½1h in Stellg. mit der Feldküche. In Soissons, in der Nähe einer Zuckerfabrik [am Rand in Blockbuchstaben: "Karlsruhe"/Pontrouge, R.g. 299ff.], die an einer Straßenkreuzung liegt. Ank[unft] 4h. Birnkammer abgel[aden] am 4. Gesch[ütz] (Blerr, Loichinger, Männer, Obermayer, Reitinger). Nachts Gasunternehmen. Verirrt, die Mu. [Munition?] nicht gefunden, von 1 - 3 mit nun 2 Gesch[ützen] 189 Schuß. Keine Antwort. Ank[unft] in Stellg. 5h. 8. 8. Das 4. war Verlustsgeschütz [?]. 9. 8. Nachm. starker, 2st. Feuerüberfall. Männer verw[undet]. Der Gegner nahm den Burckhardt u. Schweinhäuser Itr. ["Infanterie" ?] 2. Battr. /126 Brückenkopf. Ein feindl. Flieger abgesch[ossen]. 10. 8. Nachts Störungsf[euer]. Nachm. beim Essenholen wieder heftiger Feuerüberfall. Ostermeier verw[undet]. Feindl. Fesselballon abgesch[ossen]. 11. 8. Sonntag. Abds. 10h Ablösung. Vorm. war ein Fl[ieger]Kampf [Anmerkung am Rand: R.g.303]. Ein feindl[icher Flieger] abgestürzt. Abds. wieder einer. 12. 8. 1h früh im Lager Pinon. Vorm. 11h Abm[arsch]. Biwak W.-Coutson Obstgarten. Sehr heiß. 13. 8. ½2h Alarm. Abm[arsch] 2¼h. Nächtliche Fahrt. ½6h Guny. Biwak außerhalb 14. 8. 10h - 3h Ritt in die Stell[un]g mit N. Schup u. V[ize]W[achtmeister] Rothmüller.

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/127 Am 13. besucht mich Heilmeier. Er berichtet vom Tod Gerls am 9. 8. Welch ein Schlag! (Nachtrag Ostern 1919) 16. 8. 18. Früh 3h marschbereit machen. Vorm. starkes Feuer. Stehenbleiben bis 12 h mittags. Nachm. Baden im Kanal. Abds. 1l Wein. Sehr fidel. I Ailette 17. 8. 4h früh satteln, 6h marschb[ereit], 7h anspannen. 10h Marschbereitschaft aufgehoben. Vorm. starkes Trommelfeuer. Vorm. Geschützexerzieren. Ein deutscher Fesselballon abgeschossen. Nachmittag Baden im Bach, Waschen. Abds. Monturappell. 18. 8. 3h marschber., 4h Abmarsch. Die ganze Division setzt sich in Bewegung. Trosly=Loir gegen [ein Wort unleserlich] zu einer Ferme, bei der Biwak gemacht wird. Nachm. 5 h Trommelfeuer, alarmbereit. Wir liegen höchstens 4km hinter der Linie. Gegen ½9h Angriff. [Blockbuchstaben:]

/128 Der Feind gewinnt etwas Boden. Franz[ösisches] Flugblatt: Aufforderung eines deutschen Überläufers, nach dem schönen Frankreich zu kommen, den Krieg zu beendigen. Rede des Abg[eordneten] Cohn im Reichstag. 10h Abmarsch mit Schanzzeug durch den Hohlweg in Stellung, die auf der Höhe liegt. Geschützstand ausheben. Zurück ½12h. Es ist ruhig, Störungsfeuer rückwärts. 10

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19. 8. Die Inf[anterie] ging gestern in Stell[un]g. Morgens Trommelfeuer rechts. ½12h Abmarsch. Marsch am hellichten Tag! Durch St. Aubin. Oberhalb von steiler Bergterrasse Biwak. Schlimmer Hohlweg! Dauerndes Störungsfeuer beiderseits. Abds. Flieger, F[ähnric]h Schwank verw[undet]. 20. 8. Unruhige Nacht. Gegen 7h morgens auflebendes Feuer zumeist sehr schwerer Kaliber in die Art[illerie]Stellungen /129 und nach Aubin. Das Feuer steigert sich zu größter Heftigkeit. Mein linkes Stangenpferd verw[undet] durch weither fliegende Splitter. Danner verw[undet]. Meine Kanoniere schlafen zumeist. Vorn dichteste Rauchverschlimmerung. S[ergean]t Schup will in scherzhaftem Ton die Verhaltungsmaßn[ahmen] geben bei einem Tankangriff. Wir glauben immer noch nicht an diese Möglichkeit. Gegen ½12h allgemeines Geschrei: "10 Tanks gemeldet! Batterie vorführen!" Los also, es gilt! Vorn verstummt das Feuer und tobt dafür rückwärts. "Jetzt ist alles egal!" ist die Parole. Der Rauchvorhang zerreißt, einzelne Schüsse stäuben auf. Wir warten bei der Ferme (Latour Fm.). Die 7. u. 8. Batt[erie] sausen vor. Endlich anfahren! Wüster Galopp über Stoppeläcker. Wir laufen hinterdrein u. klauben die herabgeschleuderten Sachen zusammen. Stellung in ganz flachem Feld. 1000m bis zur Linie. Nirgends ein Tank! /130 Unsere Inf[anterie] geht vor, das beiderseitige Artilleriefeuer ist spärlich. 10 Fesselballons stehen vor uns in hellster Sicht. Maschinengewehre belästigen uns. Die Kolonne fährt ohne Verlust ein. Starke Fliegertätigkeit. Bei uns einmal 30. Kein Luftkampf. Gegen 2 Uhr Scheerfeuer der hinteren Artillerie in Raum "Spinne". Dann verhalten Leuchtkugeln - umsonst! Die Leuchtkugeln wurden wahrscheinlich nicht beachtet oder falsch gedeutet. Unsere Inf[anterie] hatte Verluste und räumte einige Gräben. Dies dauert gut ½ h und dann begann auch der Gegner zu feuern. Wir standen vielleicht auf 2000m dort u. konnten nicht helfen. (Wohl wurde der Meldereiter abgeschickt, doch fand er nur unsere 7. u. 8. Batt[erie], die schon zurückgegangen waren.) Ein warnendes, blutiges Beispiel! /131 Wir hoben Gräben aus. Um ¾3 protzen wir auf u. fahren in scharfem Tempo - der Franz wird lebendiger - in Stell[un]g bei der Latour F[erme]. Gegen 4h während des Essens (dünnes Dotschenwasser) feindl. Flieger u. wir bekommen einige Schuß doch [?] vors Rohr. (S[ergean]t Schup: "Hat nichts zu sagen. Der Gegner meint den Hohlweg. Nächstens gehen Sie an dem linken Flügel der Batt. in Deckung!" Dort liest Kaltofen aus einem franz. Witzblatt. Alles lauscht vergnügt. Da - Rratsch! Ein Schuß nahebei! Alles natürlich auf und davon!) Wir gehen auf die Terrasse. Allmählich beginnen die unbändigsten Kaliber ins Tal zu feuern. Die Splitter summen oft gefährlich. Wir sitzen geduckt im Hohlweg unterm Gebüsch. Ein Splitter reißt einen Ast ab und fährt Bayer unters Knie. Ist der Mensch froh! Verband - ein Stecken - u. er humpelt davon. Servus! Fluggeschwader, Kettentreiben [?] in Gegners Hang. h

/132 9 Uhr - Sperrfeuer! Also doch - der Feind bricht durch! Höchstens 12 Schuß noch. Rauch steigt vorn auf, wüste Trommelei. L[eutnan]t Scheffold steht auf dem Windmühlenturm. Auf einmal kommt er daher: "Welche Entfernung?" "3200!" Dann brüllt er laut: "Ganze Batterie 1800!" Und kurz darauf: "1600!" Mir wird kalt. Die Staffel galoppiert heran. Noch einige Schuß. Wie da alle Hände greifen! "1400!" Schon kommt die Feuerwalze über den Hügel. Infanteristen tauchen auf und bringen schweigend ihre Maschinengewehre in Stellung. Die Protzen kommen, so schnell wurde noch niemals aufgeprotzt! Der Fahrer haut ein und die Gäule laufen. Teufel! Das wäre noch gut abgelaufen! Lieber hier als Steinklopfer in Paris! Stellung links, wo wir schon Stände ausgehoben hatten. Es ist völlig Nacht. Hellster Mondschein, /133 Flieger orgeln furchtbar-feierlich. Das Krachen der Bomben im Tal unterbricht die Eintönigkeit. Langweilige Einrichterei mit Kerzen, einmal falscher Sperrfeueralarm. Infanteristen bringen die Meldung, daß wir 800m zu kurz schossen. Aber das war die 7. [Batterie]. Ich wickle mich ein auch in den Mantel und versuche zu schlafen. Ein Damian von einem schweren Max heult alle 5 Min[uten] die Böschung hinab. Der sollte uns am nächsten Tag zu schaffen machen. Da schlaf süß! Ich weiß nicht, was ich träumte. Glückliches nicht.

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/134 21. 8. Gegen Morgen fahren wir wieder weiter links bis dahin, wo der Höhenzug einen Winkel bildet. Allmählich braut sich im Tal undurchdringlicher Nebel zusammen, steigt immer höher und fließt endlich feucht und kalt über die Ränder. Der Wald verschwindet. Der schwere Max schießt regelmäßig wie ein Automat über uns hinweg, hie und da bleibt einer oben oder am Hang hängen, dann gibt es furchtbare Detonationen. Das Lager ist unten in gefährlicher Lage. Rechts von uns die 7. Batt[erie]. Um 7h beginnt das Trommelfeuer. Langsames Sperrfeuer unsererseits. Der Nebel zerfließt, hellster Tag. Strengste Fliegerdeckung, aber schier unnötig. Wir wissen: Jetzt gilts das Allerletzte. "Entweder mit Geschütz gefangen - oder ohne Geschütz davon", sagt Raimund und ich ergänze: "Oder hin!" Düstere Hoffnungslosigkeit bemächtigt sich unser. Kobraß reißt dumme Sprüche um die Stimmung zu heben, aber wenn wieder ein Schwerer herantorkelt, schweigen wir und springen den Hang hinab. /135 Markhauser schwer verw[undet], Rosenberger, Hahn, Fabr. Spielmann. Unten 6 tote Pferde. Schon taucht der heimliche Gedanke auf: Davonlaufen und durchschlagen auf eigene Faust! Ich studiere schon die rückwärtigen Straßenzüge. Da schweigt das Feuer. Angriff! Langsames Sperrfeuer. Wir wissen nichts von vorne, haben keine Verbindung. Der L[eutnan]t befiehlt, das Maschinengewehr zu holen und geht dann selbst auf die Abt[eilung] in der Latour F[er]m[e]. Da kommt ein Telefoner: "Die Franzosen sind rechts über den Berg! Sie fangen uns von hinten!" Da nahm ich Rundblickfernrohr und Schlagbolzen und wir springen davon. Plötzlich des Leutnants Stimme. Wir gehen zurück. "Leute, wir müssen die Geschütze in Sicherheit bringen! Die Protzen sind weg. Alles anfassen! Über den Berg hinunterlassen!" Das gibt nun Arbeit zum Totschwitzen. Ganz wie vor 5 Monaten (am selben Tag!) bei St. Quentin, bloß freilich spielten wir da eine ganz andere Rolle! /136 Endlich sind wir drunten. Keine Protze weit und breit. Das ist ein Warten! Alles verflucht den Wachtmeister. Schließlich kommen sie heran - ohne Führer. Also aufgeprotzt, vorwärts! Ein Feld vor uns gesiebt durch das anhaltende Feuer. : 18 vor. Da schreits rechts und es entsteht ein Getu. 12

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Eine Protze war umgefallen und lag im Straßengraben. Wir fuhren an. Gerade staubte ein Schuß 100m vor uns an die Straßenbiegung. "Los jetzt! " Die Pferde liefen wie zügellos. Das Geschütz hopste und stieß, fast warf es mich vom Bügel, auf dem ich stand. Raimund und Berr sind nebenan. Er deutet vor: An der Karre öffnete sich der Deckel und rückwärts fiel Geschoß um Geschoß samt den Kartuschen heraus. Aber ich hatte nur Angst um den Rohrzulieferkasten. Wirklich sprang er /137 vor und kippte ab. Herunter im Saus!! Aber alles liegt verstreut und das nächste Gespann sprengt heran. Keine Zeit ist zu verlieren. Ich laufe meinem Geschütz nach - der Abstand wird immer größer - der Staub erstickt mich fast und ich schwitze erbärmlich. Dazu stichts mich nun auf der Seite und ich setze mutlos, apathisch, ab. Gott sei Dank verliert das nächste Geschütz etwas und ich springe da auf. Vor Trosly Loir wird angehalten. Vereinzelte Schüsse peitschen hinein und durch die Straßen fluten graue, bestaubte Infanteriemassen vor. Endlich gehts weg. Links die Zuckerfabrik glimmt und raucht. Eine fürchterliche Hitze herrscht zwischen den Ruinen. Staub quillt wie mit Lawinen. Dieser Durst! Ich klaube die Wasserkanne eines Maschinengewehrs auf und trinke den mit Öl vermischten, warmen /138 Inhalt ganz aus. Raimund "wendet sich voll Grausen." Je nun... Kanal bei Guny. Wasser! Tier und Mensch trinken recht wie zum Tode. "Flieger hoch!" In wilder Angst befangen, sehe ich kaum einen roten Ring dicht über uns und höre ein M.G. knattern, da hocke ich schon unterm Rohr. Er singt verdächtig - plötzlich kippt er ganz nahe und kracht dumpf zur Erde. Alles jubelt und rennt hin. Neben mir hat ein Infanterist einen Schuß mitten durch die Stirn, ein anderer ist am Kopf schwer verwundet - vom deutschen Verfolger! Ich laufe nun auch hin. Mehrere wollen dem zerquetschten Führer die Gamaschen herunterreißen. Kobras steckt die Uhr ein. Es stinkt nach Benzin und ich denke an Montlue (2. 7. 17). "Feuer aus!" schreien sie, da wird mir übel zu/139 mute. Ich rufe meine Leute und wir springen aufs Geschütz. Das ist ein Gelauf! Von weither kommt alles wie die Raben zum Aas. Und plötzlich schickt der gallische Jäger zwei Schüsse ins weitbelebte Feld. Kaltofen erzählt hernach, einer sei gefallen, einer schwer verwundet. Wir traben gleich lebhaft an. Natürlich strebt nun alles auseinander und das Gewimmel wird lichter. Das Wäldchen kommt, an dem gesammelt wird. Wir biegen ein und fahren schließlich an einer Straße auf.

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/140 Potztausend, da steht ja der famose Wachtm[eister] Hörmann NB. im Stahlhelm, das ist klar wie die Sonne! "Seids da!" sagt er und lächelt undefinierbar. "Jawohl!" sage ich grob und sehe ihn herausfordernd an. Er reagiert natürlich darauf nicht. Also endlich Rast. "Holt nur Essen, Kinder!" ruft Leutnant Scheffold. Heute noch sehe ich ihn vor mir und kann das reine kindliche Gefühl wachrufen, das mich bei seinen Worten beseelte. Es gab Grütze und Rindfleisch. Das Fleisch in der Hand, den Feldkessel zwischen den Knien, saßen wir im Straßengraben. Zuvor hatten wir für Fliegerdeckung gesorgt, und ich hatte mein Hemd ausgezogen, das zum Auswinden war. So saßen wir beisammen und sprachen wenig, da sang es fern in der Luft. "Flieger!" ertönte es. /141 Adressen. Lang, 28. I. R. 12 K. b. 11/VI Inf.Rgt. U.O. Dunkenberger, Leib, 2. Batl. 6. K. +Mai 18 A. Schmidt 6/9 F[eld]A[rtillerie]R[egiment] Bach, Leib, 2/5 +März 18 Batzenbardt 8/8 FAR U.O. Kobras München, Res. Laz. g, Techn. Hochsd. Weishut 3/I ErsFAR, Z. 34. Ob.Ltnt. Demmel 7/8 FAR Weber, Bay. F. F. Überwachgsklle., s. Feldp. 406 Off. St. Zametzer Phil. 4. bay. Pi[onier]Batl. 14. Pi. Komp[anie] Dryander 30. b. Res.D. Art. Kdr. 20. Krauß, Kriegslaz. Abtlg. 18 Laz. unt. Schloß, Feldp. 46 Ulrich, Pöttmeß/b. Lichach Sefr. Hupfauer, 8/4 FußArt.R. 4/5 St. Weiser, bay. 16. I. R. Passau, Theresienstr. 3/II A. Kreuzer, z. Zt. abk[ommandiert] z. Ers. Katb. 1. b. Fuß A. Rgt. Mainz Holzhofstr. 12/II /142 U. O. Erwin Paul z. Zt. Vorber.Kurs Ers. Batl. 1. b. Fußa.Rgt. Mainz, Wentorkaserne Feld: 1. 6. Fuß. 6. Batt Ludw. Scheller, Lehrer, Schweitenkirchen b. Indersdorf Anger b. Reichenhall Fu. Weber Max, bay. Funkerstation 319, Feldp. 1010 Lechleiter! Pasing. L. B. C. 6. Kl. Gef. u. Off. Asp[irant] Edm. Gerl. 9. Übg. Kurs f. OAsp. 4. Komp. Grafenwöhr Finsterwalder Vereinslazarett Rupprechtschule Kaiserslautern (bay Pfalz) Zim. 27 Hartmann, Württ. Kriegslaz. 13, Saal 3. Feldpost 20 /143 Lt. Demmel, Reichenhall Militärerholungsheim. R. Demmel, Ellbach b. Miesbach 14

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Fu. Weber (b. F. St. 319 5. F. P. 2344) z.Zt. Feldlaz 136. 1010 Gef. Hans Lang 6. I. R. Café National, Unt. Nabburgstr. Amberg U. O. Moschner 7. F. A. R.. 2. Ers. Battr. Gefr. Herm. Rüb, bayr FeldK. Battr. 913 D. F. 2168. Eham, Kriegslaz. 3. Abt. 18. Nierenstation Saal 2 D. F. 46. Bachnitz Kriegslaz. 18, Abtl. Nassau, Saal 17, D. F. 46. Rudi Müller Großweil b. Schlehdorf /144 Alfons 8. b. Res. Feld 4. B. Eham, Sächs. Reservelaz. Meißen, Haus 3, Zimm. 74 (Sachsen) Oblt. Hubert Demmel, Res. Laz. A, O. W. 6, München U. O. Kreuzer 1. b. Fuß, 6. Batt. Hohenreiner, Reserve-Laz. II, Abt. Frauenklinik, Tübingen Württemb. Weber Max Diofunker 101 Feldpost 933 Gefr. Hutterer, Inf. Leib. Rgt. 6. K. Lang, 6. bayr. R. Rgt. 11. K. Lazarett Buchner [Res.Laz. Erfurt, Johannsplatz, Baracke 17a.] [eckige Klammern im Original] /145 Albert, Lehrlingsheim München, Morassistr. 14. Bayerlein Res. Laz. II Ingolstadt U. O. Gerl 1. bay. Inf. Rgt. 5. Komp. +9. 8. 18 Tappeiner Kriegslaz. 13. Abtl. 38 Spinnerei. D. F. 2268 U. O. Heilmeier b. 1. Inf. R. 2. M. G. K. Fabr. Knapp / Fuß A Batl 123 2. Batt. Jos. Buchner Malerm[ei]st[e]r. Bad Tölz, Krankenhausstr. 2 oder Ritzlern b[ayer]. Allgäu b. Oberstdorf Klinik Dr. Baker Gef. Schuster Akonach 9 D. F. 670 /146 [vacat] /147 Zugleich war ein Trommeln zu hören. Voll Schrecken ließ ich die Suppe stehen und machte mich, das Stück Fleisch in der Hand, eilends auf, im Gebüsch einen gedeckten Platz zu suchen. Abermals rollte es diesmal näher und von weither klang verworrenes Geschrei. Die Kolonnen rückten auf. "Halten!" schrie alles. Ein Geschwader erschien in geringer Höhe und bestreute die Straße mit Kettenbomben.. Es wurde ruhig, da alles gespannt nach oben blickte, nur die Apparate sangen drohend. Ich fand nirgends ein Loch. Verzweifelt bohrte ich mich halb unter einen Weidenstumpf hinein und als ich die Gefahr genau über meinem Rücken fühlte, schloß ich die Augen. Es sauste und pfiff wie ein kommendes Hagelwetter. Dann dröhnte die Salve in der /148 Nähe mit vernichtender Gewalt. Ein Geschoß mußte ganz nahe gefallen sein, denn es hallte laut durch den Busch. Kurz darauf kam der nächste Segen, diesmal auf den "Platz" bei der zerstörten Zuckerfabrik. Eine schwefelgelbe Rauchsäule stieg auf. Dann entfernte sie sich. Alle kehrten zurück. Meine Suppe war umgestoßen und das Brot geklaut. Ärgerlich kaute ich an 15

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meinem Stück Fleisch. Die Flaks unterhielten nun ein schläfriges Feuer und wir schimpften furchtbar. Auf einmal näherte sich ein neues Geschwader, das in aller Ruhe zu streuen begann. Ich stürzte fort, kroch durch stachlige Brombeerhecken, fand einen alten Trichter, sprang wieder heraus /149 in einen andern und murmelte ein Stoßgebetlein ums andere. Wieder schauerte es glücklich vorbei und wir kehrten zurück. An der Straße trugen sie nun viele Verwundete vorbei. Notdürftig verbunden, machten sie einen schrecklichen Eindruck. Nun fragte man auch nach dem U[nter]O[ffizier] Stettner u. dem Gef[reiten] Anzenhofer, die allein zurückgeblieben und nachgetrottet waren, um, wie sie sagten, mehr sicher zu sein vor den Fliegern. Wir vermuteten ein Unglück. Später bestätigte es sich, daß sie bei dieser Gelegenheit gefallen waren. Überhaupt wurde von phantastischen Verlusten an diesem Tag gesprochen. Von einer Batt[erie] sei nur noch der Wachtm[eister] da, hieß es, Teile der I[nfanterie]D[ivision] erst am nächsten u. übernächsten Tag wieder zusammen. /150 Gerade als ich mich ausstreckte um ein wenig zu nicken, kamen wieder Flieger. Ich verfluchte sie in fürchterlichem Ingrimm und sprang wieder in den Busch. Raimund ging mit. Zerschunden und zerkratzt langten wir an einem kleinen Trichter an und legten uns hinein. Diesmal gings gnädig ab, aber wir blieben und warteten auf die Nachfolger. Sie kamen nicht und wir kehrten langsam zurück. Ein bedrücktes Schweigen herrschte, als es hieß: "Abfahren!" Wir waren unendlich froh. Aufsitzen war nicht gestattet und wir trotteten im Staub. Nur Herzog, mein kleinster, aber vifster Kanonier, saß auf dem Rad, das er weiß Gott wann in der Stellung vorn "ausgespannt" hatte. /151 Gewaltige Traktoren schwankten wie Betrunkene vorbei. Schwerste Geschütze standen untätig in manchem Winkel. Wir bogen nach links um in einem Obstwäldchen zu biwakieren. Ein kleiner, schlammiger Teich machte uns schon Hoffnung auf ein Bad. Da wurden wir nach Folembray verwiesen, kehrten um und zogen ein. Ein hochstämmiger, geräumiger Laubwald nahm uns auf. Wir waren sehr zufrieden und fühlten uns ziemlich wenigstens sicher. Wasser hieß es, sei in der Nähe. Es wurde geholt und wir wuschen uns - welche Wohltat! - die Füße. Und auf einmal kam das Wort "Urlaub" aus. Loichinger war dabei. Er nestelte gerade an seinen Gamaschen und war sehr erfreut. Aber wie erstaunte er, /152 als er plötzlich an seiner Wade eine Schußwunde entdeckte! Sonderbar: An den Gamaschen war nichts zu sehen. Der Schuß (sehr wahrscheinlich vom Flieger bei Guny) war zwischen den Windungen hineingerutscht und die Wunde war nun 5 - 6 Stunden alt. L. hatte nichts bemerkt, außer einem leichten Stechen. Nun wurde er regelrecht verbunden und einem Transport übergeben. Nach dem Kaffee wurde Post verteilt. Ziemlich viel, weiß nicht mehr, ob ich was bekam. Dann wurde es dämmerig. Unten lärmten immerfort Kolonnen vorbei, es begann /153 das regelmäßige Störungsfeuer unserer schweren Batterie. Wir legten uns nieder, es wurde stiller, nur die Pferde schnaubten und stampften. Viele schwere Gedanken zogen durch mich. Ich hatte offene Angst vor nächtlichem Fliegerbesuch. Als es dunkel war, flammte plötzlich vorn ein Munitionsdepot auf wie eine lohende Fackel und brannte nun fortwährend wie ein Sarglicht! Ich fand keinen Schlaf. Die anderen schnarchten harmonisch, lagen zerstreut wie dunkle Säcke umher und predigten friedliche Ruhe und Harmlosigkeit. Der Wachtm[eister] hatte verlauten lassen, daß wir nachts womöglich in Stellung gehen müßten. "Wollen sie uns ganz tot machen?" fragte ich mich. /154 Einem solchen Tag, wie dem vergangenen, fühlte ich mich nicht mehr gewachsen. Aber vorläufig war keine Gefahr. So dachte ich darüber nach, was geschehen mußte, wenn Flieger kämen. In diesem freien Walde war nirgends Schutz. Kaum war ich eingeschlafen, als ich ein Singen hörte u. erwachte. Aber es war nur ein Schwerer, der 16

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etwas näher vor uns gleich lautschallen hineinkrachte. Das Munitionsdepot brennt noch. Da nahte auch schon ein Flieger. Mit äußerst geschärften Sinnen verfolgte ich seinen Lauf. Kein Zweifel, er kam! Da hatte ich die Wahl, ob ich mich auf die eine oder andere Seite eines Baumes legen sollte. Aber untätig blieb ich liegen. Und dann /155 zerriß auch schon ein naher Bombenschlag die Stille. Da warf ich mich unter die Protze, nicht bedenkend, daß scheu werdende Pferde mich zu Tode gefahren hätten. Endlich entfernte sich der Flieger und ich segnete seinen Heimgang und verfluchte zum hundertstenmal die ganze Gattung! Von 2h an lente ich leicht fröstelnd an der Protze und starrte zu dem Brand hinüber. Auf der Straße unten war Leben. Immer diese Kolonnen und dies nächtliche Fahren! Und ich sah, wie Geschosse herunterheulten und vor die Grube spritzten. Bilder kamen und gingen. 4 h. Marschbereit machen! /156 22. August. Es ging durch hochbestaubte Straßen. Ich saß als Bremser und war sehr zufrieden. Tatsächlich gings wieder etwas vor und zwar auf der Straße nach Concy le Chateau.

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/157 Schönster Sonnenschein durch das volle Buchenlaub. Man wartet, besieht sich die Gelegenheit. Nachricht, ein deutsches Proviantdepot befände sich in der Nähe. Alles eilt hin. Erst als viele mit Büchsen, Honig, Uniformstücken zurückkommen, u. als offenkundig war, daß die Offiziere einverstanden waren (denn der Franzose konnte jeden Augenblick durchbrechen), ging auch ich und erbeutete eine neue Hose und einen Pack Kanzleipapier. Eine große Kiste voll Tinten u. farbiger Tuschen tat mir leid. Hartspiritus und Kerzen waren begehrt. Der Posten dort hatte seine Schuldigkeit wohl getan, aber man hatte ihm das Gewehr genommen. Es verlautete, die Preußen führen gleich mit Wägen daher. Als die Lastwagen von der Verwaltung kamen, war wenig mehr da. - Der Feind soll schon in Guny sein, wo er die Feldbäckerei schnappte. Das 23. I[nfanterie]R[egiment] der 3. I[nfanterie]D[ivision] soll den Gegenstoß gemacht haben. /158 Gerüchte: Von der 1. Batterie weiß man nichts, von der II. Abtl. sollen nur mehr 4 Gesch[ütze] da sein, die 8. Batt. hat nur mehr 1 Zug, der andere ist verschollen, ebenso die Feldküche. Schweres Feuer am Waldrand, M.G. Angriff. Wir greifen nicht ein, sondern essen das dicke Bohnengemüse vom Depot. Gegen 1h Abmarsch. Straße n. Couzy, dann rechts ab. Ort Coucy la Ville mit zerschossenem Schloß u. Teich, dann links Gefangenenlager mit Stacheldrahtzäunen. Abbiegen in eine Mulde mit einem Bächlein, in dem wir uns beim Abenddämmern die Füße wuschen. Da auf den Rand der Mulde öfters geschossen wurde, war alles unruhig, am meisten die Pferde. Gegen 10 h fielen einige Schüsse an den Hang. Alles schreckte auf. Fahrbereit machen! Durcheinander, ein Geschütz bleibt stecken und kommt erst später nach. Die ganze Abteilung zieht auf staubiger Straße bei reinstem Mondschein nach /159 Süden. Schwere Fliegerbomben krachen irgendwo hinter uns. Unterhaltung mit Zeheter und Buser (dem Propheten) sehr stimmungsvoll. Halt in einem Wald, an dessen Rand ein Fesselballon steht. 1 h (bei Rosiere?) 23. 8. Ungestörter Schlaf bis ½5h. Vorfahren an der Straße und Aufsuchen eines Biwakplatzs. Vorm[ittag] wird bloß geschlafen und gegessen (Depotvorräte). Man munkelt, wir seien Inf[anterie]-Begleitbatterie. Alle Hoffnungen auf ein Zurückkommen sind also vergeblich u. allgemein herrscht Erbitterung. Schließlich erfährt man mit Bestimmtheit, wir seien Rückhaltbatterie, 7. u. 8. aber seien Begleitbatt. Geg[en] 1h Fahrt in Stellung bei einem gänzlich zerstörten Hof [Anm. am Rand:] Rosiere Ferme R.g. 334. Störungsfeuer lebt auf u. verebbt wieder, heißester Nachmittag. Wir schlafen im Gras, Flieger orgeln musikalisch herum. Um 5h Beginn eines Trommelfeuers links /160 vorne. "Wie sollen wir aus dieser Lage herauskommen? Die Aussichten sind sehr trübe. Die Generaloffensive hat jedenfalls jetzt begonnen." So schreibe ich ins Büchlein. Um 7h Stellungswechsel links vor den Wald [Anm. am Rand:] südl. Fresnes. Nachts vorn Trommelfeuer, Fliegertätigkeit über dem Walde. 24. 8. Wetterumschlag. Morgens etwas Regen, tagsüber sehr kühl. Zeltbauen. In einem ausgerodeten Waldstück vor uns finden sich eine Menge Brombeeren. Lt. Scheffold teilt mir die Beförderung zum U. O. mit. Ich spende eine Flasche Schnaps und Zigaretten. So kehrt ein klein wenig Laune ein. Nachm. wirds hell und warm. Gestern sahen wir einige Infanteristen. Es war ein ganzes Battaillon Abends Feuer auf den Fesselballon. /161 25. 8. Helle Nacht, Flieger. Um 4h Stellungswechsel nach rechts vorn in Richtung Guny. Steilhang mit mächtigen, in Felsen gehauenen Unterständen, die Geschütze oben, frei dastehend [Anm. am Rand:] 1,5km östl Verneuil. Lebhaftes Artilleriegefecht. Im Tal steht viel Artillerie. Einzelne feindliche Aufschläge krachen selbst für unsere Ohren ungewohnt eisern und hart. 5 abgekämpfte Divi-sionen sollen in diesem Abschnitt stehen. (Die Offiziere gaben grundsätzlich nie bestimmte Einzelheiten bekannt.) Man wartet ständig auf den Angriff und ausnahmslos jeder beurteilt die Lage - gefühlsmäßig - pessimistisch. Ein Gerücht will wissen, der Gegner habe sich zurückgezogen. Abd. Stellungsänderung. Nachts Regen, alles sucht den Unterstand auf, trotz der Nervosität. Drückend wirkt der Mangel an Munition. 26. 8. Nachmittags Post. 2 Pakete v. daheim, 3 für Raimund Berr, der am 22. abd. in Urlaub ging. Ich weiß gar nicht, wohin damit! Alles hat zu essen u. der Essenbringer nimmt 18

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/162 viel wieder zurück. Ein Pferd in Stellung v. Meldereiter, höchst unruhig u. ängstlich. Oben am Geschütz folgende Geschichte: Von einer preuß. Batterie schreit einer beim Vorbeigehen: "Nicht schießen! Nicht schießen!" u. bückt sich tief. Auf unser Gelächter hin erzählt er, daß einem Kameraden unvorsichtigerweise der Kopf abgeschossen worden sei. - Noch kein Angriff. [Am Rand:] Die Vorgänge rechts (29. 8.) bl[eiben] uns unbek[annt]. R.g. 336 31. 8. Großangriff. Nachm. stieß der Feind nach starkem Trommelfeuer vor. Vor uns kam er 1km vor und steht in dem Walde, in welchem das Proviantamt liegt. Wir machten keinen Schuß, da die Munition sehr knapp war. (Dabei hatten einige Geschützführer anderer Batterien geduldet, daß am 22. in jenem Wald einige Fächer der Protzen zugunsten des gestohlenen Proviants entleert wurden!! Bei uns trat man streng dagegen ein. Auch ein Anzeichen schlimmster Disziplinlo/163 sigkeit!) Erst nachts darauf wurde welche angeliefert. Es wurde berichtet, daß die preußische Infanterie sehr schnell nachließe. Auf unserer Ber[eichskommandatur] [?] seien einige dieser Brüder unverwundet erschienen und unser Abteilungsadjutant hätte sie verjagen müssen. Es sei Befehl gegeben worden, jeden zu erschießen, der unverwundet durch die Stellungen nach rückwärts komme. "Ja, was soll man dazu sagen? Armes Deutschland!" Gerüchte, der Feind sei rechts und links durchgebrochen, vor uns ständen sie in 1200m Entfernung. Wir packten unsere Sachen. "Ohne einen Schuß getan zu haben!" Als wir an diese Stellung kamen, sagte mir ein Gefühl, "da kommst du nicht mehr heraus." (Genau wie in Wagenburg am 25. 7. 17.) 1. 9. Abd. unruhig. Es wurde ein neuerlicher Angriff erwartet. Für uns kommt die Ablösung. Starke Fliegertätigkeit, Bomben in die Artilleriestellungen. /164 2. 9. Um 4h früh Abmarsch. Die meisten waren aufgeblieben. Von den Fahrern wurde erzählt, im Lager hätten sie Feuer bekommen u. seien ausgezogen. Fresnes, Septvaux, St. Gobain, Fressancort, Assis. (30 km) Pro Geschütz hatten wir drei Pferde, von denen keines mehr voll leistungsfähig war. Von Aufsitzen also keine Rede. Die armen Tiere standen seit 13. 8. fast dauernd unter Geschirr. Ein Pferd wird geführt und bleibt alle Augenblicke stehen. Bei einem der vielen Halte erklärt Lt. Scheffold etwas aus dem Kartenrichtkreis. Ich hatte eben jemand, der nicht dabei war, die Geschichte mit dem Flieger am Kanal bei Guny erzählt mit der bei uns feststehenden Annahme, der Franzose hätte die Schüsse in die Kolonne abgegeben. "Ist ja nicht wahr", drehte der Leutnant sich um, "der Deutsche wars, der seinen Gegner noch schnell in den Arsch schoß." Quartier in Assis. Am Dorfeingang begrüßt uns Hauptmann Deiglmeyer, der seit März /165 sich nicht mehr hat sehen lassen, da er zur Kolonne abkommandiert war. [Anm. am Rand in Kurzschrift] 28. 8. R.g.335 In einem Garten wurden Kartoffeln gekocht. 3. 9. Instandsetzungsarbeiten. Abd. im Soldatenheim. Ein Grammophon spielte ständig die Gavotte aus "Hoffmanns Erzählungen". 4. 9. Abmarsch 8h mit nur 3 Geschützen. Puilly sur Serre, Chery les Pouilly, Barenton-Cel, Barenton-Bugny. 14km. Quartier. [Anm. am Rand in Kurzschrift] 5. 9. Abmarsch ½7h. Rast in Marchais. Szene beim Essen, als zwei kleine Franzosen (jedenfalls Kriegskinder) an die Feldküche kamen. Sisonne. "Neues Lager". Ankunft 5h. (30km) Kolossale Anmarschstraßen in die Wälder. Weiter gings ins Lager Wegscheid. Dort Quartier. 6. 9. Nachm. mußte ich allein zur 2. Batt. hinreiten. Der Leutnant wußte selbst nichts Genaues. Als "leidenschaftlicher" Reiter freut mich der Auftrag, der nur vom Buckligen ausgehen kann, ungemein! Ich /166 gondle in der Gegend umher, stürze mal beinahe in einen überwachsenen Graben und gelange an ein "Wirtshaus" (Kantine). Dort treffe ich einen von jener Batterie und richte meine Sache aus (was es war, weiß ich nicht mehr, jedenfalls nichts "Strategisches"). Mit Mühe und Not finde ich wieder "heim". 19

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7.9. Abend 9h über Sisonne nach La Selve. Artillerielager beim Ort. Ank. 11h. Bei Sisonne sah ich den großen Friedhof, in dem auch Galgenmüller liegt, der Schriftsteller des "Raphael". Hier soll also alles erneuert, die ganze I. D. soll aufgefrischt werden. (Ob wir Nachschub bekamen, weiß ich nicht mehr.) Es gibt auch Zivilisten hier. Unsere Baracken sind Gelump, mit schadhafter Teerpappe gedeckt. 10. 9. Vorstellung der Off. Aspiranten beim Reg. Kommandeur in St. Preuve. Ein windig / sonniger Nachmittag für die Fahrt durch Boncourt. Gespräch über Chamisso. /167 In St. Preuve warteten wir 3½ h vor einem Hause, bis der hohe Herr kam. Die Folge war eine Erkältung und meine Erkrankung. 11. 9. Krank. Ich hörte bloß eine "Vorlesung" im Aspirantenkurs und konnte dann nicht mehr mitmachen. Dafür bekam ich Aspirin. Wetterumschlag. Auf meine Klappe regnet es herunter; kein Mensch kümmert sich drum. Übrigens sitze ich die halbe Zeit auf der Latrine. Zum Lesen bekam ich spaßigerweise von jemand einen Band Wilhelm Busch. Nachts sangs in den Drähten so melancholisch. In La Selve wars übrigens, wo man erzählte, Kronprinz Rupprecht habe Hindenburg eine Ohrfeige gegeben u. General Denner sei das Erschießen angedroht worden. Nun ist bei mir der Wunsch groß, in die Heimat zu kommen. Meine elende Lage, das Fehlen der besten Kameraden von einst, die zur Schau getragene Gleichgültigkeit des verhaßten Wacht[meisters] Hörmann, der mich am liebsten zum Dienst kommandierte, trägt viel dazu bei, meine Sehnsucht zu verstärken. Ich bin ja bei dieser Batterie nie /168 lieb Kind gewesen. Ich erwähne die Geschichte mit der Pistole im Lager Wartenberg, die Reibereien mit U. O. Mayerlein, Edelmann, Winkler, Beiter, die Verweigerung anständigen Schuhwerks auf d. Marsch nach Pierrepont durch Hörmann, als ich infolge meiner Verwundung kaum gehen konnte, die endlosen Schikanen im Zeltbahnlager bei Machault, wo man die Kanoniere grundsätzlich schinden durfte vom Off[izier]Stellv[ertreter] bis zum Batterieschreiber (Ostermeier?), die niederträchtige Behandlung durch Hörmann im Lager Sommerance, die Bevorzugung von Leuten wie Winkler bei der Beförderung (Winkler, der weder Telephon noch Batterietrupp mi-gemacht hatte u. eben nichts als ein saugrober Augsburger Bäckerlehrling war, wurde schon im März befördert), zuletzt die stillschweigende Duldung der Benachteiligung von uns Münchnern, spez. von mir, durch Lt. Scheffold, bei dem ein Mädele und Rothmüller obenan standen, die schließlich bloße Streber u. Maulbraucher waren - all das verleidet mir den Aufenthalt bei dieser Batt. (Am 18. Apr. sagte Mayerlein in /169 Sery en Mezieres zu mir: "Wenn ich in der Batterie etwas zu sagen hätte, dann würden Sie längst befördert. Mit Ihnen geht man ja hier gemein um.-" Mayerlein, derselbe, der im edlen Verein mit Edelmann u. Konsorten uns "Neue", nämlich mich, Hartmann, Finsterwalder, Berr u. Höhenreiner nicht genug schinden konnte!! Sollte er sich bekehrt haben? Sicher nicht! Er wollte bloß Batteriewachtmeister werden.) Ich nenne zuletzt die unerträglichste Schikane Hörmanns im ersten Pinon-Lager, der mir nicht einmal die Erlaubnis zum Besuch meines Bruders gab. Wie sollte ein junger, unfertiger Mensch zu all den Lasten des Krieges auch noch diese Unduldsamkeit ertragen können? Mit Ausnahme Schulers, vielleicht Ameiers und des gutmütigen Tappeiner haßte ich diese Schwaben alle - selbst Kobras, der sich wie nochmal ein Offizier benehmen konnte u. sich am liebste von andern hätte die Stiefel wichsen lassen. Hörmann wünschte ich wohl hundertmal den Heldentod fürs Vaterland. Das Einzige, was mich tröstete, war die gute Kameradschaft mit Berr, Höhenreiner, Berthold, Bayerlein, Hartmann, Finsterwalder, /170 Egger, Zeheter, Buser, Kastner, Cham, Kaltofen - überhaupt so ziemlich mit allen Ersatzmannschaften. In La Selve waren, glaube ich, bloß Bayerlein u. Berthold noch da. Man kann sich denken, daß in den einsamen Stunden des Krankseins diese Gedanken mich bekümmerten u. die Sehnsucht, heimzukommen, krankhaft steigerten. 14. 9. Alle Kranken müssen sich beim Arzt melden Ich bekam meinen "Schein", obwohl der (Inf[anterie])-Arzt als scharf galt. Der Abschied von der Batt. ging aber nicht ohne Schikanen ab. Mit mir war noch einer - ich weiß nicht mehr, wer - nach Sisonne verwiesen. Wir mußten uns in der Kanzlei melden, wo Hörmann mir kaltlächelnd die neue Hose vom Depot bei Coucy le Chateau abnahm. Ich warf sie ihm wütend vor die Füße. "Sie bekommen ja im Laz[arett] eine neue", sagte er höhnisch. Auch erklärte er, uns nicht fahren lassen zu können, da die Pferde auf der Weide seien. Ich verlangte den L[eu]tn[an]t zu sprechen. Ltn. Schup, der mich zwar keineswegs sehr gern mochte, sah die Berechtigung meines Verlangens ein, bat mich aber, nach Mög20

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/171 lichkeit von meinem Verlangen abzustehen, da die Pferde tatsächlich geschont werden müßten. Ich ließ mich herbei dazu u. wir trabten ab - mit schwerem Gepäck! Den Stahlhelm hatte uns Hörmann noch extra nachgeschmissen u. gedroht: "Wehe, wenn ihr ihn nicht wiederbringt!" So war der Abschied von der Batt. beschaffen! Von Hörmann habe ich später gehört, daß man in seiner Wohnung in Augsburg ein ganzes Lager militärischer Ausrüstungsstücke beschlagnahmt hat, daß die in München einfahrende Batt. ihn abschupste, weil man mit diesem Scheusal nicht einmarschieren wollte, daß der Kerl aber bald danach am - Bekleidungsamt München angestellt war! [Klein eingefügt:] (Gewährsmann der Wichser von Hptm. Deigelmayr, 1920 Schaffner der Linie I in Mü.) Nachtr. 1936. ---------------------------------------------------------Lazarett Sisonne. bay. Kriegs. Laz. 22 H A. b. Kr. Laz. Abt. 22 Sat. 13. Saal 3, Deutsch. Feldp 3033 (?) Wir marschierten lustig dahin u. ließen uns schließlich von einem Fuhrwerk mitnehmen. /172 Im Laz. wurde das Zeug abgeliefert, dann gebadet. Dabei standen wir fast 2 Stunden nackt auf dem kalten Pflaster, "weil der Kessel erst geheizt werden muß". Die alte Wäsche wurde uns gleich genommen, die neue bekamen wir erst nach dem Bad - ergo! Die Folge war eine Verschlimmerung meines Zustandes u. Hinzukommen von Rheumatismus. Was also das strapaziöse Leben in der Stellung nicht fertigbringen konnte, das hat der militärische Zopf geschafft: nämlich meine Gesundheit zu ruinieren. Vom 14. - 23. 9. lag ich immer Saal 3, ohne daß der Arzt, ein alter Herr, mich untersuchte. Das kam so: Wenn Visite war, stellte ich mich immer schlafend. Der Alte fragte die Schwester: "Was ist mit dem da?" Sie sagte: "Er schläft gerade." "Gut, lassen wir ihn schlafen", beendete der Arzt den "Besuch". Ich war froh u. teils wirklich sehr schlafbedürftig. Auf keinen Fall wollte ich vorzeitig gesund werden. Mir kam alles wie im Traume vor, ich hatte auch ständig hohes Fieber. Eine /173 K[riegs]-Kr[anken]-Schwester arbeitete bei uns, die übrigen sah man selten u. die Kameraden sagten ihnen nur Schlechts nach. Mir gegenüber starb ein etwa 40j. Mann, an dem nur noch Knochen waren, ohne daß jemand bei ihm war. Erst nachher merkte mans u. dann kam der Pastor, die Leichenträger, u. die Kranken eigneten sich sofort seine Sachen an. 23. 9. Es kam ein neuer, junger Arzt. "Was geschieht denn mit diesem da?" fragte er streng u. musterte kopfschüttelnd meine Fieberkurve. "Nichts", sagte die Schwester wahrheitsgemäß. Darauf wurde verfügt: Umzug ins Zimmer 6, zehn Aspirin, mehrere Decken u. Wärmflaschen. In jenem Zimmer war durch den Tod einiger Typhuskranker gerade Platz frei geworden. Die Behandlung brachte mich natürlich zu unmäßigem Schwitzen. So ging das mehrere Tage; die Dosis Aspirin wurde immer um 2 Stck. vermindert. Nun kam aber das Rheuma erst! Jeden Abend schmerzten die Knie u. Fußgelenke unmäßig. Die Kost bestand aus verschimmeltem Zwieback. "Brot ist nur für die Schwerkranken da." Ich ekelte mich davor und aß beinahe gar nichts mehr. Meine täglichen Bitten /174 waren an die Wand gerichtet. Eine Besserung kam erst, als das Laz. in ein Feldlazarett umgewandelt urde, weil in der Nähe sich ein neues Großkampfgelände entwickelte. (Die neue Adresse habe ich nirgends mehr gefunden.) Wir bekamen nun Barmherzige Schwestern. Die arbeiteten und sorgten für uns, daß es eine wahre Freude war. "Unsere" Schwester verteilte jeden Tag einen Apfel od. Birne unter uns, brachte Himbeersaft herbei u. verschaffte mir endlich Brot u. sogar doppelte Fleischration. Ich hätte weinen können vor Freude! Das war aber eine Menschenseele, wie ich sie lange, lange nicht mehr gesehen hatte. Unter diesen Umständen wurde ich "bedenklich" besser - bis der Rückschlag kam. Das war so: Da in nächster Nähe ein Flugplatz lag, gab es jede Nacht Flieger u. Manche gingen in die Unterstände u. erkälteten sich. Ich blieb immer liegen. Am 20. 9. aber trieb es mich heraus, da eine schreckliche Brandröte alles erhellte u. ganze Maschinengewehrsalven knatterten. In Hausschuhen u. leichtem Mantel lief ich hinaus. Die Kraftwagenabtei-

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/175 lung brannte mit Benzin- u. Munitionsvorräten. Eine Stunde lang blieb ich - u. hatte meine Verkältung weg! Am 1. 10. sollte ein Transport abgehen. Hoffentlich bin ich transportfähig!! Zum Überfluß wurde ich nun als paratyphusverdächtig bezeichnet. Mein Gefreiter macht ein böses Gesicht. Allein - haben meine dringenden Bitten etwas vermocht, od. hat die Schwester etwas getan - ich wurde dem L. K. Z. überwiesen (Lazarettkrankenzug). In S[isonne] habe ich sehr viel gelesen u. geschrieben. Mit einem Hamburger stritt ich täglich, der mich z. B. einmal fragte, warum die Bayern immer so fluchten? 1. 10. Ich mußte selbst meine Sachen in der Kammer holen. Gegen 6 h abd. kamen die Autos. Meines war zum Liegen eingerichtet. Über mir legte man einen älteren Mann hinein, der nur ein Hemd anhatte. Was das bedeutete, wurde am Bahnhof Sisonne klar, als wir aussteigen mußten. Der Mann mußte mit uns hinstehen, bis der Zug kam. Er bekam eine Decke u. einen Mantel, fror aber natürlich trotzdem. Sanitä/176 ter waren nicht vorhanden. Und der Zug! Ohne Betten, dabei fast alle Fenster kaputt! Diese Fahrt war schrecklich. Ohne Licht natürlich, langes Warten an Bahnhöfen. Fliegerbomben, Abwehrfeuer - und diese bitterkalte Oktobernacht! Um 1h nachts Bahnhof Lislet. Der Alte schnatterte wie ein Totengerippe, wir meinten, er müsse alle Augenblicke umfallen. Meine Füße waren schon völlig gefühllos vor Kälte. Und nun warteten wir eine gute Viertelstunde - wenn nicht länger - an diesem verfluchten Bahnhof auf einen Führer zur Krankensammelstelle. (Warum nicht gleich einer zur Stelle war, ist rätselhaft.) Endlich kam einer! Jeder schimpfte und wenn wir nicht "fertig" gewesen wären, hätten wir noch zugehauen. So schleppte man sich hin zur Baracke. Dort glühte zwar ein Ofen, aber das war bloß für die Nächsten; denn diese Riesenhütte konnte doch niemals warm werden. Ich "haute" mich auf ein Lager (am Boden), zog mit Ach und Weh die Stiefel aus u. bearbeitete meine Füße so lange mit den Fäusten, bis ich ein "angenehmes" Frösteln spürte. Inzwischen kam "Kaffee". Der wärmte wenigstens. Dann schlief /177 ich endlich. - Die Tage waren nun alle schön u. warm, die Nächte kalt u. durch schwerste Fliegerangriffe auf den Bahnhof verschönert. Manche blieben Nacht für Nacht in der Stellung, denn in der Tat war das Krachen nervenzerreißend. Es gab Neuzugänge. Mir zu Häupten lag ein Schwerverwundeter, der nicht mehr lang zu leben hatte. Spaziergänge - hübsche Gegend. Zeitungen. Nachricht von der Revolution in Bulgarien. 6. 10. Um 9h Einladen, um 12h Abfahrt. Charleville. 7. 10. Namur, Lüttich, Gerolstein. Die belgische Landschaft mit ihren steilen Flußufern, den vielen Tunellen [?] u. Industrieanlagen - die Eifel mit ihrem düsteren Moorcharakter. Freude beim Überfahren der Grenze! Viele verhandeln ihre Mäntel usw. an die Zivilisten, was allerdings streng verboten ist. Es wird viel gesungen u. erzählt. Von unserem Begleitarzt sagt man, er habe einen, der um Weißbrot gebeten, angefaucht: "Machs Maul auf!" Nachdem er auf diese Weise nichts Gefährliches konstatieren habe können, sei die Bitte abschlägig verbeschieden worden - In Gerolstein bat mich ein /178 Iserlohner Messerschmied, seiner Frau zu schreiben, weil er es nicht könne. Auch komisch! 8. 10. Ahrtal, Andernach, Koblenz. Jetzt tat das Rheintal seine herrlichen Räume auf! 9. 10. Limburg, Gießen, Bebra, Eisenach, Gotha, Rudolstadt. Auf einer kl[einen] Station in Hessen stand eine alte Bäurin mit einem Schurz voll Äpfel. Im Nu waren alle weg. Man drängte noch in sie - da ließ sie uns mitgehen bis zu ihrem Häuslein, wo sie noch welche in einem Zuber hatte. Ihre letzten! Auch die waren weg. - Bei den Weinbergen versuchte man auch, zu "holen"! Allein die Bauern waren auf ihrer Hut. Wir hatten einen schwarzen Kriegsgefangenen bei uns, "Jumbo", mit dem wir unmäßig lachten. In Gotha wurde er am Bahnhof "spazierengeführt". - In einem Zug befand sich ein weiblicher Zugführer, der in seiner Mütze sehr hübsch aussah. Überall sah man die Mädchen bei der Kartoffelernte. Welche Empfindungen, die lachenden Gesichter zu sehen! Ununterbrochenes Winken. Der herrliche blaue Himmel kam hernieder u. vermählte sich mit den Wäldern und Auen. Langsam kam der Abend. Die Umrisse einer schönen umgrünten Stadt tauchten auf, dann verblaßte das Abendrot und tausende von /179 Lichtern funkelten. Der Zug hielt. Rudolstadt. Wir formierten uns. Es läutete von sämtlichen Türmen. So marschierten wir ein. 22

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Allerseelen 29. Okt. 17. Du nahest wieder, weichster aller Tage, Mit deinen Gräbern, herbstlaubüberhügelt. Wie Kerzenrauch durch weiße Mauerkränze, So zieht durch unsre Seelen deine Klage. Es dämpfet der Rubinlaternen Schein Den lauten Schmerz der halbvernarbten Wunden. Wehmutverklärt schweigt diese bittre Qual. So laßt die Toten ruhn in ihrem Schrein! Es füllt ein schwarzer Menschenstrom die Friedhofsgassen. Das tote Jahr dort unten sandte seinen Herbst. O daß auf alle Häupter schwarze Blüten regneten! Denn wir, wir können nicht von unsern Toten lassen. _________________________________________________

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